Ist es möglich Missfallen und Nichteinverstandensein wirksam zu bekunden, ohne die Stimme zu erheben und ohne in Aktion im herkömmlichen Sinne zu treten? Ohne Parolen zu skandieren, ohne Bewegung und ohne Plakate, auf denen Forderungen geschrieben stehen oder Symbole abgebildet sind, die auf solche verweisen? Erdem Gündüz, ein türkischer Choreograph und Tänzer, hat im Zuge der sogenannten Gezi-Proteste in der Türkei im Jahr 2013 genau das getan und stundenlang im öffentlichen Raum an einem zentralen Ort in Istanbul gestanden und geschwiegen, um so sein Missfallen bezüglich der Machenschaften der Regierung zu äußern. Bereits einen Tag später gehen die Bilder seines stummen Protests um die Welt. In sozialen Netzwerken wird er als Duran Adam (der stehende Mann) bekannt, findet Nachahmer und wird regelrecht zu einer Ikone der Proteste.
Wodurch kann Gündüz‘ Schweigen und Nichttun zu diesem Zeitpunkt eine derartige Wirkung entfalten und wie sieht diese konkret aus? Inwiefern kann sich im Schweigen und Nichttun eine Botschaft manifestieren? Was sind Eigenschaften des Schweigens und Nichttuns? Vor welche Herausforderungen stellt uns eine Untersuchung eines solchen Nichttuns und Nicht(s)sagens aus performativitätstheoretischer Perspektive? Diesen Fragen soll sich im Folgenden angenähert werden. Dabei werde ich zunächst auf die derzeitigen Geschehnisse und die politische Lage in der Türkei eingehen, um Gündüz‘ (Nicht)Tun einordnen zu können. Anschließend soll ein Blick auf Charakteristika und Besonderheiten des Performativen und deren Bedeutung für die Untersuchung von Gündüz‘ „Aktion“ geworfen werden. Beispielhaft wird auf unterschiedliche Formen des Schweigens eingegangen und anhand einer Videoaufzeichnung die unmittelbare Wirkung analysiert, die Gündüz mit seinem Schweigen und Nichttun auf seine Mitmenschen ausübt. Einer Untersuchung der Eigenschaften des Schweigens und Innehaltens folgt schließlich eine Analyse und Interpretation des schweigenden, stehenden Mannes im Gesamtkontext, bevor gewonnene Erkenntnisse in einer Schlussbetrachtung zusammengetragen werden.
Inhalt
1 Einleitung
2 Ursprung und Entwicklung der Proteste im Gezi-Park
3 Perspektiven des performativen Nichttuns
3.1 Schweigen ist nicht gleich Schweigen
4 Schweigen und Irritation bei Erdem Gündüz
4.1 Wenn Nichttun und Nicht(s)sagen zur Bedrohung wird - Eine Videoanalyse
5 Was können Schweigen und Nicht-Handeln, was Reden und Tun nicht können?
6 Rezeption, Interpretation und Wirkung
7 Schlussbetrachtung
Quellenverzeichnis
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