[...] Ziel meiner Arbeit ist es aufzuzeigen mit welchen grausamen Mitteln Frauen in ihren Heimatländern verfolgt und gequält werden und das es vor diesem Hintergrund die menschliche Pflicht Deutschlands ist, insbesondere diesen Frauen, den Zugang zu einem Leben in Sicherheit nicht zu verwehren. Des weiteren möchte ich Verständnis schaffen, damit es der deutschen Bevölkerung in Zukunft nicht mehr so leicht fällt Flüchtlingsfrauen auszugrenzen. Kapitel 1 stellt einen kurzen Abriss der Rolle der Frau im Islam dar. Durch die Analyse frauenspezifischer Verse des Korans zeige ich auf, welche Normen und Werte von der Religion selbst gefordert werden und welche allein auf Traditionen und Bräuche zurückgehen. Im zweiten Kapitel beschreibe ich anschließend, welche Stellung der Frau in islamischen Gesellschaften in der Realität zukommt. Da eine Analyse jedes einzelnen muslimischen Landes dieser Welt im Rahmen dieser Magisterarbeit unmöglich wäre, habe ich den Staat Pakistan als „typischen“ Vertreter ausgewählt. Diese beiden, bewusst kurz gehaltenen, Abschnitte sollen dem besseren Verständnis meiner gesamten Arbeit über islamische Frauen dienen. In Kapitel 3 komme ich zu den Fluchthintergründen islamischer Frauen, welche zugleich den Schwerpunkt meiner Arbeit bilden. Hier beleuchte ich zum einen die Gründe, weshalb Frauen in ihren Heimatländern verfolgt werden und zum anderen stelle ich, nach kurzer Klärung des Folterbegriffs, dar, welche Methoden verwendet werden, um Frauen aufs Schlimmste zu peinigen. Mein viertes Kapitel ist dann der anschließenden Fluchtsituation gewidmet, welche, sowohl die Geschehnisse kurz vor, als auch direkt während der Flucht umfasst. In Kapitel 5 untersuche ich danach die Rahmenbedingungen des deutschen Asylrechts im Hinblick auf die Berücksichtigung von frauenspezifischen Fluchtgründen. Des weiteren stelle ich dar, was nach ihrer Ankunft in der Bundesrepublik Deutschland mit ihnen geschieht und welche besonderen Schwierigkeiten während des Asylverfahrens auf sie zukommen. Anschließend unterziehe ich einige konkrete frauenspezifische Fluchtgründe einer Prüfung auf Bleiberecht und gebe zum Ende dieses Kapitel einen kurzen Ausblick auf das verfasste, aber noch nicht in Kraft getretene, Zuwanderungsgesetz. Mein siebentes Kapitel widme ich den Bedingungen unter welchen Frauen nach ihrer Flucht in Deutschland leben. [...]
Inhaltsverzeichnis
Einleitung
1. Die Frau im Islam
1.1. Die geistlich-spirituelle Stellung der islamischen Frau im Koran
1.2. Die rechtliche und soziale Stellung der islamischen Frau im Koran
1.2.1. Das Mädchen im Koran
1.2.2. Das Besitz- und Erbrecht
1.2.3. Die Ehe im Koran
1.2.4. Das Scheidungsrecht im Koran
1.3. Ist der Islam frauenfeindlich?
1.4. Einige Gedanken zum Schleier
2. Die Stellung der Frau in islamischen Gesellschaften am Beispiel Pakistan
2.1. Die Frau in der pakistanischen Gesellschaft
3. Fluchtursachen islamischer Frauen
3.1. Die Verfolgung von Frauen aufgrund ihrer eigenen politischen Aktivitäten
3.2. Die Verfolgung von Frauen aufgrund ihrer Familienbindung zu einem Oppositionellen
3.3. Die Verfolgung von Frauen aufgrund ihrer Übertretung von frauenspezifischen Normen und Werten
3.4. Die Verfolgung von Frauen aufgrund der Zugehörigkeit zu einer ethnischen oder religiösen Gruppe am Beispiel der islamischen Sekte Ahmadiyyat
4. Folter an Frauen
4.1. Was ist Folter?
4.2. Warum wird gefoltert?
4.3. Die Foltermethoden und ihre Folgen
4.3.1. Die körperlichen Foltermethoden
4.3.1.1. Das kontrollierte oder systematische Schlagen
4.3.1.2. Die sexuelle Folter
4.3.1.2.1. Die Massenvergewaltigungen in Kriegen
4.3.1.3. Die Elektroschockfolter
4.3.1.4. Erstickungsfolter
4.3.1.5. Die Verbrennungsfolter
4.3.1.6. Die Folterung durch Aufhängen
4.3.1.7. Die pharmakologische Folter
4.3.1.8. Die zahnmedizinische Folter
4.3.1.9. Die Folterung durch körperliche Verstümmelungen
4.3.1.9.1. Die Genitalverstümmelung bei Frauen und Mädchen
4.3.2. Die psychische Folter
4.3.2.1. Die Folterung durch die Deprivationstechnik
4.3.2.2. Die Folterung durch psychologische Zwangstechniken
4.3.2.3. Die Folterung durch die gemeinsame Inhaftierung von Familienangehörigen und Freunden
4.3.2.4. Die Folterung durch Situationen der ‘unmöglichen Entscheidungen’
4.3.2.5. Die Folterung durch Drohungen
4.3.2.6. Die Folterung durch grausame Haftbedingungen
4.3.2.7. Exkurs: Die Situation schwangerer Frauen während der Inhaftierung
4.4. Die Folgen von Folter mit besonderen Blick auf frauenspezifische Folgewirkungen
5. Die Flucht
5.1. Die Vorfluchtsituation
5.2. Die Fluchtsituation
6. Die Rahmenbedingungen des Asylrechts der BRD unter besonderer Berücksichtigung frauenspezifischer Fluchtgründe
6.1. Die historische Entwicklung des Asylrechts in Deutschland
6.2. Die Grundzüge des Asylrechts der BRD nach den Neuerungen 1993
6.2.1. Das Grundrecht auf Asyl nach 1993
6.2.2. Der Abschiebungsschutz nach den Paragraphen 51 ff. des Ausländergesetzes
6.2.3. Das Asylverfahrensgesetz nach 1993
6.3. Die Voraussetzungen für Erteilung eines Bleiberechtes und die materiellen Entscheidungen des Bundesamtes
6.4. Das deutsche Asylverfahren und die Ereignisse nach der Ankunft der geflüchteten Menschen in Deutschland mit besonderem Blick auf Frauen
6.4.1. Die Anhörung
6.4.1.1. Die Faktoren die auf die Anhörung einwirken mit besonderem Blick auf Flüchtlingsfrauen
6.4.1.2. Die Beurteilung der Glaubwürdigkeit
6.4.1.3. Empfehlungen und Kriterien zur Befragung von AsylbewerberInnen
6.5. Die Anerkennungschancen frauenspezifischer Fluchtgründe in der deutschen Asylgesetzgebung
6.6. Ausblick: Einige relevante Regelungen des neuen Zuwanderungsgesetzes im Hinblick auf weibliche Asylsuchende
6.7. Konsequenzen der Anerkennungspraxis für geflüchtete Frauen
7. Die benachteiligenden Lebensbedingungen von Flüchtlingsfrauen in der BRD
7.1. Die psychosozialen Belastungen von geflüchteten Menschen
7.2. Die Beeinflussung der Lebenssituationen der Flüchtlingsfrauen durch ihren Herkunftskontext
7.3. Die Bedeutung und Beeinflussung des Familienstandes für Migrantinnen auf das Leben im Exil
7.3.1. Die Ehe im Exil
7.3.2. Ohne Partner im Exil
7.4. Die Wohnsituationen von AsylbewerberInnen und MigrantInnen
7.4.1. Die Lebensbedingungen der asylsuchenden Menschen in den Sammellagern mit besonderem Blick auf Flüchtlingsfrauen
7.4.1.1. Zum Begriff „Lager“
7.4.1.2. Die politische und gesellschaftliche Funktion der Sammellager
7.4.1.3. Die Wohnsituationen der geflüchteten Frauen in den Sammellagern
7.4.1.4. Die Versorgung der asylsuchenden Menschen in den Sammellagern
7.4.1.5. Das isolierte Leben von Asylbewerberinnen in den Sammellagern
7.4.1.6. Die psychosozialen Folgen der Internierung in Sammellagern
7.4.1.7. Einige Verbesserungsvorschläge für die Lebenssituation weiblicher Asylsuchender in den Sammellagern
7.4.2. Die Wohnsituationen von Migrantinnen im Exil
7.4.2.1. Der Aufbau von Kontakten in der Nachbarschaft
7.5. Die medizinische Versorgung von AsylbewerberInnen und MigrantInnen
7.5.1. Die Gesundheitsversorgung von Frauen während des Asylverfahrens
7.5.1.1. Die belastenden Lebensbedingungen in den Sammellagern als krankmachender Faktor
7.5.1.2. Die Zugangsprobleme von weiblichen Asylsuchenden zum medizinischen Versorgungssystem
7.5.2. Die Gesundheitsversorgung von Migrantinnen
7.5.2.1. Die Zugangsprobleme von anerkannten Asylbewerberinnen und Kontingentflüchtlingen zum medizinischen Versorgungssystem
7.5.2.2. Die Kommunikationsprobleme zwischen ÄrztInnen und ausländischen Patienten
7.6. Die Bildungs- und Arbeitsmöglichkeiten von geflüchteten Frauen im Exil Deutschland
7.6.1. Das Arbeitsverbot von AsylbewerberInnen
7.6.1.1. Die Auswirkungen des Arbeitsverbotes auf AsylbewerberInnen
7.6.2. Die Bildungsmöglichkeiten für Asylberechtigte und Kontingentflüchtlinge mit besonderen Blick auf Migrantinnen
7.6.3. Die Arbeitsmöglichkeiten von Migrantinnen
7.6.3.1. Die Bedeutung der Arbeitslosigkeit für Migrantinnen im Exil
7.7. Die Diskriminierung und Ausländerfeindlichkeit in Deutschland
7.7.1. Die Diskriminierung von ausländischen Frauen in Deutschland
Schluss
Literaturverzeichnis
Verzeichnis der Internetquellen
Einleitung
Die Mehrheit der weltweit flüchtenden Menschen sind Frauen. In jedem Land dieser Erde werden sie diskriminiert, geschlagen, gefoltert und getötet. Die Täter sind meist politische Systeme oder männliche Familienangehörige.
Frauen werden einerseits aus den gleichen Gründen wie Männer verfolgt und andererseits aufgrund frauenspezifischer Ursachen. Sie werden gejagt, weil sie beispielsweise, allein für das weibliche Geschlecht, geltende Normen und Werte übertreten. Diese restriktiven, frauenfeindlichen Regeln und Maßnahmen werden in traditionellen, patriarchalischen Gesellschaften oftmals mit der im jeweiligen Staat verbreitetsten Religion gerechtfertigt. In diesem Zusammenhang soll es in meiner Arbeit um Frauen aus Ländern gehen, in denen der Islam die Hauptreligion darstellt.
Die grausamen, frauenspezifischen Verfolgungs- und Foltermaßnahmen und die Unmöglichkeit islamischer Frauen sich ein Leben lang im Untergrund des Heimatstaates zu verstecken, zwingt sie schließlich zur Flucht. Doch auch während dieser Zeit sind, insbesondere ohne männliche Begleitung, reisende Frauen spezifischen Gefahren ausgesetzt.
Nur ein vergleichsweise kleiner Teil schafft es letztendlich lebend in einem „westlichen Asylland“, wie beispielsweise Deutschland, anzukommen.
Aber das Leid der traumatisierten Frauen ist mit der Ankunft im Exil noch längst nicht beendet. Restriktive Asylgesetze, beschleunigte Asylverfahren und unsensible Befragungsmethoden, durch hauptsächlich männliche Ermittler, benachteiligen weibliche Flüchtlinge gegenüber männlichen. Auch die neuen Lebensverhältnisse im Exil stellen, aufgrund vielfältiger staatlicher und „privater“ Diskriminierung, keinesfalls ein positives Umfeld dar, in dem die physisch und psychisch gefolterten Frauen ihre Erlebnisse verarbeiten können.
Ziel meiner Arbeit ist es aufzuzeigen mit welchen grausamen Mitteln Frauen in ihren Heimatländern verfolgt und gequält werden und das es vor diesem Hintergrund die menschliche Pflicht Deutschlands ist, insbesondere diesen Frauen, den Zugang zu einem Leben in Sicherheit nicht zu verwehren. Des weiteren möchte ich Verständnis schaffen, damit es der deutschen Bevölkerung in Zukunft nicht mehr so leicht fällt Flüchtlingsfrauen auszugrenzen.
