Im alltäglichen Leben bemerkt man sie nicht unbedingt. Im Gegenteil. Sie sind unauffällig, haben mittelmäßige Schulergebnisse; oft bestechen sie eher dadurch, dass sie launisch und ungeduldig sind als dass sie dem Idealbild eines Musterschülers entsprechen. Eine Befähigung zu herausragender Leistung bleibt in vielen Fällen im Verborgenen. Die Rede ist von Hochbegabten, von Kindern und Jugendlichen, die über außerordentliche Fähigkeiten verfügen und deren Potenzial in bestimmten Bereichen weit über dem von Gleichaltrigen zu liegen scheint. Wie geht man mit Menschen um die über besondere Talente und Begabungen verfügen? Wie geht man um mit Menschen, die im Kleinkindalter gegen Erwachsene im Schach gewinnen, die ganze Telefonbücher auswendig lernen oder schneller als herkömmliche Taschenrechner multiplizieren? Sprechen wir in diesen Fällen von Wunderkindern, von Genies? Wie kann man gewährleisten, dass sie zur vollen Entfaltung ihrer Fähigkeiten gelangen können?
Im Folgenden werden nach grundlegenden Begriffsdefinitionen und einleitender Betrachtung von Erkenntnissen aus der Hochbegabtenforschung Möglichkeiten aufgezeigt und analysiert, mit denen im deutschen Bildungssystem zu einer effektiven Förderung besonders talentierter Kinder und Jugendlicher beigetragen wird. Bis Anfang der 80er Jahre gab es in Deutschland, abgesehen von der im sportlichen und musikalischen Bereich, keine breit angelegte Förderung von Begabten1. Eine intensive Förderung durch Bund und Länder ist unter anderem auf die öffentliche Diskussion nach der »World Conference for Gifted and Talented Children« im Jahre 1985 zurückzuführen, die das Thema Hochbegabung in den Mittelpunkt stellte2. Mittlerweile ist die Förderung von unterschiedlichen Begabungen und Talenten eines der formulierten bildungspolitischen Ziele der Bundesregierung3. Dabei teilen sich Bund und Länder weitgehend die Verantwortung: Während Förderung im Vorschul- und Schulbereich vor allem Aufgabe der Länder ist, ist der Bund für den Bereich der beruflichen Bildung und der Hochschulen zuständig. Zur Auswertung und Effizienzanalyse werden die Förderprogramme des Bundes dabei wissenschaftlich begleitet.
