Der Friede, wiewohl einer der ältesten Wunschträume der Menschheit - er verkörpert doch in jeder Hinsicht ein „vernachlässigtes Ideal“ (Vgl. Höffe 1995a, 5). Denn wie oft er auch beschworen worden sein mag, wie emphatisch man ihn zum Durchbruch verhelfen suchte , so oft konterkarierte doch die Realität das hehre Bemühen, zeigte sich die Welt hoffnungslos in Gewalt, Hass und Krieg verstrickt. Umso mehr aber gilt es, der Frage nach dem „Warum“ und dem „Wie“ nachzugehen: „Warum“ der Versuch der Friedensstiftung sic h als solch schwieriger, nur allzu oft von Misserfolg begleiteter erweist, beziehungsweise „wie“ Auswege zu finden sind und eine dauerhafte Friedensordnung etabliert zu werden vermag. Beide Fragen standen auch für Immanuel Kant, jenen Königsberger Denker, der sich als Wegbereiter der „Aufklärung“ - vielleicht die nachhaltigste der europäischen Geistesbewegungen - einen dauerhaften Platz unter den großen Philosophen zu sichern vermochte, im Raum, als er 1795 unter dem Eindruck der Aufbruch wie Unsicherheit gleichermaßen verkörpernden Französischen Revolution zum Entwurf für einen Frieden gelangte, der sogar den Anspruch auf „Ewigkeit“ erhob. Mit seiner Abhandlung „Zum ewigen Frieden. Ein philosophischer Entwurf von Immanuel Kant“, 1796 erweitert in zweiter Au flage erschienen, ordnete der sich der zum damaligen Zeitpunkt bereits über 70jährige nicht nur in die Reihe maßgeblicher „politischer Denker“ ein, sondern konnte eingedenk dessen, dass „Pax“ erstmals explizit in den Rang eines philosophischen Grundbegriff es gehoben wurde, sogar den Anspruch einer Vorreiterrolle erheben. Tatsächlich stellt denn auch Kants Schrift bis heute den vielleicht wichtigsten „klassischen“ Text zu Frieden als eine der vordringlichsten - wenngleich allzu oft nur wenig geachteten - Aufgaben der Politik dar. Sich diesem wirkungsmächtigen Text in knapper Form unter dem doppelten Gesichtspunkt von „formaler“ Gestalt und Relevanz für die Ausgestaltung einer „realen“ internationalen Ordnung anzunehmen, mag ebenfalls Aufgabe vorliegender Proseminararbeit sein. Dementsprechend stehen zwei Hauptfragestellungen im Mittelpunkt des Forschungsinteresses: I) Wie stellt sich Immanuel Kants Schrift „Zum ewigen Frieden“ in Form und Inhalt dar? II) [...]
Inhaltsverzeichnis
0. Einleitung
1. Friedensbegriff und Friedenskonzeption vor Kant– ein Überblick
2. „Zum ewigen Frieden“
2.1. „Präliminarartikel“
2.2. „Definitivartikel“
2.3. „Zusätze“
2.4. „Anhang“
3. Kants Friedensentwurf– Antizipation oder Utopie?
4. Kant und die heutige internationale Staatenorganisation
4.1. „Zum ewigen Frieden“, die Vereinten Nationen und ihr Dilemma
4.2. Zur Revision des Kant’schen Völkerbundskonzeptes
5. Resümee und Ausblick
Bibliographie
0. Einleitung
Der Friede, wiewohl einer der ältesten Wunschträume der Menschheit– er verkörpert doch in jeder Hinsicht ein „vernachlässigtes Ideal“(Vgl. Höffe 1995a, 5). Denn wie oft er auch beschworen worden sein mag, wie emphatisch man ihn zum Durchbruch verhelfen suchte, so oft konterkarierte doch die Realität das hehre Bemühen, zeigte sich die Welt hoffnungslos in Gewalt, Hass und Krieg verstrickt.
Umso mehr aber gilt es, der Frage nach dem „Warum“ und dem „Wie“ nachzugehen: „Warum“ der Versuch der Friedensstiftung sich als solch schwieriger, nur allzu oft von Misserfolg begleiteter erweist, beziehungsweise „wie“ Auswege zu finden sind und eine dauerhafte Friedensordnung etabliert zu werden vermag.