Kapitel 1 stellt einen kurzen Abriss der Rolle der Frau im Islam dar. Durch die Analyse frauenspezifischer Verse des Korans zeige ich auf, welche Normen und Werte von der Religion selbst gefordert werden und welche allein auf Traditionen und Bräuche zurückgehen. Im zweiten Kapitel beschreibe ich anschließend, welche Stellung der Frau in islamischen Gesellschaften in der Realität zukommt. Da eine Analyse jedes einzelnen muslimischen Landes dieser Welt im Rahmen dieser Magisterarbeit unmöglich wäre, habe ich den Staat Pakistan als „typischen“ Vertreter ausgewählt.
Diese beiden, bewusst kurz gehaltenen, Abschnitte sollen dem besseren Verständnis meiner gesamten Arbeit über islamische Frauen dienen.
In Kapitel 3 komme ich zu den Fluchthintergründen islamischer Frauen, welche zugleich den Schwerpunkt meiner Arbeit bilden. Hier beleuchte ich zum einen die Gründe, weshalb Frauen in ihren Heimatländern verfolgt werden und zum anderen stelle ich, nach kurzer Klärung des Folterbegriffs, dar, welche Methoden verwendet werden, um Frauen aufs Schlimmste zu peinigen. Mein viertes Kapitel ist dann der anschließenden Fluchtsituation gewidmet, welche, sowohl die Geschehnisse kurz vor, als auch direkt während der Flucht umfasst. In Kapitel 5 untersuche ich danach die Rahmenbedingungen des deutschen Asylrechts im Hinblick auf die Berücksichtigung von frauenspezifischen Fluchtgründen. Des weiteren stelle ich dar, was nach ihrer Ankunft in der Bundesrepublik Deutschland mit ihnen geschieht und welche besonderen Schwierigkeiten während des Asylverfahrens auf sie zukommen. Anschließend unterziehe ich einige konkrete frauenspezifische Fluchtgründe einer Prüfung auf Bleiberecht und gebe zum Ende dieses Kapitel einen kurzen Ausblick auf das verfasste, aber noch nicht in Kraft getretene, Zuwanderungsgesetz. Mein siebentes Kapitel widme ich den Bedingungen unter welchen Frauen nach ihrer Flucht in Deutschland leben. Für ein besseres Verständnis, fasse ich zu Anfang kurz die psychischen Belastungen zusammen, welche grundlegend auf ihr weiteres Leben einwirken. Zum einen beinhalten diese den Verlust der soziokulturellen Bindungen im Heimatland und zum anderen die Erlebnisse der Verfolgung und Flucht. Einen dritten auf die Psyche einwirkenden Faktor stellen die neuen Lebensbedingungen im Zufluchtsland dar, die auch der Mittelpunkt dieses letzten Kapitels sein sollen. Hierfür beleuchte ich, getrennt nach Aufenthaltsstatus und den damit verbundenen Folgerechten, als erstes ihre Wohnsituationen, als zweites ihre medizinische Versorgung, als drittes ihre Aus-, Weiter-, und Arbeitsmöglichkeiten und als viertes ihr Leben in einer ausländerdiskriminierenden, fremden Gesellschaft, näher.
Um das Lesen meiner Arbeit zu erleichtern, habe ich alle verwendeten Zitate in die neue Rechtschreibung übertragen, wobei der Inhalt nicht verändert wurde. Auch verwende ich, um Wiederholungen zu vermeiden, im Folgenden für Personenbezeichnungen, mit welchen ich sowohl männliche als auch weibliche Menschen meine, die Endung „- I n“ mit einem großgeschriebenen I[1].
Auch möchte ich an dieser Stelle die Gelegenheit wahrnehmen Frau Barbara Vössing für ihre Hilfe in Bezug auf die Frauenforschung und die wissenschaftliche Anleitung zu danken.
1. Die Frau im Islam
Um einen Überblick über die Stellung der Frau im Islam zu erhalten, habe ich für diesen Abschnitt einen Blick in den Koran und die Hadith geworfen.
Der Koran ist das heilige Buch des Islam. Zu Beginn unseres siebenten Jahrhunderts empfing der letzte Prophet Mohammed im Laufe von 23 Jahren die islamischen Weisheiten und Lebensregeln. Jeden Tag betete er zu Allah, dem für die Muslime einzigen und wahrhaften Gott. Eines Tages hörte er eine Stimme, die zu ihm sprach. Diese und alle folgenden göttlichen Offenbarungen hielt Mohammed in einem Buch fest, dem Koran. Aus diesem Grund gilt dieser als direkt gesandt von Allah. Da es im Islam keine Trennung zwischen Religion und Staat gibt, bildet er gleichzeitig die Grundlage für das islamische Recht, die Sharia.
Später entstanden durch Mohammeds Zeitgenossen und Nachkommen zusätzliche Aufzeichnungen, welche Hadith genannt werden. Sie werden als Interpretationshilfen zum Koran verstanden. Die verschiedenen Hadith und die daraus resultierenden unterschiedlichen Auslegungen des Korans sind ein Grund dafür, dass der Islam nicht überall auf der Welt gleich gelebt wird. Auch muss die praktische Umsetzung des Islam immer im Zusammenhang mit der jeweiligen Kulturtradition des Landes gesehen werden. Denn viele Bräuche und Normen, welche im Namen des Koran in einigen Gesellschaften vertreten werden, sind nicht auf die Religion, sondern auf die überlieferten Traditionen der einzelnen Kulturen zurückzuführen. Des weiteren ist das islamische Leben entscheidend von den jeweiligen Machthabern und der Tiefe der islamischen Wurzeln eines Landes abhängig (vgl. Fahmi 1997, S. 20).
Demzufolge gibt es auch nicht „die islamische Frau“. Denn jede Muslima[2] ist, wie jeder Mensch, geprägt durch ihre Sozialisation und Lebensweise, und muss somit immer auch vor dem Hintergrund ihres sozio-ökonomischen Kontextes gesehen werden.
Die Botschaften des Korans sind in einzelne Abschnitte unterteilt, sogenannte Suren. Um einen Überblick über die Rolle der Frau im Islam zu erhalten, möchte ich im Folgenden einige relevante Suren näher betrachten.
1.1. Die geistlich-spirituelle Stellung der islamischen Frau im Koran
Nach dem Koran sind Frauen und Männer aus einer einzigen Seele erschaffen und besitzen die gleichen Eigenschaften.
„Oh ihr Menschen, fürchtet euren Herrn, Der euch aus einem einzigen Wesen erschaffen hat; aus diesem erschuf Er ihm die Gefährtin, und aus beiden ließ Er viele Männer und Frauen sich vermehren.“[3] (Ahmad 1989, S. 73)
Sowohl Adam, als auch Eva werden im Paradies vom Teufel verführt und tragen deshalb gemeinsam die Schuld an den Folgen.
„Doch Satan ließ beide daran straucheln ...“. (Ahmad 1989, S. 10)
Auch geben beide, Adam und Eva, zu zusammen gesündigt zu haben.
„Sie sprachen: ’Unser Herr, wir haben wider uns selbst gesündigt; und wenn Du uns nicht verzeihst und Dich unser erbarmst, dann werden wir gewiss unter den Verlorenen sein.’“[4] (Ahmad 1989, S. 142)
Daraufhin werden beide aus dem Paradies verstoßen.
„Er sprach: ‚Hinab mit euch; (...) Und es sei euch auf der Erde ein Aufenthaltsort und eine Versorgung auf Zeit.’“ (Ahmad 1989, S. 142)
Nach dem Koran befindet sich die Frau spirituell also auf der gleichen Ebene wie der Mann. Sie erwarten ebenso wie ihn Belohnungen für Gehorsam und Bestrafungen für Ungehorsamkeit. Ebenfalls gleich für beide Geschlechter sind die ethischen und religiösen Pflichten.
„Wahrlich, die muslimischen Männer und die muslimischen Frauen, die gläubigen Männer und die gläubigen Frauen, die gehorsamen Männer und die gehorsamen Frauen, die wahrhaftigen Männer und die wahrhaftigen Frauen, die standhaften Männer und die standhaften Frauen, die demütigen Männer und die demütigen Frauen, die Männer die Almosen geben, und die Frauen, die Almosen geben, die Männer die fasten, und die Frauen, die fasten, die Männer, die ihre Keuschheit wahren, und die Frauen, die ihre Keuschheit wahren, die Männer, die Allahs häufig gedenken, und die Frauen, die gedenken – Allah hat ihnen Vergebung und herrlichen Lohn bereitet.“ (Ahmad 1989, S. 414)
1.2. Die rechtliche und soziale Stellung der islamischen Frau im Koran
1.2.1. Das Mädchen im Koran
Noch heute sind in manchen Gesellschaften dieser Welt weibliche Neugeborene nicht willkommen. In vorislamischer Zeit wurden insbesondere im arabischen Kulturraum Mädchen direkt nach der Geburt durch Vergraben im Sand getötet. Der Prophet Mohammed war der erste, der verlangte auch Töchter am leben zu lassen. Im Koran heißt es dazu:
„Und wenn einem von ihnen die Nachricht von (der Geburt) einer Tochter gebracht wird, so verfinstert sich sein Gesicht, (...). Er verbirgt sich vor den Leuten ob der schlimmen Nachricht, die er erhalten hat: Soll er sie trotz der Schande behalten oder im Staub verscharren? Wahrlich, übel ist, wie sie urteilen!“ (Ahmad 1989, S. 255)
Auch spricht sich der Koran für die Gleichbehandlung der Söhne und Töchter aus, sowohl in Bezug auf ihre Erziehung durch die Eltern, als auch hinsichtlich ihrer Bildung.
„Wer seine Söhne und Töchter gut erzieht und keinen Unterschied zwischen ihnen macht wird im Paradies nahe bei mir sein.“ (Fahmi 1997, S. 21)
Die unterschiedliche Behandlung der Söhne gegenüber den Töchtern ist also ursprünglich kein islamischer Brauch. Diese Feststellung trifft auch auf die zwingend erforderliche Bewahrung der Jungfräulichkeit der Frau zu, da diese nicht nur in Kulturen mit überwiegend islamischer Religion auftritt, sondern ebenso in streng katholischen Gegenden Europas wie beispielsweise Griechenland, Spanien oder Süditalien. (vgl. Fahmi 1997, S. 21 f.)
1.2.2. Das Besitz- und Erbrecht
Nach dem Koran kann die Frau ebenso wie der Mann Geld verdienen und Besitz haben.
„Die Männer sollen ihren Anteil erhalten nach ihrem Verdienst, und die Frauen sollen ihren Anteil erhalten nach ihrem Verdienst.“ (Ahmad 1989, S. 78)
In vorislamischer Zeit hatte die Frau im arabischen Kulturraum kein eigenes Besitzrecht. Sie wurde als Teil des Erbbesitzes mit anderem Besitztum von ihrem zukünftigen Mann übernommen. Der Islam veränderte diese, damals übliche niedrige Stellung der Frau und lies sie, in Bezug auf ihre Besitzrechte, aufsteigen auf eine Stufe der Freiheit, um die auch Frauen in „modernen westlichen Nationen“ erst lange kämpfen mussten. Denn sie allein entscheidet nun, ob sie ihren Besitz für sich behält oder dem Wohlergehen ihrer Familie widmet. (vgl. Maulana 1989, S. 41)
Die Erbschaft betreffend besagt Sure vier, Vers elf, dass auf ein männliches Geschlecht gleichviel wie auf zwei weibliche Geschlechte kommt. Dies mag aus heutiger Sicht frauendiskriminierend sein, doch zur damaligen Zeit, als die Männer verpflichtet waren für ihre Frauen zu sorgen, benötigten die Söhne das Geld für den Unterhalt ihrer Familien. Töchter wurden also durch ihre Ehemänner versorgt und verwitwete Mütter durch ihre Söhne, weshalb sie weniger benötigten. (vgl. Fahmi 1997, S. 21)
1.2.3. Die Ehe im Koran
Im Gegensatz zu den christlichen Glaubensrichtungen ist der Islam eine sexualbejahende Religion. Allerdings dürfen die als natürlich angesehenen sexuellen Triebe nur „innerhalb der Ehe ausgelebt und entfaltet“ (Fahmi 1997, S. 22) werden. Die sexuelle Befriedigung der Frau ist im Islam ein elementares Recht. Denn eine geschlechtlich unbefriedigte Frau könnte sich das ihr Fehlende woanders holen, was eine Bedrohung für den Zusammenhalt von Familien bedeuten würde. Ehebruch wird nach dem Koran für beiderlei Geschlecht mit einhundert Peitschenhieben bestraft. Dies zeigt auch, dass dieses Vergehen für Mann und Frau gleich schwer ist. (vgl. Ebenda)
Die jeweiligen Ehepartner sollen sowohl für den Sohn, als auch für die Tochter durch die Eltern ausgesucht werden. Allerdings haben beide, trotz des Gebotes die Eltern zu ehren und ihnen zu gehorchen ein Mitspracherecht. Insbesondere die erwachsene Tochter müssen die Eltern als Individuum achten und „niemand, nicht einmal Vater oder Souverän, kann eine erwachsene, geistig zurechnungsfähige Frau ohne ihre Einwilligung rechtmäßig verheiraten, gleich ob sie Jungfrau ist oder nicht“[5] (vgl. Fahmi 1997, S. 22). Auch ist nach dieser Aussage der verbreitete Brauch eine vergewaltigte Frau oder ein sexuell missbrauchtes Mädchen nach der Tat mit dem Vergewaltiger zu verheiraten gegen den Islam.
