Das Ziel der vorliegenden Studie ist es, den Einfluss der Emotionsregulation auf das Essverhalten und das Gewicht bei Jugendlichen zu untersuchen. Dabei soll als Voraussetzung untersucht werden, inwieweit ein Zusammenhang zwischen der dysfunktionalen Emotionsregulationsstrategie Unterdrückung und den ungünstigen Esstypen emotionales und gezügeltes Essverhalten besteht. Auf dieser Grundlage soll dann überprüft werden ob sich Jugendliche in der Höhe ihres BMI´s in Abhängigkeit von ihrer Emotionsregulationsstrategie unterscheiden. Außerdem wird untersucht, ob der Einsatz eines Serious Games for Health als Intervention gegen ungünstiges Essverhalten und Übergewicht Wirkung zeigt. Dabei wird im speziellen der Wirkungseffekt der Emotionsregulationsstrategie betrachtet.
Die Stichprobe bestand aus 40 Jugendlichen im Alter von 13 bis 19 Jahren. Für die Studie spielten die Jugendlichen über einen Zeitraum von drei Wochen das Serious Games for Health NutriDefense. Zur Erfassung der Variablen Emotionsregulation und Essverhalten, wurden die Fragebögen Emotion Regulation Questionnaire und der Dutch Eating Behavior Questionnaire für Kinder eingesetzt. Zusätzlich wurde der BMI vor und nach der Spielphase erfasst.
Es konnte ein signifikanter Zusammenhang zwischen der dysfunktionalen Emotionsregulationsstrategie Unterdrückung und emotionalen Essverhalten aufgezeigt werden. Hingegen bestand kein signifikanter Zusammenhang zum gezügelten Essverhalten. Auch konnte kein signifikanter Einfluss der Emotionsregulationsstrategie auf den BMI festgestellt werden. Hinsichtlich des Serious Games for Health zeigten sich keine Wirkungseffekte. Trotz der begrenzten Ergebnisse, liefert die Studie erste wichtige Erkenntnisse über den Einfluss die Einflussmechanismen der Emotionsregulation auf ungünstiges Essverhalten.
Inhaltsverzeichnis
Anmerkung
Abkürzungsverzeichnis
Zusammenfassung
Abstract
Einleitung
I Theoretischer Teil
1 Übergewicht und Essverhalten
1.1 Übergewicht
1.1.1 Definition
1.1.2 Prävalenzen
1.1.3 Komorbidität und Folgen
1.2 Essverhalten als eine der Hauptursachen für Übergewicht
1.2.1 Gesundes Essverhalten
1.2.2 Essverhalten von Jugendlichen
1.3 Intervention von Übergewicht und ungesundem Essverhalten
2 Der Zusammenhang von Essverhalten, Emotionen und Emotionsregulation
2.1 Emotionsbedingtes Essverhalten
2.1.1 Definition von Emotion
2.1.2 Emotionsbedingtes Essverhalten
2.1.3 Theorien zu emotionsbedingtem Essverhalten
2.2 Emotionsregulation
2.3 Definition
2.5 Prozessmodell nach Gross
2.6 Dysfunktionale Emotionsregulation als Ursache für ungesundes Essverhalten Übergewicht bei Jugendlichen
3 Serious Games als Interventionsmaßnahme gegen Übergewicht
3.1 Definition Serious Games und Serious Games for Health
3.2 Vorteile und Wirkmechanismen von Serious Games for Health
3.3 Serious Games for Health in der Intervention von ungünstigem Essverhalten und Übergewicht
II. Empirischer Teil
4 Zusammenfassung und Fragestellung
5 Methode
5.1 Stichprobe
5.2 Inerventionsinstument: NutriDefense
5.3 Erhebungsinstrumente
5.3.1 Body Mass Index
5.3.2 Fragebogenbatterie
5.3.2.1 Emotion Regulation Questionnaire (ERQ)
5.3.2.2 Dutch Eating Behavior Questionnaire für Kinder
5.4 Untersuchungsdesign und Untersuchungsablauf
5.5 Statistische Analyse
6 Ergebnisse
6.1 Datenexploration
6.2 Prüfung der Hypothesen
6.2.1 Hypothese 1
6.2.2 Hypothese 2
6.2.3 Hypothese 3
7 Diskussion
7.1 Interpretation der Ergebnisse
7.2 Limitationen, praktische Implikationen und weiterer Forschungsbedarf
Literaturverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
Tabellenverzeichnis
Anhangsverzeichnis
Anmerkung
Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird in der vorliegenden Arbeit der Einfachheit halber nur die männliche Form verwendet. Die weibliche Form ist selbstverständlich immer mit eingeschlossen. Wenn das Geschlecht der Personen von Bedeutung ist, wird dies an den entsprechenden Stellen verdeutlicht.
Abkürzungsverzeichnis
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Zusammenfassung
Das Ziel der vorliegenden Studie ist es, den Einfluss der Emotionsregulation auf das Essverhalten und das Gewicht bei Jugendlichen zu untersuchen. Dabei soll als Voraussetzung untersucht werden, inwieweit ein Zusammenhang zwischen der dysfunktionalen Emotionsregulationsstrategie Unterdrückung und den ungünstigen Esstypen emotionales und gezügeltes Essverhalten besteht. Auf dieser Grundlage soll dann überprüft werden ob sich Jugendliche in der Höhe ihres BMTs in Abhängigkeit von ihrer Emotionsregulationsstrategie unterscheiden. Außerdem wird untersucht, ob der Einsatz eines Serious Games for Health als Intervention gegen ungünstiges Essverhalten und Übergewicht Wirkung zeigt. Dabei wird im speziellen der Wirkungseffekt der Emotionsregulationsstrategie betrachtet.
Die Stichprobe bestand aus 40 Jugendlichen im Alter von 13 bis 19 Jahren. Für die Studie spielten die Jugendlichen über einen Zeitraum von drei Wochen das Serious Games for Health NutriDefense. Zur Erfassung der Variablen Emotionsregulation und Essverhalten, wurden die Fragebögen Emotion Regulation Questionnaire (ERQ; Gross 1998) und der Dutch Eating Behavior Questionnaire für Kinder (DEBQ-K; Franzen & Florin, 1997) eingesetzt. Zusätzlich wurde der BMI vor (t1) und nach (t2) der Spielphase erfasst.
Es konnte ein signifikanter Zusammenhang zwischen der dysfunktionalen Emotionsregulationsstrategie Unterdrückung und emotionalen Essverhalten (r = .45, p = .001) aufgezeigt werden. Hingegen bestand kein signifikanter Zusammenhang zum gezügelten Essverhalten. Auch konnte kein signifikanter Einfluss der Emotionsregulationsstrategie auf den BMI festgestellt werden. Hinsichtlich des Serious Games for Health zeigten sich keine Wirkungseffekte. Trotz der begrenzten Ergebnisse, liefert die Studie erste wichtige Erkenntnisse über den Einfluss die Einflussmechanismen der Emotionsregulation auf ungünstiges Essverhalten.
Schlüsselwörter: BMI - Emotionales Essverhalten- Gezügeltes Essverhalten- Emotionsregulation- Serious Games for Health - Emotion Regulation Questionnaire - Dutch Eating Behavior Questionnaire für Kinder
Abstract
Goal of the present study is to examine the influence of emotion regulation on eating behaviour and the weight of adolescents. As precondition it shall be examined if the dysfunctional strategy of emotion regulation suppression correlates with the adverse dietary types emotional and controlled eating behaviour.
On this basis it will be examined if differences can be found between adolescents body mass index (BMI) depending on their strategy of emotion regulation.
In addition it will be examined if the intervention of a Serious Games for Health shows an effect on adverse eating behaviour and overweight. Thereby in particular the effect of the strategy of emotion regulation will be observed. The sample consisted of 40 adolescents between the age of 13 and 19 years. For the study the adolescents played the Serious Games for Health NutriDefense over a period of three weeks.
The questionnaires Emotion Regulation Questionnaire (ERQ; Gross, 1998) and the Dutch Eating Behaviour Questionnaire for Children (DEBQ-K; Franzen & Florin, 1997) were employed to acquire the variables emotion regulation and eating behaviour. In addition the BMI before (t1) and after (t2) playing the game were acquired.
