Das Ziel dieser Arbeit ist es, Bedeutungen und Auswirkungen von Fehlern auf den Lernprozess von Auszubildenden an Gesundheits- und Krankenpflegeschulen herauszuarbeiten und verschiedene Strategien zur Entwicklung einer Fehlerkultur zu extrahieren. Denn in der beruflichen Sozialisation der zukünftigen Pflegenden ist es von ausschlaggebender Bedeutung, sich mit der eigenen Fehlbarkeit und dem Erlernen eines konstruktiven, ehrlichen und offenen Umgangs mit den eigenen Fehlern und den Fehlern anderer auseinanderzusetzten. Pflegekräfte, welche dies schon in ihrer Ausbildung lernen, stellen eine wichtige personelle Ressource für den Einsatz von Fehlervermeidungsstrategien in der Pflegepraxis dar.
Zu Beginn werden die beiden Begriffe »Fehler« und »Fehlerkultur« genau definiert. Dazu werden vorwiegend Erkenntnisse aus der Pflegewissenschaft, Erziehungswissenschaft und deren Bezugsdisziplinen genutzt. Es werden verschiedene Fehlerarten, deren Ursachen sowie Folgen erörtert. Strategien aus dem Pflegemanagement zur Entwicklung einer Fehlerkultur werden aufgeführt und prägnant erklärt, da diese ausschließlich in der Pflegepraxis eingesetzt und von examinierten Pflegenden genutzt werden. Auf Auszubildende üben sie daher keinen relevanten Verhaltenseinfluss aus. Im dritten Kapitel werden zu Beginn Folgen von Fehlern auf das Erleben und den Lernprozess beschrieben. Anschließend wird der Stellenwert eines Fehlers auf den Lernprozess erläutert. So wird die Bedeutung von Fehlverhalten in diesem Kapitel aus verschiedenen Perspektiven dargelegt und interpretiert. Im Kapitel »Strategien zur Entwicklung einer Fehlerkultur in der Ausbildung« werden mögliche zu implementierende curriculare Bestandteile der Fehlerthematik extrahiert und erklärt. Dazu werden verschiedene Curricula aus der Pflege und deren Bezugsdisziplinen herangezogen. Curriculatheorien finden hierbei jedoch keine Anwendung, da sie die gesamte Struktur eines Curriculums darstellen und in dieser Arbeit keine Festlegung auf ein Curriculum erfolgen soll. So bleibt die Übertragung auf andere Curricula gewahrt. Es werden didaktische Methoden für die Umsetzung im unterrichtlichen Kontext dargestellt. Zuletzt wird konstruktives Verhalten von Pflegepädagog_innen und Praxisanleiter_innen in Fehlersituationen mit Auszubildenden erläutert. Die Arbeit endet mit einem Resümee, in dem notwendiger Forschungsbedarf, Forderungen an Pflegemanagement und –pädagogik sowie Gesundheitspolitik gestellt werden.
Inhaltsverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
Tabellenverzeichnis
1 Einleitung
2 Definitionen und Abgrenzungen
2.1 Fehler
2.2 Fehlerkultur
3 Bedeutung eines Fehlers für Auszubildende – (k)eine Lernmöglichkeit
4 Strategien zur Entwicklung einer Fehlerkultur in der Ausbildung
4.1 Curriculare Einbindung
4.2 Didaktische Methoden in Schule und Praxis
4.3 Konstruktives Verhalten in Fehlersituation
5 Resümee und Ausblick
Literaturverzeichnis
Anhang
Abkürzungsverzeichnis
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1: Fehlerklassifikation
Abbildung 2 Verhältnis von Fehlerwahrscheinlichkeit und Erfahrung
Abbildung 3: Lerntypen
Abbildung 4: Korrelation von Fehlerfolgen und Lernpotenzial
Tabellenverzeichnis
Tabelle 1: SHELL-Kategorien
Tabelle 2: Matrix Fehlerarten
Tabelle 3: Stressreaktionen
Tabelle 4: Lerninhalte zur Fehlerthematik im Studium
Tabelle 5: Lerninhalte zur Fehlerthematik für Medizinier
1 Einleitung
Das Ziel der Gesundheits- und Krankenpflegeausbildung ist die Förderung von „(…) Kompetenzen zur verantwortlichen Mitwirkung (…) bei der Heilung, Erkennung und Verhütung von Krankheiten (…)“ (Dielmann 2006, S. 88). Dies ist nicht nur das Ausbildungsziel, sondern auch das Berufsziel einer verantwortungsbewussten Gesundheits- und Krankenpflege. Dieses Berufsziel schließt gleichzeitig die Verhinderung und Prävention von Fehlern in der pflegerischen Versorgung mit ein.
Dennoch sind Pflegende wie auch andere Berufsgruppen, nicht vor eigenen Fehlern im Berufsalltag geschützt. Dies belegen zahlreiche statistische Daten und zunehmende juristische Klagen (vgl. Borgwart 2010, S. 2; Weiss, Zieres 2008, S. 35; Schrappe et al. 2007 in Löber 2012, S. 1; Imhof 2010 in Löber 2012, S. 2). Das Resultat von Fehlern in der Gesundheitsversorgung sind nicht nur hohe Folgekosten (vgl. Borgwart 2010, S. 2), sondern auch persönliche und familiäre Schicksale. Da den Pflegenden im Berufsalltag Fehler unterlaufen und dies, in der Arbeit mit Menschen schwere Schäden nach sich ziehen und zu letale Folgen für die Pflegebedürftigen führen kann, baut sich für Pflegende ein enormer Druck auf. Weiss und Zieres (2008) bemerken daher, dass in Gesellschaft und Politik akzeptiert werden muss, dass auch in diesen Disziplinen keine 100 prozentig-fehlerfreie Behandlung und Pflege angeboten werden kann (vgl. Weiss, Zieres 2008, S. 35). In anderen Berufsgruppen haben Fehlerfolgen nicht ein solches Ausmaß, wodurch sie hier auch nicht allzu negativ konnotiert werden. Fehler haben dabei, abgesehen von Arbeitsunfällen, fast nur ökonomische Kosten und keine humanen Schäden und Verluste. Die enorme berufliche Verantwortung, den gesellschaftlichen Druck, die Angst vor Sank-tionen und juristischer Verfolgung, die stark hierarchisierte Gesundheitsorganisation und auch die fehlerintolerante Mentalität haben dazu geführt, dass Fehler in der Versorgung im Gesundheitswesen ein Tabuthema sind (vgl. Imhof 2010 in Löber 2012, S. 3), dass nur sehr langsam und partiell aufbricht (vgl. Löber 2012, S. 3,4). Das Risiko von Fehlern wird zusätzlich durch den demografischen Wandel mit den Konsequenzen eines immer größer werdenden Anteils an multimorbiden Pflegebedürftigen, durch knapper werdende Res-sourcen, durch finanzielle Zwänge der Einrichtungen und durch Personalmangel an pro-fessionellen Pflegekräften verschärft. So sinkt die Anzahl der Pflegenden in den Einrich-tungen, gleichzeitig steigen aber Pflegebedarfe und die damit zu erbringenden Pflege-leistungen, was das Fehlerrisiko erheblich anhebt. Pflegende müssen mit Fehlern verant-wortungsbewusst umgehen, sie verhindern und Präventivmaßnahmen ergreifen. Im Gesundheitsmanagement haben sich in den letzten Jahren verschiedene Möglichkeiten zur Fehleridentifikation und -analyse entwickelt (vgl. Löber 2012, S. 3), so dass auch von den Pflegenden erwartet wird, diese zielgerichtet anzuwenden und umzusetzen. Auszubildende müssen ebenfalls diese Methoden erlernen, um das Ausbildungsziel zu erreichen.
Nach dem das Institute of Medicine 1999 in den Vereinigten Staaten schockierende Zahlen über den Umfang der Patientenschäden und –gefährdungen herausgegeben hat, interessierten sich Medizin- und Pflegewissenschaft verstärkt für die Thematik des Fehlers im Berufsalltag des medizinischen und pflegerischen Personals (vgl. Weiss, Zieres 2008, S. 35; Paula 2007, S. 2). Allerdings wird schon an den höchstunterschied-lichen und ungenauen Zahlen zu Patientenschäden infolge von Fehlverhalten deutlich, wie gering der derzeitige Wissensstand ist und verwundert auch nicht darüber, „(…) dass der Umgang mit den Fehlern in der Medizin [und Pflege] noch immer in den Kinderschuhen steckt (…)“ (Weiss, Zieres 2008, S. 36). In den Auseinandersetzungen mit der Fehlerthematik, wird immer wieder eine inhaltliche Bearbeitung des Themas in der Ausbildung des pflegerischen und medizinischen Personals gefordert (vgl. Suter et al. 2007, S.17; Cramer, Froita, Habermann 2012, S. 257; Sitzmann 2009, S. 5). Allerdings hat aus pflegepädagogischer Perspektive noch keine durchgängige und flächendeckende Auseinandersetzung mit der Fehlerthematik stattgefunden, was die Relevanz dieser Arbeit verstärkt.