Eine weitere Tradition, welche im Namen des Korans noch heute in einigen Ländern verbreitet ist, ist die Sitte Mädchen schon mit neun Jahren zu verheiraten. Doch auch diesen Brauch gibt es schon seit Beginn unserer Zeitrechnung, demzufolge er keineswegs ein islamisches Gebot ist. Ganz im Gegenteil. Der Koran spricht im Zusammenhang mit der Ehe in seinen Suren immer von der erwachsenen, zurechnungsfähigen Frau und niemals von Mädchen.
Vor einer Hochzeit wird für den Fall einer Scheidung, ein auf die spezifischen Bedürfnisse der jeweiligen Frau zugeschnittener Ehevertrag aufgesetzt. In ihm kann sie Bestimmungen, wie beispielsweise das Verbot der nach dem Islam erlaubten Vielehe für ihren zukünftigen Mann oder Vereinbarungen zur Geburtenreglung, aufnehmen.
Entgegen vieler Behauptungen gibt der Islam ausdrücklich die Erlaubnis zur Geburtenkontrolle. Sie darf allerdings nur mit beiderseitigen Einverständnis geschehen und nicht in Form von Enthaltsamkeit, da somit das Recht auf sexuelle Freuden eingeschränkt würde. Empfohlen wird die Kontrolle in Form des Coitus-Interruptus (Fahmi 1997, S. 22 f.).
Wie oben erwähnt erlaubt der Islam die Vielehe. Ihre Anzahl ist allerdings auf maximal vier Frauen beschränkt und im Sinne des Koran nur dann legitim, wenn der Mann seine Frauen auf allen Ebenen genau gleich behandelt.
„Und wenn ihr fürchtet, in Sachen der (eurer Obhut anvertrauten weiblichen) Waisen nicht recht zu tun, dann heiratet, was euch an Frauen gut ansteht (ein jeder) zwei, drei oder vier. Wenn ihr aber fürchtet, (so viele) nicht gerecht zu (be)handeln, dann (nur) eine ... ! So könnt ihr am ehesten vermeiden, unrecht zu tun.“[6] (Paret, 1989, S. 60)
Was uns heute als rückständig und unvorstellbar erscheint war zu Zeiten Mohammeds ein sehr fortschrittlicher Gedanke. Die Einführung der Vielehe diente der finanziellen Absicherung der durch Kriege zurückgelassenen mittellosen Witwen und legitimiert sich durch das im Koran manifestierte Recht auf Ehe für jedermann. (vgl. Minai, S. 25)
Gleichzeitig weist der Koran aber darauf hin, dass ein Ehemann mehrere Ehefrauen nicht wirklich genau gleich behandeln kann.
„Und ihr werdet die Frauen (die ihr zu gleicher Zeit als Ehefrauen habt) nicht (wirklich) gerecht behandeln können, ihr mögt noch so sehr darauf aus sein.“[7]
(Paret, S. 73)
Daraus wird deutlich, dass die Vielehe eher als eine Art Notfalllösung für eben erwähnte Situationen gedacht ist und nicht als Alltagsnormalität.
Auch war und ist die islamische Mehrehe nur Männern erlaubt. Dafür gibt es zwei Gründe. Einerseits wäre es zu dieser Zeit unmöglich gewesen den leiblichen Vater der Kinder zu bestimmen und andererseits wäre ein Haushalt mit so vielen Personen von der einzelnen Frau kaum allein zu organisieren gewesen. (vgl. Fahmi 1997, S. 24)
1.2.4. Das Scheidungsrecht im Koran
Vor einer Scheidung wird im Islam alles versucht, um zwischen den Ehepartnern zu vermitteln und sie zu versöhnen.
„Und befürchtet ihr ein Zerwürfnis zwischen ihnen (den Eheleuten), dann bestimmt einen Schiedsrichter aus seiner Sippe und einen Schiedsrichter aus ihrer Sippe. Wenn diese dann Aussöhnung herbeiführen wollen, so wird Allah zwischen ihnen (den Eheleuten) vergleichen.“ (Ahmad, 1989, S. 78f.)
Bleiben alle Möglichkeiten der Verständigung erfolglos kann die Scheidung sowohl vom Ehemann, als auch von der Ehefrau eingeleitet werden.
„Und wenn die beiden (d.h. Mann und Frau) (falls keine Einigung mehr möglich ist) sich trennen, wird Gott jeden (von beiden) aus der Fülle seiner (allumfassenden) Macht (für den Verlust) entschädigen ...“. (Paret 1989, S. 74)
In der Realität muss die Frau allerdings triftige Gründe wie z.B. die Nichterfüllung der ehelichen Pflichten, Geisteskrankheit des Ehegatten oder die Verweigerung der Versorgung der Familie durch ihn angeben, um eine Scheidung einleiten zu können. Im Vergleich dazu hat der Mann es leichter. Er braucht nur, „ohne Angaben von Gründen, dreimal die Formel ‚ich verstoße dich’ auszusprechen, dem Obmann der Schiedsstelle die Verstoßung schriftlich mitzuteilen, den Versöhnungstermin negativ ausgehen zu lassen und Scheidung ist rechtskräftig (Fahmi 1997, S. 25 f.).
Nach der Scheidung ist es dem Mann erlaubt sofort wieder eine neue Ehe einzugehen, während die Frau drei Monate warten muss. Diese Regelung des Korans dient dazu, sicher zu stellen, dass sie nicht schwanger ist. In dieser Zeit muss ihr ehemaliger Mann sie weiterhin versorgen und sie, falls sie schwanger sein sollte, für weitere zwei Jahre finanziell unterstützen.
„Und die Mütter (die von ihrem Gatten entlassen sind) sollen ihre Kinder zwei volle Jahre stillen. (...) Und der Vater (der betreffenden Kinder) ist verpflichtet, (während dieser Zeit) ihren Unterhalt (d.h. den Unterhalt der stillenden Mütter) und ihre Kleidung in rechtlicher Weise zu bestreiten.“[8] (Paret 1989, S. 35)
In Wirklichkeit versorgt der Ex-Ehemann bei Schwangerschaft oder bereits vorhandenen Kindern seine geschiedene Frau meist solange bis „der Junge mit sieben Jahren und das Mädchen mit neun Jahren in seinen Haushalt überwechseln“ (Fahmi 1997, S. 26).
1.3. Ist der Islam frauenfeindlich?
Aufgrund der vorrausgehenden Erläuterungen ist zu sagen, dass der Islam selbst, trotz Benachteiligung der Frau im Scheidungs- und Erbrecht, im Kern nicht als frauenfeindliche Religion bezeichnet werden kann. Aus den Suren des Korans wird deutlich, dass beide Geschlechter vor Allah gleich sind und sowohl Männer als auch Frauen zu den gleichen hohen moralischen und geistigen Sphären aufsteigen können.
Um ihre Ehrenhaftigkeit zu wahren sollen beide Geschlechter in Anwesenheit voneinander den Blick gesenkt halten. Die Frau wird dabei allerdings zusätzlich ermahnt ihre Rechtschaffenheit zu wahren, indem sie durch angemessene Kleidung ihre weiblichen Reize nicht zur Schau stellt. Bis auf dieses Gebot hat die Frau nach dem Koran aber jegliche Freiheit. Sie kann sich begeben wohin es ihr beliebt und jeglicher Art von Arbeit nachgehen.
Nach der Hochzeit bleiben ihr alle Rechte als einzelnes Mitglied der Gesellschaft erhalten. Sie verschmilzt nicht mit der Identität des Ehemannes, sondern bleibt ein Individuum mit einer eigenen Persönlichkeit und eigenen Interessen. Wie dargestellt hat die Frau nach dem Koran auch im materiellen Bereich die gleichen Rechte wie der Mann. Sie kann Geld verdienen und Besitz haben. Theoretisch hat sie sogar noch den Vorteil, allein über ihr Vermögen entscheiden zu können, während der Mann mit seinem Einkommen und seinem Besitz die Familie versorgen muss.
Doch schon früh zeigte sich in der islamischen Geschichte eine zunehmende Diskrepanz zwischen idealtypischen Leben der Religion und der Wirklichkeit. Zur Zeit der Entstehung des Koran im siebenten Jahrhundert hatte der Islam als neue Religion mit seinem damals reformistischen Charakter viele neue Gedanken und Ideen in das Leben der Menschen gebracht. Um eine ständige Weiterentwicklung und Anpassung der Ge- und Verbote des Koran an die zukünftige Lebensweise zu gewährleisten, wurde eine ‚Institution’, der sogenannte „Idjtihat“ eingerichtet. Er war eine selbständige Einrichtung, welche die islamischen Rechte aufgrund der Suren zeitgemäß neu überdenken und interpretieren sollte. Der „Idjtihat“ bemühte sich um die Lösung von auftretenden gesellschaftlichen, politischen und ökonomischen Problemen der islamischen Länder. Doch diese, dem gesellschaftlichen Wandel gerecht werdende Anpassungs- und Erneuerungsdynamik wurde von den jeweiligen Machthabern entweder de facto abgeschafft oder zum Instrument ihrer Herrschaft benutzt. (vgl. Fahmi 1997, S. 26) Die somit dem entsprechenden Landesoberhaupt dienenden Auslegungen des Korans durch männliche Gelehrte des Mittelalters erschwerten den muslimischen Frauen ihre Situation und führten zum erzwungenen Rückzug in das Haus. Gleichzeitig entwickelten Juristen Techniken, welche Möglichkeiten boten die Gesetze der Sharia zu umgehen, um somit die Frauen ihren Rechten zu berauben. (vgl. Heine 1993, S. 36)
Des weiteren wurden Mohammeds Botschaften im Laufe der Jahrhunderte des öfteren verfälscht, um den jeweiligen Herrschaftsstrukturen eine göttliche Rechtfertigung zu geben, die ursprünglich nichts mit dem Islam gemein hatten. Heute existiert in den meisten islamischen Ländern eine Mischung aus unterschiedlichen Gesetzgebungen. Neben der Sharia wird die Gesetzgebung auch durch traditionelle und lokale Ge- und Verbote beeinflusst. Diese kulturell, durch alte Sitten und Bräuche geprägten regionalen Rechte wirken sich in den meisten Fällen zugunsten der Männer und nicht der Frauen aus.
Ferner haben in vielen islamischen Ländern Angehörige des weiblichen Geschlechts keinen ausreichenden Zugang zum Bildungsbereich. Dies ist unter anderen ein Grund dafür, weshalb viele Frauen sich den vom Islam gewährten Rechten nicht bewusst sind. Anstelle diesen ist ihr Leben geprägt durch Sitten und Traditionen, die nichts mit der Religion selbst zu tun haben und auch nicht durch den Koran gerechtfertigt werden können. Deshalb muss es eine der wichtigsten Aufgaben von verschiedensten Organisationen und Bewegungen sein die Bildungschancen für Frauen und Mädchen zu verbessern und sie über ihre durch den Islam gegebenen Rechte aufzuklären.
1.4. Einige Gedanken zum Schleier
Im sechsten und siebenten Jahrhundert war der Gesichtsschleier bei byzantinischen und persischen Frauen stark in Mode. Im Koran selbst ist das Verhüllen des Gesichtes jedoch nicht verankert.
„Und sprich zu den gläubigen Frauen, dass sie ihre Blicke zu Boden schlagen und ihre Keuschheit wahren sollen und dass sie ihre Reize nicht zur Schau tragen sollen, bis auf das, was davon sichtbar sein muss, und dass sie ihre Tücher über ihre Busen ziehen sollen und ihre Reize vor niemanden enthüllen als vor ihren Gatten, oder ihren Vätern, oder den Vätern ihrer Gatten, oder ihren Söhnen, oder den Söhnen ihrer Gatten, oder ihren Brüdern, oder den Söhnen ihrer Brüder, oder den Söhnen ihrer Schwestern, oder ihren Frauen, oder denen, die ihre Rechte besitzt, oder solchen von ihren männlichen Dienern, die keinen Geschlechtstrieb haben, und den Kindern, die von der Blöße der Frauen nichts wissen.“ (Ahmad, S. 341f.)
