Der Begriff des nationalen Interesses verbindet die Theorien des Realisten Hans Morgenthau und des Neorealisten Kenneth Waltz. Beide definieren Interesse in der Politik als Interesse der Macht. Morgenthau postuliert in seinem Aufsatz „Macht und Frieden“, dass der Politiker (und damit der Staat) sich nicht nach Sitte und Norm (Sittlichkeitsethik) richten muss, sondern einzig nach den Prinzipien zum Machterhalt (Verantwortungsethik). Für Morgenthau ist Machtinteresse dabei ein Begriff, der „Politik zu einem selbständigen Bereich von Handlungen und Einsichten (macht), der von anderen Bereichen, wie etwa der Wirtschaft (...), der Ethik, Ästhetik oder Religion abgegrenzt ist“ (Morgenthau, 1963, S.50). Das Streben nach Macht ist von Ort und Zeit unabhängig und ergibt sich aus den Strukturen des internationalen Systems: Dieses ist durch Anarchie geprägt, da es hier im Gegensatz zum Nationalstaat keine übergeordnete Kontrollinstanz mit bindender Weisungsbefugnis gibt. Für Waltz gilt: „In the absence of agents with system-wide authority, formal relations of superand subordinarity fail to develop“ (Waltz, 1979, S.89). Daher müssen alle Staaten „auf eigene Faust“ versuchen, ihren Selbsterhalt zu sichern, der durch das allgemeine Streben nach Macht grundsätzlich gefährdet ist. Die Theorien von Waltz und Morgenthau gehen dabei davon aus, dass self-help meistens ohne internationale Bündnisse angestrebt wird. Nur falls es einen gemeinsamen Feind gibt, schließen Staaten sich zusammen, und auch dann nur mit dem Ziel, ihre Macht („capatibilities“ nach Waltz) im System zu erhöhen. Das liegt daran, dass Bündnisse Kosten (Nachteile) verursachen, weil der Partner Einblick in Staatsinterna erhält. Bündnisse zerfallen wegen des Machtinteresses direkt, sobald der gemeinsame Feind nicht mehr existiert, da sie darüber hinaus nicht beiden Staaten nützen: Sie funktionieren als Nullsummenspiel, in dem Machtgewinn des einen beim anderen Machtverlust bedeutet. [...]
Inhaltsverzeichnis
- Problematisieren und vergleichen Sie den Begriff „nationales Interesse“ in den Ansätzen von Morgenthau (Politischer Realismus) und Waltz (Struktureller Neorealismus).
- Beschreiben Sie den Theorieansatz von Hedley Bull und vergleichen Sie ihn mit dem strukturellen Realismusansatz von Waltz.
- Stellen Sie kurz die Grundprinzipien des Konstruktivismus-Ansatzes dar und vergleichen Sie sie mit den Kernelementen des Realismus und Institutionalismus.
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Der Text befasst sich mit verschiedenen Theorien der Internationalen Politik und analysiert die unterschiedlichen Perspektiven auf den Begriff des „nationalen Interesses“.
- Der Begriff des nationalen Interesses in den Ansätzen des Realismus und Neorealismus
- Der Theorieansatz von Hedley Bull und seine Unterschiede zum Neorealismus
- Die Grundprinzipien des Konstruktivismus und seine Abgrenzung zum Realismus und Institutionalismus
Zusammenfassung der Kapitel
Problematisieren und vergleichen Sie den Begriff „nationales Interesse“ in den Ansätzen von Morgenthau (Politischer Realismus) und Waltz (Struktureller Neorealismus).
Dieses Kapitel untersucht den Begriff des „nationalen Interesses“ im Kontext der Theorien des Realismus und Neorealismus. Es werden die Ansätze von Hans Morgenthau und Kenneth Waltz verglichen, wobei insbesondere der Fokus auf die Rolle der Macht und des Sicherheitsdilemmas liegt.
Beschreiben Sie den Theorieansatz von Hedley Bull und vergleichen Sie ihn mit dem strukturellen Realismusansatz von Waltz.
Das Kapitel stellt den Theorieansatz von Hedley Bull vor, der sich mit dem Konzept der „internationalen Gesellschaft“ auseinandersetzt. Es wird die Unterscheidung zwischen „Internationalem System“ und „Internationaler Gesellschaft“ erläutert und der Ansatz von Bull mit dem Neorealismus von Kenneth Waltz verglichen.
Schlüsselwörter
Die wichtigsten Schlüsselwörter und Themen des Textes sind: nationales Interesse, Realismus, Neorealismus, Macht, Sicherheitsdilemma, internationale Gesellschaft, Anarchie, Konstruktivismus, Ideen, Normen, Internationales System.
- Quote paper
- Timm Rotter (Author), 2002, Theorien Internationaler Politik, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/38010