Die Geschichte Israels ist reich an Konflikten und Auseinandersetzungen mit den Völkern seiner Umgebung. Auch die Bibel berichtet davon mehrmals in den Geschichtsbüchern des Alten Testamentes. Sie tut es in einer Weise, die für den heutigen Leser eine Herausforderung sein kann und Fragen aufwirft: War der Gott des Alten Testamentes ein Kriegsgott? Hat er Partei ergriffen für einen bestimmten Volksstamm und damit verbunden, ist er dann noch gleichzusetzen mit dem Gott des Friedens, der Philosophen und der Weisheit – dem Logos – wie wir ihn aus dem Neuen Testament kennen? Manche Schriftstellen innerhalb der Geschichtsbücher mögen für uns heute schwer verständlich sein und auch Unbehagen hervor-rufen. Das Buch Josua ist eine solche Schrift.
Im Folgenden soll es darum gehen, den problematischen Gehalt des Josuabuches ein wenig zu analysieren, in den thematischen Kontext des alttestamentlichen Kanons einzuordnen und diesbezüglich die Einzigartigkeit dieser Form der Erzählung und ihre Unübertragbarkeit auf eine allgemeine Israeltheologie herauszustellen. Dabei werden zur Veranschaulichung drei Theorien der Landnahme gegenübergestellt.
Inhaltsverzeichnis
1.Das Buch Josua – eine Kriegsschrift?
2. Die Gestalt des Josua
2.1 Der Name ist Programm
2.2 Josua – der Nachfolger des Mose
3. Theorien zur Landnahme
3.1 Das Eroberungsmodell
3.2 Das Weidewechselmodell
3.3 Das Revolutionsmodell
3.4 Von den allgemeinen Theorien zur Analyse von Einzelsituationen
4. Das Land als Gabe JHWHs
4.1 „Landgabe“ als zentrales Thema des Josuabuches
4.2 Die Erfüllung der Väterverheißung
4.3 Die Landnahme als Einzug JHWHs selbst in das Gelobte Land
5. Das Buch Josua als eine Aufforderung zur Bundestreue
Literatur:
1.Das Buch Josua – eine Kriegsschrift?
Die Geschichte Israels ist reich an Konflikten und Auseinandersetzungen mit den Völkern seiner Umgebung. Auch die Bibel berichtet davon mehrmals in den Geschichtsbüchern des Alten Testamentes. Sie tut es in einer Weise, die für den heutigen Leser eine Herausforderung sein kann und Fragen aufwirft: War der Gott des Alten Testamentes ein Kriegsgott? Hat er Partei ergriffen für einen bestimmten Volksstamm und damit verbunden, ist er dann noch gleichzusetzen mit dem Gott des Friedens, der Philosophen und der Weisheit – dem Logos – wie wir ihn aus dem Neuen Testament kennen? Manche Schriftstellen innerhalb der Geschichtsbücher mögen für uns heute schwer verständlich sein und auch Unbehagen hervor-rufen. Das Buch Josua ist eine solche Schrift. Auf sie trifft eine solche kritische Infrage-stellung des Lesers in ganz besonderer Weise zu. Das große Thema des Buches ist die Einnahme des Gelobten Landes im Namen und mit der Hilfe Gottes (Jos 1-12), sowie die Verteilung des Landes durch Los an die zwölf Stämme Israels (Jos 13-22). Der äußere Aufbau des Buches ist auf den ersten Blick kriegerisch, indem er von der Eroberung und der Ver-teilung des Landes berichtet. Die zahlreichen kriegerischen Ereignisse mit großenteils sehr grausamen Praktiken mögen uns heute als sehr befremdlich erscheinen und spielen im bis heute andauernden Konflikt um das Heilige Land eine eher problematische Rolle.
