Die Europäische Union hat sich seit ihrer Gründung im Jahre 1957 nicht nur geographisch erweitert, es hat sich in ihr auch immer mehr eine ökonomische und politische Integration vollzogen.
Für diesen Prozess, der sich langsam, in kleinen Schritte, aber scheinbar unaufhaltsam vollzogen hat, sind verschiedene institutionelle Reformschritte unabdingbar. Nur so kann einerseits die Legitimation der EU durch Institutionen und Verfahren und auf der anderen Seite die Effizienz des Entscheidungsprozesses und ihres Outputs verbessert werden.
Um längerfristig die Akzeptanz der Gemeinschaft bei den Bürgern zu gewährleisten, bedarf es zusätzlich einer grundlegenden Debatte über die Zukunft des Integrationsprozesses. Die Union muss ihren Bürgern Orientierung und Identifikation bieten, ihnen die Grundlagen und Ziele ihrer Politik vermitteln und die politischen Partizipationsmöglichkeiten verbessern.
Auf dem Weg zur Vollendung dieser Ziele sind konkrete Schritte erforderlich, ohne dass sich hieraus bereits Vertragsänderungen oder gar ein verfassungsgebender Akt ergeben müssen. Ein wichtiges Element dieser Verfassungsdebatte könnte dabei die Art und die Reichweite der geplanten Grundrechtscharta bilden.
Diese Arbeit setzt sich auseinander mit der Vorbereitung eines wichtigen Integrationsschrittes, der Charta der Grundrechte der Europäischen Unio. Das Dokument wurde auf den Gipfeln von Köln, Tampere und Brüssel vorbereitet. Um die Eigenheiten dieser Gipfel, insbesondere den „Verfassungskonvent“, der im Dezember 1999 für ein Jahr die Arbeit aufnahm, und im März 2002 fortgesetzt werden soll, wird es im weiteren gehen.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Der Verfassungskonvent zur Erarbeitung einer Grundrechtscharta für die EU
2.1 Die historischen Rahmenbedingungen
2.2 Die Gipfel von Köln und Tampere
2.2.1 Entwurf für eine Grundrechtscharta
2.2.2 Bedeutung europäischer Grundrechte
2.3 Besonderheiten des Verfassungskonvents
2.3.1 Zusammensetzung des Konvents
2.3.2 Verfahrensweise des Verfassungskonvents
2.3.3 Funktion der NGOs
2.4 Das Gipfeltreffen von Laeken vom 14./ 15. Dezember 2001
2.4.1 Beschlüsse des Konvents
2.4.2 Zusammensetzung des Konvents
2.4.3 Verfahrensweise des Konvents
2.5 Besonderheiten und Ergebnis für den Konvent
3. Fazit und Ausblick
4. Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Die Europäische Union hat sich seit ihrer Gründung im Jahre 1957 nicht nur geographisch erweitert, es hat sich in ihr auch immer mehr eine ökonomische und politische Integration vollzogen.
Für diesen Prozess, der sich langsam, in vielen kleinen Schritten[1], aber scheinbar unaufhaltsam vollzogen hat, sind verschiedene institutionelle Reformschritte unabdingbar. Nur so kann[2] einerseits die Legitimation der EU durch Institutionen und Verfahren und auf der anderen Seite ihre Effizienz des Entscheidungsprozesses und ihres Outputs erhöht und verbessert werden.
Um längerfristig die Akzeptanz der Gemeinschaft bei den Bürgern zu gewährleisten, bedarf es allerdings zusätzlich einer grundlegenden Debatte über die Zukunft des Integrationsprozesses. Die Union muss ihren Bürgern Orientierung und Identifikation bieten, ihnen die Grundlagen und Ziele ihrer Politik vermitteln und die politischen Partizipationsmöglichkeiten verbessern.
Auf dem Weg zur Vollendung dieser Ziele sind konkrete Schritte erforderlich, ohne dass sich hieraus bereits „Vertragsänderungen oder gar ein verfassungsgebender Akt ergeben müssen. Ein wichtiges Element dieser Verfassungsdebatte könnte dabei die Art und die Reichweite der geplanten Grundrechtscharta bilden.“[3]
Diese Arbeit setzt sich auseinander mit der Vorbereitung eines wichtigen Integrationsschrittes, der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, insbesondere mit der Entstehung und den Besonderheiten des Verfahrens, das zur Grundrechtecharta führte. Das Dokument wurde auf den Gipfeln von Köln, Tampere und im letzten Jahr in Brüssel vorbereitet. Um die Eigenheiten dieser Gipfel, insbesondere um das Gremium, das die Grundrechtecharta ausarbeitete, den „Verfassungskonvent“, der im Dezember 1999 für ein Jahr die Arbeit aufnahm, und im März 2002 fortgesetzt werden soll, wird es im weiteren gehen. Die Arbeitsweise und die Zusammensetzung dieses Verfassungskonvents – eigentlich sind es zwei Konvente, die jedoch einen gemeinsamen Nenner haben, und daher gemeinsam behandelt werden können - soll Thema dieser Arbeit sein.
