Competitive Balance im Radsport. Der Einfluss unterschiedlicher Streckenparameter auf die Wettbewerbsintensität bei der Tour de France


Examensarbeit, 2016

83 Seiten, Note: 1,5


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

Tabellenverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis

1 Einleitung

2 Forschungsstand
2.1 Competitive Balance und seine Dimensionen
2.2 Bisherige Studien zu Competitive Balance
2.3 Forschungsdefizit und Formulierung eines Forschungsziels

3 Der Radsport als besondere Sportart
3.1 Geschichte und Entwicklung des Radsports
3.2 Struktur und Organisation des professionellen Radsports
3.3 Sportliche Besonderheiten des Radsports
3.3.1 Unterschiedliche Wettkampftypen
3.3.2 Komplexität der Wettkampfstrategien
3.3.3 Hybrid aus Team- und Individualsportart
3.3.4 Natur-Sportart
3.3.5 Dominanz einzelner Wettkämpfe

4 Methoden
4.1 Methoden der Datenerhebung
4.2 Datenauswertung
4.2.1 Bemessung von CB
4.2.2 Entwicklung des Regressionsmodells

5 Ergebnisse
5.1 Deskriptive Statistiken
5.2 Regressionsanalyse
5.2.1 Abhängige Variable Standard Deviation of Riding Time
5.2.2 Abhängige Variable Summed Time Differences
5.2.3 Doping-Modell

6 Diskussion
6.1 Diskussion der Ergebnisse
6.2 Limitationen und Defizite des Modells
6.3 Zukünftige Forschung

7 Zusammenfassung und Fazit

Literaturverzeichnis

Danksagungen

Anhang

Abbildungsverzeichnis

Abbildung 1: Organisationsstruktur des professionellen Radsports

Abbildung 2: Exemplarisches Tour de France-Etappenprofil (18. Etappe der Tour de France 2013)

Abbildung 3: SDRT- und STD-Verlauf der Tour de France 2005

Abbildung 4: SDRT- und STD pro Fahrer-Verlauf der Tour de France 2005

Abbildung 5: Verlauf der Mittelwerte der CB-Maße SDRT und STD von 2005 bis 2015

Abbildung 6: Verlauf der gleitenden Mittelwerte der SDRT und STD

Abbildung 7: unterschiedliche Ausprägungen der SDRT- und STD-Indizes anhand der End­gesamtklassements der Tour de France ausgewählter Jahre

Abbildung 8: Vergleich der Mittelwert-Verläufe der CB-Maße SDRT mit SDRTDOPING und STD mit STD DOPING von 2005 bis 2011

Tabellenverzeichnis

Tabelle 1: Literaturüberblick zu CB (zwischen Fahrern) im professionellen Radsport

Tabelle 2: UCI WorldTour-Kalender 2016

Tabelle 3: Werte der unabhängigen Variablen des Modells für des exemplarische Etappen­profil

Tabelle 4: Name, Beschreibung, Skalierung und erwarteter Effekt der unabhängigen Va­riablen des Modells

Tabelle 5: Deskriptive Statistik der unabhängigen Variablen

Tabelle 6: Globale Gütemaße (SDRT)

Tabelle 7: Koeffizienten und Signifikanz der unabhängigen Variablen im Regressionsmodell mit der abhängigen Variable SDRT

Tabelle 8: Korrelationsmatrix der Pearson-Korrelationskoeffizienten zwischen den unab­hängigen Variablen

Tabelle 9: Kollinearitätsstatistik (Toleranz, VIF)

Tabelle 10: Globale Gütemaße (STD)

Tabelle 11: Koeffizienten und Signifikanz der unabhängigen Variablen im Regressionsmodell mit der abhängigen Variable STD

Tabelle 12: Modellvergleich SDRT-STD

Tabelle 13: Globale Gütemaße (SDRTDOPING und STDDOPING)

Tabelle 14: Vergleich der Koeffizienten und Signifikanz der unabhängigen Variablen im Re­gressionsmodell mit den abhängigen Variable SDRT DOPING und STD DOPING

Abkürzungsverzeichnis

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

1 Einleitung

Die Tour de France ist das bedeutendste Radrennen der Welt. Im Jahre 1903 fand die erste Austragung des Rennens statt, und dieses Sportmonument kann heute mit seiner über 100­jährigen Historie zu den prestige- und traditionsreichsten Veranstaltungen in der Welt des Sports gezählt werden. Die Tour ist mit inzwischen über 20 teilnehmenden Teams, der Ko­lonne aus über 220 Werbefahrzeugen, knapp 15 Millionen Fans an der Strecke und fast einer Milliarde TV-Zuschauern weltweit (vgl. Van Reeth, 2013, S. 2) ein bedeutender Wirtschafts­faktor und ein hochprofessionalisiertes Event. Diese Eigenschaften geben Anlass, die Sport­veranstaltung einer ökonomischen Betrachtung zu unterziehen.

