Das Bestreben dieser Arbeit liegt darin, das Konzept des performativen Religionsunterrichts auf seine Tauglichkeit hin zu überprüfen, unterstrichen durch einen praktisch ausgeführten Unterrichtsversuch an dem konkreten Handlungsfeld Kirchenraum. In diesem soll Religion für die Schülerinnen und Schüler erlebbar werden, gemäß auch der Verlautbarung des Sekretariats der Deutschen Bischofskonferenz 2005 und der darin enthaltenen Textpassage: „Der Religionsunterricht macht mit Formen gelebten Glaubens vertraut und ermöglicht Erfahrungen mit Glaube und Kirche“. Allerdings ist es unabdingbar zur Umsetzung dieses Vorhabens, gleichermaßen zur Klärung nachfolgender Kontroversen, vorerst eine begriffliche Klärung zu vollziehen, was unter performativen Religionsunterricht verstanden werden kann.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Zum Terminus Performativen Religionsunterrichts
2.1 Performativität
2.2 Performance
2.3 Die Polstellung von Performativität und Performance
3. Begründungsmomente für einen performativen Religionsunterricht
3.1 Entwicklungslinien
3.2 Wandel der religiösen Situation von Schülerinnen und Schüler
3.3 Der Drang nach Teilhabe
3.4 Die Notwendigkeit der Darstellung
4. Erfahrungen
4.1 Zum Terminus der Erfahrung
4.2 Der Nutzwert von Erfahrung
4.3 Das „Nutzbarermachen“ von Erfahrungen
5. Anforderungen an die Lehrkraft im performativen Religionsunterricht
5.1 Beheimatung in der eigenen Religion
5.2 Ambiguitätstoleranz
5.3 Spiritualität und liturgische Kompetenz
5.4 Die Beziehungsfähigkeit
6. Kritische Sichtweisen
7. Performative Religionsdidaktik am Handlungsfeld Kirchenraum
7.1 Kirchenraum - Ort gelebten Glaubens
7.1.1 Annäherung an das Heilige
7.1.2 Darstellung und Begegnung des Heiligen
7.1.3 Das Heilige reflektieren
7.2 Prinzipien der Kirchenraumpädagogik
8. Vom Kirchenraum zum Erfahrungsraum - eine praktische Umsetzung
8.1 Rahmenbedingungen
8.2 Organisatorische Maßnahmen
8.3 Konzeption der Kirchenraumerkundung im Sinne des performativen Religionsunterrichts
8.3.1 Die Phase der Annäherung
8.3.2 Die Phase der Darstellung
8.3.3 Die Phase der Reflexion
9. Durchführung der Untersuchung
10. Darstellung der Ergebnisse
10.1 Begründungsmomente
10.2 Lehrerkompetenzen
10.3 Erfahrungs- und Urteilsbildung
10.4 Kritik
11. Würdigung
Literaturverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
Anhang
1. Einleitung
„Glaube ist eine Erfahrung.“[1] Dieser phrasenhaft anmutende Lehrsatz spiegelt einen Kern des in jüngster Zeit, in religionspädagogischen Debatten häufig diskutierten Ansatzes des Performativen Religionsunterrichts wider, welcher es heutigen Kindern und Jugendlichen ermöglichen soll, fehlende originäre religiöse Erfahrungen wiederzuerlangen bzw. mit diesen in Kontakt zu treten.
Das Ermöglichen religiöser Erfahrungen scheint gerade zu Zeiten des viel zitierten und wahrnehmbaren „Traditionsabbruchs“ von Kindern und Jugendlichen mit deren Religion, einhergehend mit religiöser Analphabetisierung, von hohem Wert zu sein[2]. Die immanente Herausforderung im Umgang mit dieser zentralen Problematik wird deutlich durch Bernhard Dresslers thematisch treffender Gedanken. Er postuliert, dass das, was bislang noch als in Familie und Kirche vermittelter Gegenstand des aufarbeitenden Nachdenkens vorauszusetzen war, heute von fehlender Existenz durchzogen ist und im Sinne religiöser Bildung nicht mehr reflexiv-nachdenkend bearbeitet werden kann[3]. Eben diese heutigentags vorfindliche fragile Religiosität von Schülerinnen und Schülern gefährdet zunehmend die Zielerreichung religiöser Lehr-Lernprozesse und bedarf daher umso dringlicher Maßnahmen wie der der performativen Religionsdidaktik. Maßnahmen, wie bereits angedeutet wurde, welche sich in einem veränderten Präsentationsmodus darstellen, bei dem die Kinder und Jugendlichen in der tätigen Aneignung und Transformation vorgegebener religiöser Ausdrucksgestalten eigene religiöse Erfahrungen erleben dürfen[4].
Gleichwohl darf nicht angenommen werden, dass eine Konzeption wie die des performativen Religionsunterrichts die Heilung inklusive vorbeugender Wirkung allen religionspädagogischen Übels und den damit in Verbindung stehenden Kontextfaktoren darstellt. Das bedeutet, dass ebenso auch kritischen Stimmen Gehör geschenkt werden muss, welche eine Eignung performativen Vorgehens im Religionsunterricht in Frage bzw. die Zukunftsfähigkeit dieses Konzepts in Abrede stellen[5].
Dahingehend liegt das Bestreben dieser Arbeit, das Konzept des performativen Religionsunterrichts auf seine Tauglichkeit hin zu überprüfen, unterstrichen durch einen praktisch ausgeführten Unterrichtsversuch an dem konkreten Handlungsfeld Kirchenraum. In diesem soll Religion für die Schülerinnen und Schüler erlebbar werden, gemäß auch der Verlautbarung des Sekretariats der Deutschen Bischofskonferenz 2005 und der darin enthaltenen Textpassage: „Der Religionsunterricht macht mit Formen gelebten Glaubens vertraut und ermöglicht Erfahrungen mit Glaube und Kirche“[6]. Allerdings ist es unabdingbar zur Umsetzung dieses Vorhabens, gleichermaßen zur Klärung nachfolgender Kontroversen, vorerst eine begriffliche Klärung zu vollziehen, was unter performativen Religionsunterricht verstanden werden kann.
2. Zum Terminus Performativen Religionsunterrichts
Die neue Begrifflichkeit des performativen Religionsunterrichts wurde von didaktischer Seite von zwei Polen her betrachtet, der Performance und der Per- formativität, da der deutsche Begriff der Performanz beide genannten Bedeutungen in sich vereint, die Bedeutungen beider Wörter aber im zu untersuchenden Bereich doch deutlich differieren[7]. Durch diese gerade erwähnte Polstellung kann von vornherein von einem Spannungsverhältnis ausgegangen werden, welches aber keineswegs unter dem Aspekt einer negativen Konnotierung gesehen werden darf, sondern wie im Folgenden aufgezeigt wird, unter einer Art Wahlmöglichkeit zweier verschiedener Grundzugangsweisen hin zu einem performativen Religionsunterricht und einer dadurch möglichen Annäherung beider Begrifflichkeiten.
2.1 Performativität
Um Performativität und die damit verbundene Besonderheit religiöser Sprache im Kontext des Religionsunterrichts zu erörtern, bietet es sich vorerst an, Ludwig Wittgensteins maßgebliche Grundsteinlegung diesbezüglich näher zu betrachten. Dieser wandte sich in seinen „Philosophischen Untersuchungen“ der Alltagssprache, den Sprachspielen und den vielfältigen, gleichberechtigten Sprachhandlungen zu[8]. Sprachspiele verdeutlichen nach Wittgenstein, dass Wörter, werden sie gebraucht nicht nur gebraucht werden, sondern stets damit ein Handlungszusammenhang in Verbindung steht, welcher über das bloße Sprechen weit hinausgeht und somit jeder sprachliche Gebrauch mit einer nichtsprachlichen Handlung verwoben zu sein scheint[9]. Diesbezügliche Sprachspiele, beinhaltend beispielsweise das Befehlen, Erzählen, Übersetzen, Theater spielen, Singen, Rätsel raten, Bitten, Danken, Fluchen, Grüßen und Beten, wurden auch in Teilen von John R. Searle und John L. Austin untersucht und im Zuge dessen eine performative, darin enthaltene Kraft entdeckt, die wiederum eine Verpflichtung des Sprechers anzeigt[10].
Beruhend auf weiteren Untersuchungen wurde die sogenannte Sprechakttheorie nach John L. Austin und John R. Searle entwickelt, welche maßgeblich zur Begründung von Performativität herangezogen wurde. In speziell Austins posthum veröffentlichter Vorlesungsreihe „How to Do Things with Words“ untersuchte er spezifische sprachliche Handlungen, welche nicht nur etwas aussagen, sondern zugleich eine Wirklichkeit setzen[11].
