Diese Arbeit setzt sich mit dem Hamburger Stadtteil Wilhelmsburg auseinander und der Frage danach, ob dort eine Gentrification stattfindet.
Städtische Wohngebiete unterliegen Veränderungsprozessen, bezogen
auf Gebäudenutzung, Wohndichte, Zustand der Gebäude, Alters- und Sozialstruktur der Bevölkerung. Dabei findet Gentrification vorwiegend in Gebieten statt, die nahe dem Stadtzentrum liegen, mit Gebäuden aus der Gründerzeit, überwiegend einen schlechten Gebäudezustand aufweisen, niedrige Bodenpreise und niedrige Mieten aufweisen, statusniedrige Bewohner haben und zum Teil bereits in städtebaulichen Sanierungsgebieten liegen oder hierfür vorgesehen sind (vgl. Spellerberg 2004: 11f; Friedrichs 1998: 60).
Im Untersuchungsgebiet Wilhelmsburg gab und gibt es städtebauliche und siedlungsstrukturelle Defizite, die zu den Kernproblemen benachteiligter Stadtteile gehören, wie unsanierter Wohnbestand, geringe Quadratmeterzahl pro Wohneinheit, einen hohen Anteil industriell genutzter Flächen in unmittelbarer Nähe zu Wohnquartieren, hohe Fluktuation, Leerstand und Vermietungsschwierigkeiten (vgl. Bundestransferstelle Soziale Stadt 2008: 34f). Entsprechend wird in § 171e BauGB die besondere Bedeutung städtebaulicher Maßnahmen zur Stabilisierung und Aufwertung von sozial benachteiligten Ortsteilen betont.
Auf der Handlungsebene sind dies u.a. die Sanierung, Modernisierung und der Neubau von Wohnungen, die Anpassung von Wohnungszuschnitten sowie die Stabilisierung der lokalen Sozialstruktur unter anderem durch ein entsprechendes Belegungsmanagement öffentlich geförderter Wohnungen. Diese Diversifikation findet in Wilhelmsburg konkret statt (siehe Kap.7.1.1 bis 7.1.5). [...]
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Der Hamburger Stadtteil Wilhelmsburg
3. Veränderte strukturelle Bedingungen in Hamburg als Grundlage für die Aufwertung von Stadtteilen
4. Die konkrete Umsetzung der ordnungs- und baupolitischen Veränderungen im Stadtteil Wilhelmsburg
5. Sozialstrukturdaten von Wilhelmsburg und von Hamburg
5.1 Sozialstrukturdaten in Wilhelmsburg und in Hamburg in 2000
5.1.1 Interpretation der Statistik
5.2 Sozialstrukturdaten in Wilhelmsburg und in Hamburg in 2005
5.2.1 Interpretation der Statistik
5.3 Sozialstrukturdaten in Wilhelmsburg und in Hamburg 2010
5.3.1 Interpretation der Statistik
5.4 Sozialstrukturdaten in Wilhelmsburg und in Hamburg in 2012
5.4.1 Interpretation der Statistik
6 Erste Handlungskonzepte in Wilhelmsburg ab den 1970er Jahren
7 Aktuelle Stadtentwicklung in Wilhelmsburg / Sprung über die Elbe
7.1 Internationale Bauausstellung (IBA)
7.1.1 Modernisierungs- und Sanierungsarbeiten im Reiherstiegviertel
7.1.2 Neubau von Wohnungen
7.1.3 Umgestaltung der S-Bahn Wilhelmsburg und im Umfeld des Bahnhofs
7.1.4 Verlegung der Wilhelmsburger Reichsstraße
7.1.5 Sanierungsgebiet Korallusviertel
7.2 Internationale Gartenschau (IGS)
7.3 Soziale Erhaltungsordnung
8 Ausblick und Zusammenfassung
Literaturverzeichnis
Anhang 1 Immobilienpreise 2012 in Hamburg nach Landesbausparkasse (LBS)
Anhang 2 Hamburger Mietenspiegel 2011
Anhang 3 Kinder mit Migrationshintergrund S1, Schulabschlüsse S7
Anhang 4 Wanderungsvolumen (Summe Zu- und Fortzüge) Karte 18
Tabellenverzeichnis
Tabelle 2g Verteilung Deutsche und Ausländer in 1961 und in 1977
Tabelle 2h Ausländeranteil in Wilhelmsburg und in Hamburg 1978
Tabelle 2i Migrationsherkunft in Hamburg und in Wilhelmsburg 2010
Tabelle 3a Entwicklung der Einwohnerzahl Hamburgs 2004 bis 2011
Tabelle 5.1 Sozialstrukturdaten in Wilhelmsburg und in Hamburg in 2000
Tabelle 5.2 Sozialstrukturdaten in Wilhelmsburg und in Hamburg in 2005
Tabelle 5.3 Sozialstrukturdaten in Wilhelmsburg und in Hamburg in 2010
Tabelle 5.4 Sozialstrukturdaten in Wilhelmsburg und in Hamburg in 2012
Tabelle 5.4.1a Mietwohnungsangebote in Wilhelmsburg in 2013
Tabelle 6a Einwohnerzahl in Wilhelmsburg und in Hamburg 1961 und 1977 ..
