Lebenszyklus und pathogene Eigenschaften des Erregers der Cholera heute

Ist die Seuche immer noch eine Bedrohung?


Masterarbeit, 2015

79 Seiten, Note: 1,5

Anonym


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

Tabellenverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis

1. Einleitung

2. Beschreibung von Vibrio cholerae
2.1 Äußere Systematik
2.2 Aufbau
2.3 Innere Systematik
2.4 Genom
2.5 Lebensweise
2.6 Vorkommen

3. Die Krankheit Cholera
3.1 Geschichte
3.2 Übertragungswege
3.3 Pathogenese
3.4 Diagnose und Behandlung

4. Pathogenität von V. cholerae
4.1 Das CTX-Element
4.2 Die Vibrio-Pathogenitätsinseln
4.3 Weitere Pathogenitätsfaktoren
4.4 Pathogenes Potenzial von Nicht-O1 und Nicht-O139 Vibrio cholerae

5. Wirkungsweise der Virulenzfaktoren
5.1 Kolonisation des Dünndarmepithels
5.2 Choleratoxin

6. Lebenszyklus von V. cholerae
6.1 Interspezifische Beziehungen
6.2 Physiologische Zustände
6.2.1 VBNC-Zustand
6.2.2 Biofilm
6.2.3 Hyperinfektiöser Zustand
6.3 Bedeutung des Lebenszyklus für die Pathogenität von V. cholerae

7. Regulation der Virulenzfaktoren

8. Entwicklung durch horizontalen Gentransfer

9. Vibrio cholerae und die Cholera im Biologieunterricht

10. Schlussbetrachtung und Ausblick

11. Quellenverzeichnis
11.1 Literaturquellen
11.2 Internetquellen

Abbildungsverzeichnis

Abbildung 1: Einige der wichtigsten Phyla der Bacteria auf Grundlage einer vergleichenden 16S-RNA-Sequenzierung (Madigan et al. 2013)

Abbildung 2: Taxonomische Klassifizierung (Eigene Darstellung)

Abbildung 3: Elektronenmikroskopische Aufnahme von V. cholerae
(Syed, Klose 2011)

Abbildung 4: Aufbau der Zellwand gramnegativer Bakterien
(verändert nach Groß 2006).

Abbildung 5: Innere Systematik von V. cholerae (Eigene Darstellung)

Abbildung 6: Globale Verbreitung von Vibrio cholerae (Lutz et al. 2013)

Abbildung 7: Zeitleiste der Cholera-Pandemien
(Verändert nach Richard, DiRita 2013)

Abbildung 8: Reiswasserstuhl eines Cholerapatienten in Kalkutta, Indien (RICHARD, DIRITA 2013)

Abbildung 9: Rasterelektronenmikroskopische Aufnahme von V. cholerae Bakterien des Wildtyps, die sich mit Hilfe des TCPs an Mikrovilli anheften (Krebs, Taylor 2011)

Abbildung 10: Schematische Darstellung möglicher Pathogenitätsfaktoren von V. cholerae (Eigene Darstellung)

Abbildung 11: Phasen der intestinalen Kolonisation durch Vibrio cholerae (verändert nach ALMAGRO-MORENO ET AL. 2015)

Abbildung 12: Wirkungsmechanismus des Choleratoxins (Fuchs 2014)

Abbildung 13: Anlagerung der V. cholerae an Muzinklumpen (Richard, DiRita 2013).

Abbildung 14: Pathogener Lebenszyklus von V. cholerae (Eigene Darstellung)

Abbildung 15: Physiologische Zustände und Interaktionen mit anderen Organismen bei V. cholerae (verändert nach Almagro-Moreno, Taylor 2013)

Abbildung 16: Elektronenmikroskopische Aufnahmen der Schritte der Biofilmbildung bei Vibrio cholerae (verändert nach Watnick, Kolter 2000).

Abbildung 17: Biofilme im Lebenszyklus von Vibrio cholerae (verändert nach Teschler et al. 2015)

Abbildung 18: Regulation der Virulenzfaktoren während der frühen Phase der Infektion durch extrazelluläre Signale (verändert nach Rothenbacher, Zhu 2014)

Abbildung 19: „Mucosal Escape Response“: Regulation der Virulenzfaktoren während der späten Phase der Infektion (verändert nach Rothenbacher, Zhu 2014).

Abbildung 20: Vibrio cholerae bildet Biofilme auf chitinhaltigen Oberflächen (Blokesch 2014)

Abbildung 21: Chitin induziert die natürliche Kompetenz von V. cholerae und fördert somit die Weiterentwicklung des Bakteriums, hier am Beispiel des Serovars (verändert nach Blokesch 2014)

Abbildung 22: Überarbeiteter Detailausschnitt von John Snows Karte des Golden Square Ausbruchs (Mack 2010)

Tabellenverzeichnis

Tabelle 1: Bedeutende Pathogenitätsfaktoren, ihre korrespondierenden Zielstrukturen der angeborenen Wirtsabwehr und Beispiele (verändert nach Heesemann 2012)

Abkürzungsverzeichnis

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

1. Einleitung

Wenn wir das Wort Cholera hören, denken wir vielleicht an eine alte Seuche, die im Mittelalter neben Krankheiten wie der Pest in Europa zahlreiche Opfer forderte. Nicht umsonst sprechen wir von der Wahl zwischen Pest und Cholera, wenn wir uns zwischen zwei gleich großen Übeln entscheiden müssen. Oder wir erinnern uns an die Erzählung von Gabriel García Márquez in seinem Buch „Die Liebe in den Zeiten der Cholera“, in dem er die Lebensgeschichte zweier Liebender erzählt, die Ende des 19. Jahrhunderts auf einem Schiff in Kolumbien zueinander finden (Márquez 1994). Vielleicht denken wir aber auch an jene Schlagzeilen zurück, die in den letzten Jahren immer wieder die Zeitungen zierten. Darunter Sätze wie „Cholera – wenn der Durchfall tödlich wird“, „Jetzt handeln oder alles verlieren“ oder „Eine Seuche außer Kontrolle“ (n-tv.de 2010; Müller 2015; Rojas 2015). In den dazugehörigen Berichterstattungen wird meist von tausenden Betroffenen und vielen Toten gesprochen (n-tv.de 2010). Angesichts dieser dramatischen Berichte stellt sich eine Frage, die bereits im Titel dieser Arbeit angeschnitten wird: Ist die Cholera immer noch, in Zeiten des stetigen wissenschaftlichen Fortschritts und der guten medizinischen Versorgung, eine ernstzunehmende Bedrohung?

Am 12. Januar 2010 erschüttert ein Erdbeben der Stärke 7 Haiti, 3.500.000 Menschen sind betroffen. Das Beben beschädigt die ohnehin schon nur marginal ausgebauten sanitären Anlagen und Wasseraufbereitungssysteme, sodass ideale Bedingungen für den Ausbruch von Infektionskrankheiten herrschen. Im Oktober 2010, neun Monate nach dem Erdbeben, bricht schließlich eine verheerende Choleraepidemie aus, die sich schnell über das ganze Land verbreitet (Orata et al. 2014). Auslöser der Choleraerkrankungen ist das Bakterium Vibrio cholerae. Die mit dem Erreger infizierten Haitianer zeigen schnell massive Symptome. Durch starken Durchfall und Erbrechen verlieren viele von ihnen hohe Wassermengen, bis zu einem Liter pro Stunde (Nelson et al. 2009). Der Flüssigkeits- und Elektrolyteverlust lässt sich leicht behandeln, jedoch breitet sich die Krankheit explosiv aus. Bis zum 7. Januar 2014 werden etwa 8.500 Tote und fast 700.000 Erkrankungen durch das haitianische Gesundheitsministerium verzeichnet. Der Ursprung der Choleraepidemie ist zunächst unklar, denn vor 2010 gab es bis auf einige Ausbrüche im 19. Jahrhundert keinen einzigen gemeldeten Fall von Cholera in Haiti (Orata et al. 2014). Wie ist solch ein explosiver, unerwarteter Ausbruch einer Choleraepidemie möglich?