Um dieses Gedankenkonstrukt nachzuvollziehen scheint ein Beispiel sinnvoll. Man nehme dafür eine von Austins viel zitierten performativen Äußerungen: „Ich verspreche dir, ...“[12] und ergänzt es mit einer augenscheinlich trivialen Aussage „Einkaufen zu gehen“. Wie gerade bereits angedeutet, soll hier vordergründig keine Tatsache festgestellt, sondern eine Wirklichkeit bzw. Tatsache geschaffen werden. Die Tatsache oder Wirklichkeit, dass durch das Versprechen eingekauft wird, welches somit den performativen Charakter nach Austin entspricht und Parallelen zu Wittgenstein deutlich werden lässt. Indem man nun den gerade genannten Satz zum Ausdruck bringt, vollzieht man folglich eine Handlung, mit der man Folgen beabsichtigt und Wirkungen erzielt[13].
Gerade auf dem Gebiet der Religion und der damit verbundenen religiösen Sprache lassen sich für den Religionsunterricht geeignete sprachliche Handlungen ausmachen, welche eine Wirklichkeit und einen Wirkzusammenhang setzen, beispielsweise in einem Gebet, einem Segen, einem Lob-Psalm oder einem Gelübde[14]. Bei diesen dadurch entstehenden religiösen Aussagen handelt es sich nicht nur um Feststellungen, sondern um eine intentionale Ausdruckshandlung im Kontext komplexer ritueller Vollzüge, was allerdings noch keine Aussage über die erhoffte Wirkung bei den Sprechenden bzw. dem erhofften Ergebnis des Initiators dieser Sprechhandlungen zulässt[15].
Deshalb muss an dieser Stelle festgehalten werden, dass performative Äußerungen, unabhängig davon in welchem Kontext sie gesprochen werden, durchaus misslingen bzw. scheitern können, allein schon dann, wenn ein wesentliches Kriterium performativer Äußerungen - die Aufrichtigkeit - fehlt. Austin schrieb diesbezüglich treffende Gedanken nieder: „Wenn, wie oft, das Verfahren für Leute gedacht ist, die bestimmte Meinungen oder Gefühle haben, oder wenn es der Festlegung eines der Teilnehmer auf ein bestimmtes späteres Verhalten dient, dann muss, wer am Verfahren teilnimmt und sich so darauf beruft, die Meinungen und Gefühle wirklich haben, und die Teilnehmer müssen die Absicht haben, sich so und nicht anders zu verhalten.“[16] Für unterrichtliche Vorhaben bedeutet das zum einen, dass wenn eine Handlung bzw. Sprechhandlung unter Zwang vollzogen wird, sie verunglückt, sie misslingt, denn der Sprecher ist aufgrund des Zwangs nicht an die, aus der Sprechhandlung resultierenden Konsequenzen gebunden[17]. Zum anderen misslingen performative Äußerungen nicht nur im Kontext Zwang. Ebenso kann ein zwangloses Theaterstück in der Schule aufgrund fehlender Ernsthaftigkeit bezüglich der darin gemachten Sprechhandlungen scheitern[18]. Die Äußerungen der Schauspieler sind unernst und Aussagen wie „Ich verspreche dir, dieses oder jenes zu tun oder zu unterlassen“ sind frei von jeglicher tatsächlich durchzuführender Konsequenz.
Allerdings muss angemerkt werden, dass nicht per se jede Sprechhandlung, sei sie mit Zwangscharakter oder fehlender Ernsthaftigkeit behaftet, frei von jeglicher Aufrichtigkeit ist, denn es liegt in der individuellen Entscheidung eines Jeden, Zwang und den vermuteten, fehlenden Ernst durch eigene, aufrichtige Überzeugungen verblassen zu lassen.
Zusammenfassend soll von religionspädagogischer Seite gesehen Performativi- tät im Religionsunterricht und der damit verbundenen Verwendung von religiösen Sprechhandlungen Schülerinnen und Schülern die Bedeutung und intendierte Wirkung beispielsweise eines Gebets, eines Segens, eines Lobpreises und eines Versprechens begreiflich werden lassen[19]. Somit kann in diesem Sinne performativer Religionsunterricht als ein Vorhaben verstanden werden, welches Kindern und Jugendlichen im Unterricht nicht nur Mitteilungen über das Fach macht und Informationen darüber bereithält, sondern wie bereits angeführt Vollzüge in religiöser Hinsicht bietet und Erfahrungen mit Religion zulässt. Dieses Angebot wird nicht selten als Probehandeln bezeichnet[20].
2.2 Performance
Nach Klärung der Begrifflichkeit Performativität soll vervollständigend die Bedeutung des bereits erwähnten Gegenpols Performance herausgearbeitet werden und in Kontext des Religionsunterrichts gebracht werden.
Unter Performance kann grundsätzlich eine Handlung verstanden werden, welche etwas zum Ausdruck und zur Anschauung bringen soll und ist der Kunst und insbesondere dem Theater verpflichtet[21]. Somit soll über Performance Religion selbst inszeniert werden, wodurch sich unweigerlich die Frage aufdrängt, was genau unter einer solchen Inszenierung zu verstehen ist[22]. Der Begriff der Inszenierung fand zu Beginn des 19. Jahrhunderts Eingang in die deutsche Sprache und wurde zunächst als Modebegriff gehandelt, wies allerdings schon auf die sich wandelnde Rolle des Regisseurs hin, nicht mehr nur das Vorgegebene umzusetzen, sondern es tatsächlich „In Szene zu setzen“, es mit verfügbaren Mitteln zu ergänzen und in der Gesamtheit der Anschauung in dessen Wirkung zu verstärken[23].
Nun drängen sich unweigerlich die Fragen auf, wer speziell im Religionsunterricht die Regie des zu Inszenierenden übernimmt, wer Anteil an der Perfor- mance und der damit in Verbindung stehenden Arbeit bzw. Vorbereitung hat. Geht man vom oben genannten Wortgebrauch des Regisseurs und der darin implementierten Singularität aus, fiele diese Aufgabe zum einen wie bereits angedeutet einer einzelnen Person zu, zum anderen aufgrund der in der Umsetzung beinhalteten didaktischen Absicht einer dafür vorgesehenen Fachkraft zu, der Lehrkraft. Sollten aber nicht auch Schülerinnen und Schüler Verantwortung für Inszenierungen übernehmen, Möglichkeiten haben, bereits verfügbare Mittel der Inszenierung mit eigenen zu ergänzen[24] ? Diese Fragestellung gilt es zu bejahen, denn durch den schon anfänglichen Einbezug der Schülerschaft finden als gleich Auseinandersetzungen mit der zu bearbeitenden Thematik statt, das Interesse wird geweckt und das geforderte leibhaftige Erfahren von Religion wird dadurch gefördert[25].
Dass nun der oben erwähnte Ausdruck und eine dadurch entstehende Anschauung hervorgebracht werden kann, beansprucht eine Performance bzw. synonym dazu die Inszenierung zunächst einmal eine Spielvorlage beispielsweise im Sinne eines Stücks, welches sie mit einer ihr angemessenen Dramaturgie versieht[26].
Somit wäre eine beispielhafte Möglichkeit für eine Inszenierung im Religionsunterricht die szenische Darstellung einer biblischen Geschichte, welche innerhalb eines bestimmten Zeitraums in eine Ausdruckshandlung von Schülerseite her übersetzt werden soll. Biblische Geschichten allerdings stehen in aller Regel in einer deutlichen Grunddistanz zur vorfindlichen Schülerschaft, sie sind behaftet mit Unklarheiten, schwer zugänglicher Sprache und Brüchen. Durch das alleinige Lesen derartiger Texte wird die bereits genannte Distanz nur selten geschmälert, gar überwunden werden. Doch gerade aufgrund einer derartigen Problematik zeigt sich der Mehrwert performativen Vorgehens. Denn durch das szenische Darstellen sollten den Schülerinnen und Schülern Möglichkeiten, gleichzeitig unter Einbringung eigener Vorschläge und Ideen eröffnet werden, selbst in diese Geschichten hineinzugehen, den darin handelnden Figuren zu begegnen und sich in ihren Räumen zu bewegen[27]. Hierdurch wird es der Schülerschaft ebenfalls ermöglicht, einen Prozess des Hineindenkens in Religion zu durchlaufen, ebenso wird dieser neue Sichtweisen auf die damit verbundene Wirklichkeit eröffnet[28].