Dabei aber gilt es sich immer vor Augen zu halten: Die kriegerischen Erzählungen sind keine historischen Berichte, sondern literarisch einzuordnen. Archäologische Funde weisen nicht zuletzt darauf hin, dass Eroberungszüge, wie sie hier geschildert werden, so nie statt-gefunden haben. Es findet sich also hier vielmehr ein Text vor, der bestimmte Erfahrungen von Befreiung vermitteln will und dazu die Bilder von Krieg und Gewalt verwendet. Analog könnte man das heute etwa mit Actionfilmen vergleichen, in denen Gewalt und Kampf Ausdruck dafür ist, im eigentlichen etwas Gutes erreichen zu wollen.
Im Folgenden soll es darum gehen, den problematischen Gehalt des Josuabuches ein wenig zu analysieren, in den thematischen Kontext des alttestamentlichen Kanons einzuordnen und diesbezüglich die Einzigartigkeit dieser Form der Erzählung und ihre Unübertragbarkeit auf eine allgemeine Israeltheologie herauszustellen. Dabei werden zur Veranschaulichung drei Theorien der Landnahme gegenübergestellt.
2. Die Gestalt des Josua
2.1 Der Name ist Programm
Der Inhalt des Josuabuches ist eng verbunden mit der Person des Josua. Schon sein Name identifiziert sich mit dem theologischen Programm, dass sie Schrift des Buches durchzieht. Josua –[Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten] (jehoschua, jeschua), bedeutet „JHWH ist Rettung“. Diese Rettung erfolgt hier durch die Gabe des Landes. Damit verbunden ist die Entscheidung für den Glauben an JHWH, der sein Volk aus der Knechtschaft der Ägypter befreit hat und ihm ein neues Leben in einem neuen Land zusagt. Diese rettende Zusage Gottes ist zunächst der theo-logische Hintergrund der Erzählung. Gott ist treu, er verspricht nach dem Exodus eine neue Zukunft in Frieden und Freiheit. Inwiefern sich Gottes Plan für sein Volk durch Eroberungs-züge umsetzen lassen und inwieweit es menschliche Konflikte sind, die oftmals zu kriege-rischen Auseinandersetzungen führen, muss von vorn herein offen bleiben. In der Josuaschrift beruft man sich jedenfalls immer auf „den Herrn“ als Beistand beim Kampf um das Heilige Land (vgl. Jos 7, 13; 8, 8 etc.). In diesem Zusammenhang wird von Josua als dem Feldherrn erzählt, der es versteht, den Gegener aus der sicheren Stadt herauszulocken um ihn dann zu überführen und durch List zu schlagen und zu besiegen (Jos 8, 4-23). Im Vertrauen und geleitet durch JHWH ist Josua dazu fähig, mitten in der Nacht mit seinen Männern zu marschieren, um am Morgen an der richtigen Stelle zu sein. Josua führt den Angriff aus, aber der eigentlich Handelnde ist JHWH, der die Gegner in Verwirrung setzt und ihnen beim Anblick der Israeliten eine schwere Niederlage beibrachte (Jos 10, 7-11). Dieses Handeln von JHWH durch die Hand des Josua ist als errettend zu verstehen.
2.2 Josua – der Nachfolger des Mose
Josua stammt aus dem israelitischen Stamm Ephraim und war der Sohn des Nun. In der Schrift des Alten Testaments tritt er zum ersten Mal in Ex 17, 9 auf, wo er von Mose im Kampf gegen Amalek zum Heerführer ernannt wird. Dies entspricht dem Bild der älteren Überlieferung, wonach Josua die typische Rolle des Heerführers einnimmt. Er begleitet Mose als Diener, während dieser auf den Gottesberg steigt (Ex 24, 13). Als Diener steht Josua immer an der Seite des Mose und ist somit auch nicht am Abfall des Volkes bei der Huldigung des goldenen Kalbes beteiligt (vgl. Ex 32). Im Buch Numeri trägt Joasua zunächst noch den Namen Hoschea, Sohn des Nuns, erhält aber bald von Mose den Namen Josua (Num 13, 16). Hier gehört Josua als Anführer des Stammes Ephraim zusammen mit Kaleb, dem Sohn des Jefunnes aus dem Stamm Juda, zu den Kundschaftern der zwölf Stämme, die die Eroberung des Landes vorbereiten sollen. Nachdem die Kundschafter mit einer Riesentraube aus dem Gelobten Land ins Lager zurückkehren, drängen sie darauf, die Eroberung voranzutreiben, während die Führer der anderen Stämme sich mit der Eroberung zunächst zurückhalten wollen. Als Strafe für diese Uneinigkeit und das Misstrauen in die Güte JHWHs im Volk der Israeliten müssen diese weitere vierzig Jahre in der Wüste umherziehen, bis diese Generation stirbt. Einzig Josua und Kaleb werden später in das Gelobte Land einziehen.
