Sonderschulen gelten im deutschen Bildungssystem als Institutionen für Schüler, die einen erhöhten Förderbedarf haben. Der Ausländeranteil an Sonderschulen ist seit Mitte 2000 geringfügig gesunken, dennoch werden ausländische Schüler_innen überproportional an Förderschulen verwiesen.
Darüber hinaus sind große Unterschiede zwischen den einzelnen Bundesländern feststellbar. Ausgehend von dieser Entwicklung geht die Arbeit folgender Forschungsfrage nach: Worin liegen die Ursachen für die Überrepräsentation von Kindern mit Migrationshintergrund an Sonderschulen mit dem Förderschwerpunkt Lernen in ausgewählten Bundesländern?
Hierzu sollen die Ursachen für die Überrepräsentation von Kindern mit Migrationshintergrund an Sonderschulen in den einzelnen Bundesländern näher betrachtet werden. Die theoretische Rahmung wird anhand der Theorien von Pierre Bourdieu und James S. Coleman erläutert. Danach wird die institutionelle Diskriminierung, als mögliche Ursache für ethnische Ungleichheiten in schulischen Bildungseinrichtungen, näher betrachtet.
Im Anschluss folgt die Auswertung der empirischen Befunde. Da anhand des Vergleichs der Bundesländer der Bundesrepublik Deutschland Unterschiede festzustellen sind, wird ergänzend im Anschluss das Projekt "Migrantenkinder an Bielefelder Schulen – lokal- spezifische Bedingungen der Bildungsbeteiligung ausländischer Kinder und Jugendlicher in Bielefeld" vorgestellt. Nach Beantwortung der Forschungsfrage und unter Beachtung des Theorierahmens erfolgt das Fazit und es werden Handlungsempfehlungen aufgezeigt.
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung
2 Die Sonderschule in der Bundesrepublik - ein Überblick
3 Begriffsdefinitionen und Eingrenzung
3.1 Förderschüler_innen mit Migrationshintergrund
3.2 Förderschulen mit dem Förderschwerpunkt Lernen
4 Theoretischer Rahmen - Theorien des Kapitalansatzes
4.1 Der Kapitalansatz und der Habitus nach Pierre Bourdieu
4.2 Der Sozialkapitalansatz nach James S. Coleman
5 Die Institutionelle Diskriminierung
6 Empirische Befunde
6.1 Vergleich ausgewählter Bundesländer
6.2 Das Projekt „Migrantenkinder an Bielefelder Schulen"
6.3 Analyse und Perspektive
7 Antworten auf die Forschungsfrage
8 Fazit und Handlungsempfehlungen
Literaturverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
Tabellenverzeichnis
Anhang
1 Einleitung
Sonderschulen gelten im deutschen Bildungssystem als Institutionen für Schüler, die einen erhöhten Förderbedarf haben. Der Ausländeranteil an Sonderschulen ist seit Mitte 2000 geringfügig gesunken, dennoch werden ausländische Schüler_innen überproportional an Förderschulen verwiesen. Darüber hinaus sind große Unterschiede zwischen den einzelnen Bundesländern feststellbar (Diefenbach, 2008, S. 65). Ausgehend von dieser Entwicklung geht die Arbeit folgender Forschungsfrage nach:
„ Worin liegen die Ursachen für die Überrepräsentation von Kindern mit Migrationshintergrund an Sonderschulen mit dem Förderschwerpunkt Lernen in ausgewählten Bundesländern?“.
Hierzu sollen die Ursachen für die Überrepräsentation von Kindern mit Migrationshintergrund an Sonderschulen in den einzelnen Bundesländern näher betrachtet werden. Die theoretische Rahmung wird anhand der Theorien von Pierre Bourdieu und James S. Coleman erläutert. Danach wird die institutionelle Diskriminierung, als mögliche Ursache für ethnische Ungleichheiten in schulischen Bildungseinrichtungen, näher betrachtet. Im Anschluss folgt die Auswertung der empirischen Befunde. Da anhand des Vergleichs der Bundesländer der Bundesrepublik Deutschland Unterschiede festzustellen sind, wird ergänzend im Anschluss das Projekt „Migrantenkinder an Bielefelder Schulen - lokalspezifische Bedingungen der Bildungsbeteiligung ausländischer Kinder und Jugendlicher in Bielefeld" vorgestellt. Nach Beantwortung der Forschungsfrage und unter Beachtung des Theorierahmens erfolgt das Fazit und es werden Handlungsempfehlungen aufgezeigt.