A significant correlation between the dysfunctional strategy of emotion regulation suppression and emotional eating behaviour (r = .45, p = .001) was shown. However there was no significant correlation between suppression and the controlled eating behaviour. As well no significant impact of the strategy of emotion regulation on the BMI was found. Concerning the Serious Games for Health no effects were shown.
Though the results of the study were limited important insights about the influence of emotion regulation on adverse eating behaviour were shown.
Keywords: BMI - Emotional Eating Behaviour - Controlled Eating Behaviour - Emotion Regulation - Serious Games for Health - Emotion Regulation Questionnaire - Dutch Eating Behaviour Questionnaire For Children.
Einleitung
Die Problematik des Übergewichts, dessen Schweregrad und Häufigkeit stetig ansteigt, gehört zu den zentralsten Gesundheitsbeeinträchtigungen unserer heutigen Gesellschaft (Ng, et al., 2014). So bezeichnete die World Health Organisation (WHO) das Übergewicht bei Kindern und Jugendlichen als eine globale Epidemie des 21. Jahrhunderts (Branca, Nikogosian, & Lobstein, 2007). Als Reaktion auf die Tatsache, dass sich Deutschland in einem internationalen Vergleich bezüglich der Häufigkeit von Übergewicht auf einer der ersten Positionen befindet, wurde die Prävention und Intervention gegen Übergewicht zu einem dringenden bundesweiten gesundheitspolitischen Ziel (Branca, Nikogosian, & Lobstein, 2007; Ng, et al., 2014; Wabitsch & Kunze, 2015). Da trotz zahlreichen bestehenden Möglichkeiten an ambulanten und stationären Präventions- und Interventionsprogrammen die Prävalenzzahlen weiter ansteigen, ist ersichtlich, dass neue Ansätze und Forschungen bezüglich möglicher Einflussfaktoren auf das Übergewicht von Nöten sind (Ebbeling, Pawlak, & Ludwig, 2002; Pudel & Ellrott, 2004; Wabitsch & Kunze, 2015).
Die Art und Menge der Ernährung beeinflusst das Gewicht wesentlich (Lehrke & Laessle, 2009). Auf den ersten Eindruck wird so vermittelt, dass das Einhalten eines Normalgewichts kein Problem sei, man müsse doch einfach weniger Essen. Schon der Volksmund macht mit Ausdrücken wie „Frustessen“ oder „Kummerspeck“ aber deutlich, dass Essen nicht nur die Funktion der Hungersättigung erfüllt, sondern auch emotionale Aspekte einen bedeutenden Einfluss auf das Essverhalten haben können. Die Schokolade zum Trost und der Burger als Belohnung, können den guten Vorsatz eines disziplinierten Essverhaltens verhindern. Das Emotionen unser Essverhalten beeinflussen können, wurde in der Literatur ausgiebig erforscht (z.B. Macht, 2008), allerdings nicht warum das so ist. So konnten bisher die zugrundeliegenden Mechanismen, welche ein emotional bedingtes Essverhalten auslösen, in der Literatur noch nicht hinreichend geklärt werden (Lehrke & Laessle, 2009; Fischer & Munsch, 2012). Durch die Aufklärung dieser Mechanismen könnte in der Frage nach förderlichen Einflussfaktoren und Wirkmechanismen auf Interventionen gegen ungesundes Essverhalten und dem einhergehenden Übergewicht große Fortschritte erreicht werden. Hierfür gibt es erste vielversprechende Hinweise darauf, dass die Art und Weise, wie Emotionen reguliert werden, ein auslösenden Faktor für emotionsbedingtes Essverhalten darstellen kann. Diese wurden bisher aber vor allem bei Jugendlichen unzureichend bis gar nicht untersucht (Fischer & Munsch, 2012; Nguyen- Rodriguez, Unger, & Spruijt-Metz, 2010; Evers, Stok, & de Ridder, 2010). Das Ziel dieser Studie ist es, den Zusammenhang zwischen Übergewicht, Essverhalten und Emotionsregulation bei Jugendlichen zu überprüfen um dann in einem weiteren Schritt mögliche Wirkungsfaktoren für Interventionsprogramme gegen Übergewicht zu erforschen. Kapitel 1 gibt einen genaueren Einblick über wichtige Befunde zu den Themen Übergewicht und Essverhalten als einen der Haupteinflussfaktoren für Übergewicht. In Kapitel 2 werden emotionales Essverhalten und
Emotionsregulation definiert und theoretische Hintergründe und Zusammenhänge dargestellt. Kapitel 3 thematisiert die Anwendung von Serious Games for Health. Diese werden als weiteren förderlichen Faktor auf Interventionsprogramme gegen ungesundes Essverhalten und Übergewicht vorgestellt. In Kapitel 4 folgt eine Erläuterung der aus den vorgehenden Kapiteln geschlossenen Fragestellungen und Hypothesen. In Kapitel 5 wird die Operationalisierung dieser Hypothesen genauer beschrieben. Die erzielten Ergebnisse werden in Kapitel 6 aufgezeigt und anschließend in Kapitel 7 zusammengefasst und diskutiert.
I Theoretischer Teil
1 Übergewicht und Essverhalten
1.1 Übergewicht
1.1.1 Definition
Der Begriff Übergewicht beschreibt eine Erhöhung des Körpergewichts durch einen über die Norm hinausgehenden Zuwachs an Körperfett (Robert Koch-Institut, 2011). Übergewicht wird dabei als eine leichte Erhöhung des körpereigenen Gewichts definiert, welches nicht als Krankheit sondern vielmehr als ein gesundheitsschädigender Risikofaktor verstanden wird. Erst bei einem starken Übergewicht, welches als Adipositas bezeichnet wird, wird nach der Gesundheitsberichterstattung des Bundes von einer Krankheit gesprochen (Benecke & Vogel, 2006). Zur Abschätzung des Körperfettanteils hat sich weltweit der Body-Mass-Index (BMI, Körpermassenindex) als ein akzeptables und ökonomisches Maß für die Klassifikation des Gewichts und damit für die Definition von Übergewicht und Adipositas durchgesetzt (Plachta-Danielzik, Landsberg, Johannsen, Lange, & Müller, 2008; Kurth & Schaffrath Rosario, 2007). Der BMI wird nach folgender Formel berechnet: BMI = (Gewicht in kg) / (Körpergröße in m2). Für Erwachsene gibt es klare Grenzwerte des BMI, welche es ermöglichen zwischen Untergewicht (BMI <18,59) Normalgewicht (BMI ≥ 18,59), Übergewicht (BMI ≥ 25) und Adipositas (BMI ≥ 30) zu differenzieren (World Health Organization (WHO), 2000).
Auch für Kinder und Jugendliche wird von der Arbeitsgemeinschaft Adipositas im Kinder- und Jugendalter (AGA) die Anwendung des BMI empfohlen (Wabitsch & Kunze, 2015). Aufgrund der individuellen Schwankungen in der körperlichen Entwicklung von Kindern und Jugendlichen können allerdings keine Grenzwerte zur Klassifikation der BMI-Werte angewendet werden. Stattdessen orientiert man sich an alters- und geschlechtsspezifischen BMI-Perzentilen (Kurth & Schaffrath Rosario, 2010). Die individuellen BMI-Perzentile geben an, wieviel Prozent der gleichgeschlechtigen und gleichaltrigen Kindern und Jugendlichen einen niedrigeren oder höheren BMI-Wert haben (s. Anhang A). In Deutschland wird zur Einschätzung des Gewichtsstatus das Referenzsystem nach Kromeyer-Hauschild et. al. (2001) verwendet, welches auf einem Datensatz von 32.422 Kindern und Jugendlichen zwischen 0-18 Jahren basiert. Die AGA empfiehlt das 90. Perzentil und das 97. Perzentil dieser Referenzwerte als Grenzwerte zur Bestimmung von Übergewicht und Adipositas (Wabitsch & Kunze, 2015).
