In diesem Essay wird dargestellt, warum wir laut Kant an die Unsterblichkeit der Seele glauben müssen, wenn wir moralisch handeln, bzw. anders formuliert, warum wir die Unsterblichkeit der Seele postulieren müssen, wenn wir moralisch handeln. Dafür wird in einem ersten Schritt Kants Beweis für die Unsterblichkeit vorgestellt und in einem zweiten Schritt das Argument durch Lewis White Beck in mehreren Punkten kritisiert, teilweise umformuliert und bewertet. Danach wird das Postulat der Unsterblichkeit der Seele in einigen Punkten mit Otfried Höffe kritisiert. Zum Schluss wird resümiert, was, nach der Ausübung der Kritik, noch vom Argument für die Unsterblichkeit der Seele bleibt.
Eberhard Karls Universität Tübingen Verfasser: David Schneider
Philosophisches Seminar
Interpretationskurs Kant: Kritik der praktischen Vernunft Sommersemester 2015
2. Warum müssen wir laut Kant an die Unsterblichkeit der Seele glauben, wenn wir moralisch handeln?
„Der Begriff des höchsten Gutes (summum bonum) ist der Begriff des Unbedingten zu allem praktisch Bedingten, d.h. der Begriff eines letzten Zwecks, in dem alle anderen Zwecke vereinigt sind.“[1]Das höchste Gut ist also der ganze Gegenstand einer reinen praktischen Vernunft. Wenn das moralische Gesetz als oberste Bedingung im höchsten Gut enthalten ist, so ist der Begriff und die Existenz des höchsten Gutes der Bestimmungsgrund des reinen Willens. Das heißt, das moralische Gesetz bestimmt den Willen. Strebe ich das höchste Gut an, sodass es zum Gegenstand meines Willens wird, so muss ich auch dessen Bedingungen, bzw. Postulate akzeptieren. Postulate sind Forderungen, die in der Theorie nicht nachweisbar sind, aber praktische Geltung haben, da sittliches Handeln ohne sie nicht stattfinden kann. Die Postulate, die akzeptiert werden müssen, wenn man das höchste Gut anstrebt, sind: Die Existenz der Freiheit, das Dasein Gottes und die Unsterblichkeit der Seele.
Im Folgenden soll auf den letzten Punkt eingegangen werden und dargestellt werden, warum wir laut Kant an die Unsterblichkeit der Seele glauben müssen, wenn wir moralisch handeln, bzw. anders formuliert, warum wir die Unsterblichkeit der Seele postulieren müssen, wenn wir moralisch handeln. Dafür soll in einem ersten Schritt Kants Beweis für die Unsterblichkeit vorgestellt werden und in einem zweiten Schritt wird das Argument durch Lewis White Beck in mehreren Punkten kritisiert, teilweise umformuliert und bewertet. Danach soll das Postulat der Unsterblichkeit der Seele in einigen Punkten durch Otfried Höffe kritisiert werden. Zum Schluss wird dann resümiert, was, nach der Ausübung der Kritik, noch von der Unsterblichkeit der Seele bleibt.
Kant baut seine Argumentation für die Unsterblichkeit der Seele darauf auf, dass das Erreichen des höchsten Gutes Ziel eines jeden vernünftigen Wesens sei[2]. Um dieses höchste Gut zu erreichen, ist es nötig, das moralische Gesetz aus freien Stücken zu achten und vollständig einzuhalten[3]. Lewis White Beck kritisiert in „Kants ‚Kritik der praktischen Vernunft‘“ Kant dafür, dass er in diesen Prämissen, „die oberste Bedingung“ (bonum supremum) des höchsten Gutes, die Tugend, mit der höchsten Vollkommenheit der Tugend verwechselt[4]: Beim Lesen dieser Prämissen kann man den Eindruck bekommen, dass nach Kants Definition das höchste Gut „eine Verbindung der vollkommenen Glückseligkeit mit der Vollkommenheit der Tugend (d.h. Heiligkeit) wäre.“[5]Beck fasst eben diese Definition als Maximalbegriff des „summum bonum“ in Worte. Er meint damit eine vollkommene Seligkeit unter der Bedingung der Heiligkeit, wobei die Heiligkeit bei ihm, wie bei Kant, die völlige Übereinstimmung des freien Willens und der moralischen Gesetze ist. Beck schlägt vor, dass wenn man diesen Maximalbegriff des höchsten Gutes an die Stelle des von Kant definierten Begriffs des jeweiligen Grad der Tugend entsprechenden Glückseligkeit, setzt, dann erhalte man die für Kants Beweis erforderliche Prämisse[6]. Da Kant an dieser Stelle den Maximalbegriff des höchsten Gutes im Sinne hatte, war es ihm möglich, aus der Notwendigkeit des höchsten Gutes die Notwendigkeit eines heiligen Willens zu folgern, welche erst die Folgerung auf die Unsterblichkeit der Seele ermöglichte. Ich finde diesen Einwand von Beck sehr plausibel, da er ihn mit der folgenden Feststellung untermauert: Kant habe zunächst mit dem Begriff der dem jeweiligen Grad der Tugend entsprechenden Glückseligkeit begonnen, was daran ersichtlich sei, dass Kant unter der Voraussetzung des Daseins Gottes davon ausgehe, dass eine notwendige Verknüpfung von Sittlichkeit und Glückseligkeit in der sinnlichen Welt möglich sei[7]. Kant bleibt nicht konsequent und verwendet den Begriff nicht wie oben definiert weiter, sondern geht davon zum Maximalbegriff des höchsten Gutes über. Dies zeige sich, so Beck weiter, in Kants „Abschnitt über die Unsterblichkeit der Seele an dem Gedanken, ‚der Unendliche‘ fordere ‚unnachläßlich‘ von uns Heiligkeit, ‚um seiner Gerechtigkeit in dem Anteil, den er jedem am höchsten Gute bestimmt, gemäß zu sein“[8]. Aufgrund der beschriebenen Sachlage erscheint es mir sehr plausibel, dass Beck vorschlägt, die die Fehlkonzeption Kants enthaltenden Sätze umzuformulieren. Der von Beck neu formulierte Satz „Der moralische Imperativ verlangt vom Menschen, vollkommen (heilig) zu sein“[9]ist frei von dieser verfehlten Konzeption.