2 Die Sonderschule in der Bundesrepublik - ein Überblick
Unter dem Begriff der Sonderschule wird eine spezielle Schulform für Schü- ler_innen verstanden, die einen erhöhten sonderpädagogischen Förderbedarf haben (Stechow von, 2016, S. 32). Die Bezeichnungen für diese Schulform sind vielfältig. Nach Kriegsende 1945 wird die Sonderschule noch als Hilfsschule bezeichnet und verbleibt weiterhin verhaftet in der Tradition der Heilpädagogik der Weimarer Republik. Im Jahr 1955 wird eine Umbenennung von der Hilfsschule in die Sonderschule vorgenommen. Zu einer Neuordnung des Sonderschulwesens kommt es im Jahr 1960. Es werden zwölf unterschiedliche Schultypen zur stärkeren Differenzierung eingeführt, die Blinden-, Hilfs-, Beobach- tungs- und Erziehungsschwierigkeitsschulen sowie eine Schule für Kranke, die Gefängnisschulen und Sonderberufsschulen. In dieser Zeit etablieren sich eigene schulische Behindertenbegriffe, wie lernbehindert, sprachbehindert oder verhaltensbehindert. Erst 1968 wird die sonderpädagogische Defektlogik kritischer betrachtet. Erste Schulversuche mit Integrationsklassen auf Grundlage der Integrationspädagogik erfolgen an einer öffentlichen Schule im Jahr 1975. In den 1990iger Jahren erfolgt ein Paradigmenwechsel und der Begriff der Sonderpädagogik wird ersetzt durch den Begriff des sonderpädagogischen Förderbedarfs (Stechow von, 2016, S. 34ff.) In der heutigen Zeit wird die Sonderschule in vielen Bundesländern als Förderschule bezeichnet, oder auch als Förderzentrum sowie als Schule mit sonderpädagogischem Förderschwerpunkt. Um eine Inklusion zu gewährleisten, bieten jedoch auch Regelschulen in den einzelnen Bundesländern sonderpädagogische Förderung an. Trotzdem gibt es im Schuljahr 2013/14 noch immer 343.343 Förderschulen in der Bundesrepublik Deutschland, mit verschiedenen Schwerpunkten. Unterschiedliche Förderschultypen sind speziell auf die jeweiligen Bedürfnisse der Schüler_innen angepasst. Dies erfolgt durch sonderpädagogischen Unterricht, da nicht alle sonderpädagogischen Maßnahmen in der Regelschule dem gewünschten Förderbedarf gerecht werden. Einen Überblick über die einzelnen Förderbereiche an Förderschulen/Sonderschulen zeigt die folgende Abbildung aus dem Schuljahr 2013/14.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 1:KMK, 2014, S.3
Die Abbildung zeigt für das Schuljahr 2013/14 die Grunddaten, die Anzahl der Schüler_innen, darunter ausländische Schüler_innen, die Klassen und die Anzahl an Lehrern von Förderschulen/Sonderschulen in der Bundesrepublik Deutschland. Sie macht deutlich, dass sich die Förderschwerpunkte in zwei große Bereiche untergliedern. Zum einen der Förderschwerpunkt Lernen mit dem höchsten prozentualen Anteil an ausländischen Schüler_innen und zum anderen der Bereich der sonstigen Förderschwerpunkte. Der Fokus in dieser Arbeit liegt auf den Förderschulen mit dem Förderschwerpunkt Lernen, da dies der Bereich mit dem größten Anteil an Schülern mit sonderpädagogischem Förderbedarf ist.
3 Begriffsdefinitionen und Eingrenzung
Im Folgenden werden einige Begriffe genauer definiert, um den Inhalt genauer bestimmt darzustellen; dies soll zu einem besseren Verständnis der Hausarbeit beitragen.