Beide Fragen standen auch für Immanuel Kant, jenen Königsberger Denker, der sich als Wegbereiter der „Aufklärung“– vielleicht die nachhaltigste der europäischen Geistesbewegungen– einen dauerhaften Platz unter den großen Philosophen zu sichern vermochte, im Raum, als er 1795 unter dem Eindruck der Aufbruch wie Unsicherheit gleichermaßen verkörpernden Französischen Revolution zum Entwurf für einen Frieden gelangte, der sogar den Anspruch auf „Ewigkeit“ erhob. Mit seiner Abhandlung „Zum ewigen Frieden. Ein philosophischer Entwurf von Immanuel Kant“, 1796 erweitert in zweiter Auflage erschienen, ordnete der sich der zum damaligen Zeitpunkt bereits über 70jährige nicht nur in die Reihe maßgeblicher „politischer Denker“ ein, sondern konnte eingedenk dessen, dass „Pax“ erstmals explizit in den Rang eines philosophischen Grundbegriffes gehoben wurde, sogar den Anspruch einer Vorreiterrolle erheben. Tatsächlich stellt denn auch Kants Schrift bis heute den vielleicht wichtigsten „klassischen“ Text zu Frieden als eine der vordringlichsten– wenngleich allzu oft nur wenig geachteten– Aufgaben der Politik dar.
Sich diesem wirkungsmächtigen Text in knapper Form unter dem doppelten Gesichtspunkt von „formaler“ Gestalt und Relevanz für die Ausgestaltung einer „realen“ internationalen Ordnung anzunehmen, mag ebenfalls Aufgabe vorliegender Proseminararbeit sein. Dementsprechend stehen zwei Hauptfragestellungen im Mittelpunkt des Forschungsinteresses:
I) Wie stellt sich Immanuel Kants Schrift „Zum ewigen Frieden“ in Form und Inhalt dar?
II) Welchen Stellenwert nimmt dieser „philosophische Entwurf“ für das Konzept einer Internationalen Ordnung, insbesondere Struktur und Wirkung eines „Völkerbundes“, ein?
Gerade in Hinblick auf zweiteren Punkt bieten sich weitere „Unterfragestellungen“ an:
1) Sind die im „Ewigen Frieden“ zum Ausdruck kommenden Vorstellungen als Grundlage einer globalen Friedensordnung oder mehr als Utopie anzusehen?
2) Wie ist die heutige internationale Staatenorganisation unter dem Blickwinkel der Kant’schen Konzeption zu beurteilen?
3) Inwiefern bedarf der von Kant skizzierte Völkerbund unter Bedachtnahme von Erfolg und Misserfolg der Vereinten Nationen einer „Rekonzeptualisierung“, um zukünftig als Garant von Frieden wirken zu können?
Aufgabe der Arbeit ist es in Folge, Antworten auf diese Forschungsfragen zu suchen, ohne hierbei aber erwarten zu dürfen, über den Rahmen einer „partiellen Annäherung“ hinausgehen zu können, was eine an Umfang ebenso wie an Gelehrtheit höheren Ansprüchen genügende Arbeit erfordern würde. Allemal mag aber zumindest ein fragmentarisches Bild entstehen, im Rahmen dessen ebenfalls die Stichhaltigkeit zweiter Hypothesen überprüft werden soll, die den eigentlichen inhaltlichen Ausführungen vorangestellt seien:
a) Kants Entwurf „Zum ewigen Frieden“ kann bis heute als praktikabler Maßstab für die Etablierung einer internationalen Friedensgemeinschaft gelten.
b) Die Vereinten Nationen vereinen wohl Elemente des von Kant entwickelten Völkerbundideals, ohne dieses aber zu erreichen.
Grundlage für das vorliegende Schriftstück bildet Kants Aufsatz in dessen Zweitauflage von 1796, eine Primärquelle, die mittels beigezogener Sekundärliteratur erschlossen werden soll. Die Vielzahl an vorhandenen Aufsätzen und Monographien zum Themenkreis machte es nötig, eine selektive Auswahl zu treffen, die von dem Versuch der Konzentration auf möglichst aktuelle– erleichtert durch das 200-Jahr-Jubiliäum 1995/96– und „forschungsrelevante“ Werke– letzteres immer auch mit einem hohen Maß an Subjektivität verbunden– geprägt war.