Eine interdisziplinäre wissenschaftliche Auseinandersetzung mit Fehlern begann im angloamerikanischen Raum ab dem Reaktorunfall auf Three Miles Island, der als Initial-zündung zur Zusammenarbeit in Fehlerforschungsfragen zu sehen ist (vgl. Weingart 2004, S. 25, 26). In den Ingenieurswissenschaften beziehen sich Fragestellungen auf produk-tionsbezogene Fehler, so dass vorwiegend Fehler an der Schnittstelle zwischen Mensch und Maschine untersucht wurden (vgl. Weingardt 2004, S. 29). In anderen Bezugswissen-schaften, wie zum Beispiel der Psychotherapie findet sich eine ähnliche Situation vor. Bis in die 90er Jahre des letzten Jahrhunderts fanden sich Beiträge, welche gerade die Psychoanalyse betrafen, in denen allerdings die Problematik verschönt wurde (vgl. Fäh 2011, S. 31). In letzter Zeit findet, wie in „Entgleisungen in der Psychoanalyse“ von Zetteler-Otte (2007) oder in „Behandlungs- und Kunstfehler in der Psychoanalyse“ von Ruff et al. (2011) eine reflexive und problemorientierte Auseinandersetzung mit eigenen Behandlungsfehlern in der Psychoanalyse statt (vgl. Fäh 2011, S. 31). Erste Auseinandersetzungen mit Fehlern im schulischen Kontext bzw. mit Schülerfehlern im Unterricht formulierte Weimer (1925), diese unterlagen jedoch keiner empirischen Forschung (vgl. Weingardt 2004, S. 24). Jedoch stagnierte diese Entwicklung. Weitergehende Auseinandersetzungen der Erziehungswissenschaft fanden erst wieder in den 80er Jahren des 20. Jahrhunderts statt. In den Sprachwissenschaften ist seit den 1970er Jahren eine Aufwärtsentwicklung, vorwiegend mit Schülerfehlern im Sprach- und Fremdsprachunterricht, festzustellen (vgl. Weingardt 2004, S. 21, 28). Dennoch muss bisher eine fehlende Fehlertheoriebildung und -konzeption in der pädagogischen Wissenschaft beklagt werden (vgl. Weingardt 2004, S. 20, 25). Aufgrund des sehr vielfältigen Phänomens des Fehlers und den höchst unterschiedlichen Perspektiven der jeweiligen Disziplinen wurde bisher noch keine einheitliche Definition eines Fehlers gefunden (vgl. Weingardt 2004, S. 30).
Die Hauptfragestellung der Arbeit „Strategien zur Entwicklung einer Fehlerkultur in Gesundheits- und Krankenpflegeschulen – Fehler am Lernort Praxis“ richtet sich danach, welche Bedeutung Fehler in der praktischen Ausbildung für Schülerinnen und Schüler haben. Ausgehend von der Prämisse, dass Fehler gesellschaftlich stark tabuisiert sind, stellt sich die Frage, wie Lernende mit eigenem Fehlverhalten umgehen. Welche Folgen haben eigene Fehler für Auszubildende persönlich und ihren Lernprozess? Wie wirkt sich ein Fehler auf ihr Erleben und ihre Motivation aus? Wie können die Lernenden die Belas-tungen aus den Folgen eines Fehlers bewältigen? Wie können Pflegepädagoginnen und –Pädagogen bzw. Praxisanleiterinnen und Praxisanleiter die Bewältigung unterstützen? Die Beantwortung dieser Fragestellungen bildet die Grundlage für die verschiedenen Elemente einer konstruktiven Fehlerkultur und für das Vorgehen bei der Entwicklung der verschiedenen Strategien. Es ist das professionelle Verständnis von Pflegepädagoginnen und Pflegepädagogen den Lernprozess zu unterstützen und positives Verhalten und vorhandenes Potenzial der Lernenden zu erkennen und hervorzuheben. Andererseits ist es ihre Aufgabe eingangsgenanntes Ausbildungsziel zu verfolgen und damit zur Fehlervermeidung der Auszubildenden beizutragen. Bei Fehlern in der praktischen Ausbildung gilt es, potenzielle Gefahren für Pflegebedürftige unbedingt zu vermeiden und zu verhindern und dies den Auszubildenden zu vermitteln. D. h. Fehler können in diesem beruflichen Kontext nicht toleriert werden. So stehen Pflegepädagoginnen und Pflege-pädagogen vor einem Zwiespalt. Einerseits sollen sie das Positive und die vorhandenen Lernmöglichkeiten eines Fehlers erkennen und extrahieren, andererseits aber auch die von den Auszubildenden möglicherweise noch gar nicht erkannte Gefahr bewusstmachen und vor unangenehmen Folgen warnen und diese verhindern. So müssen Pflegepädago-ginnen und –pädagogen mit zwei widersprüchlichen Grundhaltungen umgehen und diese vermitteln. So stellt sich die Frage wie Pflegepädagoginnen und Pflegepädagogen in diesen speziellen Situationen konstruktiv mit Fehlern von Auszubildenden umgehen und welche Strategien zur Entwicklung einer Fehlerkultur dazu beitragen, dass Fehler von den Auszubildenden nicht tabuisiert werden und Fehlervermeidungsstrategien dennoch bewusst umgesetzt werden. Weitere Fragen dieser Arbeit sind, wie eine konstruktive Fehlerkultur an Gesundheits- und Krankenpflegeschulen etabliert werden kann, aus welchen Bestandteilen sie sich zusammensetzt und was bei ihrer Umsetzung zu beachten ist.
Eine hohe wissenschaftliche Relevanz hat die Arbeit daher gerade für Institutionen mit dualem Ausbildungsprinzip, wobei praktische Ausbildungsinhalte mit theoretischen verknüpft werden. Aber auch für die allgemeine Schulbildung ist diese Arbeit ein wichtiger und nützlicher Beitrag. Gerade von diesen Einrichtungen wird zukünftig zunehmend verlangt, Grundlagen für die Entwicklung von Handlungskompetenzen und vor allem Personalkompetenzen zu legen, zu fördern und zu entwickeln. Diese sind die Basis für eine reflektierte Handhabung von eigenen Fehlern und eine soziale, empathische und ver-antwortungsbewusste Umgangsweise mit Fehlern von Kolleginnen und Kollegen. Weiterhin stellt diese Arbeit einen wichtigen Beitrag für die wissenschaftliche Entwick-lungspsychologie dar, welche sich ebenfalls mit den Fragen der Nützlichkeit und Nutzbar-machung von Fehlern auseinandersetzt. Außerdem ist dem Thema dieser Arbeit gleicher-maßen eine gesellschaftliche Relevanz beizumessen, denn nur die Gesellschaft, die Neues und Innovatives zulässt, die neugierig bleibt und mit Rückschlägen umgehen kann, nur diese Gesellschaft wird mit zukünftigen Herausforderungen umgehen können und sich stets und unaufhörlich weiterentwickeln. Diese Arbeit liefert aber vor allem für das Gesundheitsmanagement, Praxisanleiterinnen und Praxisanleitern sowie berufstätigen professionellen Pflegekräften bedeutende Hinweise zur Auseinandersetzung mit eigenen und fremden Fehlern. Gerade in der Einarbeitungsphase neuer Mitarbeiter_innen in Pflegeeinrichtungen können immer wieder Fehler geschehen. Dabei liefert diese Arbeit einen wichtigen Beitrag zum konstruktiven Umgang mit Fehlern von Mitarbeiter_innen sowie zur Entwicklung und Etablierung einer offenen Fehlerkultur in einer Pflegeeinrichtung. Daher ist vor allem Pflegemanagerinnen und Pflegemanagern bzw. Pflegedienstleitungen und Pflegedirektorinnen und -direktoren eine Auseinandersetzung mit dieser Arbeit zu empfehlen und äußerst wünschenswert.