Kants Argument geht damit weiter, dass die Heiligkeit notwendige Bedingung des höchsten Gutes ist und von keinem moralischen Wesen der Sinnenwelt während seines irdischen Daseins erreicht werden kann[10]. Es ist laut Kant daher nur in einer unendlichen Annäherung möglich Heiligkeit zu erreichen und da sie gefordert ist, sei ein solcher unendlicher Fortschritt das wahre Objekt des Willens[11]. Diese unendliche Annäherung kann entweder als ein Zustand, oder als ein unendlicher Fortschritt in Richtung auf einen Zustand gesehen werden. Dies ist aber nicht weiter relevant, da die beiden Optionen lediglich für uns Menschen verschieden sind, in einer intellektuellen, überzeitlichen Schau, wie sie Gott haben dürfte, jedoch zusammenfallen können. Dieser unendliche Fortschritt sei jedenfalls nur möglich, wenn die Persönlichkeit eines Vernunftwesens endlos dauere[12]. Kant schließt aus den vorangegangenen Prämissen, dass das höchste Gut daher nur unter der Voraussetzung der Unsterblichkeit der Seele möglich sei[13]. Offen bleibt hier, so Beck, ob das höchste Gut praktisch nur für ein Wesen möglich ist, das seine Unsterblichkeit voraussetze, oder aber, ob es praktisch nur möglich sei, wenn die Seele unsterblichist[14].
Da Kant rein theoretischen Argumenten zur Begründung der Unsterblichkeit der Seele nicht viel zutraute, gründete er mit dem eben angeführten Beweis den Glauben an die Unsterblichkeit der Seele auf der Sittlichkeit. Dies ist insofern bemerkenswert, als in vielen religiösen Unsterblichkeitslehren die Sittlichkeit auf die Hoffnung zukünftiger Belohnungen gegründet ist.
Nachdem Kants Argument für die Unsterblichkeit der Seele vorgestellt, mit Beck kritisiert und teilweise umformuliert wurde, soll nun ein weiterer Einwand Becks gegen das Unsterblichkeitspostulat vorgebracht werden.
Beck ist der Auffassung, dass die Seele, wenn sie unsterblich wäre, nach dem Tod nicht mehr raum-zeitlich existieren dürfte[15]. Wenn wir dies mit Kants Auffassung, die besagt, dass die Akte der reinen praktischen Vernunft nicht zeitlich seien[16], kombinieren, lässt sich daraus schließen, „die Seele habe nie unter raum-zeitlichen Bedingungen existiert“[17]. Beck weist darauf hin, dass es unter diesen Voraussetzungen zu einem Widerspruch kommt: Die Ewigkeit ist kein Zeitquantum, sondern zeitlos, während der dauernde und endlose Fortschritt der Seele etwas Zeitliches, und nichts zeitlos Ewiges ist[18]. Meiner Meinung nach liegt Beck hier richtig.
Nachdem Kants Postulat der Seele durch Beck kritisiert wurde, folgen nun einige Kritikpunkte von Otfried Höffe.
[...]
[1]Beck, Lewis White: Kants „Kritik der praktischen Vernunft“, München 1974, S. 225.
[2]Kant, Immanuel (1788): Kritik der praktischen Vernunft, in: AA Bd. V, S. 122.
[3]Kant, Immanuel (1788), S. 122.
[4]Vgl. Beck, Lewis White (1974), S. 247.
[5]Ebd.
[6]Vgl. ebd.
[7]Vgl. ebd.
[8]Ebd.
[9]Beck, Lewis White (1974), S. 248.
[10]Vgl. Kant, Immanuel (1788), S. 122.
[11]Vgl. ebd.
[12]Vgl. ebd.
[13]Vgl. ebd.
[14]Vgl. Beck, Lewis White (1974), S. 246.
[15]Vgl. Beck, Lewis White (1974), S. 249.
[16]Vgl. Kant, Immanuel (1788), S. 98f.
[17]Beck, Lewis White (1974), S. 249.
[18]Vgl. ebd.
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- David Schneider (Autor:in), 2015, Warum müssen wir laut Kant an die Unsterblichkeit der Seele glauben, wenn wir moralisch handeln?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/358189
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