Ergänzend dazu:
„O Prophet! sprich zu deinen Frauen und deinen Töchtern und zu den Frauen der Gläubigen, sie sollen ihre Tücher tief über sich ziehen. Das ist besser, damit sie erkannt und nicht belästigt werden. Und Allah ist allverzeihend, barmherzig.“[9] (Ahmad 1989, S. 417)
Aufgrund der verbreiteten Fehlinterpretation dieser beiden Surenabschnitte werden Frauen oft als Verführerinnen per se dargestellt. Sie werden „zu wandelnden Obszönitäten, zum Geschlecht schlechthin, die, wären sie unverhüllt, die Männer zu sexuellen Ausschreitungen zwingen würden, und die, wären sie nicht rigoros eingesperrt, sich sofort jedem fremden Mann anbieten würden“ (Fahmi 1997, S. 27). Dadurch gehört der Schleier bis heute zum Moralsystem von Kulturen mit dem Islam als Hauptreligion. Er dient dem Schutz der Frau und ihrer Familie indem er der Trägerin Reinheit garantiert und sie vor ungewollten Betrachten bewahrt. Dies bedeutet aber gleichzeitig, dass die Frau durch ihre Verschleierung „die spirituelle und moralische Verantwortung für ihre männliche Umwelt übernimmt und sie davon abhält, vom rechten Weg abzukommen“ (Ebenda).
Männer begründen die Verpflichtung der Frau zum Tragen des Schleiers, die Ausgrenzung der Frau aus dem öffentlichen Leben und die Geschlechtertrennung mit einer den Frauen von Allah zugeteilten überlegenen Rationalität, Selbstkontrolle und Intelligenz. Dadurch könnten sie ihren Sexualtrieb besser beherrschen als Männer und würden somit die Männer vor ihnen schützen. In Wirklichkeit ist das Verbot für Frauen sich ohne Schleier in der Gesellschaft zu zeigen ein „Ausdruck der Angst, die Beherrschung zu verlieren und jedes Mal beim Anblick einer schleierlosen Frau, dem sexuellen Chaos ausgeliefert zu sein“ (Fahmi 1997, S. 27). Dies zeigt aber auch, dass Frauen in den Augen der Männer körperlich und geistig nicht stark genug sind, um sich gegen ungewollte Annährungsversuche zur Wehr zu setzen. (vgl. Ebenda)
2. Die Stellung der Frau in islamischen Gesellschaften am Beispiel Pakistan
Nachdem ich im vorherigen Kapitel die Rolle der Frau im Islam anhand des Korans näher beleuchtet habe, möchte ich im Folgenden am südasiatischen Land Pakistan darstellen, welche Stellung Frauen in islamischen Gesellschaften in der Realität haben können. Durch meine Reisen in verschiedene muslimische Länder[10] bin ich zu dem Schluss gekommen, dass der Staat Pakistan ein „typischer“ Vertreter einer islamischen Gesellschaft ist. Einerseits werden die islamischen Frauen in Pakistan im allgemeinen weder so restriktiv in ihren Schranken gehalten, wie es beispielsweise im Iran der Fall ist, noch ist die pakistanische Gesellschaft so offen und frei geprägt wie es zum Beispiel in Teilen der Türkei vorkommt. Andererseits zeigt es sich in Pakistan, dass ihre Stellungen stark von ihrer Schichtzugehörigkeit geprägt sind. Die Palette reicht von autoritärer Unterdrückung über weniger restriktive Regeln bis hin zu relativ lockeren Wertvorstellungen in der Oberschicht. Demzufolge existieren in Pakistan nahezu alle Facetten der Rolle einer muslimischen Frau. Ein Beispiel für diese großen Stellungsunterschiede ist Benezir Bhutto, die Tochter des ehemaligen Premier-, Außen- und Finanzministers Zulfigar Ali Bhutto. Als erste Frau Pakistans wurde sie 1986 Premierministerin und regierte bis 1990 das Land.
Des weiteren wird am Beispiel Pakistans deutlich, dass die Moralvorstellungen und Regeln der in Pakistan lebenden muslimischen Gesellschaft nicht nur auf die Religion, sondern zum großen Teil auf die Kultur und Tradition des Landes zurückzuführen sind. Dies zeigt sich insbesondere darin, dass sich die Lebensweise und Stellung der Frauen in Pakistan nur wenig von der, der weiblichen Bevölkerung im hauptsächlich hinduistischen Nachbarland Indien unterscheidet.
2.1. Die Frau in der pakistanischen Gesellschaft
Wie in der Mehrheit der islamisch geprägten Bevölkerungen ist die Geschlechtertrennung im Alltag auch in der pakistanischen Gesellschaft grundlegend. Dies bedeutet, dass Frauen und Männer in vollkommen getrennten Bereichen und für unterschiedliche Arbeiten zuständig sind. Demzufolge sind die männlichen und weiblichen Lebensbereiche in ein Innen und Außen getrennt. Nach Außen hin vertritt allein der Mann die Familie, während die Frau für alle innerfamiliären Bereiche zuständig ist.
Um die Geschlechterseparation auch im Alltag gewährleisten zu können richtet sich die Frau, der, wie bereits erwähnt, die Verantwortung für ihre männliche Umwelt übertragen wurde[11], nach dem Prinzip des „Purdah“[12]. Dieser bezeichnet ein System verschiedener Verhaltensvorschriften für die Frau und ist grundlegender Bestandteil des pakistanischen Moralsystems. Beispielsweise treten pakistanische Frauen in der Öffentlichkeit niemals alleine auf, sondern immer nur in Begleitung eines männlichen Verwandten. In einigen Gegenden geht die Frau dabei einige Schritte hinter dem Mann. Allerdings entheben diese Purdahregeln die pakistanischen Frauen nicht jeglicher Aktivitäten. Das Leben spielt sich für sie innerhalb der Frauengemeinschaften ab, was in gehobeneren Kreisen bedeutet, dass gemeinsame soziale Hilfeleistungen für Arme geleistet und Teenachmittage, Parties, gemeinsame Essen und anderes veranstaltet werden. (vgl. Fahmi 1997, S. 29 f.)
Auch sind pakistanische Frauen von der Teilnahme am politischen und öffentlichen Leben ausgeschlossen. Sie haben zwar seit 1954 das Wahlrecht, doch machen nur wenige davon Gebrauch.
Wie im Islam vorgesehen bestimmen die Eltern die zukünftigen Ehepartner, den Zeitpunkt der Eheschließung und arrangieren die Hochzeit. Leider wird auch in Pakistan, wie in vielen anderen Ländern, der gewünschte zukünftige Lebenspartner der Söhne oder Töchter außer Acht gelassen und eine, der gesamten Familie Vorteil bringende Ehe arrangiert. Ob dabei die vom Koran geforderte Willensfreiheit der Töchter immer gewährleistet ist, ist fraglich, denn wenn sich, gerade für ärmere Familien, ein Chance auf Einheiratung in eine besser gestellte Familie bietet, wird der Wunsch der Tochter sehr wahrscheinlich bald nebensächlich sein. Des weiteren lehnen sich Söhne und Töchter in Pakistan nicht ohne weiteres gegen ihre Eltern auf, da diese als Autoritätspersonen größter Respekt zukommt.
Dies bezüglich gibt es, wie in anderen Ländern auch, große Unterschiede zwischen der Stadt- und Landbevölkerung. Beispielsweise ist das Leben in der großen, südlich gelegenen Stadt Karachi weniger restriktiv als zum Beispiel in einem kleineren Dorf. Auch existieren provinzbezogene[13] Unterschiede. Dabei kann das Leben der Frau in der Provinz Kashmir als freier bezeichnet werden, als beispielsweise ihre Stellung in der Provinz „North West Frontier“ nahe der afghanischen Grenze oder im Punjab.
Hochzeiten und andere Feste werden getrennt gefeiert und nach den Traditionen des südasiatischen Kontinents ist die Frau dem Mann zum Gehorsam verpflichtet. Anders als im Koran verankert, steht es in seinem Ermessen, ob sie beruflich tätig sein darf oder nicht. Auch steht ihr laut Regierungsbeschluss nur eine Halbtagsstelle zu, da ihre Hauptaufgabe noch immer darin bestehen soll ihrem Ehemann Söhne zu gebären und ihm den Haushalt zu führen. Des weiteren wird ihr im Gegensatz zu den Worten des Korans, in der Regel kein Mitspracherecht bei der Geburtenregelung zugestanden. Ferner existiert in diesem Bereich oftmals große Unkenntnis. Die Folge ist, dass pakistanische Familien sehr Kinderreich sind[14]. Auch in Pakistan sind Söhne wertvoller als Töchter, da weibliche Nachkommen für ihre Familien immer finanzielle Einbußen bedeuten. Die Familien der Töchter sind für die Aussteuer zuständig, müssen die prunkvolle Hochzeit ausrichten und eventuelle materielle Forderungen des zukünftigen Ehemannes erfüllen. Um die finanziellen Leistungen und den der Tochter zustehenden Erbteil nicht an eine „fremde“ Familie zu verlieren, werden die jungen Frauen traditionell oftmals innerhalb des Familienclans, beispielsweise mit dem Cousin, verheiratet. In der Provinz Sind existiert zusätzlich der traditionelle Brauch Töchter finanziell gut situierter Großgrundbesitzer, für die es keinen männlichen Heiratskandidaten gibt, mit dem Koran zu verheiraten. Wird diese „Hochzeit“ vollzogen ist für die betreffende Frau die Möglichkeit jemals eine normale Ehe zu führen für immer verloren. Auch verstößt diese Sitte gegen das Gebot der sexuellen Befriedigung des Korans[15] und kann somit, entgegen vieler Rechtfertigungsversuche von Seiten der Väter, nicht mit dem Islam entschuldigt werden.
Bestandteil der Erklärung, weshalb Frauen durch die „Männergesellschaften“ unterdrückt bleiben müssen, ist oftmals der Verweis auf die niedrige Scheidungsrate in muslimischen Ländern. Auch in Pakistan ist diese sehr gering. Dabei wird allerdings nicht bedacht, dass diese nicht auf gut funktionierender Ehen zurückzuführen ist, sondern auf das hohe Risiko für die Frau bei einer Scheidung. Als Frau in einem patriarchalischen Land allein zu Leben ist nahezu unmöglich und eine Chance auf Wiederverheiratung besteht meist nicht. Dies bedeutet, dass die Frau nach einer Scheidung gezwungen ist zu ihrer Familie zurückzukehren, was diese oftmals nicht akzeptiert. Denn eine von ihrem Mann verstoßene Frau hat ihre Ehre verloren und schädigt das Ansehen ihrer Familie. Auch wird die Schuld so gut wie immer der Frau zugewiesen, so dass ihr nichts anderes bleibt als zu dulden, auszuharren und alles hinzunehmen.
Ein Ehemann hingegen hat es einfach. Möchte er sich von seiner Frau scheiden lassen hat er zwei reelle Möglichkeiten. Entweder lässt er die durch den Koran bestimmte, sich über drei Monate hinziehende, Prozedur der Versöhnungsversuche über sich ergehen. Oder, falls er seine Frau einfach und schnell loswerden möchte, muss er sie „nur“ des Ehebruchs beschuldigen und sie wird verhaftet oder gesteinigt[16]. (vgl. Fahmi 1997, S. 30)
Nach einer Scheidung werden die Kinder dem Vater zugesprochen. Allerdings wechseln sie erst wenn das Mädchen ein Alter von dreizehn und der Junge ein Alter von sieben Jahren erreicht hat in den Haushalt des Vaters über. Leben die Kinder erst einmal dort wird der Mutter oftmals jegliches Mitspracherecht genommen.
Pakistan verfügt zwar über eine offizielle Schulpflicht für alle Kinder. Dennoch sind immer noch siebzig Prozent der weiblichen Bevölkerung Analphabeten. Allerdings zeichnet sich in den letzten Jahrzehnten in größeren Städten und gehobeneren Schichten ein Trend zu besserer Bildung für Töchter ab. Familien beginnen Wert auf eine gute Schulbildung und Universitätsabschlüsse ihrer Mädchen zu legen, da sich für diese gebildeten Frauen die Heiratschancen stark vermehren. (vgl. Fahmi 1997, S. 31)
Im allgemeinen hatte sich während der Regentschaft von Benezir Bhutto die soziale Stellung der Frau in Pakistan langsam zum positiven verändert. Es existierten nun Frauenorganisationen, die gemeinsame allgemeinbildende Schulen für Jungen und Mädchen durchsetzen. Auch setzten sie sich für bessere Ausbildungsmöglichkeiten für alle weiblichen Mitglieder der Gesellschaft ein. Doch nach dem Sturz Benezir Bhuttos 1990 begann durch den wieder wachsenden Einfluss islamischer Fundamentalisten, die Rückkehr zum traditionellerem Leben und die Gemeinschaftsschulen für Kinder wurden größtenteils wieder abgeschafft. Frauen, die sich der wiederverlangten traditionelleren Rolle der Frau nicht fügen wollten und wollen, müssen entweder mit starken Sanktionen von Seiten ihrer Familien rechnen oder werden zu lebenslangen Außenseiterinnen gestempelt.