Die Gliederung der Arbeit selbst orientiert sich an einem dreistufigen Schema, das sich generalisierend mit „Hinführung“, „inhaltlicher Annäherung“ und „Interpretation“ umreißen ließe: So folgt nach der Einleitung im ersten Hauptkapitel ein Überblick über die Geschichte des Friedensbegriffes und diverser Friedenskonzeptionen vor Kant, um die Thematik in einen übergeordneten Bedeutungszusammenhang zu stellen, gleichsam den Blick auf den Entwurf „Zum ewigen Frieden“ schärfend.
Im Mittelpunkt des zweiten Abschnittes steht dann Kants Friedenskonzeption an sich, die in Form und Inhalt vorgestellt und analysiert werden soll.
Die Kapitel drei und vier schließlich repräsentieren das letzte Element des dreistufigen Aufbaus: Zunächst wird hierbei der Frage nachgegangen, inwiefern Kant mit seiner im Gegensatz zu anderen stehenden Arbeit einen „praktikablen“, sprich umsetzbaren Entwurf für eine internationale Ordnung vorgelegt hat, oder seine Ansichten vielmehr in den Bereich der Utopien zu verweisen sind. Im Folgenden gilt es noch die heutige internationale Staatenorganisation im Spiegel des Entwurfes „Zum ewigen Frieden“ in Betracht zu nehmen und die Frage zu thematisieren, inwieweit gerade in den Vereinten Nationen eine „Verinnerlichung“ Kants stattgefunden hat beziehungsweise ob die heutigen Erfahrungswerte dazu nötigen, an eine Revision des von Kant entworfenen Völkerbundes zu denken, um Frieden in globaler Dimension erfolgreich zum Durchbruch zu verhelfen.
Das Schlusskapitel „Resümee und Ausblick“ endlich lenkt das Interesse nochmals zusammenfassend auf den Forschungsgegenstand und sucht auf Basis der in den vorangegangenen Kapiteln erhaltenen Ergebnisse die eingangs aufgeworfenen Fragestellungen zu beantworten beziehungsweise die formulieren Hypothesen zu verifizieren oder zu falsifizieren.
Angefügt findet sich das Verzeichnis der verwendeten Literatur.
Wiewohl eine Proseminararbeit kaum dazu angetan sein kann, allzu hohe Erwartungen zu erfüllen, sei mit vorliegendem Werk doch auch eine Hoffnung verbunden: eine Brücke vom Königsberger Philosophen des 18. Jahrhunderts zur Gegenwart zu schlagen und die Parallelität von „Zeitlosigkeit“ sowie „Adaptionsnotwendigkeit“ politisch-theoretischer Überlegungen herauszustreichen.
1. Friedensbegriff und Friedenskonzeption vor Kant– ein Überblick
„Friede“ als Element der europäischen Kultur vermag auf eine lange Tradition zu verweisen und war in Gestalt der griechischeneirênêwie der römischenPaxsogar in den Rang des Vergöttlichten gehoben worden. Die Bedeutung des Begriffes erwies sich indes als differenzierte, und so sind es zwei Dimensionen, die es im antiken Friedensverständnis zu unterscheiden gilt: Zum einen die auf einer gerechten Rechtsordnung beruhende innere Eintracht, zum anderen der Zustand bloßer Krieglosigkeit.
Im Mittelalter tritt ein dritter Aspekt in Gestalt des „wahren Friedens“ hinzu, einer kosmischen Ordnung entsprechend, wonach alle Lebewesen in Gott versöhnt und vereinigt sein sollen(Vgl. Merle 1995, 31f.). Dieses Ideal einer sowohl der Zeit enthobenen (Pax aeterna) als auch die „Seele“ der Menschen mit einschließenden „Gottesordnung“, dem der Weg maßgeblich durch Aurelius Augustinus und Thomas von Aquin bereitet worden war,[1]brachte es mit sich, dass dem ewigen, geistlichen Frieden gegenüber jeglicher „irdische“ Frieden wohl nur als unvollkommen erscheinen musste, letzterer gleichsam aber auch als notwendige „Voretappe“ auf dem Weg zu einer „kosmischen Glückseligkeit“ anzusehen war.[2]
Dementsprechend datiert auch der erste eigentliche „europäische Friedensplan“ aus dieser Zeit, 1305 von Pierre Dubois unter dem TitelDe recuperatione Terre Sanceverfasst. Im Falle von Streitigkeiten sollten die Streitparteien ein mit der letzten Entscheidungsgewalt ausgestattetes Schiedsgericht bestellen. Letzter Zweck des allgemeinen Friedens der Christenheit aber– gleichsam die Ambivalenz des mittelalterlichen Friedensverständnisses fern heutiger Vorstellungen von „Pazifismus“ verdeutlichend– war die Konzentration aller Kräfte zur Wiedereroberung des Heiligen Landes(Vgl. Cavallar 1992, 23f.).