Ordnet man die Person des Josua aber in den deuteronomistischen Kontext ein, so entsteht weniger das Bild des erobernden Kriegsherrn. Josua kommt vielmehr die Aufgabe zu, die Israeliten in das Land zu führen, das JHWH für sie vorgesehen hat (vgl. Dtn 31, 7-23). Dort findet sich auch die Zusage JHWHs, der mit seinem Volk sein wird, wie er es bei Moses war. Die Parallelisierung Josuas mit Mose wird an mehreren Stellen deutlich. So zum Beispiel in Jos 5, 13-15, wo die Gleichsetzung Josuas mit Mose in der kurzen Erzählung von der dem Mose widerfahrenen Erscheinung JHWHs bzw. des Boten JHWHs im Dornbusch (Ex 3, 1-6) nacherzählt wird. Josua wird nach einem klaren Ritus zum Nachfolger des Mose eingesetzt (Num 27, 15-23). Er wird dazu von JHWH selbst erwählt - Mose legt ihm lediglich die Hände auf. Das geschieht nicht im Verborgenen, sondern vor den Augen des Priesters Eleasar, des Nachfolgers des Aaron. Josua soll nur in den Kampf ziehen, wenn er Eleasar zuvor um ein Urim-Orakel gebeten hat. Dieses priesterschriftliche Bild mag den Leser bei der Lektüre des Josuabuches vielleicht auch ein Leitfaden sein, die Schrift nicht isoliert, sondern in seinem deuteronomistischen Kontext zu verstehen.
3. Theorien zur Landnahme
Das Josuabuch erzählt in den ersten zwölf Kapiteln die Einnahme des Westjordanlandes durch die zwölf Stämme Israels. Unter der Führung Josuas ziehen sie bei Jericho durch den „trockengelegten“ Jordan. Anschließend zerstören sie die befestigten Städte Jericho und Ai. Auf diese Weise schaffen sie sich sozusagen einen Korridor in das zentrale Bergland von Palästina, in die Region unmittelbar nördlich der Stadt Jerusalem. Von dort aus erobern sie den Süden und dann den Norden des Landes. Im Laufe des 20. Jahrhunderts, als immer mehr archäologische Befunde und außerbiblische Dokumente aus dieser Zeit aufgefunden wurden und vorlagen, entstanden bald drei „Modelle“ zur Landnahme der Israeliten, anhand derer man die kriegerischen Ereignisse, wie sie im Josuabuch beschrieben werden, zu erklären ver-suchte. In ihnen spiegeln sich auch die bis heute andauernden Auseinandersetzungen um die Siedlungsrechte auf dem Boden des „Verheißenen Landes“.
3.1 Das Eroberungsmodell
Das erste Erklärungsmodell, das beim ersten Lesen des Josuabuches am meisten naheliegt, ist das Eroberungsmodell. Es ist mehr oder weniger die wortwörtliche Auffassung des Josua-buches: Nomaden dringen kriegerisch in das Land Kanaan ein, erobern es und nehmen es in Besitz. Der amerikanische Oriantalist und Archäologe William Foxwell Albright (1891-1917) hat diese Modell ausgearbeitet. Er geht davon aus, dass durch die Ausgrabungsfunde die Historizität der Erzählung von der Landnahme, wie sie im Josuabuch beschrieben wird, archäologisch zu belegen ist. Albright fand bei seinen Ausgrabungen auf großen Siedlungs-hügeln Brandzerstörungen vor, die er in die Spätbronzezeit datierte. Darüber befanden sich Keramikscherben, die er den neuen Siedlern – den Israeliten – zuordnete.