Ableitend von den oben genannten Hauptfragestellungen ist das Ziel dieser Arbeit, Bedeutungen und Auswirkungen von Fehlern auf den Lernprozess von Auszubildenden an Gesundheits- und Krankenpflegeschulen herauszuarbeiten und verschiedene Strate-gien zur Entwicklung einer Fehlerkultur zu extrahieren. Denn in der beruflichen Sozialisa-tion der zukünftigen Pflegenden ist es von ausschlaggebender Bedeutung sich mit der eigenen Fehlbarkeit und dem Erlernen eines konstruktiven, ehrlichen und offenen Um-gangs mit den eigenen Fehlern und den Fehlern anderer auseinanderzusetzten (vgl. Lux 2010, S. 118). Pflegekräfte, welche dies schon in ihrer Ausbildung lernen, stellen eine wichtige personelle Ressource für den Einsatz von Fehlervermeidungsstrategien in der Pflegepraxis dar.
Der Aufbau der Arbeit gestaltet sich daher wie folgt: Im zweiten Kapitel werden die beiden Begriffe »Fehler« und »Fehlerkultur« genau definiert. Dazu werden vorwiegend Erkennt-nisse aus der Pflegewissenschaft, Erziehungswissenschaft und deren Bezugsdisziplinen genutzt. Es werden verschiedene Fehlerarten, deren Ursachen sowie Folgen erörtert. Eine Beschreibung des Assessments von schulischer und pflegepraktischer Fehlerkultur erfolgt nicht, da dies nicht im direkten Zusammenhang zur Hauptfrage der Arbeit steht. Strategien aus dem Pflegemanagement zur Entwicklung einer Fehlerkultur werden aufge-führt und prägnant erklärt, da diese ausschließlich in der Pflegepraxis eingesetzt und von examinierten Pflegenden genutzt werden. Auf Auszubildende üben sie daher keinen relevanten Verhaltenseinfluss aus. Im dritten Kapitel werden zu Beginn Folgen und Kon-sequenzen von Fehlern auf das Erleben und den Lernprozess beschrieben. An-schließend wird der Stellenwert eines Fehlers auf den Lernprozess erläutert, wobei dieser vorher erklärt wird. Lerntheorien werden jedoch nicht zusätzlich hinzugezogen. So wird die Bedeutung von Fehlverhalten in diesem Kapitel aus verschiedenen Perspektiven dar-gelegt und interpretiert. Im Kapitel »Strategien zur Entwicklung einer Fehlerkultur in der Ausbildung« werden mögliche zu implementierende curriculare Bestandteile der Fehler-thematik extrahiert und erklärt. Dazu werden verschiedene Curricula aus der Pflege und deren Bezugsdisziplinen herangezogen. Curriculatheorien finden hierbei jedoch keine An-wendung, da sie die gesamte Struktur eines Curriculums darstellen und in dieser Arbeit keine Festlegung auf ein Curriculum erfolgen soll. So bleibt die Übertragung auf andere Curricula eher gewahrt, was für die Leserin oder den Leser eine größere Attraktivität dar-stellt. Es werden didaktische Methoden für die Umsetzung im unterrichtlichen Kontext dargestellt. Zuletzt wird konstruktives Verhalten von Pflegepädagoginnen und -pädagogen sowie Praxisanleiterinnen und Praxisanleitern in Fehlersituationen mit Auszubildenden erläutert. Die Arbeit endet mit einem Resümee indem notwendiger Forschungsbedarf, Forderungen an Pflegemanagement und –pädagogik sowie Gesundheitspolitik gestellt werden.
Zur Literaturrecherche wurden die Bibliothek der Hochschule Esslingen, die Württemberg-ische Landesbibliothek Stuttgart, der Karlsruher Virtueller Katalog, das Online-Zeit-schriften-System Carelite® sowie die Deutsche Nationalbibliothek Leipzig genutzt. Als Schlagwörter wurden dabei die Termini »Fehler«, »Pflegefehler«, »Fehlerkultur«, »Lernen«, »Sicherheitskultur«, »Risikomanagement«, »Fehlervermeidung«, »Organisationsentwicklung«, »Simulation«, »Ausbildungsstation«, »Schulstation« und »Lernberatung« benutzt.
2 Definitionen und Abgrenzungen
Im folgenden Kapitel werden die beiden Begriffe »Fehler« und »Fehlerkultur« intensiv erörtert und erklärt, da sie für diese Arbeit besonders bedeutsam sind. Synonyme werden dabei abgegrenzt und von den Begriffen differenziert.
2.1 Fehler
Das Wort »Fehler« stammt aus dem Griechischem (hamartêma) und bezeichnet einen Sachverhalt, der nicht vorhersehbar ist (vgl. Weingardt 2004, S. 202). Im Alltag der Pflegepraxis werden Begriffe wie Irrtum, Defekt, Pflegemangel, Delikt, Unvollständigkeit und Verschulden als Synonyme zum Begriff »Fehler« verwendet.
»Falsch« ist nach Beck, Guldiman und Zutavern (1999) nur dann etwas, wenn Lernende etwas „(…) einfach nicht besser wissen oder tun (…)“ können (Beck, Guldiman, Zutavern 1999 in Oser, Spychiger 2005, S. 35). Einen »Fehler« hingegen begehen sie nur dann, wenn sie das Richtige bzw. die richtige Verhaltensweise kennen, aber aus verschiedenen Gründen nicht umsetzen (vgl. Beck, Guldiman, Zutavern 1999 in Oser, Spychiger 2005, S. 35). Ähnlich unterscheidet Weimer (1925) zwischen »Irrtum« und »Fehler«. Er beschreibt, dass diejenige, die irrt bzw. derjenige, der irrt, es gar nicht besser gewusst haben kann (Weimer 1925 in Spychiger 2008, S. 29). Bei einem »Fehler« hingegen verletzt die betreffende Person eine bereits bekannte Norm. Daher muss zuallererst eine Norm als Bezugsrahmen vorhanden sein (vgl. Popitz 1980, Gloy 1987 in Spychiger 2008, S. 29; Kobi 1994, Mehl 1933 in Oser, Spychiger 2005, S. 35). Weingardt (2004) schlussfolgert schließlich, dass Irrtümer als defizitäre Wissensstände, »Fehler« vielmehr als mangel-hafte Handlungsvorgänge zu bezeichnen sind, beide jedoch miteinander einhergehen und sich gegenseitig bedingen (vgl. Weingardt 2004, S. 209). Nachfolgend werden Synonyme wie fehlerhafte Handlung oder Verhaltensweise oder Fehlverhalten für den Begriff »Fehler« benutzt.
Grundsätzlich impliziert der Begriff »Fehler« etwas sehr Schwerwiegendes, das es zu vermeiden gilt, da Konsequenzen und Folgen zu befürchten sind. Vergleichbar dazu erscheint etwas Falsches hingegen nicht allzu drastisch und folgenschwer und wird von Spychiger (2008) daher als milder zu bewerten eingestuft, als ein »Fehler« (vgl. Spychiger 2008, S. 29). Die Beurteilung eines Fehlers ist von Erwartungen abhängig. Dies macht auch der engl. Begriff nonconformity also Nichtkonformität deutlich. Das Deutsche Institut für Normung (DIN) nimmt dies in ihrer Fehlerdefinition auf, in dem in der DIN EN ISO 9000:2000 ein »Fehler« als „Nichterfüllung einer Forderung“ bezeichnet wird (DIN 2001 in Glazinski, Wiedensohler 2004, S. 17). In die Berufspraxis von Pflegepädagogen über-tragen, hieße das, sobald ein bestimmtes praktisches Handeln von Auszubildenden vor-ausgesetzt und erwartet werden kann, dann von »Fehlern« gesprochen wird, wenn diese Erwartung in der jeweiligen Situation nicht erfüllt wird. Falsch ist demnach eine Handlung einer oder eines Lernenden, wenn von ihr oder ihm keinerlei Vorkenntnisse zu der spezi-fischen Situation vorausgesetzt werden. Lernenden, ob im primären, sekundären oder tertiären Bildungsbereich, steht eine gerechte und individuelle Weiterentwicklung zu. So urteilt auch Weimer (1925), wenn er beschreibt, dass der Vorgang des Lernens „(…) von Versuch und Irrtum (…)“ gekennzeichnet ist (Weimer 1925 in Spychiger 2008, S. 29). Das heißt, dass Lernende die Möglichkeiten erhalten müssen, Gelerntes auszuprobieren und umzusetzen, um Selbst- und Handlungssicherheit für ihre Verantwortungsbereiche zu entwickeln. So müssen Lernende in ihrem Lernprozess neues Wissen in unterschied-lichen Kontexten anwenden und misslungene Handlungen müssen dabei akzeptiert wer-den. Allerdings stellt sich die Frage wie oft eine Regel falsch angewendet werden darf, bis die misslungene Handlung zu einem »Fehler« wird. Spychiger und Oser (2005), die in „Lernen ist schmerzhaft“ eine Theorie zur Entstehung von Negativem Wissens bildeten, stellten sich eine ähnliche Frage. Sie stellten die Frage wie viel Schutzwissen, also Wissen aus negativen Erfahrungen (wie bspw. etwas nicht funktioniert), ein Mensch benö-tigt bis er in der jeweiligen Situation keinen »Fehler« mehr macht. Sie fanden jedoch keine Antwort darauf (vgl. Oser, Spychiger 2005, S. 45). Allerdings gaben sie Ideen dazu, dass der äußerst komplexe Prozess zur Bildung Negativen Wissens davon abhängig ist, dass jede Situation spezifisch ist und von sozialen Rollen und unterschiedlichen Normen beeinflusst wird (vgl. ebenda, S. 46).