Gerade in der Ära der Renaissance verstärkten sich die Bemühungen um eine säkularisierte europäische Friedensordnung, deren erster großer Vordenker Erasmus von Rotterdam wurde. In seiner SchriftQuerela pacisvon 1517 klagte dieser in moralisierender Weise die regierenden Fürsten in ihrer Tendenz an, aus nichtigen Gründen Krieg zu beginnen, gelangte allerdings noch nicht zu einem ausgereiften „Friedenskonzept“. Erst nach dem Gelingen der Reformation wird ein allgemeiner Friede ohne Berufung auf religiöse Wahrheiten ins Auge gefasst, und „zum sozialgeschichtlichen Element der Teilung der Christenheit kommt das naturrechtliche Element mit dessen Menschenbild hinzu“(Merle 1995, 34). Parallel mit dem Bedeutungsgewinn des „weltlichen Friedens“ verliert das Problem des „Friedens im Staat“ an Bedeutung und stellt sich die Frage nach dem „zwischenstaatlichen Frieden“ umso dringlicher.
Vertreter einer „naturrechtlichen Schule“, unter ihnen Grotius, Pufendorf und Wolff, suchten hierbei die Übertragung des „Gesellschaftsvertrages“ vom innerstaatlichen auf das zwischenstaatliche Niveau mittels juristischer Regelungen zu erreichen. Nach außen hin verbietet das sogenannte „Völkerrecht“ bewaffnete Interventionen wie Eroberungskriege, die nicht der Herstellung einer gerechten und friedlichen Ordnung dienen, erachtet indes den souveränen Nationalstaat als Letztinstanz ohne übergeordnetes Organ. Das Zwangsrecht im Falle der Missachtung der naturrechtlichen Pflichten– neben demius in bello, das für die Einhaltung der natürlichen Pflichten auch im Kriegszustand plädiert, alsius ad bellumzu qualifizieren– steht so uneingeschränkt dem Einzelstaat zu, von dessen Wohlwollen damit ebenfalls die internationale Rechtsordnung abhängt(Vgl. Merle 1995, 35-37).
Um Zwangs- und Sicherheitsgarantien auch in einem übergeordneten Rahmen zwischen Staaten zu stiften und damit den Frieden zu gewährleisten, kam es neben solchen Zugängen naturrechtlicher Art gerade in der Aufklärung zu Plänen einer „transnationalen Ordnung“, sei es durch Schaffung eines pragmatischen Gleichgewichtes unter den Staaten oder die Schaffung einer „internationalen Organisation“ mit eigener Entscheidungsgewalt.
Eméric Crucé, ein französischer Mönch, legte 1623 mit seiner SchriftLe Nouveau Cynéeeinen ersten säkularisierten „Weltfriedensplan“ vor(Vgl. Cavallar 1992, 25), der dezidiert die nichtchristlichen Staaten mit einschließt und eine ständige Ratsversammlung in Venedig vorsieht, die gleichsam die Funktion Schiedsgerichtshofes zu erfüllen hat. Als wesentlicher Garant des Friedens wird der Freihandel erachtet, dies durch die Schaffung von Abhängigkeiten zwischen den einzelnen Staaten.
Fast zeitgleich mit Crucé gelangte auch der Herzog von Sully zu einemPlan zur Erreichung eines ewigen Friedens in Europa(1638), der ebenfalls eine allgemeine Ratsversammlung sowie eine internationale Streitmacht vorsieht und mit dem Gedanken einer christlich-europäischen „Gesamtrepublik“ spielt.
