[...] Schon bald fielen mir die vielfältigen Probleme der Kinder auf. Die meisten von ihnen kamen aus sozialschwachen Familien. Vor allem das soziale Umfeld trug dazu bei, dass die Kinder auffällig in ihrem Verhalten waren, erhebliche Probleme in der Schule hatten und nur schwer stabile und vertrauensvolle Beziehungen zu ihren Mitmenschen aufbauen konnten. Auch besuchten verstärkt Kinder mit Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung die Lernstube. Kindheit hat sich in den letzten Jahrzehnten stark verändert. Entweder ist der Tagesablauf eines Kindes bis ins Letzte geplant, so dass ihm keine Zeit bleibt, seine eigenen Bedürfnisse zu befriedigen. Im anderen Extremfall ist das Kind sich selbst überlassen. In beiden Fällen aber sind sie mit der Situation überfordert. Dazu kommt noch die ständige Präsenz der Medien, vor allem Fernsehen und Computer. Soziale Kontakte werden immer mehr eingeschränkt, genauso wie der natürliche Bewegungsdrang der Kinder. Soziale Einrichtungen, wie im vorliegenden Fall die Lernstuben, müssen sich diesen veränderten Bedingungen stellen und im Rahmen der sich bietenden Möglichkeiten einen positiven Beitrag zur Erziehung leisten. Ausgehend von einem ganzheitlichen Menschenbild soll mit der vorliegenden Arbeit eine Möglichkeit aufgezeigt werden, den veränderten Bedingungen der Umwelt von Kindern gerecht zu werden, Störungen im Verhalten zu verhindern bzw. zu kompensieren. Wahrnehmungs- und Bewegungsförderung, das Basiskonzept der Motopädagogik, als dynamischer Prozess fördert das Kind in seiner Ganzheit, ist Prävention von Fehlentwicklungen und kann durch den Einsatz vielfältiger Methoden, Elemente und Themen zu einer Stabilisierung der Gesamtpersönlichkeit des Kindes beitragen. Das Vertrauen in eigene Fähigkeiten wird gestärkt, und es setzt sich mit seiner Umwelt auseinander. Im ersten Teil der vorliegenden Arbeit wird das Konzept der Lernstuben in Erlangen beschrieben, die Möglichkeiten der Motopädagogik vorgestellt und das Krankheitsbild des ADHS dargestellt. Im praktisch-empirischen Teil soll an einem Fallbeispiel gezeigt werden, wie die motopädagogische Förderung in die Praxis integriert wird. Dabei wird in besonderem Maße auf die Möglichkeiten Wert gelegt, die sich auf Wahrnehmungs- und Bewegungsförderung beziehen und die für das Konzept zur Umsetzung in die Praxis relevant sind.
Inhaltsverzeichnis
0. Einleitung
I. Theoretische Grundlagen
1. Lernstuben
1.1. Was ist eine Lernstube?
1.2. Entstehung der ersten Lernstuben in Erlangen
1.3. Die Erlanger Lernstuben heute
1.4. Die Grundidee der Erlanger Lernstuben
1.5. Gesetzliche Rahmenbedingungen der Erlanger Lernstuben
1.6. Die Kinder der Erlanger Lernstuben
1.6.1 Kinder aus Problemfamilien
1.6.2 Kinder alleinerziehender Eltern
1.6.3 Kinder ausländischer Herkunft
1.7. Ziele der Erlanger Lernstuben
1.7.1 Förderung des Selbstwertgefühls
1.7.2 Förderung der sozialen Wahrnehmung
1.7.3 Förderung der Konflikt- und Handlungsfähigkeit in Konfliktsituationen
1.7.4 Förderung der Kooperationsfähigkeit
1.7.5 Förderung der Kommunikationsfähigkeit
1.7.6 Schulische Förderung
1.7.7 Entwicklung eines positiven Körpergefühls
1.8. Die Notwendigkeit der Lernstubenarbeit heute
2 Die Lernstube in Erlangen-Büchenbach
2.1. Tagesablauf in der Lernstube Erlangen-Büchenbach
2.2. Arbeitsansatz in der Lernstube Erlangen-Büchenbach
2.2.1. Erziehungsplanung
2.2.2. Soziales Lernen
2.2.3. Familienarbeit
2.2.4. Lebensweltansatz
2.3. Personal in der Lernstube Erlangen-Büchenbach
2.4. Heilpädagogische Arbeit in der Lernstube Erlangen-Büchenbach
3. Motopädagogik
3.1. Ursprünge der Motopädagogik
3.2. Ziele und Inhalte der Motopädagogik
3.3. Das Menschenbild in der Motopädagogik
3.4. Aspekte der kindlichen Entwicklung
3.4.1. Entwicklung der Wahrnehmung
3.4.2. Entwicklung der Motorik
3.4.3. Entwicklung der Sprache
3.4.4. Entwicklung des Selbstkonzepts
3.4.5. Soziale Entwicklung
3.4.6. Kognitive Entwicklung
3.5. Entwicklungsförderung durch Motopädagogik
3.5.1. Entwicklungsförderung der Sinne
3.5.2. Motorische Entwicklungsförderung
3.5.3. Emotionale und soziale Entwicklungsförderung
4. Hyperaktivität
4.1. Geschichtlicher Hintergrund
4.2. Begriffserklärung
4.3. Ursachen
4.4. Symptome
4.4.1. Primärsymptome
4.4.2. Sekundärsymptome
4.5. Verlauf
4.6. Diagnose
4.7. Therapie
4.7.1. Umfeldbezogene Maßnahmen
4.7.2. Kindzentrierte Maßnahmen
4.7.3. Multimodale Behandlung
4.8. Positive Eigenschaften von Kindern mit ADHS
II. Empirische Erhebung
1. Art der Datenerhebung
1.1. Methodisches Vorgehen
1.2. Das Erhebungsinstrument: Die Beobachtung
2. Auswertung
2.1. Aufbau der Einzelförderstunden
2.2. Aufbau der Kleingruppenförderstunden
3. Entwicklungsbericht
III. Zusammenfassung
Literaturverzeichnis
Anhang
0. Einleitung
Während des Studiums war ich immer bemüht, praktische Erfahrungen für meinen späteren Beruf zu erlangen. In meinem vierten Hochschulsemester fand ich eine Anstellung als Honorarkraft in einer Erlanger Lernstube. Ausschlaggebend für die Themenwahl meiner Magisterarbeit war also zum einen meine eigene berufliche Erfahrung in der Lernstubenarbeit und zum anderen mein Wunsch, in diesem Bereich nach meinem Studium erneut tätig zu werden.
Schon bald fielen mir die vielfältigen Probleme der Kinder auf. Die meisten von ihnen kamen aus sozialschwachen Familien. Vor allem das soziale Umfeld trug dazu bei, dass die Kinder auffällig in ihrem Verhalten waren, erhebliche Probleme in der Schule hatten und nur schwer stabile und vertrauensvolle Beziehungen zu ihren Mitmenschen aufbauen konnten. Auch besuchten verstärkt Kinder mit Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung die Lernstube.
Kindheit hat sich in den letzten Jahrzehnten stark verändert. Entweder ist der Tagesablauf eines Kindes bis ins Letzte geplant, so dass ihm keine Zeit bleibt, seine eigenen Bedürfnisse zu befriedigen. Im anderen Extremfall ist das Kind sich selbst überlassen. In beiden Fällen aber sind sie mit der Situation überfordert. Dazu kommt noch die ständige Präsenz der Medien, vor allem Fernsehen und Computer. Soziale Kontakte werden immer mehr eingeschränkt, genauso wie der natürliche Bewegungsdrang der Kinder. Soziale Einrichtungen, wie im vorliegenden Fall die Lernstuben, müssen sich diesen veränderten Bedingungen stellen und im Rahmen der sich bietenden Möglichkeiten einen positiven Beitrag zur Erziehung leisten. Ausgehend von einem ganzheitlichen Menschenbild soll mit der vorliegenden Arbeit eine Möglichkeit aufgezeigt werden, den veränderten Bedingungen der Umwelt von Kindern gerecht zu werden, Störungen im Verhalten zu verhindern bzw. zu kompensieren. Wahrnehmungs- und Bewegungsförderung, das Basiskonzept der Motopädagogik, als dynamischer Prozess fördert das Kind in seiner Ganzheit, ist Prävention von Fehlentwicklungen und kann durch den Einsatz vielfältiger Methoden, Elemente und Themen zu einer Stabilisierung der Gesamtpersönlichkeit des Kindes beitragen. Das Vertrauen in eigene Fähigkeiten wird gestärkt, und es setzt sich mit seiner Umwelt auseinander.
Im ersten Teil der vorliegenden Arbeit wird das Konzept der Lernstuben in Erlangen beschrieben, die Möglichkeiten der Motopädagogik vorgestellt und das Krankheitsbild des ADHS dargestellt. Im praktisch-empirischen Teil soll an einem Fallbeispiel gezeigt werden, wie die motopädagogische Förderung in die Praxis integriert wird. Dabei wird in besonderem Maße auf die Möglichkeiten Wert gelegt, die sich auf Wahrnehmungs- und Bewegungsförderung beziehen und die für das Konzept zur Umsetzung in die Praxis relevant sind.
Wenn es um allgemeine Formulierungen bezüglich Personen geht, werden aus Gründen der Lesbarkeit und des Aufwandes stets die maskulinen Bezeichnungen verwendet.