Die Weltgesundheitsorganisation meldete im Jahr 2006 insgesamt 236.896 Choleraerkrankungen, von denen 6.311 tödlich endeten. Dazu kommt eine weitaus höhere Dunkelziffer, also die Zahl an Erkrankungen, die nicht gemeldet wurden (Schild et al. 2008). Die exakte Morbiditäts- und Mortalitätsrate der weltweiten Choleraerkrankungen ist nur sehr schwer zu ermitteln, da die Kontrollsysteme in vielen Entwicklungsländern nur rudimentär ausgeprägt sind. Zudem fürchten viele Länder, dass die Meldung von Cholerafällen negative ökonomische Einflüsse auf ihren Tourismus und Handel haben könnte (Nelson et al. 2009). Heutige Schätzungen sprechen von mehreren Millionen Fällen pro Jahr, vorwiegend in asiatischen und afrikanischen Ländern (Nelson et al. 2009). In den letzten Jahrzehnten sind Choleraepidemien in Bezug auf ihre Intensität, Dauer und Frequenz immer weiter angestiegen. Dies zeugt von der Notwendigkeit der Erforschung effektiverer Herangehensweisen, Methoden und Denkansätze für die Prävention und Kontrolle der Krankheit (Harris et al. 2012). Jedoch setzt dies ein detailliertes Verständnis des Erregers der Cholera, dem Bakterium Vibrio cholerae, voraus.

Das Wissen über die charakteristischen Merkmale von V. cholerae, seine Biochemie, Physiologie und Genetik wächst dank zahlreicher Studien unentwegt (Ramamurthy, Bhattacharya 2011). Es konnten verschiedenste Faktoren identifiziert werden, die seine Pathogenität bedingen. Pathogenität bezeichnet „die Fähigkeit einer mikrobiellen Art, in einem definierten Wirt Krankheit zu erzeugen“ (Groß 2006). Der Ausprägungsgrad dieser krankheitserzeugenden Eigenschaften wird als Virulenz bezeichnet (Groß 2006). Die Pathogenität von Bakterien wie V. cholerae wird durch Zellfaktoren bedingt, die eine Besiedlung und Schädigung des Wirtes ermöglichen (Fuchs 2014). Sie werden Pathogenitätsfaktoren oder auch Virulenzfaktoren genannt. In dieser Arbeit werden beide Begriffe, basierend auf ihrer Nutzung in der hier hauptsächlich verwendeten Literatur, synonym verwendet. Diese Faktoren stellen jene Eigenschaften eines Mikroorganismus dar, die seine krankmachende Wirkung und damit seine Pathogenität bestimmen (Ramamurthy, Bhattacharya 2011). Neben Faktoren wie bestimmten strukturellen Eigenschaften oder Stoffwechselprodukten werden auch die Vermehrungsrate und die genetische Flexibilität zu den Virulenzfaktoren eines Bakteriums gezählt (Madigan et al. 2013). Somit können Erkenntnisse über den Lebenszyklus des Bakteriums, sein Genom und seine Evolution dazu beitragen, einen tieferen Einblick in die Pathogenität von V. cholerae zu erlangen.

Da bereits unzählige Studien zum Lebenszyklus und zur Pathogenität von V. cholerae durchgeführt worden sind, soll in dieser Arbeit nur eine überblicksartige Darstellung des aktuellen Forschungsstandes gegeben werden. Dabei steht die Betrachtung pathogener V. cholerae Bakterien im Mittelpunkt. Weitergehende Ausführungen über Bakterien, die nicht in der Lage sind, eine Choleraerkrankung auszulösen oder nur zu schwachen Durchfallerkrankungen führen, würden den Rahmen dieser Arbeit sprengen und finden deshalb nur in geringem Maße Berücksichtigung.

Das Ziel dieser Arbeit besteht darin, anhand der Darstellung aktueller Forschungsergebnisse jene Faktoren zu bestimmen, die die Pathogenität von V. cholerae entscheidend beeinflussen. Dazu werden neben typischen Virulenzfaktoren auch der Lebenszyklus und die genetische Flexibilität des Bakteriums betrachtet. Mit Hilfe dieser Ausführungen soll nachfolgend beurteilt werden, ob und inwiefern die Cholera zwar eine „alte Seuche“, jedoch auch eine „neue Gefahr“ darstellt.

Dazu wird V. cholerae zunächst im zweiten Kapitel dieser Arbeit taxonomisch klassifiziert, um dann die allgemeinen Charakteristika des Bakteriums vorzustellen. Einem kurzen Einblick in die Geschichte der Choleraepidemien in Kapitel 3.1 folgt eine Darstellung der verschiedenen Aspekte der Infektionskrankheit Cholera, darunter mögliche Übertragungswege, Symptome und Behandlungsmöglichkeiten. Diese Kapitel legen den Grundstein für das Verständnis dieser Arbeit. In Kapitel 4 und 5 werden anschließend die bis jetzt bekannten, teilweise hypothetischen, Pathogenitätsfaktoren von V. cholerae und ihre Wirkungsweise bei der Infektion des Wirtes betrachtet. Dabei wird besonders auf die Vorgänge bei der Kolonisation des Dünndarmepithels, Kapitel 5.1, und die pathophysiologische Wirkung des Choleratoxins, Kapitel 5.2, eingegangen. Nachfolgend wird im 6. Kapitel ein Blick auf den Lebenszyklus des Bakteriums geworfen, um zu bestimmen, inwiefern dieser die Pathogenität von V. cholerae beeinflusst. Im Anschluss daran folgt in Kapitel 7 eine Darstellung der Regulation der Virulenzfaktoren unter dem Einfluss physisch-chemischer Signale während verschiedener Lebensphasen des Bakteriums. Kapitel 8 beschäftigt sich danach mit den Mechanismen des Austausches von genetischem Material zwischen V. cholerae Bakterien, um daraus ihr Potenzial zu weiteren genetischen Veränderungen und damit Evolution neuer Pathogenitätsfaktoren abzuleiten. Da diese Arbeit im Rahmen eines Lehramtstudiums erstellt wird, sollen in Kapitel 9 abschließend mögliche Ansatzpunkte für eine Thematisierung von V. cholerae und der Choleraerkrankung in der Schule erläutert werden.

Neben dem umfassenden Werk „Epidemiological and Molecular Aspects on Cholera“ von Ramamurthy und Bhattacharya wurden für diese Masterarbeit zahlreiche weitere Publikationen verwendet, die den momentanen Stand der Forschung wiedergeben. Ramamurthy und Bhattacharya stellen in ihrem Sammelwerk sehr ausführlich die Merkmale einiger Epidemien in Asien, Afrika und Amerika dar und gehen anschließend auf verschiedenste genetische und epidemiologische Merkmale pathogener und nicht-pathogener V. cholerae Bakterien ein. Zur Einarbeitung in das Thema, sei es für Lehrkräfte oder Interessierte, bieten sich hingegen beispielsweise die Artikel von Richard und DiRita oder Harris et al. an, da diese verschiedene Aspekte der Erkrankung und des Bakteriums ansprechen. Eine tiefergehende Betrachtung des pathogenen Lebenszyklus bietet beispielsweise die Review „Cholera transmission: the host, pathogen and bacteriophage dynamic“ von Nelson et al. oder der Artikel „Cholera: Environmental Reservoirs and Impact on Disease Transmission“ von Almagro-Moreno und Taylor. Die Review „Intestinal Colonization Dynamics of Vibrio cholerae “, ebenfalls von den letztgenannten Autoren verfasst, enthält hingegen eine gute Zusammenfassung der wichtigsten Erkenntnisse bezüglich der verschiedenen Phasen der Dünndarmkolonisation.

2. Beschreibung von Vibrio cholerae

In diesem Kapitel soll V. cholerae zunächst taxonomisch klassifiziert werden, um dann die bedeutsamsten Charakteristika des Bakteriums zu beleuchten. Diese Ausführungen sind grundlegend für das Verständnis der nachfolgenden Kapitel über die Pathogenität und den Lebenszyklus des Bakteriums.