1.1.2 Prävalenzen
Weltweit ist ein ansteigendes Problem von Übergewicht und Adipositas in allen Alters- und Einkommensgruppen zu verzeichnen. Eine systematische Analyse der Übergewichtsprävalenzen zwischen 1980 und 2013 für die „Global Burden of Disease“-Studie (GBD-Studie) ergab, dass ca. 30% der Weltbevölkerung, sprich rund 2,1 Milliarden Menschen, übergewichtig oder adipös sind (Ng, et al., 2014). Im Vergleich dazu waren 1980 lediglich etwa 857 Millionen Menschen betroffen. Als besonders besorgniserregend bewerteten die Autoren der GBD-Studie den rasanten Gewichtszuwachs bei Kindern und Jugendlichen, welcher weltweit zwischen 1980 und 2013 um knapp 50% anstieg. Die Basiserhebung der „Studie zur Gesundheit von Kindern und Jugendlichen in Deutschland“ (KIGGS- Studie; 2003-2006) lieferte erstmals bundesweite repräsentative Prävalenzzahlen von deutschen übergewichtigen und adipösen Kinder und Jugendlichen im Alter von 3-17 Jahren (Kurth & Schaffrath Rosario, 2007). Hier wird von 15% übergewichtigen Kindern und Jugendlichen berichtet, wovon 6,3 % adipös sind. Bezogen auf den Bevölkerungsstand 2008 sind das 1,9 Millionen Kinder und Jugendliche mit Übergewicht und 800.000 Kinder und Jugendliche mit Adipositas. Vergleicht man diese Zahlen mit den Referenzdaten aus den Jahren 1985 bis 1999 von Kromeyer-Hausschild et al. (2001), ergibt sich wie in den globalen Ergebnissen der GBD-Studie auch in Deutschland ein Anstieg von 50% der Prävalenzraten in den letzten 20 Jahren (Kurth & Schaffrath Rosario, 2010). Gliedert man die Daten der KIGGS-Studien nach Altersgruppen, wird ersichtlich, dass mit zunehmendem Alter die Prävalenzzahlen ansteigen. Die 14-17 Jährigen erreichen mit 17 % übergewichtigen Jugendlichen (darunter rund 9 % adipös) die höchsten Zahlen. Dabei sind die Unterschiede in der Häufigkeiten zwischen den Mädchen (17%) und den Jungen (17,2%) minimal (Kurth & Schaffrath Rosario, 2010).
1.1.3 Komorbidität und Folgen
Übergewicht und Adipositas im Kindes- und Jugendalter stellt ein erhöhtes Risiko für Adipositas im Erwachsenenalter dar (Ostbye, et al., 2011). Besonders im Hinblick auf die Vielzahl der möglichen Begleiterkrankungen ist das eine besorgniserregende Prognose. Folgeerkrankungen wie Diabetes mellitus, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, bestimmte Krebserkrankungen, Fettstoffwechselstörungen und Erkrankungen des Bewegungsapparats, sind dabei nur einige Beispiele (Bramlage, 2008; Visscher & Seidell, 2001). Folgeerkrankungen kommen auch schon bei Kindern und Jugendlichen vor, wie zum Beispiel arterielle Hypertonie und Fettstoffwechselstörung (Wirth, 2008; Lehrke & Laessle, 2009). Dabei besteht ein direkter Zusammenhang zwischen der Höhe des Gewichts und dem Auftreten von Komorbiditäten (Robertson, et al., 2008 ). Auch das Mortalitätsrisiko ist 5 deutlich höher als bei normalgewichtigen Personen. So sollten zum Beispiel im Jahr 2000 ca. 9,3% aller Todesfälle in Westeuropa auf Übergewicht und Adipositas zurückzuführen sein (Ezzati, Lopez, Rodgers, Vander Hoorn, & Murray, 2002). Besteht das Übergewicht bereits schon im Kindes- und Jugendalter, erhöht sich das Morbiditäts- und Mortalitätsrisiko im Erwachsenenalter zusätzlich (Must, Jacques, Dallal, Bajema, & Dietz, 1992; Solomon & Manson, 1997). Neben der körperlichen Komorbiditäten geht Übergewicht auch häufig mit psychosozialen Problemen und Belastungen einher. Übergewichtige Personen müssen nicht selten Stigmatisierungen, Ausgrenzungen und/oder Diskriminierungen ertragen. Worte wie „faul“, „undiszipliniert“, „hässlich“ und „willensschwach“ werden häufig mit ihnen in Zusammenhang gebracht (Hilbert, Rief, & Braehler, 2008; Puhl, 2009). Gerade auch übergewichtige Kinder und Jugendliche leiden unter Hänseleien und sozialen Ausgrenzungen (Hartmann & Hilbert, 2013). Solche Erfahrungen erhöhen wiederum das Risiko für die Entwicklung von Depressionen, Angststörungen oder Essstörungen (Hartmann & Hilbert, 2013). Es konnte ein positiver Zusammenhang zwischen Übergewicht und Adipositas und der Häufigkeit von psychischen Störungen festgestellt werden, wobei Angststörungen und affektive Störungen im Vordergrund stehen (Von Wietersheim, 2008).
Aber nicht nur der Verlust von Lebensqualität und Lebensjahren, sondern auch die verursachten Krankheitskosten sind von Bedeutung. So steigen mit den Prävalenzzahlen nicht nur die direkten Kosten (z.B. medizinische Versorgung), sondern auch die indirekten Kosten (z.B. krankheitsbedingte Arbeitsausfälle) in die Höhe (König & Konnopka, 2008). Eine Studie von Knoll und Hauner (2008) berechnete die direkten Ausgaben für Adipositas auf rund 85,7 Millionen Euro und die Behandlung von Begleiterkrankungen auf rund 11,3 Milliarden Euro. Angesichts der steigenden Prävalenzzahlen prognostizierten die Autoren, dass das deutsche Gesundheitswesen im Jahre 2020 mit direkten Kosten von ca. 22,4 Milliarden Euro rechnen muss.
Angesichts der hohen Prävalenzraten und schwerwiegenden Folgen von Übergewicht ist die Frage nach der Ursache ein wichtiger Faktor, um entsprechende Interventionsmaßnahmen einleiten zu können. Im Folgenden soll daher das Essverhalten als eines der wichtigsten Ursachen für Übergewicht genauer erläutert werden.
1.2 Essverhalten als eine der Hauptursachen für Übergewicht
Laut der WHO (2000) ist das Prinzip der positiven Energiebilanz eine der wichtigsten Ursachen für die Entstehung von Übergewicht. Nach diesem Prinzip, wird das Körpergewicht durch das Gleich- bzw. Ungleichgewicht der Energieaufnahme und des Energieverbrauchs bestimmt. Überschreitet die Energieaufnahme über einen längeren Zeitraum den Energieverbrauch, führt das zur Gewichtszunahme. Umgekehrt (Energieaufnahme < Energieverbrauch) erfolgt eine Gewichtsabnahme (Lehrke & Laessle, 2003). In unserer modernen Wohlstandsgesellschaft führt das oft ungünstige Essverhalten zu einer anhaltenden Überschreitung der Energieaufnahme, was somit unvermeidlich zu einer allgemeinen Gewichtszunahme führt (WHO 2000; Sullivan, Morrato, Ghushchyan, Wyatt, & Hill, 2005). Die ständige Verfügbarkeit von hochkalorischen Nahrungsmitteln sowie die steigende Anzahl an sitzenden Betätigungen führt dazu, dass oft mehr Kalorien aufgenommen werden, als der Körper verbrauchen kann (Cohen, 2008; Prentice & Jebb, 2004). Lehrke und Laessle (2009) beschreiben in ihrem Biopsychosozialem Modell (s. Abb.1) die Faktoren, welche Energieaufnahme und Energieverbrauch beeinflussen. Während nach diesem Modell Energieverbrauch von Ruhestoffwechsel und Aktivitätslevel gesteuert wird, beeinflusst das Essverhalten die Energieaufnahme. Demnach erfordert eine Verringerung der Energieaufnahme zur langfristigen Gewichtsabnahme eine Umstellung des Essverhaltens. Das Essverhalten selbst wird wiederum von psychosozialen Faktoren wie emotionale Befindlichkeiten, Stress und der Lerngeschichte beeinflusst, so dass es oft schwieriger zu beeinflussen ist als es zuerst den Anschein haben mag.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 1. Das Biopsychosoziale Modell nach Lehrke und Laessle (2009)
Wie in Kapitel 2 genauer dargestellt, können vor allem negative Emotionen einen ungünstigen Einfluss auf das Essverhalten haben. Diese erschweren die Entwicklung und Aufrechterhaltung eines gesunden Essverhaltens, welches wiederrum zu einem Gleichgewicht der Energiebilanz führen kann. Was unter einem gesunden Essverhalten verstanden wird, soll im Folgenden erläutert werden.
