"Unsere Theorien sind unsere Empfindung. Sie sind nie mehr als kühne Vermutungen, Hypothesen; von uns gemachte Netze, mit denen wir die wirkliche Welt einzufangen versuchen." Dies sagte kein geringerer als der Philosoph Karl R. Popper. Dennoch sind Modelle und Theorien unabdingbar, um die mannigfachen Vorgänge in einer immer komplexeren Welt zu verstehen. Gerade deshalb müssen sie vage und stark vereinfachend sein, um ihren Auftrag nicht zu verfehlen. Wie lautet doch das Theorieprinzip von William Ockham: So einfach wie möglich, so komplex wie nötig. Eines der umstrittensten und vielfältigsten Theoriefelder dürfte das der internationalen Politik sein. Ist der Krieg oder zumindest seine latenten Gefahr nun die Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln, wie einst der preußische General Carl von Clausewitz feststellte und es der neorealistische Ansatz von Kenneth Waltz nahe legt oder weist das Spiel der Staaten doch weitaus vielschichtigere Facetten und Nuancen auf, wie es die Interdependenz- und Regimetheorie darlegt. Voreilige Schlüsse sind mit Vorsicht zu genießen, darum sollen die Theorien im Folgenden sorgfältig gegeneinander abgewogen werden.
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung
2 Neoliberalismus
2.1 Realismus realistisch genug?
2.2 Die Systemebene
2.3 Internationale Ordnungsprinzipien
2.4 Anarchie der Staaten und Rolle der Gewalt
2.5 Arbeitsteilung und Spezialisierung
2.6 Internationale Organisationen
3 Interdependenz und Regime
3.1 Interdependenz
3.1.1 Einleitung und Grundzüge
3.1.2 Definition
3.1.3 Die Machtdimension
3.2 Der Regimeansatz
3.2.1 Definition
3.2.2 Entstehung von Regimen
3.2.3 Regimefunktionen
4 Synthese und Schluss
1 Einleitung
„Unsere Theorien sind unsere Empfindung. Sie sind nie mehr als kühne Vermutungen, Hypothesen; von uns gemachte Netze, mit denen wir die wirkliche Welt einzufangen versuchen.“ Dies sagte kein geringerer als der Philosoph Karl R. Popper. Dennoch sind Modelle und Theorien unabdingbar, um die mannigfachen Vorgänge in einer immer komplexeren Welt zu verstehen. Gerade deshalb müssen sie vage und stark vereinfachend sein, um ihren Auftrag nicht zu verfehlen. Wie lautet doch das Theorieprinzip von William Ockham: So einfach wie möglich, so komplex wie nötig. Eines der umstrittensten und vielfältigsten Theoriefelder dürfte das der internationalen Politik sein. Ist der Krieg oder zumindest seine latenten Gefahr nun die Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln, wie einst der preußische General Carl von Clausewitz feststellte und es der neorealistische Ansatz von Kenneth Waltz nahe legt oder weist das Spiel der Staaten doch weitaus vielschichtigere Facetten und Nuancen auf, wie es die Interdependenz- und Regimetheorie darlegt. Voreilige Schlüsse sind mit Vorsicht zu genießen, darum sollen die Theorien im Folgenden sorgfältig gegeneinander abgewogen werden.
2 Neoliberalismus
Strenggenommen handelt es sich beim neoliberalistischen Ansatz von Kenneth Waltz um kein originäres Modell internationaler Wirkungszusammenhänge. Vielmehr ging es ihm darum einige grundlegende Schwächen und Ungenauigkeiten seiner „realistischen“ Vordenker auszumerzen.