2.1 Äußere Systematik

Das Bakterium Vibrio cholerae gehört zu den Proteobacteria, dem größten Phylum der Bacteria. Die Gruppe der Proteobakterien ist hinsichtlich der Mechanismen der Energiegewinnung durch eine hohe Vielfalt gekennzeichnet. Sie enthält chemolitotrophe, chemoorganotrophe und phototrophe Spezies, darunter anaerobe, mikroaerophile und fakultativ aerobe Arten. Die Gruppe weist viele verschiedene Zellformen wie gerade und gewundene Stäbchen, Spirillen oder knospende Bakterien auf. Jedoch sind alle Proteobakterien gramnegativ (Madigan et al. 2013).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 1: Einige der wichtigsten Phyla der Bacteria auf Grundlage einer vergleichenden 16S-RNA-Sequenzierung (Madigan et al. 2013)

Anhand eines Vergleichs der 16S-rRNA-Gensequenzen kann das Phylum der Proteobacteria in sechs Klassen unterteilt werden: Alpha-, Beta-, Gamma-, Delta-, Epsilon- und Zetaproteobacteria. Jeder Klasse sind wiederum viele Gattungen und Spezies zugeordnet (Madigan et al. 2013).

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Abbildung 2: Taxonomische Klassifizierung (Eigene Darstellung)

Vibrio cholerae gehört zur Klasse der Gammaproteobacteria und zur Ordnung Vibrionales (Fuchs 2014). Die einzige Familie dieser Ordnung ist Vibrionaceae . Sie enthält neben der Gattung Vibrio unter anderem die Gattungen Photobacterium, Salinivibrio, Aliivibrio, Enterovibrio und Grimontia. Bis jetzt werden 131 Arten, meist mit marinem Ursprung, zur Familie der Vibrionaceae gezählt. Neben V. cholerae werden auch andere Humanpathogene wie V. parahaemolyticus und V. vulnificus und Pathogene von Schalentieren und Fischen, wie V. anguillarum, den Vibrionaceae zugeordnet (Rosenberg et al. 2014). Bakterien der Familie Vibrionaceae können als frei lebende Organismen und verbunden mit abiotischen und biotischen Oberflächen gefunden werden (Almagro-Moreno, Taylor 2013). Bei den Bakterien der Gattung Vibrio handelt es sich vorwiegend um aquatische, gekrümmte Stäbchen, die meist polar begeißelt und fakultativ anaerob sind. Ihr Wachstum ist meist Na+-abhängig (Fuchs 2014). Arten der Gattung Vibrio sind oxidase positiv, reduzieren Nitrat zu Nitrit und vergären D-Fructose, Maltose und Glycerol (Rosenberg et al. 2014).

2.2 Aufbau

Bakterien besitzen einen von Grund auf anderen Aufbau als eukaryontische Zellen. Sie besitzen Ribosomen mit einem Sedimentationskoeffizienten von 70s und haben eine Zellwand, jedoch keine Zellorganellen. Innerhalb der Domäne der Bacteria existieren zahlreiche starke Unterschiede (Groß 2006). Einige der wichtigsten Merkmale von Bakterien allgemein und von V. cholerae im Speziellen sollen nachfolgend erläutert werden.

Bakterien können verschiedene Formen aufweisen. Es existieren kugelförmige, auch Kokken genannt, spiralförmige und stäbchenförmige Bakterien. Weiterhin können sie unterschiedlich begeißelt sein. Einige Bakterien haben eine oder mehrere Geißeln, andere besitzen keine Begeißelung. Begeißelte Bakterien können sich bewegen, unbegeißelte hingegen nicht (Groß 2006). Vibrio cholerae gehört zu den kommaförmig gekrümmten Stäbchen und besitzt eine Größe von 0.7–1.0*1.5–3.0 µm. Es ist motil, da es ein einzelnes polares Flagellum aufweist (Bhunia 2008).

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Abbildung 3: Elektronenmikroskopische Aufnahme von V. cholerae (Syed, Klose 2011)

Neben einer Zellmembran besitzen Bakterien eine Zellwand, um hydrostatischem Druck durch Konzentrationsunterschiede standzuhalten und der Zelle Form und Stabilität zu geben. Die Zellwand kann bei Bakterien unterschiedlich aufgebaut sein. Kugel- und stäbchenförmige Bakterien besitzen eine starre Zellwand, wohingegen einige spiralförmige Bakterien eine flexible Zellwand aufweisen. Die Eigenschaften der Zellwand sind sowohl für die Beschreibung der Bakterien als auch für die Empfindlichkeit gegenüber Antibiotika von entscheidender Bedeutung (Groß 2006). Das Grundgerüst der bakteriellen Zellwand bilden Peptidoglykan-Moleküle, eine Substanz die dem Chitin (N-Acetyl-Glucosamin) stark ähnelt. Petidoglykan, auch Murein genannt, besteht aus Polysaccharid-Strängen, die abwechselnd aus N-Acetyl-Glucosamin und N-Acetyl-Muraminsäure gebildet werden. Diese sind untereinander durch kurze Peptidketten miteinander verbunden. Die Vernetzungen zwischen den Bausteinen und die Anzahl der Mureinschichten unterscheiden sich je nach Bakterienart. Oft enthalten die Moleküle m-Diaminopimelinsäuren an den Verzweigungspunkten (Cypionka 2010).

Bakterien können auf Grund ihres Aufbaus der Zellwand in zwei Gruppen unterteilt werden: grampositive und gramnegative Bakterien. Diese Bezeichnung beschreibt die Farbveränderung der Bakterien nach einer Färbung mit einem Jod-Anilin-Farbstoffkomplex und einer nachfolgenden Entfärbung mit 96-prozentigem Alkohol. Nach einer Gramfärbung erscheinen grampositive Bakterien blau, gramnegative erscheinen rot. Grampositive Bakterien besitzen eine dicke Zellwand, die aus mehreren Mureinschichten besteht. Der Farbstoffkomplex kann hier auch durch organische Lösungsmittel nicht mehr aus der Zelle entfernt werden. V. cholerae gehört, wie alle Proteobacteria, zu den gramnegativen Bakterien. Ihre wesentlich dünnere Zellwand, die nur zu 10% aus Peptidoglykan besteht, kann den Farbstoff bei einer Behandlung mit Alkohol nicht zurückhalten (Madigan et al. 2013).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 4: Aufbau der Zellwand gramnegativer Bakterien. PBP = Penicillinbindeprotein (verändert nach Groß 2006).

Bei gramnegativen Bakterien macht die zusätzliche äußere Membran, die grampositiven Bakterien fehlt, den größten Teil der Zellwand aus. Sie ist durch Lipoproteine an die Peptidoglykanschicht gebunden und besteht aus einer Lipiddoppelschicht, die jedoch neben Phospholipiden, Proteinen und Purinen auch Polysaccharide enthält. Die Polysaccharide und Lipide sind hier zu einem Komplex verbunden und werden als Lipopolysaccharide (LPS) bezeichnet. Sie sind an die Außenseiten der äußeren Membran gebunden. Der hydrophile Polysaccharid-Anteil der LPS setzt sich aus einem Kernpolysaccharid und einer O-spezifischen Seitenkette zusammen. Die O-spezifische Seitenkette besteht grundsätzlich aus Zuckern wie Galaktose, Glucose oder Mannose. Dabei sind Sequenzen aus vier oder fünf Zuckermolekülen zu einer langen Kette miteinander verbunden. Der hydrophobe Lipidanteil des LPS wird Lipid A genannt und besteht aus Fettsäuren, die über die Aminogruppen eines Disaccharids aus Glucosaminphosphat gebunden sind. Das Disaccharid selbst ist wiederum durch 2-Keto-3-desoxy-octonat an das Kernpolysaccharid geknüpft. Typische Fettsäuren des Lipid A sind Capron-, Laurin- oder Myristin-, Palmitin- und Stearinsäuren. Das Lipid A ist in der äußeren Membran verankert, sodass der Polysaccharid-Anteil des LPS von der Membran weg nach außen zeigt. Die äußere Membran gramnegativer Bakterien verhindert, dass sich Proteine, die außerhalb des Cytoplasmas liegen, von der Zelle entfernen. Sie befinden sich im Periplasma zwischen der Cytoplasmamembran und der Innenseite der äußeren Membran. Hier lassen sich hydrolytische Proteine, Bindungsproteine und Chemorezeptoren finden. Sie gelangen meistens mit Hilfe des Sec-Proteinexportsystems, das in der Cytoplasmamembran liegt, in das Periplasma (Madigan et al. 2013).

