Der vorliegende Text ist eine Interpretation der siebten Szene des ersten Aktes von „Maria Magdalena“. Es geht um die offizielle Verkündung zweier Gerichtsdiener im Hause Antons, dass Karl des Juwelendiebstahls schuldig sei und die darauf folgende Haussuchung, woraufhin Klara den Schwur gegenüber ihrem Vater leistet, keine weitere Schande über die Familie zu bringen.
Friedrich Hebbel, geboren 1813, veröffentlichte 1844 das bürgerliche Drama „Maria Magdalena“, in dem es um Klara, die Tochter des Tischlermeisters Anton, geht. Diese erwartet ein uneheliches Kind von ihrem zukünftigen Ehemann Leonhard, verheimlicht es jedoch ihren Eltern. Kassierer Leonhard hält nun bei Meister Anton um Klaras Hand an, doch muss erfahren, dass keine größere Mitgift zu erwarten ist und Klaras Bruder Karl des Juwelendiebstahls verdächtigt wird.
Friedrich Hebbel, geboren 1813, veröffentlichte 1844 das bürgerliche Drama „Maria Magdalena“, in dem es um die Tochter Klara des Tischlermeisters Anton geht. Diese erwartet ein uneheliches Kind von ihrem zukünftigen Ehemann Leonahrd, verheimlicht es jedoch ihren Eltern. Kassierer Leonahrd hält nun bei Meister Anton um Klaras Hand an, doch muss erfahren, dass keine größere Mitgift zu erwarten ist und Klaras Bruder Karl des Juwelendiebstahls verdächtigt wird.
In der vorliegenden siebten Szene des erstes Aktes geht es um die offizielle Verkündung zweier Gerichtsdiener im Hause Antons, dass Karl des Juwelendiebstahls schuldig sei und die darauf folgende Haussuchung, woraufhin Klara den Schwur gegenüber ihrem Vater leistet, keine weitere Schande über die Familie zu bringen.
Die Szene lässt sich inhaltlich sinnvoll in zwei Abschnitte gliedern. Im ersten Abschnitt (Z. 1 – 44) erklärt der Gerichtsdiener Adam Karl zu einem Dieb und hält dazu an, eine Haussuchung durchzuführen. Die Mutter stirbt augenblicklich und fällt zu Boden, als sie dies vernimmt. Im zweiten Abschnitt (Z. 45 – 73) erhält Klara durch die Magd einen Brief von Leonahrd, in dem dieser sich von ihr lossagt. Klara ringt um Fassung und muss bald darauf ihrem Vater den Schwur leisten, keine weitere Diffamierung der Familie zu vollbringen.
Der Auszug beginnt mit dem Eintreten des Gerichtsdiener Adams und einem weiteren in Meister Antons Haus, wo sich zuvor, wie oben erläutert, Leonhard und Klaras Vater unterhalten hatten. Nun beginnt das Gespräch sogleich mit dem Ausruf Adams an Meister Anton „Nun geh Er hin und bezahl Er Seine Wette! L e u t e i m r o t e n R o c k m i t b l a u e n A u f s c h l ä g e n - dies betont er stark – sollten Ihm nie ins Haus kommen? Hier sind wir unsrer zwei!“ (Z. 2 – 4). Dies deutet schon hier zu Anfang Adams hämische Freude darüber aus, dass der für so sittsam gehaltene Tischlermeister sich nun etwas hat zu Schulden kommen lassen hat, was gerade auch durch die rhetorische Frage, die er dennoch selbst beantwortet, verdeutlicht wird. Noch unterstrichen wird dies durch das stichelnde Fragen Adams „ Zum zweiten Gerichtsdiener: Warum behält Er seinen Hut nicht auf wie ich? Wer wird Umstände machen, wenn er bei seinesgleichen ist?“ (Z. 4 – 6). Adam glaubt also, dass Anton ihn für keinen tugendhaften Bürger hält, dafür allerdings sich selbst. Da Adam nun aber in Kenntnis darüber ist, dass die anscheinend weiße Weste Antons doch trügerische Flecken aufweist, fragt er den Gerichtsdiener, warum Anton höflichen Normen nachkommt, obwohl er doch selbst nicht besser als Adam selbst ist – der ja in den Augen des Tischlermeisters ein Schurke ist. Dass diese Worte an den zweiten Gerichtsdiener und nicht an Anton gerichtet sind, obwohl dies eindeutig an Belangen an jenen ist, zeigt zusätzlich Adams Verachtung gegenüber diesem äußerlich braven Mann. Adam reagiert eher aufgebracht mit der Gegenfrage „Bei deinesgleichen, Schuft?