Tabelle 7.1.1a Baulicher Zustand der Wohnungen im Reiherstiegviertel
Tabelle 7.1.2g Immobilienpreise Wohnungen im Hybridhaus in 2012
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 2a Karte vom Stadtstaat Hamburg
Abbildung 2b Karte vom Stadtteil Wilhelmsburg
Abbildung 2c Vogelhüttendeich 1962
Abbildung 2d Vulkanstraße 1979
Abbildung 2e Sturmflut in Wilhelmsburg 1962
Abbildung 2f Sturmflut in Wilhelmsburg 1962
Abbildung 2j Hafengebiet
Abbildung 2k Hafengebiet
Abbildung 2l Kaiserspeicher
Abbildung 2m Kaiserspeicher
Abbildung 2n Portalkräne am Kaiserspeicher
Abbildung 2o Gleisanlagen am Kaiserspeicher
Abbildung 2p Containerterminal
Abbildung 2q Speicheranlagen
Abbildung 6b Vogelhüttendeich
Abbildung 6c Veringstraße 27
Abbildung 6d Grünflächen nach der Renovierung
Abbildung 6e Grünfläche nach der Renovierung
Abbildung 6f Reiherstiegviertel nach der Sanierung
Abbildung 6g Reiherstiegviertel nach der Sanierung
Abbildung 6h Altes Rathaus nach der Sanierung
Abbildung 6i Alter Wasserturm nach der Sanierung
Abbildung 7.1.1b Café Mokreystraße 15
Abbildung 7.1.1c Boutique Mokreystraße 17
Abbildung 7.1.1d Saniertes Gründerzeithaus im Reiherstiegviertel
Abbildung 7.1.1e Sanierter Straßenzug Mokreystraße
Abbildung 7.1.1f Saniertes Gründerzeithaus im Reiherstiegviertel
Abbildung 7.1.1g Szene-Café Veringstraße
Abbildung 7.1.2a IBA-Neubau von Etagenwohnung
Abbildung 7.1.2b IBA-Hybridhaus
Abbildung 7.1.2c IBA-Niedrigenergiehaus
Abbildung 7.1.2d IBA-Niedrigenergiehaus
Abbildung 7.1.2e IBA-Waterhouse
Abbildung 7.1.2f IBA-Waterhouse mit Anlegesteg
Abbildung 7.1.3a Umbau S-Bahnhof Wilhelmsburg
Abbildung 7.1.3b Umbau S-Bahnhof Wilhelmsburg
Abbildung 7.1.3c Umgestalteter S-Bahnhof Wilhelmsburg
Abbildung 7.1.3d Umgestalteter S-Bahnhof Wilhelmsburg
Abbildung 7.1.3e Neubau Wilhelmsburger Einkaufszentrum
Abbildung 7.1.3f Pavillon am Wilhelmsburger Einkaufszentrum
Abbildung 7.1.3g Neubau Wilhelmsburger Einkaufszentrum
Abbildung 7.1.3h Neubau Wilhelmsburger Einkaufszentrum
Abbildung 7.1.3i Umbau-Berta Kröger-Platz
Abbildung 7.1.3j Hochhaussiedlung Kirchdorf-Süd
Abbildung 7.1.3k Hochhaussiedlung Kirchdorf-Süd
Abbildung 7.1.3l Wärmeisoliertes Haus am Berta-Kröger-Platz
Abbildung 7.1.3m Wärmeisoliertes Haus am Berta-Kröger-Platz
Abbildung 7.1.3n Rohbau der Behörde für Stadtentwicklung
Abbildung 7.1.3o Fertiggestellte Behörde für Stadtentwicklung
Abbildung 7.1.4a Luftbildaufnahme von Wilhelmsburg
Abbildung 7.1.5a Korallusviertel
Abbildung 7.1.5b Korallusviertel
Abbildung 7.2a IGS-Bauschild
Abbildung 7.2b IGS-Bauschild
Abbildung 7.2c IGS-Gartenanlage
Abbildung 7.2d IGS-Gartenanlage
Abbildung 7.2e IGS-Eingangsbereich
Abbildung 7.2f IGS-Gartenanlage
Abkürzungsverzeichnis
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
1 Einleitung
Diese Arbeit setzt sich mit dem Hamburger Stadtteil Wilhelmsburg auseinander und der Frage danach, ob dort eine Gentrification1 stattfindet. Städtische Wohngebiete unterliegen Veränderungsprozessen, bezogen auf Gebäudenutzung, Wohndichte, Zustand der Gebäude, Alters- und Sozialstruktur der Bevölkerung. Dabei findet Gentrification vorwiegend in Gebieten statt, die nahe dem Stadtzentrum liegen, mit Gebäuden aus der Gründerzeit, überwiegend einen schlechten Gebäudezustand aufweisen, niedrige Bodenpreise und niedrige Mieten aufweisen, statusniedrige Bewohner haben und zum Teil bereits in städtebaulichen Sanierungsgebieten liegen oder hierfür vorgesehen sind (vgl. Spellerberg 2004: 11f; Friedrichs 1998: 60). Im Untersuchungsgebiet Wilhelmsburg gab und gibt es städtebauliche und siedlungsstrukturelle Defizite, die zu den Kernproblemen benachteiligter Stadtteile gehören, wie unsanierter Wohnbestand, geringe Quadratmeterzahl pro Wohneinheit, einen hohen Anteil industriell genutzter Flächen in unmittelbarer Nähe zu Wohnquartieren, hohe Fluktuation, Leerstand und Vermietungsschwierigkeiten (vgl. Bundestransferstelle Soziale Stadt 2008: 34f). Entsprechend wird in § 171e BauGB die besondere Bedeutung städtebaulicher Maßnahmen zur Stabilisierung und Aufwertung von sozial benachteiligten Ortsteilen betont.
Auf der Handlungsebene sind dies u.a. die Sanierung, Modernisierung und der Neubau von Wohnungen, die Anpassung von Wohnungszuschnitten sowie die Stabilisierung der lokalen Sozialstruktur unter anderem durch ein entsprechendes Belegungsmanagement öffentlich geförderter Wohnungen. Diese Diversifikation findet in Wilhelmsburg konkret statt (siehe Kap.7.1.1 bis 7.1.5).
In dem gewachsenen traditionellen Arbeiterstadtteil Wilhelmsburg mit hohem Migrationsanteil (vgl. Melderegister 2010 - nur Hauptwohnsitz - ergänzt um Schätzungen mit MigraPro durch das Statistische Amt für Hamburg und Schleswig - Holstein) entstanden in den letzten Jahren neue Wohngeschossbauten, die architektonisch nicht dem bisherigen Bild des Stadtteils mit seinen Gründerzeit2 - und Nachkriegsbauten entsprechen (vgl. IGS 2013). Die Mieten für diese Neubauten liegen nicht im bisherigen Preisgefüge des Stadtteils, sondern sind deutlich höher (vgl. Hamburger Mietenspiegel 2011, Statistisches Amt für Hamburg und Schleswig - Holstein 2011: 52f; vgl. Tab. 7.1.2g).
Seit ein paar Jahren findet - initiiert durch den Hamburger Senat ein Aufwertungsprozess in Wilhelmsburg statt. Dazu werden städtebauliche Maßnahmen wie die Internationale Bauausstellung (IBA) und die Internationale Gartenschau (IGS) angewendet. Des Weiteren gibt es eine Vielzahl anderer Maßnahmen, z.B. regelmäßige Zeitungsberichte über die Veränderungen im Stadtteil, geführte Besichtigungen durch den Stadtteil mit dem Ziel, diesen einer breiteren Öffentlichkeit bekannt zu machen sowie eine veränderte Belegungspolitik des Staatlichen Wohnungsbauunternehmens SAGA / GWG (vgl. Kap. 7.1.1). Für die Investoren bieten die genannten Schritte gute Chancen auf höhere Mieteinkünfte. Der bisherige Arbeiterstadtteil Wilhelmsburg mit einem überdurchschnittlich hohem Ausländeranteil (vgl. Statistisches Amt für Hamburg und Schleswig - Holstein 2010) gerät damit zunehmend in den Blickpunkt von Staat, Investoren und Öffentlichkeit.
