In diesem Unterrichtsentwurf wird eine Unterrichtsstunde für die Inklusionsklasse 10 erarbeitet. Dabei wird besonders viel Wert auf die angemessene Vermittlung der Inhalte sowie auf ein persönliches Eingehen auf die jeweiligen Bedürfnisse der Schülerinnen und Schüler gelegt.
Die Annahme einer bestimmten Vorstellung von sozialer Gerechtigkeit ist (neben dem Menschenbild und dem Verständnis von politischer Gerechtigkeit) das wichtigste Element der politischen Gesamteinstellung einer Person.“ Vor allem aber bildet der Begriff den Bezugspunkt für Kritik an gesellschaftlichen und ökonomischen Sachverhalten sowie an politischen Entscheidungen. Doch die Gerechtigkeitsvorstellungen der Lerner sind häufig sehr diffus und eignen sich nicht für Diskussionen. Dennoch, wie kann man diese kanalisieren? Ein selbst entwickeltes Rollenspiel soll dazu beitragen, dass Lerner verschiedene Ebenen der sozialen Gerechtigkeit selbst erfahren.
1. Beschreibung der Lerngruppe
Die heute zu zeigende Lerngruppe ist die Inklusionsklasse 10, die ich seit der 5. Klasse als Englischlehrer und seit drei Jahren auch als Klassenlehrer begleite. Die Schüler sind sehr motiviert, offen; es gibt kaum gruppeninterne Differenzen. Dies äußert sich auch in Gesprächsphasen, in denen phasenweise jeder etwas zum Unterricht beitragen möchte. Die leistungsstarke Lerngruppe überträgt ihre positive Unterrichtseinstellung auch auf das Verhältnis zu mir. Es herrscht eine sehr freundliche und meist störungsfreie Lernatmosphäre.
Insgesamt ist zu betonen, dass die Lerner nicht nur in ihrem Leistungsvermögen heterogen sind, sondern unter ihnen auch einige Schüler mit psychischen und körperlichen Erkrankungen bzw. Einschränkungen und Behinderungen sind.[1] Zu Beginn des Schuljahres sind XXX und XXX in die Klasse gekommen, die ohne Eltern aus Afghanistan geflohen sind. XXX ist sehr motiviert und kann sich bereits im Deutschen verständigen. Seine Mitschüler sind sehr geduldig und helfen ihm dabei. XXX hingegen ist sehr zurückhaltend, wird aber wie XXX unterstützt.[2] Auf der anderen Seite des Leistungsspektrums ist XXX anzusiedeln, der für sein Alter über ein beeindruckendes Allgemeinwissen verfügt. Während der Gesprächsphasen sollte er somit nicht sofort aufgerufen werden, um seinen Mitschülern auch noch eine Chance zu geben, dem Unterricht etwas beitragen zu können. Als letzter Schüler soll XXX erwähnt werden, der vor ein paar Jahren noch als unbeschulbar galt. Durch den Wechsel in diese Lerngruppe hat sich sein Verhalten sehr stabilisiert, jedoch ist gerade in Stresssituationen immer damit zu rechnen, dass er in aggressive Verhaltensmuster zurückfällt.[3]
Das Arbeiten in den Sozialformen der Partner- und Gruppenarbeit hat sich für die Vorbereitung eines abschließenden Unterrichtsgesprächs als effektiv, funktional und beliebt erwiesen, in dem relativ viele Schüler motiviert und inhaltlich gestärkt sinnvolle Wortbeiträge beisteuern können.
Allerdings ist festzuhalten, dass die Schüler methodisch noch Schwächen haben. Das Fällen von Wert- bzw. Sachurteilen wurde vor ein paar Wochen eingeführt, bedarf aber noch einer Vertiefung und Festigung.