Die Tour de France dauert drei Wochen und besteht jedes Jahr aus 21 unterschiedlichen Etappen. Der Fahrer, der am wenigsten Zeit benötigt, um den gesamten Kurs zu absolvieren, gewinnt das Rennen. Es lassen sich unterschiedliche Etappentypen charakterisieren. So wei­sen Flachetappen ein geringeres Anforderungsprofil auf, da die Fahrer meist als geschlossenes Feld und somit im Windschatten ihres Vordermannes fahren können. Obwohl einige Fahrer an der Spitze des Hauptfeldes aufgrund des fehlenden Windschattens große Anstrengungen aufbringen müssen, sind derartige Etappen für den Großteil des Fahrerfeldes weniger belas­tend. Diese Etappen enden meist in einem Massensprint und haben für die Gesamtwertung eine geringere Bedeutung, da sich die Favoriten für den Gesamtsieg auf solchen Etappen meist zurückhalten und im geschlossenen Hauptfeld ins Ziel kommen. Selten kommt es auf solchen Etappen vor, dass Topfavoriten Zeitabstände einbüßen müssen. Dies ist meist nur dann der Fall, wenn sich das Feld durch einen Sturz oder eine Windkante[1] teilt (vgl. Rogge, Van Reeth & Van Puyenbroeck, 2013, S. 4). Auf hügeligen Etappen oder auf Bergetappen durch die Alpen und Pyrenäen müssen die Fahrer steile Anstiege bewältigen, die bei einigen Fahrern, beispielsweise den Sprintern, für Schwierigkeiten sorgen können. Auf diesen Etap­pen entstehen meist größere Zeitunterschiede unter den Fahrern, weshalb sie für die Gesamt­wertung des Rennens eine größere Bedeutung haben. Im Gegensatz zu den meisten Etappen werden Zeitfahretappen nicht kollektiv, sondern einzeln oder in Teams absolviert. Bei diesen Einzel- und Teamzeitfahren und beim Prolog[2] gehen die Fahrer beziehungsweise die Teams einzeln und in bestimmten Zeitabständen von meist zwei oder drei Minuten hintereinander auf die Strecke. Auch Zeitfahretappen können, obwohl sie wesentlich kürzer als normale Etappen sind, für signifikante Zeitunterschiede zwischen den Fahrern sorgen und sind deshalb eben­falls wichtig für den Ausgang des Rennens (vgl. Rogge et al., 2013, S. 4). Ob und wie viele Zeitfahren im Verlauf der Tour de France zu fahren sind, ändert sich von Jahr zu Jahr. Insge­samt führt die Strecke der Tour de France durch verschiedene Teile Frankreichs und teilweise auch durch angrenzende Länder. So verläuft die Route etwa entlang windiger Küstenabschnit­te, über schwer zu befahrende, gepflasterte Straßen oder steile, technisch anspruchsvolle Ab­fahrten hinab. Die Strecke weist also zahlreiche unterschiedliche Eigenschaften auf und nur ein vielseitiger Fahrer kann das Rennen am Ende für sich entscheiden.

Je geringer die Zeitabstände zwischen den Topfahrern im Endtableau - also je knapper der Ausgang des Rennens und je länger dieser noch offen ist - desto spannender ist die Tour de France und desto intensiver ist der Wettbewerb der Topfahrer um den Toursieg. Eine hohe Wettbewerbsintensität ist also ein Merkmal eines spannenden Wettkampfes und muss folglich Ziel der Organisation der Tour sein. Auch in der wissenschaftlichen Diskussion von Sport­ökonomen wurde diesem Thema bereits einige Aufmerksamkeit zuteil. Die Wettbewerbsin­tensität (Competitive Balance, fortan CB) im Radsport wurde bislang jedoch, wie im an­schließenden Kapitel dargelegt, noch nicht ausreichend erforscht. Warum CB aber gerade im Radsport von hoher Relevanz ist, soll im Folgenden kurz erläutert werden.