1.2.1 Gesundes Essverhalten
Die Ernährung ist wesentlich für die Entwicklung und Aufrechterhaltung aller Körperfunktionen und ist besonders bedeutsam für eine gesunde Entwicklung im Kindes und Jugendalter (Mensink, Kleiser, & Richter, 2007b). Empfehlungen für eine vollwertige und ausgewogene Ernährung wurden zum Beispiel von der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE) entwickelt. Mithilfe einer vielseitigen Ernährungsweise, welche Lebensmittel aus verschiedenen Lebensmittelgruppen beinhaltet, erzielt man demnach eine ausgewogene Ernährung, die den täglichen Bedarf an den wesentlichen Nährstoffen abdeckt, aber gleichzeitig nicht zu viel Fett und Zucker enthält. Es sollen reichlich kalorienarme Getränke und Getreideprodukte (z.B. Gemüse, Obst, Kartoffeln, Reis) verzehrt werden. Dagegen wird empfohlen tierische Produkte (z.B. Milch, Ei, Fleisch) nur mäßig, sowie Fette und Zucker (z.B. Speisefette, Süßigkeiten) sehr sparsam zu konsumieren. Gleichzeitig wird aber betont, dass eine gesunde Ernährung nicht nur „gute“ oder „schlechte“ Nahrungsmittel kennt und auch Fettiges und Süßes erlaubt ist, solange es in Maßen konsumiert wird (vgl. Renneberg & Hammelstein, 2006). Diese Ernährungsempfehlungen treten den größten Risiken eines ungesunden Essverhaltens entgegen. Ein zu hoher Konsum von tierischen Fetten erhöht unter anderem das Risiko für Arteriosklerose, Schlaganfälle, Diabetes und koronare Herzkrankheiten. Dagegen kann Obst und Gemüse durch den hohen Vitamin- und Ballaststoffanteil das Risiko für Krebserkrankungen vermindern und aufgrund der geringen Kaloriendichte Übergewicht entgegenwirken (Renneberg & Hammelstein, 2006).
Speziell für Kinder und Jugendliche im Alter von 1-18 Jahren wurde in den 90er Jahren die optimierte Mischkost (optimiX; Kersting, Chahda, & Schöch, 1993). Sie soll die praktische Umsetzung der aktuellen Ernährungsempfehlungen der DGE für Kinder und Jugendliche erleichtern, wobei deren Ernährungsgewohnheiten und die Nahrungsmittelpräferenzen mit einbezogen werden. OptimiX wird von der AGA zur Prävention von Übergewicht empfohlen und eignet sich des Weiteren auch in der Forschung als Bewertungsgrundlage zum Vergleich der tatsächlich konsumierten Verzehrsmengen (Robert Koch-Institut, 2011; Wabitsch & Kunze, 2015). In den optimiX-Empfehlungen werden drei Lebensmittelgruppen unterschieden, welche entweder reichlich (Pflanzliche Lebensmittel wie Getreide(erzeugnisse), Gemüse und Obst), mäßig (Tierische Lebensmittel wie Milch(produkte), Fleisch und Eier) oder sparsam (Fettreiche Lebensmittel wie Öl, Margarine und Butter) konsumiert werden dürfen (s. Anhang B). Sogenannte geduldete Lebensmittel (z.B. Süßigkeiten oder Limonaden) sollten dabei maximal 10% des täglichen Energiebedarfs abdecken (Alexy, Clausen, & Kersting, 2008). Die für Jugendliche empfohlenen Lebensmittelverzehrsmengen werden im folgenden Abschnitt und in Anhang B genauer erläutert.
1.2.2 Essverhalten von Jugendlichen
Die aktuellsten bundesweiten Daten zum Essverhalten von Kindern und Jugendlichen liefert das Ernährungsmodul ESKIMO der KIGGS-Studie (Mensink, et al., 2007a). Diese Daten über das tatsächliche Essverhalten von Jugendlichen im Alter zwischen 12 und 17 Jahren sollen im Folgenden mit den Ernährungsempfehlungen von optimiX verglichen werden.
Die altersgemäße Trinkmenge für Mädchen und Jungen im Alter von 13-17 Jahren liegt nach optimiX im Schnitt bei 1,4l am Tag, wobei das zu bevorzugende Getränk (Mineral-)Wasser sein sollte. Diesbezüglich berichtet ESKIMO, dass immerhin bei rund 50% der Jungen und Mädchen Mineralwasser quantitativ das wichtigste Getränk ist. Allerdings ist der Limonadenkonsum bei den Jugendlichen ebenfalls relativ hoch (17% bei Mädchen und 25% bei Jungen). Je nach Alter und Geschlecht empfiehlt optimiX den Jugendlichen zwischen 520 und 880g Kohlenhydrate am Tag zu sich zunehmen. Diesen Richtwert erreichen nur 10% der Jungen und 5 % der Mädchen. Auch bei Obst und Gemüse erreichen lediglich 18% der Mädchen und 29% der Jungen den Richtwert von 300g (Mädchen) bzw. 350g (Jungen) pro Tag. Der Konsum von Wurst und Fleisch ist bei den Jugendlichen besonders hoch, über 86% essen mehr als die empfohlenen 80g pro Tag. Auch die Empfehlungen bezüglich der „geduldenden“ Süßwaren werden von 79% der Mädchen und 87% der Jungen überschritten. Die Naschereien führen bei ca. 22% der Jugendlichen zu einer Verdoppelung und bei ca. 30 % zu einer Verdreifachung der empfohlenen Energieaufnahme.
Insgesamt macht die ESKIMO-Studie deutlich, dass sich die Jugendlichen mit zunehmendem Alter in ihrem Essverhalten immer weiter von den Ernährungsempfehlungen der optimiX entfernen. Die Gründe dafür sind zumeist entwicklungsbedingt und werden durch das neuzeitliche Überangebot an Lebensmitteln unterstützt. Im Zusammenspiel mit der wachsenden Unabhängigkeit, Selbständigkeit und Identitätsentwicklung wird es den Jugendlichen ermöglicht eine eigene Esskultur zu entwickeln (Bartsch, 2011). Anders als oft im Erwachsenenalter liegen dabei die Prioritäten nicht in gesundheitlichen oder kulinarischen Aspekten, sondern es ist wichtig, dass das Essen schmeckt und ohne großen Aufwand zur Verfügung steht. Das vielfältige Marktangebot an Snackprodukten, Fertiggerichten und Fastfood kommt den Bedürfnissen der Jugendlichen dabei entgegen (Bartsch, 2011; Miler, 2012). Das Essverhalten der Jugendlichen spielt also aus gesundheitlicher Sicht nochmal eine besondere Rolle. Im Hinblick darauf, dass das im Laufe der Kindheit und Jugend entwickelte Essverhalten vielmals die lebenslange Ernährungsgewohnheiten prägen, ist es wichtig den Jugendlichen zu ermöglichen sich geeignete Handlungskompetenzen anzueignen, um ein gesundheitsförderliches Essverhalten umsetzen zu können (Bartsch, 2011).