2.3 Innere Systematik

Man unterscheidet bei V. cholerae auf Grund von Variationen im O-Antigen, einem Teil der Bakterienzellwand, über 200 Serovare oder auch Serotypen. Pathogene Cholerabakterien, die das Choleratoxin produzieren, gehören fast immer dem Serovar O1 oder O139 an. Innerhalb des O1-Serovars werden anhand der physiologischen Eigenschaften der Bakterien die Biotypen „klassisch“ und „El Tor“ unterschieden, die selbst in die drei Serotypen „Inaba“, „Ogawa“ und „Hikojima“ unterteilt werden können (Nelson et al. 2009). Ogawa ist der am weitesten verbreitete Serotyp, wohingegen Hikojima instabil und somit sehr selten ist (Mandal et al. 2011).

Das Serovar O139 wurde 1992 während eines Choleraausbruches in Südostasien entdeckt und als O139 Bengal bezeichnet. Es hatte sich schnell von endemischen Regionen in Indien in angrenzende Länder ausgebreitet. Während eines Ausbruchs 1996 in Kalkutta wurden ebenfalls Bakterien des Serovars O139 entdeckt, die als O139 Kalkutta betitelt wurden (Banerjee et al. 2014). Zu Beginn verdrängten die neuen Stämme die Bakterien der O1-El-Tor-Stämme in Kalkutta und anderen Teilen Indiens. Nach einer explosiven Verbreitung verschwanden die O139-Stämme jedoch schnell und sind heute nur noch selten Auslöser von Epidemien (Mandal et al. 2011). Molekulare epidemiologische Studien vermuten, dass Bakterien des O139-Serovars nah verwandt mit O1-El-Tor-Stämmen sind und dass sie sich aus diesem Biotyp entwickelten (Mandal et al. 2011).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 5: Innere Systematik von V. cholerae (Eigene Darstellung)

Die O-spezifischen Seitenketten der in Kapitel 2.2 erläuterten LPS in der gramnegativen Zellwand werden auch als O-Antigene bezeichnet. Sie stellen ein entscheidendes Merkmal zur Unterscheidung der Serovare von V. cholerae dar. Die Analyse der Zusammensetzung der O-spezifischen Seitenkette zeigte, dass Bakterien des O139-Serovars der für O1-Serovare charakteristische Zucker Perosamin fehlt. Zudem besteht das O-Antigen von O139 nicht aus sich wiederholenden Sequenzen, sondern aus einem phosphorylierten Hexasaccharid aus Colitose, Galakturonsäure, Quinovosamin, Galactose und Glucosamin (Cox, Perry 1996). Dieses veränderte O-Antigen ermöglicht es Bakterien des O139-Serovars beispielsweise, die Wirtsimmunität gegen Stämme des O1-Serovars zu umgehen (Chatterjee, Chaudhuri 2003). Ein weiteres Unterscheidungsmerkmal ist die Kapsel von O139-Bakterien, die Bakterien des O1-Serovars immer fehlt (Bhunia 2008). Auch einige andere Serovare können solch eine Kapsel besitzen (Nelson et al. 2009). Die Bildung einer Schleimkapsel kann die Phagozytose durch Makrophagen verhindern und schützt das Bakterium vor verschiedenen äußeren Einflüssen (Groß 2006).

Der klassische und der El-Tor-Biotyp unterscheiden sich voneinander auf genetischer und physiologischer Ebene unter anderem in der Schwere der durch sie ausgelösten Infektionen, ihrer Fähigkeit außerhalb des Wirtsorganismus zu überleben und den saisonalen Mustern der Ausbreitung (Mandal et al. 2011). Weitere Unterscheidungsmerkmale sind die Resistenz gegen Polymyxin B, die Anzahl der Choleratoxin-Gene, die Aktivität von Hämolysin und das Vorhandensein des Typ-IV-Pilus MSHA (Mannose-sensitives Hämagglutinin) (Belkin, Colwell 2005). Es wird vermutet, dass der klassische Biotyp mittlerweile ausgestorben ist (Mandal et al. 2011). Jedoch konnten in den letzten Jahren einige El-Tor-Stämme isoliert werden, die Merkmale des klassischen Biotyps besaßen. Diese El-Tor-Varianten wiesen neben einigen anderen Charakteristika die klassischen Choleratoxin-Gene und eine erhöhte Toxinproduktion auf (Almagro-Moreno, Taylor 2013). Die Serotypen des O1-Serovars können nur auf Grund der Ausprägung von Antigenen unterschieden werden. Bakterien des Ogawa-Serotyps exprimieren das A- und B-Antigen sowie eine kleine Menge an C-Antigenen. Inaba-Stämme exprimieren nur die A- und C- Antigene, Hikojima-Bakterien exprimieren hingegen alle drei genannten Antigene (Banerjee et al. 2014).

Bakterien, die nicht dem O1- oder O139-Serovar angehören, werden im Folgenden als Nicht-O1 und Nicht-O139-Bakterien bezeichnet. Sie sind teilweise in der Lage, das Choleratoxin zu produzieren und können schwache Durchfallerkrankungen wie blutigen Durchfall, Gastroenteritis und extraintestinale Infektionen auslösen (Almagro-Moreno, Taylor 2013).

2.4 Genom

In den letzten Jahrzehnten konnte eine starke Veränderung von pathogenen V. cholerae Klonen auf phänotypischer und genotypischer Ebene in Asien und Afrika beobachtet werden. Bis jetzt wurde das Genom einiger repräsentativer V. cholerae Stämme sequenziert, um durch vergleichende Analysen die Schlüsselelemente für die rasche Evolution des Pathogens zu ermitteln (Banerjee et al. 2014). Im Jahr 2000 wurde das Genom des Stammes V. cholerae O1 N16961 vollständig sequenziert. Es besteht wie bei vielen Vibrionen aus zwei zirkulären Chromosomen und weist insgesamt eine Größe von ca. 4.100 Kilobasenpaaren auf. Chromosom 1 besteht aus 3.000 Kilobasenpaaren und das kleinere Chromosom 2 aus 1.100 Kilobasenpaaren (Jermyn et al. 2006). Zwei kleine, unabhängig voneinander replizierende Chromosomen erhöhen höchstwahrscheinlich die Geschwindigkeit der Replikation und sind somit von Vorteil für den Organismus (Schild et al. 2008). Eine Analyse der Gene beider Chromosomen ergab, dass der Großteil der Gene, die für essenzielle Zellfunktionen wie die Replikation, Transkription, Translation und Zellwandsynthese codieren, auf Chromosom 1 liegt. Ebenso sind auf diesem Chromosom die wichtigsten Pathogenitätsgene des Bakteriums lokalisiert. Hingegen enthält Chromosom 2 im Vergleich zu Chromosom 1 einen höheren Anteil „hypothetischer Gene“ (engl.: hypothetical genes), der im Bezug auf das ganze Genom des Bakteriums bei etwa 58% liegt. Ein Großteil dieser hypothetischen Gene befindet sich in einem sogenannten Super-Integron, das 125kb groß ist und 216 offene Leserahmen (engl.: open reading frame (ORF)) enthält. Dieses Super-Integron fungiert als flexibles „Gene Capture-System“, in dem kleine DNA-Sequenzen eingefangen, gelöscht oder neu arrangiert werden können (Marin, Vicente 2013). Zudem ist das Chromosom 2 bedeutsam für die Regulation verschiedener, meist metabolischer, Prozesse (Jermyn et al. 2006).

2.5 Lebensweise

V. cholerae lebt fakultativ anaerob und ist somit bei der Vermehrung nicht auf eine Sauerstoffquelle angewiesen. Das Bakterium ist mesophil, in seinem natürlichen Lebensraum liegt seine Wachstumstemperatur somit zwischen 20 und 30°C. Jedoch kann V. cholerae auch unter höheren Temperaturen wachsen. Auf Grund seines marinen Ursprungs ist das Bakterium halophil und kann auch höhere Salzkonzentrationen tolerieren. V. cholerae besitzt einen chemoorganotrophen und heterotrophen Stoffwechsel und ist in der Lage mehrere Substrate in einer Gärung zu verwerten. Dabei werden Glucose, Saccharose und Mannose fermentativ zu Säuren und weiteren Produkten abgebaut (Rosenberg et al. 2014).

