Kaum eine biblische Frauenfigur wurde in Literatur, Musik und bildender Kunst so vielfältig aufgearbeitet wie die der Judith: Antonio Vivaldi, Alessandro Scarlatti und Wolfgang Amadeus Mozart vertonten ihre Geschichte in Oratorien, Artemisia Genti-leschi malte sie im Akt der Enthauptung , bei Gustav Klimt erscheint Judith als femme fatale, die Brust entblößt. Auch Friedrich Hebbel wählt für sein erstes Drama Judith, die sich Holofernes entgegenstellt; bei ihm allerdings aus gänzlich anderen Gründen als in der biblischen Ursprungsgeschichte. Im apokryphen Buch Judith ist sie eine Witwe, “schön von Gestalt und blühend von Angesicht” , die sich im Auf-trag Gottes aufmacht, den Feldhauptmann mittels Verführung zu stürzen, um ihr hungerndes Volk zu retten. Bei Hebbel dagegen wird Judith zu einer verzweifelten, von den Geistern ihrer Vergangenheit geplagten Frau, die von Holofernes vergewal-tigt wird und erst dadurch die Kraft findet, ihren Peiniger zu ermorden.
In dieser Arbeit werden die zwei größten stoffgeschichtlichen Brüche in Friedrich Hebbels "Judith" gedeutet. Dazu gehört einerseits die oben genannte Umwandlung des einvernehmlichen Geschlechtsverkehrs in eine Vergewaltigung, außerdem aber auch das Paradoxon der “jungfräulichen Witwe”, das Hebbel einführt. Ausgehend von der „Manasses-Szene“ im zweiten Akt wird dargelegt, inwiefern dieses Paradoxon für den weiteren Verlauf der Handlung verantwortlich ist. Außerdem wird die Enthauptung Holofernes‘ im Kontext der vorausgegangenen Vergewaltigung interpretiert. Welches Ziel verfolgt Hebbel bei den Änderungen, die er vornimmt? Welche Charaktereigenschaften schreibt er seiner Judith damit zu?
Inhaltsverzeichnis
- Zur Einführung
- Interpretation des „jungfräuliche Witwe“-Paradoxons
- Göttliche Berufung vs. sexuelles Motiv
- Hebbels Begründung für den stoffgeschichtlichen Bruch
- Judith zwischen Verlangen und Vergewaltigung
- Interpretation der Vergewaltigungs- und Enthauptungsszene
- Interpretationsmöglichkeiten zur Enthauptung Holofernes
- Fazit
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Die vorliegende Arbeit analysiert zwei wesentliche stoffgeschichtliche Brüche in Friedrich Hebbels Drama "Judith". Der Fokus liegt auf der Transformation des einvernehmlichen Geschlechtsverkehrs in eine Vergewaltigung sowie auf der Einführung des Paradoxons der "jungfräulichen Witwe".
- Die Interpretation des "jungfräulichen Witwe"-Paradoxons und dessen Bedeutung für die Handlung
- Die Analyse der Vergewaltigungsszene und ihrer Auswirkungen auf Judiths Charakter
- Die Untersuchung der Enthauptung Holofernes' im Kontext der Vergewaltigung
- Die Erforschung von Hebbels Intentionen hinter den vorgenommenen Änderungen und deren Einfluss auf die Charakterisierung von Judith
Zusammenfassung der Kapitel
Zur Einführung
Dieser Abschnitt stellt Judith als eine vielschichtige biblische Frauenfigur vor, die in der Literatur, Musik und bildenden Kunst vielfältig rezipiert wurde. Im Gegensatz zur biblischen Ursprungsgeschichte, in der Judith eine aktive Heldin ist, die ihren Feind durch Verführung besiegt, wird sie bei Hebbel zu einer verzweifelten Frau, die von Holofernes vergewaltigt wird. Die Arbeit konzentriert sich auf die Interpretation der stoffgeschichtlichen Brüche in Hebbels "Judith", insbesondere die Transformation des Geschlechtsverkehrs in eine Vergewaltigung und das Paradoxon der "jungfräulichen Witwe".
Interpretation des „jungfräuliche Witwe“-Paradoxons
Dieser Abschnitt analysiert das Paradoxon der "jungfräulichen Witwe" im zweiten Akt des Dramas. Judith befindet sich in einer widersprüchlichen Situation, da sie zwar verheiratet war, aber ihr Ehemann sie nie berührt hat. Die Szene mit Manasses, Judiths verstorbenem Ehemann, zeigt ihre starke sexuelle Begierde, die jedoch durch Manasses Impotenz nicht erfüllt werden kann. Dieses Paradoxon ist entscheidend für die weitere Entwicklung der Handlung.
Judith zwischen Verlangen und Vergewaltigung
Dieser Abschnitt interpretiert die Vergewaltigungsszene und ihre Auswirkungen auf Judith. Durch die Vergewaltigung erhält sie die Kraft, ihren Peiniger zu ermorden. Der Abschnitt beleuchtet die Bedeutung der Vergewaltigung im Kontext von Judiths Charakterentwicklung. Die Arbeit analysiert auch die Interpretationsmöglichkeiten der Enthauptung Holofernes' im Kontext der vorausgegangenen Vergewaltigung.
Schlüsselwörter
Friedrich Hebbel, Judith, stoffgeschichtliche Brüche, "jungfräuliche Witwe", Vergewaltigung, Enthauptung, Manasses, Holofernes, biblische Figur, Drama, Charakterentwicklung, Interpretation.
- Quote paper
- Juliane Becker (Author), 2017, Interpretation der stoffgeschichtlichen Brüche in Friedrich Hebbels "Judith", Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/375778