Somit verwandelt man im Religionsunterricht mit den Mitteln einer Inszenierung Gedrucktes im Gestus des Spiels in Vorgänge, bei denen etwas mitgeteilt oder gezeigt wird und zwar vor jemanden und für jemanden[29].
2.3 Die Polstellung von Performativität und Performance
Wie es bezüglich des Terminus performativen Religionsunterrichts bereits einleitend beschrieben wurde, differieren beide genannten Pole doch deutlich voneinander, nimmt man vor allem Austins Äußerungen zur Performativität und der damit verbundenen Sprechakttheorie zur Hand. Von besonderer Bedeutung ist in diesem Kontext der Aspekt der Aufrichtigkeit, welcher nach Austin maßgeblich für das Gelingen performativer Äußerungen ist. Aus Sicht der Performativität also kann Performance nur schwerlich verwirklicht werden, denn inwieweit kann beispielsweise bei der Inszenierung einer biblischen Geschichte der Aspekt der Aufrichtigkeit seitens der Darstellenden erwartet werden. Gleichzeitig bleibt das Darstellen einer biblischen Geschichte für die Schülerinnen und Schüler frei von jeglicher verpflichtender und zu tragender Konsequenz. Dies zieht unweigerlich die Folgerung nach sich, dass ein nach Austin unernster Gebrauch performativer Sprachakte vorliegen würde und dadurch auch zum Scheitern käme[30]. Turner hält dieser Auffassung allerdings die Tatsache entgegen, dass eine Darstellung, sei sie nun inszeniert oder ein „echter“ Akt, bei den Kindern und Jugendlichen ein tieferes Verstehen anbahnt, ein Erfahren ermöglicht[31].
Diese Ansicht auf Performanz bahnt eine Art Kompromiss dieser zweier Pole, der Performativität und der Performance an. Der Kompromiss soll hier als Ziel verstanden werden, welches beide Grundzugangsweisen verfolgen, dass eben nicht alleine über Informationen bzw. Texte im Kontext der Religion gesprochen wird, sondern diese selbst sollen „zur Sprache und zum Ausdruck“ kommen[32]. Folglich muss in einem performativen Religionsunterricht nach Möglichkeiten gesucht werden, Inhalte aktiv zu gestalten bzw. zu inszenieren, was ebenfalls im Sinne des aktuellen wie vorangegangen „Hirtenworts“ zum Religionsunterricht ist[33].
3. Begründungsmomente für einen performativen Religionsunterricht
Nach dem gerade getätigten Vollzug begrifflicher Klärungen bezüglich des performativen Religionsunterrichts bietet es sich im Folgenden an, Entwicklungslinien inklusive damit verbundener Begründungsmomente näher und ausführlicher zu beleuchten, da diese gerade bezüglich der Überprüfung hinsichtlich der Funktionalität performativen Vorgehens im Religionsunterricht von besonderer Bedeutung sind.
3.1 Entwicklungslinien
Beginnend bei den Entwicklungslinien muss anfangs Rückgriff auf die in den Jahren von 1971 bis 1975 zustande gekommene Gemeinsame Synode der Bistümer in der Bundesrepublik Deutschland, auch Würzburger Synode genannt, genommen werden, welche das Anliegen des Zweiten Vatikanischen Konzils zu konkretisieren versuchte und dabei in einem darin enthaltenen Beschlusstext „Der Religionsunterricht in der Schule“ (1974) wichtige Standortbestimmungen und Perspektiven aufgezeigt hat[34]. Grundsätzlich soll diesbezüglich der Religionsunterricht eine mündige Glaubensentscheidung vorbereiten und zur Bewältigung des Lebens beitragen, um dadurch auch für dieses und kommende Jahrzehnte legitimiert zu sein[35]. Die Existenz des Glaubens und die dahinter stehende Tradition sollen sich folglich schlicht wechselseitig ergänzen und gegenseitig erhellen. Um diesem Vorhaben beizukommen, haben zu diesem Zeitpunkt Bemühungen stattgefunden, eine Trennung von Gemeindekatechese und Religionsunterricht zu erwirken. Dadurch sollen konfessionalistische Engführungen religiöser Erziehung fortan vermieden werden, um auch Glaubenssuchende wie ungläubige Schülerinnen und Schüler in den Religionsunterricht miteinbeziehen zu können, folglich nicht nur diejenigen, welche glauben bzw. gewillt sind dies zu tun[36].
Konkretisiert wurden nun die oben genannten Perspektiven in den vier bekannten Zielrichtungen für den Religionsunterricht in der Schule wie folgt:
- „er weckt und reflektiert die Frage nach Gott, nach der Deutung der Welt, nach dem Sinn und Wert des Lebens und nach den Normen für das Handeln der Menschen und ermöglicht eine Antwort aus der Offenbarung und aus dem Glauben der Kirche;
- er macht vertraut mit der Wirklichkeit des Glaubens und der Botschaft, die ihm zugrunde liegt und hilft, den Glauben denkend zu verantworten;
- er befähigt zu persönlicher Entscheidung in Auseinandersetzung mit Konfession und Religion, mit Weltanschauungen und Ideologien und fördert Verständnis und Toleranz gegenüber der Entscheidung anderer;
- er motiviert zu religiösem Leben und zu verantwortlichem Handeln in Kirche und Gesellschaft.“[37]
Betrachtet man eben diese vier Perspektiven für den Religionsunterricht an Schulen näher, so wird es offensichtlich, dass eine deutliche Nähe zum perfor- mativen Religionsunterricht, gerade bezüglich der zweiten Zielrichtung, „er macht vertraut mit der Wirklichkeit des Glaubens“ ersichtlich wird, soll doch der performative Religionsunterricht religiöse Vollzüge den Schülerinnen und Schülern aufzeigen und ihnen diese von der jeweiligen Tradition her gesehen erläu- tern[38].
Nach dem gerade vollzogenen Abgleich der zweiten Zielperspektive und der Intention, welche für ein performatives Vorgehen im Unterricht spricht, lassen sich zwar Tendenzen hin zu einem performativen Religionsunterricht ausmachen, jedoch nicht in Gänze. Somit ist performativer Religionsunterricht in diesem Sinne keine neue Sonderform und auch keine neue Konzeption, doch er ergänzt das bisherige Zielspektrum in Richtung Religion und Theologie in Verbindung mit religiösen Erfahrungen[39].
Die gemeinsame Synode der Bistümer in der Bundesrepublik bewies sich für lange Zeit als tragfähiges Konzept für die religionsunterrichtliche Situation an Schulen, was sich allerdings durch den bereits einleitend beschriebenen Traditionsabbruch ändern sollte. Forciert wurde dieser durch den „Fall der Mauer“ und der damit einhergehenden Wiedervereinigung, inklusive der damit in Verbindung stehenden Implementierung des Artikels 7 Abs. 3 GG, welcher Religionsunterricht an öffentlichen Schulen zu einem ordentlichen Lehrfach werden ließ[40]. In der Gesamtheit bedeutete dies, dass die Würzburger Synode nun mit zwei sich gegenseitig stärkenden Problemstellungen konfrontiert wurde, dem Traditionsabbruch und Schülerinnen und Schülern aus den neuen Bundesländer, mit deren absolut marginal ausgeprägten Bezügen zu Religion und den damit einhergehenden Lebensbereichen[41]. Diesen schwerwiegenden Veränderungen konnte das zu diesem Zeitpunkt Jahrzehnte alte Hirtenwort folglich nichts entgegensetzen und galt bezüglich dieser Problematik als obsolet.
Diesem genannten Problempunkt der religiösen Enttraditionalisierung von Schülerinnen und Schülern, welchem im folgenden Kapitel nähere Beachtung geschenkt wird, war neben anderen Problemstellungen ausschlaggebend für das am 16. Februar 2005 beschlossene Dokument „Der Religionsunterricht vor neuen Herausforderungen“ der Deutschen Bischofskonferenz[42]. Die darin enthaltenen Forderungen an den Religionsunterricht an Schulen ergeben sich aus der bereits skizzierten Situationsbeschreibung. Diese Forderungen weisen nun im Gegensatz zur Würzburger Synode nicht mehr nur Tendenzen hin zu einem performativen Religionsunterricht auf, sondern lassen deutliche Parallelen und Deckungen erkennen. Religionsunterricht soll nun nicht mehr nur mit der Wirklichkeit des Glaubens vertraut machen, er soll ergänzend, wie einleitend bereits beschrieben, mit Formen gelebten Glaubens vertraut machen und Erfahrungen mit Glaube und Kirche den Kindern und Jugendlichen ermöglichen[43]. Diesen Anforderungen kann ein performatives Vorgehen im Religionsunterricht nachkommen und unterstreicht dadurch dessen Notwendigkeit.
