Unter dem Ausdruck Neurowissenschaften werden in den folgenden Ausführungen Neurophysiologie, Neuropsychologie und Neurologie sowie deren Teildisziplinen subsummiert. Die Philosophie des Geistes beschäftigt sich als Einzeldisziplin schon seit geraumer Zeit mit den Phänomenen, die diesem Wissenschaftszweig erwachsen. Störungen des Wahrnehmungsfeldes, ‚blind sight’ oder Auswirkungen pathologischer Veränderungen des Gehirns sind inzwischen selbstverständlicher Gegenstand philosophischer Reflexion geworden. Mit diesen Themen gewinnen auch neurowissenschaftliche Experimente mehr und mehr an Relevanz. Diese auch zunehmend interdisziplinäre Arbeit war bisher jedoch hauptsächlich der Wissenschaftsgemeinde zugänglich.
Die kritischen Reaktionen auf die neurowissenschaftliche These von der obsolet gewordenen Willensfreiheit lassen sich in drei Gruppen unterteilen. Die erste Gruppe von Einwänden betrifft die empirischen Grundlagen der neurowissenschaftlichen Forschungsergebnisse. Dabei wird insbesondere an der Aussagekraft der in der aktuellen Debatte als maßgeblich herangezogenen Experimente von Benjamin Libet, Peter Haggard und Martin Eimer gezweifelt , wobei hauptsächlich die konzeptionellen Schwächen der Libet-Experimente im Kreuzfeuer der Kritik stehen.
Ein zweiter Einwand richtet sich auch auf die theoretischen Folgerungen der Neurowissenschaften. Diese Kritik entstammt unmittelbar der philosophischen Perspektive und nimmt hauptsächlich die neurowissenschaftliche Konzeption des freien Willens ins Visier. Die Einwände folgen hier den Vorgaben der vor allem im Bereich der Philosophie des Geistes beheimateten Kritik des eliminativen Reduktionismus. In diesen Kontext gehört daher auch die Kritik an der neurowissenschaftlichen Vernachlässigung einer trennscharfen Unterscheidung zwischen Ursachen und Gründen in der Behandlung der Problematik freier Entscheidungen.
Die Argumentationspraxis und die Sprache der Neurowissenschaften sind das Ziel des dritten Kritikpunktes. Neben Argumentationsfehlern werden den Neurowissenschaften in diesem Kontext vor allem begriffliche Reifizierungen und Kategorienverwechslungen vorgehalten. Diese Kritik, die teilweise die erwähnte Reduktionismuskritik unterstützt, bemüht sich nicht zuletzt auch darum zu zeigen, wie es den Neurowissenschaften gelingen kann, mittels begriffspolitischer Züge den Anschein von Unwiderlegbarkeit zu erzeugen und sich gegen Kritik zu immunisieren.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Das psychophysische Problem
2.1. Substanzdualismus
2.2. Logischer Emipirismus
2.3. Identitätstheorie
2.4. Eliminativer Materialismus
2.5. Nichtreduktiver Naturalismus
2.6. Zusammenfassung
3. Die Neurowissenschaften – eine Übersicht
3.1. Geschichte der Neurowissenschaften im 19./20. Jahrhundert
3.2. Die bildgebenden Verfahren der Neurowissenschaften
3.2.1. Strukturelle bildgebende Verfahren
3.2.2. Funktionelle bildgebende Verfahren
3.3. Zusammenfassung
4. Neurowissenschaften und Philosophie des Geistes
4.1. Die Libet-Experimente
4.2. Willensfreiheit
4.2.1. Anmerkungen: Moral und Schuld
4.3. Die Sprache der Neurowissenschaften
4.4. Bewusstsein und Gehirn
4.5. Zusammenfassung
5. Ausblick
6. Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Die Verbindung zwischen den Neurowissenschaften und der Philosophie des Geistes ist keine neue Erscheinung. Im Jahre 1986 prägt Patricia Smith Churchland den Ausdruck Neurophilosophie[1] für eine ihrer Meinung nach unverzichtbare Disziplin, die beide Wissenschaften miteinander verbinden, dabei jedoch im Wesentlichen unter der Federführung der Neurowissenschaften verbleiben sollte. Unter dem Ausdruck Neurowissenschaften werden in den folgenden Ausführungen Neurophysiologie, Neuropsychologie und Neurologie sowie deren Teildisziplinen subsummiert. Die Philosophie des Geistes beschäftigt sich als Einzeldisziplin schon seit geraumer Zeit mit den Phänomenen, die diesem Wissenschaftszweig erwachsen. Störungen des Wahrnehmungsfeldes, ‚blind sight’ oder Auswirkungen pathologischer Veränderungen des Gehirns sind inzwischen selbstverständlicher Gegenstand philosophischer Reflexion geworden. Mit diesen Themen gewinnen auch neurowissenschaftliche Experimente mehr und mehr an Relevanz. Diese auch zunehmend interdisziplinäre Arbeit war bisher jedoch hauptsächlich der Wissenschaftsgemeinde zugänglich.
Die aktuelle Popularität verdankt diese Diskussion der Tatsache, dass die Wissenschaft mit ihren Hypothesen und Theorien das Selbstverständnis der Menschen in ihrer Alltagswelt erreicht. Ausgelöst durch Veröffentlichungen zweier Neurowissenschaftler hat gegenwärtig eine breit angelegte Debatte um die Bedeutung neurowissenschaftlicher Forschungsergebnisse ihren Weg in die öffentlichen Medien gefunden.[2] Noch über den engeren Rahmen des gehobenen Feuilletons hinaus reicht die Aufmerksamkeit mittlerweile bis in die Bereiche der Fernsehfeatures, der populären Sachbücher und der Illustrierten.