Dieses Modell hat sich bis in die 50-er Jahre hinein halten können. Ausgrabungen an den zentralen Schauplätzen von Jericho und Ai jedoch zeigten bald, dass die von Albright und seinen Nachfolgern vorgeschlagene Interpretation nicht weiter haltbar war, da Jericho und Ai, wie sich herausstellte, zu dieser Zeit nicht wirklich besiedelt – also praktisch unbewohnt waren. Gleiches traf auf andere Städte zu dieser Zeit zu, wie etwa auf Gibeon, Arad oder Heschbon. Diese Modell der Eroberung wird allerdings heute eher nur noch selten vertreten. Es ist jedoch unverzichtbar für all jene Schriftexegeten, welche den Wahrheitsgehalt des Glaubens an der Historizität der biblischen Texte bemessen.
3.2 Das Weidewechselmodell
Dem Eroberungsmodell entgegengesetzt wird das sogenannte Weidewechselmodell. Dieses geht von der Landnahme als friedlichem Prozess aus. Die Nomaden werden allmählich in den Bergen Palästinas sesshaft. Somit können die Angaben im Buch Josua nicht als historisch be-trachtet werden. Der deutsche Alttestamentler und Palästinakundler Albrecht Alt (1883-1956) entwickelte in zwei Arbeiten ein eigenständiges Landnahmemodell. Dabei geht er von der grundsätzlichen Annahme aus, dass die Erzählungen des Josuabuches keine historischen Berichte sind. Alt vertritt die Ansicht, es handle sich bei den Erzählungen um Ätiologien. Damit ist gemeint, dass die Erzählungen einen Sachverhalt, wie er sich zu dieser Zeit darstellt, durch ein Ereignis der Vergangenheit erklären wollen. So waren in etwa die großen und eindrucksvollen, um 1200 v. Chr. jedoch schon längst zusammengefallenen Mauern Jerichos Anlass zu der Erzählung von der wunderbaren Einnahme der Stadt (vgl. Jos 6).
Alt sah in den damals vorgefundenen Ruinen und Überresten der alten Städte die Veran-lassung für die Erzählungen von der gewaltsamen Eroberung und Einäscherung der befestigten Städte durch die Israeliten. Alt nimmt an, dass die Landnahme der Stämme Israels ein friedlicher Prozess war, der sich auf die Bergregionen Palästinas beschränkte und die von den Stadtstaaten beherrschten Territorien unberührt ließ. Dazu hat er die Siedlungserhältnisse vor und nach der Landnahme versucht zu rekonstruieren. Wie Texte aus Ägypten zeigen, existierte in der Spätbronzezeit ein Netz von Stadtstaaten. Diese lagen vor allem in den Ebenen Palästinas – kaum in den Bergregionen. Alt bezieht sich bei der Erschließung der territorialen Verhältnisse nach der Landnahme auf das erste Kapitel des Richterbuches. Hier werden mehrere Städte aufgeführt, die von den Israeliten nicht eingenommen wurden (Geser, Kitron, Nahalol, Akko, Sidon, Mahale, Achsib, Helba, Afek etc. vgl. Ri 1). Auch diese Städte lagen mehrheitlich in den Ebenen. Folgt man Alts These von der Landnahme, lässt sich dieser Prozess als ein friedliches Sesshaftwerden vormaliger Nomaden erklären. Zunächst pflegten sie einen regelmäßigen Weidewechsel zwischen den Winterweiden und den höher gelegenen Sommerweiden im palästinischen Bergland. Schließlich ließen sie sich an den Sommerweiden nieder und wurden dort sesshaft.
