Anlässlich des 50. Geburtstags der Grundrechte im letzten Jahr wurde als ein Grund für die große Zustimmung der Bevölkerung zum Grundgesetz die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts genannt. Denn in diesem Verfassungsorgan konkretisieren sich erstmals in der deutschen Geschichte die Ansprüche der Bürger gegen den Staat. Eine bedeutende Rolle spielt dieses Gericht für das Verfassungssystem der Bundesrepublik. Nicht selten hat es Fragen von großer politischer Tragweite zu entscheiden. Seine Mitglieder, die Bundesverfassungsrichter, haben somit eine besondere Stellung. Sie können „alte Zöpfe abschneiden und das Recht von einem Tag auf den anderen in neue Bahnen lenken.“1 In Wirklichkeit ist dieses Gericht letztlich machtlos gegenüber der politischen Gewalt, seinen Entscheidungen verschafft es vor allem durch seine Autorität und sein Ansehen Durchsetzungskraft. Das bedeutet aber auch, dass seine Mitglieder zur Ausübung ihres Amtes besonders legitimiert sein müssen, dass sie durch glaubhaft unparteiliches Handeln überzeugen. 1 Lamprecht, In: DRiZ 5/99, S.193.
Inhalt
1. Einleitung
2. Das Bundesverfassungsgericht als staatliche Institution
2.1. Aufbau
2.2. Aufgaben und Aufgabenverteilung
2.3. Die Verankerung im Grundgesetz
3. Die Wahl der Bundesverfassungsrichter
3.1. Die Voraussetzungen für Wählbarkeit
3.2. Das Wahlverfahren
3.2.1. Das Wahlverfahren im Bundestag
3.2.2. Das Wahlverfahren im Bundesrat
3.3. Das Vorschlagsrecht für das Bundesverfassungsgericht
3.4. Wahlpraxis und Kritik
4. Die richterliche Unabhängigkeit
4.1. Die persönliche Unabhängigkeit
4.2. „Dissenting Votes“
5.Zusammenfassung
Literatur
1. Einleitung
Anlässlich des 50. Geburtstags der Grundrechte im letzten Jahr wurde als ein Grund für die große Zustimmung der Bevölkerung zum Grundgesetz die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts genannt. Denn in diesem Verfassungsorgan konkretisieren sich erstmals in der deutschen Geschichte die Ansprüche der Bürger gegen den Staat. Eine bedeutende Rolle spielt dieses Gericht für das Verfassungssystem der Bundesrepublik. Nicht selten hat es Fragen von großer politischer Tragweite zu entscheiden. Seine Mitglieder, die Bundesverfassungsrichter, haben somit eine besondere Stellung. Sie können „alte Zöpfe abschneiden und das Recht von einem Tag auf den anderen in neue Bahnen lenken.“[1] In Wirklichkeit ist dieses Gericht letztlich machtlos gegenüber der politischen Gewalt, seinen Entscheidungen verschafft es vor allem durch seine Autorität und sein Ansehen Durchsetzungskraft. Das bedeutet aber auch, dass seine Mitglieder zur Ausübung ihres Amtes besonders legitimiert sein müssen, dass sie durch glaubhaft unparteiliches Handeln überzeugen.
2. Das Bundesverfassungsgericht als staatliche Institution
Das höchste deutsche Gericht mit Sitz in Karlsruhe, Schlossbezirk 3, ist als oberstes Verfassungsorgan ranggleich mit den übrigen obersten Staatsorganen, dem Bundestag, dem Bundesrat, dem Bundespräsidenten und der Bundesregierung. Dieser eigene verfassungsrechtliche Status ist in §1 des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes (BVerfGG) verankert:
(1) Das Bundesverfassungsgericht ist ein allen übrigen Verfassungsorganen gegenüber selbständiger und unabhängiger Gerichtshof des Bundes.