Weingardt (2004) definiert einen »Fehler« folgendermaßen: „Als Fehler bezeichnet ein Subjekt angesichts einer Alternative jene Variante, die von ihm – bezogen auf einen damit korrelierenden Kontext und ein spezifisches Interesse – als so ungünstig beurteilt wird, dass sie unerwünscht erscheint“ (Weingardt 2004, S. 234). In dieser Erläuterung kommt ein neuer Aspekt zum Tragen - die Beurteilung. Es wird deutlich, dass ein Subjekt durch kognitive Leistung eine fehlerhafte Handlung wahrnimmt und beurteilt. Dabei wird jedoch noch nicht deutlich wer diese Person ist, welche die Wahrnehmung und Interpretation vornimmt und über fehlerhaftes Verhalten entscheidet. Seine Definition ist insgesamt von drei Aspekten - Urteil, Alternative und Kontext – gekennzeichnet (vgl. Weingardt 2004, S. 233). Weingardt geht davon aus, dass der Beurteilungsprozess meist Außenstehenden und nicht an der Handlung beteiligten Personen obliegt. Er erläutert dies mit der Tatsache, dass eine Person, die sich eines Fehlers bewusst ist, diesen erst gar nicht begeht (vgl. ebenda, S. 230). Im Berufsalltag von professionell Pflegenden kann jedoch fehlerhaftes Verhalten auftreten, das dann zeitlich versetzt von ihnen selbst durch Folgen und Konsequenzen realisiert und bemerkt wird, so dass die beurteilende Person und die Person mit dem fehlerhaften Verhalten ein und dieselbe ist. Da die Beurteilung des »Fehlers« stets erst nach dessen Durchführung erfolgt, ergibt sich die Konsequenz der zeitlichen Verzögerung der Beurteilung (vgl. Schüttelkopf 2008, S. 168). Ebenfalls unter dem Begriff des Kontextes fasst Weingardt Perspektiven von unterschiedlichen Personen sowie ihren verschiedenen Umgebungsfaktoren zusammen. Verhaltensweisen, welche heute für zulässig oder empfehlenswert gelten, können zukünftig für suboptimal oder gar unerwünscht eingeschätzt werden (vgl. Schüttelkopf 2008, S. 170). Dies geschieht u. a. durch neues empirisch belegtes Wissen und neue abgesicherte Forschungserkenntnisse, aber auch durch Weiterentwicklung einer Berufsdisziplin und der gesamten Gesellschaft. Fehl-verhalten darf jedoch retrospektiv nicht als solches deklariert werden, nur weil nun neue Erkenntnisse, Methoden und Techniken zur Verfügung stehen. D. h. Fehlverhalten ist retrospektiv nur als solches unter Einbezug des zur Verfügung stehenden Wissens und der zur Verfügung stehenden Methoden und Möglichkeiten zu deklarieren. Als letzten Aspekt der Erkennung eines »Fehlers« nennt Weingardt die Handlungsalternative. Für eine Fehlerbezeichnung ist es demnach notwendig, mindestens eine Handlungsalternative zu begründen (vgl. Weingardt 2004, S. 237). Weingardt unterscheidet dabei grundsätzlich drei verschiedene Varianten an Handlungsalternativen. Dies sind erwünschte oder optimale Lösungsvarianten, suboptimale Lösungsvarianten und unerwünschte Fehler-varianten (vgl. Weingardt 2004, S. 237). Fehlerhaftes Verhalten resultiert jedoch nicht aus der Wahl der falschen oder ungünstigsten Alternative, sondern dann, wenn keine oder zu wenig Alternativen in Erwägung gezogen wurden (vgl. Schüttelkopf 2008, S. 168).
In der Pflegepraxis wurden eigene Definitionen entwickelt. Bedeutend und häufig Anwendung findet die vom Aktionsbündnis Patientensicherheit e. V. (APS). Ein »Fehler« ist eine „(…) Handlung oder ein Unterlassen, bei dem eine Abweichung vom Plan, ein falscher Plan oder kein Plan vorliegt. Ob daraus ein Schaden entsteht, ist für die Definition des Fehlers irrelevant (…)“ (Borgwart 2010, S. 4). Dennoch kann fehlerhaftes Verhalten Folgen haben. Nach Borgwart (2010) haben medizinische Fehler eher akuten Folgen und pflegerische Fehler eher langfristige Folgen (vgl. Borgwart 2010, S. 5). Diese Hypothese ist jedoch vor dem Hintergrund von bspw. Medikamentenfehlern, die für Pflegebedürftige akut bedrohlich sein können, kritisch zu betrachten.
In der medizinischen Disziplin werden unter Fehlverhalten generell „Vorgehensweisen verstanden, die nicht korrekt durchgeführt werden oder die der gegebenen Situation nicht adäquat sind“ (Sachverständigengutachten 2003 in Kahla-Witsch, Platzer 2007, S. 46). Diese Begriffserklärung lässt jedoch Ursachen und Entstehungsweisen eines Fehlers un-berücksichtigt, kann jedoch als Erklärung eines Durchführungs- oder Pflegefehlers ge-nutzt werden. Kohn et al. (1999) führt eine ähnliche Definition auf und unterscheidet dabei etwas differenzierter zwischen Durchführungs- und Planungsfehlern (Kohn et al. 1999 in Kahla-Witzsch, Platzer 2007, S. 46). In der IOM-Studie (Institute of Medicine) werden ver-schiedene Fehlerdefinitionen aufgeführt, welche auch im deutschsprachigen Gebiet An-wendung finden. Eine der bedeutendsten ist die von Leape (2004). Leape (1994) definiert einen Fehler als „eine unbeabsichtigte Handlung, entweder aus Unterlassung oder Durchführung, die nicht zum gewünschten Ergebnis führt“ (Leape 1994 in Kahla-Witzsch, Platzer 2007, S. 46). Durch diese Definition werden auch Omissionen oder Versäumnisse zu Fehlverhaltensweisen gezählt. Grundsätzlich wird in der IOM-Studie zwischen Fehlern, unerwünschten Ereignissen und Beinahe-Schäden differenziert (vgl. Kahla-Witzsch, Platzer 2007, S. 46, 47). Ein Beinahe-Schaden entsteht durch ein „Ereignis, das sich zu einem unerwünschten Ereignis oder Schaden hätte entwickeln können und sich von solchen nur durch die ausbleibenden Folgen unterscheidet“ (Barach, Small 2000 in Kahla-Witzsch, Platzer 2007, S. 47). Ein unerwünschtes Ereignis (adverse event) ist laut IOM-Studie eine „infolge einer medizinischen Behandlung entstandene und nicht durch den Zustand des Patienten verursachte Verletzung“ (Kohn et al. 1999 in Kahla-Witzsch, Platzer 2007, S. 46). Dabei wird zwischen vermeidbaren unerwünschten Ereignissen (preventable adverse events) und Behandlungsfehlern (negligent adverse events) unterschieden (vgl. ebenda, S. 47).
Staender (2001) entwickelte vier Fehlervorstufen bzw. deren Ergebnisse, die eine erhöhte Patientengefährdung anzeigen, sich aber noch nicht negativ auf den Gesundheitszustand des/der Pflegebedürftigen auswirken. Dies sind latente Fehler, kritische Ereignisse, Beinahe-Komplikationen und Komplikationen (vgl. Staender 2001 in Glazinski, Wiedensohler 2004, S. 58). Der Unterschied zwischen »Fehlern« und Zwischenfällen bzw. Beinahe-Komplikationen liegt darin, dass es bei Zwischenfällen zu keiner größeren Beeinträchtigung oder Beschädigung kommt, bzw. Folgen und Konsequenzen verhindert und vermieden werden (vgl. St. Pierre, Hofinger, Buerschaper 2011, S. 42).