1.3 Intervention von Übergewicht und ungesundem Essverhalten
Angesichts der hohen Prävalenzen von Übergewicht und Adipositas, sowie deren Begleit- und Folgeerkrankungen, sind diesbezügliche Präventions- und Interventionsmaßnahmen unerlässlich (Reilly & Kelly, 2011). Diesem Bedarf stehen allerdings eine geringfügige Wirksamkeit bisheriger Interventionsprogamme gegenüber (Wabitsch & Kunze, 2015). Ein Review, welches die Wirksamkeit von 22 Interventionsprogramme gegen Übergewicht bei Kindern- und Jugendlichen untersuchte, konnte insgesamt nur eine geringfügige und kurzfristige Verbesserung des BMI-Wertes nachweisen. Langfristig konnten keine positiven Effekte nachgewiesen werden (Summerbell, et al., 2005). Die nur 9 mäßige Wirksamkeit nach rund 60 Jahren Ernährungsaufklärung verdeutlicht die Notwendigkeit an neuen Ansätzen (Pudel & Ellrott, 2004). Ziel neuer Forschungen und Interventionen sollte es daher sein, sich nicht nur auf die reine Ernährungsaufklärung zu konzentrieren, sondern auch jene Faktoren zu untersuchen, welche für die Lücke zwischen Wissen und dementsprechendem Verhalten verantwortlich sind. Dies kann geschehen, in dem man sich fragt, welche Faktoren das Essverhalten auslösen. Wie in Abschn. 1.2 dargestellt, gehören nach dem Biopsychosozialen Modell Emotionen zu den wichtigsten Einflussfaktoren auf das das Essverhalten (Lehrke & Laessle, 2009). Allerdings wurde bisher die zugrundeliegenden Mechanismen, welche ein emotionales Essverhalten auslösen, in der Literatur noch nicht hinreichend geklärt (Lehrke & Laessle, 2009; Fischer & Munsch, 2012). Da aber gerade die geringe Beachtung von emotionalen Einflüssen das Problem der bisherigen Interventionsmaßnahmen sein könnte (Oehmann, 2013; Munsch & Hilbert, 2015), soll im Folgenden die Rolle der Emotionen im Essverhalten und die Funktion des Essverhaltens zur Regulation dieser Emotionen genauer untersucht werden.
2 Der Zusammenhang von Essverhalten, Emotionen und Emotionsregulation
2.1 Emotionsbedingtes Essverhalten
2.1.1 Definition von Emotion
Aus einer Vielzahl von Theorien und Definitionen der letzten 100 Jahren konnte bis heute keine einheitliche und allgemein akzeptierte Begriffsbestimmung der Emotion gefunden werden (Campos, Frankel, & Camras, 2004; Bloch, Moran, & Kring, 2010). Allen theoretischen Ansätzen ist aber gemein, dass den Emotionen internale oder externale Auslöser voraus gehen, welche zu einer kognitiven Bewertung der aktuellen Situation und ihrer persönlichen Bedeutung führen. Die Bewertung die einer Situation beigemessen wird, bestimmt welche Emotionen ausgelöst werden. Da sich die Bewertung bezüglich einer Situation über die Zeit hinweg verändern kann, können sich auch die entsprechenden Emotionen verändern. Als wesentliche Bestandteile der Emotion werden das subjektive Erleben (z.B. Wut, Freude, Angst), der körperliche Ausdruck (z.B. Gestik und Mimik), die physiologische Reaktion (z.B. beschleunigter Herzschlag), sowie Handlungstendenzen (Veränderung der Verhaltensbereitschaft) angesehen, welche abermals emotionsspezifisch interagieren (Scherer, 2000).
2.1.2 Emotionsbedingtes Essverhalten
Die Beziehung zwischen Essverhalten und Emotion ist sehr vielfältig und komplex. Zum einen beeinflusst das Essverhalten die Emotionen aber die Emotionen beeinflussen auch das Essverhalten (Macht M. , 2005). Im Rahmen dieser Arbeit wird nur der Einfluss von Emotionen auf das Essverhalten thematisiert. Auch dieser Teilbereich ist in sich noch sehr vielfältig. So können Emotionen die Nahrungsaufnahme sowohl erhöhen als auch verringern. Zum Beispiel berichtete Gibson (2006) in seinem Überblicksartikel, dass unter Stress 38-72% der Probanden weniger essen aber auch 28-50% an mehr essen. Nur die wenigsten der Probanden gaben an, dass Stress ihr Essverhalten nicht beeinflussen würde. Auch Macht (2008) berichtete, dass etwa 50% der Menschen unter emotionaler Belastung weniger, etwa 30% mehr und nur 20% unverändert essen. Um die Vielfalt an Auswirkungen von Emotionen auf das Essverhalten zu konkretisieren, verfasste er das „Five-Way Model“, indem fünf Varianten des emotionsgesteuerten Essverhaltens unterschieden werden (s. Anhang C). Das „gezügelte Essverhalten“ und das „emotionale Essverhalten“ sind nach diesem Modell die beiden Varianten, welche zu vermehrtem und ungesundem Essverhalten führen und damit für die vorliegende Arbeit wesentlich sind.
Unter gezügeltem Essverhalten versteht man ein überdauerndes Muster des Essverhaltens, in welchem nur geringe Kalorien konsumiert werden, um eine Gewichtsreduktion bzw. eine Gewichtskonstanz zu erzielen. Kennzeichnend ist eine hohe kognitive Kontrolle über die Nahrungsaufnahme, die nicht wie bei normalen Essern über Hunger- und Sättigungssignale gesteuert wird (Macht, 2005). Es wird davon ausgegangen, dass das Durchleben negativer Emotionen oder starker Stress die kognitive Kontrolle des Essverhaltens verringert oder ganz außer Kraft setzen kann, was in einer gesteigerten und oft maßlosen Nahrungsaufnahme endet (s. Abschn.2.1.3). Diese häufigen Kontrollverluste über das Essverhalten können langfristig zu Übergewicht führen (Stauber, Petermann, Korb, Bauer, & Hampel, 2004). Diese Theorie konnte durch eine Reihe von Experimenten belegt werden. Zum Beispiel konnte in Studien gezeigt werden, dass zurückhaltende Esser als Reaktion auf Angst oder negative Stimmung deutlich mehr aßen als die Kontrollgruppe, welche kein zurückhaltendes Essverhalten aufwies (z. B. Greeno & Wing, 1994; Heatherton, Striepe, & Wittenberg, 1998; Rotenberg & Flood, 1999). Allerdings konnten diese Ergebnisse von anderen Studien nicht bestätigt werden, was darauf hinweist, das zurückhaltendes Essen nicht zwingend zu einer erhöhten Nahrungsaufnahme führt (z.B. Chua, Touyz, & Hill, 2004; Stice, Fisher, & Lowe, 2007; Van Strien, 1999).
Kennzeichnend für das emotionale Essverhalten ist eine veränderte und erhöhte Nahrungsaufnahme infolge von emotional belastenden Situationen (Van Strien, Engels, van Leeuwe, & Snoeck, 2005; Hinsen, 2007; Thayer, 2003). In Studien gaben durchschnittlich 22% jugendliche Probanden an emotional zu essen (Nguyen-Rodriguez, Chou, Unger, & Spruijt-Metz, 2008; Gibson, 2012). Die Forschungen über emotionales Essverhalten gehen bis zu mehreren Jahrzehnten zurück und sind sehr vielfältig. So wurde zum Beispiel untersucht, welche spezifische Emotionen emotionales Essverhalten auslösen (z.B. Pudel & Richter, 1980), welche Art der Nahrung dadurch konsumiert wird (z.B. Oliver, Wardle, & Gibson, 2000) oder auch welche Mengen an Nahrung emotionale Esser in einem belastenden Zustand zu sich nehmen (z.B. Macht & Simons, 2011). Studien, welche spezifische Emotionen als Hauptauslöser für das emotionale Essverhalten untersuchten, sind recht inkonsistent. So wurde zum einen die Angst als häufigster Auslöser genannt (Masheb & Grilo, 2006). Eine andere Studie postulierte, dass Stress und Müdigkeit die häufigsten Auslöser für emotionales Essverhalten sind (Thayer, 2003). Auch Niedergeschlagenheit (Walfish, 2004), Ärger und Frustration (Arnow, Kenardy, & Agras, 1992) oder Wut (Macht & Simons, 2000) wurden als Hauptauslöser für emotionales Essverhalten genannt. In einer Reanalyse aus 11 Studien konnten wiederrum keine zentralen Unterschiede zwischen den negativen Emotionen in ihrem Effekt auf das emotionale Essverhalten festgestellt werden (Herber, 2014). Überein stimmten alle Studien in der Annahme, dass die Freude den geringsten Effekt auf emotionales Essverhalten hat. Bezüglich der Art der Nahrung konnte gezeigt werden, dass emotionale Esser Süßes und Fettreiches bevorzugen und selten zu Gemüse und Obst greifen (Contento, Zybert, & Williams, 2005; Lähteenmäki & Tuorila, 1995; Steptoe, Pollard, & Wardle, 1995). In Hinblick der Nahrungsmenge unterscheiden Macht und Simons (2011) in ihrem „Three-Stage-Model“ unterschiedliche Ausprägungen. Diese reichen von einem gesteigerten Konsum von süßer oder fettreicher Nahrung aufgrund von negativen Emotionen bis hin zu unkontrollierbaren Essanfällen, bei denen Unmengen an kalorienreichen Nahrung verschlungen werden (Binge Eating). Diese Essanfälle kommen auch schon bei Kindern und Jugendlichen vor, so berichteten Fragebogenstudien über eine Prävalenzrate von 6-40% (Croll, Neumark-Sztainer, Story, & Ireland, 2002; French, et al., 1997; Johnson, Rohan, & Kirk, 2002). Solche Essanfälle in der Jugend sind prädiktiv für Übergewicht und Adipositas (Stice, Agras, & Hammer, 1999; Stice, Presnell, & Spangler, 2002). Auch Studien die das Essverhalten übergewichtiger Kinder untersuchten zeigten, dass diese in Reaktion auf emotional belastenden Alltagssituationen ein gesteigertes Essverhalten aufwiesen. Im besonderen Ausmaß zeigte sich dies, wenn die Kinder zusätzlich zu gezügeltem Essverhalten neigten (Braet & Van Strien, 1997; Lindel & Laessle, 2002).
Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass gezügelte und emotionale Esser anfälliger für eine übermäßige und kalorienreiche Nahrungsaufnahme sind (Wallis & Hetherington, 2004). Es wurde aufgezeigt, dass negative Emotionen im Allgemeinen einen größeren Einfluss auf das emotionale Essverhalten haben als positive Emotionen. Negative Emotionen bewirken einen ähnlichen körperlichen Zustand wie Sättigung, da diese appetithemmende Hormone freisetzen (z.B. Katecholamine). Vom biologischen Standpunkt aus ist es also sehr überraschend, dass etwa ein Drittel der Menschen aufgrund von negativen Emotionen mehr als gewöhnlich essen (Schachter, Goldman, & Gordon, 1968; Blair, Wing, & Wald, 1991). Um dieses, aus biologischer Sicht irrationale Verhalten zu erklären, wurden einige Theorien über die Auslöser und Mechanismen von emotionsbedingten Essverhalten aufgestellt. Diese sollen im nächsten Abschnitt genauer erörtert werden.
2.1.3 Theorien zu emotionsbedingtem Essverhalten
Trotz der Popularität des Konzepts von emotionalem Essens gibt es noch einige ungelöste Fragen bezüglich zugrunde liegender Mechanismen und Auslöser (Macht 2008). Die Theorie des emotionalen Essverhaltens hat seinen Ursprung in der sogenannten psychosomatischen Theorie, die von Kaplan und Kaplan (1957) aufgestellt und von vielen weiteren Autoren (z. B. Bruch, 1961; Ganley, 1989; Faith, Allison, & Geliebter, 1997) ausgebaut wurde. Die Hauptannahme besteht darin, dass Betroffene belastende Emotionen (z.B. Angst, Depression, Einsamkeit) nicht von Hunger- und Sättigungssignalen unterscheiden können. In Folge dessen wird versucht, die bedrückende Emotion mit übermäßigem Nahrungskonsum zu reduzieren. Die Ursache für das emotionale Essverhalten ist demnach also die mangelnde Fähigkeit darin, die mit den Emotionen einhergehenden internalen Zustände von Hungergefühlen unterscheiden zu können. Verschiedene Studien konnten diese Theorie untermauern. Sie zeigten, dass Personen die zu emotionalem Essverhalten neigen, des Öfteren Schwierigkeiten darin haben emotionale Bedürfnisse zu identifizieren welche über das körperliche Hungergefühl hinausgehen (z.B. Larsen, van Strien, Eisinga, & Engels, 2006; Ouwens, van Strien, van Leeuwe, & van der Staak, 2009; Moon & Berenbaum, 2009). Zusammengefasst dient das emotionale Essverhalten nach der psychosomatischen Theorie also der Verminderung oder Bewältigung von negativen Emotionen. Warum die belastenden Emotionen durch Essen vermindert werden, konnte in der psychosomatischen Theorie nicht hinreichend geklärt werden. Die Autoren vermuten allerdings, dass bestimmte Lernfaktoren aufgrund unangemessener Erziehungsstrategien (z.B. Trost oder Belohnung mit Schokolade) zur Erklärung beitragen können. Aus lernpsychologischer Perspektive kann die Emotion also als Stimulus, das Essverhalten als operante Konsequenz und die Verminderung der belastenden Emotionen als negative Verstärkung aufgefasst werden (Hinsen, 2007; Macht, 2008).
Auf der Restraint-Theorie (Herman & Polivy, 2004; Herman & Mack, 1975) bauen die Annahmen und Untersuchungen über das gezügelte Essverhalten auf. Laut dieser Theorie mündet das streng begrenzte Essverhalten in einen Hungerzustand, welcher in bestimmten Situationen (z.B. Ablenkung, Erleben ausgeprägter Emotionen oder Einfluss von Drogen, Alkohol und ähnlicher Substanzen) zu übermäßiger und unkontrollierter Nahrungszufuhr führen kann. Die Balance zwischen dem Wunsch etwas zu essen und der Anstrengung diesem Wunsch zu wiederstehen erfordert hohe kognitive Kontrolle. Vorübergehend enthemmende Zustände (s.o.), können diese kognitive Kontrolle stören, wodurch die Bedürfnisse nach Nahrung nicht mehr kontrolliert werden können. Dies kann zum einen darin begründet liegen, dass die Bewältigung von belastenden Emotionen ebenfalls viel kognitive Kapazität beansprucht, zum anderen kann die Kontrolle des Essverhaltens aufgrund der starken Emotionen an Bedeutung verlieren. Dementsprechend veranlassen negative Emotionen und Stress gezügelte Esser zu einem gesteigerten und oft maßlosem Essverhalten (Stroebe, 2002; Poliy & Herman, 1999).
Die Frage nach den zugrundeliegenden Auslösern und Mechanismen des emotionalen Essverhaltens konnte durch diese Theorien noch nicht hinreichend geklärt werden. Allerdings weisen aktuellere Studien daraufhin, dass starkes Übergewicht und Binge-Eating-Störungen sowohl im
Erwachsenen- als auch im Jugendalter mit einer geringeren Fähigkeit zur Emotionsregulation (ER) einhergehen (Danner, Sternheim, & Evers, 2014; Brockmeyer, et al., 2014; Munsch & Hilbert, 2015; Fischer & Munsch, 2012). Zudem soll eine geringe Fähigkeit in der ER im Kindes- und Jugendalter prädiktiv für Übergewicht im Erwachsenenalter sein (Fischer & Munsch, 2012). Im Folgenden soll daher der Vorgang der ER als mögliche Ursache für das emotionale Essverhalten genauer betrachtet werden.
2.2 Emotionsregulation
2.3 Definition
Als ER werden alle Strategien und Fertigkeiten bezeichnet, die dazu genutzt werden um auf Emotionen gezielt einzuwirken. Dies umfasst bewusste und unbewusste kognitive, emotionale und physiologische Prozesse der Bewertung sowie die Kontrolle und Veränderung von emotionalen Reaktionen (Bridges, Denham, & Ganiban, 2004). Es wird also beeinflusst welche Emotionen wann und mit welcher Intensität erlebt bzw. ausgedrückt werden (Gross, 1999). Dabei kann die Regulation in zwei Richtungen erfolgen: Zum einen können (zumeist negative) Emotionen verringert bzw. unterdrückt werden, zum anderen können (zumeist positive) Emotionen aber auch verstärkt werden. ER bedeutet somit zum Beispiel trotz negativer Emotionen Ziele weiter zu verfolgen, Belastungssituationen adäquat zu bewältigen, Emotionen zu akzeptieren und Impulse zu kontrollieren (Gross & Thompson, 2007; Saarni, 2002).