“ (Z. 7), die durch das Schimpfwort noch verstärkt wird. Adams schien diese Reaktion eventuell abgesehen zu haben, denn er pflichtet Anton bei: „Er hat recht, wir sind nicht bei unsresgleichen, Schelme und Diebe sind nicht unsresgleichen!“ (Z. 8 – 9). Hier wird Adams Schadenfreude nochmals sehr klar, denn er rechtfertigt sich und stellt klar, dass er nicht der Übeltäter ist, sondern vielmehr der, der einst so rein erschien – Anton selbst. Das metaphorische Bild des Wolfs im Schafspelz spiegelt Adams Sicht gut wider. Nun befiehlt er Adam noch, die Kommode aufzuschließen und davon wegzutreten, damit er auch keine Chance bekommt, etwas zu verstecken. Dass Anton sichtlich überrumpelt ist, erkennt man auch an der Wiederholung der Frage „Was? Was?“ (Z. 11). Nun tritt Klara mit Tischzeug herein (Z. 12) und beginnt eine Frage „Soll ich –“ (Z. 12), jedoch verstummt sie sofort, da der Besuch der Gerichtsdiener sie augenscheinlich überrascht. Hier sind bereits die archaisch wirkenden Rollenverhältnisse ersichtlich: die Frau verantwortlich für den Haushalt, der Mann übernimmt das Oberhaupt der Familie. Die Unterwürfigkeit stellt sich sogar in der noch nicht einmal vollendeten Frage Klaras dar, denn sie verdeutlicht, dass sie die anerzogene Rolle der Frau schon gut beherrscht: sie muss nicht aufgefordert werden, etwas zu tun, die fragt sogar von allein danach. Anders ausgedrückt kann man auch behaupten, dass sie ein wohl erzogenes Kind ist, und ihr Vater wahrscheinlich zufrieden mit ihr ist. Adam verfährt jedoch ohne Unterbrechung weiter und fragt, ob Anton lesen kann, was dieser verneint. Daraus kann man auch ziehen, dass Anton eher Talent im handwerklichen als im geistigen Bereich aufweist, was aber auch darauf zurückzuführen ist, dass die Fertigkeit zum Lesen und Schreiben damals durchaus nicht selbstverständlich ist. So lässt Adam also verlauten: „Sein Sohn hat Juwelen gestohlen. Den Dieb haben wir schon. Nun wollen wir Haussuchung halten!“ (Z. 15 – 16). Hier spricht er ganz klar die Verurteilung Karls aus, legt die Mutmaßung, dass es tatsächlich Karl war, hier sogar als Fakt dar. Dies zusammen mit der Tatsache, dass nun sogleich die Haussuchung folgt, scheinen bei der Mutter einen solchen Schock ausgelöst zu haben, dass sie nur noch ein „Jesus!“ (Z. 17) ausrufen kann, bis sie schließlich postwendend umfällt und stirbt. Klara ist sichtlich erschrocken, sodass sie wiederholt „Mutter! Mutter! Was sie für Augen macht!“ (Z. 18) ruft. Leonhard, der sich hier zum ersten Mal wieder zu Wort meldet, handelt natürlich gesellschaftlich korrekt und „will einen Arzt holen!“ (Z. 19), doch Meister Anton hat die Situation bereits nüchtern erkannt: „Nicht nötig! Das ist das letzte Gesicht. Sahs hundertmal. Gute Nacht, Therese! Du starbst, als dus hörtest! Das soll man dir aufs Grab setzen!“ (Z. 20 – 21). In seiner überwiegend sachlichen Reaktion gegenüber des Todes seiner Frau lässt sich ein Funken Schock in den kurzen Sätzen und dem Gutenachtwunsch erkennen, auf den ersten Blick aber wirkt er hier sehr kalt und sogar etwas distanziert – immerhin ist seine Frau und Mutter seiner Kinder gerade vor seinen Augen gestorben, und er eilt nicht einmal zu ihr hin. Nun kommt Leonhard ein zweites und letztes Mal zu Wort: „Es ist doch vielleicht - - Abgehend: Schrecklich! Aber gut für mich! Ab.