Ähnlich wie Leape verstehen Rall et al. unter einem »Fehler« vielmehr „ein nicht beabsichtigtes unerwünschtes Ergebnis einer bewusst oder unbewusst ausgeführten oder unterlassenen Maßnahme“ (Rall et al. 2001 in Glazinski, Wiedensohler 2004, S. 17). Dennoch zieht nicht jeder Fehler stets ein vom Ziel abweichendes Ergebnis nach sich. In Situationen, in denen der Fehler frühzeitig erkannt wird, kommt es „(…) lediglich zu einer kritischen Situation (…)“, die immer noch korrigiert werden kann (Zapf, Frese, Brodbeck 1999 in Seifried, Baumgartner 2009, S. 2). Durch die Definition von Rall et al. (2001) wird offensichtlich, dass ein Fehler die Folge einer Handlung ist und kein Ereignis, das unkon-trolliert von außen auf den Menschen trifft, wie z. B. eine Naturkatastrophe. Weiterhin wird der Aspekt beachtet, dass ein Fehler zwar einerseits unbewusst und aber auch bewusst geschehen kann, die Folgen und Konsequenzen jedoch unabsichtlich und ungewollt sind. Weingardt (2004) stellt die Unabsichtlichkeit eines Fehlers als grundsätzliches Merkmal in Frage, da sie empirisch nicht nachweisbar ist (vgl. Weingardt 2004, S. 204). Er sieht in der retrospektiven Aussage, dass der eigene Fehler bzw. seine Konsequenz unbeabsich-tigt war, vielmehr als „zwischenmenschliche Funktion“, welche die eigene Einsicht und Glaubwürdigkeit auszudrücken soll (Weingardt 2004, S. 203). Aus pflegepädagogischer Perspektive ist es von Bedeutung davon auszugehen, dass die Folgen und Konse-quenzen von Auszubildenden prinzipiell nicht intendiert sind. So wird eine wertschätzende Beziehung in Fehlersituationen aufrechterhalten. Denn einer grundsätzlich negativen Einstellung und der Unterstellung eines vorsätzlichen Vergehens von Auszubildenden folgt, dass fehlerhaftes Verhalten mit Sanktionen und Bestrafungen geahndet wird. Dies dient jedoch nicht einer lernförderlichen und pädagogisch-wertvollen Fehlerkultur.
Ursachen von Fehlverhalten
Fehlerhaftes Verhalten hat nach Borgwart zwei Ursachen. Einerseits kann durch Un-wissenheit eine „(…) den Patienten gefährdende Situation (…)“ unerkannt bleiben oder eine Betreuungshandlung durchgeführt werden, „(…) die nicht zum Nutzen des Patienten ist.“ (Borgwart 2010, S. 5) Andererseits kann auch eine für die Pflegebedürftigen notwen-dige Maßnahme unterlassen werden (vgl. Borgwart 2010, S. 5). Weitere Gründe, die auf der organisatorischen Ebene anzuordnen sind und pflegerisches Fehlverhalten auslösen, sind u. a. fehlende Pflegekonzepte und ausreichend Zeit für die pflegerische Maßnahme (vgl. ebenda, S. 12). So gaben fast dreiviertel aller Befragten Pflegenden (69,5%, n=1.100) in einer Untersuchung des Zentrums für Pflegeforschung und Beratung der Hochschule Bremen (ZePB) an, dass sie gerade ein hohes Arbeitsaufkommen und damit eine große Arbeitsbelastung als Hauptursache für Pflegefehler beurteilen (vgl. Cramer, Habermann 2010, S. 39). In einer Untersuchung in einem europäischen Klinikum wurden folgende Fehlerhandlungen im OP identifiziert: Fehler in der Kommunikation, mangelhafte Führungsstrukturen, interpersonelle Konflikte und fehlende Vorbereitung, Planung und Wachsamkeit (vgl. Helmreich 2000 in Glazinski, Wiedensohler 2004, S. 91). Die Ergebnisse zeigen, dass sich ein Großteil des Fehlverhaltens auf der Beziehungs- und Organisationsebene abspielt. Wehkamp (2010) sieht weitere Ursachen von Pflegefehlern in den Personen selbst, weil sie für den Beruf ungeeignet erscheinen (vgl. Wehkamp 2010, S. 95). Gemeint sind damit personenspezifische Dispositionen. Ebenso vermutet er Fehlerursachen in der Desensibilisierung von Pflegenden oder in Burnout-Folgen (vgl. ebenda, S. 95). Ob dies auch auf Auszubildende zutrifft, muss in einer gesonderten Untersuchung überprüft werden. St. Pierre, Hofinger und Buerschaper (2011) unterscheiden präziser zwischen fünf verschiedenen arbeitsbezogenen Einstellungen, welche die Patientensicherheit gefährden. Eine davon ist die Macho-Einstellung, in der die betreffende Person äußerst von sich überzeugt ist, keine Fehler zu begehen (vgl. St. Pierre, Hofinger, Buerschaper 2011, S. 72). Weitere Haltungen, welche die Patienten-sicherheit gefährden sind die anti-autoritäre Einstellung, durch die eine Person Vorschriften und Sicherheitsregeln stringent missachtet; Impulsivität, in der jemand vorschnell handelt ohne es gründlich zu durchdenken; Unverletzlichkeit, durch die eine Person besonders ausgeprägte Tendenzen zu riskantem Handeln zeigt und Resignation, durch die eine Person schnell aufgibt, kaum an eigene Fähigkeiten glaubt und stets auf Hilfe von außen wartet (vgl. St. Pierre, Hofinger, Buerschaper 2011, S. 73).
Besonders ausschlaggebend erscheinen auch die Bedingungen unter denen Pflegende und Auszubildende arbeiten, welche als fehlerbegünstigend zu beurteilen sind. So be-schreibt auch Leape (1994): „ The Problem is not bad People in health care – it is the good people are working in bad systems that need to be made safer.” (Leape 1994 in Glazinski, Wiedensohler 2004, S. 14) Nach Ollenschläger (2001) stimmen internationale Analysen darin überein, dass Fehlverhalten von medizinischem und pflegerischem Personal vor-rangig aus Organisationsmängeln resultiert (vgl. Ollenschläger 2001 in Weingardt 2004, S. 182). Reason (1997) unterscheidet grundsätzlich zwischen aktiven Fehlern und latenten Bedingungen (vgl. St. Pierre, Hofinger, Buerschaper 2011, S. 46). Aktive Fehlern passieren direkt an der Mensch-System-Schnittstelle und haben unmittelbare Folgen auf die Patientengesundheit (vgl. ebenda, S. 46). Latente Bedingungen hingegen sind patientenferne Entscheidungen, welche verschiedenen Ebenen (z. B. Verwaltung), Strukturen (z. B. bauliche Voraussetzungen), Prozesse (z.B. Dienstplanung) oder zur Verfügung stehende Ressourcen (z. B. Arbeitsmitten) betreffen (vgl. ebenda, S. 46). St. Pierre, Hofinger und Buerschaper führen akustische Alarme, die den Strukturen zuzuordnen sind sowie Zeitdruck und „(…) häufige Unterbrechungen von Routinetätigkeiten (…)“ auf, die Stress auslösen und damit Fehler verursachen können (St. Pierre, Hofinger, Buerschaper 2011, S. 137). Ebenso wirkt sich bspw. starker Schlafmangel auf die Zunahme von Handlungsfehlern aus (vgl. Henderson 2001 in Weingardt 2004, S. 182). Übermüdung wird durch hohe Wochenarbeitszeiten sog. »Schaukeldienste« und Überstunden begünstigt, die gerade in Pflegeberufen üblich sind. In der Studie „Pflege-Thermometer“ wurden über 10.600 Pflegende in deutschen Krankenhäusern zu ihren beruflichen Belastungen und Einschätzungen zur Patienten-sicherheit befragt. 40% der befragten Pflegenden gaben an, 46 bis 70 Überstunden in den letzten sechs Monaten gemacht zu haben (vgl. dip 2010, S. 7), wobei 56,8% aufführten, diese Überstunden nicht ausgleichen zu können (vgl. ebenda, S. 55). Pflegende, welche in diesem Umfang Überstunden leisten und keine Möglichkeit haben diese wieder abzubauen, gelten als hochbelastet. In der Studie waren dies 21,5% (vgl. ebenda, S. 60). Tendenziell waren dazu die subjektiven Einschätzungen zur Patienten-sicherheit in dieser Untergruppe negativer, so dass die Hälfte aller hochbelasteten Pflegekräfte die Patientensicherheit als bedroht einstuften (vgl. dip 2010, S. 64). Dies lässt vermuten, dass hochbelastete Pflegende ihr Fehlverhalten wahrnehmen und reflektieren. Im Ausbildungsreport wurde deutlich das über 25% aller befragten Auszubildenden in der Gesundheits- und Krankenpflege, Altenpflege und Gesundheits- und Kinderkrankenpflege regelmäßig Überstunden leisten müssen (n > 4.000) (vgl. ver.di 2011, S. 30). Fast jeder fünfte Auszubildende in der Gesundheits- und Krankenpflege gibt an, regelmäßig Überstunden ableisten zu müssen, wovon 9,7% der Auszubildenden regelmäßig 6-20 Überstunden pro Woche leisten (vgl. ver.di 2011, S. 30, 31). Dies lässt nicht nur Qualitätsmängel und -defizite in der praktischen Ausbildung vermuten, sondern führt zu einer enormen Belastung der Schülerinnen und Schüler, die sich u. a. in fehlerhaften Pflegehandlungen ausdrücken dürfte.