2. Einordnung in den Unterrichtszusammenhang
Die Stunde ist inhaltlich dem verbindlichen Themenschwerpunkt für den Jahrgang 9 „Funktionen des Staates in der sozialen Marktwirtschaft“ zuzuordnen.[4] Aufgrund des kurzen Schuljahres 2015/2016 konnte dieses Thema nicht mehr bearbeitet werden und wurde in den 10. Jahrgang geschoben. Da Inhalte dieser Einheit eine wesentliche Rolle in der Oberstufe spielen, kam ein Streichen nicht in Frage. Der Einstieg in die Einheit erfolgte über ein Rollenspiel, in dem die Lerner die Notwendigkeit einer Marktordnung sowie die Rolle des Staates in dieser erkannten. Über die Extreme der freien Marktwirtschaft (nach Adam Smith) und der Zentralverwaltungswirtschaft wurde die Wirtschaftsordnung der sozialen Marktwirtschaft erarbeitet. Da es sich hierbei um die letzte Stunde vor den Herbstferien handelt, dient die zu zeigende Stunde sowohl als Abschluss der Unterrichtseinheit als auch als Übergang zur nächsten Einheit, dem demografischen Wandel und seine Auswirkungen auf den Sozialstaat, welche dem verbindlichen Thema in 10 „Sozialer und wirtschaftlicher Wandel“ zuzuordnen ist.[5]
3. Didaktische Überlegungen
„Die Annahme einer bestimmten Vorstellung von sozialer Gerechtigkeit ist (neben dem Menschenbild und dem Verständnis von politischer Gerechtigkeit) das wichtigste Element der politischen Gesamteinstellung einer Person.“[6] Vor allem aber bildet der Begriff den Bezugspunkt für Kritik an gesellschaftlichen und ökonomischen Sachverhalten sowie an politischen Entscheidungen.[7] Allerdings sind die Gerechtigkeitsvorstellungen der Lerner häufig sehr diffus und sollten daher genauer in den Blick genommen und geschärft werden[8], um umstrittene politische Entscheidungen bspw. im Gesundheitswesen nachvollziehbarer zu machen.
Aus Sicht der Schüler scheint der Unterrichtsgegenstand zwar durchaus bedeutsam zu sein, jedoch wirkt er durch seine Komplexität und Abstraktheit der Lebenswelt der Lerner entrückt. Diese Faktoren legen es nahe, den Zugriff auf das Thema in der zu zeigenden Stunde über das didaktische Prinzip der Problemorientierung erfolgen zu lassen, denn „Problemorientierung ist der didaktische Ansatz, bei dem durch die Bearbeitung konkreter Probleme das Politische verstehbar und evtl. handhabbarer wird.“[9] Durch die im Einstieg verwendete Schlagzeile der ungerechten Lohnverteilung in Deutschland können sowohl der subjektive Bezug (Betroffenheit), die Bedeutsamkeit als auch das Gebot der Aktualität hergestellt werden, um die Stundenfrage „Was ist sozial gerecht?“ herzuleiten. Der Zugriff über eine Statistik wäre zwar inhaltlich ergiebiger, jedoch würde die Analyse zu viel Zeit in Anspruch nehmen. Zudem sollen insbesondere die Arten der sozialen Gerechtigkeit im Fokus der Stunde stehen und nicht die Lohnverteilung in Deutschland per se.