3.2 Wandel der religiösen Situation von Schülerinnen und Schüler
Wie bereits erwähnt ist der sogenannte Traditionsabbruch von Kindern und Jugendlichen mit derer Religion deutlich spürbar und drückt sich aus in einer wachsenden Zahl von Schülerinnen und Schülern, welche zwar am Religionsunterricht teilnehmen, allerdings ohne wirklich daran teilnehmen zu können. Das „Nichtkönnen“ zeigt sich dadurch, dass eine Vielzahl der am Religionsunterricht Teilnehmenden noch kaum Erfahrungen mit gelebtem Glauben haben, ihnen grundlegende Vollzugsformen des Glaubens und der Kirche wie beispielsweise die sonntägliche Liturgie fremd sind, folglich der Bezug zur Religion nicht oder nur kaum vorhanden ist[44]. Somit befindet sich eine Vielzahl heutiger Schülerinnen und Schüler in einer für sie befremdlichen Unterrichtspraxis mit damit einhergehenden fehlenden Anknüpfungspunkten für das Leben außerhalb der Institution Schule.
Um nun einer derartig gelagerten Situation entgegenzuwirken, anders ausgedrückt könnte man sogar von einem bereits vorangeschrittenem „Niedergang christlicher Tradition“ reden, muss vorab eine Klärung der Frage stattfinden, welche Gründe bzw. Bedingungen für die Entstehung dieser Problematik ausschlaggebend sind und waren. Denn das Wissen über Gründe und Bedingungen eines problembehafteten Zustands ist von immanenter Wichtigkeit, um auch angemessen darauf reagieren zu können und interventive wie präventive Maßnahmen dagegen einleiten zu können.
Ein wesentlicher Grund für den voranschreitenden Traditionsabbruch sind die für die Kinder und Jugendlichen fehlenden, allerdings für die Auseinandersetzung mit Religion unabdingbaren, soliden religiösen Sozialisationsvoraussetzungen seitens der Eltern[45]. Der elterlichen Rolle muss aus dem Grund Beachtung geschenkt werden, da diese für ihre Kinder die erste ihnen zur Verfügung stehende Sozialisationsinstanz darstellen, da keine Institution von Anfang an bezüglich sich anbahnender religiöser Defizite kompensierend wirken kann. Allerdings, versteht man religiöse Sozialisation im engeren Sinne als christlichkirchliche Erziehung, muss festgehalten werden, dass diese in den Familien in der heutigen Zeit faktisch weitgehend ausfällt und daher von einer „Aufkündigung des Bundes zwischen Familie und Kirche gesprochen werden kann bzw. muss[46]. Aufkündigungsgründe gibt es viele, angefangen bei der voranschreitenden Glaubensunsicherheit und religiösen Sprachlosigkeit seitens der Erziehungsberechtigten bis hin zu der damit einhergehenden Distanz zu Glaube und Kirche[47]. Diese Fakten verschärfen in hohem Maße die prekäre Lage religiöser Sozialisation. Geht man nun davon aus, dass Kinder und Jugendliche eine von ihren Eltern unzureichende religiöse Erziehung erfahren haben, werden diese als künftige Elterngeneration mit hoher Wahrscheinlichkeit ein ähnlich marginal ausgeprägtes religiöses Erziehungsverhalten zeigen, was einen immer wiederkehrenden Teufelskreis bezüglich diesem speziellen Erziehungsverhalten auslösen kann.
Ein weiterer Aspekt für den vorliegenden Traditionsabbruch ergibt sich aus der heute vorfindlichen Lebenswelt der Schülerinnen und Schüler, welche von Pluralität durchzogen ist. Diese wirkt sich auf alle gesellschaftlichen Lebensbereiche aus, folglich ebenso auf die Religion. Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes leben 16,3 Millionen Menschen mit Migrationshintergrund in der Bundesrepublik, was nahezu jedem fünften Einwohner entspricht[48]. Migration darf gerade in diesem Kontext nicht nur als reiner Wechsel von Personen zwischen Staaten, welcher auf Dauer ausgerichtet ist, angesehen werden. Denn den Akt der Migration vollzieht der Mensch nie „gepäcklos“. „Im Gepäck“ haben Menschen ihre eigene Kultur und ihre darin enthaltene Religion, welche sie in aller Regel zu bewahren versuchen, da es nicht selten der einzige Besitz ist, welcher ihnen in dieser Situation verblieben ist. Daher verwundert es kaum, dass in der Bundesrepublik, berücksichtigt man oben genannte Statistik, neben dem evangelischen wie katholischen Glauben auch andere Religionen auf den konfessionellen Angebotsmarkt drücken. Neben dem Islam, welcher doch schon als kleiner Bruder der evangelischen wie katholischen Kirche bezeichnet werden kann, zeichnen sich weitere in der Bundesrepublik aufkeimende Religionen und kleinere Religionsgemeinschaften inklusive der darin enthaltenen Vielfalt ab[49]. Beseitigt man nun das Problem der infantilen Amnesie und versetzt sich in die Lage heutiger Schülerinnen und Schüler wird schnell deutlich, dass aufgrund der religiösen Pluralität damit schon fast zwingend, geht man vom oben genannten, immer häufiger fehlenden religiösen Background der Familie aus, Orientierungslosigkeit in Sachen Religion und der damit verbundenen Zugehörigkeit resultieren muss[50]. Bestärkt wird diese Orientierungslosigkeit nicht nur durch die Darbietung einer Vielzahl vorhandener Religionsgemeinschaften, sondern auch durch die innerhalb der Religionsgemeinschaften auftretenden divergierenden religiösen Überzeugungen und religiös geprägten Lebensstile[51].
Daher verwundert das vermehrte Auftreten diffuser Religiosität kaum, welche durch eine individuelle Verbindung unterschiedlicher, auch widersprüchlicher religiöser und säkularer Vorstellungen und Praktiken zum Ausdruck kommt[52]. „Religion wird zunehmend als eine subjektive Angelegenheit ohne Bezug zu einer Gemeinschaft und ihrer Tradition verstanden und gelebt.“[53] Die gerade genannten Punkte, welche den vorhandenen Traditionsabbruch untermauern, dürfen nicht nur als defizitäres Moment für die religionsunterrichtli- che Praxis gesehen werden, sondern auch als Herausforderung dieser Problematik durch entsprechende Konzepte beizukommen, wie die des performativen Religionsunterrichts. Performativer Religionsunterricht kann zum einen bezüglich der wenig ausgeprägten religiösen Sozialisation seitens der Eltern als eine Art Auffangnetz agieren, um Schülerinnen und Schülern fehlende religiöse Erfahrungen mit dem Glauben und der Kirche zu ermöglichen, ihnen Wege aufzeigen, in die ihnen vielfach fremd wirkende Materie einzutauchen. Ebenso ermöglicht der Weg des performativen Vorgehens im Religionsunterricht den Fachleuten, Kindern und Jugendlichen Grund- und Orientierungswissen bezüglich der Religion näher zu bringen, was somit ein interventives wie präventives Mittel gegen die oben genannte Orientierungslosigkeit darstellt.
Allerdings, und das muss an dieser Stelle Erwähnung finden, darf man den performativen Religionsunterricht nicht als Kompensator ausfallender religiöser Erziehung und Sozialisation der der Schülerschaft umgebenden Familie angesehen werden, sondern wie bereits erwähnt als eine Art Auffangnetz, denn derartige Anstrengungen mit dem Ziel einer Kompensation, sprich eines vollständigen Ausgleiches von Defiziten, würden den Religionsunterricht überfordern und zum Scheitern bringen[54].