Eine weitere Möglichkeit zur Eingruppierung von Fehlerursachen bieten die SHELL-Kategorien, die sich in Software, Hardware, Environment und Lifeware-Lifeware untergliedern (siehe Tab. 1). Der Begriff Software steht dabei für Organisationsprozesse, Hardware für Arbeitsmaterialien, Environment für den Arbeitsplatz und Lifeware-Lifeware für den Menschen selbst, der sein Menschsein Fehler begeht (vgl. Aktionsbündnis Patientensicherheit e. V. 2008, S. 28). Wie sich die Lichtverhältnisse auf Fehlverhalten auswirken, hat Aiken (2002) festgestellt. So kommt sie zu dem Ergebnis, dass die Gefahr von Medikationsfehlern bei Pflegekräften im Winter deutlich höher ist, als im Herbst (vgl. Aiken 2002 in Weiss, Zieres 2008, S. 42).
Tabelle 1: SHELL-Kategorien
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
(vgl. Aktionsbündnis Patientensicherheit e. V. 2008, S. 28)
Fehlerarten und -kategorien
Eine normbezogene Fehlerkategorisierung erfolgt in der DIN 55350 (vgl. Glazinski, Wiedensohler 2004, S. 125). Danach wird fehlerhaftes Verhalten in kritische Fehler (critical nonconformity), Haupt- und Nebenfehler (major und minor nonconformity) kate-gorisiert (vgl. Glazinski, Wiedensohler 2004, S. 126). Sie unterscheiden sich dahingehend, dass kritische Fehler für Pflegebedürftige schwerwiegende Auswirkungen haben (vgl. Leonhard, Naumann 2002 in Glazinski, Wiedensohler 2004, S. 127). Hauptfehler sind zwar nicht kritisch bzw. gefährlich für Pflegebedürftige, führen jedoch mit großer Wahrscheinlichkeit zum Ausfall oder zur Unbrauchbarkeit eines Gegenstandes (vgl. Leonhard, Naumann 2002 in Glazinski, Wiedensohler 2004, S. 127). Dies sind bspw. fehler-haftaufgezogene Infusionen. Nebenfehler sind zwar nicht für Pflegebedürftige gefährlich, jedoch stören sie den Organisationsablauf (vgl. Leonhard, Naumann 2001 in Glazinski, Wiedensohler 2004, S. 127).
Werden fehlerhafte Handlungen in Kategorien eingeteilt, gibt es grundsätzlich zwei verschiedene Herangehensweisen: die personenbezogene und die systemische (vgl. St. Pierre, Hofinger, Buerschaper 2011, S. 41). Bei der personenbezogenen Herangehens-weise wird nach der letzten Person gesucht, deren Handeln fehlerhaft war, um diese dis-ziplinarisch zur Verantwortung zu ziehen (vgl. ebenda, S. 41). Sanktionen und Bestra-fungen gründen auf der Auffassung, dass geringe Kenntnis, Motivation, Unachtsamkeit oder Befähigung für den Beruf zu Fehlern führen und dies daher bestraft werden müsse (vgl. ebenda, S. 41). Hingegen wird bei der systemischen Perspektive vielmehr der Blick auf das komplexe Gebilde von Rahmenbedingungen, Personen, Einflussfaktoren und organisatorischen Veränderungen gerichtet (vgl. ebenda, S. 41).
Kahla-Witzsch und Platzer (2007) unterscheiden zwischen vier verschiedenen Fehlerarten. Dies sind diagnostische Fehler, Behandlungsfehler, Fehler bei der Prävention und sonstige Fehler (vgl. Kahla-Witzsch, Platzer 2007, S. 48). Diese Unterteilung richtet sich nach der Handlung bzw. Intention und ist auf Auszubildende folgendermaßen über-tragbar: Dokumentationsfehler, Einschätzungsfehler, Durchführungsfehler, Hygienefehler, Medikationsfehler, Kommunikationsfehler, etc.. Wie auch beim Fehlerbegriff, gibt es auch in der Fehlertaxonomie bisher noch keine Einigung zwischen den verschiedenen wissenschaftlichen Disziplinen, was nicht zuletzt an den unterschiedlichen Kontexten liegt, in denen das Phänomen Fehler auftritt. Daher wird nun die disziplinübergreifende Fehler-klassifikation von Reason (1990) vorgestellt (siehe Abb. 1). Mit dieser Fehlerklassifikation werden verschiedene Ansätze subsumiert, so dass sich ein differenziertes Bild ergibt.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 1: Fehlerklassifikation
(vgl. Reason 1990 in Badke-Schaub, Hofinger, Lauche 2012, S. 53)
Reason unterteilt unsichere Handlungen, die später zu Fehlern führen, in unbeabsichtigt und beabsichtigt. Womit allerdings die Absicht zum Handeln gemeint ist, also dass ein Ziel verfolgt wurde und dieses aus verschiedenen Gründen nicht erreicht wurde (vgl. St. Pierre, Hofinger, Buerschaper 2011, S. 43). In der Auseinandersetzung mit Weingardt wurde der Aspekt der Absichtlichkeit in Bezug auf die Folgen und Konsequenzen der fehlerhaften Handlung diskutiert. Hier steht die Absichtlichkeit jedoch unter dem Fokus einer geplanten Handlung. Beabsichtigte Handlungen sind demnach zu unterscheiden in Verstöße und regelbasierte Fehler. Diese divergieren wiederum darin, ob die jeweilige Person ihr fehlerhaftes Verhalten anerkennt und einsieht oder nicht. Regelverstöße werden bspw. dann begangen, wenn andere Intentionen (z. B. Zeitersparnis), als die mit der Regel beabsichtigten (z. B. Keimreduzierung durch Händedesinfektion) im Vorder-grund stehen (vgl. Badke-Schaub, Hofinger, Lauche 2012, S. 54). Paula (2007) urteilt allerdings drastischer und bezeichnet Verstöße als „(…) bewusste Verletzungen von Sicherheitsregeln“ (Paula 2007, S. 45). Beispiele für Verstöße sind nachlässige und nicht gewissenhafte Verfallsdatenkontrollen, Geräteüberprüfungen oder Hygienemaßnahmen (vgl. ebenda, S. 46). Verstöße können ihre Ursachen in personenbezogenen Eigen-schaften wie: „(…) allgemeine Sorglosigkeit, blindes Vertrauen in die Systemsicherheit – aber auch Frustrationen am Arbeitsplatz (…)“ haben und sich in negativen Gruppen-dynamiken über den sog. »Domino-Effekt« auf eine gesamte Abteilung ausbreiten (Paula 2007, S. 47). Auch hier fehlt eine aussagekräftige Datenlage, ob und in welchem Ausmaß Auszubildende Sicherheitsregeln missachten. Zuletzt wird darauf verwiesen, dass zwar Fehler als Verstöße von Sicherheitsregeln gelten können, nicht aber jeder Verstoß ein Fehler ist. Dies gilt besonders für Notfallsituationen: eine nicht durchgeführte Hände-desinfektion vor Beginn der kardiopulmonalen Reanimation kann nicht als Fehlverhalten gelten. Das heisst, es sind die verschiedenen Ziele der beabsichtigten Handlungen zu priorisieren.