Die Aufwertung des Stadtteils u.a. durch Neubauten mit hohem Wohnkomfort soll eine neue Käufer- und Mieterschicht anziehen, die bisher nicht an diesem Stadtteil interessiert war. Die Konzentration auf eine Zielgruppe mit hohen monetären Ressourcen kann in der Folge zu einer (teilweisen) Verdrängung der ursprünglichen Bewohner führen.
Zur vorliegenden Arbeit werden folgende Arbeitshypothesen aufgestellt:
- durch die Maßnahmen des Hamburger Senats wird aktiv eine Aufwertung des Stadtteils betrieben und
- Menschen mit niedrigem Einkommen3 werden verdrängt
Nach Birzer, Feindt, Spindler (vgl. 1997: 11) entscheidet sich in den Städten die Zukunft der Menschheit. Wie der Staat in diesen Stadtteil eingreift und welche Folgen dies für Wilhelmsburg und die dort lebenden Menschen hat, zeigt diese Masterarbeit auf.
Im 2. Abschnitt wird der Hamburger Stadtteil Wilhelmsburg vorgestellt.
Im 3. Abschnitt wird auf die veränderten strukturellen Bedingungen in Hamburgs als Grundlage für die Aufwertung4 von Stadtteilen sowie auf verschiedene städtebauliche Instrumente eingegangen. Der 4. Abschnitt behandelt die methodische Umsetzung der ordnungs- und baupolitischen Maßnahmen in Wilhelmsburg. Im 5. Abschnitt wird der Stadtteil Wilhelmsburg anhand von Sozialstrukturdaten im Rahmen der Zeitreihe 2000, 2005, 2010 und 2012 vorgestellt und die Daten einer Interpretation unterzogen. Der 6. Abschnitt geht auf die ersten Handlungskonzepte im Stadtteil Wilhelmsburg ab den 1970er Jahre ein. Im 7. Abschnitt werden die aktuellen Bauvorhaben in Wilhelmsburg vorgestellt. Der 8. Abschnitt schließt mit einer Zusammenfassung dieser Masterarbeit. Es werden dabei die im 1. Kapitel aufgestellten Arbeitshypothesen auf ihre Richtigkeit hin überprüft sowie die Chancen und Risiken der Ausstrahlungseffekte in Wilhelmsburg beleuchtet.
2 Der Hamburger Stadtteil Wilhelmsburg
Wilhelmsburg hat eine Fläche von 35,3 km2. Dort leben 49.803 Einwohner bei einer Bevölkerungsdichte von 1411 Einwohnern / km2 (vgl. Statistisches Amt für Hamburg und Schleswig - Holstein 2012).
Auf Abbildung 2a sieht man den Stadtstaat Hamburg. Der Bezirk Hamburg-Mitte ist gelb markiert (1). Zu ihm gehört der rot markierte Stadtteil Wilhelmsburg (2). Bis zur Gebietsreform5 in 2008a gehörte Wilhelmsburg zum südlich gelegenen Bezirk Hamburg - Harburg (3).
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb. 2a Karte vom Stadtstaat Hamburg (vgl. Statistisches Amt für Hamburg und Schleswig-Holstein 2008a)
Die Elbe galt immer als natürliche Grenze zwischen dem Süden und dem Norden Hamburgs.
Die Abbildung 2b zeigt eine detaillierte Ansicht vom Stadtteil Wilhelmsburg. Im oberen Teil der Abbildung erkennt man Hamburgs alten Stadtkern (1) in seiner rundlichen Form. Hier befand sich im Mittelalter die Festungsanlage. Südlich davon - getrennt durch die Norderelbe (2) - befindet sich der Stadtteil Wilhelmsburg (3), der bis zur Süderelbe (4) reicht.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Wilhelmsburg liegt „(...) im Stromteilungsgebiet zwischen Norder- und Süderelbe (...)“ (Holtmann, Skentny 1987: 247). Ursprünglich befanden sich im Stromteilungsgebiet mehrere Inseln, sogenannte Werder6. Hiervon zeugen noch einzelne Gebietsbezeichnungen in dieser Gegend (Steinwerder, Finkenwerder, Altenwerder, Georgswerder etc.). Ab 1333 begann man mit der Eindeichung der Werder zum Zwecke der weiteren Besiedelung (vgl. Clausen 2008: 7). 1333 schließt der Besitzer von Stillhorn Ritter Johan Schake mit dem Vogt von Ochsenwerder, Peter Aldach einen Vertrag über die südöstliche Eindeichung von Stillhorn ab (vgl. a.a.O.: 7). In der Folgezeit kommen die Siedler aus der nächsten Nachbarschaft (vgl. a.a.O.: 7). In den darauf folgenden Jahrhunderten entstand ein großer Werder, der später nach dem damaligen Kaiser Wilhelm I benannt wurde -Wilhelmsburg (vgl. a.a.O.: 7).
Mit der Hafenerweiterung entstanden immer mehr Schiffswerften und, Fabriken. Durch diesen industriellen Prozess entwickelte sich das ursprünglich landwirtschaftliche Gebiet mehr und mehr zu einem Industriestandort, wodurch immer mehr Menschen dorthin zogen, um Arbeit zu finden. Um den Bedarf an Wohnraum zu decken, wurden - unter der Federführung des damaligen Hamburger Senats - ab den 1870er Jahren Wohnetagenhäuser gebaut. Es entstand das Reiherstiegviertel (vgl. Kap. 7.1.1) mit seiner bis heute erhaltenden durchgehenden Bebauung von Gründerzeithäusern (vgl. Heye, Odermatt 2006: 52). Wilhelmsburg wurde im Zuge der Industrialisierung zu einem Arbeiterbezirk, wo Wohnen und Arbeiten eng zusammen lagen (vgl. Abb. 2c, 2d). Die Wohnungen waren klein und der Standard der sanitären Anlagen gering (vgl. a.a.O.: 52).