I. Theoretische Grundlagen
1. Lernstuben
1.1. Was ist eine Lernstube?
Vogelsberger definiert Lernstuben als „Kindertagesstätten in sozialen Brennpunkten, die Kinder aller Altersgruppen unter Berücksichtigung ihrer besonderen Lebensbedingungen und des sozialen Umfelds fördern“ (Vogelsberger 2002, S. 78) sollen. Die Einrichtungen zeichnen sich dadurch aus, dass die Alterstrennung der Kinder, wie z. B. bei Horten, nicht vorhanden ist. Außerdem sind sie grundsätzlich in sozialen Brennpunkten zu finden. Die pädagogische Arbeit der Lernstuben bestimmt das soziokulturelle Umfeld der Kinder, die die Einrichtung besuchen. Doch nicht nur die unmittelbare Arbeit am Kind bestimmt den Alltag in Lernstuben, auch die Lebenssituation der Familie ist wichtig für die pädagogischen Fachkräfte. Somit wird in Lernstuben nicht nur Arbeit am Kinde geleistet, sondern auch intensive Elternarbeit und Gemeinwesenarbeit, also die Arbeit, die den ganzen Stadtteil mit einbezieht. (Vogelsberger 2002, S. 78ff)
Die Definition nach Vogelsberger ist jedoch nicht allgemeingültig. Ebenso ist der Begriff „Lernstube“ nicht rechtlich geschützt. In Deutschland gibt es viele Einrichtungen, die sich Lernstube nennen. Sie arbeiten jedoch mit sehr unterschiedlichen Konzepten. Allen Lernstuben gemeinsam ist aber der Hauptschwerpunkt der schulischen Förderung und Hausaufgabenbetreuung.
Die Trägerschaft der Lernstuben ist ebenfalls unterschiedlich geregelt. Bei Lernstuben nach Vogelsberger sind öffentliche Träger, also Jugendämter bzw. Landesjugendämter für den Betrieb der familienergänzenden Einrichtungen zuständig. Aber auch freie Träger, wie Kirchen, Religionsgemeinschaften und Verbände der freien Wohlfahrtspflege (z. B. Caritas, Arbeiterwohlfahrt) kommen für Lernstuben auf. (Vogelsberger 2002, S. 20f)
Es gibt dagegen auch Einrichtungen, die sich Lernstube im wortwörtlichen Sinn nennen. Diese bieten die Unterstützung zur Beseitigung schulischer Defizite an. Sie werden ausschließlich von Elternbeiträgen und monatlichen Gebühren finanziert. (http://www.lernstube-indersdorf.de/lernist.htm; http://www.lernstube.de/;u.a.)
1.2. Entstehung der ersten Lernstuben in Erlangen
1964 wurde vom Jugendamt Erlangen beschlossen, eine öffentliche Betreuung der Obdachlosenfamilien in sozialen Brennpunkten Erlangens einzurichten. Die sozialen Brennpunkte waren damals Erlangen-Bruck und Erlangen-Büchenbach. Heute gehört auch der Stadtteil Am Anger dazu.
Unter dem Terminus Obdachlose versteht man Personen, die sich aus eigenen finanziellen Mitteln keine Wohnung leisten können. Sie erfüllen die Voraussetzungen, vom Sozialamt eine Verfügungswohnung in den Notwohngebieten zugewiesen zu bekommen. Heute werden Obdachlosenfamilien als Problemfamilien bezeichnet. Diese Familien leiden unter finanziellen und/oder sozialen Problemen. (Jugendamt Erlangen 1994, S. 3)
Das sozial unangepasste Verhalten der Familien in den Notwohngebieten wirkte sich negativ auf die dort lebenden Kinder und Jugendlichen aus. Ebenso rückten die Vorurteile Außenstehender gegenüber Notwohngebieten die dort lebenden Familien in eine Außenseiterposition. Die Verhältnisse der Obdachlosenfamilien, wie z. B. Sozialisationsdefizite, Mangel an Kontakt und Beziehungsfähigkeit, keine berufliche Integration, Arbeitslosigkeit und Kriminalität, übertrugen sich auf die Kinder. In Erlangen-Bruck wurde daraufhin die erste freie Gruppe von Studenten der Fachhochschule Nürnberg und des Jugendamtes Erlangen im Rahmen der sozialen Gruppenarbeit[1] gegründet. Die freien Gruppen organisierten regelmäßige Angebote und Ausflüge für Kinder und Jugendliche der Notwohngebiete. Das Jugendamt erkannte bald, dass die Gruppen für eine gezielte pädagogische Arbeit zu groß waren. So entstanden in Erlangen-Bruck in kurzer Zeit weitere kleine Gruppen. Ebenso wurden freie Gruppen in Erlangen-Büchenbach eingerichtet. In diesen Kleingruppen war es nun realistisch, ausgeprägte pädagogische Arbeit zu leisten. (Kauffmann 1984, S. 6ff.)
Bis 1970 erhöhte sich die Anzahl der freien Gruppen in Erlangen auf 20. In diesen freien Gruppen wurden Kinder und Jugendliche im Alter von 8 bis 17 Jahren, geordnet nach Altersstufen, betreut. Bald stellte man fest, dass die Betreuung und sozialpädagogische Förderung der Kinder wesentlich früher beginnen müsse. Die Reaktion auf diese Erkenntnis war die Einrichtung von Spielstuben für Vorschulkinder im Jahr 1970. (ebd.)
Im Jahre 1972 wurden schließlich in Erlangen-Bruck die ersten drei Lernstuben für Kinder im Grundschulalter eingerichtet. Diese waren noch nach Schulklassen geordnet. Es gab also je eine Lernstube für die erste, zweite und dritte Grundschulklasse. (ebd.)
Die Einrichtung der Lernstuben hatte eine Verringerung der freien Gruppen zur Folge, da nun in den neu gegründeten Institutionen ein großer Teil jener Arbeit geleistet wurde, die vorher die freien Gruppen erfüllten. (ebd.)
Der erste Rahmenplan der Lernstubenarbeit" wurde 1978 erarbeitet. Dort wurde die Organisation der Lernstubenarbeit, die Notwendigkeit von Lernstuben und die Arbeitsfelder und –methoden geregelt. Zehn Jahre nach der Einrichtung der ersten Lernstuben in Erlangen-Bruck im Jahre 1982, hatte das Jugendamt ein Betreuungskonzept verwirklicht, welches gewährleistete, dass die Kinder in den sozialen Brennpunkten der Stadt von der Vorschulzeit bis zum Schulabschluss der Hauptschule erfolgreich betreut wurden. (ebd.)
1.3. Die Erlanger Lernstuben heute
Gegenwärtig gibt es in Erlangen 13 Lernstuben: zehn für Kinder im Grundschulalter (1. bis 4. Klasse) und drei für Hauptschüler (5. bis 9. Klasse). Da im allgemeinen gute Erfahrungen mit altersgemischten Gruppen gemacht wurden, arbeiten seit 1993 alle Lernstuben in dieser Form. Aufgrund des unterschiedlichen Entwicklungsstandes sind die Lernmöglichkeiten für die Kinder breiter angelegt, als in altershomogenen Gruppen. (Jugendamt Erlangen 1994, S. 12)
1.4. Die Grundidee der Erlanger Lernstuben
Wie in den obigen Ausführungen bereits deutlich geworden ist, sind Lernstuben pädagogische Einrichtungen im Rahmen der sozialen Gruppenarbeit für gesellschaftlich benachteiligte Kinder und Jugendliche. Die Lernstuben bieten den Kindern einen geschützten Raum, in welchem sie Vertrauen fassen können. Kinder sollen die Möglichkeit haben, Erfahrungen und Einsichten zu erlangen, um ihre individuellen Lebenszusammenhänge und Freundschaften eigenverantwortlich und zuverlässig zu gestalten. Dabei steht nicht in erster Linie der einzelne im Zentrum, sondern die Gruppe und ihre Aktionen sind wichtig. Durch gemeinsame Aktivitäten und die soziale Auseinandersetzung miteinander sowie das Nachdenken darüber, entwickeln sich die Kinder zu selbstständigen und selbstbewussten Persönlichkeiten. Ebenso werden folglich der Erfahrungshorizont und die Verhaltensmöglichkeiten der Kinder erweitert. (Jugendamt Erlangen 1994, S. 1)
Um diese Vorsätze zu realisieren, bedarf es der genauen Einblicke in die familiären Lebensverhältnisse der Kinder und Jugendlichen. Um diese zu gewährleisten, sind ein stadtteilorientierter Ansatz und Kleingruppenprinzip wesentliche Kriterien. Wichtige Ansatzpunkte der sozialen Gruppenarbeit im Grundschulalter sind altersgemischte und feste Gruppen. Weiterhin werden Gemeinwesenarbeit, Gruppenarbeit und Einzelfallhilfe miteinander verbunden. (Jugendamt Erlangen 1994, S. 1)
In den einzelnen Lernstuben sind zwischen 10 und 16 Kinder untergebracht. Um eine optimale Lernsituation zu sichern, wird mit Kleingruppen von drei bis vier Kindern gearbeitet. Erzieherinnen haben somit die Möglichkeit, intensiv auf einzelne Kinder einzugehen. In einer größeren Gruppe ist dies nicht in dem Maße möglich, da einzelne leichter übersehen werden können und den Pädagoginnen weniger Zeit für die persönliche Auseinandersetzung mit den Kindern bleibt. (Jugendamt Erlangen 1994, S. 1)
Durch das konsequente Verhalten des Mitarbeiterteams und ein durchschaubares Verhaltensmodell für zwischenmenschliche Beziehungen, soll den Kindern ein Ausgleich für ihre häusliche Situation geboten werden. Dies wird unter anderem auch durch die Festlegung sozialer Regeln, durch gemeinsames Tun und Erleben und durch soziale und emotionale Interaktionen sichergestellt. (Jugendamt Erlangen, S.1)
Die Lernstubenarbeit ist integraler Bestandteil eines übergreifenden, stadtteilorientierten Konzeptes in Zusammenarbeit mit der Jugendsozialarbeit, dem Allgemeinen Sozialdienst (ASD), den Schulen, der Erziehungsberatungsstelle und den Eltern. (Jugendamt Erlangen 1994, S. 1)
1.5. Gesetzliche Rahmenbedingungen der Erlanger Lernstuben
Lernstuben gehören zur Einrichtung der Kindertagesbetreuung. Ihre rechtlichen Grundlagen sind in den §§ 2, 22 und 32 des Kinder- und Jugendhilfegesetzes (KJHG) als "Leistung der Jugendhilfe" (§ 2 Abs. 2 Nr. 3 KJHG) gesetzlich geregelt. In diesen Tageseinrichtungen "soll die Entwicklung des Kindes zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit gefördert werden" (§ 22 Abs. 1 KJHG). Dies wird durch "Betreuung, Bildung und Erziehung des Kindes" gesichert (§ 22 Abs. 2 KJHG). Dabei soll sich die Arbeit pädagogisch und organisatorisch nach den Familien und Kindern richten. (vgl. http://www.daten-schutz-berlin.de/recht/de/rv/ges_soz/)
§ 32 erfasst den Lernstubenauftrag. Die Lernstuben leisten "Hilfe zur Erziehung in einer Tagesgruppe". Dabei steht die Entwicklung des Kindes "durch soziales Lernen in der Gruppe, Begleitung der schulischen Förderung und Elternarbeit" (§32 KJHG, zit. nach Jugendamt Erlangen 1994, S. 1) im Vordergrund.