INHALTSVERZEICHNIS
1 Einleitung
2 Grundlegende Begrifflichkeiten und Modelle
2.1 Begabung
2.2 Hochbegabung
2.3 Intelligenz und Intelligenzquotient
2.4 Begabungsmodelle
2.4.1 Das Drei-Ringe-Modell der Begabung von Renzulli (1979)
2.4.2 Das Triadische Interdependenzmodell der Hochbegabung von Mönks (1990)
2.5 Begabtenförderung
3. Vorstellung und Einschätzung von Konzepten zur Förderung Hochbegabter
3.1 Fördermodelle
3.1.1 Vorschulische Förderung
3.1.2 Fördermodelle an Schulen
3.1.2.1 Akzeleration
3.1.2.2 Enrichment
3.1.2.2.1 Schüler - und Jugendwettbewerbe
3.1.2.2.2 Die Deutsche SchülerAkademie
3.1.2.3 Mischformen aus Akzeleration und Enrichment
3.1.2.3.1 Montessori-Schulen
3.1.2.3.2 Die Jugenddorf - Christophorusschule Braunschweig
3.1.2.3.3 Das G8-Gymnasium Baden-Württemberg
3.1.3 Förderung in der Berufsbildung
3.1.4 Förderung für Studierende
3.2 Beratungsmöglichkeiten
3.2.1. Beratungsstellen
3.2.2. Vereine
3.2.2.1 Deutsche Gesellschaft für das hochbegabte Kind e.V.
3.2.2.2 Mensa in Deutschland e.V.
3.2.2.3 Hochbegabtenförderung e.V.
3.3 Ansätze für die verbesserte Förderung und Beratung
4 Zusammenfassung
Literaturverzeichnis
1 Einleitung
Im alltäglichen Leben bemerkt man sie nicht unbedingt. Im Gegenteil. Sie sind unauffällig, haben mittelmäßige Schulergebnisse; oft bestechen sie eher dadurch, dass sie launisch und ungeduldig sind als dass sie dem Idealbild eines Musterschülers entsprechen. Eine Befähigung zu herausragender Leistung bleibt in vielen Fällen im Verborgenen. Die Rede ist von Hochbegabten, von Kindern und Jugendlichen, die über außerordentliche Fähigkeiten verfügen und deren Potenzial in bestimmten Bereichen weit über dem von Gleichaltrigen zu liegen scheint. Wie geht man mit Menschen um die über besondere Talente und Begabungen verfügen? Wie geht man um mit Menschen, die im Kleinkindalter gegen Erwachsene im Schach gewinnen, die ganze Telefonbücher auswendig lernen oder schneller als herkömmliche Taschenrechner multiplizieren? Sprechen wir in diesen Fällen von Wunderkindern, von Genies? Wie kann man gewährleisten, dass sie zur vollen Entfaltung ihrer Fähigkeiten gelangen können?
Im Folgenden werden nach grundlegenden Begriffsdefinitionen und einleitender Betrachtung von Erkenntnissen aus der Hochbegabtenforschung Möglichkeiten aufgezeigt und analysiert, mit denen im deutschen Bildungssystem zu einer effektiven Förderung besonders talentierter Kinder und Jugendlicher beigetragen wird. Bis Anfang der 80er Jahre gab es in Deutschland, abgesehen von der im sportlichen und musikalischen Bereich, keine breit angelegte Förderung von Begabten1. Eine intensive Förderung durch Bund und Länder ist unter anderem auf die öffentliche Diskussion nach der »World Conference for Gifted and Talented Children« im Jahre 1985 zurückzuführen, die das Thema Hochbegabung in den Mittelpunkt stellte2. Mittlerweile ist die Förderung von unterschiedlichen Begabungen und Talenten eines der formulierten bildungspolitischen Ziele der Bundesregierung3. Dabei teilen sich Bund und Länder weitgehend die Verantwortung: Während Förderung im Vorschul- und Schulbereich vor allem Aufgabe der Länder ist, ist der Bund für den Bereich der beruflichen Bildung und der Hochschulen zuständig. Zur Auswertung und Effizienzanalyse werden die Förderprogramme des Bundes dabei wissenschaftlich begleitet.
2 Grundlegende Begrifflichkeiten und Modelle
Noch immer scheint der Begriff der Hochbegabung außerhalb des wissenschaftlichen Sprachgebrauchs nicht etabliert zu sein4. In diversen Enzyklopädien wie dem Brockhaus und selbst in pädagogischen und psychologischen Wörterbüchern ist das Stichwort Hochbegabung nicht zu finden. Stattdessen gibt es eine Vielzahl von Synonymen wie »Talent«, »Intelligenz« oder »Begabung«, die im Alltagsgebrauch durchmischt und in der Wissenschaft facettenreich definiert werden. In dem folgenden Abschnitt werden grundlegende Begriffe präzisiert.
2.1 Begabung
