In dieser Arbeit soll die Entwicklung der äußersten linkspolitischen Kräfte Italiens dargestellt werden. Ausgehend von der Situation nach dem Zweiten Weltkrieg, über die Protestbewegungen gegen das herrschende politische System, die Reaktion auf sie bis hin zur Eskalation der Gewalt und zu linksradikalen Gruppen wird auch das Phänomen des linken Terrors mit besonderem Schwerpunkt auf der Organisation der so genannten Roten Brigaden behandelt. Das spezifisch Italienische soll in einer kurzen Gegenüberstellung zur Situation in Deutschland verdeutlicht werden. In den 70er Jahren wurde der linke Terror in der politischen Auseinandersetzung zum Thema gemacht. Auch in der Literatur lässt sich das festmachen, da die meisten Erscheinungen aus dieser Zeit stammen. Allgemein gibt es zwei Kritikpunkte an der Auseinandersetzung mit dem Thema. Wenn die Autoren nur am „mediengerechten Oberflächenphänomen“1 ansetzen, ohne die Hintergründe zu erfragen und den Zugang über nur eine wissenschaftliche Disziplin finden, ist dies oft unzureichend. Beispielsweise reduziert der psychologische Zugang das Problem auf eine einzelne Person, aber auch Mehr-Faktoren-Ansätze ergeben ein Stückwerk. Ein Vorschlag ist die Vermittlung zwischen Extremen im Rahmen von Konzepten, die Prozesse darstellen. Denn Terrorismus ist keine statische Gegebenheit, es handelt sich vielmehr um Abläufe mit Randbedingungen und Zufallselementen.2 Die zugrunde liegende Literatur verunsicherte oft, durch ihre starke politische Färbung. Besonders beim Thema der Schuldzuweisung und Rechtfertigung wurden in der italienischen Geschichte Unklarheiten geschaffen, die sich auch in den gegensätzlichen Darstellungen verdeutlichen. So sind manche Zitate stark pro-links gefärbt, andere vertreten eher eine objektive bis konservative Sichtweise. Der Versuch der Vermittlung zwischen den Extremen soll deshalb auch in diesem Sinne angestrebt werden. 1 (Autor unbekannt) Vorbemerkung: Terrorismus-Diskurs und Wissenschaft. In: Angriff auf das Herz des Staates. Soziale Entwicklung und Terrorismus. Erster Bd. 490. Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1988, S. 9. 2 Vgl. ebd., S. 11 ff.
Inhalt
1 Einleitung
2 Ausgangssituation
2.1 Historische Wurzeln
2.2 Die Schwäche der Regierung und der Linken
3 Die autonome Arbeiterbewegung
3.1 Die Gründe des Protests
3.2 Die Situation der Arbeiter am Beispiel der Turiner Fiat
4 Die Studentenbewegung
4.1 Gründe
4.2 Auswirkungen
4.3 Operaismo
5 Linksextreme Gruppierungen
5.1 Die größeren außerparlamentarischen Gruppen
5.2 Kleinere linksradikale Gruppen
5.3 Der gescheiterte Versuch eines Bündnisses
6 Eskalation der Gewalt
6.1 Die Strategie der Spannung
6.2 Die GAP und Feltrinelli
7 Die Roten Brigaden
7.1 Entstehung
7.2 Woher kommen die Gründer?
7.3 Ideologie und Motive
7.4 Organisationsaufbau
7.5 Die ersten Aktionen
7.6 Die Nachfolgegeneration und der Fall Aldo Moro
7.7 Das vorläufige Ende
7.8 Neue Mordanschläge
8 Reaktionen
8.1 Reaktionen der regierenden Partei Democrazia Cristiana
8.2 Polizei und Justiz
8.3 Die Linken
9 Vergleich zu Deutschland
10 Linker Terror – eine gefahr für das System?
11 Zusammenfassung
12 Literatur
1 Einleitung
In dieser Arbeit soll die Entwicklung der äußersten linkspolitischen Kräfte Italiens dargestellt werden. Ausgehend von der Situation nach dem Zweiten Weltkrieg, über die Protestbewegungen gegen das herrschende politische System, die Reaktion auf sie bis hin zur Eskalation der Gewalt und zu linksradikalen Gruppen wird auch das Phänomen des linken Terrors mit besonderem Schwerpunkt auf der Organisation der so genannten Roten Brigaden behandelt. Das spezifisch Italienische soll in einer kurzen Gegenüberstellung zur Situation in Deutschland verdeutlicht werden.
