In seiner Politeia diskutiert Platon die Möglichkeit einer idealen Staatsordnung. Bei der Frage, ob und wie die Menschen gebildet werden können, verwendet Platon berühmte Höhlengleichnis. Es geht darum, ob und wie der Mensch die Wahrheit erkennen kann. So einfach dieses Gleichnis auf dem ersten Blick scheint, so viel Tiefe und Komplexität offenbart es doch. Die Arbeit nähert sich dem Phänomen und versucht es umfassend und eingängig zu deuten.
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung
2 Erörterung der Gleichnisse
2.1 Bedeutung und Grundlage der Gleichnisse
2.1.1 Das Sonnengleichnis(Die Idee des Guten)
2.1.2 Das Liniengleichnis oder die Ebenen der Erkenntnis
2.1.3 Das Höhlengleichnis - eine Apologie der Philosophie
2.2 Intention
3 Konflikte bei der Interpretation
4 Zusammenfassung und Schluss
Literaturverzeichnis:
1 Einleitung
Gleichnisse werden gerne immer dann eingesetzt, wenn die Vorstellungskraft, die Auffassungsgabe oder das Wissen derer, denen etwas erklärt wird, nicht ausreicht, um den betreffenden Begriff zu erfassen. So verwendete etwa Jesus Gleichnisse im Gespräch mit seinen Jüngern, Eltern, wenn sie ihren Kindern die Geheimnisse der Fortpflanzung näher bringen wollen (Blümchen und Bienchen), Lehrer schreiben ganze Chemiebücher in Romanform und Politiker flüchten sich in Gleichnisse meist dann, wenn sie selbst nicht so recht weiterwissen. Auch Philosophen, deren Gedankengänge für die meisten ihrer Zeitgenossen oft nur schwer nachzuvollziehen sind, bedienten sich zu allen Zeiten anschaulicher Vergleiche.
Oft genug ein Vorstoß in eigner Sache, denn nicht selten haben die „Weisheitsliebenden“ selbst nur ein vages Gefühl oder eine schwammige Vorstellung von etwas. Sie formulieren diese Idee dann praktisch über das Gleichnis aus. Ähnlich wie in der Geometrie, wo man sich einer gezeichneten Grundlage als Gedächtnisstütze und Hilfsmittel für weitere Überlegungen bedient.
Ein besonders markantes Beispiel findet sich hierfür in der Politeia, wo sich Platon einer kunstvoll auf einander abgestimmten Dreier-Serie von Gleichnissen bedient, um die Idee des Guten zu erörtern. Apropos „Idee des Guten.“ Platon wird ja gerne nachgesagt, dass sich zwischen den Zeilen seines „Staates“ eine ungeschriebene Lehre verbirgt. Denn bis heute nicht befriedigend geklärt, was Platon mit der Idee des Guten eigentlich meint. Viele Indizien weisen darauf hin, dass es aber nicht einfach nur ein „Nichtwissen“ ist. Selbst wenn dies vermeintlich im Dialog zwischen Sokrates und Glaukon anklingt: „Wie? Scheint es dir denn recht, wie ein Wissender über Dinge zu reden, über die man nichts weiß?“[1] Andererseits macht er die Einsicht in das Gute zur Bedingung für den Wächterstand, den er in seiner Utopie für die Regierung auserkoren hat: „Unsere Verfassung wird also doch dann ihre abschließende Ordnung und Gestaltung erhalten haben, wenn ein solcher Wächter die Aufsicht über sie führt, der diese Kenntnis besitzt?“[2] Ein deutlicher Hinweis, dass Platon die Idee des Guten als durchaus mit dem menschlichen Geist erfassbar ansieht. Eine detaillierte Erörterung dieses Problems würde jedoch den Rahmen dieser Arbeit sprengen,. Ich werde mich im Folgenden deshalb auf die textimmanenten Gesamtzusammenhänge konzentrieren, wie sie im Sonnen-, das Linien- und Höhlengleichnis deutlich werden. Weiterhin möchte ich auf Funktion, Bedeutung und Interpretationsansätze eingehen.