Dabei wird in einem ersten Schritt eingegangen auf die historischen Rahmenbedingungen, was also dem ersten Konvent voranging, wie es vorher um die europäische Integration bestellt war, aber auch mögliche Auswirkungen des Konvents werden hier dargestellt.
Weiter geht es um das Zustandekommen der beiden Gipfel, wie es zum Beschluss der Erarbeitung und der Notwendigkeit einer Grundrechtecharta kam, und in welchem Bereich seine Ziele lagen.
Danach wird näher auf den Verlauf des Verfassungskonvents einzugehen sein. Wer nahm daran teil, wer hatte theoretisch, wer hatte faktisch etwas zu sagen?
Die Frage nach den Teilnehmern am Konvent von Tampere führt dann zum Kapitel über die Besonderheiten des Konvents. Solch ein Konvent an sich war nämlich eigentlich nichts Besonderes, schon früher trafen sich die Staats- und Regierungschefs der Mitgliedsstaaten, um Beschlüsse hervorzubringen, oder Kompromisse vor einer Regierungskonferenz herauszuarbeiten. Das Neue an diesem Konvent allerdings war seine spezifische Zusammensetzung.
In einem zweiten Teil wird auf die Sitzung des Europäischen Rates in Laeken am 14. und 15. Dezember 2001 eingegangen werden. Insbesondere werden die Beschlüsse dieses Konvents beleuchtet. Erneut werden die Zusammensetzung und die Verfahrensweise untersucht, bevor die Besonderheiten und die Ergebnisse des Verfassungskonvents zusammenfassend dargestellt werden.
Welchen Einfluss die Zusammensetzung der Verfassungskonvente allerdings in der politischen Praxis in der Zeit danach anmelden konnte, wird abschließend zu diskutieren sein.
2. Der Verfassungskonvent zur Erarbeitung einer Grundrechtscharta für die EU
Ende März 1957 trafen sich die Regierungschefs der sechs Mitgliedsstaaten der EGKS oder Montanunion, um diese bescheidene sektorale Integration europäischer Staaten auf weitere Bereiche auszuweiten. Die Ziele der Gründungsstaaten, die Benelux-Staaten, Frankreich, Italien und Deutschland, bestanden darin, die Idee einer Kooperation auf europäischer, supranationaler Ebene im Bereich der Wirtschaft und auf lange Sicht auch anderer Bereiche zu vollenden. Die Konsequenz aus diesem in den Römischen Verträgen festgehaltenen Beschluss läutete einen Prozess ein, der bis heute andauert und wohl noch lange andauern wird. Ein Prozess nämlich, der immer weiterreichende Beschlüsse nach sich zog, immer mehr und neue Bereiche der Politik, Wirtschaft und schließlich auch der Justiz unter einem Dach vereinte; und nicht zuletzt ein Prozess, dessen Idee immer mehr Anhänger fand, so dass sich aus diesem „Club der Sechs“ ein größerer Staatenverband bildete, derzeit bestehend aus 15 Mitgliedsstaaten, 2004 sollen weitere dazukommen. Das obere Limit ist (fast) offen, „das große Europa der 28 oder mehr Mitgliedsstaaten ist vereinbart und wird Wirklichkeit werden.“[4]
Die steigende Zahl der Mitgliedsstaaten führt uns an die Crux der Union und damit an das Problem dieser Arbeit heran: Wie kann man gemeinsame für alle geltende und für alle vertretbare Kompromisse erlangen, ohne dass dabei jemand bevorzugt oder benachteiligt wird? Und wer soll an diesem Entscheidungsprozess mitwirken?