3. Fluchtursachen islamischer Frauen
Weltweit sind Millionen Frauen auf der Flucht. Zum einen sind sie aus den gleichen Gründen wie Männer gezwungen ihre Heimatland zu verlassen. Zum anderen fliehen sie vor Verfolgung, die sich einzig und allein auf sie als Angehörige des weiblichen Geschlechts bezieht. Sie ergreifen die Flucht, um Kriegen, Natur- und Hungerkatastrophen, Verfolgung und Unterdrückung zu entkommen. Sie werden diskriminiert, benutzt und eingeengt, und müssen bei Verstößen gegen frauenspezifische Normen und Gesetze um ihr Leben fürchten.
In diesem Kapitel meiner Arbeit möchte ich aufzeigen, welche Lebens- und Verfolgungshintergründe insbesondere muslimische Frauen dazu zwingt ihre vertraute Umgebung und ihr Heimatland zu verlassen. Selbstverständlich treffen die im Folgenden dargestellten Fluchtursachen nicht nur auf muslimische Frauen zu, sondern auf alle, sich auf der Flucht oder im Exil befindenden, Frauen dieser Erde.
Werden Frauen verfolgt, sind sie im Unterschied zu gejagten Männern immer einer doppelten Verfolgung ausgesetzt. Zum einen besteht für sie, genau wie für das männliche Geschlecht, die Gefahr, dass sie in ihren Menschenrechten verletzt werden. Zum anderen werden sie zusätzlich wegen ihres Geschlechts diskriminiert. Denn bislang existiert in keinem Staat dieser Welt eine echte Gleichstellung von Mann und Frau. Immer noch sind Frauen in politischen Entscheidungspositionen auf der ganzen Welt absolut unterrepräsentiert und werden im Vergleich zu den Männern „vermehrt Opfer von Menschenrechtsverletzungen und sexuellen Übergriffen“ (Gahn 1999, S. 19). Im privaten, wie im öffentlichen Leben sehen sie sich fortwährend einer patriarchalischen Ordnungsmacht und einem männlichen Polizei- und Militärapparat gegenüber. Die dabei an ihnen verübten staatlichen und nichtstaatlichen Menschenrechtsverletzungen nehmen vermehrt geschlechtsspezifische Formen an. Dies bedeutet, dass bei Frauen nahezu immer sexuelle Gewalt angewendet wird. Dies geschieht, um beispielsweise politisch selbst aktive Frauen oder Mütter, und Ehefrauen und Töchter politisch aktiver Männer einzuschüchtern, „sie zu erniedrigen, ihre Würde und Identität zu zerstören und sie zu Einwilligungen, Zugeständnissen und Geständnissen zu zwingen“ (Rohr 2002, S. 17).
Abgesehen von kriegsbedingter Hetze und der Verfolgung aufgrund eigener oder in der Familie vorhandener politischer Aktivität, gibt es eine Vielzahl frauenspezifischer Fluchtgründe, die einzig auf ihre Zugehörigkeit zum weiblichen Geschlecht bezogen sind. Diese frauenspezifische Verfolgung resultiert aus der gesellschaftlichen Stellung der Frau, die sich in der Regel, durch traditionelle Normen und Werte geprägt, auf den häuslichen Bereich beschränkt[17].
Des weiteren werden Frauen gejagt, weil sie einer ethnischen oder religiösen Minderheit angehören und, der wahrscheinlich „frauenspezifischste“[18] Verfolgungsgrund, weil sie sich gesellschaftlichen Normen widersetzen, die ausschließlich für Frauen gelten. Darunter fallen beispielsweise auch Verschleierungs- und sexuelle Verstümmelungszwänge oder Witwenverbrennung. Geahndet werden solche angeblichen Normenbrüche mit Strafen, wie Verätzungen, Auspeitschungen und Steinigungen (vgl. Rohr 2002, S. 18)[19].
Außer der Hetze aufgrund eines Normbruchs, können alle anderen Verfolgungsursachen natürlich auch auf Männer zutreffen. Denn nicht das Motiv der Jagd ist frauenspezifisch, sondern die Methode. Denn nahezu allein[20] für Frauen ist sie hauptsächlich geprägt durch sexuelle Folter in Form von Beschimpfungen, sexuellen Übergriffen und Vergewaltigungen. Insbesondere für muslimische Frauen sind diese Formen der Peinigungen eine Qual. Da sie in der Regel aus geschlechtsgetrennten Gesellschaften stammen kann die sexuelle Folter für sie ein Todesurteil sein. Einige Kulturen erwarten von vergewaltigten Mädchen und Frauen, dass sie nach der Tat Selbstmord begehen, um die „Schande“ von ihrer Familie zu nehmen. Tun sie dies nicht, werden sie von der Gesellschaft ausgeschlossen und als Huren „abgestempelt“. „Letztlich liegt immer dann frauenspezifische Verfolgung vor, wenn die Frage, ob eine Verfolgungsart auch (oder im selben Ausmaß) Männer betrifft, verneint werden muss“[21] (Hausammann 1996, S. 41).
Doch weshalb ist es staatlichen und nichtsstaatlichen Hetzern ein Leichtes Frauen und Mädchen zu verfolgen? Die Antwort liegt in der, bereits erwähnten, gesellschaftlich untergeordneten Stellung der Frauen und ihrer Benachteiligung in allen Lebensbereichen.
Siebzig Prozent der Ärmsten dieser Welt sind weiblich. Trotz der Tatsache, dass sechsundsechzig Prozent der auf dieser Erde geleisteten Arbeitsstunden durch sie erbracht werden, erhalten Frauen nur rund zehn Prozent des Welteinkommens. Im globalen Durchschnitt verdienen sie dreißig bis vierzig Prozent weniger als Männer und ihnen gehört nur ein Prozent des Grund und Bodens dieser Welt. Des weiteren sind zwei Drittel aller AnalphabetInnen weiblich, da es für Mädchen anstelle des Schulbesuchs für wichtiger erachtet wird sich ihren weiblichen Pflichten im Haus zu widmen. (vgl. Gahn 1999, S. 20)
In vielen Gesellschaften gelten Frauen im Vergleich zu den Männern als weniger wert und Söhne werden den Mädchen vorgezogen. Unter natürlichen Bedingungen kommen auf fünfundneunzig weibliche Babys einhundert männliche. Unter Berücksichtigung der biologisch geringeren Sterblichkeitsrate für Mädchen unter fünf Jahren „fehlen“ beispielsweise in Indien seit den frühen neunziger Jahren dreiundzwanzig Millionen weibliche Babys. Auch in Pakistan müsste es drei Millionen mehr Frauen geben als dort tatsächlich leben. (vgl. Seager 1998, S. 34) Die im patriarchalischen System verwurzelte Bevorzugung von Söhnen hat für viele Mädchen körperliche und geistige Folgen. Sie werden vernachlässigt, getötet und zugunsten ihrer Brüder hinsichtlich Ernährung, Gesundheitsfürsorge, Bildung, Information, Freizeit und wirtschaftlicher Möglichkeiten diskriminiert. Auch begehen Frauen Selbstmord, weil sie die Beschimpfungen die ihren Familien widerfahren, weil sie die Mitgift für ihre Töchter nicht oder nicht vollständig zahlen können, nicht mehr ertragen. Wie bereits beschrieben ist die Verheiratung der Töchter im Kindesalter in vielen Gesellschaften noch immer verbreitet. Einerseits dient dieser Brauch der Erhaltung der Jungfräulichkeit und andererseits ist dadurch der Familie die Last abgenommen das Mädchen weiter ernähren zu müssen. Die Folge sind Schwangerschaften im Kindes- und Jugendalter, die sich ebenfalls wieder auf die Gesundheit des Mädchens auswirken.
Doch da diese gravierenden Benachteiligungen der Frauen und Mädchen noch immer von Regierungen ignoriert oder sogar gebilligt werden, haben Verfolger weiterhin die Möglichkeit weibliche Personen zu foltern und zu quälen, ohne dass ihnen größere Sanktionen drohen.
3.1. Die Verfolgung von Frauen aufgrund ihrer eigenen politischen Aktivitäten
Verfolgungen wegen politischer Aktivitäten existieren in vielen Ländern. Sie kommen immer dort vor, wo oppositionelle Gruppen unterdrückt werden. Männliche und weibliche Mitglieder solcher Organisationen sind von dieser Verfolgungsart gleichermaßen betroffen. Ebenso wie Männer, werden Frauen gejagt, verhaftet und gefoltert. Dies alles geschieht teilweise ohne offizielle Anklage und Gerichtsverhandlung. Doch werden Frauen dabei nahezu immer zusätzlich durch sexuelle Folter in ihrer weiblichen Individualität misshandelt und bewusst in ihrer Rechtschaffenheit verletzt (vgl. Werner 1998, S. 31).
Somit werden sie auf zweifache Weise politisch verfolgt. Einerseits, weil sie Widerstand gegen ungerechte politische, soziale und wirtschaftliche Verhältnisse leisten und andererseits, weil sie durch ihre politische Aktivität aus der ihnen zugeschriebenen traditionellen innerhäuslichen Frauenrolle heraustreten und in den der männlichen Bevölkerung vorbehaltenen öffentlichen Bereich eindringen. Sie durchbrechen ihre gesellschaftliche Umzäunung und unterstützen beispielsweise eine Widerstandsbewegung indem sie Streiks und Demonstrationen organisieren, Botschaften und Informationen über feindliche Stellungen überbringen und gesuchte Landsleute verstecken. In vielen Gruppen ist die Mitarbeit von Frauen unverzichtbar. Auch wenn sie neben Sabotageakten gegen das jeweilige Regime und der direkten Beteiligung am militärischen Kampf, meist eher frauenspezifische Tätigkeiten, wie die Versorgung der kämpfenden Gruppe mit Nahrung, die Pflege der Verwundeten, das Verteilen von Flugblättern und sonstige finanzielle, materielle und ideelle Unterstützung leisten und ausüben (vgl. Terre des Femmes 1994, S. 20).
Obwohl Frauen wie eben beschrieben unverzichtbar sind, müssen sie oft sogar gegen die Voreingenommenheit der Männer in der eigenen Bewegung kämpfen. Nach der Zielerreichung der Bewegung verändert sich für sie oftmals nur wenig. Sie werden wieder in ihre traditionelle Rolle als Frau zurückgedrängt und ihre politischen Aktivitäten werden nach einer eventuellen Flucht im Aufnahmeland meist als Mitläufertum abgetan (vgl. Ebenda). Denn der „weibliche Widerstand“ entspricht meist nicht den gängigen männlichen Vorstellungen von politischer Arbeit. Ihr Kampf gegen Armut, Ausbeutung und Unterdrückung verläuft weniger nach den geläufigen parteipolitischen Konzepten, sondern orientiert sich vielmehr an konkreten Bedürfnissen der Familien. Oftmals schließen sie sich zu Selbsthilfeorganisationen, wie beispielsweise Frauenrechtsgruppen oder Gemeinschaftsküchen zusammen und versuchen somit zu aller erst das Leid in ihrer unmittelbaren Umgebung zu vermindern.
Doch für ihre, wenn auch wenig anerkannte, politische Auflehnung und das Vordringen in den männlichen Bereich werden Frauen festgenommen und schwer misshandelt. Mit der dabei angewendeten sexuellen Folter demonstrieren die Verfolgenden deutlich das Machtverhältnis zwischen Männern und Frauen. Diese Maßnahme soll die Frauen sowohl als politische Gegnerin treffen, sie bestrafen und unschädlich machen, als auch in ihre gesellschaftliche Rolle zurückverweisen (vgl. Gebauer 1987, S. 29).
Somit ist eine politisch aktive Frau im Vergleich zum Mann immer mehrfach verfolgt und gefährdet. Doppelt als Oppositionelle und Angehörige des weiblichen Geschlechts, und sogar dreifach falls die politische Aktivität zusätzlich der Befreiung einer ethnischen oder religiösen Minderheit dient. Denn dann tritt zu den ersten beiden Verfolgungsursachen noch die Verfolgung wegen Zugehörigkeit zu einer religiösen oder ethnischen Gruppe hinzu, worauf ich später noch näher eingehen werde.
3.2. Die Verfolgung von Frauen aufgrund ihrer Familienbindung zu einem Oppositionellen
Neben der Verfolgung wegen eigener politischer Aktivitäten werden Frauen und Mädchen auch gejagt wenn ihre Brüder, Väter, Ehemänner oder sonstige männliche Familienmitglieder einer oppositionellen Gruppe angehören. Weibliche Familienangehörige politisch Aktiver werden genauso bedroht, verfolgt, inhaftiert und gefoltert wie der Oppositionelle selbst. Diese sogenannte Sippen- oder Geiselhaft wird immer dann angewandt, wenn die Verfolger den eigentlichen, politisch Aktiven nicht ausfindig machen können. An seiner Stelle nehmen sie dann ein anderes meist weibliches Familienmitglied als Geisel und foltern sie bis sie beispielsweise Informationen über seinen Aufenthaltsort erzwingen können, Kenntnisse über seine politische Organisation bekommen oder ihn erpresst haben und er sich stellt.