“ (Z. 22). Hier zeigt sich, dass er durchaus geschockt über den überraschenden Tod Thereses ist, doch als er versucht, einen anderen Grund für das Umfallen der Frau zu finden, bricht er den Satz ab, was man gut an den Pausen erkennen kann. Er scheint sich besonnen zu haben, und die „Gunst der Stunde“ auszunutzen, denn darauf hin verschwindet er. Der Tod der Mutter mag zwar ungeheuerlich sein, doch nun eröffnet sich ihm dadurch auch die Möglichkeit, schnell zu verschwinden, ohne einem der Familienmitglieder noch Rechenschaft zu schulden – denn er hat vor, wie sich im weiteren Verlauf noch zeigen wird, sich von Klara zu trennen. Meister Anton wirkt erschöpft und geplagt von den schlechten Dingen, die seine Familie in so kurzer Zeit heimsucht, als er nun ein Schlüsselbund hervorzieht und es vor sich wirft. „Da! Schließt auf! Kasten nach Kasten! Ein Beil her! Der Schlüssel zum Koffer ist verloren! Hei, Schelmen und Diebe! Er kehrt sich die Taschen um. Hier find ich nichts!“ (Z. 23 – 25). Hier zeigt sich, dass er sich nun der Anschuldigen ergibt, er scheint sich seinem gesamten Schicksal zu ergeben. Schande wurde durch seinen eigenen Sohn über ihn und die ganze Familie gebracht, obwohl er sich doch immer darum bemühte, Ehrlichkeit und Ordnung hervorzubringen. Dass nun auch nun die Mutter an den Übeltaten ihres eigenen Sohnes zu Tode kam, scheint ihn, wie hier ersichtlich, doch sehr mitzunehmen. Hervorgehoben wird dies auch durch die kurzen, aufeinanderfolgenden Ausrufe. Die Regie anweisung mit Antons darauffolgenden Ausruf betont nochmals, dass er ehrlich ist – und damit die ganze Familie. In gewisser Weise macht er damit sogar den Gerichtsdienern Vorwürfe, denn sie verurteilten einen ehrlichen Jungen aus einer ehrlichen Familie – und verursachten somit den Tod der Mutter. Der zweite Gerichtsdiener scheint dies zu erkennen und beschwichtigt ihn mit der Aufforderung „Meister Anton, faß Er sich!“ (Z. 26), in der er Anton direkt anspricht, und der Besänftigung „Jeder weiß, daß Er der ehrlichste Mann in der Stadt ist.“ (Z. 26), womit er Anton entgegenkommt. Meister Anton erkennt dies sowohl als ledigliche Beschwichtigung: „So? So? Lacht. Ja, ich hab die Ehrlichkeit in der Familie allein verbraucht! Der arme Junge! Es blieb nichts für ihn übrig! Die da – er zeigt auf die Tote – war auch viel zu sittsam!“ (Z. 28 – 30). Hier greift er die übertriebene Abmilderung des zweiten Gerichtsdieners auf und schlussfolgert aus dessen Aussage eine unglaubwürdige Erklärung für die Verderbtheit seines Sohnes, um so aufzuzeigen, dass er nicht dumm ist und keine affektierten Zusprüche benötigt. Er führt den Schluss fort, in dem er seine Tochter direkt anspricht: „Wer weiß, ob die Tochter nicht – Plötzlich zu Klara: Was meinst du, mein unschuldiges Kind?“ (Z. 30 – 31). Dass Klara unangenehm überrascht ist, könnte man auch aus dem Einwortsatz „Vater!