Beginnend mit der Wende vom 17. zum 18. Jahrhundert werden dann Friedenspläne entwickelt, die die von Crucé und Sully formulierte Idee einer internationalen Organisation übernehmen, „diese aber nicht als pragmatisches Kalkül eines Machtgleichgewichtes, sondern als Rechtsordnung denken“(Merle 1995, 38). William Penn, Begründer der Quäker-Kolonie Pennsylvania, erzielte dahingehend mit seinem 1693 erschienenenEssay towards the present and Future Peace in Europeweltweite Wirkung, obschon oder gerade da sich sein Ansatz als spezifisch religiöser zeigt: „Das religiöse Motiv[...] vertrug sich gut mit dem Friedenswunsch der Aufklärung, denn beide, Glaube und Vernunft, setzten in ihrer Wirkungsabsicht auf das Wort.“(Gerhardt 1995, 24f.) Penn sah als wichtigstes Friedensicherungsinstrument einen periodisch zusammentretenden europäischen Kongress an, der sowohl als beratende Körperschaft in politischen Fragen wie als Schiedshof in Rechtsstreitigkeiten zu wirken hätte. Im Falle fehlender Bereitschaft zur Unterordnung, sei auch Zwang zur Durchsetzung des „Bundesrechtes“ legitim. „Recht“, „Freiheit“ und „Gleichheit“ erscheinen als leitende Prinzipien(Vgl. Cavallar 1992, 26).
Eine ausdrückliche Verknüpfung von christlichen, aufklärerischen und politischen Impulse unternimmt der Abbé (Charles Irénée Castel) de Saint Pierre, der im Umfeld der langwierigen Verhandlungen zur Beendigung des Spanischen Erbfolgekrieges ein mehrbändigesProjet pour rendre la paix perpétuelle en Europeentwickelte.[3]Ein föderativ organisierter europäischer Fürstenbund mit festen diplomatischen Verbindungen und einer dem Reichstag nachempfundenen ständigen Konferenz sollte als Garant für Frieden fungieren. Der Kanon der Grundartikel war einstimmig zu beschließen und bedurfte der Abänderung ebenfalls der Einstimmigkeit aller Mitglieder, entsprechend harte Strafbestimmungen wurden aber bei Verletzung dieser „Rechtsbasis“ vorgesehen. Die Kosten der Verwaltung sollten den Einkünften der Mitgliedsstaaten angepasst von diesen gemeinsam getragen werden. Hauptaufgabe des Bundes lag in der Beilegung aller Konflikte zwischen den Mitgliedstaaten, womit Übergriffe auf den Bestand eines verbündeten Landes strikt untersagt und eine Garantie der Unverletzlichkeit der Grenzen verbunden war. Neben dieser „Innen-“ nahm das Bündnis auch eine „Außenfunktion“ in Gestalt eines Beistandspaktes gegenüber allen Nichtmitgliedern war(Vgl. Gerhardt 1995, 25).
Wenngleich sich auch Saint Pierre des Vorwurfs nicht entziehen kann, durchaus dynastische, nationale oder ideologische Voreingenommenheiten zu pflegen, wie sie Ausdruck etwa in der Festschreibung der bourbonischen Herrschaft in Spanien und der impliziten Betonung der Rolle des französischen Königs findet, erwies sich sein Vorschlag doch als bahnbrechend: „Die Idee eines Völkerbundes hatte damit ein institutionelles Ziel, das aus den nachfolgenden Debatten nicht mehr wegzudenken ist.“(Gerhardt 1995, 26)
Die „Friedenspublizistik“ erreichte gerade in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts ihren vorläufigen Höhepunkt, wobei die neuen Projekte– so jene von Johann Michael von Loen 1747, Eobald Toze 1752, Saintard 1756, Marquis d’Argenson und Ange Goudar 1757, Pierre André Gargaz 1782, Karl Gottlob Günther 1787 u.a.m.– ihre Anleihen deutlich an den Werken von Sully, vor allem aber Saint Pierre nahmen(Vgl. Cavallar 1992, 27).