In den 70er Jahren wurde der linke Terror in der politischen Auseinandersetzung zum Thema gemacht. Auch in der Literatur lässt sich das festmachen, da die meisten Erscheinungen aus dieser Zeit stammen. Allgemein gibt es zwei Kritikpunkte an der Auseinandersetzung mit dem Thema. Wenn die Autoren nur am „mediengerechten Oberflächenphänomen“[1] ansetzen, ohne die Hintergründe zu erfragen und den Zugang über nur eine wissenschaftliche Disziplin finden, ist dies oft unzureichend. Beispielsweise reduziert der psychologische Zugang das Problem auf eine einzelne Person, aber auch Mehr-Faktoren-Ansätze ergeben ein Stückwerk. Ein Vorschlag ist die Vermittlung zwischen Extremen im Rahmen von Konzepten, die Prozesse darstellen. Denn Terrorismus ist keine statische Gegebenheit, es handelt sich vielmehr um Abläufe mit Randbedingungen und Zufallselementen.[2] Die zugrunde liegende Literatur verunsicherte oft, durch ihre starke politische Färbung. Besonders beim Thema der Schuldzuweisung und Rechtfertigung wurden in der italienischen Geschichte Unklarheiten geschaffen, die sich auch in den gegensätzlichen Darstellungen verdeutlichen. So sind manche Zitate stark pro-links gefärbt, andere vertreten eher eine objektive bis konservative Sichtweise. Der Versuch der Vermittlung zwischen den Extremen soll deshalb auch in diesem Sinne angestrebt werden.
2 Ausgangssituation
Um die Grundlage für die Entwicklung hin zur extremen Linken in Italien zu verstehen, ist die Kenntnis der Basis wichtig, auf der sich Linksradikalismus entwickelt. Neben der sozial-ökonomischen Dimension, die sich in den verschiedenen Protestbewegungen verdeutlicht, soll die historische Dimension die Wurzeln und Traditionen aufzeigen.
2.1 Historische Wurzeln
Die italienische Einigung 1861 wurde nicht nur geographisch von oben, aus dem norditalienischen Piemont, sondern auch von den oberen Gesellschaftsschichten, dem Großbürgertum und den Großagrariern des Südens herbeigeführt.[3] Der Widerstand der Bauern und Arbeiter gegen Repressionen dieses Obrigkeitsstaates hat in Italien daher eine lange Tradition.
Zudem ist Italien bis heute das europäische Land, mit den meisten Linksparteien und weist daher eine starke kommunistisch und sozialistisch geprägte Tradition auf. Als Mussolini 1943 nach der Landung der Amerikaner im Süden Italiens in Norditalien die Republik von Salò errichtet, entwickelt sich dort mit Unterstützung der Amerikaner ein breite antifaschistische Streik- und Partisanenbewegung. So streikten im März über eine Million Arbeiter, nach dem Krieg wurden 358 000 Widerstandskämpfer anerkannt. Die Sozialisten und Kommunisten hatten daran einen entscheidenden Anteil.[4]
Nach 1947 führen der Kalte Krieg und der Wiederaufbau der kapitalistischen Wirtschaftsordnung zum Zerfall der antifaschistischen Einheit. Um in den Marshall-Plan aufgenommen zu werden, entlässt Ministerpräsident de Gasperi von den Christdemokraten nach einer USA-Reise seine kommunistischen und sozialistischen Minister. Dies ist der Beginn der Krise der Linken in Italien und der langen Herrschaft des konservativen historischen Blocks.[5]
„All das, was in den zwei Nachkriegsjahren an Altem nicht hatte beiseite geschafft werden können, all das, was man um des lieben Friedens willen unangetastet gelassen hatte, trug nun seine schlechten Früchte.“[6]
So galt das faschistische Strafrecht noch, viele faschistische Richter waren im Amt geblieben und mit einer von 30 000 auf 50 000 Mann aufgestockten Polizei machte der Staat „Jagd auf ehemalige Partisanen, auf Sozialisten und Kommunisten.“[7]
2.2 Die Schwäche der Regierung und der Linken
Die im Rahmen der nationalen Einigung Italiens stattfindende Anschließung des agrarisch orientierten rückständigen Südens an den fortschrittlichen industrialisierten Norden stellte für linke Gruppierungen ein „brennendes internes Problem“[8] dar und zwar in Form einer „kolonialen Überlagerung des Südens.“[9] Man warf den Unternehmern Imperialismus gegenüber den eigenen unterentwickelten Gebieten und der in den Norden gewanderten Bevölkerung vor.[10]
Anstatt sich dieses Problems anzunehmen, waren die großen linken Parteien Italiens, PCI (Kommunisten) und PSI (Sozialisten), auf einem Kurs in Richtung Regierungsbeteiligung. Auch die sozialen Missstände der Gruppen, die diese Parteien traditionell vertreten, interessierten angesichts des Kurses in Richtung Mitte unter dem Stichwort Historischer Kompromiss zunächst wenig. So kam es auf Seiten alter und neuer äußerster linker Gruppen nicht nur zu Protesten gegen Unternehmer und die staatliche Wirtschaftsverwaltung, sondern auch gegen die „systemkonformen Entwicklungen in den großen Arbeiterparteien und in den Gewerkschaften.“[11]
Entscheidend aber war auch die Alternativ- und Perspektivlosigkeit, die sich angesichts der fehlenden starken Opposition und einer handlungsunfähigen, da in sich zersplitterten Regierung bot.