“ (Z. 32) erkennen, den sie ausruft. Der Vater wollte wahrscheinlich mutmaßen, ob man ja auch nicht weiß, ob seine Klara so ehrlich und sittsam ist wie ihre Eltern, wollte damit aber aufzeigen, dass sie, als Beispiel eines Spross' seiner Familie, eben das ist. Klara reagiert eventuell so, da sie schwanger ist, und dies weder Vater noch Mutter mitgeteilt hat – was zur Schande einer unehelichen Schwangerschaft natürlich nur noch beiträgt. Der zweite Gerichtsdiener befindet sich nun wieder in der vermittelnden Rolle indem er sich an seinen Kollegen wendet und fragt, ob dieser kein Mitleid fühlt. Adam antwortet mit eine Aneinanderreihung von rhetorischen Fragen: „Kein Mitleid? Wühl ich dem alten Kerl in den Taschen? Zwing ich ihn, die Strümpfe auszuziehen und die Stiefel umzukehren? Damit wollt ich anfangen, denn ich hasse ihn, wie ich nur hassen kann, seit er im Wirtshaus sein Glas – Er kennt die Geschichte, und Er müßte sich auch beleidigt fühlen, wenn Er Ehre im Leibe hätte.“ (Z. 34 – 37). Dies zeigt nochmals, dass er sich selbst als anständigen Bürger im Gegensatz zu Meister Anton sieht, und seine Gefühle, obwohl sein Hass hier deutlich sichtbar, sogar von ihm selbst ausgesprochen, mäßigt. Außerdem spielt er hier als Begründung auf eine frühere Begegnung mit Anton an, in der die beiden allen Anscheins nach aneinander gerieten, und er deshalb eher Zurückhaltung als Zurechtweisungen von jenem erwartet hätte. Im Folgenden wendet er sich an Klara, um zu erfahren, wo sich das Zimmer des Bruders befindet. Nachdem sie ihm sofort geantwortet hat, gehen beide Gerichtsdiener dorthin ab. Nun, da Vater und Tochter alleine sind, wendet sich Klara in größter Not nochmals an Anton: „Vater, er ist unschuldig! Er muß ja unschuldig sein! Er ist ja dein Sohn, er ist ja mein Bruder!“ (Z. 41 – 42). Durch die Epanalepse des Wortes unschuldig wird untermalt, dass sie nicht einmal begreifen könnte, selbst wenn sie wollte, dass ihr Bruder schuldig sein soll. Dies wird auch durch die verschiedenen Begründungen bestärkt, warum er nicht schuldig sein kann, ebenso wie die Wortwahl, dass er ja deshalb unschuldig sein müsse. Ihr Vater kommt dem nur wie folgt entgegen: „Unschuldig, und ein Muttermörder? Lacht.“ (Z. 43 – 44). Hier zeigt er seiner Tochter die Unmöglichkeit der Unschuld Karls auf, denn, selbst wenn er keine Juwelen gestohlen haben sollte, so ist doch die Mutter seinetwegen gestorben – schließlich entsteht der Verdacht der Schuld nicht ohne Grund. Die Regieanweisung lässt zudem hier ein bizarres Bild entstehen, denn, erwartet man eigentlich, dass Anton seinen Gefühlen – seien es Wut oder Trauer – freien Lauf lässt, so findet man hier statt der erwarteten Explosion eher eine Implosion vor. Allerdings lässt es sich damit begründen, dass die kürzlichen Ereignisse den bürgerlichen Mann so schockieren, und auch blamieren, dass er zu keiner großen äußerlichen Gefühlsregung mehr fähig ist – ähnlich einer Schockstarre – und somit lediglich die groteske Situation erkennt, und wie ein Irrer, der seinen unentrinnbaren Wahnsinn erkennt, darüber lachen kann: Er ist ein streng sittsamer Mensch, hat sich nie etwas zu Schulden kommen lassen und wollte diese Ehre der Ehrlichkeit und die Achtung der anderen auch auf die Familie übertragen. Klar ist, dass man viel Zeit dafür benötigt, es ist sozusagen sein Lebensinhalt: eine heile Familie gründen, eine gute Arbeit mit gutem Lohn ausführen, von anderen respektiert und geachtet zu werden, und eben solche Kinder aufzuziehen. Und nun wurde seine „Arbeit“ der vielen Jahre in wenigen Minuten zerstört: der Sohn ist wahrscheinlich ein Krimineller, seine Frau aufgrund des Schocks gestorben, seine Tochter von ihrem Liierten aufgrund der bescheidenen Verhältnisse und der kürzlichen Verdächtigungen der Familie verlassen.