1.6. Die Kinder der Erlanger Lernstuben
Die Kinder, welche die Lernstuben in Erlangen besuchen, kommen aus sozial benachteiligten Familien, also aus der unteren Gesellschaftsschicht. Hierbei wird zwischen Kindern aus Problemfamilien, Kindern alleinerziehender Eltern und Kindern ausländischer Herkunft unterschieden. (Jugendamt Erlangen 1994, S. 2 )
Es kommt dabei jedoch zu Überschneidungen bei der Zuordnung zur einen oder anderen Personengruppe.
1.6.1. Kinder aus Problemfamilien
Unter Problemfamilien werden Familien mit finanziellen und/oder sozialen Problemen, wie Alkoholismus oder Aggressivität innerhalb der Familie, verstanden.
Die Kinder sind in Verfügungswohnungen untergebracht. Diese zeichnen sich durch mangelhafte Bauweise, schimmelndes Mauerwerk, schlechter Isolierung der Fenster und Türen und Hellhörigkeit aus. Auch verfügen die Wohnungen nur über Kachelöfen, wobei nicht jedes Zimmer beheizt werden kann. Die Räume sind im allgemeinen als Durchgangszimmer angeordnet. Die Bewohner haben kaum Rückzugsmöglichkeiten innerhalb der Wohnung, da oftmals auch zu viele Familienmitglieder in den Räumlichkeiten untergebracht sind. Durch die begrenzte Anzahl von Zimmern ist es für die Kinder schwierig, einen geeigneten Platz zum Lernen oder Spielen zu finden. Sie entwickeln deshalb wenig eigene Interessen. (Jugendamt Erlangen 1994, S. 3)
Die mangelhaften Wohnbedingungen haben zudem negative Auswirkungen auf Gesundheit und Körperhygiene der Kinder. Sie leiden häufig an chronischen Erkältungskrankheiten und Bronchitis. Durch das generelle Fehlen von Bädern - in den Verfügungswohnungen wurden nur teilweise Duschen eingebaut - ist eine ausreichende Körperpflege nicht gesichert. Die Kinder werden oft auf Grund ihres ungepflegten Äußeren stigmatisiert. (Jugendamt Erlangen 1994, S. 3)
Die Mütter und Väter dieser Kinder haben oft keine abgeschlossene Berufsausbildung, einige können nicht einmal einen Schulabschluss vorweisen. Deshalb finanzieren sie ihr Leben durch Sozialhilfe oder verrichten schlecht bezahlte Gelegenheitsarbeiten. (Jugendamt Erlangen 1994, S. 3)
Die ständige Unsicherheit, das eigene Leben und das ihrer Kinder zu finanzieren, lässt die Erwachsenen ständig an ihrem Selbstwertgefühl zweifeln. Das spüren auch die Kinder und leiden darunter. Sie haben eine eingeschränkte und manchmal sogar keine emotionale Bindung zu ihren Eltern und sind dadurch früh auf sich selbst gestellt. Die Eltern nehmen die gefühlsmäßigen Bedürfnisse ihrer Kinder, wie Nähe oder Zuwendung, nur schwankend je nach eigener Bedürfnislage wahr oder halten sie nicht für wichtig. Die Kinder erkennen im Verhalten der Eltern keine Regelmäßigkeiten und müssen sich deshalb immer wieder auf die zum Teil sprunghaften Verhältnisse einstellen. Das Kind entwickelt, nach Erikson, kein "Urvertrauen", also kein "Gefühl des 'Sich-Verlassen-Könnens' " (Zimmermann 2003, S. 27), sondern ein "Urmisstrauen" (ebd.).
Die gestörte Eltern-Kind-Beziehung führt oft zu extremen Verhaltensauffälligkeiten der Kinder. Sie übertragen ihre Erfahrungen im häuslichen Umfeld auch auf andere Bezugspersonen. Es fällt Ihnen schwer, stabile Beziehungen zu ihren Mitmenschen aufzubauen. Zwar kommt es häufig zu extremen Anklammerungen, meist an einen Erwachsenen, als Ersatz für die Geborgenheit und Liebe, die zu Hause fehlt. Andererseits erfüllen die Kinder die Anforderungen im Umgang mit ihren Mitschülern oder Erwachsenen, die an sie gestellt werden nur unzureichend. Sie reagieren mit Rückzug oder Verweigerung. Freundschaften sind oft nicht echt. Die Kinder versuchen, durch Bestechung , wie z.B. Verteilen von Süßigkeiten o.a., eigene Freunde zu gewinnen. Diese Beziehungen sind aber dadurch im allgemeinen nur von kurzer Dauer. (Jugendamt Erlangen 1994, S. 3)
Damit die Kinder eine dauerhafte Beziehung zu anderen Kindern oder Erwachsenen aufbauen können, ist es wichtig, sie als Individuen ernst zu nehmen. Innerhalb der Gruppe brauchen die Kinder feste Regeln und Strukturen. Dies erfordert ebenfalls ein konsequentes Verhalten der ErzieherInnen. (Jugendamt Erlangen 1994, S. 3)
In der Schule zeigen die Kinder anfangs kaum Schwierigkeiten. Nach dem ersten Schulhalbjahr werden die erheblichen Entwicklungsdefizite deutlich. Das abstrakte Denken fällt den Kindern sichtlich schwer, ebenso der Umgang mit fremden Begriffen. Dazu fallen massive Konzentrationsschwierigkeiten, fehlendes Durchhaltevermögen und mangelnde Motivation auf. Die Kinder verweigern die Schulleistungen und leiden unter Versagensängsten. Mit Hilfe verstärkter Einzelförderung (siehe dazu auch 2.1.) in der Lernstube sollen die Defizite der Kinder abgebaut werden und so das Selbstbewusstsein gestärkt und Versagensängste beseitigt werden. (Jugendamt Erlangen 1994, S. 4)
1.6.2. Kinder alleinerziehender Eltern
Durch die Veränderungen der Familienstruktur der letzten Jahrzehnte, gibt es heute mehr alleinerziehende Elternteile. Seit den 1960er Jahren veränderten sich die Familien von der traditionellen Form (ein erwerbstätiger Vater, die Mutter als Hausfrau und zwei oder mehr Kinder) zu neuen Formen des Zusammenlebens. Unter anderem wuchs auch die Zahl alleinerziehender Eltern, wobei die Mütter die Mehrheit darstellen. (Baumann 1999, S. 39)
Die alleinerziehenden Mütter haben ganz unterschiedliche Schwierigkeiten, je nach dem, in welcher Lebenssituation sie sich befinden. Dabei wird zwischen getrennt lebenden bzw. geschiedenen, ledigen Frauen und Witwen unterschieden.
Um die Lebenssituation und die Problematik der Kinder besser zu verstehen, werde ich nachfolgend einen kurzen Einblick über die Lebensumstände alleinerziehender Mütter geben, deren Kinder bei uns in den Lernstuben betreut werden.