Mit dem Weidewechselmodell gelang es Albrecht Alt durch Korrelation kritischer Textaus-legung und archäologischer Befunde einen fundierten Gegenentwurf zum Eroberungsmodell zu entwickeln. Unstimmigkeiten ergeben sich jedoch in der Annahme, dass die Israeliten vor der Landnahme als Nomaden an den Rändern des Kulturlandes lebten. Nomaden werden im Allgemeinen nicht ohne Weiteres und freiwillig sesshaft. Sie grenzen sich vielmehr von der Lebensweise sesshafter Bauern ab. Des Weiteren sind sie auf enge Verbindungen mit den Bewohnern der Städte angewiesen, wenn sie erfolgreichen Weidewechsel betreiben wollen, da die Weideflächen, die sie zur Nutzung benötigten, meist zu den Städten gehörten. Ebenso erfolgt der Warenaustausch mit den Städten. Ein Gegensatz von kanaanäischer Stadtkultur und israelitischer Nomaden im offenen Bergland, wie es Alt in seinem Modell voraussetzt wäre also rein wirtschaftlich fast nicht zu denken.
3.3 Das Revolutionsmodell
Ein weiteres, sowohl dem Eroberungsmodell als auch dem Weidewechselmodell entgegenge-setztes Konzept ist das Revolitionsmodell. Ihm zufolge befreien sich die von den kanaaniti-schen Stadtfürsten unterdrückten kanaanitischen Bauern aus ihrer Knechtschaft und siedeln sich im Bergland an. Der amerikanische Theologe George E. Mendenhall veröffentlichte 1962 in der Zeitschrift „The Biblical Archaeologist“ eine Studie unter dem Titel „The Hebrew Conquest of Palestine“. Darin beklagt er zunächst die Defizite der seinerzeit konkurrierenden Modelle zur Landnahme. Mendelhall bemängelt in den bisherigen Modellen in ihren vorausgesetzten Grundannahmen, zum einen dass die landnehmenden Israeliten „von außen“ kommen und zum anderen, dass sie Nomaden waren. Darüber hinaus weist er darauf hin, dass die theologische Komponente der Erzählung von der Landnahme bisher zu wenig beachtet wurde. Mendelhall führt damit einen ganz neuen Ansatz ein. Er versteht die Landnahme als revolutionäre Selbstbefreiung unterdrückter Gruppen der kanaanitischen Stadtbevölkerung. Die rechtlosen kanaanäischen Bauern wurden von den Stadtfürsten ausgebeutet. Darauf hätten sie sich von ihrer Unterdrückung befreit und eigene Siedlungen im Bergland errichtet. Mendelhall stützt sich bei seiner These auf ägyptische Texte, die bereits Alt für seine Studien verwendete. Dabei handelt es sich um Briefe kanaanitischer Stadtfürsten, die an den Hof des Pharao Amenophis IV. (Echnaton) in Tell-al-Amarna geschickt wurden. In diesen Briefen beklagen sich die Stadtfürsten sowohl über feindliche Aktionen und Angriffe, als auch über Aktivitäten von Gruppen, die „Hapiru“ genannt werden. Die Hapiru müssen im ganzen Alten Orient des 2. und 3. Jahrtausends v. Chr. existiert haben. Am wahrscheinlichsten ist es, dass damit alle möglichen sozial niedrigstehenden Menschen gemeint sind. Sie fielen negativ als Wegelagerer oder Plünderer auf. Dass sie auch in Palästina lebten ist aus dem ägyptischen Armana-Briefen zu schließen, indem sich die kanaanitischen Stadtfürsten über sie beklagten. Da die aus Ägypten ausziehenden Israeliten im Alten Testament „Hebräer“ genannt werden, sieht Mendelhall eine bestimmte Namensähnlichkeit der Hebräer zu den Hapiru. Die Hapiru seien von einer Mosegruppe aus Ägypten zur Revolte angetrieben worden. Ein blutsverwandt- schaftliches Verhältnis unter den Hapiru habe jedoch im Gegensatz zur alttestamentlichen Tradition der Stämme Israels nicht bestanden. Die Solidarität unter den Hebräern sei also rein religiös begründet gewesen und hat im gemeinsamen Glauben an JHWH seine Wurzel. Dieser gemeinsame Glaube, der ägyptische Exodus bzw. der geschlossene Bund am Berg Sinai habe die Hebräer so zusammengeschweißt, dass sie miteinander gegen die Verhältnisse der Unter-drückung aufbegehrten. Nach Mendelhalls Auffassung war es also der gemeinsame Glaube an JHWH, der die ideologische Grundlage für den revolutionären Akt bildete. Das Revolutions-modell brachte einen ganz neuen Grundansatz hervor und war in sich und seiner Wirkung auf den bisherigen Stand der Forschung selbst revolutionär.