2 Erörterung der Gleichnisse
2.1 Bedeutung und Grundlage der Gleichnisse
Platon beschreibt in der Politieia bekanntlich nicht nur den Aufbau eines nach seinem Empfinden idealtypischen Staates, sondern geht auch en detail auf die Tugenden ein, die dessen Erhaltung und Wohlergehen dienen. Da wären unter anderem die vier Kardinaltugenden wie Wohlberatenheit, die Tapferkeit, die Besonnenheit und die Gerechtigkeit. Nun fragt Adeimantos Sokrates in der Politeia aber zu recht: „Sind denn nicht eben diese Dinge die höchsten, oder sollte es noch etwas Höheres geben als die Gerechtigkeit und das andere, das wir erörtern?“[3] Für Sokrates bzw. Platon ist dieses Höchste die Idee des Guten: „Durch ihre Mitwirkung wird das Gerechte und alles sonstige dieser Art überhaupt erst heilsam und nützlich.“[4] Dennoch ist die menschliche Seele des Guten keineswegs gewiss: „Denn sie ahnt, dass es etwas sei, ist aber unsicher und vermag es in seiner wahren Bedeutung nicht hinreichend zu erfassen, kann auch nicht zu einer festen Überzeugung darüber gelangen wie bei den anderen Dingen. Das ist denn auch der Grund, weshalb sie das übrige verfehlt, wo etwa ein Nutzen zu erwarten stand.“[5] Es scheint also, dass zumindest die Wächter und Regierenden dieser Kenntnis sicher sein müssen, wollen sie den Staat zu wahrer Größe verhelfen.
Um nun diese leidlich abstrakte Vorstellung zu konkretisieren, bedient sich Platon - wie bereits erörtert - einem Netzwerk aus drei Gleichnissen. Ausgangspunkt der Erörterung ist das Sonnengleichnis, das zunächst Wirkung und Wesen der Idee des Guten veranschaulicht. Im Liniengleichnis schließlich wendet sich Platon den verschiedenen Ebenen des Wissens zu, die er in direkter Abhängigkeit zur Idee des Guten beschreibt. Das Höhlengleichnis schließlich dient Platon als Synthese der bisher gewonnenen Erkenntnis, birgt aber auch eine sozial integrative Komponente, geht es doch auf die Rolle des Philosophen in der Gesellschaft ein und bestimmt dessen Standpunkt und Funktion in diesem vorgegebenen Raster.
2.1.1 Das Sonnengleichnis(Die Idee des Guten)
In der Chemie werden Stoffe, die einen chemischen Prozess beschleunigen oder verlangsamen, ohne dass sie dabei selbst ihren Zustand dauerhaft ändern, Katalysatoren genannt. Analog dazu wählt Platon für das Gleichnis, die Sonne als Äquivalent zur Idee des Guten. Sie verleiht der Seele die Kraft und Einsicht, tugendgemäß zu handeln. „Du wirst, denke ich, sagen, die Sonne verleihe dem Sichtbaren nicht nur das Vermögen, gesehen zu werden, sondern auch Werden, Wachstum und Nahrung, ohne doch selbst ein Werden zu sein.“[6] Mehr noch, wird die Sonne von Platon doch nicht nur als Gestirn gesehen, sondern als Gott Helios. Karl Schmitz-Moormann geht in seiner Dissertation sogar soweit, die Idee des Guten, deshalb als Manifestation des platonischen Gottesverständnis zu sehen: „Das, was mit der Idee des Guten gemeint ist, muss also mit der platonischen Gottesvorstellung, genauer gesagt, mit Gott, wie er für Platon sichtbar wurde, identifizierte werden.“[7]
Die Kernaussage des Sonnengleichnisses fasst Platon abschließend noch einmal wie folgt zusammen: „Das also, was dem Erkannten Wahrheit verleiht und dem Erkennenden die Kraft zum Erkennen gibt, ist – das kannst du jetzt behaupten – die Idee des Guten.“[8]
Bei seinem Vergleich geht der Schüler Sokrates dabei vom Gesichtssinn des Menschen aus. Anders als die Übrigen Wahrnehmungen bräuchte dieser für seine Funktion nämlich ein Medium. „Selbst wenn unsere Augen mit Sehvermögen ausgestattet sind und wir versuchen, davon Gebrauch zu machen, und andererseits auch an den Gegenständen Farbe haftet, so wird doch offenbar der Gesichtssinn nichts sehen, und die Farben werden unsichtbar sein, wenn nicht ein Drittes, eigens dafür geschaffen, hinzukommt.“[9] Dieses Dritte ist das Sonnenlicht. Auf die Tugenden und den Verstand (Logos) bezogen, bedeutet dies nichts anderes, als dass sie ohne die Erkenntnis der Idee des Guten lediglich blinde Werkzeuge sind. Dies wird bereits zu Beginn von Platons „Der Staat“ deutlich, wo Platon die verschiedenen Auffassungen von Gerechtigkeit erörtert. Den unzähligen Definitionen lässt sich entnehmen, dass Platon eine gute Absicht zwar bei vielen Menschen gegeben sieht, diese jedoch ohne wirkliche Einsicht ins Leere zielen muss. Ähnlich einem Bogenschützen, der versucht in rabenschwarzer Nacht sein Ziel zu treffen. Anders als bei der Idee des Guten hat Platon von der Gerechtigkeit jedoch durchaus eine sehr konkrete Vorstellung. Für ihn ist Gerechtigkeit, dass ein jeder das tut, was ihm gemäß seiner Fähigkeiten zusteht.