„Die Brüchigkeit der Koalition aus Christdemokraten, Sozialisten, Sozialdemokraten und Republikanern, ihre Unfähigkeit, die einfachsten Aufgaben des politischen Alltags […] zu bewältigen“[12],
all dies führte dazu, dass Reformen nahezu unmöglich wurden und der Unmut der Gesellschaft wuchs.[13]
3 Die autonome Arbeiterbewegung
Italiens Arbeiter waren die ersten, die sich in organisierter Form gegen Missstände im Land und die schlechten sozialen Bedingungen erhoben. Sie befanden sich bis in die 60er Jahre hinein in einer Arbeitssituation, die noch von „fast frühkapitalistischer Abhängigkeit vom padrone“[14] gekennzeichnet war. Sie fühlten sich durch die traditionellen demokratischen Institutionen nicht mehr ausreichend vertreten, oder aber sie besaßen aus dem Süden stammend kein Bewusstsein derartiger Einrichtungen. Deshalb fanden die Proteste weitgehend autonom statt, ideologische Unterstützung erfuhren die Arbeiter aus Kreisen der linken Intellektuellen und Studenten.
3.1 Die Gründe des Protests
Das Scheitern des Programms zur „Erneuerung der Arbeiterbewegung“[15] in den 50er Jahren sowohl in der PCI, als auch der PSI zwingt die linken Opponenten aus den Parteien, außerhalb der Organisation ihre Ziele zu verfolgen. Diejenigen, die zu dieser Zeit aus den Parteien austreten, stellen sich die Frage nach dem Zusammenhang der offiziellen Organisation mit „den konkreten Situationen der Arbeiterbewegung und des Klassenkampfes.“[16] Sie betrachten nicht nur die Beziehung Arbeiter – Kapital als einen Prozess der Entfremdung, auch das Verhältnis Arbeiter – Arbeiterorganisationen wird in Frage gestellt. Ihre Devise lautet dabei:
„Für die Kapitalisten ist der Arbeiter bloß eine Maschine, für die Gewerkschaften ist er bloß eine verdauende Röhre, ein Magen.“[17]
Im Stich gelassen von Arbeiterparteien und Gewerkschaften oder aber bar jeder gewerkschaftlicher Tradition entwickelten die so genannten „operai-massa“[18], die Masse der ungelernten oder angelernten Fließbandarbeiter aus dem Süden, eine Art von spontanem, oft gewaltsamem Protest.
3.2 Die Situation der Arbeiter am Beispiel der Turiner Fiat
Bei Fiat herrscht in den Jahren bis 1962 die Ausnahmesituation. Fabrik-Terror und Unternehmer-Paternalismus zwingen die Arbeiter, auf einen offen geführten Kampf zu verzichten. Die Löhne der meist ungelernten oder angelernten Arbeiter, die in Scharen aus dem Süden des Landes kommen, liegen unter dem Tarif-Minimum. Dennoch gibt es zwischen 1954 und 1962 keinen Streik. Es wird ein künstlicher Betriebsfrieden über Einschüchterung aufrechterhalten. Hinzu kommt, dass die Arbeiter aus dem Süden keine Tradition von Vereinigungen kennen, die Gewerkschaften haben kaum Mitglieder.