Diese Maßnahme hat besonders in geschlechtsgetrennten, muslimischen Gesellschaften eine ganz besondere Wirkung. Da durch die Gefangennahme die „Reinheit“ der Frau befleckt wird und der männliche Verwandte, dessen wichtigste Aufgabe es ist die Frau vor fremden Männern zu beschützen und damit die Rechtschaffenheit der gesamten Familie zu sichern, keine Möglichkeit hat dies zu verhindern, wird er in seiner Ehre aufs Tiefste verletzt.
Auch hier ist die Frau also in ganz besonderer Weise betroffen. Sie wird dazu benutzt dem Mann über die Erniedrigung seines wertvollsten „Besitzes“ zu schaden. Ist der Gesuchte auffindbar, wird seine Ehefrau oder Tochter oftmals mit ihm gemeinsam inhaftiert und gefoltert. Dadurch gewinnen die Verfolger die Möglichkeit ihn unter Druck zu setzen und ein Geständnis zu erzwingen (vgl. Gebauer 1987, S. 31). Dies gelingt ihnen beispielsweise indem sie der Frau vor Augen des männlichen Familienmitglieds sexuelle Gewalt antun. Die Folgen für den Mann sind Gefühle der absoluten Erniedrigung und Demütigung.
Auch wird die Tatsache, dass die Geiselnahme die „Familienehre“ verletzt, in Bezug auf die Frauen, von den Verfolgern schamlos ausgenutzt. Durch ihre Sozialisation nach alten Regeln und Bräuchen haben sie Normen, wie beispielsweise nur dann Kontakt zu Männern zu haben, wenn sie der Familie angehören, so sehr verinnerlicht, dass ihr Schamgefühl ebenfalls tief verletzt wird. Zusätzlich ist ihnen bewusst, dass sie sich durch die Geiselnahme in der Gewalt „fremder“ Männer befinden, was für sie der Verlust ihrer „Reinheit“ bedeutet. Dieses Wissen wird jedoch noch von der Angst gesteigert, dass sie auch zukünftig von der Gesellschaft als „unrein“, als Huren und als ehrlos betrachtet werden und die Konsequenzen von Verstoßung bis Tötung reichen können. Um diese Gedanken und Ängste wissen Verfolger genau und versuchen somit noch durch moralische Appelle die Schuldgefühle der Frauen zu verstärken (Gebauer 1987, S. 32).
Dass die Frauen hier aber trotzdem nur Mittel zum Zweck sind zeigt sich zusätzlich darin, dass ihr eigener politischer Standpunkt bei der Geiselnahme meist überhaupt keine Beachtung findet. Denn vor dem Hintergrund einer stark patriarchalischen Gesellschaft werden ihr „selbstverständlich“ die politischen Ziele des Mannes unterstellt (vgl. Sprecher-Bertschi 1987, S. 26).
3.3. Die Verfolgung von Frauen aufgrund ihrer Übertretung von frauenspezifischen Normen und Werten
Wie zu Beginn dieses Kapitel erwähnt wurzelt die Verfolgung von Frauen und Mädchen in der gesellschaftlich untergeordneten Stellung des weiblichen Geschlechts. Diese Unterdrückung zeigt sich auch in den verschiedenen von patriarchalischen Systemen aufgestellten frauenspezifischen Normen und Werten. Frauen, die vermeintlich oder tatsächlich gegen diese Normen verstoßen, werden von der Gesellschaft und dem Staat verfolgt. Demzufolge ergibt sich die Art der Verfolgung wiederum aus ihrer Zugehörigkeit zum weiblichen Geschlecht. Sie werden gejagt weil sie Frauen sind.
Diese in jedem System verankerten frauenspezifischen Normen und Werte sind ein Ausdruck des zwischen den Geschlechtern herrschenden Machtverhältnisses. Sie sind kulturell oder religiös verankert und in einigen Staaten sogar gesetzlich festgeschrieben. Um solchen Normüberschreitungen generell vorzubeugen, werden verschiedene Mittel und Maßnahmen ergriffen, um diese zu garantieren. Von klein auf werden Frauen spezifische Ehr-, Scham- und Schuldgefühle vermittelt, welche später ihre Moral bestimmen sollen. Zusätzlich sollen noch Methoden, wie die Beschneidung der Genitalien[22], die körperliche Unversehrtheit der Frau garantieren. Diese Kontrolle der Sexualität der Frau durch den Mann bildet schon seit jeher die Grundlage für seine Herrschaft über sie. Er hat die Macht sie zu vergewaltigen, ihr damit die Kontrolle über ihren eigenen Körper zu nehmen und erhebt Besitzansprüche auf sie. Er definiert sich über ihre „Ehre“ und „Reinheit“ und zwingt seinen weiblichen Angehörigen somit die Verantwortung für das Ansehen seiner Familie auf. Ist ihre Moral nicht den Normen entsprechend, fühlt sich der Mann unfähig und als „Niemand“. Im Laufe der Zeit hat sich somit ein komplexer frauenspezifischer Moralkodex entwickelt, durch welchen ihr Verhalten geregelt, kontrolliert und unterdrückt wird. Demzufolge werden Frauen nicht nur bei Vergehen wie Ehebruch, welche aus den Besitzansprüchen des männlichen Partners resultieren, verfolgt, sondern auch, weil sie sich beispielsweise nicht den Regeln entsprechend kleiden, die in manchen Ländern herrschende Geschlechtertrennung nicht einhalten, nicht heiraten wollen, in der Hochzeitsnacht nicht die als Beweis für ihre Jungfräulichkeit geltenden Blutflecken erbringen oder ein uneheliches Kind gebären. Des weiteren werden Frauen verfolgt, weil sie sich für die Gleichberechtigung einsetzen, sie lesbisch sind, ihre Töchter nicht der traditionellen Genitalverstümmelung aussetzen wollen oder Opfer sexuellen Missbrauchs geworden sind (vgl. Gahn 1999, S. 23).
Die auf die Normenübertretungen drohenden und folgenden Sanktionen sollen die Frauen in ihren gesellschaftlichen Schranken halten und sie in ihre weibliche Rolle zurückverweisen.
Neben der Verfolgung und Bestrafung durch den Staat, werden die normenüberschreitenden Frauen auch von einzelnen, gesellschaftlichen Gruppen, Sippen oder der eigenen Familie sanktioniert oder geächtet (vgl. Werner 1998, S. 35). Für eine Familie genügt oftmals allein schon der Verdacht auf eine außereheliche Beziehung und sie sehen sich gezwungen die beschuldigte Frau im Namen der Familienehre zu töten. Weitere Strafen können von Auspeitschung, über sexuelle Folter bis hin zu Steinigung reichen.
Dass auch diese Taten keineswegs islamische Bräuche sind und demzufolge auch nicht mit der Religion gerechtfertigt werden können, zeigt sich darin, dass solche Morde nicht nur in asiatischen und afrikanischen, sondern auch in südeuropäischen Ländern, wie Italien oder Bosnien geschehen, in denen anstelle des Islam, hauptsächlich das Christentum verbreitet ist. Generell existieren solche Verbrechen schon seit langer Zeit. Oftmals werden sie als Unfälle oder Selbstmorde ausgegeben und von staatlichen Stellen ignoriert oder sogar unterstützt. Deshalb bleiben auch die meisten Verbrecher solcher Taten unbestraft oder bekommen mildernde Umstände. Beispielsweise ist seit dem Jahre 1990 im Irak die Tötung von „untreuen“ Ehefrauen gesetzlich straffrei (vgl. Hübel 1992, S. 6).
Für Frauen, die vor ihren Familienangehörigen fliehen existieren demzufolge in ihrem Heimatland keinerlei Schutzmöglichkeiten mehr. Denn auch nach Jahren des Lebens im Untergrund müssen sie noch befürchten entdeckt und ermordet zu werden. Somit ist ihre einzige Überlebenschance das Wagnis der unsicheren Flucht in ein anderes Land.
3.4. Die Verfolgung von Frauen aufgrund der Zugehörigkeit zu einer ethnischen oder religiösen Gruppe am Beispiel der islamischen Sekte Ahmadiyyat
Gleiches wie für die Verfolgung aufgrund der Familienbindung zu einem Oppositionellen trifft auch für die Verfolgung wegen der Zugehörigkeit zu einer ethnischen oder religiösen Minderheit zu. Frauen werden hierbei benutzt, um die männlichen Gruppenmitglieder in ihrem Ehrgefühl zu verletzen und sie zum aufgeben zu zwingen.
Wie bereits erwähnt, sind Frauen bei diesem Verfolgungsgrund in dreifacher Gefahr[23]. Erstens werden sie wegen der eigenen politischen Beteiligung für die Befreiung der Gruppe gejagt. Zweitens drohen ihnen Sanktionen, da sie aus ihrem Innenbereich heraus und in der Öffentlichkeit auftreten, und drittens werden sie besonders schwer gequält, um die ihr angehörigen Männer zu erniedrigen.
Während sich die drei bisher dargestellten Verfolgungsgründe immer auf eine einzelne Person bezogen, sind von diesem vierten ganze Bevölkerungsgruppen betroffen. Oftmals werden sie in allen Bereichen des Lebens diskriminiert und ihre Unterdrückung oder Vernichtung wird durch den eigenen Staat, zum Teil mit militärischer oder polizeilicher Gewalt, angestrebt. Der erste und effektivste Angriffspunkt sind dabei immer die angehörigen Frauen. Durch das Einsetzen sexueller Gewalt wird die Frau sowohl als Angehörige der Minderheit selbst verletzt, als auch das Selbstwertgefühl der gesamten gegnerischen Gruppe zerstört. (vgl. Gebauer, 1987, S. 30)
Als Beispiel für eine verfolgte religiöse Minderheit möchte ich im Folgenden auf eine religiöse Sekte des Islam, die Ahmadiyyat, näher eingehen. Sie wurde 1889 auf dem südasiatischen Kontinent gegründet und ihre ca. eine Million Mitglieder werden bis heute diskriminiert und verfolgt.
Diese Gemeinde unterscheidet sich insofern von den konventionellen Gruppierungen des Islam[24], als dass für die Muslime der letzte von Gott gesandte Prophet Mohammed ist und die im Koran prophezeite Wiederkehr des, den Islam neubelebenden, Mahdi[25] noch aussteht. Im Gegensatz dazu sehen die Ahmadiyyas in ihrem Gründer Mirza Ghulam Ahmed den erwarteten Messias und verehren ihn heute sogar als Nachfolger des Propheten Mohammed. Des weiteren bezeichnen sich die Ahmadiyyas als die „besseren Muslime“, da sie den Anspruch erheben, den Islam in seiner reinsten, unverfälschten Form zu leben. Sie legen großen Wert auf eine gesonderte Gemeinde und der soziale Kontakt zu sunnitischen oder schiitischen Muslimen ist ihnen verboten. Ihren „besseren Islam“ versuchen sie durch gesteigerten, religiösen Eifer und das Verlangen überhöhter spiritueller, sozialer und moralischer Werte von den einzelnen Mitglieder zu demonstrieren.
In den 80er Jahren verschärfte sich in Pakistan ihre Lage. Ihre Gruppierung wurde endgültig als unislamisch erklärt und das Grundrecht der Religionsfreiheit wurde ihnen abgesprochen. Viele Ahmadis wurden verhaftet und zum Tode verurteilt, weil sie ketzerische Bemerkungen über den Propheten Mohammed gemacht hatten. Die Publizierung von Schriften und Büchern wurde verboten. Sie durften den Koran nicht mehr rezitieren, in der Öffentlichkeit nicht mehr beten und keine Koranverse mehr in ihren Häusern aufhängen. Sie wurden zum „Freiwild“ erklärt und zukünftig als Schuldige für alle möglichen Konflikte benutzt. (vgl. Fahmi 1997, S. 32 ff.) „Beispiele bezeugen, dass Ahmadis tätlich angegriffen oder umgebracht wurden, ohne dass Ordnungskräfte etwas dagegen unternahmen oder Gerichte Gerechtigkeit übten.“ (Ebenda)
4. Folter an Frauen
Überall auf der Welt finden organisierte Folterungen durch staatliche und nichtstaatliche Funktionsträger wie Polizisten, Soldaten, Mitglieder politischer Gruppen u.a. statt. Opfer sind dabei Frauen und Mädchen allen Alters und jeder ethnischen und religiösen Zugehörigkeit. Besonders betroffen sind dabei Frauen aus ärmeren Bevölkerungsschichten und weibliche Angehörige ethnischer oder religiöser Minderheiten. Denn die Folterung mittelloser Frauen ist für die Täter weniger mit Gefahren und Sanktionen verbunden, als beispielsweise die Anwendung von Gewalt an einer Tochter oder Ehefrau aus einer gehobenen Familie mit weitreichenden politischen Verbindungen.