Die Initiatoren dieser Debatten, die Neurowissenschaftler Gerhard Roth und Wolf Singer, haben dabei vor allem mit der provokanten These Aufsehen erregt, dass es sich bei der menschlichen Willensfreiheit um eine bloße Illusion handele. Eine der Hauptzielscheiben ihrer Revisionsbemühungen ist die Philosophie. Ganz dezidiert wird verschiedenen philosophischen Disziplinen die Zuständigkeit vor allem in der Aufklärung grundlegender Sachverhalte personalen Lebens streitig gemacht.[3] Singer und Roth zeigen sich entschlossen, das Konzept der frei entscheidenden Person, die für ihre Taten verantwortlich ist, auf der Grundlage neurowissenschaftlicher Erkenntnisse komplett zu revidieren. Damit kondensieren nach ihrer Ansicht die traditionellen Problemstellungen der Philosophie des Geistes, der Philosophie der Person und der Ethik in einigen Tropfen Hirnforschung. In praktischer Hinsicht fordern sie darüber hinaus tief greifende Reformen des Strafrechts und der gängigen Erziehungspraxis. Als deren unhaltbare Voraussetzungen identifizieren sie vier Annahmen zur Willensfreiheit.
„(1) Mein bewusster Wille ist Urheber meiner Handlungen; (2) dieser Wille ist frei von inneren und äußeren Zwängen; (3) Ich hätte auch anders handeln können, wenn ich nur gewollt hätte; (4) Ich fühle mich für meine Taten verantwortlich.“[4]
Roth und Singer schlagen auf der Basis neurowissenschaftlicher Erkenntnisse alternative Erklärungen für die fraglichen Phänomene vor. Die lebensweltliche Überzeugung, dass Handlungen eine Sache von Überlegung, Abwägung und begründeter Wahl seien, erscheint in dieser neurowissenschaftlichen Perspektive ebenso revisionsbedürftig wie philosophischen Annahmen zur Freiheit des Willens. In den Augen von Singer und Roth ist eine Person eben nicht frei in ihren Entscheidungen, sondern verhält sich immer nur so, wie es zuvor im Gehirn und ‚durch das Gehirn‘ festgelegt wurde. [5] Der Eindruck, das eigene Verhalten durch Überlegungsvorgänge und freie Entscheidung zu steuern, sei entweder eine nachträglich durch das Gehirn erzeugte Illusion oder nur eine kulturell hervorgebrachte Selbsttäuschung, an die sich die Menschen ängstlich klammerten. Wolf Singer schreibt:
„Die Annahme zum Beispiel, wir seien voll verantwortlich für das, was wir tun, weil wir es ja auch hätten anders machen können, ist aus neurobiologischer Perspektive nicht haltbar. Neuronale Prozesse sind deterministisch.“[6]
Singer formuliert seine Desillusionierung jedoch nicht, um dem menschlichen Selbstverständnis lediglich eine weitere Kränkung zuzufügen. Vielmehr stellt er sich erkennbar in eine aufklärerische Tradition, die falsche Idole zu Fall bringen möchte, um sie durch humanere – d. h. der menschlichen Natur angemessenere – Auffassungen und Zielorientierungen zu ersetzen. Dies wird gerade im Kontext seiner wohl umstrittensten Äußerungen deutlich:
„Keiner kann anders, als er ist. Diese Einsicht könnte zu einer humaneren, weniger diskriminierenden Beurteilung von Mitmenschen führen, die das Pech hatten, mit einem Organ volljährig geworden zu sein, dessen funktionelle Architektur ihnen kein angepasstes Verhalten erlaubt. Menschen mit problematischem Verhalten als schlecht oder böse abzuurteilen bedeutet nichts anderes, als das Ergebnis einer schicksalhaften Entwicklung des Organs, das unser Wesen ausmacht, zu bewerten.“[7]
Entsprechende Überzeugungen finden sich auch bei Gerhard Roth. Seine Diagnose des vorherrschenden Verständnisses von Moralität ist vergleichbar radikal:
„Heißt dies, dass wir für das, was wir tun, nicht verantwortlich sind? Etwa in dem Sinne: Nicht ich bin es, sondern unbewusst arbeitende Mechanismen in meinem Gehirn sind es gewesen! Die Antwort auf diese Frage ist eindeutig: Das bewusste, denkende und wollende Ich ist nicht im moralischen Sinne verantwortlich für dasjenige, was das Gehirn tut, auch wenn dieses Gehirn »perfiderweise« dem Ich die entsprechende Illusion verleiht. Nach allem, was wir über das Ich gehört haben, kann es auch gar nicht zum großen Steuermann werden […]. Das Ich ist unerlässlich für komplexe Handlungsplanung, es wägt ab, erteilt Ratschläge, aber es entscheidet nichts […].“ [8]
Aber auch Roths Moralitätskritik ist ihrerseits moralisch motiviert. Die Verabschiedung überkommener Verantwortungsbegriffe diene der Schaffung einer Gesellschaft, deren Normen sich endlich an den wirklichen Möglichkeiten menschlicher Akteure orientierten:
„Eine Gesellschaft darf niemanden bestrafen, nur weil er in irgendeinem moralischen Sinne schuldig geworden ist – dies hätte nur dann Sinn, wenn dieses denkende Subjekt die Möglichkeit gehabt hätte, auch anders zu handeln als tatsächlich geschehen. Sie kann aber durch Belohnung und Androhung von Strafe (d.h. Abschreckung), durch Lob und Tadel und manchmal auch durch Strafe selbst das Verhalten der Individuen ändern […].“[9]
Angesichts derart weit reichender Revisionsforderungen verwundert es nicht, dass diese hier nur kurz zusammengefassten Standpunkte zu heftigem Widerspruch seitens der herausgeforderten philosophischen Disziplinen geführt haben, aber auch unter Neurowissenschaftlern selbst sehr umstritten geblieben sind.