Die Methode, die sich seit Anbeginn bis zum heutigen Tage v.a. durchgesetzt hat, ist die der nationalen Entscheidungen auf Regierungskonferenzen: die Staats- und Regierungschefs der Mitgliedsstaaten treffen sich in zwei oder mehr Jahresabstand, um über anstehende Probleme, und über deren Lösungsmöglichkeiten zu diskutieren und schließlich einen Kompromiss zu finden. Die politische Praxis allerdings sah i.d.R. so aus, dass die größten und politisch einflussreichsten Länder(chefs) – d.h. also Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Italien und Spanien – entschieden, welche Probleme behandelt werden und wie die Lösung dieser Probleme auszusehen hätte. Kleinere Länder hatten bestenfalls die Möglichkeit, sich gegenseitig zu verbünden, und auf diese Weise Beschlüsse zu verhindern. Nationale Akteure, Parteien oder Nichtregierungsorganisationen hatten in der Praxis kaum Einflussmöglichkeit.
Dieses System der Regierungskonferenzen, die zu immer neuen Gesetzen, Gesetzesüberarbeitungen und Verträgen führte, bringt – wie man sich leicht vorstellen kann – einen ungeheuren bürokratischen Aufwand, Kosten und Energie mit sich. Der Bürokratismus verstärkt sich natürlich weiter, je mehr Staaten der Union beitreten, je mehr Staats- und Regierungschefs ihre verschiedenen Ideen und Präferenzen haben und diese durchsetzen wollen. Kleinere Länder und nichtstaatliche Akteure verlieren in diesem System weiter an Bedeutung und Einflussnahme. Die Legitimation der Europäischen Union verliert zunehmend an Boden.
Ziel der hier vorliegenden Arbeit soll sein, die spezifische Zusammensetzung des sogenannten Verfassungskonvents dahingehend zu untersuchen, ob deren charakteristische Mitgliederzusammensetzung einen positiven Einfluss auch auf andere Verfahren in der Europäischen Union haben kann. Außerdem gilt es festzustellen, wie effizient sie arbeiten konnten, welche Vorteile und Nachteile diese Zusammensetzung hatte.
2.1 Die historischen Rahmenbedingungen
Die Berufung des einzelnen Bürgers auf rechtlich einklagbare Rechte hat schon eine lange Tradition, sie wird nicht erst seit Gründung der Europäischen Gemeinschaft thematisiert. Auch in den Nationalstaaten war die Einrichtung von Grundrechten wichtiger Bestandteil der politischen Legitimation.
Innerhalb der Europäischen Union praktizierte der Europäische Gerichtshof schon seit 1969 die Einbeziehung nationaler Grundrechte in seine Urteile. Seit 1974 erfolgten auch schon einzelne Schritte in Richtung auf die Entwicklung europäischer Grundrechte, unter Bezugnahme auf die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) von 1950. Es gab allerdings keinen spezifischen Grundrechts-Katalog, die EU ist auch nicht ausdrücklich der EMRK beigetreten.
Schon nach den beiden Weltkriegen verstärkte sich die Kooperation auf internationaler Ebene, insbesondere durch International Governmental Organisations (IGOs), wie z.B. die UNO oder den Europarat. Später wurde das „Regieren jenseits des Nationalstaates“ zur Regel, die EU kam dem Status eines Staates immer näher.
Seit Anfang der 90er greift die EU immer weiter in die Befugnisse der Bürger ein, auch in ungewohnte oder ungewöhnliche Bereiche, wie z.B. Sport oder Kultur etc. Eingriffe erfolgen durch
- EG-Verordnungen, die verbindlich in den Mitgliedsstaaten gelten
- EG-Richtlinien, diese müssen in nationales Recht umgesetzt werden
- Europäisches Recht, das die Mitgliedsstaaten verpflichtend bindet
Nach bisheriger Auffassung besitzen Staaten ein Hoheitsrecht, dieses kann durch rechtskräftige GR eingeschränkt werden. Deswegen wurde die Forderung nach einer Grundrechtecharta für die Europäische Union immer lauter; auch ließe sich dadurch die Bürgerferne einschränken.
Der Ruf nach Legitimität und Transparenz in den Entscheidungsprozessen der EU wurde immer lauter, das Verlangen nach einer Grundrechtsabsicherung und einer Konstitutionalisierung der Machtbefugnisse der EU wuchs. Die Grundrechtscharta der EU sollte den Grundstein für eine künftige europäische Verfassung bilden, aus der sich die Herrschaftsmacht der EU ableiten lassen sollte.