Folterungen geschehen in Polizeidienststellen, Haftanstalten, „Militärkasernen, anderen offiziellen Einrichtungen der Sicherheitsbehörden, in inoffiziellen oder geheimen Haftzentren, in Wohnungen der Opfer oder auf der Straße“ (Amnesty International 2001, S. 52). Somit ereignet sich Folter nicht nur in Haftsituationen, sondern tagtäglich in aller Öffentlichkeit. Die den Frauen vorsätzlich zugefügten physischen und psychischen Verletzungen, werden dabei meist stillschweigend von den jeweiligen Staaten geduldet oder sogar unterstützt. Von Amnesty International dokumentiert fanden im Jahr 2000 solche Übergriffe offiziell in „Bangladesh, China, Ecuador, Frankreich, Indien, Israel, Kenia, Demokratische Republik Kongo, Libanon, Nepal, Pakistan, Philippinen, Russland, Saudi Arabien, Spanien, Sri Lanka, Sudan, Tadschikistan, Türkei und USA“ (Amnesty International 2001, S. 50) statt. Es ist allerdings davon auszugehen, dass es in weiteren Ländern noch andere Folterungen unter strengster Geheimhaltung gab, welche offiziell nicht aufgedeckt wurden.
Es existieren eine Vielzahl an Foltermethoden ausschließlich „für“ Menschen weiblichen Geschlechts. Diese sind frauenspezifisch weil sie sich zum einen sexueller Gewalt bedienen oder zum anderen gegen die Sexualität der Frau richten, wie beispielsweise die Genitalverstümmelung. Frauen und auch Männer, die jegliche Folter überlebt haben sind für ihr gesamtes Leben geprägt. Dabei sind Frauen aber zukünftig mit anderen Problemlagen konfrontiert als Männer.
4.1. Was ist Folter?
Folter ist eine extreme Art grausamer, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung von Menschen. Sie wird mit verschiedenen Methoden durchgeführt und verfolgt unterschiedliche Ziele. Die Vereinten Nationen haben am 09.12.1975 in ihrer Erklärung über den Schutz vor Folter folgende Definition einstimmig angenommen.
„1. Unter Folter im Sinne dieser Erklärung ist jede Handlung zu verstehen, durch die
eine Person von einem Träger staatlicher Gewalt oder auf dessen Veranlassung hin vorsätzlich starke körperliche oder geistig-seelische Schmerzen oder Leiden zugefügt werden, um von ihr oder einem Dritten eine Aussage oder ein Geständnis zu erzwingen, sie für eine tatsächliche oder mutmaßlich von ihr begangene Tat zu bestrafen oder sie oder andere Personen einzuschüchtern. Nicht darunter fallen Schmerzen oder Leiden, die sich lediglich in einem mit den Mindestgrundsätzen für die Behandlung von Gefangenen zu vereinbarenden Maß aus gesetzlich zulässigen Zwangsmaßnahmen ergeben, diesen anhaften oder als deren Nebenwirkung auftreten.
2. Die Folter ist eine verschärfte Form absichtlicher grausamer, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe.“ (zitiert in Potts 1993, S. 60)
In der am 10.12.1984 verabschiedeten internationalen Folterkonvention wurde neben der sinngemäß gleichen Definitionsformulierung von 1975 weitere Ergänzungen aufgenommen.
„(...) sie oder einen Dritten einzuschüchtern oder zu nötigen oder eine andere auf Diskriminierung gleich welcher Art beruhende Absicht zu verfolgen, sofern solche Schmerzen oder Leiden von einem Angehörigen des öffentlichen Dienstes oder einer anderen in amtlicher Eigenschaft handelnden Person, auf deren Veranlassung, mit deren Zustimmung oder mit deren stillschweigenden Einverständnis vorgenommen wurden ...“ (zitiert in Potts 1993, S. 60)
An Folter sind immer mindestens zwei Personen beteiligt. Der Folterer und ein sich unter seiner physischen Kontrolle befindendes Opfer. Der Täter fügt der Betroffenen vorsätzlich entweder, durch physische Angriffe auf ihren Körper oder durch psychische Attacken, leibliche oder seelische Schmerzen zu. Die Grade des Leidens reichen dabei von Misshandlung und Erniedrigung bis hin zu unerträglichen Schmerz und Tod.
Um offiziell von Folter sprechen zu können müssen die Ausführenden direkt oder indirekt vom Staat beauftragt oder unterstützt werden. Hierbei zeigt sich eine schwerwiegende Diskriminierung für Frauen. Denn im Gegensatz zu den Männern werden sie auch von nichtstaatlicher Seite gefoltert. Zum privaten Bereich zählen neben der Gewalterfahrung durch die eigene Familie, auch Vergewaltigungen, welche oftmals als private Belustigung des Vergewaltigers abgetan werden. Die Tatsache, dass häusliche Gewalt weltweit einer der Hauptgründe für die Verletzungen und den Tod von Frauen ist wird dabei ignoriert. Regierungen übersehen und billigen dies als private Angelegenheit und die Täter kommen ungestraft davon. Bei Umfragen in Pakistan geben achtzig Prozent der Frauen an bereits häusliche Gewalt erfahren zu haben. In Indien werden pro Jahr etwa 82.818 Gewaltfälle der Polizei gemeldet. Obwohl weder die indische noch die pakistanische Regierung eine Kleiderordnung vorschreibt, nehmen dort seit den neunziger Jahren die Angriffe auf Frauen wegen ihrer „schamlosen“ Kleidung durch religiöse Fundamentalisten zu (vgl. Saeger 1998 , S. 26 ff.). Da diese Frauen keine Möglichkeiten der Verteidigung haben und auch Sanktionen für die Täter durch die Regierungen ausbleiben, führen diese Angriffe zu einer wachsenden rechtlichen und sozialen Benachteiligung der Frauen. Auch international gesehen finden diese Frauen so gut wie keine Hilfe, da ihr Folterschicksal nicht amtlich ist.
Des weiteren ist bedenklich, dass die oben genannten Folterdefinitionen die in einigen Ländern gesetzlich zulässigen Sanktionen, wie beispielsweise die Amputation von Gliedmaßen oder Steinigung von Ehebrecherinnen im Iran, nicht mit einschließen. Denn somit wird die öffentliche Akzeptanz und die Legalisierung dieser Strafmaßnahmen noch gefördert (vgl. Stein 1999, S. 6).
4.2. Warum wird gefoltert?
Die Folter dient der Erzwingung von Informationen und Geständnissen oder der Bestrafung von Personen. Werden die zu einer bestimmten Zeit in einer Gesellschaft vorherrschenden Normen verletzt, sanktionieren der Staat oder private Personen dieses „Fehlverhalten“. Dieser Normbruch kann rassistischer, religiöser, politischer, geschlechtlicher oder anderer Art sein. Die Folter dient dabei der Wiederherstellung oder Aufrechterhaltung einer bestimmten Art von „Frieden“. Beispielsweise besteht in einem diktatorischen System die Aufgabe der Folter darin, jegliche Befreiungsbewegung zu zerstören oder im Keim zu ersticken. Wie beispielsweise in Pakistan. Dort verhängen Regierungen oftmals, insbesondere in Situationen verschärfter Auseinandersetzungen mit oppositionellen Gruppen, den Ausnahmezustand. Während dieser, teilweise über Jahre andauernden, Zeit ist die Verfassung des jeweiligen Landes außer Kraft gesetzt und somit auch die Gesetze zum Schutz des Einzelnen vor staatlichen Übergriffen. Die Folge ist eine Ausbreitung der Folter als Maßnahme des Staates zur Aufrechterhaltung seiner Herrschaft. Folter ist somit nicht nur ein Angriff auf ein Individuum, sondern eine Attacke auf die ganze Gesellschaft. Auch in Kriegszeiten ist Folter ein oft angewendetes Mittel. Sie wird benutzt, um Informationen über Pläne und Stellungen feindlicher Truppen zu erpressen (vgl. Stein 1999, S. 8 f.). Die Sichtweise auf Folter als bloßes Informationsbeschaffungsmittel wäre allerdings zu eng. Denn Folter zielt darauf ab „für die Unterdrückten eine Atmosphäre der Unberechenbarkeit und allgegenwärtigen Bedrohung zu schaffen“ (Potts 1993, S. 61). Dafür wurde von wissenschaftlichen Mitarbeitern wie beispielsweise Ärzten und Psychologen ein ausgefeiltes System entwickelt mit dem Ziel des körperlichen und seelischen Zusammenbruchs, und der Identitätsvernichtung. Für diese Zielerreichung werden die natürlichen Funktionen des Körpers, wie Erschöpfungszustände, Schmerzen und psychologischen Abläufe, benutzt. Weitere auf das Opfer gerichtete Ziele sind die Erreichung der Desorientierung, die Zerstörung der persönlichen Integrität und die Ausstoßung, insbesondere von Frauen, aus der Gesellschaft (vgl. Gahn 1999, S. 25). Durch die unterschiedlichen Foltermethoden wird versucht die Psyche des Opfer vollkommen zu zerstören, um ihm sein Grundvertrauen in die Menschheit zu nehmen (vgl. Jenkins 1996, S. 187).
4.3. Die Foltermethoden und ihre Folgen
Es existieren eine Vielzahl an Foltermethoden mit unterschiedlichen Zielen. Viele davon wurden ausschließlich „für“ das Quälen von Menschen des weiblichen Geschlechts entwickelt. Diese sind frauenspezifisch, weil sie sich zum einen sexueller Gewalt bedienen oder zum anderen gegen die Sexualität der Frau gerichtet sind, wie beispielsweise die Genitalverstümmelung. Die Auswirkungen solch körperlicher Folter sind für die Opfer verheerend. Doch auch die seelische Folter ist ein „wirksames“ Mittel, um Menschen zu quälen. Je nachdem, welche Foltermethode verwendet wurde, leiden die Betroffenen ihr Leben lang an spezifischen Folgeschäden.
4.3.1. Die körperlichen Foltermethoden
Bevor ich später auf die unterschiedlichen seelischen Foltermethoden eingehen werde, möchte ich im Folgenden zuerst die verschiedenen, existierenden Formen der körperlichen Folter näher beschreiben. Dabei gründen die spezifischen Folterbezeichnungen weitgehend auf Veröffentlichungen von Amnesty International.
Körperliche Foltermethoden fungieren immer in zweifacher Weise. Zum einen bringen sie das Opfers physisch bis über ihren „Rand“ der absoluten Erschöpfung und zum anderen wirken sie gleichzeitig psychisch. Die dabei entstehenden Schmerzen sollen das Opfer gefügig und widerstandslos machen. Doch das Ergebnis dieser Folterformen ist oftmals der Tod.
4.3.1.1. Das kontrollierte oder systematische Schlagen
Diese Form der körperlichen Folter umfasst ein ganzes System von Schlägen mit Fäusten oder Gegenständen auf den gesamten Körper. Weit verbreitet ist dabei die sogenannte Falanga oder auch Bastonade. Darunter versteht man das Peitschen der Fußsohlen mit Kabeln, Holzschlägern oder anderen Dingen. Das gleichzeitige Schlagen mit den flachen Händen auf beide Ohren ist ebenfalls sehr häufig und wird als „Telefono“ bezeichnet. Insbesondere Frauen werden durch Fausthiebe auf Stirn und Schläfen, in den Magen oder auf Brust und Geschlechtsorgane gequält. Bei schwangeren Frauen rufen die Täter oftmals mit dieser Methode bewusst Fehlgeburten hervor. Des weiteren werden mit eisenbeschlagenen Stiefeln Tritte gegen Kniescheiben und andere Gelenke ausgeteilt. (vgl. Potts 1993, S. 62)
4.3.1.2. Die sexuelle Folter
Sexuelle Gewalt hat eine sehr stark traumatisierende Wirkung und ist deshalb sehr verbreitet. Ein weiterer „Vorteil“ dieser Foltermethode ist das Ausbleiben sichtbarer Spuren. Als sexuelle Folter wird jede Art der direkten Gewaltanwendung an den Genitalien, sowohl beim Mann, als auch bei der Frau bezeichnet. Doch auch indirekte Gewaltanwendung, wie die Beseitigung der Verschleierung einer traditionell lebenden muslimischen Frau, kann schon zu sexueller Folter gezählt werden. Denn bereits dieses Tat stellt für sie eine starke sexuelle Erniedrigung dar.
Frauen werden gequält und verletzt durch Schläge, Verbrennungen, elektrische Folter und Vergewaltigungen durch Folterer, Wärter, Mitgefangene oder unter Hinzunahme von Tieren. Es werden gleich- oder gegengeschlechtliche, anale wie vaginale Vergewaltigungen vorgenommen. Auch ist das Eindringen mit Objekten, wie Flaschen, Waffen, Knüppeln und kleinen Tieren, wie Skorpionen oder Ratten, in die Vagina oder den Anus keine Seltenheit. (vgl. Potts 1993, S. 62) In Pakistan und Indien ist beispielsweise die sexuelle Folter in Form des Einführens von Chilischoten in die Scheide verbreitet. Ferner ereignen sich Beschüttungen empfindlicher Körperteile mit Benzin und Amputationen von Penisen und Brüsten (vgl. Ebenda).