Es hat mehr Kompetenzen als jedes andere Verfassungsgericht der Welt. Diese bisher in der deutschen Verfassungsgeschichte noch nie da gewesene Machtfülle für ein Verfassungsgericht sollte „die Antwort der Mütter und Väter des Grundgesetzes auf die Rechtsverwüstung und Verfassungszerstörung der Nationalsozialisten“ sein.[2]
2.1. Aufbau
Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) setzt sich zusammen aus zwei eigenständig arbeitenden, voneinander unabhängigen Spruchkörpern, dem ersten und dem zweiten Senat. Es wird deshalb auch „Zwillingsgericht“ genannt. In beiden Senaten sitzen jeweils acht Richter. Die Beschlussfähigkeit ist abhängig von je sechs Richtern. Den Richtern als Arbeitsentlastung an die Hand gegeben sind ein bis zwei wissenschaftliche Mitarbeiter. Außerdem gibt es in jedem Senat drei Kammern mit jeweils drei Mitgliedern, die darüber entscheiden, ob eine Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung angenommen wird. Das Plenum besteht schließlich aus allen sechzehn Mitgliedern des Gerichts und entscheidet bei Unstimmigkeiten zwischen beiden Senaten über die gegenseitige Rechtsauffassung in den Entscheidungen.[3] Mit zwei Dritteln der Richter ist es beschlussfähig.[4]
Nach seiner Gründung im Frühjahr 1951 war das BVerfG dienstrechtlich noch dem Bundesjustizministerium unterstellt, das auch den Gerichtshaushalt führte. Die erste Krise des jungen Verfassungsorgans von 1952, bei der es unter der Adenauer-Regierung um die Wiederbewaffnung ging und Adenauer selbst vom sogenannten „roten und schwarzen Senat“[5] gesprochen hatte, hatte erhebliche Veränderungen für das Verfassungsgericht zur Folge.[6] Die bisher zwölf Richter pro Senat wurden in zwei Stufen auf acht reduziert und die Unabhängigkeit von der Regierung angestrebt mit der Schaffung eines „Verwaltungskörpers“, der „organisatorisch in keiner Weise von einem anderen Verfassungsorgan abhängig oder gar ihm unterstellt ist“.[7]
Das bedeutet, dass sich das Gericht um seiner Unabhängigkeit willen selbst verwaltet. Präsident oder Präsidentin sind die Leiter der Gerichtsverwaltung. Das Plenum beschließt über grundsätzliche organisatorische Fragen und über den Voranschlag für den Haushaltsplan.[8]
2.2. Aufgaben und Aufgabenverteilung
Die im Grundgesetz (GG) verankerten Grundrechte sind die „Lebensversicherung der Demokratie“[9]. Sie sind die Basis, die „Staatsfundamentalregeln“[10], nach denen sich alles staatliche Handeln zu richten hat. Um dies zu garantieren, bindet das Grundgesetz alle drei Gewalten an diese dominierenden Vorschriften:
Art.1 (3) Die nachfolgenden Grundrechte binden Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung als unmittelbar geltendes Recht.
Dass diese Grundwerte nicht nur rein formal die Prozesse der Legislative regeln, sondern dass ihnen materiell Inhalt, ein ganzes Wertsystem zugeordnet werden muss, diese Notwendigkeit wird im Rückblick auf das Nazi-Regime deutlich.[11] Dem BVerfG kommt in diesem System eine Sonderstellung zu. Das Grundgesetz selbst hat ihm die Aufgabe erteilt, über die Einhaltung der Grundrechte und über die Beachtung der Grundgesetze zu wachen. Als „oberster Hüter der Verfassung“ übt es „auf Antrag eine weitgehende Gewaltenkontrolle“ aus.[12] Es soll in dem ihm im GG und BVerfGG genau abgesteckten Rahmen verhindern, dass staatliche Gewalt auf den Ebenen des Bundes und der Länder gegen das Grundgesetz verstößt. Es hat „mit letzter rechtlicher Verbindlichkeit für Volk und Staat die ihm durch das GG zur Beurteilung zugewiesenen Streitigkeiten und Meinungsverschiedenheiten zu entscheiden“.[13]