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb. 2c Vogelhüttendeich 1962 Abb. 2d Vulkanstraße 1979
(vgl. Geschichtswerkstatt Wilhelmsburg und Hafen) „In den 1960er Jahren treten die ethnischen Minderheiten als neues quantitatives gewichtiges Segment der westdeutschen Sozialstruktur in Erscheinung“ (Geißler 2006: 231). Zwischen 1960 und 1970 stieg die Zahl der Ausländer bundesweit von 700.000 auf 3.000.000 (vgl. a.a.O.: 231).
Ende 2010 lebten 6,75 Millionen Ausländer in Deutschland (vgl. Statistisches Bundesamt Deutschland 2011a: 10). Die letztgenannte Zahl generiert sich aus der Zahl der Angeworbenen und aus denen, die im Rahmen der Familienzusammenführung nachreisten bzw. der hier geborenen Kinder der Arbeitsmigranten. „Die ethnischen Minderheiten sind nicht gleichmäßig verteilt, sondern konzentrieren sich auf die alten Bundesländer und dort wiederum auf Großstädte und industrielle Ballungszentren“ (Geisler 2006: 231).
Zuerst wohnten die Gastarbeiter in den von den Anwerberfirmen zur Verfügung gestellten Wohnunterkünften, später - auch im Rahmen von Familienzusammenführungen - in Mietwohnungen.
Durch Abwanderung vieler deutschstämmiger Bewohner in die Neubaugebiete am Stadtrand wurden Wohnungen in Wilhelmsburg frei. Die Gründe für die Abwanderungen waren zum einen die Flutkatastrophe7 von 1962 (vgl. Abb. 2e, 2f). Nach der Flut durften die bis dahin von Deutschen bewohnten Kleingärten (Behelfsheime) nicht wieder bezogen werden (vgl. Bezirksamt Hamburg 1978: 3f). Zum anderen die allgemeine Steigerung der Wohnflächenansprüche, die zunehmende Immissionsbelastung durch die örtliche Industrieunternehmen und der wachsende Straßenverkehr (vgl. a.a.O.: 3f).
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb. 2e Abb. 2f
Sturmflut in Wilhelmsburg 1962 Sturmflut in Wilhelmsburg 1962 (beide Fotos: Privatarchiv Gerhard Pietsch)
Die Migranten siedelten sich vermehrt in Wilhelmsburg an, da er besonders preiswerten Wohnraum bot (vgl. Statistisches Amt Hamburg und Schleswig - Holstein 2006) und nahe den industriellen Arbeitsplätzen lag. Der vermehrte Zuzug von Migranten nach Wilhelmsburg soll anhand der Tabelle 2g verdeutlicht werden:
Tabelle 2g Verteilung Deutsche und Ausländer in 1961 und in 1977
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
(vgl. Bezirksamt Hamburg 1978: 3)
Der Ortsteil 712 (Reiherstiegviertel), war zur damaligen Zeit ein Mischgebiet bestehend aus Mietswohnungen, Industrie- und Gewerbegebieten. Bis 1961 wohnten dort keine Ausländer, während im gesamten Stadtteil Wilhelmsburg der Ausländeranteil im Vergleich zur deutschen Bevölkerung bei 0,56% und in Hamburg bei 3,2% lag.
In 1977 lag der Ausländeranteil im Ortsteil 712 bereits bei 43,9%, in Wilhelmsburg bei 19,2% und in Hamburg bei 7,1%8.
Der Anstieg der Zahl der Ausländer in Wilhelmsburg im Zeitraum 1961 bis 1977 verlief somit rasant. In diesem Stadtteil konzentriert sich bis dato eine große Anzahl von Migranten, die weit höher liegt als in Gesamt - Hamburg. Die Nachkommen der Arbeitsmigranten wurden in Wilhelmsburg geboren und besuchten die Kindergärten und Schulen des Stadtteils (Machule 2004: 309). In Wilhelmsburg entstand damit ab den 1960er Jahren eine ethnische Segregation und der Stadtteil wurde von vielen Hamburgern als 'der Balkan' bezeichnet und für viele Deutsche als Wohnort unattraktiv (vgl. a.a.O.: 309). Dies kann man gut an der folgenden Tabelle erkennen, in der die Altersgruppen gegenüber gestellt wurden:
Tabelle 2h Ausländeranteil in Wilhelmsburg und Hamburg 1978
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
(vgl. Bezirksamt Hamburg 1978: 7)
Die Tabelle 2h zeigt den hohen Ausländeranteil in Wilhelmsburg (21,3%) im Vergleich zu Hamburg (9,1%). In der Altersgruppe der unter 18 und der 21 bis 64 jährigen ist der Anteil doppelt so hoch wie im Vergleich zum Hamburger Durchschnitt. Lediglich in der Altersgruppe über 65 Jahre ist der Ausländeranteil im Hamburger Durchschnitt (0,9%) doppelt so hoch wie in Wilhelmsburg (0,4%). Allerdings ist der Anteil in dieser Altersgruppe marginal und damit nicht aussagekräftig zu werten.
Wilhelmsburg hat mittlerweile einen Ausländeranteil von 33,5% und Hamburg einen Ausländeranteil von 13,6% hat (vgl. Statistisches Landesamt für Hamburg und Schleswig - Holstein 2013c: 52f).
In 2010 verteilte sich die Zahl der unterschiedlichen Ethnien in Hamburg und Wilhelmsburg folgendermaßen:
Tabelle 2i Migrationsherkunft in Hamburg und in Wilhelmsburg in 2010
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
(vgl. Melderegister 2011b (nur Hauptwohnsitz) ergänzt um Schätzungen mit MigraPro durch das Statistische Amt für Hamburg und Schleswig - Holstein).
In Wilhelmsburg liegt der Anteil der türkischen Migranten bei fast 40% und in Hamburg bei 18%. Damit ist der Anteil der türkischen Bevölkerung in Wilhelmsburg doppelt so hoch wie im Hamburger Vergleich. Die zweitgrößte Migrantengruppe sind die polnischen Staatsbürger mit 8,4%. Im Hamburger Durchschnitt liegen sie mit 12,8% sogar um ein Drittel höher. Der hohe türkische Migrantenanteil in Wilhelmsburg ergibt sich aus der Anwerbung von Arbeitskräften vor allem aus der Türkei (vgl. Geißler 2006: 238) die im Wilhelmsburger Hafengebiet Arbeit fanden. Im späteren Verlauf, zogen die Ehefrauen und ihre Kindern im Rahmen der Familienzusammenführung nach (vgl. a.a.O.: 238).