Bei der Finanzierung des modernen Sports spielen Einnahmen aus dem Verkauf von Übertra­gungsrechten eine entscheidende Rolle. Zwar hat der professionelle Radsport trotz seiner langandauernden, nicht-telegenen Übertragungen und der unvorteilhaften Nachmittags­Sendezeit eine lange Tradition als TV-Sport (vgl. Rebeggiani & Tondani, 2008, S. 6), den­noch sind die Summen im Radsport nur ein Bruchteil dessen, was in anderen Sportarten für diese Rechte bezahlt wird (vgl. Van Reeth, 2016, S. 78). Radteams sind deshalb in besonde­rem Maße von Sponsoren abhängig und gerade im deutschen Radsport hat sich diese Abhän­gigkeit negativ bemerkbar gemacht, als in den Folgejahren des Dopingskandals um den spani­schen Arzt Eufemiano Fuentes im Jahr 2006 nach und nach alle deutschen Radteams[3] ihre Hauptsponsoren verloren.

Ein weiteres prominentes Thema der Ökonomie von Sport ist der Zusammenhang von Wett­bewerbsausgeglichenheit und Nachfrage. Entgegen einiger Forschungsergebnisse über den europäischen Profifußballs, gibt es für den professionellen Straßenradsport empirische Evi­denz, dass die TV-Zuschauernachfrage unter anderem von der CB abhängt (Van Reeth (2013), Rodriguez, Peréz, Puente & Rodriguez (2015)). Demnach hat ein unausgeglichener Wettbewerb einen negativen Effekt auf das Zuschauerinteresse. Speziell für den professionel­len Radsport, in dem sich Teams nicht wie beispielsweise im Fußball über die Distribution von TV-Einnahmen, sondern zu über 90 Prozent über Sponsorengelder finanzieren (vgl. Van Reeth, 2016, S. 55), ist die Problemstellung daher besonders relevant, da Sponsoren an der Werbewirkung durch die Teams interessiert sind. Die Wirtschaftsunternehmen wollen die TV-Präsenz der Teams nutzen, um Werbeeffekte für ihr Unternehmen zu erzielen. Je höher die Zuschauernachfrage, desto höher die Reichweite und Werbewirkung und desto attraktiver ist der Radsport für potentielle Sponsoren. Folglich ist die CB als Determinante der Nachfrage wichtig, um die finanziellen Möglichkeiten des Radsports auszuschöpfen und ihm in Zeiten von dopingbedingter Rufschädigung eine gewisse Stabilität zu sichern. Da die Preisgelder, sowie die Attraktivität eines Teams für einen Sponsor an den sportlichen Erfolg geknüpft sind, kann ein unausgeglichener Wettbewerb darüber hinaus dazu führen, dass die weniger erfolgreichen Teams zahlungsunfähig werden. Der Weltverband UCI, aber auch die Veran­stalter der Tour de France müssen folglich ein Interesse daran haben, die CB aufrecht zu hal­ten und zu optimieren. Um entsprechende Maßnahmen zu ergreifen, muss daher untersucht werden, welche Faktoren die CB beeinflussen. Aus der Perspektive des Sportmanagements ist bei dieser Untersuchung besonders die Streckenführung von Radrennen interessant, weil diese vom Veranstalter - der Amaury Sport Organisation (ASO) im Falle der Tour de France - gestaltet wird. Während in anderen Sportarten das Regelwerk geändert werden muss, um ge­wünschte Effekte zu erzielen, kann bei der Tour de France jedes Jahr ein neuer, im Sinne einer CB-Optimierung veränderter Kurs präsentiert werden. Dies stellt eine besondere Mög­lichkeit der Einflussnahme dar.

Die zentrale Problematik besteht darin, dass nicht bekannt ist, wie die CB von der Strecken­führung beeinflusst wird. Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich folglich mit der Frage, in­wiefern das Design der Streckenführung, erfasst durch unterschiedliche Streckenparameter, auf den Rennverlauf und somit auf die CB des Rennens Einfluss nehmen kann.

Diese Arbeit ist dabei wie folgt gegliedert. Nach dem einleitenden Kapitel wird zunächst der aktuelle Forschungsstand dargelegt. Anschließend wird, um ein fundiertes Verständnis dieses spezifischen Gegenstandsbereiches zu gewährleisten, auf die Geschichte und Entwicklung des Radsports, sowie die Strukturen im professionellen Bereich und die sportlichen Besonderhei­ten dieser Sportart eingegangen. Im Anschluss werden die Methoden der Datenerhebung und -auswertung erläutert. Zur Analyse der CB bei der Tour de France werden hierzu zwei neue Indikatoren vorgestellt, sowie ein Regressionsmodell hergeleitet, welches alle relevanten

Streckeneigenschaften inkludiert. Der Einfluss der einzelnen Streckenparameter soll in einer Regressionsanalyse der beiden Indikatoren ermittelt werden. Im darauffolgenden Teil werden die Ergebnisse der Arbeit präsentiert und, unter Bezugnahme auf das angewandte Modell, diskutiert. Dabei werden auch Ansatzpunkte für zukünftige Forschungsarbeiten vorgestellt. Abschließend werden noch einmal die wichtigsten Erkenntnisse zusammengefasst und ein Fazit gezogen.