3.1 Förderschülerjnnen mit Migrationshintergrund
Unter den Begriff der Personen mit Migrationshintergrund fallen im Allgemeinen die Personen, die nach dem Jahr 1949 durch Zuwanderung aus einem anderen Gebiet nach Deutschland gekommen sind. Darüber hinaus zählen alle in Deutschland geborenen Ausländer_innen und alle als Deutsche geborenen mit mindestens einem zugewanderten Elternteil, oder einem als Ausländer_in in Deutschland geborenem Elternteil, zu dieser Gruppe. Im Schuljahr 2013/14 besuchten 8,4 Mio. Schüler_innen allgemeinbildende Schulen in Deutschland. Nichtdeutscher Herkunft waren davon 7,2%. In den letzten Jahren ist die abnehmende Schülerzahl an ausländischen Schülerinnen und Schülern auf das Geburtsrecht auf die deutsche Staatsbürgerschaft zurückzuführen. Seit dem Jahr 2000 erhält ein Kind ausländischer Eltern die deutsche Staatsangehörigkeit, wenn die Eltern sich seit acht Jahren regelmäßig in Deutschland mit einer Aufenthaltsberechtigung befinden, oder seit drei Jahren eine unbefristete Aufenthaltsgenehmigung nachweisen können. Das Kind dieser Eltern erhält die doppelte Staatsangehörigkeit und muss sich erst mit dem vollendeten 18. Lebensjahr für eine Staatsangehörigkeit entscheiden. In der Statistik werden doppelte Staatsangehörigkeiten in der Regel als Deutsche nachgewiesen (Statistisches Bundesamt, 2016, S. 18). Ausländische Schüler_innen besuchen etwa doppelt so häufig eine Förderschule mit dem Förderschwerpunkt Lernen, wie deutsche Schüler_innen. Sie konnten somit nur halb so oft eine „normale" Bildungskarriere, wie deutsche Schüler_innen, durchlaufen (Diefenbach, 2008, S. 65). In dieser Arbeit liegt der Schwerpunkt auf den Schülern mit Migrationshintergrund an Förderschulen.
3.2 Förderschulen mit dem Förderschwerpunkt Lernen
Der Begriff der Sonderschule/Förderschule mit seiner geschichtlichen Entwicklung ist bereits unter dem Punkt 2 dargestellt worden. Im Bereich der Förderschule mit dem Schwerpunkt Lernen findet sich die höchste prozentuale Beteiligung ausländischer Schüler_innen, im Vergleich zu den einheimischen Schü- ler_innen bedeutet dies eine Überrepräsentation (Kommann, S. 72). Auf Grundlage der Statistischen Ämter des Bundes und der Länder sowie der statistischen Veröffentlichungen der KMK (Kultusministerkonferenz) soll der quantitative Umfang der sonderpädagogischen Förderung auf Bundes- und Bundesländerebene für das Schuljahr 2013/14 abgebildet werden. Dies dient einem detaillierten Überblick über sonderpädagogische Förderung in den 16 Bundesländern seit Inkrafttreten der UN-Behindertenkonvention in Deutschland im Jahr 2009. Die Konvention hat zum Ziel, dass Menschen mit Behinderung die vollständige Integration in das allgemeine Bildungssystem ermöglicht wird (Artikel 26 UN-Behindertenrechtskonvention). Im Schuljahr 2013/14 existieren in Deutschland noch 3191 Sonderschulen/Förderschulen (Statistisches Bundesamt 2014., S. 17). Die Zahl der Förderschulen ist leicht rückläufig. Dabei betrug der Anteil der ausländischen Schüler_innen 2,7% im Vergleich zu 1,3% deutscher Schüler_innen, die eine Sonderschule/Förderschule mit dem Förderschwerpunkt Lernen besucht haben (ebd.). In der folgenden Abbildung wird der prozentuale Anteil ausländischer Schüler_innen an Sonderschulen mit dem Förderschwerpunkt Lernen in den einzelnen Bundesländern (siehe Abkürzungen der Ländernamen der BRD im Anhang A) gezeigt.
Abbildung 2: Anteil deutsche und ausländische Schüler_innen an Förderschulen mit dem Schwerpunkt Lernen in den einzelnen Bundesländern im Schuljahr 2013/14
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Quelle: Statistisches Bundesamt; eigene Darstellung
Die Abbildung zeigt den Anteil ausländischer Schüler_innen im Vergleich zum Anteil deutscher Schüler_innen in den einzelnen Bundesländern. Eine Überrepräsentanz ausländischer Kinder in Sonderschulen mit dem Schwerpunkt Lernen finden sich in den alten Bundesländern und Berlin. Im Gegensatz dazu, weisen die ostdeutschen Bundesländer einen sehr geringen Anteil an ausländischen Schülern auf. Es scheint sich somit um ein westdeutsches Phänomen zu handeln. Eine genauere Betrachtung wird im Kapitel 6.1 vorgenommen. Die Ursachen für die dargestellten Fakten werden im folgenden Kapitel anhand der Kapitaltheorie dargestellt.