Der Norden von Wilhelmsburg ist durch den Freihafen stark industriell geprägt. Hier findet ein großer Teil der Abfertigung des Güterverkehrs, des Container- sowie des Schwerlasttransportes statt.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Die Abbildungen 2p und 2q zeigen typische Hamburger Freihafenszenen. Links per Satellit gesteuerte Containerkräne und rechts im Hintergrund einen über hundert Jahre alten Speicher und weiter vorn im Bild einen Speicher aus den 1960er Jahren.
Der nächste Abschnitt beschäftigt sich mit den veränderten strukturellen Bedingungen der Hamburger Stadt- und Wirtschaftsplanung und den daraus folgenden Aufwertungsprozess.
3 Veränderte strukturelle Bedingungen in Hamburg als Grundlage für die Aufwertung von Stadtteilen
Dieser Abschnitt beginnt mit der stadtsoziologischen Entwicklung Hamburgs ab den 1960er Jahren.
In den 1960er Jahren galt Hamburg als eine der reichsten Städte Europas (vgl. Berger, Schmalfeld 1999: 317). Reichtum bedeutete zum damaligen Zeitpunkt die Partizipation am niemals endenden Wirtschaftsboom durch große Teile der arbeitenden Bevölkerung in Form steigender Löhne und einer damit einhergehenden Teilhabe an materiellen Gütern. Ab Mitte der 1970er Jahre geriet Hamburg in eine wirtschaftliche Krise, die bis Ende der 1980er Jahre anhielt (vgl. a.a.O.: 317). Durch den Niedergang von alten Industriebereichen die mit Arbeitsplatzverlusten in der Arbeiter- schicht10 einhergingen11, entstanden neue Dienstleistungsbereiche und der Zuzug einer finanzkräftigen Schicht12.
Ab Mitte der 1980er Jahre veränderte sich „(...) die Beschäftigungslandschaft der Hansestadt grundlegend“ (Kronauer, Vogel 2004: 239). Kronauer und Vogel zitieren dabei Läpple 1996, Gorning 1999 und die Süddeutsche Zeitung aus dem Jahr 2000, die zu dem Ergebnis kommen, dass das Hamburger Wirtschaftsleben heutzutage durch die Wirtschaftsbereiche Finanzdienstleistungs-, Medien- und Kommunikationsunternehmen, Bio- und Informationstechnologie sowie Werbewirtschaft geprägt ist (vgl. a.a.O.: 239). „Verantwortlich für diesen Wandel war die seit den 1980er Jahren durch den Hamburger Senat „(...) betriebene Wirtschaftspolitik und Wirtschaftsförderung, die eine Abkehr von den traditionellen Industriebranchen des Schiffbaus, der Mineralöl- oder der Stahlverarbeitung forcierte“ (a.a.O.: 239).
Die neue finanzkräftige Schicht, die durch die o.g. Wirtschaftsbereiche angezogen wurde, hat einen höheren Anspruch an den Wohnkomfort als die bis dahin vorherrschende Arbeiterschicht. Um diesen gehobenen Ansprüchen an Wohnraum zu genügen, wurde im Rahmen der wachsenden Metropolregion Hamburg städtebaulich Wohnungen - zumeist Altbauten - saniert und Wohnungen mit hohem Komfort gebaut (vgl. Oßenbrügge, Heeg, Klagge 2004: 45).
Dies ist nach (vgl. Breckner 1998: 279ff) als Prozess zu verstehen, der mit Mitpreissteigerungen aufgrund von Modernisierung und Neubauten, durch regelmäßige Anpassungen des Mietspiegels an die höheren Neuvermie- tungen und spekulativen Investitionen einhergeht. In diesem Zusammenhang zeigt das Beispiel Hamburg, dass Ende der 1990er Jahre 75% aller Wohnungen auf dem Hamburger Wohnungsmarkt noch kleiner als 70 qm waren (vgl. a.a.O.: 282). Früher wohnten in solchen Einheiten vier oder mehr Personen, während heute der durchschnittliche Wohnflächenverbrauch auf mehr als 40 qm pro Person gestiegen ist (vgl. a.a.O.: 285). Die Mehrzahl der Hamburger Wohnungen sind somit nach heutigen Maßstäben oft schon für zwei Personen zu klein ist, wodurch der Nachfragedruck auf größere Wohnungen steigt und insbesondere in attraktiven Lagen zu überdurchschnittlichen Preissteigerungen führt (vgl. a.a.O.: 285). Wohnungen mit einem hohen Standard zu bauen bzw. Altbauten zu sanieren fordert eine aktive Wohnungsbaupolitik, die es schafft, „(...) das Wohnungsangebot für eine wachsende Stadt und - vor allem - zunehmend diversifizierte Bevölkerung in quantitativer und qualitativer Hinsicht zu verbessern“ (vgl. a.a.O.: 45). Dies erfolgt nicht nur, um einer veränderten Bevölkerungsschicht gerecht zu werden, sondern auch um der Abwanderung in die Randgebiete entgegenzuwirken (vgl. a.a.O.: 44).
Diese städtebauliche Entwicklung in Hamburg unterteilen Berger und Schmalfeld (vgl. 1993: 318f) in die drei Bereiche: unternehmerische Stadt, soziale Großstadtstrategie und die wachsende Stadt welche im Folgenden erklärt werden:
Die unternehmerische Stadt
Die Städtebaulichen Veränderungen wurden Anfang der 1980er Jahre durch den damaligen ersten Bürgermeister, Klaus von Dohnanyi, initiiert. Hamburgs Wirtschaftsstruktur sollte auf neue Wachstumsmärkte ausgerichtet werden (vgl. a.a.O.: 318). „Wachstum sollte künftig weniger durch industrielle Massenproduktion, wie in den 1960er und 1970er Jahren, sondern durch eine Konzentration auf die 'neuen' profitablen Bereiche der Weltwirtschaft, wie etwa unternehmensbezogene Dienstleistungen, Medienwirtschaft oder hochspezialisierte Produktion (z.B. Medizintechnik, Flugzeugbau) und in enger projektbezogener Zusammenarbeit von Politik, Wirtschaft, Hochschulen und Verwaltung erreicht werden“ (a.a.O.: 318). Das Konzept konzentrierte sich auf eine Neuansiedlungspolitik und im besonderen Maße auf die Verbesserung der Lebensqualität (vgl. Berger und Schmalfeld 1993: 319). „Durch Vereinfachung (...) von Planungs- und Umweltschutzvorschriften sollten konkrete politische Einflussmöglichkeiten dereguliert; Wirtschaftspolitik sollte auf die Schaffung günstiger Rahmenbedingungen beschränkt und sonstige Entwicklungen dem Markt überlassen werden“ (a.a.O.: 319).