2.6 Vorkommen

V. cholerae kann außerhalb eines menschlichen Wirtes in aquatischer Umgebung und den dort lebenden Tieren, wie zum Beispiel Muscheln, gefunden werden (Fuchs 2014). Die meisten toxigenen Stämme können aus Umgebungen isoliert werden, die durch Fäkalien kontaminiert wurden, wohingegen die nicht-toxigenen Stämme aus weniger kontaminierten Umgebungen stammen (Rosenberg et al. 2014). V. cholerae Bakterien können in Gebieten, in denen Choleraerkrankungen häufiger auftreten, oftmals das ganze Jahr über in den aquatischen Reservoiren nachgewiesen werden (Alam et al. 2007). Als Reservoir für V. cholerae dienen vor allem Fließgewässer, küstennahe Ökosysteme sowie Mündungsgebiete (Rosenberg et al. 2014).

Vibrio cholerae kann in verschiedenen Gebieten auf der ganzen Welt isoliert werden. Besonders betroffen sind tropische Gebiete, wie der Golf von Bengalen, aber auch warme Gewässer in Südamerika, Australien, Schweden, Italien und den USA (Lutz et al. 2013). Die Abbildung 6 zeigt die globale Verbreitung von V. cholerae anhand der Fundorte verschiedener Serovare.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 6: Globale Verbreitung von Vibrio cholerae. Die Dreiecke zeigen an, wo V. cholerae mit Hilfe verschiedener Methoden isoliert werden konnte. Rot O1-/O139-Serovar, hellblau Nicht-O1/Nicht-O139-Serovar, dunkelblau nicht bekannt (Lutz et al. 2013)

3. Die Krankheit Cholera

V. cholerae wurde erstmals im Jahr 1854 von Filippo Pacini, einem italienischen Anatom, beschrieben. Seine Ausführungen über den Erreger der Cholera, die damals auch in Europa wütete, blieben jedoch in dieser Zeit vielfach unbeachtet. Die meisten Mediziner glaubten damals noch an die Übertragung von Infektionen durch schlechte Gerüche, auch Miasmen genannt. Erst dreißig Jahre später erforschte Robert Koch den Mikroorganismus erneut und konnte den Zusammenhang zwischen dem Bakterium und einer Choleraerkrankung belegen (Richard, DiRita 2013). Auch heute noch, über 130 Jahre nach Kochs Entdeckung, werden jedes Jahr Infektionen durch das Cholerapathogen Vibrio cholerae überall auf der Welt, insbesondere in Entwicklungsländern, dokumentiert. Die Infektionskrankheit ist in vielen Entwicklungsländern endemisch, das heißt sie tritt hier gehäuft auf (Groß 2006). Somit stellt sie insbesondere in diesen Regionen eine ernsthafte Bedrohung dar (Banerjee et al. 2014). Im Folgenden soll der geschichtliche Verlauf von Choleraepidemien beschrieben werden, um dann auf Übertragungswege des Erregers, die Pathogenese der Krankheit und Diagnose- und Behandlungsmöglichkeiten einzugehen.

3.1 Geschichte

„Da war es nun der guten Cholera nicht zu verdenken, daß sie aus Furcht vor dem Ridikül zu einem Mittel griff, welches schon Robespierre als probat befunden, daß sie nämlich, um sich in Respekt zu setzen, das Volk dezimiert.“ (Vasold 2008)

Bereits mehr als 2.000 Jahre bevor Heinrich Heine diese Beschreibung eines Choleraausbruchs in Paris verfasste, wurden die ersten Cholerafälle aufgezeichnet. Damals handelte es sich meist um sporadische Ausbrüche in isolierten Gebieten mit wenigen Todesfällen. Die erste Cholerapandemie hatte ihren Ursprung in Asien im Jahr 1817, nachdem ungewöhnlich hohe Niederschlagsmengen und starke Überflutungen die Ausbreitung des Bakteriums begünstigt hatten. Vor allem die Provinz Bengal, in der auch die Stadt Kalkutta liegt, war davon betroffen. Auch britische Soldaten, die dort stationiert waren, erkrankten und übertrugen die Cholera in der Folge auf nepalesische Soldaten, gegen die sie in dieser Zeit kämpften. Von dort verbreitete sie sich schnell entlang der damals bereits weit ausgebauten Handelsrouten und erreichte innerhalb kürzester Zeit China, Malaysia und Japan. Diese erste Pandemie endete im Jahr 1824, als ein besonders kalter Winter die Ausbreitung der Krankheit unterbrach. Infizierte polnische und russische Soldaten brachten die im Jahr 1829 in Indien ausgebrochene zweite Cholerapandemie nach Europa. 1831 und 1832 wütete sie in Österreich, England, Irland, Frankreich und Belgien. Pilger brachten die Krankheit nach Syrien, Palästina und Ägypten. Auswanderer trugen sie dann schließlich über den Atlantik nach Nordamerika. So erreichte die zweite Pandemie außer der Antarktis alle Kontinente. Nur ein Jahr lag zwischen dem Ende der zweiten und dem Anfang der dritten Pandemie, die bis 1859 andauern sollte. Sie forderte Opfer in den U.S.A., Kanada, Mexiko, England, Frankreich und weiteren Ländern. Neue Handelsrouten ermöglichten in den folgenden Jahren von 1863 bis 1875 die Ausbreitung einer vierten Pandemie, die erneut eine hohe Mortalitätsrate aufwies. In dieser Zeit erreichte die Cholera Argentinien, Peru, Brasilien und Uruguay. Die Entdeckung des Choleraerregers durch Robert Koch im Jahre 1884 führte in den folgenden Jahren jedoch kaum zu präventiven Maßnahmen. Erst später konnten England und New York City einen erneuten Ausbruch durch die Quarantäne von erkrankten Personen und ein verbessertes Abwassersystem verhindern. Die sechste Pandemie begann dann Anfang des 20. Jahrhunderts in Kalkutta und Bombay und verbreitete sich von dort aus bis 1923 (Richard, DiRita 2013).

Die siebte und bis heute andauernde Pandemie begann im Jahr 1961 und weist einige Besonderheiten auf. Die vorausgehenden Pandemien hatten ihren Ursprung immer in schwerwiegenden Epidemien in Indien. Die siebte Pandemie begann jedoch in Indonesien und breitete sich von dort aus. Zudem wurden alle Pandemien zuvor durch den klassischen Biotyp von V. cholerae ausgelöst, der Erreger der siebten Pandemie war jedoch der El-Tor-Biotyp, der bisher normalerweise als weniger ansteckend eingestuft worden war. Entgegen dieser Vermutungen forderte El Tor Hunderttausende Todesfälle in Asien, Europa, Afrika und Südamerika (Richard, DiRita 2013).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 7: Zeitleiste der Cholera-Pandemien (Verändert nach Richard, DiRita 2013)

Die Cholera ist heute in Afrika, Südostasien, dem indischen Subkontinent, Mittel- und Südamerika endemisch. 2008 stammten 98% aller gemeldeten Krankheits- oder Todesfälle aus Afrika (Madigan et al. 2013). Auch in den letzten Jahren gab es zahlreiche Epidemien auf der ganzen Welt. Simbabwe, Irak, Afghanistan und der Sudan sind nur einige der Länder, die mit einer Choleraepidemie zu kämpfen hatten (Richard, DiRita 2013).