Ganz offensichtlich war dieser Bezug im Falle Jean Jacques Rousseaus, der im Jahre 1756 zwei Schriften über das „Projet“ verfasste, namentlich einenExtrait du projet de paix perpétuelle de L’Abbé de Saint Pierreund einJugement sur la Paix Perpétuelle.[4]Rousseau, der „in seinem zwiespältigen Urteil über Saint-Pierre zwischen Hochachtung und schärfster Kritik“(Cavallar 1992, 29) schwankt, schlägt wie dieser einen Gesandtenkongress als Instanz eines europäischen Friedensbundes vor, der gegebenenfalls auch mit militärischer Gewalt „Friedensbrecher“ zur Räson bringen sollte. Eine starke legale Zwangsgewalt, die den Einzelstaat zur Anerkennung gemeinschaftlicher Beschlüsse zwingen könne, sei Garant für die Funktionsfähigkeit des zu schaffenden „Völkerbundes“. Im Gegensatz zum für die Öffentlichkeit bestimmten und mit Kritik äußerst sparsam umgehendemExtraitfragt sich indes Rousseau im „inoffiziellen“Jugement, ob eine mit dem Recht zum Völkerbundskrieg ausgestattete europäische Friedenskonföderation nicht „mit einem Schlage mehr Unheil anrichten, als[...] für Jahrhunderte verhindern“(Rousseau 1756, 378) würde. Er geht nämlich davon aus, dass ein den Frieden in Europa stiftender Staatenkongress nur den Status quo anerkennen und den notwendigen Übergang von der bestehenden absolutistischen Staatenordnung zu einer demokratischen verhindern würde(Vgl. Merle 1995, 41). Damit nimmt Rousseau bereits seine imContrat Socialexplizit zum Ausdruck kommende bedingungslose Unterordnung des Friedens unter die Freiheit vorweg– jene Freiheit, auf die der „ganze Pathos“ seiner Philosophie(Vgl. Gerhardt 1995, 30) begründet liegt, und die in der Verknüpfung mit „Gleichheit“ unter dem Schutze des Rechts Rousseau zum kompromisslosen Vertreter einer republikanischen Verfassung werden lässt. Unbeantwortet blieb allerdings die Frage, „wie man die Freiheit erreichen und zugleich den Frieden sichern kann“(Gerhardt 1995, 31).
Umso evidenter wurde diese Frage, als mit dem Ausbruch der französischen Revolution wohl der „Geist der Freiheit“ seinen Siegszug zu feiern, gleichsam aber sich auch ein Konflikt in europäischem Maßstab anzudeuten schien. Insbesondere dieses Ereignis und der Baseler Frieden von 1795, der nach allem Dafürhalten nur ein vorläufiger sein konnte, dürften Immanuel Kant– beeinflusst von Saint Pierre und Rousseau(Vgl. Cavallar 1992, 33)– dazu bewogen haben, einen eigenen Friedensplan zu konzipieren, der „wesentlich in der klassischen Tradition der Politischen Philosophie steht“, gleichsam aber „sowohl durch seine institutionellen Prämissen wie auch durch die Integration moralischer Ansprüche in den Motivkomplex der Politik offen für die Sehnsucht[ist], die aus den neuzeitlichen Friedensrufen spricht“(Gerhardt 1995, 32)
2. „Zum ewigen Frieden“
Die Schrift, die Immanuel Kant seinem Verleger anbot und die eingedenk ihres großen Erfolges noch im Erscheinungsjahr 1795 zu einer zweiten, erweiterten Auflage von 1500 Stück im Folgejahr nötigte(Vgl. Malter 1984, 72), bietet sich in recht bescheidenem Umfang dar. Umso dichter aber erscheint der Inhalt des Werkes, das sogar als „Wendepunkt in der Geschichte der Friedenstheorien“(Mühleisen 1997, 251) gedeutet wird.
[...]
[1]Vgl. dazu Aurelius Augustinus’De Civitate Deioder Thomas von AquinsSumma theologica.
[2]Vgl. dazu etwa Marsilius von PaduasDefensor Pacis.
[3]Die Veröffentlichung erfolgte 1713 in Utrecht.
[4]DerExtraitfand 1761, dasJugement1782 postum Veröffentlichung.
- Quote paper
- Markus Josef Prutsch (Author), 2003, Immanuel Kants Entwurf "Zum ewigen Frieden". Frieden durch Institution - Völkerbundskonzept und -realität, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/35834
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