2.1 Realismus realistisch genug?
Als großen Schwachpunkt bisheriger Systeme empfand Waltz vor allem deren Unfähigkeit, zwischen Ursachen auf Systemebene und Ebene der einzelnen Akteure und Einheiten deutlich zu unterscheiden: „We found in chapter 3 that even avowedly systemic approaches mingle and confuse systems-level with unit-level causes.“[1] Dies sei insbesondere bei Modellen auf Basis der allgemeinen Systemtheorie der Fall, die sich von der Wirklichkeit Internationaler Politik viel zu weit entfernten, um als wirklich nützlich zu gelten. Waltz betrachtete es deshalb als sein Anliegen, ein Modell zu entwerfen, das in der Lage war, die Internationalen Politik vom Systembereich der Ökonomie, der Soziologie und anderer Internationaler Beziehungsgeflechte zu entkoppeln und auf diese Weise ein systemimmanentes Wirkungsmodell zu projektieren. Vertreter des Interdependenztheorie werden genau dies später kritisieren. Für sein Vorgehen erachtete Waltz es als Grundlage, darzustellen, wie politische Strukturen entstehen und zwecks Variablenkonstruktion klar zwischen abstrakter Systemstruktur und dem Verhalten einzelner Akteure zu trennen: „Definitions of structure must leave aside, or abstract from, the characteristics of units, their behavior, and their interactions.“[2]
2.2 Die Systemebene
Die Systemebene galt es für Waltz zuerst einmal von hinlänglich ungenauen und unpräzisen Definitionen zu befreien um ein sinnvolles Konzept zu erarbeiten: „[...] notions such as environment, situation, context and milieu.“[3] Gleiches galt für Attribute auf Akteursebene wie Politische Führer, soziale und wirtschaftliche Einrichtungen oder ideologische Bekenntnisse sowie Beziehungen von Staaten auf kultureller, wirtschaftlicher, politischer und militärischer Ebene. Hier fragt Waltz zu recht: „But if attributes and interactions are omitted, what is left?“ Die Antwort liegt in der Ambivalenz des Wortes „Beziehungen” verborgen. So bezieht Waltz den Begriff sowohl auf die Interaktion einzelner Einheiten als auch auf die Position, die diese in Bezug auf ihren Gegenüber einnehmen und voila: „The arrangement of units is a property of the system.“[4]
Vorteile in der Trennung von Struktur und Akteuren sieht Waltz vor allem in der größerer Generalisierbarkeit des Systembegriffs und die damit verbundene relative Dauerhaftigkeit. Kurz gesprochen: Der Begriff „System“ beschreibt die Konstellation der Akteure und damit deren Handeln und Wirkung desselben. Zentrale Kriterien sind Über- und Unterordnung der einzelnen Elemente, individuelle Fähigkeiten und ihre Aufgabenteilung. „A domestic political structure is thus definied, first, according to the principle by which it is ordered; second, by specification of the funcitons of formally differentiated units; and third, by the distribution of capabilities across those units.“[5] Nach dieser Methode ließen sich zum Beispiel das britische- und das amerikanische Parlament unterscheiden.[6]
2.3 Internationale Ordnungsprinzipien
Wendet man die eben genannten Grundsätze an, lassen sich laut folgende Feststellungen machen. Während nationale politische Systems laut Waltz auf einer Hierarchie der Über- und Unterordnung mit zentraler Entscheidungsinstanz beruhen, sind Internationale Systeme dagegen durch Anarchie und Dezentralisierung gekennzeichnet. Folglich ist der internationale politische Prozess nicht durch Befehl und Gehorsam sondern durch Fragen der Koordination gleicher souveräner Einheiten gekennzeichnet.[7] Doch wenn internationalen Systemen kein formelles Ordnungsprinzip zugrunde liegt, was bestimmt dann das Handeln der Staaten? „The problem is this: how to conceive of an order without an order and of organizational effects where formal organization is lacking.“[8]
Eine Lösung liefert Waltz der mikroökonomische Ansatz, der auf dem interessengeleiteten Handeln der einzelnen Akteure und der Ausbildung von Märkten beruht. Märkte treten in diesem Sinne als spontane und zeitlich beschränkte Ordnungsprinzipien und Reglen auf, die sich aus der Summe der Einzelinteressen und ihrem wechselseitiger Einfluss aufeinander ausbilden. Diese könnten dann systemtheoretisch erfasst und prognostiziert werden. Senkt zum Beispiel ein Akteur, das kann eine Firma oder ein Geschäftsmann sein, die Preise, so folgt mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit, dass alle anderen gezwungen sind, es ihm gleichzutun, um ihr Fortbestehen zu sichern. Wegeen der relativen Eigendynamik der Märkte können die Marktzwänge aber durchaus den individuellen Interessen aller oder zumindest eines großen Teils der Systemteilnehmer zuwiderlaufen: „Each unit seeks ist own good; the result of a number of units simultaneously doing so transcends the motives and the aims of the separate units.“[9] „Each would like to work less hard ans price his product higher. Taken together, all have to work harder and price their products lower.”[10] Ähnlich nun verhalte es sich mit den Prinzipien Internationaler Politik, meint Waltz auch wenn die Interdependenz- und Regimetheoretiker, wie wir später sehen werden, dieses einfache Strickmuster bezweifeln. Der Neorealismus jedenfalls sagt, dass zentrale Ordnungsprinzipien zwischen Staaten nicht etwa aus Solidarität oder Hilfsbereitschaft sondern allein aus dem Wechselspiel individueller Interessen entstehen, wobei das Primäranliegen immer dem eigenen Überleben gelte. Mitnichten könne es aber das Anliegen eines Staates[11] sein, sich durch ein internationales System in seiner Handlungsfreiheit einschränken zu lassen, ohne eine Gegenleistung zu erhalten. Auch dies wird von Intedependenztheoretikern weitaus diffiziler und weniger radikal gesehen.
[...]
[1] Waltz, Seite 48
[2] Waltz, Seite 48
[3] Seite 49
[4] Seite 49
[5] Seite 50
[6] Vgl. Seite 50ff.
[7] Unterschiede in Ressourcen und Ausgangslage werden natürlich nicht bestritten
[8] Seite 53
[9] Seite 54
[10] Seite 54
[11] Staaten sind bei Waltz anders als beim Interdependenzansatz die einzigen internationalen Akteure. Seine Entscheidung ist nicht willkürlich, sondern sehr sorgfältig begründet: vgl: S.
- Arbeit zitieren
- Andreas Hempfling (Autor:in), 2001, Vergleichen Sie NeoRealismus nach Kenneth N. Waltz mit dem Interdependenz-/Regime-Ansatz, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/3638