Sucht man nach dem Wort ,Tür‘ in der Erstausgabe des Process', erhält man das geradezu verblüffende Ergebnis, dass auf deutlich mehr als zwei Drittel der Seiten des Romanfragments und insgesamt 264-mal dieses Wort im Text erscheint. Zusätzlich erweist sich Josef K., der Held des Process', wie Kafka selbst, als ein „passionate window-watcher“.
Im folgenden Text werden Fenster und Türen als Schaltelemente an Schwellenräumen in Franz Kafkas Romanfragment Der Process untersucht. Durch die Öffnungen, welche Fenster und Türen in einem Raum anbringen, werden, so die These, potentielle Durchlässe eröffnet, welche wiederum für sich einen eigenen Raum bilden. Jener Raum, der keinem der beiden, vormals getrennten und nun verbundenen Bereichen zugeordnet ist, soll genauer definiert und als Schwellenraum bezeichnet werden.
Der (architektonische) Schwellenraum wird im Process auf zweierlei Arten sichtbar: Einerseits durch die Herstellung einer vermittelnden Öffnung von (Raum-)grenzen, andererseits durch das absurde Nicht-Funktionieren von Architektur. Somit eröffnet sich ein undefiniertes Zwischenreich, das paradoxerweise gleichzeitig öffentlich wie privat, innen wie außen, offen wie geschlossen ist. Vermeintlich Differenziertes oder Getrenntes ist nicht mehr voneinander zu unterscheiden. Konventionelle, über Grenzen und Oppositionen definierte Ordnungsverhältnisse scheitern angesichts einer Raumstruktur, in der Signifikationsprozesse nicht mehr funktionieren.
Jene kategorie- und grenzauflösenden ‚Räume‘ des Dazwischen existieren jedoch nicht allein zwischen architektonischen Räumen, sondern können auch metaphorisch als physische, symbolische oder psychische Übergänge gesehen werden. Fenster und Türen markieren in Franz Kafkas Process eine Grenze zwischen vielfältigen Binaritäten: zwei Zimmern, (Körper-) Innen- und Außenraum, Licht und Finsternis, Mann und Frau, Gesetz und Gesetzlosigkeit, Gemeinschaft und Einsamkeit, rationeller Welt des Alltags und unüberschaubarer Welt innerer Konflikte oder Traum und Wachzustand. Ihre Grenzen verschwimmen so mehr und mehr oder stehen in regem Austausch miteinander. An die Stelle einer eindeutigen Grenzlinie tritt ein Schwellenraum. Auf diese Weise werden Räume erschaffen, welche die verschiedenen Bereiche nicht voneinander scheiden, sondern beiden gleichzeitig angehören.
Inhaltsverzeichnis
- EINLEITUNG UND ZIELSETZUNG DER ARBEIT.
- ZUM BEGRIFF DES, SCHWELLENRAUMS'.
- FENSTER UND TÜREN IN FRANZ KAFKAS DER PROCESS.
- DIE GESCHLOSSENE TÜR: SCHUTZ DER PRIVATSPHÄRE..
- OFFENE Fenster und TÜREN: GESEHENWERDEN
- FENSTER ALS ORTE DER ERKENNTNIS
- FENSTER UND TÜREN ALS ZONEN DES AUSTAUSCHS..
- FENSTER UND TÜREN ALS AUSGÄNGE UND FLUCHTWEGE..
- FENSTER: GEDANKLICHE Flucht - Flucht vor REALITÄT.
- KÖRPER UND RAUM..
- DER KÖRPER ALS VORAUSSETZUNG ZUR RAUMWAHRNEHMUNG...
- KÖRPERÖFFNUNGEN UND RAUMÖFFNUNGEN IM WERK KAFKAS...
- DER RAUM als Körper: Die TÜRSCHWELLE ALS ORT VON ÜBERGANG UND VERWANDLUNG.
- DER ÄUSSERE RAUM ALS INNERER RAUM: DIE TÜR ALS GRENZE ZUM UNTERBEWUSSTEN.
- SEXUALITÄT: FRAUEN AN FENSTERN UND TÜREN...
- DIE SCHWELLE ALS JURISTISCHER UND SOZIALER AUSNAHMEZUSTAND
- FAZIT
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Die Masterarbeit untersucht die Rolle von Fenstern und Türen als Schwellenräume in Franz Kafkas Romanfragment "Der Process". Die Arbeit zeigt, wie diese Öffnungen in einem Raum potentielle Durchlässe eröffnen, die ihrerseits einen eigenen Raum bilden. Der Fokus liegt auf der Analyse der Bedeutung dieses Schwellenraums für die komplexe Struktur und Thematik des Romans.
- Die Bedeutung des Schwellenraums im Kontext des "Process"
- Die Auflösung von Raumgrenzen durch Fenster und Türen
- Die metaphorische Bedeutung von Körperöffnungen und Übergangsräumen
- Die Verbindung zwischen Raum, Körper und innerem Seelenraum
- Die Relevanz von Türen und Fenstern in der Interpretation des "Process"
Zusammenfassung der Kapitel
- Kapitel 1: Die Einleitung stellt die Zielsetzung der Arbeit vor und erläutert die Bedeutung des Schwellenraums in "Der Process".
- Kapitel 2: Der Begriff "Schwellenraum" wird definiert und seine Relevanz für die Analyse von architektonischen Öffnungen wie Fenstern und Türen in literarischen Texten erläutert.
- Kapitel 3: Die Arbeit analysiert die Funktion von Fenstern und Türen in Kafkas "Der Process", wobei verschiedene Aspekte betrachtet werden, wie die Gestaltung von Schutz und Privatsphäre, der Aspekt des "Gesehenwerdens", die Rolle als Orte der Erkenntnis, die Verwendung als Zonen des Austauschs sowie als Ausgänge und Fluchtwege.
- Kapitel 4: Die enge Verbindung zwischen Raum und Körper in Kafkas Werk wird untersucht, wobei insbesondere die Bedeutung der Türschwelle als Ort des Übergangs und der Verwandlung im Fokus steht.
Schlüsselwörter
Die zentralen Begriffe, die in dieser Arbeit behandelt werden, sind Schwellenraum, Fenster, Türen, Raum, Körper, Franz Kafka, "Der Process", Übergangsraum, Architektur, Öffnung, Grenze, Interpretation, Psychologie, Metapher, Symbol, Literaturanalyse.
- Quote paper
- Berthe Jentzsch (Author), 2015, Die Erschaffung des Schwellenraums. Türen und Fenster in Franz Kafkas "Der Prozess", Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/377449