Im Juli 1989 erhoben in Pakistan in der Provinz Punjab zwei Frauen gegen die Polizei den Vorwurf von ihnen mit Lederpeitschen geschlagen und von mindestens sechs Beamten vergewaltigt worden zu sein. Des weiteren wurden ihnen Stöcke in die Vagina gezwängt. (vgl. Amnesty International 1993, S. 49) Im Januar 1986 wurde die 22jährige Gunta Behn in Indien im Bundesstaat Gujarat von Polizeibeamten aus ihrer Wohnung geholt, um sie im Rahmen der Aufklärung eines Entführungsfalles zu vernehmen. Noch im Dorf zogen die Polizisten sie vor einer versammelten Menschenmenge nackt aus, um sie anschließend im Polizeiauto und auf der Polizeistation von Sagbara mehrfach zu vergewaltigen und zu missbrauchen. Dabei führten sie ihr ein Bambusrohr in die Vagina ein, welches starke Blutungen hervorrief. Als sie zwei Tage später auf die Polizeistation von Rajpipla gebracht wurde, weigerte sich der dortige Arzt eine Untersuchung ohne die konkrete Anweisung des Polizeichefs durchzuführen. (vgl. Amnesty International 1993, S. 48) Dieser zweite Fall zeigt neben der Folterung zusätzlich sehr deutlich, welch niedrige Stellung einer Frau in ihrem Land zukommt. Denn weder ihre Dorfgemeinde, noch der Arzt unterstützte sie.
Weltweit ist sexuelle Gewalt überwiegend eine frauenspezifische Foltermethode. Doch findet sie insbesondere in Ländern statt, in denen die Ehre der Frau die „Familienehre“ verkörpert. Ein Grund dafür ist die bereits erwähnte Möglichkeit durch Aggressionen, Demütigungen und Erniedrigungen, das Herrschaftsverhältnis zwischen den Geschlechtern zu demonstrieren, zu sichern oder wieder herzustellen oder männliche Familienangehörige zu erniedrigen.
Besonders schlimm ist bei dieser Folterart die Tatsache, dass der Frau die Kontrolle darüber entzogen wird, wann und mit wem sie sexuell verkehren möchte und ob sie schwanger werden will oder nicht. Ist eine Frau bereits schwanger, eignet sich der Folterer somit zusätzlich die Verfügungsgewalt über das ungeborene Kind an (vgl. Gahn 1999, S. 29). Des weiteren leidet insbesondere eine traditionell, auf Werte wie Jungfräulichkeit und eheliche Treue sozialisierte Frau, der die Einhaltung dieser somit unmöglich gemacht wird. Dadurch wird ihr Selbstwertgefühl stark geschädigt. Denn zum einen definiert sie sich als „reine“ Frau oftmals allein über die Einhaltung solcher Normen und zum anderen gibt sie sich nach solchen Taten meist selbst die Schuld an diesem „Moralbruch“.
Potentielle Vergewaltiger und Folterer gibt es viele. Im Heimatland können Frauen Opfer sexueller Gewalt werden durch beispielsweise Polizei- und Militärangehörige. Denn sexuelle Belästigungen und Vergewaltigungen finden insbesondere während der Festnahme- und Verhörzeit statt. In einigen Ländern, wie beispielsweise in der Türkei, werden alle festgenommenen Frauen zu Beginn eines jeden Verhörs nackt ausgezogen (vgl. Gahn 1999, S. 30). Doch auch Bürgerkriegsaktivisten und andere Männer können Täter sein. Später auf der Flucht lauern Gefahren durch Schlepper, Sicherheitskräfte, Grenzwächter, Banden und andere Flüchtlinge und selbst im Asylland sind Frauen nicht vor sexuellen Übergriffen, speziell in Flüchtlingslagern, geschützt. Besonders gefährdet sind dabei generell alleinstehende oder unbegleitete Frauen (vgl. Ebenda).
Die Folgen sexueller Folter sind dabei ebenso vielfältig wie die Täterschaft. Körperlich können zum Beispiel verstümmelte Genitalien, schwere Unterleibsschmerzen, sexuell übertragbare Krankheiten, HIV-Infektionen, Menstruationsbeschwerden, das komplette Ausbleiben der Regelblutung, Schwangerschaft und Fehlgeburt auftreten. Psychologisch gesehen stellt sich die Frage ob eine Frau solch schockierende Erlebnisse jemals verarbeiten kann[26]. Während und nach der Tat fühlt sich die Frau machtlos, ohne Wert, gedemütigt und schämt sich. Sie entwickelt Hassgefühle, bricht eventuell eine aus den Taten entstandene Schwangerschaft ab, tötet das Kind oder setzt es aus. Auch Selbstmord ist, insbesondere in Gesellschaften, in denen die Opfer dadurch ihre Ehre verlieren, nicht selten und wird, wie bereits erwähnt, zum Teil von der Tochter erwartet. Wie den Tätern sehr bewusst, hat sexuelle Folter nicht nur körperliche und geistige Auswirkungen für die betroffenen Frauen, sondern auch gesellschaftliche. Wie schon erwähnt sind sexuelle Übergriffe in den meisten Kulturen für das Opfer beschämend und stigmatisierend und in Gesellschaften in denen die Jungfräulichkeit und Keuschheit der Frauen sich in der Ehre der Familie widerspiegelt kann es zur Verstoßung durch den Ehepartner oder die gesamte Familie kommen. Möglicherweise werden die Opfer als Schuldige betrachtet und bestraft oder geächtet. (vgl. Gahn 1999, S. 31) In Pakistan zum Beispiel müssen vergewaltigte Frauen generell mit einer Anklage wegen „Zina“[27] rechnen, egal ob sie den Vorfall melden oder verschweigen. Melden sie die Tat nicht und werden schwanger, droht ihnen eine Belangung wegen „Zina“. Machen sie jedoch Meldung tragen sie die alleinige Beweislast, welche u.a. zwei männliche Zeugen beinhalten muss. Die meisten Pakistanerinnen können die geforderten Beweise im Gerichtssaal nicht erbringen. Als Folge dessen werden die Vergewaltiger freigelassen und die Frauen wegen „Zina“ verurteilt. Die blinde Pakistanerin Safia Bibi erhob 1983 Vorwürfe der Vergewaltigung gegen ihren Vermieter und dessen Sohn. Da sie durch ihre Blindheit die Täter nicht identifizieren konnte wurden die Männer freigesprochen und sie wegen „Zina“ zu einer Haft- und Prügelstrafe verurteilt. In der Berufung wurde sie dann allerdings freigesprochen. Die Täter blieben trotzdem unbestraft.
Nach einer Vergewaltigung kann es zur Verwehrung verschiedenster Unterstützungs- und Schutzformen durch die Familie kommen. Frauen werden Ausbildungs- und Arbeitsmöglichkeiten verboten, sie darf keine eigene Familie gründen oder wird mit ihrem Vergewaltiger verheiratet. Nach der sexuellen Gewalterfahrung finden die Frauen keinen Mann mehr und werden teilweise gezwungen als Prostituierte zu arbeiten. Auch Tötungen kommen vor. Aufgrund der Vielzahl der negativen Konsequenzen verschweigen viele Frauen die erlittene sexuelle Gewalt. Auch spielt es für das gesellschaftliche Ansehen und die Rechte der Frau keine Rolle ob sie privat auf der Strasse, beim Verhör oder im Gefängnis sexuell gefoltert wurde. Von der Tat zu berichten birgt für die Frau immer ein großes Risiko in sich.
Wie bereits beschrieben ist es in Kulturen in denen der Mann seine Frau als Eigentum betrachten und frei über ihre Sexualität verfügen darf, die oberste Pflicht des Vaters, Ehemannes, Bruders oder sonstigen männlichen Familienmitgliedes, die weiblichen Angehörigen seiner Familie vor der Gewalt anderer Männer zu schützen. Denn der Besitz einer „ehrenhaften“ Frau und die Erfüllung seiner Pflicht ihre Ehre vor Anderen zu schützen, macht die Ehre des Mannes aus. Demzufolge ist die sexuelle Gewaltanwendung im Zuge der Verfolgung, in Gesellschaften mit eben beschriebenen männlichen Verpflichtungen, eine wirkungsvolles Mittel, dass erstens neben den eigentlichen Gewaltakten, die Ehre der Frau verletzt, was soziale Folgen wie Diskriminierung, Ächtung, Tötung nach sich ziehen kann und dass zweitens die Ehre des Mannes verletzt, weil es ihm unmöglich ist seiner Beschützerfunktion nachzukommen und er somit versagt hat. Die sexuelle Folterung der Frau hat demzufolge eine direkte Auswirkung auf den Mann. Während jeglicher Auseinandersetzungen werden Frauen somit spezifisch benutzt, um auf männliche Familienangehörige oder eine Gruppe wirken zu können.
[...]
[1] Beispielsweise Asylbewerber I n, anstelle von Asylbewerber und Asylbewerberin.
[2] Muslima ist die weibliche Bezeichnung für eine sich zum Islam bekennende Frau. Einen islamischen Mann nennt man Muslim.
[3] (sic)
[4] (sic)
[5] Hadith
[6] (sic)
[7] (sic)
[8] (sic)
[9] (sic)
[10] Als muslimischen Länder werden Staaten, wie Ägypten, Marokko, Pakistan, Tunesien, Türkei usw., bezeichnet in denen sich der Großteil der Bevölkerung zum Islam bekennt.
[11] (vgl. Kapitel 1)
[12] Wörtlich übersetzt „Vorhang“.
[13] Pakistan ist in fünf Provinzen unterteilt. Im Südosten befindet sich die Provinz Sindh, im Südwesten die Provinz Beluchistan, im Westen an der afghanischen Grenze die Provinz North-West-Frontier und im Norden liegt das zwischen Indien und Pakistan geteilte Kashmir.
[14] Durchschnittlich gebärt jede verheiratete Frau in ihrem Leben fünf bis sechs Kinder.
[15] (vgl. Kapitel 1.2.3.)
[16] Allerdings wird die Steinigung von „Ehebrecherinnen“ in Pakistan heute nur noch selten durchgeführt. In abgelegenen traditionellen Dorfgemeinschaften kommt sie aber immer noch vor.
[17] (vgl. Kapitel 2)
[18] Zwar existiert dieser Begriff in der deutschen Sprache nicht in dieser Form. Doch verwende ich ihn trotzdem, da das Wort „frauenspezifisch“ nur durch die Kumulation das ausdrückt, was ich aussagen möchte.
[19] Diese Sanktionsarten finden in Pakistan heute nur noch sehr selten Anwendung. Über Verätzungen von Frauen in Pakistan ist dabei generell nichts bekannt. Im Iran allerdings werden diese Sanktionsformen beispielsweise auch heute noch häufig verwendet.
[20] Weltweit sind nur einige wenige Fälle bekannt, bei denen auch Männer sexuell missbraucht wurden.
[21] (sic)
[22] In Pakistan ist die Genitalverstümmelung in der Regel nicht verbreitet. Allerdings wird vermutet, dass einige „Nomadenfamilien“ die „Beschneidung“ bei ihren Mädchen und Frauen durchführen.
[23] (vgl. Kapitel 3.1.)
[24] Mit konventionellen Gruppierungen sind die beiden Hauptströme des Islam, die Sunniten und die Schiiten gemeint.
[25] Das Wort „Mahdi“ bezeichnet einen Messias.
[26] Die Folge dieser, durch die während der Folter erlebten Todesangst, ist ein Trauma. Ein Trauma entsteht, weil zur Bewältigung von extremen Ereignissen eine ebenso extreme Gefühlsregulation nötig wäre, welche aber nicht möglich ist. Währenddessen bildet sich ein „Traumagedächtnis“, welches zukünftig auch neutrale Reize, wie beispielsweise einen Mann in Uniform, mit dem Erlebten in Verbindung bringt und somit die verspürte Angst, Hilflosigkeit, Erniedrigung und den Selbstekel wieder hervorruft. Bei Nichtbehandlung des Traumas kann es zu einer sogenannten posttraumatischen Belastungsstörung kommen. Diese liegt dann vor, wenn die vorgenannten Symptome des Traumas länger als einen Monat andauern, wenn die Taten im Geiste ständig wiedererlebt werden und die Frauen durch Vermeidung von Orten, Menschen und Handlungen, die in irgendeiner Art und Weise mit dem Trauma in Verbindung stehen, in ihrem persönlichen, sozialen und eventuell beruflichen Leben eingeschränkt sind. Dabei können sie einer ständigen inneren Unruhe ausgesetzt, aggressiv, depressiv, ständig ängstlich und apathisch sein. Sie haben Schlafstörungen und Alpträume oder können sich, trotz inneren Symptomen, an viele Bestandteile des Traumas nicht mehr erinnern.
[27] Das Wort „Zina“ bedeutet Ehebruch
- Arbeit zitieren
- M.A. Daniela Chohdry (Autor:in), 2003, Fluchthintergründe islamischer Frauen und ihre rechtliche und gesellschaftliche Benachteiligung in Deutschland, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/35914
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