Diese Arbeit soll einen Beitrag zum Verständnis von CB im Radsport, speziell bei einem Rad­rennen wie der Tour de France, leisten und konkret den Einfluss unterschiedlicher Strecken­parameter auf die CB bei diesem Rennen erforschen. Bevor im nachfolgenden Kapitel der Forschungsstand dargelegt wird, muss zunächst der Gegenstandsbereich klar definiert werden.

Der professionelle Radsport teilt sich in mehrere unterschiedliche Disziplinen. Neben dem klassischen Straßenradsport sind auch die Bereiche Mountain-Bike, Bahnradsport, Bicycle Motocross (BMX) und Cyclo-Cross Teil des großen Feldes des Radsports. Der Fokus in die­ser Arbeit liegt jedoch auf dem professionellen Straßenradsport der Männer. Dieser wird an­hand des Beispiels der Tour de France analysiert. Diese Entscheidung begründet sich mit der besseren Verfügbarkeit von Daten und der größeren ökonomischen Relevanz.

2 Forschungsstand

2.1 Competitive Balance und seine Dimensionen

CB ist eines der prominentesten Themen in der Forschungsdiskussion von Sportökonomen. Das Werk von Rottenberg (1956), eine Analyse des Arbeitsmarktes von Baseballspielern, gilt als der Ausgangspunkt der Diskussion. Rottenberg argumentiert, dass Wettbewerber im Base­ball-Markt von annähernd gleicher Größe sein müssen, beziehungsweise das Talent gleich­mäßig unter ihnen verteilt sein sollte, um erfolgreich zu sein, da Unsicherheit über den Aus­gang („uncertainty of outcome“) eines sportlichen Wettkampfes eine wesentliche Determinan­te der Zuschauernachfrage ist.

„In baseball, no team can be successful unless its competitors also survive and prosper suffi­ciently so that the differences in the quality of play among teams are not ,too great'“ (Rottenberg, 1956, S. 254).

Diese Theorie wurde fortan als „Uncertainty of Outcome Hypothesis“ (Unsicherheitshypothe­se, UOH) weiter diskutiert. Neale (1964) greift diese Idee auf und erklärt anhand des Louis- Schmeling Paradoxons, dass Wettbewerber in der Sportwelt von ähnlicher Qualität sein müs­sen, um ihren Profit zu maximieren. Er argumentiert, dass Teams, die in einer Liga spielen, ein gemeinsames, unsichtbares Produkt generieren, das über das einzelne Spiel hinausgeht: der Weg zur Meisterschaft, Änderungen in der Tabelle, Gesprächsthemen und Berichterstat­tung. Im Gegensatz zu Wettbewerbern in der freien Wirtschaft dürfen sie also keine Mono­polstellung anstreben, vielmehr ist die Liga, bestehend aus allen darin teilnehmenden Teams, ein Monopol mit den oben genannten Produkten, das seine Zuschauereinnahmen maximiert, wenn die Teams in der Tabelle nah beieinander stehen. Obwohl die empirischen Befunde zur Bedeutung der UOH widersprüchlich sind, wird sie heute oft herangezogen, um Regulie­rungsmaßnahmen im Profisport zu rechtfertigen. Diese Maßnahmen haben dabei die Gewähr­leistung ausgeglichener Wettbewerbe mit einem hohen Maß an CB zum Ziel (vgl. Pawlowski, 2016, S. 217).