Die kritischen Reaktionen auf die neurowissenschaftliche These von der obsolet gewordenen Willensfreiheit lassen sich in drei Gruppen unterteilen. Die erste Gruppe von Einwänden betrifft die empirischen Grundlagen der neurowissenschaftlichen Forschungsergebnisse. Dabei wird insbesondere an der Aussagekraft der in der aktuellen Debatte als maßgeblich herangezogenen Experimente von Benjamin Libet, Peter Haggard und Martin Eimer gezweifelt[10], wobei hauptsächlich die konzeptionellen Schwächen der Libet-Experimente im Kreuzfeuer der Kritik stehen.[11]
Ein zweiter Einwand richtet sich auch auf die theoretischen Folgerungen der Neurowissenschaften. Diese Kritik entstammt unmittelbar der philosophischen Perspektive und nimmt hauptsächlich die neurowissenschaftliche Konzeption des freien Willens ins Visier. Die Einwände folgen hier den Vorgaben der vor allem im Bereich der Philosophie des Geistes beheimateten Kritik des eliminativen Reduktionismus. In diesen Kontext gehört daher auch die Kritik an der neurowissenschaftlichen Vernachlässigung einer trennscharfen Unterscheidung zwischen Ursachen und Gründen in der Behandlung der Problematik freier Entscheidungen.
Die Argumentationspraxis und die Sprache der Neurowissenschaften sind das Ziel des dritten Kritikpunktes. Neben Argumentationsfehlern werden den Neurowissenschaften in diesem Kontext vor allem begriffliche Reifizierungen und Kategorienverwechslungen vorgehalten. Diese Kritik, die teilweise die erwähnte Reduktionismuskritik unterstützt, bemüht sich nicht zuletzt auch darum zu zeigen, wie es den Neurowissenschaften gelingen kann, mittels begriffspolitischer Züge den Anschein von Unwiderlegbarkeit zu erzeugen und sich gegen Kritik zu immunisieren. Beispielhaft – und in ironischer Form –werden diese begriffspolitischen Strategien von Kröber angesprochen:
„So sind wir bereits mitten in den Sprachspielen der biologischen Hirnforscher, und diese Sprachspiele zeichnen sich dadurch aus, dass bestimmte anatomische und funktionelle Strukturen sozusagen beseelt werden und in die Position eines Homunculus hineinwachsen, eines kleinen Menschen im Menschen, der mit anderen cerebralen Homunculi im Widerstreit oder Austausch steht und schließlich auch Regierungsmacht über die ganze Person oder das ganze Gehirn gewinnt. Im finalen Showdown gewinnt das limbische System schließlich sogar gegen das Gesamtgehirn und die ganze Person.“[12]
Bislang weitgehend unbeeindruckt von diesen Kritiken beharren jedoch Neurowissenschaftler auf dem explanatorischen Primat ihrer Fakultät. Nur den Neurowissenschaften könne es gelingen, die chronisch ungelösten Fragen der Philosophie zu beantworten. Es scheint sich damit eine Entwicklungslinie fortzusetzen, auf der die Philosophie ihre Zuständigkeitsbereiche nach und nach an die empirischen Wissenschaften verliert:
„Am Ende dieses Verstehens könnte die Erkenntnis stehen, daß die traditionelle Formulierung des Leib-Seele-Problems gar keinen Sinn hatte. Konkrete Fragen werden sich dann im Testverfahren beantworten lassen: Kann dieses Tier, dieses Baby, dieser Patient für kurze Zeiten Informationen speichern und sie zum Planen nutzen? […] Wo, auf der Ebene der Synapsen und Nervenzellen, ist die „Bedeutung“ einer Wahrnehmung zu finden? Natürlich gibt es keine Garantie dafür, dass die Menschen in der Lage sind, das Wesen des Bewußtseins vollkommen zu verstehen. Ob uns eine endgültige Theorie des Bewußtseins aus praktischen, methodischen oder ontologischen Gründen versagt bleiben wird, kann allerdings nur die Neurowissenschaft ergründen.“[13]
An dieser Stelle muss angemerkt werden, dass diese Diskussion in keiner Weise breit von den Neurowissenschaften getragen wird. Vielmehr handelt es sich um die hier erwähnte kleine Gruppe von philosophisch berufenen Neurowissenschaftlern, die diese Debatte initiiert haben. Die Mehrzahl aller Neurowissenschaftler fühlt sich durch einen Diskurs dieser Art weder in ihren Forschungen bekräftigt, noch in irgendeiner Art und Weise von der thematischen Problematik berührt. Die Neurowissenschaften sind im Wesentlichen eine Disziplin, die sich mit der Erforschung des menschlichen Zentralnervensystems beschäftigt. Ihr Erkenntnisinteresse liegt in der Erweiterung des Wissens über Gehirn und Nervensystem mit dem Ziel der therapeutischen Verwertbarkeit. Verbesserte Diagnose und Behandlungsverfahren stehen im Vordergrund der wissenschaftlichen Arbeit. Auf diesem Felde sind die so gewonnenen Ergebnisse ein unverzichtbarer Teil der wissenschaftlichen Erforschung des Menschen.