Letzteres soll nun auch Klara bald erfahren, denn nun bringt eine Magd ein, die Klara einen Brief von Herrn Kassierer Leonhard überreicht. Ihr Vater will die Sache verkürzen, und verkündet seiner Tochter sogleich, was sie sowieso gleich erfahren wird: „Du brauchst ihn nicht zu lesen! Er sagt sich von dir los! Schlägt in die Hände. Bravo, Lump!“ (Z. 46 – 47). Besonders einschlägig sind hier die Regieanweisung und die Ironie im letzteren Ausruf, der an den abwesenden Leonhard gerichtet ist. Hier wird nochmals die missliche Lage der Familie klar, denn nun scheint das Unheil wirklich jeden aufzusuchen. Mit dem Schimpfwort gibt er hiermit auch eine Wertung gegenüber Leonhard ab, denn dieser scheint, obwohl um ihre Hand angehalten, Klara nicht wirklich zu lieben, da er sie so schnell hat fallen lassen. Leonhard kann also als ein eher profitgieriger und an den Gesellschaftsnormen orientierter Bürger gesehen werden. Nachdem Klara den Brief gelesen hat und darin tatsächlich die Botschaft fand, die ihr ihr Vater bereits voraussagte, scheint sie fassungslos: „Ja! Ja! O mein Gott!“ (Z. 48), was besonders durch die Anapher, die gleichzeitig ausgerufene Einwortsätze sind, und die Beschwörung Gottes deutlich wird. Ihr Vater rät ihr nur das, was ein guter Vater tun kann - sich von dem unehrlichen Jungen trennen, was in der klaren Aufforderung „Laß ihn!“ (Z. 49) zu sehen ist. Klara entgegnet in ihrer Aufgebrachtheit das, was das folgende Drama ins Rollen bringt: „Vater, Vater, ich kann nicht!“ (Z. 50). Hier scheint Anton das erste Mal stutzig zu werden, denn er fragt sofort nach „Kannst nicht? Kannst nicht? Was ist das? Bist du – “ (Z. 51), wird jedoch durch die zurückkehrenden Gerichtsdiener wieder zum Verstummen gezwungen. Man erkennt seinen Schock gut in der Wiederholung und den hintereinander folgenden Fragen, denn er hat schon eine Mutmaßung, warum Klara sich von Leonhard nicht trennen kann: wahrscheinlich denkt er, dass sie schwanger ist – und zwar unehelich. Dies würde für die Familie die vollendete Desavouierung bedeuten, denn dann hätte jedes Mitglied seiner Familie Schande über sie gebracht. Allerdings kommt Anton noch nicht dazu, Klara dazu zu befragen. Die Gerichtsdiener verlassenen nun auch das Haus des Tischlermeisters, doch Adam geht nicht, ohne dass er das letzte Wort gehabt hat: „ hämisch Suchet, so werdet ihr finden!“ (Z. 53). Mit diesem Sprichwort umschreibt er die passende Situation der Familie des Antons, außerdem wird hier nochmals Adams Schadenfreude gegenüber Anton deutlich. Zudem will er damit die Angst der Familie schüren, denn er kann durchaus auch so verstanden werden, dass die dort tatsächlich den gesuchten Edelstein gefunden werden. Allerdings wird ihm die Pointe von seinem zweiten Gerichtsdiener genommen, indem dieser ihn zurechtweist: „Was fällt Ihm ein? Trafs denn heute zu?“ (Z. 54). Adam ist erbost darüber, was in dem mit Schimpfworten versetzten Ausruf „Halt Ers Maul!“ (Z. 55) ersichtlich wird. Während die beiden Gerichtsdiener gehen, zeigen sich in Anton nun doch deutlich Gefühle: „Er ist unschuldig und du – du –“ (Z. 56). Hier verteidigt er nun doch schlagkräftig, zumindest in diesem Moment, die Ehre und Unschuld seiner Familie, die Pausen verdeutlichen zudem, dass er Adam verteufelt und ihm gerne das für ihn passende Schimpfwort entgegengebracht hätte, für jenen aber keines gefunden zu haben, das abscheulich genug ist. Nun wendet sich der Vater auch an seine Tochter, er faßt sie sogar bei der Hand, sehr sanft: „ Liebe