Nach Schipper (2012: 203) ist es „(...)“ primäres Ziel unternehmerischer Stadtpolitik, global agierendes Kapital, einkommensstarke Haushalte und Konsumenten / innen im interkommunalen Wettbewerb anzuziehen (...)“. „Resultat ist üblicherweise ein Umbau der kommunalen Armutsverwaltung durch Rückbau des lokalen Wohlfahrtstaates (...), ein Rückzug aus dem sozialen Wohnungsbau und ein verschärftes Kontrollregime gegenüber marginalisierten Gruppen“ (a.a.O.: 204). Schipper (2012: 204) geht weiter davon aus, dass Lokalpolitik nicht die Aufgabe hat, „(...) die Stadt nach dem (widersprüchlichen) Wünschen der Bewohner zu gestalten, sondern im Sinne eines objektiven Allgemeininteresses die notwendigen Veränderungen zu vollziehen, welche Globalisierung und Wettbewerb zwingend erfordern“. Dabei sind für Schipper (vgl. 2012: 204f) Bürgerbeteiligungen wie Anhörungen zu Bau- und Sanierungsvorhaben von staatlicher Seite konstruiert, um lokale Selbstbestimmung vorzutäuschen bzw. die angebliche Alternativlosigkeit von Bauprojekten zu unterstreichen. Durch diesen Prozess rückt der globale Wettbewerb von Städten ins absolute Zentrum und droht „(...) jegliche gesellschaftliche und stadtpolitische Fragen zu dominieren (...)“ (a.a.O.: 205).
Dabei haben sich so Schipper (vgl. 2012: 206f) weiter, betriebswirtschaftliche Steuerungselemente in der kommunalen Verwaltung etabliert, die mittlerweile auf die dortigen Mitarbeiter übergegangen sind, welche von den unternehmerischen Notwendigkeiten überzeugt sind.
Nach Schipper (vgl. 2012: 209f) kann das Konzept der unternehmerischen Stadt in drei Elemente aufgegliedert werden:
Erfindung von Standortpolitik mit der regiert wird Hierunter versteht man eine veränderte Politik auf Grundlage der ökonomischeren Probleme der 1980er Jahre (Wegfall der Industriebetriebe, Entstehung neuer Technologien, Ansiedlung beruflich höher qualifizierter etc.), die bereits o.g. wurden (vgl. a.a.O.: 209).
Konstruktion der Wissensordnung vom Wettbewerb der Städte Hierzu gehören die Festigung bzw. Neuerrichtung von Wissenschaftszentren, der Bau und die Sanierung von Wohnungen, die Subventionierung von Wirtschaftsbetrieben (vgl. a.a.O.: 213).
Implementierung von Technologien und Praktiken des Regierens Nach Schipper (vgl. 2012: 214) sind Städte-Rankings ein probates Mittel wodurch sich die Mitarbeiter / innen der Kommunen als Manager des Unternehmens Stadt sehen und durch die sich die Hegemonie neoliberaler Rationalität erklären lässt. Hierbei wird nicht nur systematisch“ (...) eine partikuläre Perspektive - nämlich die von 'Spitzenunternehmen'- als universale, objektive Beurteilung städtischer Qualitäten bevorzugt, sondern durch die Abstraktion vom Sozialen vor allem ein beständiger Appell transportiert, die gegenwärtigen Handlungen auf das Ziel der Wettbewerbsfähigkeit der Stadt hin anzupassen“ (a.a.O.: 215).
Während in den klassischen Industriebetrieben Arbeitsplätze verloren gingen, wurden in den o.g. neuen Wirtschaftsbereichen Arbeitsplätze geschaffen. Dadurch zogen entsprechend gute bis sehr gut ausgebildete Menschen (z.B. Techniker, Hochschulabsolventen) nach Hamburg. Diese überwiegend finanzkräftige Schicht hat wie o.g. entsprechende Wünsche an den Komfort von Wohnungen, der mit den Wünschen bzw. Ansprüchen der Arbeiterschicht nicht korrespondiert. Dieser Faktor und die schlechte bauliche Beschaffenheit vieler Hamburger Innenstadtbezirke veranlassten den damaligen Hamburger Senat unter Anwendung des Konzeptes der unternehmerischen Stadt zu Beginn der 1990er Jahre die Stadtteile St. Georg, St. Pauli - Süd und Altona - Nord zu Sanierungsgebieten zu benennen (vgl. F+B 1997: 14). Die Anwendung des Konzeptes führte einerseits zu Wohnungssanierungen, Verschönerung von Grünanlagen und verbesserte kulturelle Möglichkeiten, andererseits aber auch zu Mieterhöhungen und zur vermehrten Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen13.
Soziale Großstadtstrategie
„Wohnungsnot, Armut und deren räumliche Konzentration in (...) sozialen Brennpunkten machten Anfang der 1990er Jahre eine Veränderung der Zielsetzung politischer Inhalte notwendig“ (Berger, Schmalfeld 1999: 329). Anhaltend hohe Arbeitslosigkeit und steigende Zahlen von Sozialhilfeempfängern ließen Zweifel an dem bisherigen Konzept stetigen Wachstums aufkommen (vgl. a.a.O.: 329). Es wurden durch die Hamburger Behörde für Soziales, Familie und Integration ein Armutsbericht verfasst worauf hin soziale Projekte in sozialen Brennpunkten finanziert wurden (vgl. a.a.O.: 329). Die vom damaligen Hamburger Senat initiierten Armutsbekämpfungsmaßnahmen zur Verbesserung der sozialen Lebenslagen in der Stadt wurden von Sozialverbänden als bloße Abfederung des Konzeptes der unternehmerischen Stadt kritisiert.