3.2 Übertragungswege

In den Jahren 1831 und 1832 forderte die Cholera in Frankreich mehr als 18.000 Opfer, zwei Drittel davon in Paris. Niemand konnte sich diese massive und rasante Ausbreitung erklären, man wusste nur wenig über die Übertragungswege der Infektionskrankheit. Im ganzen Land verbreiteten sich die irrwitzigsten Vorschläge zu Schutzmaßnahmen. Dazu gehörten die Empfehlungen furchtlos zu sein und Erkältungen, Schwelgereien und geistige Anstrengungen zu vermeiden. Manche empfahlen auch jeden Morgen nüchtern fünf bis sechs Senfkörner zu schlucken oder ein Stück Brot mit Knoblauch bei sich zu tragen (Vasold 1995). Erst über 20 Jahre später, im Jahr 1854 konnte der Mediziner John Snow anhand einiger Studien in London beweisen, dass der Erreger der Cholera über kontaminiertes Trinkwasser übertragen wird. Einige allgemein zugängliche Wasserquellen, die von vielen Bewohnern in der Hauptstadt zur Versorgung genutzt wurden, waren mit dem Bakterium kontaminiert worden. Über 100 Jahre vergingen, bis S. N. De entdeckte, dass der Choleraerreger Vibrio cholerae fäkal-oral übertragen wird. Forscher hatten zuvor auf nahezu jegliche Art und Weise versucht, Tiere mit dem Bakterium zu infizieren. Sie schafften es jedoch nicht, die für Cholera typischen Symptome zu erzeugen. De injizierte hingegen V. cholerae Kulturen in einen abgebundenen Kaninchendarm und stellte fest, dass sich daraufhin große Mengen Wasser im Darm ansammelten. Ausgehend von dieser Beobachtung vermutete er, dass sich die V. cholerae Zellen im Darm vermehrten, dort die Ausscheidung großer Wassermengen bedingten und dann durch einen wässrigen isotonischen Durchfall wieder den Wirt verließen (Richard, DiRita 2013).

Heute ist die ordnungsgemäße Trinkwasseraufbereitung der wichtigste Schritt, um die Ausbreitung der Cholera zu verhindern. Dabei kann jedoch nur ein einziger falscher Schritt zur Infektion von vielen Tausend oder sogar Millionen Menschen führen. Krankheiten, die über eine allgemein zugängliche Wasserquelle übertragen werden, weisen meist eine hohe Morbidität und Mortalität auf, insbesondere in Entwicklungsländern; aber auch in Industrieländern können Unfälle in den Wiederaufbereitungsanlagen oder Ähnliches den Ausbrauch von Krankheiten herbeiführen. Erreger von Infektionskrankheiten in kontaminiertem Wasser können Bakterien, Viren oder Protisten sein; eine Infektion des Wirtes hängt entscheidend von seiner Resistenzfähigkeit und der Virulenz des Pathogens ab. Die Wasserversorgung in Industrieländern unterliegt meist Qualitätsvorgaben. Aus diesem Grund betreffen Fälle von Infektionskrankheiten hier meist nur wenige Menschen. Beispiele für kontaminierte Wasserquellen sind private Brunnen oder unbehandeltes Wasser aus Flüssen. Auch Gewässer in Erholungsgebieten können Ausgangspunkte für Infektionen sein, dazu gehören Teiche, Seen, Flüsse und öffentliche Schwimmbecken. Infektionserkrankungen, die durch Wasser übertragen werden, stellen in Entwicklungsländern ein weitaus größeres Problem dar. Hier finden wir oft keine ausreichende Wasser- oder Klärschlammentsorgung und Wiederaufbereitung. Die Versorgung mit sauberem Trinkwasser ist meist gar nicht oder kaum vorhanden (Madigan et al. 2013). Insbesondere sehr abgelegene Gebiete, die kaum ausgebaute sanitäre Einrichtungen aufweisen, sind von Choleraepidemien betroffen. Page et al. konnten anhand einer Befragung von Haushalten in ländlichen Regionen Haitis aufzeigen, dass in infrastrukturell schlecht erschlossenen Bergdörfern teilweise mehr als 15,2% der Bevölkerung in den ersten Monaten der Choleraepidemie starben (Page et al. 2015).

Cholera kann somit auf zwei Wegen übertragen werden: Durch Wasser aus Wasserreservoiren, in denen bereits V. cholerae Bakterien vorhanden sind (primäre Übertragung) oder durch das durch den Stuhl von Cholerapatienten kontaminierte Wasser (sekundäre Übertragung). Sobald durch die primäre Übertragung erste Individuen infiziert wurden, kann durch die sekundäre Übertragung eine Epidemie in einer endemischen Region ausgelöst werden. In Gebieten, in denen Cholera endemisch ist, stellt Wasser das Hauptmedium zur Übertragung der Krankheit dar. Zudem kann auch die Aufnahme von kontaminierter Nahrung zur Infektion führen. Die Verbreitung in nicht endemischen Regionen geschieht meist durch den Konsum solch kontaminierter Nahrungsmittel, wie zum Beispiel rohen Meeresfrüchten, die aus endemischen Regionen importiert wurden. Nach der Infektion der ersten Individuen ist das durch Fäkalien kontaminierte Wasser die Hauptquelle zur Aufnahme von V. cholerae. Die Übertragung der Cholera von Mensch zu Mensch ist nur sehr selten zu beobachten, da eine große Anzahl von Bakterienzellen nötig ist, um eine Infektion auszulösen (Mandal et al. 2011). Patienten, die infiziert wurden und Symptome aufweisen, scheiden die Bakterien meist für zwei bis drei Wochen aus, teilweise sogar länger. Somit ist die fäkal-orale Übertragung auf andere Individuen sehr wahrscheinlich (Harris et al. 2012).

Im Falle der Epidemie in Haiti wurde die Choleraepidemie durch eine Kontamination des Flusses Artibonite ausgelöst. Die Bakterien, die einem südasiatischen Cholerastamm sehr ähnelten, stammten höchstwahrscheinlich aus einer einzigen Quelle. Die schlechten sanitären Bedingungen in den Camps nepalesischer Soldaten, die in Haiti stationiert waren, unterstützten die These, dass hier das Bakterium in den Fluss gelangte und sich von dort aus verbreitete. Man war sich jedoch einig, dass diese Verbreitung durch das defizitäre Abwassersystem ermöglicht wurde. Die in abgelegenen Regionen kaum vorhandene ärztliche Versorgung trug ebenso dazu bei (Orata et al. 2014).

3.3 Pathogenese

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Abbildung 8: Reiswasserstuhl eines Cholerapatienten in Kalkutta, Indien (RICHARD, DIRITA 2013)

Eine Choleraerkrankung wird durch die Infektion des menschlichen Wirtes mit einer hohen Anzahl an V. cholerae Bakterien ausgelöst. Dabei gelangen die Bakterien nach der Aufnahme durch kontaminiertes Wasser oder kontaminierte Lebensmittel in den Magen und später in den Darm des Wirtes. Hier heften sich die Bakterien an das Dünndarmepithel und kolonisieren die Darmwand. Die Zellen vermehren sich und sekretieren das Choleratoxin. Diese Substanz erzeugt eine Verschiebung des osmotischen Drucks, sodass große Mengen Wasser in das Darmlumen diffundieren (Madigan et al. 2013). Folglich beginnt eine Choleraerkrankung meist mit Bauchkrämpfen und Erbrechen. Später folgt ein starker Durchfall, der zu einem Flüssigkeitsverlust von bis zu einem Liter pro Stunde führen kann. Dies verursacht Flüssigkeitsmangel, Dehydration und Azidose. Schwere Choleraerkrankungen können dann zu einem Kreislaufkollaps und schließlich zum Tode des Erkrankten führen (Nelson et al. 2009). In vielen Kliniken werden sogenannte Cholerabetten genutzt, um den Reiswasserstuhl aufzufangen und die Höhe des Wasserverlustes zu bestimmen. Typisch für eine Choleraerkrankung ist der sogenannte „Reiswasserstuhl“, der einen hohen Anteil an Schleim enthält und aus diesem Grund dem Kochwasser von Reis ähnelt (siehe Abbildung 8). Wird eine erkrankte Person nicht behandelt, kann sie bis zu 10% ihres Körpergewichts innerhalb der ersten 24 Stunden verlieren. In dieser Zeit treten die meisten Sterbefälle durch Cholera auf (Richard, DiRita 2013).

3.4 Diagnose und Behandlung

Eine Cholerainfektion kann durch die Isolation der Organismen aus dem Stuhl des Patienten und das Auftragen auf ein selektives Medium und darauffolgende biochemische Tests und die Bestimmung des Serovars und des Biotyps durch spezifische Antikörper nachgewiesen werden. Eine rasche Diagnose kann zudem durch die Untersuchung des Stuhls unter einem Dunkelfeldmikroskop erfolgen. Es wurden ebenfalls Immunoassays entwickelt, die das Choleratoxin oder die Lipopolysaccharide von O1- und O139-Bakterien nachweisen können (Harris et al. 2012).