Das selbst gestaltete Rollenspiel, bei dem die Lerner aufgefordert werden, sich bei der Frage der Lohnerhöhung aus Sicht gleichberechtigter Inhaber zwischen den Forderungen zweier Personen zu entscheiden, bezieht sich lediglich auf die Leistungsgerechtigkeit, Bedarfsgerechtigkeit und die egalitäre Gerechtigkeit. Die (Start-) Chancengerechtigkeit hingegen konnte nicht sinnvoll eingebaut werden und wird im Rahmen eines Unterrichtsgesprächs mit der Herleitung der anderen Arten sozialer Gerechtigkeit und ihrer Fachbegriffe eingeführt. Ebenso habe ich bei beiden vorgestellten Personen darauf verzichtet, genaue Angaben über die Lohnhöhe zu machen, da Schüler erfahrungsgemäß keinerlei Vorstellungen über den Wert des Geldes haben. Durch die Lohnverteilungsvorschläge und die damit verbundene Hierarchisierung der verwendeten Kriterien aller Gruppen soll deutlich werden, dass Entscheidungen, die es im Rahmen über Gerechtigkeit zu treffen gibt, auf unterschiedlichen Vorstellungen beruhen. Abschließend sollen die Schüler ihre eigenen Entscheidungen reflektieren, in Bezug auf die Zeitungsmeldung ihr Wissen umwälzen, mittels eigener Vorstellungen bezüglich einer gerechten Lohnverteilung und eines abschließenden Zitats von Hayeks das Erarbeitete vertiefen und zu einer Urteilsbildung kommen. Das Zitat ist gekürzt und mit einer Worterklärung versehen, um den Schülern den Inhalt leichter zugänglich zu machen.
4. Angestrebter Kompetenzzuwachs
Die Schüler bewerten unterschiedliche Gerechtigkeitsvorstellungen am Beispiel der Lohnverteilung.
Im Einzelnen ...
- gewichten sie selbst erstellte Kriterien bezüglich der Frage, wer wie viel Geld bekommen soll.
- erklären oder leiten sie Arten der sozialen Gerechtigkeit aus den erarbeiteten Kriterien ab.
- erläutern sie die Art der sozialen Gerechtigkeit bezüglich der Lohnverteilung aus dem Einstieg.
- entscheiden sie sich für die zu berücksichtigende Gerechtigkeitsvorstellung bei der Lohnverteilung.
- überprüfen von Hayeks These und nehmen begründet Stellung.
5. Methodische Überlegungen
Die Zeitungsmeldung wird mit dem OHP zur Fokussierung der Aufmerksamkeit der Schüler an die Wand projiziert. Die antizipierten Reaktionen bezüglich der Ungerechtigkeit werde ich nutzen, um die Stundenfrage mit den Schülern zu formulieren und an der Tafel zu fixieren, damit die Schüler sich das Thema der Stunde immer wieder ins Gedächtnis rufen können. Die Frage nach der sozialen Gerechtigkeit wäre auch über die Erarbeitung eines Sachtextes[10] möglich, jedoch scheint mir ein Rollenspiel schüleraktivierender zu sein, denn nach Stiller zeichnet sich der problemorientierte Unterricht durch eine Verbindung zwischen Wissen und Handeln aus.[11] „Wissen wird benötigt, um das Problem definieren zu können und Ursachen und Lösungsmöglichkeiten zu finden. Handeln ist notwendig, um das Wissen aktiv-entdeckend zu erwerben und Problemlösungsmöglichkeiten zu erproben, zu simulieren.“[12] Schließlich fördert diese Kombination die Bereitschaft zum selbstständigen politischen Urteilen und Handeln (Demokratisierung).[13] Dabei erhoffe ich mir hier eine Aktivierung der ruhigen und zurückhaltenden Schüler. Auch XXX und XXX sollten trotz der Sprachbarriere in der Lage sein, etwas zum Unterricht beizutragen. Dieses soll zudem durch das Prinzip des kooperativen Lernens Think-Pair-Share unterstützt werden. Die Zuteilung zu den Gruppen erfolgt per Zufall über eine Markierung auf der Rückseite des Arbeitsblattes. So erhoffe ich mir eine gleichmäßige Durchmischung der Gruppen. Zwar werden die Gruppen mit teilweise bis zu fünf Schülern recht groß, doch erhöht dieses Verfahren die Chance, dass sich die Schüler nicht so schnell einig werden. Die Sicherung sollte mittels Moderationsstreifen und Magneten an der Tafel erfolgen. Dies ermöglicht eine schnelle Präsentation und ein besseres Vergleichen der Gruppenergebnisse. Die Fachbegriffe werden je nach Schülerergebnissen aus den Kriterien abgeleitet oder von mir eingeführt und anschließend an der Tafel mittels weiterer Papierstreifen visualisiert. Um feststellen zu können, ob die Schüler mit dem Verständnis der Arten sozialer Gerechtigkeit noch Probleme haben, werde ich einen Rückbezug zum Einstiegsmaterial herstellen und die Schüler fragen, nach welchen Gesichtspunkten die Lohnunterschiede noch als gerecht wahrgenommen werden können. Das komplexe Zitat von Hayeks wird per OHP visualisiert und soll anfangs mit eigenen Worten erklärt werden, um eine gemeinsame Basis für die sich anschließende Diskussion und Urteilsbildung herzustellen. In diesem Teil der Stunde sollen sich insbesondere die leistungsstarken Schüler angesprochen fühlen.