„Für das Haushaltsjahr 2011 wurden die Bundesmittel im Bund-LänderProgramm 'Stadtteile mit besonderem Entwicklungsbedarf - Soziale Stadt' von zuvor rund 95 Millionen Euro auf nunmehr knapp 29 Millionen Euro reduziert“ (Franke 2011: 6). Außerdem können aus dem Programm seit 2006 keine Modellvorhaben mehr im sozial-integrativen Bereich finanziert werden (vgl. a.a.O.: 6). „Förderfähig waren Maßnahmen und Projekte in Gebieten der Sozialen Stadt in den Bereichen Spracherwerb, Verbesserung von Schul- und Bildungsabschlüssen, Betreuung von Jugendlichen in der Freizeit (...)“ (a.a.O.: 6). „Die Programmmittel sollen nur noch für bau- lich-investive Maßnahmen und Projekte eingesetzt werden; eine Umverteilung von Mitteln aus anderen Städtebauförderungsprogrammen zugunsten der Sozialen Stadt ist nicht mehr möglich“ (a.a.O.: 6).
An dieser Aussage kann man ablesen, dass die Fördermittel primär für städtebauliche Veränderungen und nicht mehr für soziale Belange im Umfeld der Stadtentwicklung eingesetzt werden.
Die wachsende Stadt
Der Hamburger Senat möchte mit dem Konzept der wachsenden Stadt langfristig die Einwohnerzahl steigern und damit ein erhöhtes Steuereinkommen erzielen (vgl. Schildt 2008: 25). Dieses Konzept ähnelt vielen anderen Stadtkonzepten und ist umstritten, da Hamburg zwar vom Zustrom aus den neuen Bundesländern und ortsnahen Landkreisen, wie Schleswig
- Holstein und Niedersachen profitiert, gleichzeitig aber mehr Hamburger die Stadt verlassen und ins 'Grüne' ziehen (vgl. a.a.O.: 25).
Die Entwicklung der Einwohnerzahl (ohne Geburten- und Sterbezahlen) hat sich in der Zeitreihe von 2004 bis 2011 folgendermaßen entwickelt:
Tabelle 3a Entwicklung der Einwohnerzahl Hamburgs 2004 bis 2011
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
(vgl. Statistischen Amt Hamburg und Schleswig - Holstein 2011: 2; 2010: 5, 2008b: 2ff, 2006: 5ff, 2004: 2ff).
Im Jahr 2004 war die Zahl der Fortzüge höher als die Zahl der Zuzüge. In den Jahren 2006, 2008, 2010 und 2011 lag der Saldo über 4.000 Einwohner. Schildts Behauptung der schrumpfenden Städte trifft für Hamburg seit 2006 deshalb nicht mehr zu. Die positiven Salden ab 2006 sind die Folge der unternehmerischen Stadt, speziell die Neubauten und Sanierung von Altbeständen sowie eine veränderte Wirtschaftspolitik..
Das Konzept des Hamburger Senats - die Einwohnerzahl zu steigern - ist ab 2006 aufgegangen. Allerdings schwebt dem Hamburger Senat vor, die Einwohnerzahl mittelfristig (20 Jahre) von 1,7 auf 2 Millionen Einwohner zu steigern, was einer Steigerungsrate von 15% entspricht (vgl. Hamburger Senat der Freien und Hansestadt Hamburg 2002). Dieses Ziel kann nur durch ein durchschnittliches jährliches Saldo von 15.000 zusätzlichen Einwohnern erreicht werden. Dieser Wunsch ist bezogen auf die Salden ab 2006 unrealistisch.
In diesem Abschnitt wurden anhand dreier Begriffe die veränderten Grundlagen der Wohnungsbaupolitik erläutert.
Im nächsten Abschnitt soll auf dieser Grundlage und unter Verwendung stadtsoziologischer Begriffe, die konkreten Veränderungen im Stadtteil Wilhelmsburg aufgezeigt werden. Sie dienen als Grundverständnis für den städtischen Wandel in Wilhelmsburg. Die konkrete Umsetzung der ordnungs- und baupolitischen Veränderungen im Stadtteil Wilhelmsburg
Anhand methodischer Erläuterungen soll in diesem Abschnitt erklärt werden, auf welchen stadtsoziologischen Grundlagen die Veränderungen im Stadtteil Wilhelmsburg basieren.
Dangschat und Friedrichs (vgl. 1988) waren in diesem Zusammenhang die Ersten, die in Deutschland Kriterien entwickelten, die ihrer Ansicht nach zu Gentrification führen können. Diese werden im Folgenden erklärt:
Veränderung der Nachfrage
Für Dangschat und Friedrichs (vgl. 1988: 9) sind gerade zentral gelegene Quartiere von der Gentrification betroffen. Wilhelmsburg befindet sich zwar nicht im Zentrum der Stadt, liegt aber zentral an zwei Autobahnen sowie an einer Schnellstraße und verfügt über eine S-Bahnstation, mit der man in 10 Minuten am Hamburger Hautbahnhof ist.
Mit den genannten Transportwegen erfüllt Wilhelmsburg die Kriterien einer gut erreichbaren Innenstadt (vgl. a.a.O.: 10).
Neben der Nähe zum Fluss Elbe (Naherholungsgebiet) verfügt Wilhelmsburg über viele Parks sowie Waldgebiete. Auch befindet sich ein Viertel im Stadtteil, was über eine fast geschlossene Bebauung von Häusern aus der Gründerzeit verfügt (vgl. a.a.O.: 9).
Eine zunehmende Zahl von Haushalten fragt solche Wohngegenden nach (vgl. a.a.O.: 12). Überwiegend sind dies „(...) Ein- oder Zweipersonenhaushalte zumeist in der Ausbildung befindliche Personen oder Erwerbstätige (...) ohne Kinder, in der Altersgruppe 20 - 35 Jahre (a.a.O.: 12). Für diese Gruppe von Menschen sind die Nähe zum Arbeitsplatz, zur Universität und zur Innenstadt wichtig (vgl. a.a.O.: 12). Die Gefährdung durch Straßenverkehr und Emissionen ist hier weniger wichtig (vgl. a.a.O.: 12).
Selektive Migration
„Der selektive Zuzug neuer Haushalte verursacht einen Anstieg der Mieten“ (a.a.O.: 13). Zudem verändert sich (...) die Infrastruktur des Viertels zugunsten von Geschäften und Restaurants mit höherwertigem Angebot“ (a.a.O.: 13). Beides übt Druck auf die ansässige Bevölkerung aus und führt zu einer steigenden Zahl von Fortzügen der ursprünglichen Bevölkerung (vgl. a.a.O.: 13).
Rent - gap - Hypothese
Bei der Rent - gap - Hypothese ist der Bodenpreis und die Renditelücke zwischen dem erzielten und potentiellen Ertrag, da bei Investitionen eine höhere Grundrente erzielt werden kann (vgl. a.a.O.: 13). In der Zeitreihe 2000 bis 2012 (vgl. 5. Kapitel) wird ersichtlich, dass die Bodenpreise in Wilhelmsburg im Verhältnis zum Hamburger Durchschnitt stark angestiegen sind.