Nachfolgend sollen die bereits erwähnten drei Hauptkritikpunkte an den Ergebnissen und Voraussetzungen der Neurowissenschaften in der aktuellen Debatte näher untersucht werden. Im ersten Teil wird dazu eine kurze Darstellung des psychophysischen Problems die Probleme beleuchten, die sich aus der Perspektive der philosophischen Reflexion ergeben, sobald versucht wird, sich der besonderen Problematik einer Körper-Bewusstseins Beziehung zu nähern. Wenn auch nicht explizit, finden sich Residuen der verschiedenen philosophischen Theorien auch in der Argumentation der Neurowissenschaften wieder, die der Philosophie vorwerfen, auf diesem Felde bisher versagt zu haben. Die Lösung des psychophysischen Problems ist das erklärte Ziel der hier erwähnten Neurowissenschaftler, und sie halten dieses Ziel für erreicht.
Der zweite Teil der Arbeit gibt einen kurzen Überblick über die Geschichte der Neurowissenschaften und eine umfangreiche Darstellung ihrer Methoden. Bei diesen Methoden handelt es sich im Wesentlichen um die neuen bildgebenden Verfahren, die es uns ermöglichen, das Gehirn des Menschen fast in Echtzeit zu beobachten und zu untersuchen. Der ‚Blick ins Gehirn’ scheint möglich, unterliegt aber, wie es sich zeigen wird, noch einigen Einschränkungen, die seine direkte Verwertbarkeit alles andere als unstrittig erscheinen lassen.
Im dritten Teil der Ausführungen wird die Verbindung von Neurowissenschaften und Philosophie des Geistes einer kritischen Untersuchung unterzogen werden. Einerseits sind es die Äußerungen zur Willensfreiheit sowie deren experimentelle Basis, die einer genaueren Untersuchung bedürfen. Andererseits muss den begrifflichen Verwirrungen, die sich im neurowissenschaftlichen Sprachspiel niederschlagen, eine philosophische Kritik entgegengehalten werden.
Trotz aller philosophischer Kritik an den Neurowissenschaften stellt sich doch die Frage nach Möglichkeit und Sinn einer interdisziplinären Zusammenarbeit. In der abschließenden Beurteilung werden die bisherigen Ergebnisse geprüft und auf dieser Basis soll eine Empfehlung versucht werden.
2. Das psychophysische Problem
Die Philosophie des Geistes beschäftigt sich vornehmlich mit Phänomenen, Prozessen und Zuständen des menschlichen Bewusstseins. Innerhalb der neuzeitlichen Theorieentwicklung rückt vor allem das Verhältnis von Körper und Bewusstsein in den Mittelpunkt der Untersuchungen. Allerdings muss die Frage nach der Beziehung zwischen Körper und Bewusstsein bis heute als ungeklärt gelten. Vielfach scheint es sogar so, als träten hinter den ständig neuen Anläufen zur Beantwortung dieser Frage letztlich immer wieder die gleichen wohlbekannten Problemstellungen zutage. In der Hartnäckigkeit dieses so genannten psychophysischen Problems offenbaren sich unter anderem grundlegende epistemologische Fragestellungen. Der menschliche Körper wird den Wissenschaften immer weit reichender zugänglich, indem die Möglichkeiten der Perspektive der dritten Person methodisch ständig erweitert werden. Insbesondere die Neurowissenschaften und die Humangenetik erweitern derzeit die Grenzen des Wissens über den menschlichen Körper und seine Funktionsweisen immer weiter bis in den mikroskopischen Bereich hinein. Leider bezieht sich diese Erweiterung des methodischen Zugriffs nur auf den physischen Aspekt der Problematik.
Der Phänomenbereich des Psychischen hingegen gilt diesem epistemischen Zugriff in der Regel als systematisch unzugänglich. Denn allein aus der Perspektive der ersten Person stellt das Bewusstsein sich in den meisten Fällen als unhintergehbar und unmittelbar gegeben für jede Person dar. Unter den epistemischen Voraussetzungen des naturwissenschaftlichen Modells geraten Bewusstseinszustände und -prozesse allenfalls indirekt in den Blick, sei es in den Verhaltensbeschreibungen behavioristischer Prägung oder durch die Beobachtung von hirnphysiologischen Abläufen. So bleibt auch die Beziehung zwischen Körper und Bewusstsein gegenüber Erklärungen geschlossen. Hier offenbart sich eine grundlegende Differenz zwischen ontologischem und epistemischen Zugriff.
Es kann zwar mittlerweile als unstrittig gelten, dass unser Bewusstsein ohne unseren Körper und damit auch ohne unser Gehirn nicht existieren würde. In dieser Hinsicht herrscht heute in der Philosophie so etwas wie ein naturalistischer Minimalkonsens. Wie nun aber das Bewusstsein mit dem Körper und dem Gehirn verbunden ist oder aus ihm hervorgeht, bleibt der Kern des psychophysischen Problems. Vor diesem Problemhintergrund spielt sich die aktuelle Debatte zwischen Neurowissenschaften und der Philosophie ab. Nachdem 2000 Jahre der philosophischen Untersuchung in den Augen der Neurowissenschaftler keine tatsächlich verwertbaren Ergebnisse zur Lösung des psychophysischen Problems geliefert hätten, streben sie nun ihrerseits eine Beseitigung des Problems mit den Mitteln der Naturwissenschaften an.