2.2 Die Gipfel von Köln und Tampere
2.2.1 Entwurf für eine Grundrechtscharta
Die Staats- und Regierungschefs der Mitgliedsstaaten trafen sich auf der Tagung des Europäischen Rates in Köln am 3. und 4. Juni 1999. Dort wurde u.a. beschlossen, einen Entwurf für eine Charta der Europäischen Grundrechte zu erstellen, um[5] die sichtbare Verankerung von Grundrechten und ihre Tragweite für die Unionsbürger deutlich zu machen. In der Vergangenheit wurde die Festschreibung von Grundrechten auf europäischer Ebene zumeist als integraler Bestandteil einer (wie auch immer gearteten) europäischen Verfassung verstanden, und nicht, wie in Köln beschlossen, auf ein einzelnes Dokument reduziert. Die Frage, ob dieses die Vorstufe einer solchen Verfassung bilden könnte, kann hier nicht näher erörtert werden.
Auf der Tagung des Europäischen Rates in Tampere am 15. und 16. Oktober 1999 wurde der Beschluss, einen Grundrechtskatalog zu erarbeiten, gefestigt. Hier wurde auch die Zusammensetzung dieses Gremiums, des „Verfassungskonvents“, präzisiert. Es sollten „ 15 Beauftragte der Staats- und Regierungschefs der EU-Mitgliedsstaaten, ein Beauftragter des Präsidenten der EU-Kommission, 16 Mitglieder der Europäischen Parlamentes, sowie 30 Mitglieder der nationalen Parlamente (zwei aus jedem Mitgliedsstaat) die von den nationalen Regierungen benannt werden, teilnehmen“[6] (siehe unten).
Die auf diesem Konvent erarbeitete Charta der Europäischen Grundrechte, so die Forderung einiger Mitgliedsstaaten, sollte „als Ergebnis der Regierungskonferenz 2004 durch Einbeziehung in die Verträge in Kraft gesetzt werden“[7].
Erste Differenzen ergaben sich in der Diskussion über die verfassungsrechtliche Frage der Stellung der Grundrechte über Legislative und Exekutive[8]. Weiterhin galt es Schwierigkeiten über das Spannungsverhältnis zwischen Individuum und der Allgemeinheit und der juristischen Implikation der Grundrechte zu klären.
Es entstand eine kontroverse Debatte über die prinzipielle Notwendigkeit einer Grundrechtecharta[9], denn ein ausreichender Grundrechtsschutz sei auch ohne die Charta gewährleistet, so die Kritiker einer europäischen Verfassung.
Die Tradition von Grundrechten unterscheidet sich in den Mitgliedsstaaten erheblich voneinander. In Großbritannien beispielsweise gilt die Souveränität des Parlaments als unantastbar. In Deutschland, Österreich, Italien und Spanien ist die Verfassungsgerichtsbarkeit als Rahmenordnung für Legislative und Exekutive unverzichtbarer Bestandteil des Rechtsstaates ist. Somit können die Verfassungsgerichtshöfe die ordnungsgemäße Umsetzung der Grundrechte kontrollieren. Im Gegensatz dazu gilt in Großbritannien die Souveränität des Parlaments als unantastbar.
Auch in Staaten wie Dänemark, Schweden, den Niederlanden und selbst in Frankreich ist ein System verfassungsgerichtlicher Rechtsprechung unbekannt. Dort gelten die Gesetze des Parlaments weitgehend noch als das, „was seit Jean-Jacques Rousseau als ‚volonté générale“ bezeichnet wird.“[10]. Allerdings ist dieser gemeinsame Wille gebunden an überliefertes Recht, bei den Briten etwa die Magna Charta von 1215. Diese Unterschiede lieferten Anlass für weitere kontroverse Diskussionen.
[...]
[1] Über verschiedene Regierungskonferenzen und Verträge, Überblick bei Weidenfeld, Werner (Hrsg.), 1999: Europa-Handbuch. Bundeszentrale für politische Bildung, Bonn, 17-75.
[2] nach Bertelsmann Europa-Kommission (Hrsg.), 2000: Europas Vollendung vorbereiten, Forderungen an die Regierungskonferenz 2000, S.35
[3] ebd.
[4] Europa-Kommission, 43
[5] vgl. Hohmann, Harald, 2000: Die Charta der Grundrechte der Europäischen Union. Ein wichtiger Beitrag zur Legitimation der EU, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 52-53/ 2000, 6
[6] ebd., 7
[7] Danwitz, Thomas von, 2001: Zwischen Symbolismus und Realismus. Die Grundrechtecharta der Europäischen Union, in: Internationale Politik, 56 Jg., Nr. 2, 38
[8] im Folgenden siehe auch Danwitz, 38
[9] Knelangen/ Varwick, 469
[10] Danwitz, 38
- Quote paper
- Nick Scheder (Author), 2002, Der Verfassungskonvent zur Erarbeitung einer Grundrechtecharta für die EU, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/3652