3.4 Von den allgemeinen Theorien zur Analyse von Einzelsituationen
Durch das Revolutionsmodell setzte sich bald die Annahme durch, dass die an der Land-nahme beteiligten Gruppen also nicht von außen in das Land kamen, sondern größtenteils schon zuvor in Palästina lebten. Überprüfungen des archäologischen Materials haben ergeben, dass sich die Kulturen der frühen Eisenzeit weniger stark von der Kultur der spätbronze-zeitlichen Städte unterschieden. Das führt zu der Annahme, dass die neu entstandenen Siedlungen im Bergland von Menschen gegründet wurden, die vorher in den bronzezeitlichen Städten lebten oder engen Kontakt mit den Städten pflegten. Es ist auch anzunehmen, dass zu den im Bergland sesshaft gewordenen Menschen nicht nur Bauern, sondern auch Nomaden gehörten, die eventuell nur teilweise und nach Bedarf Kontakt mit der Stadtbevölkerung auf-genommen haben. Die These einer Revolution der unterdrückten kanaanäischen Bauern wie sie Mendelhall skizzierte erscheint jedoch als überholt. Es ist wahrscheinlicher, dass die Neu-besiedlung des Berglandes eine Folge des Zusammenbruchs der bronzezeitlichen Stadtkultur darstellte. Dieser Städteniedergang war im gesamten Mittelmeerraum zu beobachten. Die Städte waren miteinander verzweigt in einem großen Handels- und Wirtschaftsraum. Störungen an der ein oder anderen Stelle, Unruhen und Kriege in einzelnen Regionen, Dürreperioden oder Umweltkatastrophen wie Hochwasser oder Erdbeben konnten sich auf mehrere verzweigte Regionen auswirken und zum Untergang ganzer Städte führen. Da die Bauern und Nomaden auf den wirtschaftlichen Austausch mit den Städten angewiesen waren, fehlten ihnen nach dem Niedergang dieser Städte die entsprechenden Handelspartner. Folglich mussten sie sich sesshaft niederlassen, wozu sie die dauerhaft zwar schwieriger zu bewirt-schaftenden aber außerhalb der Stadtregion gelegenen Bergregionen wählten. Diese Prozesse vollzogen sich in einem Land wie Palästina unterschiedlich, da es schon rein aus geographi-scher Sicht auf engstem Raum sehr viele Unterschiede aufweist. So sind die Prozesse nicht zu verallgemeinern sondern in sich auf regionaler Ebene wieder sehr differenziert. Das erfordert einen Blick und eine Spezialisierung auf die einzelnen Situationen – weniger auf allgemeine Theorien der Landnahme.