Durch die Einführung der oralen Rehydrations-Therapie (englisch: oral rehydration therapy, ORT), die eine kostengünstige und sehr effektive Methode zur Heilung darstellt, ist die Letalitätsrate der Cholera stark gesunken (Richard, DiRita 2013). Bei einer optimalen Behandlung mit Hilfe einer oralen Rehydrationstherapie kann die Sterberate sogar weniger als 1% betragen. Im Jahr 2007 wiesen jedoch 27 Länder weiterhin eine Sterberate über diesem Schwellenwert auf (Nelson et al. 2009). Das Ziel der Therapie ist es, die verlorene Flüssigkeitsmenge zu ersetzen. Dabei ist die Zusammensetzung der Flüssigkeit, die dem Patienten zugeführt wird, äußerst wichtig, da Patienten durch den starken Durchfall Elektrolyte und Wasser verlieren. Wird dem Patienten nur Wasser gegeben, führt dies zu einer Hyponatriämie, also einem zu niedrigen Natriumspiegel im Blut (Richard, DiRita 2013). Da Natrium und Glucose mit Hilfe eines Cotransportes durch das Dünndarmepithel gelangen, sollte die zugeführte Lösung neben Natrium auch Glucose enthalten. Die Behandlung mit einer Lösung aus Wasser, Salz und Molasse geht auf den Mediziner Sushruta zurück, der vor etwa 3.000 Jahren in Indien lebte. Bereits er erkannte, dass das Ersetzen der verlorenen Flüssigkeit eine Choleraerkrankung erheblich mildern konnte. Heutzutage wird eine Lösung aus 75mM Natriumchlorid, 75mM Glucose, 20mM Kaliumchlorid und 10mM Natriumcitrat empfohlen (WHO 2006).

4. Pathogenität von V. cholerae

Bis vor einigen Jahren war man der Ansicht, dass das O1-Antigen einen essenziellen Bestandteil eines pathogenen V. cholerae Bakteriums darstellt. Man war der Meinung, dass Epidemien nur von Bakterien des Serovars O1 und nur in seltenen Fällen von Bakterien des Nicht-O1-Serovars ausgelöst werden können. Diese Annahme hielt sich bis zum Jahre 1992, in dem in der Region Bengalen, im Nordosten Südasiens, eine Choleraepidemie ausbrach. Sie wurde ausgelöst von einem Bakterium des O139-Serovars und stellte damit die bisherigen Annahmen in Frage. Analysen des Bakteriengenoms zeigten, dass sich das O139-Serovar durch horizontalen Gentransfer aus einem O1-El-Tor-Bakterienstamm entwickelt hatte. Das Serovar eines Bakteriums konnte nun nur noch eingeschränkt als Indikator für die Pathogenität eines V. cholerae Stammes genutzt werden. Eine präzise Beschreibung der Faktoren, die pathogene von nicht-pathogenen V. cholerae Stämmen unterschieden, war nötig (Jermyn et al. 2006).

Die Pathogenität eines Bakteriums kann meist nicht auf nur einen, sondern auf ein großes Repertoire an Virulenzfaktoren zurückgeführt werden. Grundsätzlich kann zwischen verschiedenen Klassen bakterieller Virulenzfaktoren differenziert werden, diese Einteilung variiert jedoch je nach Autor. Die folgende Tabelle fasst Pathogenitätsfaktoren und ihren Wirkort anhand einer Klassifizierung nach Heesemann zusammen (Heesemann 2012).

Tabelle 1: Bedeutende Pathogenitätsfaktoren, ihre korrespondierenden Zielstrukturen der angeborenen Wirtsabwehr und Beispiele (verändert nach Heesemann 2012)

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Eine Choleraerkrankung ist das Ergebnis eines multifaktoriellen Prozesses, in dem verschiedene der oben aufgeführten Virulenzfaktoren eine Rolle spielen. Zur Bestimmung dieser Faktoren existieren verschiedene Modellen, die im Folgenden kurz vorgestellt werden sollen.

Das „suckling mouse model“ ist ein weit verbreitetes System zur Studie der Kolonisation des menschlichen Wirtes durch V. cholerae. Dabei werden Maus-Jungtiere mit dem Pathogen infiziert und später untersucht. Dieses Modell ermöglichte die Identifikation vieler Virulenzfaktoren des Bakteriums, die für die Infektion des menschlichen Wirtes bedeutet sind. Es kann jedoch nicht zur Erforschung der Wirkung von Impfstoffen genutzt werden, da die Jungtiere nicht lang genug überleben, um eine schützende Immunität zu erlangen. Die gebräuchlichste Anwendung des Modells sind kompetitive Assays, in denen Jungtiere von Mäusen oder Kaninchen mit einem mutierten V. cholerae Bakterienstamm und einem isogenen Wildtyp-Stamm infiziert werden. So kann der Stellenwert spezifischer Virulenzfaktoren für die Infektiosität von V. cholerae ermittelt werden (Hau et al. 2004). Führte die Deletion des Gens zu einer Verminderung der Virulenz, kann dies anhand der nun gestiegenen minimalen Infektionsdosis beobachtet werden (Heesemann 2012). Eine weitere Möglichkeit zur Untersuchung von V. cholerae ist die Verwendung des „ligated ileal loop model“. Dazu werden Segmente eines Kaninchendünndarms abgebunden, in die nachfolgend eine Suspension aus V. cholerae Bakterien injiziert wird. Nach etwa 16–18 Stunden wird dann die Höhe der Flüssigkeitsakkumulation als Maßstab für die Virulenz des Bakterienstammes genutzt. Im „removable intestinal tie-adult rabbit diarrhea“ (RITARD) Modell wird der Darm an der Ileozökalklappe abgebunden, um dann eine V. cholerae Suspension in den Dünndarm zu geben. Einige Stunden später wird die Abbindung gelöst, sodass die Durchgängigkeit des Darms wieder hergestellt wird. Danach kann zusätzlich die Anzahl der V. cholerae Bakterien im Stuhl über die nächsten Tage gemessen werden. Dieses Modell wird üblicherweise zur Studie der frühen Phase der Infektion, der intestinalen Kolonisation und der Schwere der durch verschiedene Bakterienstämme ausgelösten Erkrankung genutzt (Hau et al. 2004). Einige Studien untersuchen die Wirkung des Pathogens hingegen am Menschen. Freiwillige Testpersonen werden meist zur Untersuchung von Impfstoffen benötigt, beispielsweise in den Studien von Levine et al. zur Wirkung geschwächter El-Tor-Ogawa-Bakterien als orales Vakzin (Levine et al. 1984). Bei der Beurteilung der im Folgenden aufgeführten Studienergebnisse ist daher zu beachten, dass diese vorwiegend auf Untersuchungen an Tiermodellen zurückzuführen sind.

Viele Publikationen nennen zunächst zwei essenzielle genetische Elemente, die die Pathogenität von V. cholerae Isolaten bestimmen: Das CTX-Element, das für das Choleratoxin (CT) codiert, und die Vibrio-Pathogenitätsinsel-1, die für den Toxin-coregulierten-Pilus (TCP) codiert. Die Pathogenität wird zudem von zahlreichen weiteren Virulenzfaktoren beeinflusst, die bis heute jedoch nur teilweise bekannt sind. Einige dieser Faktoren werden als hypothetische Virulenzfaktoren bezeichnet, da noch nicht oder nur teilweise bewiesen werden konnte, dass sie für die Pathogenität von V. cholerae von Bedeutung sind (Fuchs 2014). Im Folgenden sollen bekannte und hypothetische Virulenzfaktoren von V. cholerae vorgestellt wurde. Dabei ist zu beachten, dass V. cholerae Bakterien je nach Serovar und Biotyp unterschiedlichste Zusammenstellungen dieser Virulenzfaktoren aufweisen, deren Vorstellung den Rahmen dieser Arbeit sprengen würde. Dementsprechend sollen hier nur charakteristische Unterschiede zwischen Bakterien des O1- und O139-Serovars sowie den Nicht-O1-/Nicht-O139-Bakterien dargestellt werden (Mekalanos 2011).