3.3 Der Drang nach Teilhabe
Wie einleitend unter Kapitel 3.2 beschrieben, gibt es eine wachsende Zahl von Schülerinnen und Schüler, welche zwar am Religionsunterricht teilnehmen, allerdings ohne wirklich daran teilnehmen zu können. Das „Nichtkönnen“ und die damit in Verbindung stehenden Gründe dürfen allerdings nicht zu einer fehlgeleiteten Annahme führen, dass die Kinder und Jugendlichen nicht am Religionsunterricht teilnehmen wollen. Eher Gegenteiliges darf angenommen werden. Schülerinnen und Schüler wollen durchaus und haben das Bedürfnis, geht man von stimmigen Rahmenbedingungen innerhalb des unterrichtlichen Geschehens aus, religiöse Vollzüge kennenzulernen[55]. Allerdings muss das „Wollen“ der Schülerschaft, wie bereits angedeutet, angestoßen bzw. ermöglicht werden. Dahingehend gilt es zu vermeiden, innerhalb des Religionsunterrichts eine Mentalität entstehen zu lassen, bei dieser es lediglich gewünscht ist, Gedanken zu bewegen nicht aber den Körper[56]. „Wer Schülerinnen und Schüler als Subjekte ernst nimmt, wird nicht ihre vorhandenen Bedürfnisse unterdrücken, sondern diese produktiv und positiv in die Lernprozesse einbinden - in Körpererfahrungen, in Fantasiereisen, in Interaktionsübungen oder in erfahrendem Spiel.“[57] Diesen Bedürfnissen lässt sich nachkommen, wenn sie sich ganzheitlich, mit Leib und Seele, mit Kopf, Herz und Hand am religionsunterrichtlichen Geschehen beteiligen können[58]. Das oben genannte Ermöglichen eines derartigen Unterrichts stößt gleichzeitig auch das Wollen an, denn Handlungsspielräume, tatsächliche Möglichkeiten eigene, für die Schülerschaft dann auch leichter zu fassende Erfahrungen und Vollzugsformen wirken motivierend. Nun können die Kinder und Jugendlichen die im Unterricht allzu oft eingeforderte Beobachterperspektive verlassen und in Auseinandersetzung mit dem jeweiligen Unterrichtsgegenstand selbst tätig werden, dadurch auch tiefer verstehen. Das tiefere Verstehen und der damit einhergehende Mehrwert, welcher der Schülerschaft zukommt, wird vielfach belegt. Als Beispiel für einen derartigen Beleg sei die American Audiovisuell Society genannt. Diese fand heraus, dass die menschliche Behaltensleistung bezüglich eines konkreten Lerngegenstands in Abhängigkeit der Tätigkeiten der Schülerinnen und Schüler stark variiert[59]. Hören Kinder und Jugendliche im unterrichtlichen Geschehen lediglich zu bzw. sehen zu, welche Tätigkeiten die Lehrkraft durchführt, beläuft sich ihre Behaltensleistung im Schnitt auf zwischen 20 und 30 Prozent; formulieren die Schülerinnen und Schüler nun selbst Beiträge zu dem jeweiligen Lerngegenstand oder setzen sich damit handelnd auseinander und werden selbst tätig, steigt die Behaltensleistung auf 80 bis 90 Prozent an[60]. Das Gewähren und Berücksichtigen des Drangs nach Teilhabe seitens der Schülerschaft bringt somit eine für performative Vorgehensweisen wichtige Doppelfunktion mit sich - Schülerinnen und Schüler können Erfahrungen machen bei gleichzeitig höherer kognitiver Aktivierung wie Behaltensleistung.
Um nun eine unterrichtliche Einführung in die Wissensformen des Glaubens inklusive nachhaltiger Wirkung zu erzeugen, muss ein, wie schon erwähnt, Vertrautmachen mit Vollzugsformen des Glaubens erfolgen[61]. Umsetzen lässt sich diese Forderung mit Lernwegen, welche im Wesentlichen, wie bereits beschrieben ganzheitlich angelegt sein sollten, in welchen dem Drang nach Teilhabe seitens der Schülerinnen und Schüler entsprochen werden muss. Finden diese Bedingungen im Religionsunterricht Gewähr, dann stellt das performative Vorgehen ein Konzept dar, welches den bischöflichen Forderungen, somit auch gleichzeitig dem Drang nach Teilhabe seitens der Schülerschaft nachkommen kann.
3.4 Die Notwendigkeit der Darstellung
Diese abschließende Begründung für einen performativen Religionsunterricht ergibt sich schon fast unweigerlich aus dem gerade besprochenen Aspekt des Drangs nach Teilhabe. Denn Religionsunterricht, so wird dieser nicht selten wahrgenommen und kritisiert, sei ein Unterricht im Sinne einer „Buch-Religion“ oder auch „Sätze-Religion“, welcher sich auf das Religionsbuch beruft, dieses wiederum auf das „Bibel-Buch“[62]. Somit ein Unterricht, welcher Neigung hat Religion mitzuteilen, anstatt diese gleichzeitig darzustellen bzw. diese auch darstellen zu lassen, um den gerade thematisierten Drang nach Teilhabe Befriedigung zukommen zu lassen[63].
Dass der Aspekt der Darstellung von Nöten ist, ergibt sich alleine schon aus der „Sache“ Religion selbst heraus. Religion, betrachtet man diese von Seiten einer Religionsgemeinschaft, wird seit je her praktiziert. Sie wird gelebt, vollzogen und ebenso dargestellt. Folglich sollten auch Schülerinnen und Schüler in reli- gionsunterrichtlichen Gefilden die Möglichkeit eröffnet bekommen, auch eben diese Praxis durch Darstellung, sei diese vorgegeben oder von den Schülerinnen und Schülern selbst durchgeführt zu erfahren, um sie auch besser begreifen zu können[64].Insbesondere der performative Religionsunterricht kann mit bereits angeführten Mitteln wie der der Inszenierung für diese Pflichtaufgabe herangezogen werden und dieser nachkommen.
Im Bereich der Begründungsmomente lässt sich folglich abschließend festhalten, dass sich der Weg Richtung performativen Vorgehens im Religionsunterricht deutlich abzeichnet und eine Notwenigkeit darin zu verspüren ist. Eine Notwendigkeit der Umsetzung, um gewährleisten zu können, dass Religion der jeweiligen Zeit und Gesellschaftsform entsprechend gelehrt und von den Schülerinnen und Schülern wahrgenommen, erfahren und gelernt werden kann.
4. Erfahrungen
Ein bereits einleitend beschriebenes, gerade im Bereich der Performance wesentliches Ziel performativen Religionsunterrichts sind die, von den Schülerinnen und Schülern tatsächlich zu machenden religiösen Erfahrungen. Ebenfalls, so kann der Eindruck entstehen, wird der Erfahrungsaspekt nicht nur als Ziel, sondern ebenso als Moment der Begründung für einen performativen Religionsunterricht geradezu, wenn auch berechtigt, genötigt. Umso dringlicher sollte die Frage in den Vordergrund rücken, was unter dem Begriff der Erfahrung zu verstehen ist.
4.1 Zum Terminus der Erfahrung
Die Begrifflichkeit der Erfahrung lässt anfangs keinen in sich ruhenden Komplex vermuten, denn diese hat absoluten alltagssprachlichen Charakter und befindet sich unter jedermanns Verwendung. Unter alltagssprachlichen Kontexten gilt es allerdings zu berücksichtigen, dass in aller Regel Erfahrung mit, auf bereits mehrmals durchgeführten Tätigkeiten basierenden Kenntnissen oder Wissenskomplexen verknüpft wird und dahingehend auch verstanden wird. Diese alltägliche Auffassung von Erfahrung kann generelle Gültigkeit zugesprochen werden, doch bietet Erfahrung mehr - sie ist vielschichtiger. Gerade diese Vielschichtigkeit gilt es für einen erfahrungsorientierten Unterricht, wie dem des per- formativen Religionsunterrichts zumindest im Groben herauszuarbeiten, sind doch Glaube und Religion ohne Erfahrung nicht denkbar[65].
Begriffliche Abgrenzungen und Definitionen bezüglich der Erfahrung sind mannigfaltig. So nähert sich Häffner beispielsweise dem Erfahrungsbegriff im Hinblick auf eine „starke innere Widerfahrnis, eines Erlebens des Fremden.“[66] Widerfährt einer Person etwas, so kann man nicht auf ein aktives Vorgehen in diesem Zusammenhang schließen. Der Mensch muss sich demnach passiv verhalten. Das bedeutet, dass eine Erfahrung in diesem Zusammenhang ein Erlebnis darstellt, welches passiv wahrgenommen wird, möglicherweise beeinflussend wirkt und nach und nach zur Gestaltung drängt[67]. Das zur Gestaltung drängen kann als eine Art Verarbeitung des Wahrgenommenen gesehen werden. Hierdurch wird es deutlich, dass ein Erfahren von zwei Perspektiven aus betrachtet werden kann. Denn wie bereits beschrieben, ist eine Erfahrung die Konfrontation mit bestimmten Ereignissen, zum anderen eine aktive Verarbeitung von Widerfahrnissen, an denen Konstrukte der Wirklichkeit entstehen[68]. Mendl hingegen hält es nun für sinnvoll, die nach Kant stattfindende Unterscheidung von Erfahrung als Gegenstand und Methode der Erkenntnis hinzuzunehmen, wodurch nun, ausgehend vom lernenden Subjekt, eine dreiperspek- tivische Sichtweise auf Erfahrung entsteht:
- „die Eigenart des Fremden, z. B. eines einzelnen Erlebnisses oder Gegenstands als Ausdruck einer eigenen Erfahrung eines Anderen (die fremde Erfahrung),
- der Prozess der Begegnung mit dieser fremden Erfahrung (die Begegnung von fremder und eigener Erfahrung) und
- das Ergebnis dieses Prozesses als eigene Erfahrungsbildung (die neue eigene Erfahrung).“[69]
Alle der gerade angeführten Perspektiven eignen sich, von Seiten eines per- formativen Religionsunterrichts aufgegriffen zu werden, zeichnet sich doch gerade hier eine ausdifferenziertere, dennoch deutliche Balance zwischen passiver Widerfahrnis und eines eigenaktiven Umgangs mit Erfahrung ab. Nun bleibt aber vorerst die Frage offen, welchen tatsächlichen Nutzwert fremde Erfahrungen für Schülerinnen und Schüler im (performativen) Religionsunterricht haben.