Nach der Auseinandersetzung mit den beiden eben vorgestellten, grundlegenden Werken und eingehenderer Beschäftigung mit CB drängt sich eine Unterscheidung in drei Dimensionen auf, die auf Cairns, Jennett und Sloane (1986) zurückgeht. Sie definieren die „uncertainty of match outcome“, also die Unsicherheit über den Ausgang eines Spiels oder einer Etappe als kurzfristige Dimension (ebd., S. 6). Die mittelfristige Dimension thematisiert die Unsicherheit über den Ausgang der Meisterschaft, aber auch den Abstiegskampf, die Qualifikation für in­ternationale Wettbewerbe und bei Tour de France den Kampf um den Toursieg. Die dritte, langfristige Dimension, bestehend aus der dynamischen Team- und der statischen Saison­Komponente, betrachtet die Entwicklungen über mehrere Jahre (Saisons). Die Team­Komponente behandelt dabei die Leistung einzelner Teams im Verlauf der Zeit und unter­sucht so, ob Monotonie oder Abwechslung im Kampf um die Meisterschaft gegeben ist. Bei der Saison-Komponente wird anhand von Abschlusstabellen aufeinanderfolgender Spielzeiten die Entwicklung von Leistungsunterschieden der Teams im Zeitverlauf analysiert (vgl. Paw- lowski, 2014, S. 29). Die über die Analyse der Punkte, Rangplätze oder Gewinnwahrschein­lichkeiten in den Endtableaus der unterschiedlichen Sportarten und Ligen objektiv quantifi­zierbare CB (Objective Competitive Balance, OCB), wird dabei von der von Zuschauern wahrgenommenen CB (Perceived Competitive Balance, PCB) unterschieden. Für die Fans sind die einzelnen Dimensionen von CB von unterschiedlicher Relevanz. Da diese Arbeit den Einfluss der Streckeneigenschaften auf die Ausgeglichenheit des Gesamtklassements der Tour de France eines Jahres analysiert und für die Bemessung der CB dabei besonders die Top-10 der Gesamtwertung eines jeweiligen Jahres heranzieht, liegt der Fokus auf der mittelfristigen Dimension.

2.2 Bisherige Studien zu Competitive Balance

Die Literatur, die im Nachgang der beiden zentralen Werke von Rottenberg und Neale über die UOH und über CB veröffentlicht wurde, unterscheiden Fort und Maxcy (2003) in zwei Kategorien. Die „analysis of competitive balance (ACB) literature“ beschäftigt sich mit der Entwicklung der CB von Profi-Sportligen im Laufe der Zeit oder in Abhängigkeit von Regel­änderungen wie beispielsweise Reserve-Option, Free-Agency, Rookie Draft oder Salary Cap. Die „UOH literature“ testet hingegen die Unsicherheitshypothese und analysiert den Effekt von CB auf Fans (vgl. Fort & Maxcy, 2003, S. 155). Viel Aufmerksamkeit haben in der Lite­ratur, die im Folgenden auch gemäß der eben eingeführten Unterscheidung strukturiert ist, die nordamerikanischen Major Leagues und die europäischen Fußballligen erhalten.

Wie bereits angedeutet, liefert die Auswertung der UOH-Literatur divergente Ergebnisse. Einige Befunde, wie Forrest, Simmons & Buiramo (2005) für den englischen Fußball oder Schreyer & Torgler (2016) für die Formel 1, unterstützen die Hypothese zwar, es gibt jedoch auch eine Vielzahl von Studien, die die Hypothese in Frage stellen und teilweise sogar konträ­re Ergebnisse liefern. So findet sich im englischen Profifußball (Szymanski (2001), Buraimo und Simmons (2008)), im Golfsport (Rhoads (2005)), in der NBA (Rascher & Solmes (2007)) und in der NFL (Coates & Humphreys (2010)) empirische Evidenz, die nicht mit der UOH konsistent ist.

Bei der ACB-Literatur liegt der Fokus hingegen auf Änderungen des Spielmodus oder des Regelwerks in verschiedenen Sportarten. Del Corral (2009) untersucht etwa die Auswirkun­gen der Erhöhung der Anzahl der gesetzten Spieler bei Tennisturnieren auf die CB. Koning (2009) widmet sich neben dem Tennis zusätzlich noch dem Eisschnelllauf. Pawlowski, Breuer und Hovemann (2010) analysieren die Auswirkungen der Änderung des Auszahlungssystems in der UEFA Champions League auf die Leistung europäischer Top-Clubs und Judde, Booth und Brooks (2013) beschäftigten sich mit der Entwicklung der CB in der Formel I zwischen 1950 und 2010 im Hinblick auf unterschiedliche Regeländerungen.

Zwar wurde dem Radsport in den letzten Jahren mehr Aufmerksamkeit zuteil, der For­schungsstand in diesem Bereich ist im Verhältnis zu anderen Sportarten, speziell dem Ligen- und Mannschaftssport in Europa und Nordamerika, jedoch nur gering ausgeprägt.

