Einleitung
Jerzy Grotowski gründete 1959 in der polnischen Provinzstadt Opole sein Theaterlaboratorium, das kein gewöhnliches Theater war, sondern vielmehr ein Institut zur Erforschung der Theater- und insbesondere der Schauspielkunst, wobei der Begriff Forschung keine universitäre wissenschaftlich-theoretische Methode impliziert, sondern eher im Sinne einer praktisch-experimentellen Orientierung zu verstehen ist. Während seiner Arbeit im Theaterlaboratorium entstand in den sechziger Jahren, der Zeit der Neo- Avantgarde, sein Konzept des „Armen Theaters“. Das Besondere dieses Ansatzes ist zum einen das Abwenden vom konventionellen Theater (das „Reiche Theater“), das sich als Konglomerat verschiedener Künste begreift. Grotowski stellt die Schauspieltechnik in den Mittelpunkt und postuliert die Beziehung zwischen Schauspieler und Zuschauer als Kern des Theaters. Zum anderen knüpft er ganz neue Funktionen an das Theater wie die Heilung von Individuum und Gesellschaft, was die Intention einer großen Wirksamkeit des Theaters zum Ausdruck bringt. Dieser Ansatz bedingt eine besondere Schauspieltechnik: Der Schauspieler muss ein Selbstopfer bringen, indem er sich bedingungslos hingibt, sich entblößt und sein Innerstes preisgibt. Um das „Arme Theater“ verstehen zu können und seine Wirkmechanismen theoretisch erfassen zu können, halte ich es für sinnvoll, Erkenntnisse der Ritualforschung anzuwenden, denn meiner Ansicht nach sind dem Theaterkonzept Grotowskis rituelle Dimensionen immanent. Zur Ritualisierung des „Armen Theaters“ hat auch Ronald Grimes schon 1982 einige Gedanken veröffentlicht, die meines Erachtens nicht sehr aufschlussreich sind. Er stellt die Methoden des Schauspieltrainings, also den Probenprozess, hinsichtlich der Ritualisierung über die eigentliche Aufführung und nimmt aufgrund der Beziehung zwischen Regisseur und Schauspieler eine gewisse Nähe der Probenarbeit zum Schamanismus an. Dies mag ein interessanter Aspekt sein, allerdings aus meiner Sicht kein Beweis der Ritualisierung auf einer allgemeinen systematischen Ebene. Darüber hinaus ist die Aufführung als Begegnung zwischen Schauspieler und Zuschauer ein entscheidendes Kontituens für Theater, vor allem im Sinne Grotowskis. Wenn die Frage nach der Ritualisierung des Theaters gestellt wird, muss der Untersuchungsgegenstand die Aufführung sein...
Inhaltsverzeichnis
- 1. Einleitung
- 2. Grenzüberschreitung in Ritual und Theater
- 3. Jerzy Grotowski: „Für ein Armes Theater“
- 3.1 Allgemeine Grundsätze des „Armen Theaters“
- 3.2 Grenzüberschreitungen in den Aufführungen des „Armen Theaters“
- 3.2.1 Der „heilige“ Schauspieler: Überschreitung von Körpergrenzen
- 3.2.2 Überschreitung gesellschaftlicher Tabugrenzen
- 4. Resümee
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Diese Arbeit untersucht die rituellen Dimensionen im „Armen Theater“ von Jerzy Grotowski. Ziel ist es, die spezifischen Grenzüberschreitungen in Grotowskis Konzept aufzuzeigen und anhand ritualtheoretischer Ansätze zu analysieren. Der Fokus liegt dabei auf der Aufführungssituation und der Beziehung zwischen Schauspieler und Zuschauer.
- Ritualisierung im Theater
- Grenzüberschreitung als zentrales Element
- Transformationsprozesse im „Armen Theater“
- Anwendung der Theorien von van Gennep und Turner
- Der „heilige“ Schauspieler und seine Rolle
Zusammenfassung der Kapitel
1. Einleitung: Die Einleitung führt in die Thematik ein und stellt Jerzy Grotowskis „Armes Theater“ als ein experimentelles Forschungsinstitut vor, das sich vom konventionellen Theater abgrenzt. Grotowskis Fokus liegt auf der Schauspieltechnik und der Beziehung zwischen Schauspieler und Zuschauer. Die Arbeit argumentiert für eine ritualtheoretische Betrachtungsweise des „Armen Theaters“, um dessen Wirkmechanismen zu verstehen. Sie kündigt die Anwendung der Theorien von van Gennep und Turner an und grenzt die eigene Herangehensweise von anderen Interpretationen ab, insbesondere derjenigen von Ronald Grimes.