Die Anlage-Umwelt-Diskussion in den 60er Jahren hat in Deutschland zu einer Wandlung des Begabungs-Begriffes geführt. Der statische Begabungsbegriff5, der auf eine naturgegebene Anlage des Menschen hindeutet und Begabung als angeboren ansieht, wurde von einem dynamischen Begabungsbegriff6 abgelöst, der zusätzlich auf die Bedeutung von Erziehung und Umwelt im Prozess der Entwicklung hinweist. Eine passende Definition lässt sich im Wörterbuch der Pädagogik finden: Begabung ist demnach „eine […] menschliche Lernfähigkeit, die sich besonders durch die Begegnung mit entsprechenden Ausschnitten der Lebenswirklichkeit entfaltet.“7 Eine solche Definition berücksichtigt die Bedeutung von Erbanlagen im Zusammenhang mit Erziehungs- und Sozialisationseinflüssen. Im Allgemeinen werden fünf Begabungsbereiche voneinander unterschieden8:
- Die intellektuelle Begabung (Intelligenz)
- Die soziale Begabung (interpersonelle Kompetenz)
- Die musische Begabung (Musikalität)
- Die bildnerisch-darstellende Begabung
- Die psychomotorisch-praktische Begabung
2.2 Hochbegabung
Anknüpfend an die Definition von Begabung lässt sich auch der Hochbegabungsbegriff definieren. Von Hochbegabung spricht man, wenn eine Person in einem der fünf Begabungsbereiche in seiner Entwicklung „den Gleichaltrigen deutlich überlegen ist.“9 In diesem Zusammenhang spricht man auch von »Genies« oder »Wunderkindern«. Entgegen der landläufigen Meinung geht es also nicht nur um besonders hohe intellektuelle Fähigkeiten - außergewöhnliche musische oder psychomotorische Begabungen fallen ebenfalls unter die Definition. Die verschiedenen Fähigkeitsbereiche gelten als relativ unabhängig voneinander10 ; in der Regel tritt eine hohe Begabung in einem speziellen Bereich aber in Verbindung mit außergewöhnlichen Fähigkeiten in anderen Bereichen auf. Darüber hinaus beeinflussen gesellschaftliche Wertevorstellungen die Meinung darüber, wer als Hochbegabt und wer als Nicht-Hochbegabt gilt11. Eine besondere Leistung muss also von großen Teilen der Gesellschaft auch als solche anerkannt sein. Der Hochbegabungsbegriff ruft in Deutschland noch immer Kritiker auf den Plan, die die Hochbegabtenforschung als das Treiben von »Elite-Machern« diskreditieren. Dabei versteht sie sich eher als Förderer der Chancengleichheit, die zum Ziel hat jedem Begabten die volle Entfaltung seiner Fähigkeiten zu ermöglichen.
2.3 Intelligenz und Intelligenzquotient
Die allgemeine intellektuelle Begabung, als eine der fünf Begabungsbereiche, wird als Intelligenz bezeichnet. Sie ist die Fähigkeit, durch Erfassung von Sinn- und Bedeutungszusammenhängen „neuartige Anforderungen zu bewältigen“.12 Als Messgröße für die Intelligenz hat sich der 1912 von William Stern eingeführte Intelligenzquotient (IQ) etabliert. In Abänderung seiner ursprünglichen Messweise ist er heute definiert als „Stellung der Leistung eine[r] [Person] in der normalen Verteilung der Leistung seiner Altersgruppe.“13 Der durch einen IQ-Test messbare Intelligenzquotient verteilt sich in Bezug auf die Gesamtbevölkerung normal. In Abbildung 1 ist dies in Form einer Grafik veranschaulicht. Es lassen sich ein Mittelwert von 100 und eine Standardabweichung von 15 bestimmen. Das bedeutet, dass der Durchschnittswert des IQ in der Bevölkerung auf 100 festgelegt ist. Der größte Anteil, nämlich knapp 68% der Menschen, hat einen IQ zwischen 85 und 115. Nur ein geringer Teil von jeweils ca. zwei Prozent der Bevölkerung hat einen extrem niedrigen IQ von weniger als 70 oder einen extrem hohen IQ von mehr als 130. Von Hochbegabung spricht man deshalb oft bei Personen, die sich durch einen IQ-Wert von 130 und höher auszeichnen.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 1: Normalverteilung der Intelligenzquotienten; Kanning 1999, S. 23
Vorsicht geboten ist allerdings vor einer Grenzziehung bei einem fixen Wert von 130. Wie bereits vorhergehend beschrieben ist die intellektuelle Hochbegabung nur ein Teil verschiedener Begabungsbereiche. Außerdem muss man sich die Frage stellen, ob bei einem IQ von 129 pauschal nicht mehr von Hochbegabung gesprochen werden kann.
2.4 Begabungsmodelle
Den unterschiedlichen Begabungsdefinitionen liegt eine Vielzahl von Begabungsmodellen zu Grunde. Wiederum grundlegend für eine Vielzahl dieser Modelle sind das Drei-Ringe-Modell der Begabung von Renzulli und das darauf aufbauende Triadische Interdependenzmodell der Hochbegabung von Mönks. Sie werden im Folgenden skizziert.