In einer der ersten Veröffentlichungen über die Ökonomie des Radsports betrachtet Desbordes (2006) die ASO als Organisator der Tour de France, aber auch deren Marketingstruktur, so­wie die Finanzen und die ökonomische Bedeutung des professionellen Radsports. Ebenfalls eine der ersten Arbeiten im bislang wissenschaftlich unterentwickelten Feld des Radsports ist die Untersuchung der Determinanten für den Erfolg bei der Tour de France von Torgler (2007). Torgler kommt darin zu dem Ergebnis, dass insbesondere der Body-Mass-Index und die Erfahrung der Teammitglieder für den Erfolg von Bedeutung sind. Die erste strukturelle Analyse des Profiradsports liefern Rebeggiani & Tondani (2008). Sie analysieren in ihrer Stu­die die Einführung eines neuen Weltcup-Modells durch den Internationalen Radsportverband (Union Cycliste Internationale, UCI). Dabei untersuchen sie, wie sich die Implementierung dieses Modells, der UCI ProTour, auf das Verhalten der Teams und Fahrer auswirkt. Neben der theoretischen Analyse geben sie auch einen Überblick über die Geschichte, die ökonomi­sche Struktur und die Besonderheiten des Profiradsports. Auch Desbordes (2008) widmet sich der UCI und verfasste eine Fallstudie, die den Versuch der UCI, die Organisation der Wett­bewerbe im professionellen Radsport zu kontrollieren, untersucht. Dabei liegt der Fokus der Arbeit auf der Tour de France, wobei der Autor speziell auf den Konflikt zwischen der Dach­organisation UCI und den Rennveranstaltern eingeht. Eine weitere Fallstudie von Morrow & Idle (2008) analysiert anhand des professionellen Straßenradsports die Herausforderungen der Modernisierung und Restrukturierung einer Sportart und geht dabei auch insbesondere auf die Konstellation der verschiedenen Interessensgruppen im Radsport ein. Thema der Untersu­chung von Rogge et al. (2013) ist hingegen die Leistung von Radteams. Sie verwenden eine Dateneinhüllanalyse, um die Effizienz von Mannschaften bei der Tour de France zu untersu­chen. Das aktuellste und umfassendste Werk zum Radsport liefern Larson und Van Reeth (2016), deren Sammelband „The Economics of Professional Road Cycling” mehrere unter­schiedliche ökonomische Betrachtungen des Radsports enthält.

Neben diesen allgemeinen Arbeiten über die Ökonomie des Radsports gibt es zu dieser Sport­art nur wenige Werke, die der ACB- beziehungsweise UOH-Literatur zugeordnet werden können.

Derzeit existieren lediglich zwei Studien, die die Gültigkeit der Unsicherheitshypothese im Radsport überprüfen. Van Reeth (2013) untersucht den Einfluss von Outcome Uncertainty, Patriotismus, Etappeneigenschaften und Doping auf die Nachfrage nach Radsportübertragun­gen der Tour de Fance in Belgien. In einer ähnlichen Studie untersuchen Rodriguez et al. (2015) unterschiedliche Determinanten, darunter ebenfalls die CB und der Etappentyp, im Hinblick auf ihre Erklärungskraft für die TV-Zuschauernachfrage nach Radsportübertragun­gen in Spanien. Neben anderen Erkenntnissen wie beispielsweise dem Superstar-Effekt oder dem Patriotismus Effekt bestätigen beide Studien die Gültigkeit der UOH - ein ausgeglichener Wettkampf hat einen positiven Einfluss auf die Zuschauernachfrage im professionellen Rad­sport.

Zur Analyse von CB gibt es hingegen mehrere Studien. In einer ersten Arbeit untersuchen Cherchye & Vermeulen (2006) dieses Thema. Dabei wenden sie einen „performance ran- king“-Index auf Tour de France-Fahrer der Jahre 1953-2004 an, der mehrere Leistungsdi­mensionen in einer sogenannten „dominance matrix“ aggregiert (Cherchye & Vermeulen, 2006, S. 13). Diese Dominanz-Matrix soll die multidimensionalen Leistungen von Radfahrern bei der Tour de France vergleichbar machen. Der Fokus dieser Arbeit und dieses Indikators liegt allerdings eher auf der Vergleichbarkeit und Einordnung sportlicher Leistungen als auf der Analyse von CB. Die Matrix kann jedoch als Grundlage verwendet werden, um einen Indikator für die langfristige CB zu berechnen, weshalb diese Arbeit von Cabaud, Scelles, Francois & Morrow (2016) der ACB-Literatur zugeordnet wird.

Während die CB in den beiden Studien von Van Reeth (2013) und Rodriguez et al. (2015) als vorhersagende Variable Anwendung findet, untersuchen Larson und Maxcy (2014) in ihrer Studie die Auswirkung der Einführung des wechselseitigen Funkverkehrs zwischen Fahrern und ihrem sportlichen Leiter auf die Ergebnisunsicherheit bei der Tour de France als abhän­gige Variable. Diese bemessen sie in ihrer Untersuchung durch die Erfolgsquote von Ausreiß­versuchen („likelihood of breakaway success“) und finden hierfür einen signifikanten Zu­sammenhang (Larson und Maxcy, 2014, S. 1).