Wissensbasierte Fehler werden von Paula (2007) als „echte“ Fehler, die aus irrtümlichen Denkprozessen resultieren und für die betreffende Person schwer zu erkennen sind, bezeichnet (Paula 2007, S. 45). Regel- oder Wissensbasierte Fehler treten in Pflege-situationen auf, in denen eine Regel zwar korrekt angewendet wird, jedoch für die spezifische Situation inadäquat ist. Paula sieht die Ursache in einer misslungenen „(…) Wahrnehmung, Speicherung, Entwicklung, Interpretation oder (…) Schwerpunktsetzung (…)“ (Paula 2007, S. 45). Wissensbasierte Fehler sind jedoch nicht zu verwechseln mit Irrtümern, bei denen die jeweilige Regel noch nicht bekannt ist. Sie resultieren vielmehr aus dem Prozess des Vergessens (vgl. Paula 2007, S. 45). Unbeabsichtigte Fehlerhand-lungen gründen auf der Tatsache, dass Handlungen ungeplant durchgeführt werden. Sie sind zu unterscheiden in Aufmerksamkeits- und Gedächtnisfehler, welche Paula als Schnitzer oder Patzer bezeichnet, da sie in Situationen ausgelöst werden, in denen eine Person unaufmerksam ist und in Routinetätigkeiten abgelenkt oder unterbrochen wird (vgl. ebenda, S. 44).
In der recherchierten Literatur fanden sich keine Angaben darüber welche fehlerhaften Handlungen Auszubildende genau machen. Allerdings lassen sich die verschiedenen Fehlertypen dem jeweiligen Erfahrungsgrad einer Person zu ordnen (siehe Abb. 2). Berufsanfängerinnen und -anfänger, aber vor allem Auszubildende machen daher vorwiegend wissensbasierte Fehler, da sie bei der Anwendung der erlernten Regeln und Kenntnisse nicht die jeweiligen spezifischen Situationen und Faktoren beachten (vgl. St. Pierre, Hofinger, Buerschaper 2011, S. 47). Erst mit der Zeit sammeln sie Erfahrungen in den verschiedenen Situationskontexten und lernen verschiedenen Regeln in unterschied-lichem Umfang anzuwenden. Mit der Sammlung an Erfahrungen werden immer mehr Situationselemente identifiziert und aus dem Handlungsrepertoire adäquate Prinzipien angewendet, so dass nun die Anzahl von regelbasierten Fehlern steigt (vgl. ebenda, S. 47, 48). Nimmt der Erfahrungsgrad noch weiter zu, gilt die betreffende Person als Expertin oder Experte, denen fast ausschließlich fertigkeitsbasierte Fehlhandlungen unterlaufen (vgl. ebenda, S. 48). Da deren Handeln durch Gewissheit, Intuition und umfassende Situationseinschätzungen geprägt ist, erhöht sich durch Unachtsamkeit und Ungenauigkeit die Wahrscheinlichkeit für Gedächtnis- und Aufmerksamkeitsfehler (vgl. ebenda, S. 48). Allerdings unterlaufen Experten und Expertinnen nicht weniger Fehler als Anfängern und Anfängerinnen, sondern nur andere (vgl. ebenda 2011, S. 48).
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 2 Verhältnis von Fehlerwahrscheinlichkeit und Erfahrung
(vgl. Reason 1990 in St. Pierre, Hofinger, Buerschaper 2011, S. 47).
Spychiger (2008) unterscheidet ebenfalls vier verschiedene Fehlerarten je nach Intensität und Reichweite. Dazu stellt sie zwei aussagekräftige Bestimmungspunkte – Konsequen-zen und Reversibilität – in einer Matrix gegenüber, so dass ein Kreuz mit vier verschie-denen Feldern entsteht (siehe Tab. 2). Im Feld eins sind gravierende und verhängnisvolle Fehler, da sie von einer niedrigen Reversibilität gekennzeichnet sind und hohe Konse-quenzen haben (Spychiger 2008, S. 27). Demgegenüber steht Feld drei mit eher bedeu-tungslosen Fehlern, die sog. Bagatelle, die umkehrbar ist und geringe Konsequenzen nach sich zieht. Diese Fehlerart hat eine besondere Bedeutung für Lernprozesse (vgl. ebenda, S. 28), da sie durch ihre hohe Reversibilität und geringen Folgen leicht zu verarbeiten ist und daher eher wenig negative Gefühle beim Lernenden auslösen. Im Feld zwei befinden sich Fehler mit geringen Konsequenzen und zugleich geringer Reversibilität (vgl. Spychiger 2008, S. 27). Dies sind eher alltägliche Fehler, die jedoch auf Grund ihrer niedrigen Umkehrbarkeit deutlich wahrnehmbar sind (vgl. ebenda, S. 27). Ein Beispiel dafür ist: eine Patientin erhält trotz Nahrungskarenz ihr Frühstück und die geplante Untersuchung muss abgesagt werden. Im Feld vier sind Fehler aufzufinden, die beachtliche Konsequenzen aufweisen, aber auch von einer hohen Reversibilität gekennzeichnet sind. Spychiger (2008) führt hier das Beispiel der „fehlerhaft geschliffenen Linse im Hubble-Teleskop“ auf (Spychiger 2008, S. 28).
Tabelle 2: Matrix Fehlerarten
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
(vgl. Spychiger 2008, S. 27)
Letztendlich wird ein Fehler für diese Arbeit folgendermaßen definiert: Ein Fehler ist ein unerwünschtes Verhalten, welches Folgen in unterschiedlichem Ausmaß nach sich zieht und als unbewusstes oder bewusstes Verhalten von Auszubildenden gilt. Die Konsequen-zen und Folgen gelten jedoch als nichtintendiert. Fehler treten in Situationen auf, in denen Auszubildende keine Handlungsalternative erkennen, jedoch mindestens eine Handlungs-alternative vorliegt. Pflegehandlungen, in denen ein bestimmtes Ziel verfolgt, aber nicht erreicht wird oder Pflegehandlungen, die unterlassen werden, da der Pflegebedarf nicht erkannt wurde, gelten gleichermaßen als fehlerhafte Handlungen. Sie sind stets an Normen und Regeln gebunden und können daher nur für den Kontext, in dem die Norm gilt, als solche deklariert werden. Die Interpretation und Beurteilung eines Fehlers ist stets von der Person, die ihn als solches erkennt und damit von deren Kenntnisstand abhängig. Die Beurteilung hat damit subjektiven Charakter und kann retrospektiv nur unter Einbezug der verfügbaren wissenschaftlichen Erkenntnisse erfolgen.
2.2 Fehlerkultur
Da es Ziel dieser Arbeit ist, Strategien zur Entwicklung einer Fehlerkultur an Gesundheits- und Krankenpflegeschulen herauszuarbeiten, wird zunächst der Begriff »Fehlerkultur« mit seinen Merkmalen und Dimensionen aus der pädagogischen Perspektive geklärt. Da jedoch Fehlverhalten von Auszubildenden am Lernort Praxis im Zentrum der Frage dieser Arbeit steht, werden ebenso Erkenntnisse und Methoden aus der Pflegepraxis herangezogen. Zuletzt werden Prozesse zur Entwicklung einer Fehlerkultur beschrieben.
Der Begriff »Fehlerkultur« setzt sich aus den Wörtern Fehler und Kultur zusammen. Der Begriff »Kultur« leitet sich vom Wort cultura (lat.) ab, welches so viel wie Pflege des Ackerlandes, Körpers oder auch Geistes bedeutete (vgl. Duden 2012). Heute kann unter dem Wort »Kultur« vielmehr die „Gesamtheit der geistigen, künstlerischen, gestalteten Leistungen einer Gemeinschaft“ verstanden werden und gilt dabei als „Ausdruck menschlicher Höherentwicklung“ (Duden 2012). In der anthropologischen und soziolo-gischen Wissenschaft wird zwischen zwei unterschiedlichen Kulturmodellen, den verhal-tensorientierten und den kognitions- bzw. bedeutungsorientierten Kulturmodellen unter-schieden (vgl. Löber 2012, S. 182). In verhaltensorientierten Kulturmodellen wird unter »Kultur« ein reguläres, in organisierten Modi auftretendes Verhalten verstanden, welches in technologischen, ökonomischen, religiösen, politischen oder familiären Kontexten autritt (vgl. Rohner 1984 in Löber 2012, S. 182). In kognitionsorientierten Modellen wird »Kultur« als ein Regel- oder Symbolsystem verstanden, welches von einer gesamten Gemein-schaft akzeptiert wird und damit deren Verhalten maßgeblich prägt (vgl. Rohner 1984 in Löber 2012, S. 182). Beide Ansätze gleichen sich darin, dass »Kultur« erlernt wird, auf einer fundamentalen Regelung menschlichen Lebens basiert, Informationen über grundlegendste Rollenverständnisse und Lebenskonzepte gibt und von vielen Menschen geteilt wird (vgl. Rohner 1984 in Löber 2012, S. 182, 183).