Getrennt lebende und geschiedene Frauen
Geschiedene und getrennt lebende Frauen leiden häufig unter einer materiellen Verschlechterung ihrer Lebensumstände. War vorher der Ehepartner der Haupternährer der Familie, so ist die Frau nun dazu gezwungen, den Lebensunterhalt für sich und ihr Kind zu sichern. Die Frauen haben aber meist eine geringe berufliche Qualifikation, weshalb sie oft nur minder entlohnte Arbeiten verrichten. Sie sind deshalb im allgemeinen nicht in der Lage, den Unterhalt selbst aufzubringen. Der Unterhalt von ihren geschiedenen Ehepartnern reicht ebenfalls nicht aus, um die Unkosten, wie Miete, Lebensmittel oder Kleidung, zu decken. Nicht selten nehmen sie deshalb öffentliche Hilfe, z. B. Sozialhilfe, in Anspruch. (Jugendamt Erlangen 1994, S. 6)
Ledige Mütter
Ledige Mütter sind von gesellschaftlichen Intoleranzen und Stigmatisierung[2] noch mehr betroffen, als geschiedene Frauen. Die Schwangerschaft war oft ungeplant und ungewollt. Die meisten Väter kommen für den Unterhalt des Kindes nur in einem geringen Maße auf. (Jugendamt Erlangen 1994, S. 6)
Witwen
Der Tod des Ehepartners konfrontiert die Frauen und Kinder unerwartet mit einer neuen Lebenssituation. Ebenso wie bei geschiedenen Müttern war der Partner meist der Hauptverdiener in der Familie. Da die Witwenrente allein zum Lebensunterhalt nicht ausreicht, müssen die Frauen eine Arbeit suchen. (Jugendamt Erlangen 1994, S. 6)
Die allein zu tragende Verantwortung für das Kind, die Organisation des täglichen Lebens, die Erfüllung eigener Wünsche und das Aufrechthalten sozialer Kontakte stellt für alleinerziehende Mütter eine zunehmende Belastung dar. Als schwer zu bewältigen und kaum befriedigend zu lösen erweisen sich die vielfältigen Anforderungen. (Jugendamt Erlangen 1994, S. 6)
Da die alleinerziehenden Mütter zur Finanzierung des Lebensunterhaltes meist ganztags berufstätig sind, wird eine außerfamiliäre Unterbringung des Kindes erforderlich. (Jugendamt Erlangen 1994, S. 6)
Verhaltensweisen der Kinder
Durch die Trennung der Eltern, werden die Kinder häufig aus ihrem gewohnten Umfeld, wie Schule und Freundschaftskreis, gerissen. Die Kinder müssen sich dadurch neu orientieren. Von der Mutter fühlen sich die Kinder häufig allein gelassen, da diese sich ebenfalls der neuen Situation anpassen muss und sich nicht selten völlig überfordert fühlt. Sie kann ihrem Kind kaum Unterstützung bei der Trennungsverarbeitung bieten. Im Gegenteil kommt oft noch der Zorn auf den ehemaligen Partner dazu, der auch dem Kind nicht verborgen bleibt. Dieses ist zusätzlich zu der Bewältigung der neuen Situation noch zwischen dem Vater und der Mutter hin- und hergerissen. (Jugendamt Erlangen 1994, S. 7)
Die Kinder werden in verschiedenen Bereichen, wie Einkäufe erledigen, Früh-stück machen, aufräumen usw., eingespannt. Diese neuen Aufgaben müssen sie selbstständig und verantwortlich bewältigen. Die Kinder sind durch diese neue Situation überfordert. Gleichzeitig stehen sie unter einem hohen Druck, da sie die Mütter mit ihren eigenen Problemen nicht noch zusätzlich belasten wollen. (Jugendamt Erlangen 1994, S. 7)
Andere Kinder werden von ihren Müttern als Partnerersatz benutzt. Sie belasten ihre Kinder oftmals mit Problemen, die eigentlich mit einem Erwachsenen besprochen werden sollten. In einer solchen Beziehung kommt es häufig zu einer starken gegenseitigen Fixierung, die sich in vielfältigen Verhaltensweisen äußern kann. Dazu gehören u. a. Distanzlosigkeit, Regression[3], Verlustängste. Bei der Entstehung neuer Partnerschaften reichen die Reaktionen von extremer Eifersucht bis hin zu überstiegenen Hoffnungen, von massiver Ablehnung bis zur bedingungslosen Anerkennung. In vielen Fällen ist das Erlernen von Rollenverhalten erschwert, weil die Identifikation mit einer konstanten männlichen Bezugsperson fehlt. Manche dieser Kinder verhalten sich im Alltag überangepasst, stecken eigene Bedürfnisse zurück, versuchen, die an sie gestellten Erwartungen zu erfüllen. Andere Kinder reagieren auf diese Überbelastung mit Verweigerung, Aggressionsausbrüchen, plötzlichem Schulversagen. Diese Kinder werden in ihrem gesamten sozialen Umfeld auffällig. (Jugendamt Erlangen 1994, S. 7)
Dies bedeutet für die pädagogische Arbeit in der Lernstube, daß sowohl die
überangepassten als auch die aggressiven Kinder dringend eine Entlastung ihrer Drucksituation benötigen. Die Probleme stellen sich sehr vielfältig dar und erfordern individuelle Verhaltensweisen.
1.6.3. Kinder ausländischer Herkunft
Der Anteil ausländischer Kinder in den Lernstuben steigt von Jahr zu Jahr. Die pädagogischen Mitarbeiter werden deshalb mit multikulturellen Problemen konfrontiert, die es zu lösen gilt. Dazu gehören u. a. die Zweisprachigkeit sowie soziale, schulische und kulturelle Probleme. (Jugendamt Erlangen 1994, S. 7)
Innerhalb der Familie erleben die Kinder die Kultur des Heimatlandes ihrer Eltern. Zu Hause wird sich meist nur in der Muttersprache unterhalten.
Außerhalb der Familie, in der Lernstube und Schule wird jedoch nur Deutsch gesprochen. Die Kinder können meist kein umfassendes Sprachgefühl entwickeln und werden so in beiden Sprachen unsicher. Dies hat gravierende Auswirkungen auf die Schulleistungen, da mangelnder Wortschatz und unzureichendes Textverständnis zu Misserfolgen führt. Das Kind leidet unter Versagensängsten, Unsicherheiten und schlechter Benotung.
Doch nicht nur die Sprache ist ein Problem für die Kinder, auch Schwierigkeiten in der Gesellschaft stellen immer wieder Hürden dar.
In ihren Klassenverbänden stehen Kinder ausländischer Herkunft meist als Außenseiter da. Gruppenbeziehungen innerhalb der Klassen sind aber für motiviertes Lernen wichtig. Ein erfolgreiches Lernen ist somit nur eingeschränkt möglich. Die Isolation wirkt sich aber nicht nur auf das Selbstwertgefühl der Kinder, sondern auch auf ihre schulischen Leistungen aus. (Jugendamt Erlangen 1994, S. 7)
Die Kinder ausländischer Herkunft leiden also nicht nur unter schulischen, sondern auch unter sozialen Problemen. Deshalb ist es sehr wichtig, ihnen in der Lernstube neben schulischer Förderung auch emotionale Stabilität zu bieten.
Die schulische Förderung für Kinder ausländischer Herkunft beinhaltet vor allem Spiele zur Wortschatzerweiterung und zum Sprachverständnis. Diese Spiele sind auf die individuellen Defizite der Kinder abgestimmt.
Durch die spielerische Förderung sollen den Kindern ebenfalls Erfolgserlebnisse vermittelt werden. Dadurch werden Versagensängste abgebaut und gleichzeitig das Selbstwertgefühl gestärkt. (Jugendamt Erlangen 1994, S. 7)
Kinder islamischer Herkunft
Ein Großteil der Kinder ausländischer Herkunft, kommt aus Familien, die dem islamischen Glauben angehören. Deshalb soll im Folgenden besonders die gesellschaftliche Situation dieser Kinder dargestellt werden. (Jugendamt Erlangen 1994, S. 8)
In diesen Familien werden religiöse Rituale und Feierlichkeiten des Islam beibehalten. Die Kinder nehmen nicht am Religionsunterricht teil. Dadurch lernen die sie kaum, welche Normen und Wertevorstellungen in der deutschen Gesellschaft befolgt werden.
In den Familien islamischen Glaubens bekommt jedes Familienmitglied eine bestimmte Rolle zugewiesen. Frauen und Mädchen sind für häusliche Arbeiten zuständig, während der Mann die sozialen Kontakte knüpft.
Mit ca. neun Jahren werden die Kinder in ihre religiösen Verpflichtungen eingeführt. Es wird von ihnen erwartet, sich in die traditionellen Rollen einzufügen.
Die Erziehung der Jungen übernimmt der Mann. Die Jungen erlernen dadurch männliches Verhalten. Auch wird den Jungen die Aufsicht der Schwestern übertragen. Sie werden weiterhin darauf vorbereitet, die Familie nach außen hin zu repräsentieren und das Familienoberhaupt zu vertreten. (Jugendamt Erlangen 1994, S. 8)
Die islamischen Mädchen erleben im Gegensatz dazu immer mehr Einschränkungen in ihrer Freiheit. Sie dürfen nur beaufsichtigt in die Stadt fahren, ins Schwimmbad gehen, die Teilnahme an Ferienfahrten werden häufig untersagt etc.
Die unterschiedlichen Rollenerwartungen innerhalb der Familie und in der deutschen Gesellschaft verunsichern die Kinder. Die Eltern können den Kindern aber keine Orientierungshilfe geben. Dies hat zur Folge, daß die Kinder sich fremd und ohne Wurzeln fühlen, oft ein geringeres Selbstwertgefühl ausbilden und dadurch nur schwer oder gar nicht in die Gemeinschaft integriert werden können. (Jugendamt Erlangen 1994, S. 9)
1.7. Ziele der Erlanger Lernstuben
Aufgrund der verschiedenen Problematiken der Kinder in den Lernstuben ist es für die Arbeit wichtig, auf verschiedene Ziele hin zu arbeiten. Diese will ich nachfolgend darstellen. Die Ziele selbst überschneiden sich teilweise und können nicht immer klar voneinander getrennt werden. Allerdings soll man sich in der Lernstubenarbeit nicht auf ein bestimmtes Ziel konzentrieren, sondern die Gesamtheit der Maßnahmen betrachten. (Jugendamt Erlangen 1994, S. 9)
Die Schwerpunkte liegen dabei auf der Entwicklung sozialer Kompetenzen, schulischen Förderung und der Entwicklung eines positiven Körpergefühls. Zu den sozialen Kompetenzen gehören die Stärkung des Selbstwertgefühls, die soziale Wahrnehmung, die Konfliktfähigkeit und die Kooperations- und Kommunikationsfähigkeit. Die Verlässlichkeit und Beständigkeit, aber auch die Zuwendung und Geborgenheit, die die Kinder in der Lernstube erfahren, sind wichtige Voraussetzungen, um diese Dinge zu erreichen. (Jugendamt Erlangen 1994, S. 9)
1.7.1. Förderung des Selbstwertgefühls
Jedes Kind wird als eigenständiges Wesen mit einer unverwechselbaren Identität betrachtet. Jeder ist wichtig und wertvoll für die Gruppe. Im Lernstubenalltag soll den Kindern nahe gebracht werde, daß sie ihre Umwelt mitgestalten und verändern können.
