Die Verrückung in der Literatur vom Realen zum Fiktiven eröffnet einen Raum, der auf vielschichtige Weise neue Denkprozesse möglich macht. Kann Literatur auch zu einem neuen kulturüberbrückenden Identitätsverständnis beitragen?
Heute, am Anfang des 21. Jahrhunderts, wird unter Kultur „die Gesamtheit der geistigen, künstlerischen, gestaltenden Leistungen einer Gemeinschaft als Ausdruck menschlicher Höherentwicklung“ verstanden. Diese Auffassung, die das Gewicht auf Gemeinschaft, also auf eine Gruppe und nicht auf das Individuum legt, trägt die Spuren des Kulturkonzeptes von Johann Gottfried Herder, das Kultur als Spiegelung der homogenen Identität einer Nation, d.h. eines Volkes sieht.
Entspricht diese Definition wirklich noch dem Zeitgeist des 21. Jahrhunderts, das vor allem durch Globalisierung, internationale Vernetzung, der Aufhebung von Raum- und Zeitgrenzen durch fortschreitende Technik und dem durch Migration bedingten Zusammenleben von Menschen verschiedenster Herkunft und Nationalitäten gekennzeichnet ist?
Anhand je eines Beispiels aus der deutschen und der französischen zeitgenössischen Literatur, "Gefährliche Verwandtschaft" von Zafer Şenocak und "Murmures à Beyoğlu" von David Boratav, werden in dieser Arbeit Beiträge aus zwei verschiedenen Sprach- und Kulturräumen zur literarischen Debatte um Multi-, Inter- und Transkulturalität vorgestellt, untersucht und verglichen. Beide Romane greifen durch die polykulturelle Charakterisierung ihrer Protagonisten einen viel diskutierten Aspekt der Identitätsproblematik des auslaufenden 20. und beginnenden 21. Jahrhunderts auf.
Wie wird Entwurzelung und Identitätslosigkeit in den Romanen verarbeitet und dargestellt? Wird die Fremd-Eigen-Dichotomie in den Werken literarisch überwunden? Inwieweit ist Erinnerung und die Tradierung von Geschichte zentral für die Identitätssuche bzw. -findung? Gibt es eine Geschichte und Identität ohne Erinnerung? Welche Rolle nehmen Sprache und Schreiben im transkulturellen Prozess ein? Was haben Globalisierung und Identitätsverlust im literarischen Sinn gemein?
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- I. Theoretischer Hintergrund
- 1. Herders Kulturbegriff
- 2. Orientalismus
- 3. Multikulturalität und Interkulturalität
- 3.1. Der Multikulturalismus
- 3.2. Die multi- und interkulturelle Debatte
- 4. Transkulturalität
- II. Entwurzelung und Identitätslosigkeit in Gefährliche Verwandtschaft und Murmures à Beyoğlu
- 1. Narrative Strategien der Entwurzelung
- 2. Narrative Strategien der Identitätslosigkeit und die Schaffung von Ersatzidentitäten
- 3. Handlungsorte als Sinnbilder der Identitätskrise
- III. Eigenes und Fremdes
- 1. Die multikulturelle Dichotomie und ihre Überbrückung
- 2. Stereotypen – das eindimensionale Fremdbild
- 3. Eigen-Fremd-Dichotomie – von außen manipuliert?
- IV. Überbrückung kultureller Grenzen
- 1. Erinnerung und Geschichtsverarbeitung
- 2. Kritische Darstellung der Globalisierung
- 3. Schreiben und Sprache - Mittel und Raum für die literarische Vernetzung kultureller Identitäten
- Abschließende Betrachtungen
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Diese Arbeit untersucht, wie die Romane "Gefährliche Verwandtschaft" von Zafer Şenocak und "Murmures à Beyoğlu" von David Boratav literarisch zu einem zeitgemäßen Verständnis kultureller Identität beitragen. Die Analyse konzentriert sich auf die Darstellung von Entwurzelung, Identitätsfindung und die Überbrückung der Eigen-Fremd-Dichotomie in beiden Werken. Die Romane werden im Kontext von Herders Kulturbegriff, sowie der Multi-, Inter- und Transkulturalität betrachtet.