Tochter, der Karl ist doch nur ein Stümper, er hat die Mutter umgebracht, was wills heißen? Der Vater blieb am Leben! Komm ihm zu Hülfe, du kannst nicht verlangen, daß er alles allein tun soll, gib du mir den Rest, der alte Stamm sieht noch so knorrig aus, nicht wahr, aber er wackelt schon, es wird dir nicht zu viel Mühe kosten, ihn zu fällen! Du brauchst nicht nach der Axt zu greifen, du hast ein hübsches Gesicht, ich hab dich noch nie gelobt, aber heute will ichs dir sagen, damit du Mut und vertrauen bekommst, Augen, Nase und Mund finden gewiß Beifall, werde – du verstehst mich wohl, oder sag mir, es kommt mir so vor, daß dus schon bist!“ (Z. 58 – 66). Anton zügelt seine Gefühle hier nochmals sehr, redet mit seiner Tochter hier in metaphorischer Weise wie ein Kind, ohne doch das Erhebliche auszusprechen – was hier das Stilmittel der Aposiopese bedeutend macht. Er beschreibt sich hier selbst als einen Baum, der kurz vor dem Zusammenbruch steht – die Gründe sind klar, da seine Familie nun von Schande und Missgunst ersucht wurde, womit sein Lebensziel und Lebensinhalt so gut wie dahin ist. Er erklärt ihr, dass es nicht viel braucht, bis er sich selbst das Leben nehmen würde – dass es ihr nicht schwer fallen würde; schließlich ist es für sie nicht schwer, schwanger zu werden. Sie braucht keinerlei Gerätschaften noch Handgreiflichkeiten anzuwenden, um ihren Vater zu töten, nein, diese Blamage und Verletzung seines moralischen Stolzes würde schon reichen, um ihn aus dem Reich der Lebenden zu zerren. Dass er schon fast wahnsinnig erscheint und verstört ist, er kennt man auch an den Parenthesen und den Ausrufen – besonders zum Ende hin. Klara belastet dies natürlich auch, denn sie ahnt, dass ihr Vater die Erkenntnis schon fast vollends erlangt hat, und fast darum bettelt zu erfahren, dass dem nicht so ist – dass Klara nicht schwanger ist. Durch ihre Zwicklage wird auch erklärt, warum sie fast wahnsinnig, mit aufgehobenen Armen zu Füßen der Toten stürzt, und wie kein Kind ruft: „Mutter! Mutter!“ (Z. 67 – 68). Besonders die Wiederholung des Ausrufs betont, wie sehr sie sich wahrscheinlich gerade nach eben jener sehnt, nach Unterstützung, nach mütterlicher Zuwendung und Zuspruch, den sie wohl nie mehr wird bekommen können. Ihr Vater stellt nun die finale Aufforderung, und er weiß, wenn er auch nur ein Zedern, ein Zurückhalten oder Überlegen Klaras wahrnimmt, hat sich seine Vermutung bestätigt – was dem Todesschuss gleichkommen würde: „Faß die Hand der Toten und schwöre mir, daß du bist, was du sein sollst!“ (Z. 69). Hier wird auch nochmals durch die Aposiopese untermalt, dass Anton noch nicht einmal wagt auszusprechen, was sich nun schon abzeichnet. Unausweichlich macht er die Aufforderung auch damit, dass er bei der toten Mutter schwören lässt.
Klara steht hier also im Zwiespalt: sie ist schwanger, aber sie ist auch ehrlich – und ihr Vater beschwört sie dazu, das Reine und Unschuldige der Familie zu retten. Sie kann also in gewisser Hinsicht gar nicht richtig antworten. Das Einzige, was sie tun kann, ist den Tod des Vaters hinauszuzögern, um mehr Zeit zu haben, eine andere Lösung zu finden. Und so schwört sie: „Ich – schwöre – dir – daß – ich – dir – nie – Schande – machen – will!“ (Z. 70).
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- Melissa Quantz (Autor:in), 2011, "Maria Magdalena" von Friedrich Hebbel. Eine Drameninterpretation, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/354294
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