Diese Erfahrungen sind wichtig, um den Kindern ein positives Selbstwertgefühl zu vermitteln.
Um diese Ziele zu erreichen, ist das Verhalten der Erzieherperson sehr wichtig. Ihre wichtigste Aufgabe ist es, die Kinder positiv zu stärken, ihnen Anerkennung und Rückmeldung zu geben und ihnen aktiv zuzuhören.
Das Selbstwertgefühl der Kinder wird z. B. durch Spiele und kreatives Gestalten aufgebaut. Dabei ist es ein Schwerpunkt, den Kindern die Möglichkeit zu geben, ihren Gefühlen Ausdruck zu verleihen. (Jugendamt Erlangen 1994, S. 9f)
1.7.2. Förderung der sozialen Wahrnehmung
Ziel ist es, nicht nur die eigenen Gefühle, sondern auch die anderer wahrzunehmen. Die Kinder sollen auf alle Bedürfnisse, eigene und fremde, eingehen und angemessen darauf reagieren. Ebenso sollen sie lernen, die Wirkung ihres Verhaltens auf andere einzuschätzen. Denn bestimmte Verhaltensweisen ziehen bestimmte Konsequenzen nach sich.
Auch hier ist das Verhalten der ErzieherInnen wichtig. Die PädagogInnen versuchen, durch angeleitete Rollenspiele oder gezielte Gespräche den Kindern soziale Zusammenhänge zwischen Verhalten und Reaktion bewusst zu machen. (Jugendamt Erlangen 1994, S. 10)
1.7.3. Förderung der Konflikt- und Handlungsfähigkeit in Konfliktsituationen
Für die Kinder ist es wichtig, Konflikte und Probleme innerhalb der Gruppe erkennen und darstellen zu können. Um die Konflikte gewaltfrei lösen zu können, werden den Kindern Lösungsmöglichkeiten vermittelt, die sie in neuen Konfliktsituationen anwenden können. Die Kinder sollen lernen, Kompromisse einzugehen, um dadurch unter Umständen auch Frustrationen aushalten zu können.
Aufgabe der ErzieherInnen ist hier, den Kindern zu zeigen, daß Konflikte gewaltfrei gelöst werden können. Die Kinder sollen dazu ermuntert werden, selbst Lösungsstrategien zu finden und anzuwenden. Dazu müssen den Kindern Raum, Zeit und Materialien zur Verfügung gestellt werden. Auch werden mit den Kindern zusammen soziale Normen und Regeln für die Gruppe aufgestellt. Dies geschieht durch Regelspiele, Erzählen von Geschichten oder Sportangebote. (Jugendamt Erlangen 1994, S. 10)
1.7.4. Förderung der Kooperationsfähigkeit
Die Kinder sollen Beziehungen zu anderen aufnehmen können. Um eine positive Gruppendynamik zu entwickeln, ist es auch hier wichtig, daß die Kinder selbst Regeln für das Zusammensein bilden. Dabei müssen eigene Interessen und Bedürfnisse unter Umständen zurückgestellt werden und die Bedürfnisse der anderen in das eigene Handeln mit integriert werden können. Ebenso ist es wichtig, Außenseiter in das Gruppengeschehen mit einzubeziehen.
Die Kinder haben die Möglichkeit, sich zu Kleingruppen zusammenzufinden. Ihnen wird verschiedenes Material zur Verfügung gestellt, um ihre Interessen zu befriedigen. Auch ist zur Entwicklung der Kooperationsfähigkeit das Verhalten der PädagogInnen wichtig. Die Kinder werden bei Entscheidungen, welche die Gruppe betreffen, mit einbezogen und ihnen werden, genauso wie den ErzieherInnen, Aufgaben übertragen. Dadurch übernehmen die Kindern eine teilweise Verantwortung für das Gruppengeschehen. Kinder helfen z. B. zusammen mit einer Erzieherperson mit, Sportangebote oder Spiele, in denen Kooperation verlangt wird, zu organisieren. (Jugendamt Erlangen 1994, S.10)
1.7.5. Förderung der Kommunikationsfähigkeit
Ziele sind, sich in der Umgangssprache deutlich und richtig mitzuteilen. Die Kinder sollen ihre eigenen Gefühle, Gedanken und Wünsche formulieren. Dadurch werden sie im Umgang mit dem schulischen Grundwortschatz und der Grammatik der deutschen Sprache sicherer.
Um diese Ziele zu unterstützen, werden die Kinder generell dazu aufgefordert, in ganzen Sätzen zu sprechen. Durch angeleitete oder freie Rollenspiele wird den Kindern spielerisch vermittelt, ihre eigenen Bedürfnisse sprachlich auszudrücken. Auch werden mit den Kindern Sprachspiele erarbeitet, die sich auf die konkrete Lebenssituation der Kinder beziehen. (Jugendamt Erlangen 1994, S.10f)
1.7.6 Schulische Förderung
Viele Kinder der Lernstuben besuchen Sprachheilschulen, Diagnose-Förder-Klassen oder Sonderschulen. Doch auch Kinder der Grundschulen zeigen oft Schwierigkeiten, dem Schulstoff zu folgen. Deshalb ist eine individuelle schulische Förderung im Lernstubenalltag sehr wichtig, um Sonderschuleinweisungen oder Rückstufungen der Kinder zu vermeiden. Ebenso sollen Kinder aus Diagnose-Förder-Klassen in die normale Grundschule eingegliedert werden.
Die Kinder sollen zu einem regelmäßigen Schulbesuch und zum selbstständigen Erledigen der Hausaufgaben motiviert werden. Besonders wichtig ist es, die meist niedrige Konzentrationsfähigkeit und Ausdauer der Kinder zu schulen.
Im Gruppengeschehen werden Projekte erarbeitet, die ergänzend zum schulischen Lehrstoff wirken, z. B. das Kennenlernen anderer Länder, Umweltbewusst-sein usw. Weiterhin werden für die Kinder individuelle Übungsmappen angelegt, die den Kindern helfen sollen, selbstständig ihre schulischen Defizite aufzuarbeiten. Weiterhin soll den Kindern die Gelegenheit gegeben werden, ihre Hausaufgaben in einer entspannten Atmosphäre zu erledigen. Durch gezielte Hilfestellungen werden Erfolgserlebnisse vermittelt. Dadurch bauen die Kinder Leistungs- und Versagensängste ab. (Jugendamt Erlangen 1994, S.11)
1.7.7. Entwicklung eines positiven Körpergefühls
Viele Kinder leiden unter einem fehlenden oder nur teilweise vorhandenem Körperschema. Sie können ihre eigenen Körpergrenzen und die anderer schlecht einschätzen.
Die Kinder sollen durch verschiedene Wett- und Kooperationsspiele für ihren eigenen Körper sensibilisiert werden. Dadurch entwickeln sie auch ein körperliches Wohlbefinden. Durch Yoga, Tanz oder Rhythmik lernen die Kinder die Koordination von fein- und grobmotorischen Bewegungsabläufen.
Auch andere Aktivitäten, wie Schlittenfahren im Winter, Radfahren oder Schwimmen tragen zur Entwicklung eines positiven Körpergefühls bei. (Jugendamt Erlangen 1994, S.11)
1.8. Die Notwendigkeit der Lernstubenarbeit heute
Wie verschiedene Statistiken in unterschiedlichen Städten belegen, ist der Anteil der Sozialschwachen an der Bevölkerung auch in den letzten Jahren kontinuierlich gewachsen. Der Bund, Länder und vor allem auch Gemeinden stehen vor riesigen finanziellen Problemen. Gekürzt und gespart wird besonders im Sozialbereich. Dies hat unter Umständen fatale Folgen. Denn, wie auch die zweite Pisa-Studie bestätigt, hängt in keinem anderen Land der Welt der Schulerfolg so stark vom Einkommen und der Vorbildung der Eltern ab, wie in Deutschland. Das deutsche Schulsystem versagt bei der Förderung von Kindern aus Arbeiter- und Migrantenfamilien (NN, 15.11.2004). Gerade aber aus diesen Familien stammen die in den Lernstuben betreuten Kinder. Der Sparkurs der Regierung, der viele Einschnitte im Sozialbereich mit sich brachte, traf die hilfsbedürftigen Familien besonders. Damit auch Kinder aus diesem Umfeld eine Chance erhalten, ist die Aufrechterhaltung der Lernstubenarbeit von besonderer Wichtigkeit.
2. Die Lernstube in Erlangen-Büchenbach
Die Einrichtung befindet sich im Stadtteil Büchenbach. Die Ansiedelung im sozialen Brennpunktgebiet ist ein wesentlicher Bestandteil des Konzepts. Auf diese Weise wird enge Kooperation mit den Schulen und den Familien ermöglicht.
Die Gesamtfläche der Einrichtung beträgt ca. 130 qm. Es gibt einen Gruppenhauptraum mit ca. 70 qm. Darin befindet sich ein großflächiges, zweistöckiges Holzhaus mit mehreren kleinen Zimmern, die Rückzugsmöglichkeiten bieten. Im Gruppenhauptraum ist außerdem eine offene Bürozeile untergebracht. Der Raum wird als Spielraum und als Hausaufgabenzimmer genutzt. Weiterhin verfügt die Einrichtung über eine Küche (ca. 25 qm). In dieser wird gemeinsam gegessen, es werden aber auch die Hausaufgaben dort erledigt. Ein weiterer Gruppenraum (ca. 33 qm) wird als Spiel- und Hausaufgabenraum genutzt.
Die Einrichtung besuchen zur Zeit 16 Kinder im Alter von sechs bis elf Jahren. Zwei davon benötigen individuellen Förderbedarf und besetzen je einen heilpädagogischen Tagesplatz.
2.1. Tagesablauf in der Lernstube in Erlangen-Büchenbach
Um einen besseren Einblick in die Lernstubenarbeit zu geben, möchte ich hier kurz den Tagesablauf der Lernstube in Erlangen-Büchenbach vorstellen.