2.4.1 Das Drei-Ringe-Modell der Begabung von Renzulli (1979)
Renzulli betrachtet Begabung als die Schnittmenge von überdurchschnittlichen Fähigkeiten, Aufgabenverpflichtung und Kreativität (Abbildung 2). Überdurchschnittliche Fähigkeiten umfassen sowohl allgemeine kognitive als auch spezielle Fähigkeiten in unterschiedlichen Wissensgebieten14. Kreativität bezeichnet eine allgemeine Fähigkeit, die das Loslösen von herkömmlichen Denkschemata ermöglicht und ideenreiche und originelle Lösungsansätze hervorbringt.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 2: Drei-Ringe-Modell der Begabung von Renzulli (1979); Kanning 1999, S. 9
Aufgabenverpflichtung meint hier die Fähigkeit einer Person, sich über einen längeren Zeitraum konzentriert und motiviert mit einem Problem auseinanderzusetzen. Nach Renzulli ist also nur bei Zusammenwirken dieser drei Personenmerkmale von Begabung zu sprechen, was sicherlich die Frage aufwirft, ob jemand, der beispielsweise über geringe Kreativität verfügt, nicht zum Kreise der Begabten gezählt werden kann. Oder umgekehrt, ob jemand mit einem nur leicht über dem Schnitt liegenden Intelligenzquotienten, der aber über außergewöhnliche Kreativität und ein hohes Durchhaltevermögen beim Aufgabenlösen verfügt, ebenfalls nicht zu den Begabten gezählt werden kann. In diesem Sinne widerspricht das Modell in Teilen den eingangs definierten Begrifflichkeiten und zeigt erneut die Uneinigkeit der Wissenschaft im Bereich der Hochbegabung.
2.4.2 Das Triadische Interdependenzmodell der Hochbegabung von Mönks (1990)
Als Beispiel für eine Erweiterung des Drei-Ringe-Modells von Renzulli wird das von Mönks konzipierte Triadische Interdependenzmodell vorgestellt (Abbildung 3). Zusätzlich zu den Persönlichkeitsmerkmalen wird hier das soziale Umfeld des Individuums berücksichtigt.Als wichtige Erziehungs- und Sozialisationsinstanzen,die förderlich und hemmend wirken können, sieht Mönks neben der Familie und der Schule die Peer-group. Aus diesem Modell geht die Notwendigkeit begünstigender Umweltfaktoren für die Entwicklung des Individuums hervor. Mönks setzt dafür ein Mindestmaß an sozialer Kompetenz voraus, die er bei hochbegabten Kindern und Jugendlichen als oft unterentwickelt ansieht15.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 3: Triadisches Interdependenzmodell der Hochbegabung von Mönks (1990); Kanning 1999, S. 12
Gründe dafür sieht er darin, dass gerade Hochbegabte auf Grund ihres abweichenden Entwicklungsstandes mit Problemen im Umgang mit Gleichaltrigen zu kämpfen haben.
2.5 Begabtenförderung
Es ist ein Irrglaube zu denken, dass Hochbegabte nicht gefördert werden müssen, da sie durch ihren Intellekt automatisch Erfolg in Schule und Beruf haben. Bis hierhin sollte deutlich geworden sein, dass eine gesonderte Förderung von Kindern und Jugendlichen mit außerordentlichen Fähigkeiten wichtig für die möglichst umfassende Entfaltung ihrer Anlagen ist. Der Begriff der Begabtenförderung umfasst alle Maßnahmen von Bund, Ländern und auch der Privatwirtschaft, die in Zusammenhang mit dem Erkennen und Fördern von Hochbegabten stehen. Wie bereits eingangs erwähnt, ist Begabtenförderung klar formuliertes bildungspolitisches Ziel und bietet eine Vielzahl von Programmen für Schüler, Auszubildende und Studierende. Da die Förderungssysteme im Bereich von Sport und Musik in Deutschland schon seit Jahren fest etabliert sind16, werden die im Folgenden vorgestellten Konzepte sich vorrangig mit der Förderung von allgemeiner.
[...]
1 Vgl. Heller 2001, S. 22
2 Vgl. Stapf 2003, S. 9
3 Vgl. BMBF 2003, S. 3
4 Vgl. Stapf 2003, S. 14
5 Vgl. Schaub, Zenke 2004, S. 67
6 Vgl. Schaub, Zenke 2004, S. 68
7 Schaub, Zenke 2004, S. 68
8 Vgl. Stapf 2003, S. 18
9 BMBF 2003, S. 13
10 Vgl. Stapf 2003, S. 18
11 Schaub, Zenke 2004, S. 259
12 BMBF 2003, S. 13
13 Schaub, Zenke 2004, S. 277
14 Vgl. Kanning 1999, S. 8
15 Vgl. Kanning 1999, S. 11
16 Vgl. Heller 2001, S. 22
- Quote paper
- Marcel Bohnert (Author), 2005, Hochbegabtenförderung - Begriffe, Konzepte, Analyse, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/37085
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