- Darstellung von Entwurzelung und Identitätslosigkeit in multikulturellen Kontexten
- Analyse der Strategien zur Schaffung von Ersatzidentitäten
- Überwindung der Eigen-Fremd-Dichotomie in der Literatur
- Rolle von Erinnerung und Geschichtsverarbeitung in der Identitätsfindung
- Kritische Auseinandersetzung mit der Globalisierung und ihren Auswirkungen auf kulturelle Identitäten
Zusammenfassung der Kapitel
Einleitung: Die Einleitung führt in die Thematik der kulturellen Identität im Kontext von Migration und Globalisierung ein. Sie stellt die zentrale Forschungsfrage nach dem Beitrag der ausgewählten Romane zu einem zeitgemäßen Verständnis kultureller Identität und benennt die beiden untersuchten Romane von Zafer Şenocak und David Boratav als Fallbeispiele. Die Einleitung verweist auf die Bedeutung von Literatur als Raum für die Auseinandersetzung mit Identitätsfragen und die Relevanz von Herders Kulturbegriff und aktueller multi-, inter- und transkultureller Diskurse. Sie skizziert den Aufbau der Arbeit und die einzelnen Analyseabschnitte.
I. Theoretischer Hintergrund: Dieses Kapitel liefert den theoretischen Rahmen für die Analyse. Es behandelt Herders Kulturbegriff, die Problematik des Orientalismus und skizziert die Konzepte von Multi-, Inter- und Transkulturalität. Diese theoretischen Grundlagen dienen als analytische Werkzeuge für die anschließende Interpretation der Romane. Der Abschnitt untersucht kritisch die Grenzen herkömmlicher Kulturbegriffe im Kontext von Migration und Globalisierung.
II. Entwurzelung und Identitätslosigkeit in Gefährliche Verwandtschaft und Murmures à Beyoğlu: Dieser Abschnitt analysiert die Darstellung von Entwurzelung und Identitätslosigkeit in den beiden Romanen. Es werden die narrativen Strategien untersucht, mit denen die Autoren die Identitätskrisen ihrer Protagonisten darstellen und die Rolle von Handlungsorten als Sinnbilder dieser Krisen beleuchtet. Die Analyse fokussiert auf die literarischen Mittel, welche die Autoren verwenden um die Erfahrungen der Entwurzelung und des Identitätsverlusts darzustellen und zu erfahrbar zu machen.
III. Eigenes und Fremdes: Dieses Kapitel befasst sich mit der multikulturellen Dichotomie und deren Überwindung in den Romanen. Es analysiert die Rolle von Stereotypen und die Frage, inwieweit die Eigen-Fremd-Dichotomie von außen manipuliert wird. Die Analyse untersucht, wie die Romane mit den Spannungsfeldern zwischen dem Eigenen und dem Fremden umgehen und welche Strategien die Protagonisten entwickeln, um diese Dichotomie zu überwinden.
IV. Überbrückung kultureller Grenzen: In diesem Kapitel wird die Rolle von Erinnerung und Geschichtsverarbeitung in der Identitätsfindung der Protagonisten untersucht. Des Weiteren wird die kritische Darstellung der Globalisierung in den Romanen analysiert. Der Fokus liegt auf der Untersuchung von Sprache und Schreiben als Mittel zur Vernetzung kultureller Identitäten und der literarischen Gestaltung der transkulturellen Erfahrung.
Schlüsselwörter
Kulturelle Identität, Migration, Globalisierung, Multikulturalität, Interkulturalität, Transkulturalität, Entwurzelung, Identitätslosigkeit, Gefährliche Verwandtschaft, Murmures à Beyoğlu, Herder, Orientalismus, Stereotype, Erinnerung, Sprache, Literatur.