Auch Mignot (2014) untersucht die Ergebnisunsicherheit bei der Tour de France, verwendet hierfür jedoch zwei andere Indizes zu deren Bemessung. Der erste ist dabei der Quotient aus der Anzahl an Führungswechseln, geteilt durch die Anzahl an Renntagen, der zweite der fina­le Zeitunterschied zwischen dem Sieger und dem Zweitplatzierten (zitiert nach Andreff, 2016, S. 242).

Diesen Indikator verwendet auch Andreff (2014) in seiner Untersuchung der CB zwischen Fahrern bei der Tour de France. Eine häufig gefundene Kritik dieses Indexes ist die geringe Robustheit, da er auf dem Vergleich lediglich zweier Fahrer beruht (vgl. beispielsweise Andreff, 2016, S. 242). Andreff verwendet in seiner Publikation über den kommerziellen Er­folg und das Wettbewerbsgleichgewicht der Tour de France jedoch noch einen zweiten Index, der die langfristige Dimension von CB abbilden soll. Ein geringes Maß an langfristiger CB existiert demnach, wenn derselbe Fahrer mehrere Austragungen der Tour de France in Folge gewinnt.

Cabaud et al. (2016) führen mit der „Competitive Intensity” sogar ein neues Konzept ein. Sie argumentieren, dass das Konzept der CB nicht berücksichtigt, dass Fahrer in einem Etappen­rennen wie der Tour de France unterschiedliche sportliche Ziele verfolgen. Das Streben nach einem Etappensieg oder der Bergwertung würden von Maßen der CB nicht erfasst. Um diese Dimension ergänzen Cabaud et al. die CB mit ihrem neuen Konzept, welches sich aus drei Kriterien zusammensetzt. Das erste Kriterium bemisst die Unsicherheit für das Gesamtklas­sement in Abhängigkeit der Bedeutung einer potentiellen Fluchtgruppe für die Gesamtwer­tung. Das zweite Kriterium, die Unsicherheit über den Etappensieg, bezieht den Zeitunter­schied zwischen der Ausreißergruppe und dem Hauptfeld, sowie die Anzahl der Fahrer im Wettbewerb um den Etappensieg mit ein, wobei lediglich die letzte Rennstunde betrachtet wird. Beim dritten Kriterium geht es um Angriffe von Fahrern, wobei jedem Fahrer, der sich in einer Fluchtgruppe befindet oder einen Angriff startet entsprechend seiner Position im Ge­samtklassement ein Wert zugeteilt wird. Für Fahrer, die in der Gesamtwertung besser stehen, wird der Wert entsprechend höher gewichtet. Der Wert des Indexes ist die Summe der Werte dieser drei Kriterien und ist für jeden Zeitpunkt der Etappe verfügbar, woraus sich dann ein „Competitive Intensity“-Verlauf über die gesamte Etappe abtragen lässt (vgl. Cabaud et al., 2016, S. 271-281).

Der Forschungsstand zu CB (zwischen Fahrern) im professionellen Radsport ist nachfolgend in Tabelle 1 zusammenfassend dargestellt.

Tabelle 1: Literaturüberblick zu CB (zwischen Fahrern) im professionellen Radsport (modifi­ziert nach Cabaud et al., 2016, S. 266)

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Der geringe Umfang der wissenschaftlichen Literatur über die CB im Radsport wird in Tabel­le 1 deutlich und zeigt, dass es noch weiterer Forschungsarbeit bedarf. Daher lässt sich ab­schließend konstatieren, dass im Radsport im Bereich der Analyse von CB ein Forschungsde-

fizit besteht. Insbesondere die Streckenführung der Tour de France hat dabei bislang fast kei­nerlei Aufmerksamkeit erhalten und soll deshalb Thema dieser Arbeit sein.

2.3 Forschungsdefizit und Formulierung eines Forschungsziels

Die Tatsache, dass sowohl Van Reeth (2013) als auch Rodriguez et al. (2015) Etappeneigen­schaften in ihr Modell mit einbeziehen, deutet darauf hin, dass Etappenprofile von nennens­werter Bedeutung sind. Van Reeth (vgl. 2013, S. 26) unterscheidet dabei den Etappentyp in sechs Kategorien: Hochgebirgsetappe, Bergetappe, Bergankunft, Einzelzeitfahren, Mann­schaftszeitfahren und Bergzeitfahren. Rodriguez et al. (vgl. 2015, S.14) differenzieren ledig­lich zwischen Bergetappen und Flachetappen. Da die Untersuchung des Einflusses der Stre­cke in beiden Arbeiten jedoch nicht im Hinblick auf CB, sondern im Hinblick auf TV- Nachfrage geschieht und die Strecke zudem nicht sehr detailliert untersucht wird, besteht in diesem Bereich ein Forschungsdefizit, weshalb sich hier eine intensivere Betrachtung von Streckeneigenschaften anbietet.