Der Revisionslaune einiger Neurowissenschaftler ist mit gebührender Zurückhaltung zu begegnen. Es besteht kein Anlass, den gesamten Theoriebestand der Philosophie des Geistes zu verabschieden. Schon ein flüchtiger Blick verrät, dass das Bild der Philosophie des Geistes, das von neurowissenschaftlicher Seite gezeichnet wird, in manchen Fällen polemischen Absichten oder fehlender Sachkenntnis entspringt. Die Positionen der Philosophie des Geistes sind jedoch hoch differenziert und ihre begrifflichen Mittel sind reichhaltig. Führt man sich die entsprechende Theorielandschaft vor Augen, so verflüchtigt sich rasch der generelle Innovationsverdacht, den die Neurowissenschaften zuweilen gegen sich selbst hegen. Im Zuge einer solchen Ernüchterung wird dann der Weg frei für eine realistische Einschätzung beider Theorielager und der Möglichkeiten eines kooperativen Verhältnisses.
Die Problemkonstellation, in deren Rahmen sich diese Kontroverse zuträgt, ist seitens der analytischen Philosophie in Form eines Trilemmas herausgearbeitet worden.[14] Die Ausgangsproblematik des psychophysischen Trilemmas, der sich beide Disziplinen dabei stellen müssen, wird durch das Zusammenspiel folgender Sätze konstituiert:
(1) Mentale Phänomene sind nicht-physische Phänomene.
(2) Mentale Phänomene sind im Bereich physischer Phänomene kausal wirksam und umgekehrt.
(3) Der Bereich physischer Phänomene ist kausal geschlossen.
Es ist sofort ersichtlich, wieso es sich bei dieser Aufstellung um ein Trilemma handelt. Es können nämlich nicht alle drei Aussagen zugleich wahr sein. Aussage (1) postuliert als Differenzthese den prinzipiellen Unterschied zwischen Erlebnissen und Ereignissen. Aussage (2) steht als Wechselwirkungsthese für die gegenseitige kausale Verursachung von Erlebnissen und Ereignissen. Die Geschlossenheitsthese in Aussage (3) des psychophysischen Trilemmas gibt die Erkenntnisse der Physik wieder. Akzeptieren wir Aussage (1) und (2), gelangen wir zu einer substanzdualistischen Position. Die Akzeptanz von (1) und (3) führt uns in einen psychophysischen Parallelismus[15]. Die Aussagen (2) und (3) münden zusammengenommen in die monistische Position des Materialismus.[16]
Aus der Auflösung dieses Trilemmas ergeben sich verschiedene Lösungsansätze, welche die verschiedenen philosophischen Strömungen widerspiegeln, die auch zum Teil von den Naturwissenschaften aufgegriffen wurden. Im Folgenden sollen dualistische und monistische Theorien zum psychophysischen Problem näher betrachtet werden.
2.1. Substanzdualismus
Die historisch gesehen wirkungsvollste, wenn auch heute nicht mehr vertretene Position, ist der Eigenschaftsdualismus. Er geht in seiner ausgeprägtesten Form davon aus, dass Ereignisse keine Erlebnisse sind und umgekehrt. Werden Erlebnisse und Ereignisse zudem für wechselseitig kausal wirksam erklärt, so handelt es sich um eine interaktionistische Variante des Eigenschaftsdualismus. Als der klassische Vertreter des interaktionistischen Dualismus gilt Descartes, der mit der Differenzierung von res extensa und res cogitans sowohl die Wissenschaften als auch das alltagsweltliche Selbstverständnis des Menschen zutiefst geprägt hat. Descartes entwickelt zwei Argumente, um die Differenz von res extensa und res cogitans zu beweisen. In einem metaphysischen Argument stellt er fest, dass er allein mit der Eigenschaft des Denkens und ohne Körper existieren kann.
„Und da ich ja erstens weiß, daß alles, was ich klar und deutlich verstehe, in der Weise von Gott geschaffen werden kann, wie ich es verstehe, so genügt es, eine Sache ohne eine andere klar und deutlich verstehen zu können, um mir die Gewißheit zu geben, daß die eine von der anderen verschieden ist, da wenigstens Gott sie getrennt setzen kann. […] Eben daraus also, daß ich weiß, ich existiere, und einstweilen nur von meinem Denken gewahr werden konnte, daß es zu meiner Natur oder meinem Wesen gehört, ebendaraus schließe ich mit Recht, daß mein Wesen auch allein im Denken besteht. Und wenngleich ich vielleicht – oder vielmehr gewiß, wie ich später auseinandersetzen werde – einen Körper habe, der mit mir sehr eng verbunden ist, so ist doch, - da ich ja einerseits eine klare und deutliche Vorstellung meiner selbst habe, sofern ich nur ein denkendes, nicht ausgedehntes Wesen bin, und andererseits eine deutliche Vorstellung vom Körper, sofern er nur ein ausgedehntes, nicht denkendes Wesen ist – so ist, sage ich, soviel gewiß, daß ich von meinem Körper wahrhaft verschieden bin und ohne ihn existieren kann.“[17]
Es sei auch möglich, dass jeder Körper nur in seinem Ausgedehntsein und ohne Denken existiere. Gott ist für Descartes der Garant der Möglichkeit eines Wissens von der Welt überhaupt. Ein bedeutsamer Aspekt dieser Garantie bestehe darin, dass von den Strukturen des Denkens auf die Strukturen der Welt geschlossen werden könne. Logische Unabhängigkeit – ‚eine Sache ohne eine andere klar und deutlich zu verstehen‘ – verweist auf eine ontologische Unabhängigkeit. Im Zuge dieses Arguments hat sich vor allem als folgenreich erwiesen, dass Descartes Selbstbewusstseinsphänomene zu einer substantia cogitans reifiziert.[18] Er gelangt auf diesem Weg nicht zuletzt zu der Schlussfolgerung, auch ohne seinen Körper existieren zu können. Metaphysische Argumente dieser Art haben sicherlich einen schweren Stand in der analytischen Philosophie. Jedoch ist die Tragweite dieses Argumentes hinsichtlich seiner Nachwirkungen nicht zu unterschätzen.