6. Anhang
6.1 Geplanter Stundenverlauf
6.2 Kommentierter Sitzplan
6.3 Mögliches Tafelbild
6.4 Materialien[14]
- Material M1: Folie (Einstieg)
- Material M2: Zitat Vertiefung
- Material M3: Arbeitsblatt
6.5 Literaturverzeichnis
6.6 Erklärung
6.1 Geplanter Stundenverlauf
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten[15]
6.2 Kommentierter Sitzplan
[...]
[1] Ein Mädchen mit Down-Syndrom wird während des Unterrichts im Fach Politik-Wirtschaft von ihrem Förderschullehrer unterrichtet. Sie erscheint daher nicht im kommentierten Sitzplan. Das gleiche gilt für ein anderes Mädchen, das zurzeit in stationärer Behandlung ist.
[2] Nach dem Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmen für Sprachen (GER) kann XXX den Bereichen A2/B1 und XXX den Bereichen A1/A2 zugeordnet werden. Der Wortschatz des Rollenspiels wird im DaZ-Unterricht vorentlastet.
[3] Weitere Informationen zur Beteiligung und Leistung der Schüler können dem kommentierten Sitzplan entnommen werden (s. Anhang 7.2).
[4] Vgl. Niedersächsisches Kultusministerium (Hrsg.): Kerncurriculum für das Gymnasium. Schuljahrgänge 8-10. Politik-Wirtschaft, S. 15.
[5] Vgl. ebd., S. 15.
[6] Vgl. Kersten Ringe: Soziale Gerechtigkeit im Unterricht – Fachkonzept, Schülervorstellung, Planungshinweise. In: Praxis Politik 3/2013, S. 33.
[7] Vgl. Werner Launhardt: Soziale Gerechtigkeit – Didaktische Überlegungen. In.: Praxis Politik 1/2009, S. 9.
[8] Vgl. Ringe, S. 34.
[9] Vgl. Sibylle Reinhardt: Politikdidaktik: Praxishandbuch für die Sekundarstufe I und II. Berlin: Cornelsen 2007, S. 95.
[10] Vgl. Stefan Hradil: Arten sozialer Gerechtigkeit. In: Schroedel: Mensch und Politik. Sekundarstufe I. Braunschweig 2015, S. 184f.
[11] Edwin Stiller: Problemzentriertes Lernen. In: Mickel / Zitzlaff (Hrsg.): Handbuch zur politischen Bildung. Bonn: Bundeszentrale für politische Bildung 1988, S. 206.
[12] Vgl. ebd., S. 206.
[13] Gotthard Breit: Problemorientierung. In: Wolfgang Sander (Hrsg.): Handbuch zur politischen Bildung. Bonn: Bundeszentrale für politische Bildung 2005, S. 109.
[14] Die Qualität der Materialien ist durch das Konvertieren beeinträchtigt worden.
[15] Zu den Abkürzungen: SD = Schülerdarbietung, EA = Einzelarbeit, GA = Gruppenarbeit, UG = Unterrichtsgespräch.
- Quote paper
- Holger Kiesow (Author), 2016, Soziale Gerechtigkeit. Unterrichtsentwurf für eine Inklusionsklasse, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/373709
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