Auch die klassischen Arbeiterparteien, PCI und PSI, lassen die Fiat-Arbeiter im Stich. Sie sehen eine politische Präsenz bei Fiat nicht als ihre Aufgabe. 1960 gründen sich aus Abtrünnigen der PCI die Quaderni Rossi um Raniero Panzieri und Mario Tronti.[19] Für die Protagonisten dieser gescheiterten Partei-Minderheiten war die Arbeiterklasse eine „gesellschaftliche Masse, die bereits als solche organisiert war.“[20] Sie wollten die Lohn- und Arbeitsverhältnisse untersuchen mit dem Ziel, Informationskontakte zu einzelnen Arbeitern aufzubauen. Diese sollten ihnen ermöglichen, die autonome Arbeiterbewegung zu erkennen. Die Aktivitäten dieser Organisation werden als so genannter „wilder Kampf“[21] vom PCI nicht gebilligt.
Im Heißen Herbst 1969 kulminierte die autonome Arbeiterbewegung, als sich die Gruppe der Angestellten solidarisierte. Es kam zu Angriffen und Sabotagen auf die Produktion, Demonstrationen und Streiks. Durch das gewaltsame einschreiten der Polizei gab es häufig brutale Gegenreaktionen, so dass manchmal tagelange Straßenschlachten nicht ohne Tote tobten.[22]
Erstaunlich ist die Zahl der Techniker, die „sowohl in den verschiedenen anti-gewerkschaftlichen Basisgruppen als auch in den terroristischen Gruppen eine prominente Rolle“[23] gespielt haben. An den Demonstrationen und Streiks sollen bis zu 80 % teilgenommen haben. Sie kamen von den Universitäten, fanden aber häufig nur Stellen, die unter ihrem Qualifikationsniveau lagen.[24] Allmählich werden die Gewerkschaften wieder Herr der Lage und es gelingt, die Arbeiterbewegung in geregelte Bahnen zu führen. Auch der PCI bekommt wieder mehr Zulauf aus Reihen der Arbeiter. Für die radikalen Linken bedeutet dies eine Niederlage, „da sie darin den Sieg des Revisionismus sehen mussten.“[25]
[...]
[1] (Autor unbekannt) Vorbemerkung: Terrorismus-Diskurs und Wissenschaft. In: Angriff auf das Herz des Staates. Soziale Entwicklung und Terrorismus. Erster Bd. 490. Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1988, S. 9.
[2] Vgl. ebd., S. 11 ff.
[3] Vgl Drüke, Helmut: Italien. Wirtschaft, Gesellschaft, Politik. 2. Aufl. Opladen: Leske+Budrich, 2000, S. 206.
[4] Vgl. Hess, Henner: Italien: Die ambivalente Revolte In: Angriff auf das Herz des Staates. Soziale Entwicklung und Terrorismus. Zweiter Bd. 491. Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1988, S. 15.
[5] Vgl. ebd., S. 16 f.
[6] Hausmann, Friederike: Kleine Geschichte Italiens seit 1943. Berlin: Wagenbach 1989, S. 27.
[7] Hausmann, S. 28.
[8] Hess, S. 12
[9] Ebd.
[10] Vgl. ebd.
[11] Ebd., S. 13.
[12] Hausmann, S. 56.
[13] Vgl. ebd.
[14] Hausmann, S. 65. Italienische Begriffe und Eigennamen werden kursiv gedruckt.
[15] Rieland, Wolfgang: Organisation und Autonomie. Die Erneuerung der italienischen Arbeiterbewegung. Frankfurt: Neue Kritik, 1977, S. 119
[16] Ebd., S. 120.
[17] Panzieri, Raniero: La crisi del movimento operaio. Milano 1973, s. 264. Zit. n. Rieland, S. 120.
[18] Hess, S. 13.
[19] Vgl. Hausmann, S. 58.
[20] Rieland, S. 124.
[21] Ebd., S. 132.
[22] Vgl. Hess, S. 31.
[23] Ebd., S. 29.
[24] Vgl. ebd.
[25] Hess, S. 32.
- Arbeit zitieren
- Franziska Moschke (Autor:in), 2002, Die extreme Linke in Italien, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/37790
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