In einem naturphilosophischen Argument will Descartes des Weiteren die Existenz der Seele und ihren nichtphysischen Charakter beweisen:
„Wenn es Maschinen mit den Organen und der Gestalt eines Affen oder eines anderen vernunftlosen Tieres gäbe, so hätten wir gar kein Mittel, zu erkennen, das uns nur den geringsten Unterschied erkennen ließe zwischen dem Mechanismus dieser Maschine und dem Lebensprinzip dieser Tiere; gäbe es dagegen Maschinen, die unseren Leibern ähnelten und unsere Handlungen insoweit nachahmten, wie dies für Maschinen wahrscheinlich möglich ist, so hätten wir immer zwei ganz sichere Mittel zu der Erkenntnis, daß sie keineswegs wahre Menschen sind. Erstens könnten sie nämlich niemals Worte oder andere Zeichen dadurch gebrauchen, daß sie sie zusammenstellen, wie wir es tun, um anderen unsere Gedanken bekanntzumachen. […] aber man kann sich nicht vorstellen, daß sie die Worte auf verschiedene Weisen zusammenordnet, um auf die Bedeutung alles dessen, was in ihrer Gegenwart laut werden mag, zu antworten, wie es der stumpfsinnigste Mensch kann […] Sollten diese Maschinen auch manches ebensogut oder vielleicht besser verrichten als irgendeiner von uns, so würden sie doch zweifellos bei vielem anderen versagen, wodurch offen zutage tritt, daß sie nicht aus Einsicht handeln, sondern nur zufolge der Einrichtung ihrer Organe. Denn die Vernunft ist ein Universalinstrument, das bei allen Gelegenheiten zu Diensten steht, während diese Organe für jede besondere Handlung einer besonderen Einrichtung bedürfen; […]“[19]
Während Descartes mechanistische Ansätze noch zur Erklärung tierischen Verhaltens für erschöpfend hält, stoßen sie am genuin menschlichen Verhalten an ihre Grenze. Zwischen der menschlichen Existenz und allem anderen Naturvorkommnissen besteht nach Descartes eine unüberbrückbare Kluft. Seine Vernunft, die paradigmatischen Ausdruck im Sprachverhalten finde, hebe den Menschen aus dem mechanischen Naturgeschehen heraus. Die Erklärungsdefizite, die mechanistische Ansätze angesichts menschlichen Verhaltens offenbar werden ließen, nimmt Descartes als Indiz dafür, dass es die immaterielle Seelensubstanz sei, die den Menschen mit fraglichen Fähigkeiten ausstattet.
Descartes‘ anthropologische Überlegungen verweisen aber fast zwangsläufig auf die notorische Frage, wie denn etwa beim menschlichen Sprachverhalten das Bewusstsein – die Seelensubstanz – auf den Körper Einfluss gewinnen könne. Die Frage nach dem Zusammenwirken von Körper und Bewusstsein wird denn auch in der Folge zu einem der Hauptprobleme des Cartesianismus.
Das Problem bleibt allerdings auch dort bestehen, wo der cartesianische Substanzdualismus längst zugunsten subtilerer Formen des Eigenschaftsdualismus verabschiedet worden ist. Wenn in der Diskussion um das psychophysische Problem die kausale Kraft mentaler Phänomene vertreten wird, muss man sich auch mit den auf der Hand liegenden Schwierigkeiten befassen, die durch die postulierte Interaktion zwischen Ereignissen und Erlebnissen aufgeworfen werden.[20] Es ist empirisch nicht nachzuweisen, inwiefern mentale Phänomene auf unser Gehirn wirken können. Colin McGinn referiert die Zweifel am interaktionistischen Modell wie folgt:
„We generally conceive of causal interaction as proceeding via some sort of mechanism, in such a way that the interacting things engage with each other in some intelligible nexus. But this sort of intelligible connection is precisely what is lacking on the dualist account of mind-body interaction, since the very point of that account is to insist upon the radical difference of nature between mental and physical phenomena. Try to imagine what sort of mechanism might enable material and immaterial substance to come causally together: in so far as you have any conception of the nature of immaterial substance, this must be a hard task – certainly we cannot legitimately appeal to the sorts of causality mediated by the physical forces studied in the science of matter.“[21]
Auch wenn mentale Phänomene im Bereich des Physischen kausal wirksam sein wollten, bliebe auch immer noch ungeklärt und zu bedenken, wieso dann der Mensch ein Gehirn bräuchte. Aus der materialistischen Sicht werden im Wesentlichen zwei Argumente gegen den Substanzdualismus erhoben. Ockham´s Razor folgend wird einerseits angemerkt, dass eine dualistische Theorie im Verhältnis zu ihrer Komplexität zu wenig Erklärung biete:
„The materialist postulates only one kind of substance (physical matter), and one class of properties (physical properties), whereas the dualist postulates two kinds of matter and/or two classes of properties. And to no explanatory advantage, charges the materialist. This is not yet a decisive point against dualism, since neither dualism nor materialism can yet explain all of the phenomena to be explained. But the objection does have some force, especially since there is no doubt at all that physical matter exists, while spiritual matter remains a tenuous hypothesis.”[22]
Andererseits spreche der jetzt schon vorherrschende Wissensvorsprung der Neurowissenschaften für eine materialistische Lösung des psychophysischen Problems:
„Compare now what the neuroscientists can tell us about the brain, and what he can do with that knowledge, with what the dualists can tell us about the spiritual substance, and what he can do with those assumptions. Can the dualist tell us anything about the internal constitution of mind-stuff? Of the nonmaterial elements that make it up? Of the laws that govern their behaviour? Of the mind’s structural connections with the body? Of the manner of its operations? Can he explain human capacities and pathologies in terms of its structure and its defects? […] Compared to the rich resources and explanatory success of current materialism, dualism is less a theory of mind than it is an empty space waiting for a genuine theory of mind to be put in it.”[23]
Churchlands Argument allein kann nicht überzeugen. Bloßer Wissensvorsprung, bezogen auf mehrere streng abgegrenzte Untersuchungsbereiche, lässt kaum mehr Rückschlüsse auf das menschliche Bewusstsein zu, als bisher bereits durch die Philosophie getätigt. Eine Beschreibung der physischen Basis überwindet noch nicht die epistemische Kluft, die sich am Übergang von Gehirn und Bewusstsein auftut. Und auch die philosophische Reflexion nimmt ihren Ausgang nicht mehr von einer dualistischen Position aus.
