Die Frage nach dem Wahnsinn der Hauptfigur Christian in Ludwig Tiecks Märchennovelle "Der Runenberg" wird in der Forschung intensiv diskutiert. Die Interpretationen besonders hinsichtlich des Schlusses sind jedoch sehr kontrovers. Häufig wird die Hauptfigur des "Runenbergs" allerdings für eindeutig wahnsinnig erklärt. Um diese vorschnelle Diagnose in Frage zu stellen, soll zunächst unter Einbezug der Figur Balders aus Ludwig Tiecks "William Lovell" die Epoche der Frühromantik im Vergleich zur Spätaufklärung herangezogen und für die Beleuchtung der Differenz zwischen Wahnsinn und romantischer Weltanschauung fruchtbar gemacht werden.
Im Anschluss soll Christians Selbstwahrnehmung analysiert werden, da seine Ansicht, was Traum und was Realität zuzuordnen ist, und damit auch seine geistige Verfassung, sich im Laufe des Textes wandeln. Dem soll dann im vierten Kapitel die Fremdwahrnehmung durch Christians Vater, durch die aufklärerisch anmutende Dorfgemeinschaft und Elisabeth, aber auch durch die Erzählinstanz gegenübergestellt werden. Diese stellt das Geschehen nämlich keineswegs rein objektiv dar und nimmt dadurch maßgeblichen Einfluss darauf, wie der Rezipient Christians geistige Verfassung bewertet. Die Darstellung der Erzählfigur und die Aussagen von Christians Mitmenschen über sein Verhalten sollen deshalb genau auf ihre Zuverlässigkeit überprüft werden.
Zuletzt darf schließlich die Gattung des "Runenbergs" nicht außer Acht gelassen werden, da eine Zuordnung des Werkes zum Märchen auf der einen Seite, oder zur Novelle auf der anderen Seite ebenfalls beeinflusst, wie der Geisteszustand des Protagonisten zu deuten ist.
Inhaltsverzeichnis
- 1. EINLEITUNG
- 2. EPOCHALER WANDEL: ZÜGE DER SPÄTAUFKLÄRUNG UND DER FRÜHROMANTIK IN LUDWIG TIECKS WILLIAM LOVELL IM VERGLEICH ZUM RUNENBERG
- 3. CHRISTIANS SELBSTWAHRNEHMUNG: ZWISCHEN WAHNSINN UND ROMANTISCHER WELTANSCHAUUNG
- 4. VERMITTELTE FREMDWAHRNEHMUNG UND IHR EINFLUSS AUF DIE EINSCHÄTZUNG VON CHRISTIANS GEISTIGER VERFASSUNG DURCH DEN LESER
- 5. EINFLUSS DER GATTUNG AUF DIE BEURTEILUNG DER HAUPTFIGUR: ZWISCHEN MÄRCHEN UND NOVELLE
- 6. FAZIT
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Diese Arbeit befasst sich mit der Frage, ob Christian, die Hauptfigur in Ludwig Tiecks Märchennovelle "Der Runenberg", tatsächlich als wahnsinnig bezeichnet werden kann. Der Fokus liegt auf der Analyse der geistigen Verfassung Christians unter Berücksichtigung der zeitgenössischen Diskussionen über Wahnsinn in der Spätaufklärung und der Frühromantik. Dabei wird die Figur Balders aus Tiecks "William Lovell" als Vergleichsperson herangezogen, um die Differenz zwischen Wahnsinn und romantischer Weltanschauung zu verdeutlichen.
- Unterscheidung zwischen Wahnsinn und romantischer Weltanschauung
- Analyse von Christians Selbstwahrnehmung und der Veränderung seiner Ansicht über Traum und Realität
- Einbezug der Fremdwahrnehmung von Christians Vater, der Dorfgemeinschaft, Elisabeth und der Erzählinstanz
- Bedeutung der Gattung des Runenbergs (Märchen vs. Novelle) für die Deutung des Geisteszustands
- Zusammenfassende Klärung, inwieweit Christian als eindeutig wahnsinnig angesehen werden kann
Zusammenfassung der Kapitel
Das erste Kapitel führt in die Thematik der Arbeit ein und stellt die kontroverse Interpretation des Wahnsinns von Christian in "Der Runenberg" vor. Das zweite Kapitel betrachtet die Epochen der Spätaufklärung und der Frühromantik und analysiert die Figur Balders aus "William Lovell" im Vergleich zu Christian, um Unterschiede in der Wahnsinnskonzeption aufzuzeigen. Im dritten Kapitel wird Christians Selbstwahrnehmung beleuchtet, die sich im Laufe des Textes in Bezug auf die Unterscheidung zwischen Traum und Realität wandelt. Das vierte Kapitel widmet sich der Fremdwahrnehmung Christians durch seine Mitmenschen und die Erzählinstanz, wobei deren Zuverlässigkeit kritisch hinterfragt wird. Schließlich betrachtet Kapitel fünf den Einfluss der Gattung des Runenbergs auf die Beurteilung des Geisteszustands des Protagonisten.
Schlüsselwörter
Die Arbeit konzentriert sich auf die Schlüsselbegriffe Wahnsinn, Romantik, Spätaufklärung, Selbstwahrnehmung, Fremdwahrnehmung, Gattung, Märchen, Novelle, "William Lovell", "Der Runenberg" und Ludwig Tieck. Der Fokus liegt dabei auf der Analyse der geistigen Verfassung Christians in "Der Runenberg" im Kontext der literarischen und gesellschaftlichen Debatten um Wahnsinn und die Entwicklung des romantischen Gedankenguts.
- Quote paper
- Nadine Fischer (Author), 2017, Pathologischer Wahnsinn oder Romantische Weltanschauung? Über die geistige Verfassung Christians in Ludwig Tiecks "Der Runenberg", Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/358962