Der erste Senat, auch der „Grundrechtsenat“ genannt, befasst sich mit dem sogenannten Normenkontrollverfahren. Er prüft, ob Gesetze mit den Grundrechten vereinbar sind. Außerdem ist er zuständig für Verfassungsbeschwerden, die die Artikel 1-17 des GG tangieren. Auch der zweite Senat befasst sich mit Normenkontrollverfahren und Verfassungsbeschwerden. Allerdings hauptsächlich aus den Bereichen des öffentlichen Dienstes, des Wehr- und Ersatzdienstes und des Straf- und Bußgeldverfahrens. Dieser „Staatsrechtssenat“ schlichtet Organstreitigkeiten und Streitigkeiten zwischen Bund und Ländern, kann bei Verfassungswidrigkeit Anklage erheben gegen den Bundespräsidenten und gegen Richter, kann über Verbote verfassungswidriger Parteien und über Wahlrechtsbeschwerden entscheiden.[14] Beide Senate sind je nach Zuständigkeit Anlaufstelle für Verfassungsbeschwerden von Einzelpersonen. Die Richter werden immer zu einem bestimmten Senat gewählt, konnten ursprünglich nicht ausgewechselt werden oder sich gegenseitig vertreten. Dieses „starre Doppelgerichtsprinzip“[15] wurde mit der Zeit allerdings aufgelockert, um der unterschiedlichen Arbeitsbelastung der Senate Rechnung zu tragen. Das Plenum bestimmt „pro futuro“ über die Zuständigkeit der Senate, erlässt die Geschäftsordnung und entscheidet „über die Einleitung eines Verfahrens zur vorzeitigen Beendigung eines Amtes eines Verfassungsrichters gegen dessen Willen (§105 BVerfGG)“.[16]
2.3. Die Verankerung im Grundgesetz
„Das Grundgesetz hat die Justiz auf einer Skala zwischen solide und verschwenderisch ausgestattet [...]. Von Verfassung wegen ist die Gerichtsbarkeit eines der Güter, die uns am kostbarsten sind.“[17]
Nach dem Prinzip der „checks and balances“, der gegenseitigen Kontrolle und des Machtgleichgewichts, ist im Grundgesetz der Judikative, als unabhängiger Kontrollinstanz, eine bedeutende Position eingeräumt. Die dahinterstehende Absicht ist es, ein Gegengewicht zu „der im modernen Parlamentarismus anzutreffenden Tendenz zur Verschmelzung von Regierung und Parlamentsmehrheit“ herzustellen.[18] Außerdem soll vor dem Hintergrund der nationalsozialistischen Vergangenheit Deutschlands „die politische Macht im Staate rechtlich gebändigt sein“.[19] Um also seiner Kontrollfunktion und Aufgabe als Hüter und Bewahrer der Verfassung gerecht werden zu können, ist das BVerfG als Institution im Grundgesetz in Artikel 92 verankert: „Die rechtsprechende Gewalt ist den Richtern anvertraut; sie wird durch das Bundesverfassungsgericht, durch die in diesem Grundgesetz vorgesehenen Bundesgerichte und durch die Gerichte der Länder ausgeübt.“
[...]
[1] Lamprecht, In: DRiZ 5/99, S.193.
[2] Wesel, 1996, S.16, s. auch Säcker, 1981, S.24.
[3] vgl. Säcker, 1981, S.28 ff. und Homepage unter Aufgaben und Organisation: http.\\www.bundesverfassungsgericht.de
[4] Vgl. Säcker, 1981, S.30.
[5] Vgl. Wesel, 1996, S. 18, gemeint ist jeweils ein Übergewicht von Richtern, die entweder von der SPD oder von der CDU ernannt wurden
[6] Vgl. Wesel, 1996, S.18 ff.
[7] Säcker, 1981, S.24 oder auch §1 BVerfGG, s.o.
[8] Vgl. Homepage des BVerfG
[9] Lamprecht, In: Deutsche Richterzeitschrift 5/99, S.191.
[10] Säcker, 1981, S.13.
[11] Vgl. ebd.
[12] Leibholz/Rupprecht, BVerfGG, S.1.
[13] Ebd.
[14] Vgl. §14 BVerfGG
[15] Geck, 1986, S.21.
[16] Vgl. Säcker, 1981, S.30.
[17] Hassemer, In: Deutsche Richterzeitschrift 5/99, S. 185.
[18] Säcker, 1981, S.14.
[19] Ebd.
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