4.2 Der Nutzwert von Erfahrung
Im Religionsunterricht kann auf die, wie bereits beschrieben, aufgrund des Traditionsabbruchs marginal ausgeprägten eigenen Erfahrungen der Kinder und Jugendlichen folglich nicht oder nur kaum zurückgegriffen werden. Somit muss, wie angeführt, mit den für die Schülerinnen und Schüler fremden Erfahrungen vorliebgenommen werden. Fremde Erfahrungen allerdings beinhalten trivial ausgedrückt Fremdheit, welche durch einen dafür vorgesehenen Religionsunterricht den Schülerinnen und Schülern genommen werden soll. Doch was geschieht nach dem Besuch des Religionsunterrichts? Wirkt sich die oben beschriebene Erfahrungsbildung nachhaltig auf den Alltag der Schülerinnen und Schüler aus oder bilden diese ein „Religionsstunden-Ich“ aus, einen Persönlichkeitszustand also, welcher nur im Religionsunterricht und forciert durch diesen zum Vorschein gerät[70] ? Dass Kinder und Jugendliche diese Haltung bzw. diesen Zustand einnehmen ist sehr wahrscheinlich, da Anknüpfungspunkte in ihrem sozialen Umfeld fehlen und dieses Fehlen wiederum Auslöser für ihre Er- fahrungslosigkeit war und somit ist.
Gestützt wird diese Annahme durch den in Kapitel 3.3 beschriebenen Drang nach Teilhabe im Religionsunterricht. Schülerinnen und Schüler wollen religiöse Vollzüge kennen lernen, wollen Erfahrung mit Glaube und Religion machen, geht man von einem stimmigen unterrichtlichen Setting aus. Somit liegt auch hier ebenso die Vermutung nahe, dass Erfahrungen in ihrer Wirkung nur innerhalb des gerade genannten „Settings Religionsunterricht“ zur Geltung kommen, da gerade in diesem Anreize bezüglich der Motivation dies zu tun vorhanden sind. Außerhalb des Religionsunterrichts verblasst folglich der Drang nach Teilhabe, die Motivation sich mit fremden Erfahrungen auseinanderzusetzen. Somit ist der Nutzwert gerade fremder Erfahrungen stets gefährdet durch die fehlenden eigenen Erfahrungen, da dadurch der Motivationsweg der Auseinandersetzung grundsätzlich versperrt wird[71].
An dieser Stelle zu resümieren wäre zu früh, doch scheint das einfache und stellenweise Einbringen von fremden Erfahrungen in den Religionsunterricht vorerst und gerade für das Näherbringen von Glauben und Religion nur schwer nutzbar zu machen. Das „zu machen“ fungiert hier allerdings als Stichwort. Es müssen Wege eingeschlagen werden, Erfahrungen für gerade mit konfessioneller Distanz behafteter Kinder und Jugendliche nutzbarer zu machen. Denn gelehrter Glaube kann nur dann verstanden werden, wenn er als gelebter und erfahrungsdichter Glaube präsentiert wird[72].
4.3 Das „Nutzbarermachen" von Erfahrungen
Will man etwas nutzbarer machen, sollte man sich eingangs ein Ziel vor Augen halten, welches man versucht zu erreichen. Im Kontext der Erfahrungen, findet die dreiperspektivische Sichtweise auf Erfahrung von Mendl in Kapitel 4.1 Berücksichtigung, liegt das Ziel der Einbringung von Erfahrungen in der eigenen Erfahrungsbildung.
Um dieses Ziel zu verwirklichen, müssen die Schülerinnen und Schüler auf der reflexiven Ebene dazu befähigt werden, diese beispielsweise im performativen Religionsunterricht erfahrenen Eindrücke zu ordnen, um im Anschluss daran zu einer eigenen Entscheidung zu kommen[73]. Erfahrungsbildung im konkreten
Sinne bedeutet folglich ein Erleben in Verbindung mit verarbeitender Reflexion[74]. Erst in dieser reflexiven Auseinandersetzung können von den Schülerinnen und Schülern gemachte Fremderfahrungen in ihren eigenen Erfahrungshorizont eingeführt werden, gleichzeitig aber auch abgestoßen werden. Und gerade in diesem Ermöglichen der reflexiven Auseinandersetzung umgeht man die oben genannte Problematik des Heraufbeschwörens eines „Religionsstunden- Ichs“, da dadurch, nicht wie erwähnt forciert wird, sondern ermöglicht wird.
Damit es nun nicht schon vor der reflexiven Auseinandersetzung mit der jeweiligen Fremderfahrung zu einem Abstoßen kommt, müssen es die Kinder und Jugendlichen auch lernen, sich auf fremde Erfahrungswelten von Religion einzulassen. Dieser Lernprozess lässt sich unterstützen durch wiederholtes Anbieten punktueller Erfahrungen[75]. Der Wiederholungsaspekt ermöglicht es den Kindern und Jugendlichen in Verlangsamung sich der Erfahrungsbildung zu nähern, mit dieser auch umgehen zu können. Hierfür muss Zeit und Raum gegeben werden. An dieser Stelle muss aber auch angemerkt werden, dass das wiederholte Anbieten fremder Erfahrungen nicht in einer dauerhaften Internalisierung von Erfahrungswelten ausarten darf, da dadurch der reflexive Aspekt, welchen es zu fördern gilt, durch einen prozeduralen von den Kindern und Jugendlichen ersetzt werden könnte[76]. Würde dieser Fall eintreten, schlägt man als Lehrkraft die Richtung eines katechetischen Vorgehens ein, welches es zu vermeiden gilt.
Somit muss festgehalten werden, dass trotz aller Anbahnungs- und Initiationsmomente bezüglich der eigenen Erfahrungsbildung von Schülerinnen und Schülern stets Unsicherheit bestehen bleibt, inwieweit bei ihnen tatsächlich religiöse Erfahrungen entstehen, da sich dies der Planung und dem Zugriff von außen entzieht[77]. Denn es gilt zu bedenken, wie es in allen unterrichtlichen Gefilden getan werden muss, dass es zwar viele Kinder und Jugendliche gibt, welche den Drang nach Teilhabe haben, den Drang haben fremde Erfahrungen zu machen um sich diese zu eigen zu machen, man aber auch mit denjenigen konfrontiert wird, welche meiden, nicht wollen, trotz aller Motivationsmomente[78].
Somit kann man nicht von einem generellen „Nutzbarermachen“ von fremden Erfahrungen sprechen, sondern lediglich von einem Versuch, den Schülerinnen und Schülern einen Weg vorzugeben, bei welchem sie sich selbst entscheiden müssen und sollen, ob sie diesen beschreiten, wenn ja, wie weit und mit welcher Intensität.
Trotz der kritischen Momente bezüglich des Ermöglichens und „Nutzbarerma- chens“ fremder Erfahrungen im Religionsunterricht muss festgehalten werden, dass Erfahrungswelten es den Schülerinnen und Schülern grundsätzlich ermöglichen gelebte Religion verstehbar zu machen, an Elementen der eigenen Religion zu partizipieren, ohne dass damit die prinzipielle Freiheit und Selbstverantwortung gefährdet wird. Ebenso wird es ihnen ermöglicht, bei dem Prozess des Erlebens fremder Erfahrungen, einen respektvollen Umgang mit Positionali- tät und Individualität in Pluralität zu lernen[79].