Häufig gestellte Fragen zu "Gefährliche Verwandtschaft" und "Murmures à Beyoğlu"
Was ist der Gegenstand dieser Arbeit?
Diese Arbeit analysiert die Romane "Gefährliche Verwandtschaft" von Zafer Şenocak und "Murmures à Beyoğlu" von David Boratav. Der Fokus liegt auf der Darstellung von kultureller Identität, Entwurzelung, Identitätsfindung und der Überwindung der Eigen-Fremd-Dichotomie in einem multikulturellen Kontext. Die Romane werden im Lichte theoretischer Konzepte wie Herders Kulturbegriff, Multi-, Inter- und Transkulturalität untersucht.
Welche theoretischen Konzepte werden verwendet?
Die Analyse stützt sich auf Herders Kulturbegriff, den Orientalismus, sowie die Konzepte der Multi-, Inter- und Transkulturalität. Diese theoretischen Grundlagen dienen als analytische Werkzeuge zur Interpretation der Romane und zur kritischen Auseinandersetzung mit traditionellen Kulturbegriffen im Kontext von Migration und Globalisierung.
Welche Themen werden in den Romanen behandelt und wie werden sie analysiert?
Die Arbeit untersucht die Darstellung von Entwurzelung und Identitätslosigkeit, die Strategien zur Schaffung von Ersatzidentitäten, die Überwindung der Eigen-Fremd-Dichotomie, die Rolle von Erinnerung und Geschichtsverarbeitung in der Identitätsfindung, und die kritische Auseinandersetzung mit der Globalisierung und ihren Auswirkungen auf kulturelle Identitäten. Die Analyse fokussiert auf narrative Strategien, die Rolle von Handlungsorten als Sinnbilder der Identitätskrise, die Verwendung von Stereotypen und die Bedeutung von Sprache und Schreiben als Mittel zur Vernetzung kultureller Identitäten.
Wie ist die Arbeit aufgebaut?
Die Arbeit gliedert sich in eine Einleitung, einen theoretischen Hintergrund, einen Abschnitt zur Analyse der Entwurzelung und Identitätslosigkeit in den beiden Romanen, einen Abschnitt zur Eigen-Fremd-Dichotomie und einen Abschnitt zur Überbrückung kultureller Grenzen. Abschließende Betrachtungen runden die Arbeit ab. Ein Inhaltsverzeichnis und eine Zusammenfassung der Kapitel erleichtern die Orientierung.
Welche Schlüsselwörter charakterisieren die Arbeit?
Schlüsselwörter sind: Kulturelle Identität, Migration, Globalisierung, Multikulturalität, Interkulturalität, Transkulturalität, Entwurzelung, Identitätslosigkeit, Gefährliche Verwandtschaft, Murmures à Beyoğlu, Herder, Orientalismus, Stereotype, Erinnerung, Sprache, Literatur.
Was ist die zentrale Forschungsfrage?
Die zentrale Forschungsfrage lautet: Wie tragen die Romane "Gefährliche Verwandtschaft" und "Murmures à Beyoğlu" literarisch zu einem zeitgemäßen Verständnis kultureller Identität bei?
Welche Kapitel gibt es und worum geht es in ihnen?
Die Arbeit umfasst Kapitel zu Einleitung, theoretischem Hintergrund (Herder, Orientalismus, Multi-/Inter-/Transkulturalität), Entwurzelung und Identitätslosigkeit in den Romanen (narrative Strategien, Handlungsorte), Eigenes und Fremdes (multikulturelle Dichotomie, Stereotype), und Überbrückung kultureller Grenzen (Erinnerung, Globalisierung, Sprache).
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- Gerlinde Kössler (Author), 2013, Literatur als Raum zur Entwicklung eines kulturenverbindenden Identitätsbewusstseins, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/369629