4.1 Das CTX-Element

Das CTX-Element, dessen Gene in einem Operon angeordnet sind, ist ein 4,5kb großer, integrierter Prophage und wird auch als CTXΦ (CTXphi) bezeichnet (Mekalanos 2011). Ein Prophage ist ein Molekül von Phagen-DNA, das in das Bakterienchromosom integriert wurde (Purves et al. 2006). Der CTXΦ setzt sich aus zwei eigenständigen Regionen, dem Kern und der RS2-Region (engl.: repeat sequence-2 region) zusammen. Sie codiert Gene, die für die Replikation (rstA2), Integration (rstB2) und Regulation (rstR) des CTX-Elements benötigt werden (Mekalanos 2011). Toxigene V. cholerae El-Tor-Stämme besitzen zudem den Prophagen RS1, der neben CTXΦ lokalisiert ist. RS1 ähnelt der RS2-Region, jedoch enthält er ein zusätzliches Gen namens rstC. Dieses codiert für ein Anti-Repressor-Protein, dass die Exprimierung bestimmter Gene zur Phagenmorphogenese induziert, sodass infektiöse Phagenpartikel gebildet und CTXΦ auf andere Bakterien übertragen werden können (Banerjee et al. 2014). Die Bedeutung der Übertragung von Prophagen wird in Kapitel 8 näher erläutert.

Es existieren verschiedene Varianten des CTXΦ. Diese können jedoch nicht eindeutig Serovaren zugeordnet werden. Beispielsweise konnten in den letzten Jahren Bakterienstämme der siebten Pandemie isoliert werden, die statt dem El-Tor-CTXΦ den klassischen CTXΦ oder eine Variante des El-Tor-CTXΦ aufwiesen. Diese neuen Varianten der El-Tor-Stämme haben mittlerweile die früheren Stämme ersetzt. Es wird vermutet, dass der durch sie erzeugte Durchfall einen schwereren Verlauf nimmt (Harris et al. 2012). Das CTX-Element fehlt normalerweise Nicht-O1-/Nicht-O139-Bakterienstämmen von V. cholerae (Mekalanos 2011). Nichtsdestotrotz konnten in den letzten Jahren Nicht-O1-/Nicht-O139-Stämme isoliert werden, die das CTX-Gen besaßen (Madhusudana, Surendran 2013).

Das CTX-Element wird als einer der wichtigsten Pathogenitätsfaktoren von V. cholerae angesehen, da es die Gene ctxA und ctxB enthält. Sie codieren für die Untereinheiten des Choleratoxins. Dieses Modulin wird von V. cholerae mit Hilfe eines Typ-II-Sekretionssystem segregiert und ist für einen Großteil der Symptome einer Choleraerkrankung verantwortlich (Fuchs 2014). Sein Aufbau und seine Wirkungsweise werden in Kapitel 5.2 erläutert.

4.2 Die Vibrio-Pathogenitätsinseln

Gene, die für bakterielle Virulenzfaktoren codieren, liegen oft in sogenannten Pathogenitätsinseln. Diese haben meist eine Größe von 10–200kb und besitzen einen vom Rest des Chromosoms abweichenden GC-Gehalt. Oft können vor und hinter diesen Inseln tRNA-Gene, repetitive Sequenzen, Integrons oder Transposons gefunden werden. Pathogenitätsinseln können für verschiedene Virulenzfaktoren codieren: Typ-III- und Typ-IV-Sekretionssysteme, Eisenaufnahmesysteme und Toxine. Somit sind sie in pathogenen, jedoch meist nicht in nicht-pathogenen Isolaten einer Bakterienart zu finden (Fuchs 2014). V. cholerae enthält je nach Serovar und Biotyp verschiedene solcher Pathogenitätsinseln, die alle in der Lage sind, das Wirtgenom wieder zu verlassen und ringförmige Zwischenprodukte zu formen, die auf nicht-pathogene Wirte transferiert werden können (Almagro-Moreno, Taylor 2013). Die Vibrio-Pathogenitätsinsel-1 und 2 und die Vibrio Siebte-Pathogenitätsinsel-I und II sollen im Folgenden näher erläutert werden.

Die Vibrio-Pathogenitätsinsel-1 (VPI-1) enthält ungefähr 28 ORFs und ist 39.5kb groß. Diese Pathogenitätsinsel ist ein entscheidender Virulenzfaktor, da sie das Gen tcpA enthält. Dabei handelt es sich um ein 40kb großes Gen-Segment, das nicht-epidemischen Stämmen von V. cholerae fehlt. Es codiert für einen der wichtigsten Virulenzfaktoren von V. cholerae, den Toxin-coregulierten Pilus (TCP) (engl.: toxin-coregulated pilus) (Rosenberg et al. 2014).

Der TCP ist ein Typ-IV-Pilus und besitzt einen Durchmesser von 8nm und eine Länge von 1–4nm. Er besteht aus tausenden miteinander verflochtenen TcpA-Untereinheiten, die ein dreisträngiges Band formen (Sánchez, Holmgren 2008). Krebs und Taylor zeigten mit Hilfe von Caco-2-Zellen, menschlichen Darmzellen, die bereits zu Untersuchungen der Pili anderer pathogener Bakterien genutzt wurden, dass der TCP die Anheftung von V. cholerae an das Darmepithel unterstützt (siehe Abbildung 9). Bakterien, denen die TCP-Gene fehlten, konnten schlechter an die Epithelwand binden als Bakterien des Wildtyps (Krebs, Taylor 2011).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 9: Rasterelektronenmikroskopische Aufnahme von V. cholerae Bakterien des Wildtyps, die sich mit Hilfe des TCPs an Mikrovilli anheften. Schwarze Pfeilspitzen: gebündelte TCP; Weiße Pfeilspitzen: Mikrovilli; Schwarze Pfeile: TCP gebunden an Caco-2-Zellen; Weiße Pfeile: unbeschädigte Flagellen. Die Aufnahme wurde mit Hilfe eines Feldemissions-Rasterelektronenmikroskops gemacht (Krebs, Taylor 2011)

Weiterhin zeigten Aufnahmen eines Feldemissionsrasterelektronenmikroskops, dass die V. cholerae Zellen während der Infektion einer Maus von einer Matrix aus TCP-Filamenten umgeben waren. Krebs und Taylor vermuten, dass die TCP-Matrix das Bakterium vor verschiedenen antimikrobiellen Mitteln wie Gallensäuren schützt (Krebs, Taylor 2011). Neben dieser Schutzfunktion erfüllt der TCP zahlreiche weitere Aufgaben. Er ermöglicht die Interaktion zwischen Bakterien und erlaubt so die Bildung von Mikrokolonien. Die Bildung von Mikrokolonien erleichtert die Aufnahme von Nährstoffen und schützt die Bakterien vor Antimikrobiotika oder Bakteriziden, die in der Nähe des Dünndarmepithels produziert werden. Der TCP-Biogenese-Apparat wird zudem für die Sekretion des löslichen Kolonisationsfaktors TcpF benötigt, der die Bildung von Mikrokolonien unterstützt. Bakterien, denen das TcpF-Gen fehlt, sind immer noch in der Lage Mikrokolonien zu formen, diese sind jedoch nur locker gepackt und schwächer miteinander verbunden. Auf die Bedeutung von Biofilmen für die Pathogenität von V. cholerae wird in Kapitel 6.2.2 näher eingegangen. Das Vorhandensein des TCP-Biogenese-Apparats scheint zudem essenziel für die effektive Regulation verschiedener Virulenzfaktoren zu sein (Almagro-Moreno et al. 2015).

[...]

Ende der Leseprobe aus 79 Seiten

Details

Titel
Lebenszyklus und pathogene Eigenschaften des Erregers der Cholera heute
Untertitel
Ist die Seuche immer noch eine Bedrohung?
Hochschule
Universität Münster  (Zoophysiologie am Fachbereich Biologie)
Note
1,5
Jahr
2015
Seiten
79
Katalognummer
V370867
ISBN (eBook)
9783668486874
ISBN (Buch)
9783668486881
Dateigröße
2654 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Cholera, Vibrio Cholera, Pathogenität, Bakterien, Seuchen, Pathogenese, Pathogenitätsinseln, Vibrio, Choleratoxin, Toxin, Durchfall, Biofilm, VBNC-Zustand, Virulenzfaktoren, horizontaler Gentransfer, Biologieunterricht
Arbeit zitieren
Anonym, 2015, Lebenszyklus und pathogene Eigenschaften des Erregers der Cholera heute, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/370867

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