Die Lernstube öffnet um 11.00 Uhr. Die Kinder kommen während der Schulzeit direkt nach der Schule in die Einrichtung. Dies geschieht je nach Unterrichtsschluss zwischen 11.30 Uhr und 13.15 Uhr. Die Zeit bis zum gemeinsamen Mittagessen verbringen die Kinder mit freien oder angeleiteten Spielen, basteln oder sonstigen Aktivitäten. Zwischen 13.15 Uhr und 13.45 Uhr gibt es das gemeinsame Mittagessen mit anschließendem Zähneputzen. Danach haben die Kinder nochmals ca. 15 Minuten Zeit, ihren eigenen Beschäftigungen nachzugehen.
Um 14.00 Uhr beginnt die Hausaufgabenzeit. Die Kinder sind in drei feste Hausaufgabengruppen zu je fünf bis sechs Schülern eingeteilt, in der ihnen jeweils eine bis zwei Erzieherinnen bei der Erledigung der schulischen Pflichten helfen. Die Kinder werden jedoch dazu angehalten, ihre Hausaufgaben soweit wie möglich selbstständig zu erledigen. In der Regel sind immer die gleichen Pädagoginnen für die Hausaufgabengruppen zuständig. Die Hausaufgaben sollen innerhalb einer Stunde erledigt werden. Kinder, die bereits früher mit Hausaufgaben fertig sind, nutzen die verbleibende Zeit, um schulische Defizite aufzuarbeiten. Dafür sind individuelle Übungsmappen für sie angelegt. Um 15.00 Uhr findet eine fünfzehnminütige Reflexion und Auswertung der Hausaufgabenzeit statt. Die Kinder haben eventuell auch Zeit, über ihren Tag zu berichten.
Um 15.15 Uhr treffen sich alle zum gemeinsamen Nachtisch. In dieser Zeit besteht Gelegenheit, Wünsche für das Nachmittagsprogramm zu äußern, sofern kein gesondertes Programm für alle angeboten wird. Ab 15.30 Uhr finden Angebote statt, wie z. B. Yoga, Kreativgruppe oder Turnhalle. Für Kinder, die ihre Hausaufgaben in der dafür vorgesehenen Zeit nicht geschafft haben, wird eine Nacharbeitungszeit angeboten. Ab 16.30 Uhr ist die Betreuung beendet, um 17.00 schließt die Lernstube.
Dieser Tagesablauf ist natürlich nur der Rahmen, an dem man sich orientiert. In der Praxis gibt es genügend Situationen, die eine Abwandlung notwendig machen, wie z. B. Geburtstagsfeiern oder personell bedingte Änderungen.
2.2. Arbeitsansatz in der Lernstube in Erlangen-Büchenbach
2.2.1. Erziehungsplanung
Die Erziehungsplanung ist die Grundlage der pädagogischen Arbeit in der Tagesstätte. Wesentliche Arbeitsschritte sind eine möglichst umfassende Verhaltensbeobachtung und -beschreibung jedes einzelnen Kindes. Dadurch wird eine Einschätzung der Gesamtpersönlichkeit, besonders der Stärken und Schwächen des Kindes gewährleistet. Um die Stärken der Kinder zu fördern und die Schwächen zu vermindern, wird anschließend ein detaillierter Erziehungsplan aufgestellt, welcher die Formulierung von Erziehungszielen für die pädagogische Arbeit mit dem Kind beinhaltet. Auch werden die Methoden zur Realisierung dieser Ziele festgelegt. Die Überprüfung wird in Form einer Hilfeplankonferenz in der Regel halbjährlich durchgeführt.
2.2.2 Soziales Lernen
Die Gruppe bietet dem einzelnen Kind einen geschützten Rahmen, um neue Erfahrungen zu machen, soziale Kompetenzen und kreative Ausdrucksmöglichkeiten zu erweitern. Eine klare Struktur im Tagesablauf, räumlich, inhaltlich und zeitlich festgelegte Gruppenangebote sowie eindeutige Normen, Regeln und Grenzsetzungen ermöglichen Sicherheit, Orientierung und Eingliederung. Gruppenaktivitäten, wie z. B. gemeinsame Mahlzeiten, Freispielphasen, Kreativ- und Sportgruppe, Naturspiele und Ferienfahrten sind Übungsfelder für soziales Lernen.
2.2.3. Familienarbeit
Familienarbeit findet vor allem in regelmäßig geführten Elternberatungsgesprächen statt. Ein systemischer Ansatz, der also die gesamte Lebenswelt der Familie und des Kindes mit einbezieht, ist von zentraler Bedeutung für die Beratung. Das Anliegen ist dabei, konkrete Verhaltens- und Rollenmuster innerhalb des Systems Familie vor dem Hintergrund vorhandener Kompetenzen und Ressourcen zu bearbeiten.
2.2.4. Lebensweltansatz
Lebensweltorientierung wird in der Lernstube als ein Aufgabengebiet verstanden, welches die Kinder und deren Familien mit all ihren Lebenszusammenhängen in die Arbeit integriert. Durch die Lebensweltorientierung der Tagesstätte kann das Spannungsfeld, das für das Kind oft zwischen Schule, Tagesgruppe und Elternhaus steht, entsprechend gering gehalten werden.
Es können Ressourcen, die möglicherweise zur Förderung und Unterstützung der Familie möglich sind, aktiviert werden. So kann z. B. der Aufbau von Beziehungen in Vereinen, Familien-, Mütter- und Kindertreffs bzw. tragfähigen Freundschaften vor Ort gefördert werden. Diese Beziehungsnetze sollen der Familie und den Kindern bei der Alltagsbewältigung eine Stütze werden.
2.3. Personal der Lernstube in Erlangen-Büchenbach
Die pädagogischen Fachkräfte arbeiten im Team zusammen und gewährleisten dadurch die praktische Umsetzung der Ziele (vgl. 1.7.). Die Arbeit beinhaltet kooperative Zusammenarbeit und einen stetigen Austausch von Fachlichkeit und Erfahrungen der Teammitglieder. Zusatzqualifikationen unterstützen die Qualität der pädagogischen Arbeit.
Die heilpädagogische Tagesstätte ist ein umfassendes Arbeitsfeld, welches ein hohes Maß an Flexibilität und fachlicher Kompetenz aller Mitarbeiter fordert.
Die ständige Reflexion des eigenen Verhaltens ist die Grundlage des fachlich kompetenten Handelns. Dies wird besonders durch kollegiale Beratung unterstützt. Wöchentlich finden Teambesprechungen statt.
Die Einrichtung in Erlangen-Büchenbach wird geleitet von einer Diplom-Sozialpädagogin. Sie verfügt über eine Zusatzausbildung zur Kommunikationsberaterin, Yoga-Lehrerin und Montessori-Arbeit.
Weiterhin werden die Kinder von einer Motopädagogin, einer Erzieherin mit Zusatzausbildung zur Theaterpädagogin und einer pädagogischen Hilfskraft unterstützt.
2.4. Heilpädagogische Arbeit der Lernstube in Erlangen-Büchenbach
Die Lernstube in Erlangen-Büchenbach verfügt über zwei heilpädagogische Plätze. Diese Kinder brauchen einen erhöhten heilpädagogischen und sozialen Förderbedarf. Ein erhöhter Förderbedarf wird in den §§ 32 und 35a KJHG definiert.
Die heilpädagogische Förderung wird als „Hilfe zur Erziehung in einer Tagesgruppe“ (§32 KJHG) festgelegt (vgl. 1.5.). Mit Hilfe eines heilpädagogischen Tagesplatzes und der dazugehörigen Förderung „soll die Entwicklung des Kindes durch soziales Lernen in der Gruppe“ (§32 KJHG) unterstützt und der „Verbleib des Kindes ... in seiner Familie“ (ebd.) gesichert werden.
§ 35a regelt den Anspruch auf Eingliederungshilfe für seelisch behinderte oder von einer solchen Behinderung bedrohte Kinder. (§35a KJHG)
Der Sinn der heilpädagogischen Arbeit ist also die Integration erziehungsschwieriger und von einer seelischen Behinderung bedrohter Kinder in ihr soziales Umfeld. Dies wird ermöglicht durch die Begleitung der Kinder in ihrer gesamten Entwicklung. Auch die betroffenen Eltern werden in diese Arbeit mit einbezogen und bei der Erziehung unterstützt. Ihr erzieherisches Handeln wird so gestärkt und verbessert.
Bei der heilpädagogischen Einzelförderung des Kindes werden hauptsächlich Motopädie, Elemente der Montessoripädagogik und Yoga eingesetzt.
In der Einzelförderung soll dem Kind die Möglichkeit gegeben werden, seine eigenen Bedürfnissen zu erkennen, diesen Ausdruck zu verleihen und sie nach Möglichkeit auch zu befriedigen. Gemeinsam mit dem Kind wird ein individuelles Interessengebiet herausgearbeitet und speziell dazu ein Angebot gefunden. Eine vorbereitete Umgebung mit ausgewählten Materialien bietet dabei die passende Entfaltungsmöglichkeit. Auch innere Spannungen, Ängste und Gefühle können mit Hilfe von kreativen Gestaltungsmaterialien sichtbar gemacht werden. Diese werden dadurch begreifbar und können verarbeitet werden.
Ferner ist es in der heilpädagogischen Arbeit mit Kindern in problematischen Lebenssituationen außerordentlich wichtig, strukturbildend zu arbeiten. Durch
Übungen mit Sinnesmaterialien können Erfahrungen nachgeholt werden, die eine Ordnung im Denksystem des Kindes bewirken. Die Übungen sollen vor allem die Selbständigkeit und die Bewegungskoordination schulen und letztendlich dem Aufbau der Persönlichkeit dienen.