2.5 Prozessmodell nach Gross
Eines der bekanntesten Modelle zur Beschreibung von Prozessen der ER ist das Prozessmodell von James Gross (1998), in welchem er anstrebte die Operationalisierung der ER für die wissenschaftliche Forschung zu vereinfachen. In diesem Modell werden zwei ER-Mechanismen unterschieden, jene die schon früh im Entwicklungsprozess der Emotionen wirken (anzipatorisch) und jene die erst nach einer emotionalen Erfahrung (reaktiv) ausgelöst werden. Dabei sollen mithilfe anzipatorischen Strategien die Emotionen selbst verhindert bzw. verändert werden und mithilfe der reaktiven Strategie eine Veränderung in der Reaktion auf die Emotion erreicht werden (s. Abb.2). Antizipatorische Strategien ermöglichen es, die emotionale Bedeutung einer Situation abzuschwächen, so dass sich die ursprüngliche emotionale Reaktion nicht voll entfaltet oder sogar verhindert wird. Zu diesem ER-Mechanismus gehören die Strategien der Situationsselektion (z.B. das Vermeiden von Horrorfilmen), der Situationsmodifikation (z.B. Beeinflussung von Themen bei Gesprächen), der Aufmerksamkeitslenkung (z.B. Konzentration auf positive Aspekte der Situation) und der Neubewertung (Reappraisel oder kognitive Umstrukturierung; z.B. andere Interpretation der Situation). Zu den reaktiven Strategien gehören die Unterdrückung (Suppression; Hemmung von anhaltendem emotionalem Erleben inkl. Unterdrückung körperlicher Symptome) und die Verstärkung 14 der emotionalen Reaktion (sowohl positiv als auch negativ). Oft wird versucht die emotionale Antwort durch Biofeedback und Entspannungstechniken, aber auch durch die Einnahme von Drogen und Alkohol oder übermäßigem Essen zu regulieren (Gross, 1998; Gross & Thompson, 2007).
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 2. Das Prozessmodell nach Gross (1998)
Neubewertung und Unterdrückung sind zwei prototypische Strategien, die im alltäglichen Leben viel Anwendung finden und in den bisherigen Forschungen fokussiert werden. Neubewertung zeigte in Studien einen positiven Zusammenhang und Unterdrückung einen negativen Zusammenhang mit Wohlbefinden, Optimismus, Lebenszufriedenheit, psychischer und körperlicher Gesundheit, der Qualität von sozialen Beziehungen und dem Selbstwerterleben (Gross & John, 2003; John & Gross, 2004; Werner & Gross, 2010). Eine große Metaanalyse, welche unter anderem die Strategien der Unterdrückung untersuchte, spiegelt diese Ergebnisse wieder. Die Unterdrückung korrelierte positiv mit Depression, Angststörungen, Substanzabhängigkeit und Essstörungen (Aldao, Nolen-Hoeksema, & Schweizer, 2010). Demzufolge wird die Strategien Neubewertung in den meisten Fällen als funktional und die Strategien der Unterdrückung eher als dysfunktional angesehen. Die Anwendung der Neubewertung soll zu deutlich positiveren und weniger negativen Emotionen führen. Darum ist die Neubewertung im Prozess der ER ein wesentlicher und förderlicher Aspekt und wird zum Beispiel auch in der kognitiven Verhaltenstherapie in Form der kognitiven Umstrukturierung explizit gefördert (Gross & John, 2003).
2.6 Dysfunktionale Emotionsregulation als Ursache für ungesundes Essverhalten Übergewicht bei Jugendlichen
Das Jugendalter besteht aus einer Zeit mit vielen Veränderungen auf kognitiver, biologischer als auch sozialer Ebene, welche von intensiven und neuen Emotionen begleitet werden. So sollen
Jugendliche zahlreichere und stärkere Emotionen erleben als Kinder oder Erwachsene das tun (Zeman, 15 Cassano, Perry-Parrish, & Stegall, 2006). Gleichzeitig werden aber auch die Situationen und Anforderungen in denen sich die Jugendlichen befinden zunehmend komplexer, was eine differenziertere und flexiblere Anwendung von Emotionsregulationsstrategien (ERS) erfordert (Eisenberg, Spinrad, & Eggum, 2010). Dies kann erklären, warum den Jugendlichen im Allgemeinen mehr Schwierigkeiten in der ER zugesprochen werden und warum in dieser Zeit die Gefahr besonders hoch ist das dysfunktionale ERS entwickelt werden (Steinberg, 2005). Die Jugendzeit ist also eine kritische Phase für die Entstehung von emotionalem Stress und daraus folgende dysfunktionale Verhaltensweisen (Petermann & Petermann, 2012; Casey, et al., 2010). Für das Ausmaß der Folgen dieser emotionalen Belastungen sind die eigenen Fähigkeiten zur ER ausschlaggebend. Es konnte gezeigt werden, dass die psychische Gesundheit der Jugendlichen nicht von der Anzahl der objektiv bestehenden emotionalen Stressoren abhängt, sondern davon wie sie diese bewältigen (Lohman & Jarvis, 2000). So besteht auch schon im Jugendalter ein signifikanter Zusammenhang zwischen dysfunktionalen ERS (Unterdrückung, Vermeidung) und verschiedenen psychischen Störungen (Barnow, 2012; Seiffge-Krenke & Klessinger, 2000; Kraaij, et al., 2003). Erste Studien zeigten, dass die ERS aber nicht nur ausschlaggebend für ein gesunde psychische und physiche Entwicklung im allgemeinsen sondern auch im speziellen für ein gesundes Essverhalten und dem damit einhergehenden Gewicht sein kann. So besteht ein Zusammenhang zwischen Übergewicht und/oder Binge-Eating- Störungen und dysfunktinalen ERS (Danner, Sternheim, & Evers, 2014; Brockmeyer, et al., 2014; Munsch & Hilbert, 2015; Fischer & Munsch, 2012). Dies zeigt, dass übermäßiges und ungesundes Essen nicht unabhängig von der Fähigkeit zur ER ist. Es kann der Schluss gezogen werden, dass emotionale Esser zu vermehrtem Essen neigen, weil sie keine günstigen ERS zur Verfügung haben um ihre Emotionen adäquat zu bewältigen. Demzufolge führen nicht, wie bisher angenommen, die negatvien Emotionen selbst zu ungünstigem Essverhalten, sondern die mangelnde Fähigkeit diese erfolgreich zu regulieren. So dass versucht wird die negativen Emotionen durch Essen zu regulieren. Können die negativen Emotionen dagegen funktional reguliert werden kommt es nicht zu emotionalen und/oder gezügelten Essverhaltensweisen. Bezogen auf das Prozessmodell nach Gross (s. Abschn.2.5.2) kann das vermehrte Essverhalten eine Methode der Unterdrückung darstellen. Das anhaltende Erleben von negativen Emotionen wird ungünstig durch das Essverhalten gehemmt, was langfristig zu einer Gewichtszunahme führen kann.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 3. Von dysfunktionaler ERS zum Übergewicht
Diese Annahme kann die Frage nach den zugrundeliegenden Mechanismen (s. Abschn. 2.1.3) von emotionalem Essverhalten weiter aufklären. Auch erklärt sie, warum nur ein Teil der Menschen nach dem Erleben von negativen Emotionen zu erhöhtem Essverhalten neigen (s. Abschn. 2.1.2) und warum Studien zum gezügelten und emotionalen Essverhalten inkonsistente Ergebnisse erzielten (s. Abschn. 2.1.2). Der Fokus dieser Studien lag auf den negativen Emotionen selbst und nicht auf den ERS der Probanden.
Derzeit liegt nur eine Studie vor, welche den Einfluss von ERS auf das Essverhalten bei Erwachsenen thematisierte und belegte (Evers, Stok, & de Ridder, 2010). Die Autoren konnten zeigen, dass sich die negativen Emotionen selbst nicht auf die Nahrungsaufnahme auswirkten. Nur jene Probanden, die keine funktionalen ERS aufwiesen, zeigten ein emotionales Essverhalten. Zu der Frage, ob die Art der ER Einfluss auf das Essverhalten von Jugendlichen hat, liegen aktuell keine Studien vor. Kann diese These allerdings belegt werden, wäre das ein wichtiger erster Schritt in der Forschung zu der Wissens-Verhaltens-Lücke, welche bezüglich langfristiger Erfolge von Übergewichtsinterventionen bei Jugendlichen Probleme bereitet (s. Abschn. 1.3.)