4. Das Land als Gabe JHWHs
4.1 „Landgabe“ als zentrales Thema des Josuabuches
So wie die Erklärungen von Weidewechselmodell und Revolutionsmodell aus archäologischer Sicht versucht haben aufzuzeigen, dass der Text des Josuabuches nicht als historischer Bericht über die kriegerische Eroberung Jerichos und Ais zu betrachten ist, so ist auch aus theologischer Sicht darauf hinzuweisen, dass das Hauptthema des Buches nicht die kriegeri-sche Eroberung des Landes mit der Vernichtung seiner Bewohner ist, sondern das Land an sich als Gabe JHWHs. Den thematischen Schwerpunkt des Buches bildet nicht die Land-nahme, sondern die Landgabe. Mehrere markante Schriftstellen weisen darauf hin:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Das Buch Josua lässt sich auch verstehen als ein theologischer Entwurf zur Begründung des Landbesitzes durch die Israeliten (Volkmar Fritz). Erst durch Gottes Hilfe ist das Volk Israel in das Verheißene Land gekommen. Das Land wird zur Heilsgabe Gottes an sein Volk. Darüber hinaus ist auch zu bedenken, dass das Land wirtschaftliche Grundlage des Volkes Israel war. Nur wer über eigenen Grund und Boden verfügte war mündig, konnte eine Familie gründen und Rechtsfragen mitbeistimmen. Bei der Verteilung des Landes spielt das Los eine entscheidende Rolle. Der Anteil am Land kann daher auch auf das zugewiesene „Los“ zurückgeführt werden (vgl. Jos 15, 1; 16, 1; 17, 1.14.17). Damit wird deutlich: Die Verteilung des Landes erfolgte nicht eigenmächtig durch die Israeliten selbst, sondern war ihnen von vorn herein zugewiesen. Bei der Aufteilung des Landes sollte der Stamm Levi dabei zunächst nicht berücksichtigt werden, denn sein Anteil war JHWH (Jos 13, 14; 18, 7). Letztlich aber erhalten auch die Leviten 48 Städte, die auf dem Gebiet der anderen Stämme liegen.
4.2 Die Erfüllung der Väterverheißung
An mehreren Stellen wird auch darauf zurückverwiesen, dass Gott schon den Vätern die Zusage des Landbesitzes zugesichert hat. Mit dem Einzug in das Verheißene Land erfüllt sich also eine alte Verheißung. Mit der Sesshaftwerdung Israels im Gelobten Land treten diese Verheißungen ein. Damit wird auch ein Bogen gespannt zur Genesiserzählung (Gen 12, 7). JHWH verspricht Abraham die Gabe des Landes an seine Nachkommen – als feste Zusage.
4.3 Die Landnahme als Einzug JHWHs selbst in das Gelobte Land
Betrachtet man nun die Eroberung Jerichos im sechsten Kapitel des Buches, wird deutlich, dass nicht die erfolgreiche Eroberung der Stadt den Kern der Erzählung bildet. Die Einnahme Jerichos wird eher kultisch beschrieben. Josua soll sechs Tage lang die Stadt mit seinen Kriegern umkreisen. Die Hauptrolle spielen aber nicht die Krieger, sondern die Priester, die mit Hörnern vor der Lade als dem Symbol für JHWHs Gegenwart hergehen. Auch hier liegen klare Anweisungen vor. Die Stadt Jericho soll nach sieben Tagen siebenmal umrundet wer-den. Die Priester sollen dabei in die Hörner blasen und das Volk das Kriegsgeschrei erheben, worauf die Mauern der Stadt einstürzen werden. Diese Beschreibung der Einnahme Jerichos gleicht eher einem liturgischen Vollzug als einer gewaltsamen Eroberung. Ähnlich verhält es sich bei der Schilderung des Durchzugs der Israeliten durch den Jordan. Hier findet sich eine Wundererzählung: Als die Füße der Priester, welche die Lade tragen, das Wasser des Jordan berühren, der zu dieser Zeit über alle Ufer getreten ist, blieben die Fluten des Jordan stehen (Jos 3, 15f). Wie beim Exodus am Schilfmeer (vgl. Ex 13, 17 – 14, 31) konnten die Israeliten das Westufer des Jordan erreichen und damit in das Verheißene Land einziehen. Die in weiten Teilen kultisch gefärbte Erzählung beschreibt den Einzug JHWHs selbst in das Gelobte Land.