Kinder, die einen Regelplatz der Tagesstätte besetzen, werden ebenfalls in die heilpädagogischen Angebote mit eingebunden.
Im nachfolgenden Kapitel soll vor allem auf die Motopädagogik als heilpädagogische Förderung eingegangen werden.
3. Motopädagogik
Motopädagogik versteht sich als Konzept ganzheitlicher Erziehung und Persönlichkeitsbildung. Dies geschieht über motorische Lernprozesse und Verhaltensänderung. In Deutschland entwickelte sich die Motopädagogik seit 1955 vor allem aus der Arbeit mit bewegungsbehinderten Kindern. Als Grundlage der Motopädagogik gelten die engen Beziehungen zwischen körperlicher Bewegung, psychischem Erleben, Verhalten, Intelligenz und Denken. Sie sieht ihre Aufgabe aber nicht allein in der Erziehung durch Bewegung und der Verbesserung motorischer Fertigkeiten, sondern die gesamte Persönlichkeitsentwicklung des Kindes steht im Vordergrund. Auch die bewusste Steuerung und Selbstkontrolle werden durch Bewegungserziehung gefördert. Entwicklungsförderung im Sinne der Motopädagogik erfolgt dabei am Kind orientiert, spielerisch und lustbetont. (Ortner&Ortner 1997)
3.1. Ursprünge der Motopädagogik
Das Konzept der Motopädagogik entstand nicht aus einer Theorie heraus, sondern entwickelte sich vor einem praxisbezogenen Hintergrund.
In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts publizierte der französische Arzt Jean Itard seine Theorie, dass die Förderung der Wahrnehmung und Bewegung großen Einfluss auf die Erziehung von Kindern nehmen kann. Diese Behauptung untermauerte er durch ein erzieherisches Experiment mit einem wilden Jungen, der in den Wäldern Südfrankreichs aufwuchs. Itards Erziehungsmethode stellte die Förderung der Sinne über gezielte Übungen in den Mittelpunkt.
Maria Montessori (1870 – 1952) greift die Ideen von Jean Itard auf. Auch für sie standen die Förderung der Sinne und der Bewegung im Vordergrund. Auch die Selbsttätigkeit und das Selbstlernen des Kindes waren wichtige Inhalte ihrer Theorie. Montessori arbeitete mit geistig behinderten Kindern. Sie suchte nach Möglichkeiten, die Kinder in ihrer Entwicklung zu begleiten. Die zentrale Forderung ihrer Pädagogik waren die Selbstbestimmung der Kinder in vorbereiteter Umgebung. Dabei verwendete sie spezielle Materialien für kognitive Lernvorgänge. Aufgrund ihrer Versuche, konnte Montessori beobachten, dass alle Kinder über die Fähigkeit verfügen, ihre Persönlichkeit aufgrund eines inneren Entwicklungsplanes selbst aufzubauen.
Die Anfänge der Motopädagogik in Deutschland begannen mit der Entwicklung der psychomotorischen Übungsbehandlung im Jahre 1955. Der Name, der immer wieder mit diesem Konzept in Verbindung gebracht wird, ist Ernst Kiphard. Er beobachtete bei seiner Arbeit in der Kinder- und Jugendpsychiatrischen Klinik, dass viele seiner Patienten Beeinträchtigungen in Wahrnehmung und Bewegung aufwiesen. Kiphard greift Teile der Theorie Montessoris auf, vor allem die Förderung der Selbsttätigkeit des Kindes. Wichtige Elemente sind Rhythmik, Musik und Gymnastik. Auch ist es wichtig, dass die Förderung der Kinder nicht durch einen fremdbestimmten Lehrplan erreicht wird, sondern die Kinder selbst aktiv werden. (Schilling 2003)
Durch einen Forschungsauftrag des Sozialministeriums Nordrhein-Westfalen im Jahre 1957/58 kommt es zu einer ersten Effizienzüberprüfung der damaligen Psychomotorischen Übungsbehandlung. Die Ergebnisse werden 1960 im Jahrbuch der Jugendpsychiatrie veröffentlicht und im gleichen Jahr erscheint die erste Auflage des Büchleins Bewegung Heilt, in dem Kiphard versucht, die Grundzüge seiner praktischen Arbeit in systematisierter Form darzustellen. Er setzt sich zum Ziel, über die Motorik eine leibseelische Harmonisierung und Stabilisierung der Gesamtpersönlichkeit der ihm anvertrauten jungen Patienten zu bewirken. So werden Übungen zur Sinnesschulung, Körper-, Raumwahrnehmung, Behutsamkeit, Selbstbeherrschung, rhythmisch-musikalischen Schulung und zum Körperausdruck spielerisch motivierend in Kindergruppen durchgeführt. (Schilling 2003)
Nachdem sich im Rahmen eines Forschungsauftrages die praktischen Tests als nicht aussagefähig erwiesen, wurden in Zusammenarbeit zwischen Kiphard, dem Jugendpsychiater Hünnekens und dem Psychologen Schilling neue Verfahren entwickelt, z.B.
- Der Trampolin-Körperkoordinations-Test (TKT), Veröffentlichung 1970
- Der Körperkoordinations-Test für Kinder (KTK); Veröffentlichung 1974
- Das Sensomotorische Entwicklungsgitter; Veröffentlichung mit Filmdokumentation 1975
Der Anfangszeit der Psychomotorik – und wesentlich für ihre interdisziplinäre Anerkennung – liegt somit ein diagnostisches Fundament zugrunde. Dennoch bleibt die ursprüngliche Psychomotorische Übungsbehandlung als Meisterlehre kiphardscher Prägung bekannt; sie gilt als Inbegriff der auf die Praxis bezogenen Entwicklungslinie der Psychomotorik. Eine kategorische Zuordnung zur Pädagogik oder Therapie ist nicht erkennbar. Durch spielerische und darstellende Methodik soll Hilfe zur Selbsterziehung ermöglicht werden. Seine Methoden beziehen den gesamten Menschen ein und sind vor allem als praktisches Konzept zu verstehen, da sie das Selbstverständnis aus der Praxis und weniger aus theoretischen Begründungszusammenhängen gewinnen. (Schilling 2003)
3.2. Ziele und Inhalte der Motopädagogik
Ziel der Motopädagogik ist es, den Menschen anzuregen, um sich handelnd seine Umwelt zu erschließen. Dabei ist es wichtig, dass seine Bedürfnisse im Mittelpunkt stehen.
Das Konzept der Motopädagogik stellt die gesamte menschliche Persönlichkeit in den Mittelpunkt. Sie ist nicht primär auf die Verbesserung bestimmter motorischer Fertigkeiten ausgelegt. Vielmehr versucht sie, über das spielerische Einüben von Bewegungshandlungen die kindliche Persönlichkeit zu fördern. (Zimmer 1987, Zimmer 1993)
Um das Ziel der sinnvollen Auseinandersetzung mit der Umwelt zu erreichen, ist die Förderung von drei Kompetenzbereichen wichtig.:
Das Kind soll befähigt werden, sich und seinen Körper wahrzunehmen, zu erleben, mit seinem Körper umzugehen und mit sich selbst zufrieden zu sein. Dies ist die sogenannte Ich-Kompetenz.
Auch die Sach-Kompetenz zählt zu den wesentlichen Schwerpunkten in der Motopädagogik. Dabei wird gelernt, die materielle Umwelt wahrzunehmen und in und mit ihr umzugehen.
Ebenso ist es wichtig, dass Kinder Sozial-Kompetenzen erwerben, um in ihrer Umwelt angemessen handeln zu können. Sozial-Kompetenzen befähigen die Kinder dazu, zu erkennen, dass sich alle Lernprozesse innerhalb ihrer eigenen und den Bedürfnissen anderer vollziehen. (Zimmer 1987, Zimmer 1993)
Diese Kompetenzbereiche lassen sich allerdings nur in der Theorie, nicht aber in der Praxis voneinander trennen. Aus den drei Bereichen ergeben sich drei Lernfelder: die Körpererfahrung, die materielle Erfahrung und die soziale Erfahrung.
Körpererfahrungen werden durch Handeln in der Umwelt, also durch körperliche Bewegung, gemacht. Das Kind lernt seinen Körper kennen, mit ihm umzugehen und somit auch auf die Umwelt einzuwirken. Die Orientierung am eigenen Körper ermöglicht ihm die Orientierung im Raum. Das individuelle Befinden wird über die Körperlichkeit erlebt. Damit werden auch anderen die eigenen Gefühle und Bedürfnisse gezeigt. Die Motopädagogik versucht über Angebote, die dem Entwicklungsalter der Kinder entsprechen, Körper- und Bewegungserfahrungen zu ermöglichen. (Zimmer 1987, Zimmer 1993)
Die materielle Erfahrung mit verschiedensten Alltagsmaterialien soll es dem Kind ermöglichen, Erkenntnisse über seine Umwelt zu erlangen. Im Spiel mit unterschiedlichen Gegenständen erhält das Kind Informationen über die Eigenschaften seiner dinglichen Umwelt. Die Sach-Kompetenz wird erweitert. Besonderer Wert wird dabei auf die Selbständigkeit und das kreative Spiel der Kinder gelegt. Bevorzugt werden Alltagsmaterialien in die Angebote mit einbezogen, um sinnvolle Bezüge zur Alltagsrealität herzustellen. Materialgestaltete Spielsituationen im Kindesalter wären etwa die Benennung, Kategorisierung, Unterscheidung von Gegenständen, der sach- und zielgerichtete Einsatz von Material, die Kombination unterschiedlicher Spielobjekte, das Transportieren, Bewegen und Verändern von Material. Auch die Natur (Wald, Wiese, Wasser, Schnee) bietet aus motopädagogischer Perspektive ein reichhaltiges Feld materialer Erfahrungen.