Lassen wir uns diese Thematik noch ein wenig vertiefen.
Wie hinlänglich bekannt ist, unterscheidet Platon zwischen Wissen und Meinen. Im Bezug auf das Sonnengleichnis ein Gegensatzpaar wie Licht und Dunkel. „Dass und warum Plato die stabile Vernunft vor der labilen Meinung bevorzugt, geht aus dem Weininger-Gesetz hervor, wonach das Dauernde eben positiven Wert hat. Deshalb kann die Episteme auch die Form des Guten haben.“[10] Unter den Begriff „Meinung“ aber fällt all das, was wir über unsere Sinne erfahren. Somit legt sich über einen Großteil der Menschen ewiger Schatten. Sie erkennen nur die vergänglichen und in ständiger Veränderung begriffenen Dinge und damit im Grunde genommen gar nichts. Platon vergleicht dies mit dem Sehen bei Mondlicht. Eine äußerst treffende Beschreibung, wie ich meine, auch wenn sich Wolfgang Kersting in seinem Buch „Platons Staat“ ein wenig daran stört: „Der Fehler dieses Vergleiches ist offensichtlich: während die Qualitätsdifferenz des sinnlichen Sehens unterschiedlichen Lichtverhältnissen anzulasten ist, ist sie im Fall des seelischen Erfassens die Folge unterschiedlicher Gegenstände.“[11] Nach meinem Dafürhalten entspricht der Vergleich jedoch eindeutig dem platonischen „Urbild-Abbild-Prinzip“, das sich durch die gesamte Politeia hindurch zieht. Schließlich leuchtet der Mond nicht selbst, sondern spiegelt einen Teil des Sonnenlichts wieder.
Im Gegensatz zur Meinung spricht Platon von wirklichem Wissen jedoch nur im Hinblick auf die ewigen und absoluten Ideen (eidé). Dies kann die Vorstellung eines Stuhles genau so sein wie eine der vorher genannten Kardinaltugenden. Die dem Vergänglichen übergeordneten Ideen erkennen, könne die Seele jedoch nur wenn sie vom Lichte der Wahrheit und des Seienden beleuchtet werden. „So denke es dir denn auch bei der Seele folgendermaßen: wenn sie fest gerichtet ist auf das, worauf das Licht der Wahrheit und des Seienden fällt, dann erfasst und erkennt sie. Wenn sie aber auf das mit Finsternis Gemischte, das Entstehende und Vergehende schaut, dann fällt sie dem bloßen Meinen anheim, wird stumpfsinnig, wirft die Meinungen herüber und macht nunmehr den Eindruck, als sei sie aller Vernunft bar.“[12] Was also dem Erkannten (nooumena) Wahrheit verleiht, das ist das Licht des Guten, wie Platon meint. Dennoch ist der Erkenntnisvorgang nicht rein passiv zu verstehen. Die Seele wird nicht einfach erleuchtet, sondern muss sich aktiv zum Licht wenden und darf nicht in der Dunkelheit verharren.[13] Denn der platonische Philosoph ist kein Erfinder, sondern ein Entdecker, der nicht produktiv, sondern rezeptiv tätig ist.[14] Ein weiterer Hinweis, dass es Platon bei der Erziehung nicht einfach auf die Vermittlung von Wissen ankommt, sondern auf die Ausbildung der Dialektik, die den Schülern dazu dienen soll, sich selbst Erkenntnis zu schaffen. Das Gute selbst ist hiermit jedoch noch nicht erreicht.
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[1] Platon: Der Staat, Seite 259
[2] Platon: Der Staat, Seite 259
[3] Platon: Der Staat, S. 256
[4] Platon: Der Staat, S. 257
[5] Platon: Der Staat, S. 258
[6] Platon: Der Staat, S. 263
[7] Schmitz Moormann, Karl: Die Ideenlehre Platons im Lichte des Sonnengleichnisses des sechsten Buches des Staates, Münster 1959, S. 41
[8] Platon: Der Staat, S. 263
[9] Platon: Der Staat, S. 261
[10] Ferber, Rafael: Platons Idee des Guten, Richarz 1989, S. 60
[11] Kersting: Platons „Staat“, Darmstadt 1999, S. 217
[12] Platon: Der Staat, S. 263
[13] Vgl. Höhlengleichnis
[14] Vgl. Ferber: Platons Idee des Guten, S. 58ff.
- Quote paper
- Andreas Hempfling (Author), 2001, Der Philosoph und die Idee des Guten bei Platon - Eine Analyse ausgewählter Gleichnisse, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/3647