Engelmann beschreibt den Begriff »Fehlerkultur« als „(…) Verhalten im Umgang mit Fehlern“ (Engelmann 1998 in Löber 2012, S. 190), lässt jedoch eine Zielorientierung des jeweiligen Verhaltens oder dessen Verhaltensmerkmale außer Acht. Oser und Spychiger (2005) gehen auf diesen Aspekt näher ein und beschreiben in ihrem Werk „Lernen ist schmerzhaft“ den Begriff »Fehlerkultur« als einen subtilen Umgang mit Fehlern, der dazu führt, dass die betreffende Person das Fehlverhalten nicht wiederholt und ein „inneres Warnsystem“ aufbaut (Oser, Spychiger 2005, S. 27). Sie führen genauer aus, dass sie „(…) kontrastierend mit dem Richtigen konfrontiert (…)“ wird, dass sie ein Bewusstsein für die Fehlersituation entwickelt, dass sie von anderen nicht beschämt wird, „(…) sondern einen inneren Anspruch (…)“ entwickelt, das Richtige zu tun und zuletzt die Möglichkeit erhält, in der gleichen Situation zu agieren, um so Sicherheit im Umgang mit Fehlern zu entwickeln (Oser, Spychiger 2005, S. 27). Mit dieser Definition werden sowohl Ziele, als auch die Ideologie von Personen, die den Umgang mit Fehlverhalten pflegen, ange-sprochen. Der Begriff »Fehlerkultur« impliziert zwar keinerlei anzuwendende Methoden oder Erwartungen, jedoch deutet er auf eine Höherentwicklung einer gesellschaftlichen Gruppe hin. Holzer (2005) deutet dies ähnlich in dem er »Fehlerkultur« als „(…) einen gewandelten Umgang mit Fehlern von einer oberflächlichen, reaktiven Kultur der Schuldzuweisungen (Culture of Blame) hin zu einer systemanalytischen, proaktiven Sicherheitskultur (Safety Culture) mit vorurteilsfreiem Umgang mit Fehlern (…)“ beschreibt (Holzer 2005 in Löber 2012, S. 190). Dies zeigt, dass allein die Benutzung des Wortes »Fehlerkultur« auf kulturelle Veränderungen hindeutet. Im Unterschied zur Definition von Oser und Spychiger (2005) wird der Umgang nicht als subtil beschrieben, sondern vielmehr als vorurteilsfrei. Der pädagogische Umgang mit dem Fehlverhalten wirkt dabei offener; die anzuwendende Methodik wird jedoch nicht aufgeführt.
Von der Definition Hochreithers (2005) lassen sich Merkmale von fehlerkulturgeprägtem Verhalten ableiten. Seine Definition lautet: „Fehlerkultur zeugt von der Kenntnis des Lernverhaltens des Menschen und davon, unter welchen Umständen den Menschen Fehler unterlaufen und wie diese Fehler für den zukünftigen Erfolg genutzt werden können. Das menschliche Lernverhalten mittels begangener Fehler wird bei einer erfolgreichen Fehlerkultur im Unternehmen anerkannt und genutzt. Es entsteht Offenheit, Vertrauen und Begeisterung – auch für entstandene Fehler und letztendlich auch für das in Fehlern liegende Potential.“ (Hochreither 2005, S. 27) Das Verhaltensmerkmal Begeisterung wirkt jedoch inadäquat, da das vorrangige Ziel in der Fehlervermeidung und –prävention liegt. Jedoch ist auch diese Definition von einem hohen Anspruch, sogar von Vision gekennzeichnet. Es lässt sich vermuten, dass nicht jeder Personenkreis solch einen Anspruch in sich trägt und diesem gerecht werden kann. Auf die Tatsache, dass persönliche Einstellungen das eigene Verhalten beeinflussen geht Wiederschwinger (2004) ein. Nach ihm beschreibt Fehlerkultur „die Leitvorstellungen und Werte, die die Art bestimmen, wie in einem Unternehmen mit Fehlern umgegangen wird“ (Wiederschwinger 2004 in Löber 2012, S. 190).
Karutz (2005) versteht unter Fehlerkultur „(…) die systematische Auseinandersetzung mit der Entstehung und den Ursachen von Fehlern, der konstruktive Umgang mit Fehlern sowie die intensive Bemühung, zukünftige Fehler soweit wie möglich zu vermeiden (…)“ (Karutz 2005 in Löber 2012, S. 190). Dies legt nahe, dass Führungspersonen, Lehrer und Lehrerinnen, Praxisanleiterinnen und Praxisanleiter und Pflegende, Fehlerkulturen pflegen und maßgeblich mitbeeinflussen. Sie müssen sich dazu intensiv mit Auslösern und Ursachen von Fehlverhalten beschäftigen, um zukünftige Fehler zu vermeiden.
Löber kommt zu folgender begrifflicher Klärung: „Fehlerkultur als Teilkonstrukt der Unternehmenskultur ist das Produkt individueller und kollektiver Werte, Einstellungen, Empfindungen, Kompetenzen und Verhaltensmuster, die das Ausmaß, die Art und die Tiefe der organisationalen Auseinandersetzung mit innerbetrieblichen Fehlern bestimmen.“ (Löber 2012, S. 193) Hier werden die Wechselwirkungen zwischen Individu-um und Kollektiv zur Umsetzung einer durchgängigen und konsistenten Fehlerkultur deutlich. Heimerl beschreibt in seiner Fehlerkulturdefinition den Zusammenhang zum Qualitätsmanagement. „Die Fehlerkultur bezeichnet die Art und Weise, wie eine Organisation mit Fehlern, Fehlerrisiken und –folgen umgeht. Der souveräne Umgang mit Fehlern, repräsentiert sich im Wollen und Können der Organisationsmitglieder, aber auch den Instrumenten und Techniken, die die Organisation ihren Mitgliedern für den Umgang mit Fehlern zur Verfügung stellt. Eine produktive Fehlerkultur ermöglicht den gemeinsamen Austausch über Fehler und suboptimale Abläufe, das Lernen aus Fehlern und das Erarbeiten neuer und besserer Lösungen. Eine produktive Fehlerkultur ist darum die Grundlage für die Effizienz und Effektivität einer Organisation. Sie garantiert die erfolgreiche Umsetzung von Qualitätsmanagement und Innovationsmanagement ebenso wie die Etablierung einer Lernenden Organisation.“ (Heimerl 2008, S. 15). Diese Definition ist für diese Arbeit nutzbar. Jedoch ist im Kontext von Gesundheitsversorgung und Bildung anstatt von produktiver eher von konstruktiver Fehlerkultur zu sprechen.
Als Synonyme zum Begriff »Fehlerkultur« werden im Krankenhausmanagement Bezeichnungen wie Sicherheits- oder auch Risikokultur verwendet, die auf den Aspekt des Qualitätsmanagements hinweisen. Es werden dabei zwar ähnliche Ziele verfolgt, der Fokus ist jedoch ein anderer. Kahla-Witzsch und Platzer (2007) erläutern den Begriff »Risikomanagementkultur« genauer und beschreiben, dass diese durch verschiedene Merkmale, wie Veränderungsbereitschaft, Transparenz, Mitarbeiter- und Patientenorientierung sowie durch eine konstruktive Fehler- bzw. Sicherheitskultur gekennzeichnet ist (vgl. Kahla-Witzsch, Platzer 2007, S. 55). Fehlerkultur ist demnach ein Baustein vom Risikomanagement. Unter Risikomanagement ist „(…) die Messung und Steuerung aller betriebswirtschaftlichen Risiken (…)“ zu verstehen (Wolke 2007, S. 2). Risiken werden gleichzeitig als potentielle Vermögensverluste bzw. Schäden, „(…) ohne Gegenüberstellung möglicher Gewinne/Erträge (…)“ bezeichnet (Wolke 2007, S. 3). Auch werden darunter Ereignisse und Handlungen subsummiert, welche ein Unternehmen daran hindern, seine Leitziele zu erreichen (vgl. Schröer 2007, S. 31, 32).
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- Quote paper
- Sindy Griechen (Author), 2012, Strategien zur Entwicklung einer Fehlerkultur an Gesundheits- und Krankenpflegeschulen, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/354889
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