3 Serious Games als Interventionsmaßnahme gegen Übergewicht
3.1 Definition Serious Games und Serious Games for Health
Der Begriff Serious Games (SG) wurde erstmals von Abt (1971) erwähnt und beschreibt digitale Spiele, welche nicht nur zu Unterhaltungs- und Spaßzwecken genutzt werden. Er betonte in seiner ersten Definition von SG die expliziten Bildungsziele als Abgrenzungsmerkmal zu anderen Spielen. Andere Autoren weisen in ihrer Definition aber auch auf die gesundheitliche und gesellschaftliche Relevanz von SG hin (z.B. Zyda, 2005). Das Ziel von SG ist es, die Unterhaltungsfaktoren von Videospielen zu nutzen, um Wissen und Kompetenzen zu vermitteln und Verhaltensweisen zu trainieren, so dass das Gelernte in der realen Welt angewendet und umgesetzt werden kann (Wattanasoontorn, Boada, García, & Sbert, 2013; Breitlauch, 2013).
Mittlerweile gibt es SG für die unterschiedlichsten Spielgenres (z.B. Strategiespiele, Wirtschaftssimulation, Causal- und Acrade-Games etc.) und schließt neben dem Computer auch die verschiedensten Plattformen (z.B. Smartphones, Videokonsolen und PDAs) mit ein (Lampert, Schwinge, & Tolks, 2009; Sostmann, Tolks, Fischer, & Buron, 2010). SG sind in verschiedenen Bereichen anzutreffen, wie zum Beispiel der Gesundheitsförderung und Intervention (Serious Games for Health), Informationsvermittlung, Lernen und Bildung, Rehabilitation und Therapie, Flug- und Fahrsimulation, Personalauswahl, Produktwerbung oder auch militärische Rekrutierung (vgl. Bösch, 2014).
Während der Begriff Serious Games sich also auf jegliche Art des Lernens und der Kompetenz- und Wissensvermittlung durch digitale Spiele bezieht, beschreibt der Begriff Serious Games for Health 17 eine Unterkategorie und bezieht sich spezifisch gesundheitsbezogene und medizinische Themen. SGfH werden speziell entwickelt um gezielt auf den Gesundheitszustand der Nutzer positiv einzuwirken und gesundheitsförderliche Verhaltensveränderungen zu bewirken. Neben der Gesundheitsförderung und Intervention werden SGfH auch als therapeutisches Werkezeug bei physischen und psychischen Erkrankungen und zur Schulung von medizinischem Personal eingesetzt (Lampert, Schwinge, & Tolks, 2009).
3.2 Vorteile und Wirkmechanismen von Serious Games for Health
Die multimediale Vorteile und Potentiale in der Kombination von Computerspielen und der Vermittlung von Inhalten aus dem Gesundheitsbereiches stießen in der Forschung erst ab Anfang der 2000er Jahre auf immer größeres Interesse (Lampert, Schwinge, & Tolks, 2009). Kinder und Jugendliche verbringen sehr viel Zeit damit Videospiele zu spielen. Nach einer bundesweiten Erhebung spielen 93% der 10-18 Jährigen im Schnitt 104 Minuten pro Tag Computer- und Videospiele, wobei die Spieldauer mit dem Alter ansteigt (BITKOM, 2014). Aufgrund dieses umfangreichen Einsatzes sind Computerspiele ein sehr geeignetes Instrument um die Aufmerksamkeit von Kindern und Jugendlichen zu erreichen (Baranowski, Cullen, Nicklas, Thompson, & Baranowski, 2002). Neben der individuellen Zielwirkung eines SGfH (z.B. Wissensvermittlung), berichteten Autoren über eine Reihe von weiteren allgemeinen Wirkmechanismen von digitalen Spielen. Die Möglichkeit, sich an das Leistungsniveau des Spielers anpassen, führt zu Erfolgserlebnissen, welches mithilfe der zusätzlichen interaktiven Komponente eines SGfH zu einer Erhöhung der Selbstwirksamkeit führen kann (Fritz, 2003; Vollbrecht, 2008). Weitere Autoren berichten über Verbesserungen in der Einhaltung, Aushandlung und Durchsetzung von Regeln, der Regulierung von Konflikten, des Situationsbewusstseins, der Sozialkompetenzen, der Stress-Kontrolle, dem Umgang mit Misserfolgen und der Problemlösekompetenzen (Ohler, 2000; Castranova, 2005; Gebel, 2009; Tappscott, 2008,Wiemeyer, 2016). SGfH unterstützen auch motivationale, volitionale und emotionale Mechanismen, was eine gute Voraussetzung für ein erfolgreiches Lernen und dessen Umsetzung ist (Wiemeyer, 2016).
Um diese Potentiale zu nutzen und so gesundheitsrelevante Verhaltensänderungen bewirken zu können greifen die Entwickler von SGfH zumeist unterstützend auf Verhaltensmodelle zurück, welche sich in der Forschung vielfach bewährt haben und spezifische Einflussfaktoren auf das Verhalten beschreiben (Thompson et al., 2010; Wiemeyer, 2010;Baranowski, Lin, Wetter, Resnicow, & Hearn, 1997). Dies sind zumeist sozial-kognitiven Theorien, wie zum Beispiel die sozial-kognitive Lerntheorie nach Bandura (1986), die Theorie des geplanten Verhaltens nach Ajzen (2002) oder das von Schwarzer (2008) aufgestellte sozial-kognitive Prozessmodell des gesundheitlichen Handelns (Sostmann, Tolks, Fischer, & Buron, 2010; Baranowski, Buday, Thompson, & Baranowski, 2008; Majumdar, et al., 2015). Die Einflussfaktoren dieser Verhaltensmodelle (wie z.B. Wissen, Motivation, 18 Intention, Einstellung und die Selbstwirksamkeit) sollen durch die SGfH bewusst gefördert werden umso vermittelnd auf das Gesundheitsverhalten einzuwirken. So kann zum Beispiel die Motivation der Jugendlichen gezielt positiv beeinflusst werden indem Wissensinhalte in eine individualisierte und unterhaltsame Spielumgebung integriert werden (Wiemeyer, 2016).
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Um die bestmögliche Wirkung hinsichtlich der Zielstellung eines SGfH zu erreichen, bedarf es bestimmte Richtlinien und Gütekriterien für die Gestaltung von SGfH. Diesbezüglich ist die Literatur bisher noch sehr dünn. Allerdings bieten van Staalduinen und de Freitas (2011) mit ihrem „Games-based Learning Framework“-Modell (s. Abb. 4) erste Ansatzpunkte und Hilfestellungen, wie ein SG gestaltet werden sollte um möglichst effektiv zu sein.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 4. Games-based Learning Framework“-Modell nach van Staalduinen und de Freitas (2011)
Nach diesem Modell sind im ersten Schritt klare Lern- und Spielziele, sowie generelle Lerninhalte zu definieren, welche später auch für den Nutzer klar ersichtlich sein müssen. Auch andere Autoren betonen, dass die Wirksamkeit eines SGfH umso höher ist, desto präziser die Formulierung der Zielstellung und Zielgruppe erfolgte (Lampert, Schwinge, & Tolks, 2009). Demzufolge ist ein enger Handlungsrahmen für den Erfolg eines Spiels zu empfehlen (Sostmann, Tolks, Fischer, & Buron, 2010). Zusätzlich ist die Wahl des zur Zielstellung passenden Spielgenres essentiell. Wenn zum Beispiel das Spieldesign anstatt der Problemlösefähigkeit die Koordinationsfähigkeit fördert, kann die Zielstellung des SG nicht erreicht werden (Breitlauch, 2013). Weiter gilt es nach van Staalduinen und de Freitas (2011) den „Lernzyklus“ zu berücksichtigen, welcher das Nutzerverhalten, das Nutzerlernen, das Feedback sowie das Nutzerengagement beinhaltet. Der Zyklus sollte so angelegt
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