Aufgrund der unmittelbaren Möglichkeit der Einflussnahme durch das Design der Strecken­führung und aufgrund der für die Attraktivität der Sportart notwendigen Aufrechterhaltung eines gewissen Maßes an CB, soll die Untersuchung der Strecke in dieser Arbeit, im Gegen­satz zu den beiden genannten Werken, so detailliert wie möglich erfolgen. Hierfür werden im Verlauf der Arbeit mehrere Streckenparameter vorgestellt, die beanspruchen, alle Etappen- und Streckeneigenschaften akkurat zu erfassen.

Auch im Hinblick auf die Indikatoren für CB bei Radrennen unterscheidet sich diese Arbeit von bestehenden Werken. Zur Bemessung der mittelfristigen Dimension von CB fand bisher u.a. der Zeitunterschied zwischen den ersten beiden Fahrern der Gesamtwertung Anwendung. Aufgrund der geringen Robustheit dieses Indikators wird in dieser Arbeit von dessen Ver­wendung abgesehen und es werden alternativ zwei neue Indikatoren vorgestellt, die sich in ihrer Funktionsweise an anderen, bestehenden Maßen der CB orientieren. Dieses Vorgehen ermöglicht gleichzeitig eine Überprüfung und einen Vergleich der Maße.

Rebeggiani (2008), Andreff (2014) und Rodriguez et al. (2015) beziehen bei der Darstellung der CB neben der Leistung einzelner Fahrer als zweite Dimension auch die Performance der Teams mit ein und begründen dies mit der Tatsache, dass Radsport in Mannschaften betrieben wird. In dieser Arbeit werden jedoch lediglich die Leistungen der besten Fahrer im Gesamt­klassement zur Bemessung der CB verwendet, von einem Einbezug der Teamleistung wird abgesehen. Der Grund für diese Entscheidung liegt darin, dass die Performance eines Teams bereits in der Leistung ihres besten Fahrers enthalten ist. Je stärker die Mannschaft, desto bes- ser ist sie in der Lage, ihren Kapitän zu beschützen, zu unterstützen und Konkurrenten einzu­holen und desto mehr Energie wird der Kapitän für die Schlussphase des Rennens haben, was sich folglich auch in seinem Resultat wiederspiegelt.

Forschungsziel dieser Arbeit ist also eine Analyse von CB bei der Tour de France in Abhän­gigkeit der Streckenführung, wobei sich die vorliegende Arbeit sowohl in der Auswahl der Einflussfaktoren, als auch in der Bemessung der CB von der bestehenden Forschungsliteratur unterscheidet.

[...]


[1] Bei starkem Seitenwind ordnet sich das Feld diagonal an, um im Windschatten des Vordermannes zu fahren. Ist die seitliche Begrenzung der Straße erreicht, so ist eine derartige Anordnung nicht mehr möglich und das Feld kann sich an dieser Stelle aufgrund des fehlenden Windschattens teilen.

[2] Als Prolog wird ein nur wenige Kilometer langes Einzelzeitfahren zu Beginn der Tour de France bezeichnet.

[3] Zum damaligen Zeitpunkt waren mit den Teams von T-Mobile, Gerolsteiner und Milram drei deutsche Teams in der höchsten Kategorie des professionellen Radsports vertreten.

Ende der Leseprobe aus 83 Seiten

Details

Titel
Competitive Balance im Radsport. Der Einfluss unterschiedlicher Streckenparameter auf die Wettbewerbsintensität bei der Tour de France
Hochschule
Eberhard-Karls-Universität Tübingen  (Institut für Sportwissenschaft)
Note
1,5
Autor
Jahr
2016
Seiten
83
Katalognummer
V369679
ISBN (eBook)
9783668483354
ISBN (Buch)
9783668483361
Dateigröße
1012 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Competitive Balance, Wettbewerbsintensität, Radsport, Tour de France, Regressionsanalyse, Analysis of Competitive Balance, Uncertainty of Outcome Hypothesis
Arbeit zitieren
Constantin Brodbeck (Autor:in), 2016, Competitive Balance im Radsport. Der Einfluss unterschiedlicher Streckenparameter auf die Wettbewerbsintensität bei der Tour de France, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/369679

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