5. Anforderungen an die Lehrkraft im performativen Religionsunterricht
In diesem Kapitel gilt es darzulegen, welchen grundlegenden Anforderungen bzw. Kompetenzen Lehrkräfte im performativen Religionsunterricht gerecht werden müssen, um diesen in einen zeitgemäßen Einklang bezüglich der bereits beschriebenen Forderungen und Begründungsmomente an ihn zu bringen. Dabei wird von den als Standard formulierten Lehrerkompetenzen, wie beispielsweise die des „Spurensuchers“ nach Mendl mit den beinhaltenden Kompetenzen wie der Sach-, pädagogisch-didaktischen-, Wahrnehmungs-, Beurtei- lungs- und Reflexionskompetenz sowie der Rollen- und Selbstkompetenz für einen allgemeinen guten Religionsunterricht als gegeben ausgegangen, um sich im Speziellen den wichtigsten Anforderungen und Kompetenzen für einen performativen Religionsunterricht widmen zu können[80].
5.1 Beheimatung in der eigenen Religion
Performativer Religionsunterricht soll wie bereits beschrieben, den Schülerinnen und Schülern religiöse Vollzüge anbieten bzw. Räume und Zeiten eröffnen, mit Religion in Kontakt zu treten, um ihnen dadurch Erfahrungen mit dieser zu- kommen zu lassen. Voraussetzung zur Gestaltung eines derartigen Unterrichts ist eine deutliche, von Schülerseite wahrnehmbare konfessionelle Identität der Lehrkraft. Denn nur auf Basis einer persönlichen Bekenntnis und Verwurzelung innerhalb der Glaubensgemeinschaft, können Lehrkräfte Schülerinnen und Schülern überhaupt ein authentisches Angebot machen, an Religion zu partizipieren[81]. So beschreibt auch Mendl die Stellung von Religionslehrkräften gerade in performativen Bezügen. Sie sollen als „authentische Zeugen gelebten Christentums bei aller Individualität und Kritikfähigkeit“[82], „gleichsam als personale Medien veranschaulichen, inwiefern Form und Inhalt von Religion für sie selbst zusammengehören.“[83]
Nimmt man nun die Forderung nach konfessioneller Identität seitens der Lehrkraft und einer damit in Verbindung stehenden Authentizität zur Hand, wird eine weitere Wirkungsabsicht deutlich, geht man von dem oben genannten Traditionsabbruch aus, welcher für das Fehlen grundlegender Vollzugsformen des Glaubens und der Kirche seitens der Schülerinnen und Schüler sowie einer damit einhergehenden Orientierungslosigkeit verantwortlich ist. Diese Wirkungsabsicht liegt folglich in einer Vorbildfunktion, welche die Lehrkraft durch ihre gewünscht gefestigte konfessionelle Identität zu vermitteln vermag, denn heutige Kinder und Jugendliche kennen nur wenige Menschen, die für sie als „Christen“ identifizierbar sind, auch solche nicht, welche sich gerade durch ihre praktische Tätigkeit als Gläubige eigentlich zu erkennen geben[84]. Die Lehrkraft übernimmt folglich die Rolle eines erkennbaren Christen für die Schülerschaft. Daher kann sie durch die in ihr habituell verankerten konfessionellen Identität, den Schülerinnen und Schülern als Spiegel dienen, um diese dadurch auch zu befähigen sich zu orientieren, gleichzeitig aber auch zu reiben[85]. Folglich wirkt die Lehrkraft als Modell, als Vorbild für die Schülerschaft, welches Glauben und Religion verkörpert und daher vermittelt bzw. weitergibt.
Doch nicht allein Glaube und Religion können Lehrkräfte als Vorbilder an die Schülerschaft weitergeben. Ebenso, und gerade für den performativen Religionsunterricht wichtig, können sie über ihre konfessionelle Identität Grundkenntnisse und Vertrautheiten mit den jeweiligen Praxisfeldern, welche sich in religiösen Gefilden wiederfinden, vermitteln[86].
An dieser Stelle muss angemerkt werden, dass Lehrkräfte ihre Rolle als „Zeiger“ konfessioneller Identität stets reflektieren müssen, gleichermaßen also auch die Wirkung auf die Schülerschaft, welche von dieser ausgeht. Das bedeutet, dass eine Lehrkraft trotz ihrer gefestigten konfessionellen Beheimatung und der Wiedergabe dieser Platz lassen muss für die Schülerschaft, wie sie mit dieser speziellen Lehreridentität umgeht, wie sie diese wahrnimmt und selbst reflektiert.
5.2 Ambiguitätstoleranz
Die Ambiguitätstoleranz ist eine der wichtigsten Kompetenzen, welche eine Lehrkraft in einer Zeit schwindender Religiosität ausbilden muss. Es ist die Fähigkeit, Einstellungen und Haltungen zu ertragen, welche der eigenen entgegengesetzt gegenüberstehen[87]. Das bedeutet, dass oftmals kein Konsens zwischen Zielsetzung seitens der Lehrkraft und der Umsetzung durch die Schülerschaft entsteht. In einer derart heiklen gelagerten, teils problemgeladenen Situation ist es wichtig, dass die beiden unterschiedlich denkenden Parteien ihre Interaktion nicht aufkündigen oder sich gar gegenseitig disqualifizieren, was für eine weitere Auseinandersetzung mit dem Themengebiet des Glaubens und der Religion, hält man sich stets den vorhandenen Traditionsabbruch vor Augen, absolut kontraproduktiv wäre[88].
Es muss vielmehr ein Aufrechterhalten der Interaktion in Situationen stattfinden, in denen unterschiedliche Ansichten aufeinanderprallen. Dieses Aufrechterhalten darf allerdings nicht in einem Aufdrängen von Glauben und Religion seitens der Lehrkraft enden, denn der Aspekt des „Ertragens“ in oben genannter Definition muss stets Berücksichtigung finden. Es gilt folglich nicht nach einer eindeutigen Lösung bezüglich einer auftretenden Diskrepanz zu suchen, sondern es geht darum, diese zuzulassen, darüber zu sprechen und zu reflektieren[89].
Um dies als Lehrkraft gewährleisten zu können bedarf es einer, für die Ambiguitätstoleranz wichtigen Standardkompetenz - die ausgeprägte Fähigkeit zur Selbstreflexion seitens der Lehrkraft. Denn nur dadurch kann es die Lehrkraft verhindern, den Schülerinnen und Schülern eigene Positionen zu vereinnahmen.
5.3 Spiritualität und liturgische Kompetenz
Zwei weitere für den performativen Religionsunterricht wichtige Kompetenzen sind die Spiritualität und liturgische Kompetenz. Gerade die Inszenierung lebt von diesen beiden Kompetenzfeldern, sie speist sich daraus.
Angefangen bei der Spiritualität, den eigenen Erfahrungen und Einstellungen von Lehrkräften, benötigt diese gewisse Persönlichkeitsfaktoren, um nach außen hin, gerichtet auf die Schülerinnen und Schüler, Wirkung zu zeigen[90]. Unter diese faktoriellen Bedingungen fällt eine reflexive Klärung der eigenen Glaubensgeschichte, ebenso die Einsicht in die positive Notwendigkeit, aus je eigenen spirituellen Quellen Leben gestalten zu können und eine individuelle, bezüglich der jeweiligen Persönlichkeit eigene Ausformung von Spiritualität[91]. Gerade genannte Persönlichkeitsforderungen, im Speziellen die Wortwiederholungen „eigenen“ und die „Nachaußengerichtetheit“ weisen auf Parallelen zur Vorbildfunktion hin, die bereits in Kapitel 5.2 angesprochen wurden. Im Unterschied zur konfessionellen Beheimatung sind die Lehrkräfte nun nicht mehr nur dazu angehalten eine Position zur ihrem Glauben und ihrer Religion zu beziehen, vielmehr sollen sie, und das ist gerade für performative Bezüge von immanenter Wichtigkeit, die Schülerinnen und Schüler an der eigenen Vielfalt von Erlebensund Erfahrensmöglichkeiten teilhaben lassen, unter steter Berücksichtigung der bereits angeführten Ambiguitätstoleranz[92]. Darunter würden besonders bewegende Erfahrungen fallen, tiefere Einsichten in Lebens- oder Weltzusammenhänge, das Verspüren einer tief empfundenen Zustimmung im Innersten des eigenen Wesens etc.[93]. An dieser Stelle gilt es nochmals zu betonen, dass sich Lehrkräfte, wie bereits erwähnt in ihrer Spiritualität zu erkennen geben müssen, die Schülerinnen und Schüler daran teilhaben zu lassen. Eine Lehrkraft, welche sich lediglich bemüßigt fühlt Religion zu unterrichten, dabei für die Schülerschaft unerkennbar bleibt und als solche distanziert auftritt, ist gerade für die Durchführung eines performativen Vorhabens im Religionsunterricht nicht geeignet[94].