2. Grenzüberschreitung in Ritual und Theater: Dieses Kapitel erläutert den Begriff der Grenzüberschreitung anhand von Arnold van Genneps Theorie der Übergangsriten. Van Genneps Drei-Phasen-Modell (Trennung, Schwellenphase/Umwandlung, Angliederung) wird vorgestellt, wobei die Schwellenphase als Zustand der Liminalität hervorgehoben wird. Das Kapitel beschreibt die Merkmale der Liminalität nach Victor Turner, betont deren kreatives Potenzial und die damit verbundenen Symbole der Ambiguität und Unbestimmtheit. Diese theoretischen Grundlagen bilden die Basis für die anschließende Analyse des „Armen Theaters“.
Schlüsselwörter
Armes Theater, Jerzy Grotowski, Ritual, Grenzüberschreitung, Transformation, Übergangsriten, van Gennep, Turner, Liminalität, Schauspielkunst, Körper, Gesellschaft, Tabu.
Häufig gestellte Fragen zu: Analyse des „Armen Theaters“ von Jerzy Grotowski
Was ist der Gegenstand dieser Arbeit?
Diese Arbeit analysiert die rituellen Dimensionen und die spezifischen Grenzüberschreitungen im „Armen Theater“ von Jerzy Grotowski. Der Fokus liegt auf der Aufführungssituation und der Beziehung zwischen Schauspieler und Zuschauer.
Welche Theorien werden angewendet?
Die Arbeit verwendet ritualtheoretische Ansätze, insbesondere die Theorien von Arnold van Gennep (Übergangsriten, Drei-Phasen-Modell: Trennung, Schwellenphase/Umwandlung, Angliederung) und Victor Turner (Liminalität). Diese Theorien dienen der Analyse der Grenzüberschreitungen im „Armen Theater“.
Was sind die zentralen Themen der Arbeit?
Zentrale Themen sind die Ritualisierung im Theater, Grenzüberschreitung als zentrales Element, Transformationsprozesse im „Armen Theater“, die Anwendung der Theorien von van Gennep und Turner, und die Rolle des „heiligen“ Schauspielers.
Wie ist die Arbeit strukturiert?
Die Arbeit besteht aus einer Einleitung, einem Kapitel über Grenzüberschreitungen in Ritual und Theater, einem Kapitel über das „Arme Theater“ von Grotowski mit Unterkapiteln zu den allgemeinen Grundsätzen und den Grenzüberschreitungen in den Aufführungen (inkl. Körpergrenzen und gesellschaftlicher Tabugrenzen), und einem Resümee. Sie enthält außerdem ein Inhaltsverzeichnis, eine Zusammenfassung der Kapitel und Schlüsselwörter.
Welche Aspekte des „Armen Theaters“ werden besonders betrachtet?
Die Arbeit konzentriert sich auf die Grenzüberschreitungen im „Armen Theater“, die sowohl körperlicher (z.B. des Schauspielers) als auch gesellschaftlicher (z.B. Tabubrüche) Natur sind. Die Analyse untersucht, wie diese Grenzüberschreitungen rituelle Dimensionen aufweisen und zu Transformationsprozessen bei Schauspielern und Zuschauern führen.
Wie grenzt sich die Arbeit von anderen Interpretationen ab?
Die Arbeit grenzt sich von anderen Interpretationen, insbesondere derjenigen von Ronald Grimes, ab, indem sie eine ritualtheoretische Perspektive einnimmt, um die Wirkmechanismen des „Armen Theaters“ zu verstehen.
Was ist die Zielsetzung der Arbeit?
Die Arbeit will die spezifischen Grenzüberschreitungen in Grotowskis Konzept des „Armen Theaters“ aufzeigen und anhand ritualtheoretischer Ansätze analysieren.
Welche Schlüsselwörter beschreiben die Arbeit?
Schlüsselwörter sind: Armes Theater, Jerzy Grotowski, Ritual, Grenzüberschreitung, Transformation, Übergangsriten, van Gennep, Turner, Liminalität, Schauspielkunst, Körper, Gesellschaft, Tabu.
Was ist das „Arme Theater“ nach Grotowski?
Die Arbeit stellt das „Arme Theater“ als ein experimentelles Forschungsinstitut vor, das sich vom konventionellen Theater abgrenzt und den Fokus auf Schauspieltechnik und die Beziehung zwischen Schauspieler und Zuschauer legt.
Wie wird die Liminalität im Kontext des „Armen Theaters“ verstanden?
Die Liminalität, der Zustand der Schwellenphase in van Genneps Modell, wird als Zustand der Ambiguität und Unbestimmtheit beschrieben, der ein kreatives Potenzial birgt und im „Armen Theater“ durch die Grenzüberschreitungen der Schauspieler und Zuschauer erzeugt wird.
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- Janine Dahlweid (Author), 2004, Rituelle Dimensionen des Theaters. Analyse des "Armen Theaters" von Jerzy Grotowski, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/37532