Value- gap - Hypothese
Durch die Umwandlung von leerstehenden Wohnungen in Eigentumswohnungen können kurzfristig hohe Gewinne erzielt werden (vgl. a.a.O.: 13). lincumbent upgrading Die Aufwertung durch die Bewohner soll an dieser Stelle nur der Vollständigkeit halber erwähnt, aber nicht weiter vertieft werden. Im nächsten Abschnitt werden anhand einer Zeitreihe von 2000, 2005, 2010 und 2012 die genannten Prozesse auf den Stadtteil Wilhelmsburg übertragen und auf ihre Richtigkeit hin überprüft. Die Veränderungen werden parallel mit dem Hamburger Gesamtdurchschnitt verglichen und interpretiert.
5 Sozialstrukturdaten von Wilhelmsburg und von Hamburg
Die Daten unterteilen sich in Bevölkerung, Erwerb, Bildung und Wohnen.
5.1 Sozialstrukturdaten in Wilhelmsburg und in Hamburg in 2000
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
(vgl. Statistisches Amt Hamburg 2001: 205f)
5.1.1 Interpretation der Statistik Bevölkerung:
(1) 2,7% von Hamburgs Einwohnern lebten 2000 in Wilhelmsburg.
(2) Es leben mehr Menschen unter 18 Jahren im Stadtteil (+6%). Daran ist zu erkennen, dass der Stadtteil Wilhelmsburg im Vergleich zum Stadtstaat Hamburg 'jünger' ist. Dies ist ein Hinweis auf die größere Geburtenrate unter den ausländischen Einwohnern im Vergleich zur deutschen Bevölkerung (vgl. Erichsen 1988: 17, Fleischer 1990: 542).
(3) Die Bevölkerung der zwischen 21 und 46 jährigen ist in beiden Gebieten annährend gleich und deshalb nicht weiter zu berücksichtigen.
(4) Auch der Anteil der über 65 Jährigen ist im Stadtteil um 2,8% niedriger wie in Hamburg.
Ausländer:
(5) Der Ausländeranteil im Jahr 2000 lag in Wilhelmsburg mehr als doppelt so hoch wie im Hamburger Durchschnitt. Wilhelmsburg ist zu diesem Zeitpunkt noch ein Mischgebiet aus Wohnen, Industrie und Produktionsstätten (vgl. Machule 2004: 309).
Erwerb:
(6) Die Zahl der Erwerbstätigen ist in Wilhelmsburg um 3,9% niedriger als im Hamburger Durchschnitt. Für Geißler (vgl. 2006: 241) sind höhere Arbeitslosenzahlen in der ersten Generation der Migranten im Vergleich zu den Deutschen in ihrer niedrigeren beruflicher Qualifikation bzw. in den als nicht gleichwertig anerkannten Lernberufen zu finden. Dadurch verlieren Ausländer eher ihre Arbeit als höher Qualifizierte. Aber auch durch Vorurteile in der Aufnahmegesellschaft ist die (Arbeits-) Integration erschwert (vgl. Bundesministerium des Innern 2009: 37).
(7) Die Anzahl der Bezieher von Arbeitslosengeld ist in Wilhelmsburg mit 9,8% fast doppelt so hoch, wie im Vergleich zum Hamburger Durchschnitt (6,1%). Eine Unterteilung zwischen deutschen und ausländischen Arbeitslosen wurde vom Statistischen Amt für Hamburg und Schleswig - Holstein nicht vorgenommen. Eine Hypothese lautet, dass der höhere Arbeitslosenanteil mit dem höheren Ausländeranteil korrespondiert, in Folge der unter Pkt. 6 bereits genannten geringeren Schulabschlüsse bzw. nicht als gleichwertig anerkannte ausländische Berufsausbildungen (vgl. Geißler 2006: 241) sowie durch mangelnde deutsche Sprachkenntnisse, die auf dem Arbeitsmarkt als vermittlungshemmend gelten. Für (Häußermann, Kronauer, Siebel 2004: 25) tritt Arbeitslosigkeit „(...) nicht nur in den unteren sozialen Schichten auf, sondern auch bei Hochqualifizierten, die gegen alle Erwartungen ihren festen Arbeitsplatz verloren haben und nicht wieder in einer dauerhaften Beschäftigung Fuß fassen konnten“.
(8) Das geringere Bruttoeinkommen im Vergleich zu Hamburg liegt möglicherweise an der niedrigeren beruflichen Qualifikation der Ausländer. Bei denen, wo der ausländische Bildungsabschluss nicht anerkannt wurde, liegt das Verdiensteinkommen bei 77% des deutschen Einkommens (vgl. BMAS 2001: 267). Sie befinden sich nach Geißler (vgl. 2006: 241) im unteren Teil der Schichtungshierachie und als An- und Ungelernte tätig.
Dem widerspricht Seifert (vgl. 2000: 573ff) mit seiner Aussage, dass Ausländer bei gleicher Berufsqualifikation annährend dasselbe wie Deutsche verdienen. Man muss nach dem Datensatz davon ausgehen, dass eine große Anzahl von Ausländern in Wilhelmsburg deshalb weniger als Deutsche verdienen, weil sie überwiegend Jobangebote im unteren Lohngefüge angeboten bekommen.
Bildung:
(9) Das Fehlen von Schulabschlüssen bzw. generell eine geringe Berufsqualifizierung - oft verbunden mit „schwierigen“ Biographien - sind Gründe dafür, dass Menschen aus verschiedenen Bevölkerungsgruppen keinen Ausbildungs- oder Arbeitsplatz finden (Bundestransferstelle Soziale Stadt 2008: 40).
Von diesen Problemen sind die Programmgebiete der Sozialen Stadt besonders betroffen, in denen der Anteil sozial schwächerer Haushalte und von Zuwanderern in der Regel überdurchschnittlich hoch ist (vgl. Bundestransferstelle Soziale Stadt 2008: 40). Da keine Datensätze über den Stadtteil Wilhelmsburg und nur die Zahl der Hamburger Schüler vorhan- den sind, können an dieser Stelle keine Aussagen getroffen werden .
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- Quote paper
- Jens Görgens (Author), 2013, Risiken und Chancen von Stadtteilen durch Aufwertungsprozesse am Beispiel des Hamburger Stadtteils Wilhelmsburg, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/370912
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