Warum sich nun gerade auch die Inszenierung von der liturgischen Kompetenz speist, diese somit bei Religionslehrkräften vorhanden sein sollte, wird im Folgenden erläutert.
Fündig wird man dabei schon in der Konkretisierung der Begrifflichkeit liturgischer Kompetenz. Unter liturgischer Kompetenz kann man die performative Gestalt des Glaubens, die sich in den liturgischen Grundgesten wie beispielsweise des Grußes und des Segens, des Gebets, des Gotteslobs und der Verkündung artikuliert verstehen[95]. „Diese Grundgesten des Glaubens bestehen nicht nur aus gesprochenen und gesungenen Worten, sondern auch aus der Musik und Bewegung, Raum und Licht, Symbolen und Bildern.“[96] Aus dieser Definition geht deutlich der Fakt hervor, dass es gerade hier für Lehrkräfte nicht ausreichend ist, nur das Wissen über liturgische Elemente zu haben, sondern darin auch habituell verankert zu sein. Sie sollen also nicht nur wissen, wie man ein Gebet spricht, sondern es auch sprechen können. Folgernd sollten Lehrkräfte als mündige Christenmenschen auch gerade durch ihre liturgische Bildung den Mut finden, mit liturgischen Formelementen im Unterricht umzugehen, diese zu praktizieren.
Bei dieser Forderung allerdings gilt es einen wesentlichen Punkt genauer zu betrachten. Es wird gesprochen von einem mündigen Christenmenschen und dahingehend implementiert, dass dies eine Grundvoraussetzung für die Umsetzung liturgischer Formen und somit zur Ausbildung dieser Kompetenz darstellt. Nur, und das muss an dieser Stelle festgehalten werden, sind Lernende wie auch Lehrende der Zeit und der jeweiligen Gesellschaftsform unterworfen, was bedeutet, dass Religionslehrkräfte ebenso oftmals unter einer Zuordnung eines nach Paul Zulehner bezeichneten „Auswahlchristens“[97] wiederzufinden sind, somit wie andere Menschen auch glaubende, zweifelnde und suchende Christen sein können[98].
[...]
[1] http://www.zukunft-auf-katholisch.de/zukunftsbild.html?elD=dam frontend push&doclD=515, Stand 22.01.2015.
[2] Vgl. Becker, U. (2004), S. 232.
[3] Vgl. Dressier, B. (2002), S. 12.
[4] Vgl. Englert, R. (2002), S. 32.
[5] Vgl. Domsgen, M. (2005), S. 32 ff.
[6] Vgl. Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz (2005), S. 23.
[7] Vgl. Roose, H. (2006), S. 110.
[8] Vgl. Kalloch, C. (2009), S. 329.
[9] Vgl. Fermandois, E. (2000), S. 27.
[10] Vgl. Kalloch, C. (2009), S. 329.
[11] Vgl.Mendl,H.(2008), S.41.
[12] http://www.uni-leipzig.de/~doelling/veranstaltungen/semprag12.pdf, Stand 02.03.2015.
[13] Vgl.Mendl,H.(2008), S.41.
[14] Vgl.Mendl,H.(2008), S.41.
[15] Vgl.Mendl,H.(2008), S.41.
[16] Austin, J. (1972), S. 37.
[17] Vgl. Roose, H. (2006), S. 110.
[18] Vgl. Roose, H. (2006), S. 110.
[19] Vgl.Mendl,H.(2008), S.41.
[20] Vgl. Roose, H. (2006), S. 112.
[21] Vgl.Kalloch, C. (2009), S. 331.
[22] Vgl. Roth, U. (2008), S. 40.
[23] Vgl. Husmann, B. (2008), S. 28.
[24] Vgl.Roth,U.(2008), S.41.
[25] Vgl. Kalloch, C. (2009), S. 329 f.
[26] Vgl. Klie, T. (2003), S. 173.
[27] Vgl. Roth, U. (2008), S.41f.
[28] Vgl. Roth, U. (2008), S. 38.
[29] Vgl. Klie, T. (2003), S. 173.
[30] Vgl. Roose, H. (2006), S. 111.
[31] Vgl. Roose, H. (2006), S. 111.
[32] Vgl. http://www.eibor.de/ data/Gastbeitrag Donhauser Performative Didaktik.pdf, Stand 22.01.2015.
[33] Vgl. http://www.eibor.de/ data/Gastbeitrae Donhauser Performative Didaktik.pdf, Stand 22.01.2015.
[34] Vgl. Läpple, A. (1981), S. 188.
[35] Vgl. Kalloch, C. (2009), S. 334.
[36] Vgl. Mendl, H. (2008), S. 24.
[37] Vgl. Bertsch, L. (1976), S. 139f.
[38] Vgl. Kalloch, C. (2009), S. 334.
[39] Vgl. Kalloch, C. (2009), S. 334.
[40] Vgl. http://deiure.org/gesetze/GG/7.html, Stand 22.01.2015.
[41] Vgl. Gille, M. (2006), S. 200.
[42] Vgl. Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz (2005), S. 6.
[43] Vgl. Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz (2005), S. 23.
[44] Vgl. Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz (2005), S. 13.
[45] Vgl. Failing, W.-E. (1994), S. 199.
[46] Vgl. Failing, W.-E. (1994), S. 199.
[47] Vgl. Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz (2005), S. 13.
[48] Vgl. https://www.destatis.de/DE/ZahlenFakten/GesellschaftStaat/Bevoelkerung/Migrationlntegration/Migrationshi ntergrund/Migrationshintergrund.html, Stand 22.01.2015.
[49] Vgl. Knauth, T. (2007), S. 163.
[50] Vgl. Jakobs, M. (2009), S. 70.
[51] Vgl. Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz (2005), S. 14.
[52] Vgl. Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz (2005), S. 14.
[53] Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz (2005), S. 14.
[54] Vgl. Dressier, B. (2008), S. 91.
[55] Vgl. Kalloch, C. (2009), S. 336.
[56] Vgl. Renelle, L. (2007), S. 10.
[57] Renele, L. (2007), S. 10.
[58] Vgl. Kalloch, C. (2009), S. 336.
[59] Vgl. Riedl, A. (2004), S. 137.
[60] Vgl. Riedl, A. (2004), S. 137.
[61] Vgl. Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz (2005), S. 24.
[62] Vgl. Klie, T. (2006), S. 114.
[63] Vgl. Dressier, B. (1998), S. 13.
[64] Vgl. Kalloch, C. (2009), S. 336.
[65] Vgl. Kunstmann, J. (2010), S. 171.
[66] Häffner, G. (2007), S. 9.
[67] Vgl. Sundermeier, T. (2007), S. 112.
[68] Vgl. Mendl, H. (2008), S. 73.
[69] Mendl, H. (2008), S. 73.
[70] Vgl. Lehnen, J. (2006), S. 208 f.
[71] Vgl. Englert, R. (2001), S. 16.
[72] Vgl. Mendl, H. (2008), S. 77.
[73] Vgl. Mendl, H. (2008), S. 78.
[74] Vgl. Mendl, H. (2008), S. 78.
[75] Vgl. Mendl, H. (2008), S. 79.
[76] Vgl. Mendl, H. (2008), S. 79 f.
[77] Vgl. Mendl, H. (2008), S. 80.
[78] Vgl. Woolfolk, A. (2008), S. 464.
[79] Vgl. Mendl, H. (2008), S. 79.
[80] Vgl. Leitmeier, W. (2010), S. 22.
[81] Vgl. Sajak, C.-P. (2005), S. 36.
[82] Mendl, H. (2008), S. 83.
[83] Mendl, H. (2008), S. 83.
[84] Vgl. Mendl, H. (2008), S. 122.
[85] Vgl. Milchner, H.-J. (2004), S. 190.
[86] Vgl. Mendl, H. (2008), S. 83.
[87] Vgl. Mendl, H. (2008), S. 101.
[88] Vgl. Groß, E. (2003), S. 40.
[89] Vgl. Piroth, N. (2012), S. 180.
[90] Vgl. Mendl, H. (2008), S. 175.
[91] Vgl. Mendl, H. (2008), S. 175.
[92] Vgl. Weiher, E. (2009), S. 22.
[93] Vgl. Weiher, E. (2009), S. 22.
[94] Vgl. Mendl, H. (2008), S. 175.
[95] Vgl. Plüss, D. (2012), S. 182.
[96] Plüss, D. (2012), S. 182.
[97] Zulehner, P. (1982), S. 67.
[98] Vgl. Mendl, H. (2008), S. 196.
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