Descartes’ dualistische Position[24] ist heute eher noch philosophiehistorisch interessant, da substanzdualistische Positionen in der zeitgenössischen Philosophie keine große Rolle mehr spielen.[25] Wie jedoch zu Anfang erwähnt, bleibt ihre Wirkung in den Wissenschaften lange Zeit spürbar[26], und sie bleibt bis heute in vielen Facetten unserer Alltagssprache erhalten.
2.2. Logischer Emipirismus
Der materialistische Monismus akzeptiert nur eine Substanz als Grundkonstituente in der Welt: die physische Materie. Auf dem Wege zu einer materialistischen Erklärung kommt es nun zu einer neuen Herausforderung. Können psychische Phänomene in irgendeiner Art und Weise in ihrer Besonderheit vollends durch materialistische Bestimmungen erfasst und angemessen beschrieben werden?
Als wichtiger Versuch, diese Art von Aufgabe zu lösen, kann der logische Empirismus angesehen werden. Er machte es sich als Theorieströmung zum Ziel, die Philosophie einer generellen Revision zu unterziehen. Es geht ihr um die Etablierung eines methodischen Paradigmas, das auf das System einer Einheitswissenschaft ausgerichtet ist, für die die moderne Physik das Modell abgibt. Auch die Philosophie sei an den methodischen Standards der Naturwissenschaften zu orientieren.[27] Ihr fallen im Wesentlichen wissenschaftstheoretische Aufgaben zu. Eine entsprechende Philosophie der Psychologie müsse eine Terminologie für die Bezugnahme auf psychische Sachverhalte bereitstellen, die in die Einheitssprache der Physik übersetzbar zu sein habe. Rudolf Carnap, einer der prägenden Denker dieser Richtung, formuliert das Ziel wie folgt:
„Es soll im folgenden die These erläutert und begründet werden, daß jeder Satz der Psychologie in physikalischer Sprache formuliert werden kann . […] Dies ist eine Teilthese der allgemeinen These des Physikalismus, daß die physikalische Sprache eine Universalsprache ist, d.h. eine Sprache, in die jeder Satz übersetzt werden kann. […] Es ist vielmehr gemeint: die Psychologie mag behandeln, was sie will, und ihre Sätze formulieren, wie sie will; in jedem Fall sind diese Sätze in die physikalische Sprache übersetzbar.“[28]
Aus dieser Zielvorgabe können zwei Thesen abgeleitet werden. Die erste These besagt, dass es zu jedem psychologischen Satz auch einen bedeutungsgleichen physikalischen Satz gibt. In der zweiten abgeleiteten These wird behauptet, dass man jedes beliebige mentale Phänomen auch in einer physikalischen Sprache erfassen kann. Carnap war sich darüber im Klaren, dass die entsprechenden Ansprüche unter den derzeitigen Bedingungen der empirischen Wissenschaften nicht einzulösen waren, Doch er zeigte sich optimistisch, dass das Theorieprogramm durch den Fortschritt der Wissenschaften zum Erfolg geführt werde.
Abseits von den Problemen, die eine Argumentation mit ungewissen Zukunftsprognosen aufwirft, wird deutlich, wie systematisch schwierig ein solches Unternehmen ist. Einfache Sätze wie z.B. „Ich bin enttäuscht“ oder „Ich glaube, dass es morgen regnen wird“ scheinen nur sehr schwierig in eine physikalische Sprache übersetzbar zu sein, da die physikalische Definition der in ihnen enthaltenen mentalen Prädikate alles andere als einfach zu sein scheint, ja vielleicht nicht einmal alle notwendigen Bedingungen für eine Definition epistemologisch zugänglich zu sein scheinen. Zudem müssten alle Teilbestimmungen einer solchen Definition selber wiederum auf ihre Richtigkeit überprüfbar sein können.[29] Beckermann kommt zu der Einschätzung, dass es im Wesentlichen drei Probleme sind, die den logischen Empirismus scheitern lassen:
„Mentale Prädikate sind in der Regel Cluster-Begriffe, die sich nicht ohne weiteres durch die Angabe notwendiger und hinreichender (physikalischer) Bedingungen definieren lassen.“[30]
Zweitens:
„Es scheint zumindest schwierig zu sein, die Bedingungen möglicher Definitionen so vollständig zu formulieren, daß diese Definitionen nicht mit Gegenbeispielen konfrontiert sind.“[31]
Drittens ließen sich mentale Ausdrücke „nicht zirkelfrei in physikalischer Sprache definieren“.[32] An diesen drei Problemen scheitert der logische Empirismus bei seinem Versuch, mentale und physische Phänomene durch eine einheitliche Wissenschaftssprache gleichzusetzen. Die Unmöglichkeit einer Reduktion von mentalen Phänomenen auf physische Phänomene in der Sprache der Physik muss jedoch nicht bedeuten, dass ein Reduktionsprogramm prinzipiell gescheitert ist.