Das Lernfeld der Sozialerfahrungen rückt den Kontakt mit den Mitmenschen in den Mittelpunkt. Nur durch diesen Sozialkontakt lernt der Mensch, sich zu verständigen, auszudrücken, zu kooperieren, Rücksicht zu nehmen und Verantwortung zu tragen. Aber auch Durchsetzungsvermögen ist eine wichtige soziale Kompetenz. Durch Geräteparcours in der Turnhalle, einer Rallye durch den Wald oder der Überwindung eines Hindernisses werden bei Kindern das Selbstwertgefühl gestärkt und die Anerkennung in der Gruppe gesteigert. Die Erfahrung gemeinsamer Abenteuer und das Zusammenarbeiten, um ein gemeinsames Ziel zu erreichen, haben sich als positiv zur Steigerung des Selbstwertgefühls erwiesen. (Zimmer 1987, Zimmer 1993)
3.4. Das Menschenbild in der Motopädagogik
Jede Theorie, aber auch jede praktische Methode hat ihre eigene Vorstellung vom Wesen des Menschen. Dieses Menschenbild wird meist aus philosophischen oder auch naturwissenschaftlichen Überzeugungen abgeleitet.
Menschenbilder sind nicht immer offensichtlich. Dennoch orientiert sich das praktische Handeln daran.
Menschenbilder können sehr unterschiedlich sein und sich sogar gegenseitig ausschließen. Ein Bild des Menschen, bei dem das Kind als von äußeren Reizen bestimmtes Wesen wahrgenommen wird, verträgt sich nicht mit der Vorstellung, dass das Kind ein eigenständiges, selbstgesteuertes Wesen ist. (Kesper 2002a, Frostig 1997 u. a.)
Solche Vorstellungen vom Menschen wirken sich auch auf das praktische Handeln aus. Nimmt man an, dass Verhaltensauffälligkeiten eines Kindes die Folge einer Wahrnehmungsstörung sind, liegt dieser Auffassung ein Menschenbild zugrunde, nach dem das Verhalten von der Verarbeitung von Sinnesreizen abhängt. Es liegt auf der Hand, dass in einem solchen Fall auch die praktischen Konsequenzen für eine Fördermaßnahme anders aussehen, als wenn die Verhaltensprobleme des Kindes Ausdruck einer gestörten Beziehung des Kindes zu seiner sozialen Umwelt oder einer tiefgreifenden Selbstwertproblematik angesehen werden.
Die Psychomotorik geht von einem humanistischen Menschenbild aus. Die zentralen Grundgedanken dieses Menschenbildes sind Autonomie, Selbstverwirklichung, Ziel- und Sinnorientierung sowie die Ganzheit des Menschen.
Zu Beginn seines Lebens ist jeder Mensch in hohem Maße von seiner Umwelt abhängig. Mit wachsender Beherrschung des eigenen Körpers strebt er jedoch nach Unabhängigkeit von äußerer Kontrolle. Er entwickelt ein aktives Selbst, das in zunehmendem Maße in die eigene Entwicklung eingreifen und die Verantwortung für das eigene Leben übernehmen kann. Diese Tendenz wird als Streben nach Autonomie bezeichnet, d. h., der Mensch strebt danach, sich selbst und die Umwelt zu beherrschen und dadurch unabhängig von äußerer Kontrolle zu werden.
Mit zunehmender Autonomie hat der Mensch auch ein größeres Bedürfnis, seine Umwelt zu erforschen, nach Wissen zu streben und seine schöpferischen Fähigkeiten zu entfalten. Diese Tendenz wird als Selbstverwirklichungsstreben bezeichnet. Sie gilt als grundlegende Antriebskraft, die sich in ständigem Austausch mit der sozialen Umwelt entfaltet. Nun entwickeln sich Anlagen und Fähigkeiten eines Menschen nicht automatisch und ganz von selbst, es sind auch Umgebungsbedingungen erforderlich, die diesen Prozess unterstützen und fördern.
Der Mensch strebt nicht nur nach Selbsterhaltung und Bedürfnisbefriedigung, sondern nach einem sinnvollen und erfüllten Dasein. Vorraussetzung hierfür ist, dass elementare Bedürfnisse nach Sicherheit und Liebe befriedigt sind. (Kesper 2002a, Frostig 1997 u. a.)
Der Mensch wird als Ganzheit gesehen. Psychische, kognitive, emotionale, soziale und somatische Prozesse sind aufeinander bezogen. An jeder Handlung ist immer der ganze Mensch beteiligt: Leib und Seele, Gefühl und Vernunft werden als Einheit betrachtet. Aus humanistischer Sicht ist der Mensch ein handelndes Subjekt, ein biologisches, psychisches und soziales Wesen.
Ein solches Menschenbild verweist implizit auf die besondere Rolle, die Körper- und Bewegungserfahrungen für die Entwicklung des Kindes haben. Der Körper ist der Mittler von Selbständigkeit. Das Streben nach Unabhängigkeit wird dem Kind über die körperlich-motorischen Erfahrungen bewusst.
Auch im Hinblick auf das Streben nach Selbstverwirklichung nehmen Bewegungssituationen eine wesentliche Rolle ein: Sie enthalten viele Gelegenheiten, in denen sich die schöpferischen Kräfte des Kindes entfalten können, in denen es auf seine Umwelt einwirkt und sie nach seinen Vorstellungen gestalten kann.
Bewegungserfahrungen vermitteln dem Kind die Erfahrung sinnvollen Handelns, ohne Zweckbestimmung und ohne auf die möglichen Ergebnisse des Tuns zu achten. Bewegung und Spiel sind Tätigkeiten, die um ihrer selbst willen ausgeführt werden und in sich selbst belohnend wirken.
Schließlich werden Bewegungshandlungen aus der Sicht der Psychomotorik immer auch hinsichtlich ihrer Verflochtenheit mit emotionalen, kognitiven und sozialen Anteilen gesehen. Bewegung ist Ausdruck der Gesamtbefindlichkeit des Kindes und darf daher nie alleine unter z. B. biomechanischen Aspekten betrachtet werden. An jeder Bewegungshandlung ist immer der ganze Mensch beteiligt.
3.5. Aspekte der kindlichen Entwicklung
Entwicklung ist ein Prozess von Veränderungen während des gesamten Lebenslaufs eines Menschen. Die Veränderungen sind von unterschiedlicher Zeitdauer und von unterschiedlichem Ausmaß, d. h., es gibt bei jedem einzelnen Individuum Unterschiede in der Entwicklung, und zugleich entwickeln sich alle Menschen unterschiedlich. (Zimmermann 2002, Winkler 1997 u.a)
Veränderungen sind nicht vom Zufall abhängig oder durch beliebige Ereignisse gesteuert, sie unterliegen einer gewissen Systematik und sind im Normalfall nicht umkehrbar. Mit dem Verlauf und den Bedingungen solcher Veränderungen befasst sich die Entwicklungspsychologie. Besonders deutlich ist der Entwicklungsprozess in der Kindheit. Obwohl auch alte Menschen sich noch verändern, sind doch die Fortschritte bei kleinen Kindern am deutlichsten und deswegen wohl auch am ehesten beobachtet und untersucht worden.
Die Entwicklung ist ein komplexer und vielschichtiger Prozess, an dem sowohl die Erbanlagen als auch Umweltbedingungen einen Anteil haben.
Es gibt unterschiedliche theoretische Vorstellungen vom Ablauf dieses Prozesses.
Die reifungstheoretischen Ansätze betrachten Entwicklung weitgehend als biologisch vorprogrammiertes Geschehen, in dem Umwelteinflüsse nur eine untergeordnete Bedeutung haben. Entwicklung wird hier als Abfolge von Stufen oder Phasen verstanden. (Zimmermann 2002, Winkler 1997)
Die Annahme eines einheitlichen Entwicklungsverlaufs führt jedoch zu problematischen pädagogischen Konsequenzen: Kindern in einer bestimmten Entwicklungsphase wird oft ein einheitliches Erziehungsprogramm vorgegeben, das dann in der Praxis häufig zu einer Unter- bzw. Überforderung führt.
Motorische Erfahrung wird nach diesem Ansatz als weitgehend vererbt angesehen. Kaum beachtet wird hierbei, dass die leib-seelische Entwicklung von Kindern nicht das Ergebnis eines schubweise verlaufenden naturgegebenen Reifungsprozesses ist, sondern vor allem beeinflusst wird durch die Art und Weise der vorausgegangenen Lernerfahrungen und Entwicklungsreize.
Im milieutheoretischen Ansatz wird die Vorstellung vertreten, dass die Entwicklung des Menschen weitgehend durch Umwelteinflüsse gesteuert wird. Das menschliche Verhalten wird als Reaktion auf Erfahrungen und Erlebnisse, die als Reize gelten, verstanden. Ererbte Voraussetzungen spielen dabei nur eine mehr oder weniger untergeordnete Rolle. (Zimmermann 2002, Winkler 1997)
[...]
[1] "eine Methode der Sozialarbeit, die dem einzelnen durch sinnvolle Gruppenerlebnisse hilft, ihre soziale Funktionsfähigkeit zu steigern und ihren persönlichen Problemen, ihren Gruppenproblemen oder den Problemen des öffentlichen Lebens besser gewachsen zu sein" (Hobmair 1989, nach Baumann 1999, S.34)
[2] verbales und nonverbales diskriminierendes Verhalten aufgrund eines nichttolerierten sozialen Merkmals (Schäfers 2003, S. 384f.)
[3] bezeichnet einen Rückzug in der Verhaltensweise auf bereits überwunde kindliche Entwicklungsstufen in Erlebnis und Handlungsweisen; Auslöser sind lang anhaltende Frustrationen (Universal Lexikon)
- Quote paper
- Jana Szabo (Author), 2004, Motopädagogische Förderung hyperaktiver Kinder in Lernstuben, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/35962
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