5. Das Buch Josua als eine Aufforderung zur Bundestreue
Die markanten Erzählungen im Buch Josua über die kriegerischen Eroberungszüge markieren eine entschiedene Haltung. Es wird gekämpft um ein Ziel zu erreichen. Dieses besteht rein äußerlich in der Eroberung und Einnahme des Westjordanlandes. Inhaltlich geht es aber um weit mehr. Es geht um die innere Entscheidung für JHWH. Die Israeliten haben hier die freie Wahl, sich für oder gegen ihren Gott zu entscheiden. Josua erinnert sie dabei an ihre Verant-wortung. Er will die Israeliten zur Monolatrie – zur alleinigen Anbetung des Bundesgottes JHWH führen. Die Konsequenz einer alternativen Entscheidung wird im Josuabuch deutlich. Wenn sich die Israeliten von JHWH abwenden, sich mit den Bewohnern des Landes ver-mischen und deren Götter anbeten, werden sie rasch aus dem Land verschwinden, das ihnen gegeben wurde (vgl. Jos 23, 12-16). Aufgrund der Sprache in der Rede des Josua an das Volk im dreiundzwanzigsten Kapitel des Buches tritt die Vermutung nahe, dass der Redaktor hier schon das Exil kannte. Aus diesem Hintergrund weiß er um die Strafe der Verbannung, wenn die Israeliten die Gabe des Landes durch ihren Treuebruch mit JHWH leichtfertig aufs Spiel setzen. Das Buch Josua lässt sich so als Mahnung zur Bundestreue und zu einem Leben in Freiheit und Verantwortung verstehen.
Liest man das Buch Deuteronomium und das Buch Josua im Zusammenhang, wird sehr schnell deutlich, dass man die Situation des Josuabuches nicht – insbesondere die Vernich-tungserzählungen der sieben Völker im Land, wie sie auch in Dtn 20, 16-18 beschrieben wird – nie auf spätere Zeiten und somit auch nicht auf den heutigen Konflikt zur Begründung heranziehen darf. Für die Sammlung Israels im Verheißenen Land nach einem Exil des Volkes – eine Situation, die bis heute gilt – ist ein Blick auf Dtn 29, 21-30, 10 von entscheidender Bedeutung. Aus diesem Abschnitt geht die thematische Rahmung hervor, die sich auf das Buch Josua übertragen lässt. Der Abfall Israels von der Weisung JHWHs führt zur gewaltsamen Vertreibung, doch wenn Israel umkehrt und die Gebote Gottes wieder hält, wird Gott selbst es in das Verheißene Land führen.
Auch die Tatsache, dass die Tora mit dem Tod des Mose endet und das Buch Josua nicht mehr zur fortlaufenden Lektüre im Gottesdienst der Juden gehört, weist darauf hin, dass das Buch Josua schon allein auf Grund dessen nicht für alle Zeit gültige Weisungen enthält. Daher kann es auch nicht etwa als „biblische Legitimation“ für heutiges Handeln herangezogen werden. Auch in der späteren Prophetie wird für die Heimkehr Israels nie die Vernichtungs-rede des Josuabuches verwendet. Ein weiteres Indiz dafür, dass es sich von selbst verbietet, die Erzählung von der gewaltsamen Landnahme auf unsere heutige Zeit zu übertragen und damit die Besitzansprüche Israels auf das Westjordanland zu untermauern.
Literatur:
Alt, Albrecht, Eine galliläische Ortsliste in Jos 19. Zeitschrift für alttestamentliche Wissenschaft, 1927
Fritz, Volkmar, Die sogenannte Liste der besiegten Könige in Jos 12, Zeitschrift des deutschen Palästinavereins, Jan 1, 1969
Goedicke, Hans (Hg.), Near Easter studies in honor of William Foxwell Albright, Baltimore [u.a.], Johns Hopkins
Mendelhall, George, The Biblical Archeologist, Sept. 1, 1962
Römer, Thomas, Das doppelte Ende des Josuabuches: einige Anmerkungen zur aktuellen Diskussion um „deuteronomistisches Geschichtswerk“ und „Hexateuch“, Zeitschrift für alttestamentliche Wissenschaft, 2006
- Quote paper
- Maximilian Bekmann (Author), 2016, Kriegerische Erzählung im Buch Josua. Die Einnahme des Gelobten Landes im Namen Gottes, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/380558
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