4 Theoretischer Rahmen - Theorien des Kapitalansatzes
Bei der Untersuchung von Klassenlagen werden Indikatoren wie Marktposition, Beziehung zu den Produktionsmitteln und dem Beruf gerne als analytischen Gegenstand herangezogen. Die Klassenlagen einzelner lassen sich jedoch nicht allein durch wirtschaftliche und Beschäftigungsfaktoren festmachen, sondern der Lebensstil und die Konsumgewohnheiten sind ebenfalls von hoher Relevanz. Für den französischen Soziologen Pierre Bourdieu ist der Kapitalbegriff nicht ausschließlich ökonomisch geprägt, sondern liefert der Lebensstil einen Hinweis auf die Klassenlagen. Er nennt drei grundlegende Arten von Kapital, die diese Klassenlagen bestimmen, das ökonomische Kapital, das kulturelle und das soziale Kapital (Bourdieu, 1983, S. 184f.). Coleman definiert das soziale Kapital, anders als Bourdieu, über seine Funktion. Es setzt sich aus einer Vielzahl verschiedener Gebilde zusammen, die zwei gemeinsame Merkmale haben. Zum einen bestehen sie aus einem Aspekt einer Sozialstruktur und zum anderen werden bestimmte Handlungen von Individuen begünstigt, die sich innerhalb dieser Struktur befinden (vgl. Coleman, 1991, S. 392). Soziales Kapital besteht in der Beziehungsstruktur zwischen zwei oder mehr Personen.
4.1 Der Kapitalansatz und der Habitus nach Pierre Bourdieu
Pierre Bourdieu (1930-2002) hat sich in seinen Arbeiten intensiv mit dem mehrdimensionalen Raum sowie dem Habitus und der Kapitaltheorie auseinandergesetzt. Das Kapital definiert Bourdieu als akkumulierte Arbeit, das Anwachsen und sich reproduzieren kann (Bourdieu, 1983, S. 183). Die Positionen im sozialen Feld richten sich nach der verfügbaren Kapitalmenge. Eine größere Kapitalmenge ermöglicht eine bessere Position im sozialen Feld. Als Kapitalformen gelten das ökonomische, das soziale, das kulturelle und das symbolische Kapital. Zum ökonomischen Kapital gehören beispielsweise das direkte Vermögen eines Individuums, oder auch Aktien, oder Immobilien. Ökonomisches Kapital ist in Geld konvertierbar (Bourdieu, 1983, S. 185).Das kulturelle Kapital unterteilt Bourdieu in drei Formen, in das inkorporierte, in das objektivierte und in das institutionelle Kapital. Das inkorporierte Kapital besteht aus der Form von Bildung, die jemand genossen hat. Es ist zum festen Bestandteil der Person, zum Habitus geworden (Bourdieu, 1983, S. 187). Inkorporiertes Kapital wird durch soziale Vererbung weitergegeben (Bourdieu, 1983, S. 187). Das objektivierte Kulturkapital umfasst Güter, wie beispielsweise eine Gemäldesammlung, Literatur oder das Bedienen von Musikinstrumenten, die nur mit dem Wissen durch Inkorporation wirksam werden (Bourdieu, 1983, S. 185). Das institutionelle kulturelle Kapital ist das Kapital, dass durch einen schulischen, oder akademischen Titel institutionelle Anerkennung erlangt (Bourdieu, 1983, S. 190).Es dient dazu, das inkorporierte Kapital sichtbar zu machen, so dass es auf dem Markt der Titel gegen „Arbeitskraft“ eingetauscht werden kann (Bourdieu, 1979, S. 363). Das soziale Kapital bedeutet für Bourdieu die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe. Hierbei entscheidend ist das soziale Netz der Beziehungen der einzelnen Personen und deren Kapital. Unabdingbar ist dafür die Beziehungsarbeit. Durch die Anerkennung der einzelnen Personen innerhalb der Gruppe reproduziert und bestätigt sich diese (Bourdieu, 1983, S. 190). Soziales Kapital lässt sich ebenfalls in ökonomisches Kapital umwandeln. Das symbolische Kapital wird durch Anerkennung und Prestige erworben. Dies kann möglich werden durch den Einsatz aller anderen Kapitalsorten. Zeichen für symbolisches Kapital sind bestimmte Privilegien, Prestige und Positionen, die über das Verfügen der anderen Kapitalsorten sowie anderer distinktiver Ausdrucksformen, wie Sprache, Kleidung oder Verhalten zum Ausdruck kommen. Die Anerkennung bzw. das Erkennen des kulturellen Musters werden als Machtmittel eingesetzt (Bourdieu, 1979, S. 353).
Die Kapitaltheorie von Bourdieu macht deutlich, dass der Bildungserfolg eines Kindes von der vorhandenen Kapitalausstattung des Elternhauses maßgeblich abhängig ist. Kinder aus sozial schwächeren Familien finden sich im Verlauf ihres Werdeganges oftmals in Tätigkeitsbereichen wieder, die denen ihrer Eltern ähnlich sind (Jungkamp/John-Ohnesorg, 2016, S. 7-9).
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