[...]
[1] Vgl. Churchland 1984.
[2] Die größtenteils von Ende 2003 bis Mitte 2004 im Feuilleton der Frankfurter Allgemeinen Zeitung geführte Debatte umfasst im Wesentlichen folgende Beiträge: Roth 2003a und 2003b, Müller-Jung 2003, Lüderssen 2003; Kröber 2003; Schockenhoff 2003; Olivier 2003; Helmrich 2003; Singer 2004; Wingert 2004; Buchheim 2004; Schwägerl 2004; Clausberg/Weiller 2004; Höffe 2004; Nida-Rümelin 2004, Koch 2004; Tetens 2004; Schnädelbach 2004; Kempermann 2004; Hagner 2004; Cruse 2004 und Kaiser 2004; vgl. Geyer 2004.
[3] Vgl. Singer 2002 und 2003, sowie Roth 2003c.
[4] Roth 2003a, S. 50.
[5] Die anthropomorphisierende Sprache der Neurowissenschaften, in der vor allem die Neigung zu erkennen ist, dem Gehirn die Eigenschaften eines Handlungssubjekts zuzuschreiben, muss als folgenschwerer Schwachpunkt der entsprechenden Positionen betrachtet werden. Siehe unten sowie Kap. 4.3.
[6] Singer 2003, S. 20.
[7] Singer 2004, S. 33.
[8] Roth 2003c, S. 180. Das Zitat verdeutlicht die sprachliche Anthropomorphisierung.
[9] Ebd., S. 181.
[10] Zu den Experimenten siehe Libet/Gleason/Wright/Peal 1983, Libet 1985 und 2004 sowie Haggard/Eimer 1999.
[11] Vgl. Helmrich 2003 und Kröber 2003.
[12] Kröber 2003, S. 37.
[13] Koch 2004, S. 37.
[14] Siehe Bieri 1993.
[15] Für den Parallelismus steht Leibnitz’ Lehre von der prästabilierten Harmonie. Der Parallelismus sei jedoch nur der Vollständigkeit halber erwähnt und soll im Fortlauf der Arbeit keine Rolle mehr spielen. Er ist lediglich noch von philosophiehistorischer Bedeutung.
[16] Im Übrigen sind auch monistische Positionen denkbar, die die Existenz von Ereignissen bzw. von physischen Phänomenen in Abrede stellen. Entsprechende Ansätze, die sämtliche Entitäten dem Bereich des Psychischen zuordnen, werden jedoch im Allgemeinen für „nicht theoriefähig“ (Sturma 1997, S. 61) gehalten, so dass sie hier außer Acht gelassen werden können.
[17] Descartes 1959, S. 141.
[18] Sturma 1997, S. 103.
[19] Descartes 1997, S. 93.
[20] Eine übersichtliche Zusammenfassung dieser Problematik gibt Ansgar Beckermann. Siehe Beckermann 2001, S. 43ff.
[21] McGinn 1982, S.27.
[22] Churchland 1997, S. 18.
[23] Churchland 1997, S. 19.
[24] Sie bleibt jedoch in einer Hinsicht aktuell: Descartes erkennt bereits, dass eine strikte Trennung zwischen Bewusstsein und Körper der Selbsterfahrung widerspricht. „Ferner lehrt mich die Natur durch jene Schmerz-, Hunger-, Durstempfindungen usw, daß ich meinen Körper nicht nur wie ein Schiffer seinem Fahrzeug gegenwärtig bin, sondern daß ich ganz eng mit ihm verbunden und gleichsam vermischt bin, so daß ich mit ihm eine Einheit bilde.“ (Descartes 1959, S. 145.)
[25] Als moderner Vertreter des Substanzdualismus soll an dieser Stelle der Vollständigkeit halber noch Richard Swinburne erwähnt werden, der anschließend an Descartes’ Argumentation versucht, eine dualistische Theorie aufrecht zu erhalten. Vgl. Swinburne 1986 und 1994 und Shoemaker/Swinburne 1984.
[26] Auch im Bereich der Neurowissenschaften ist die Loslösung von Descartes’ Erbe noch nicht so lange her, wie Bennett und Hacker richtig anmerken. Und sie ist keineswegs abgeschlossen. Vgl. Bennett/Hacker 2003, Part I.2.
[27] Siehe Sturma 1998, S. 258f.; vgl. 2002, S. 30f.
[28] Carnap 1932, S. 107.
[29] Ausführliche Erörterungen zum logischen Empirismus finden sich in Beckermann 2001 und Churchland 1986.
[30] Beckermann 2001, S. 90.
[31] Ebd., S. 90.
[32] Ebd., S. 90.
- Arbeit zitieren
- Christian Schipke (Autor:in), 2005, Neurowissenschaften und Philosophie des Geistes, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/37577
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