Bei flüchtiger Kenntnis von William Goldings Roman „Der Herr der Flie gen“ und Jean-Jacques Rousseaus philosophischen Schriften kommt man leicht zu einem vergleichenden Urteil: Beide Autoren suchen das Gute im Menschen, beide kommen zu unterschiedlichen Ergebnissen.
Rousseau übt durch die Beschreibung des Menschen im Naturzu stand, angelehnt an Reiseberichte und Erlebniserzählungen aus seinerzeit fremden Welten, Kulturkritik. Er idealisiert das Leben jenseits der Zivilisation. Seine Botschaft scheint die Aufforderung zu sein, zu den Wurzeln zurückzukehren.
Golding, dessen Protagonisten scheinbar unschuldige Kinder sind, die sich zu Bestien entwickeln, zeichnet ein durch und durch negatives Menschenbild. So kann man schnell zu der Annahme kommen, dass Golding einen Gegenentwurf zur rousseauschen Beschreibung unternimmt. Ist für Rousseau die Zivilisation das Übel, so eskaliert bei Golding die Situation, je mehr die zivilisatorischen Überreste weichen. Bei genauerer Lektüre verschwimmt diese klare Trennung zwischen den Positionen jedoch. Schnell stößt man auf Rousseaus Analyse der Ungleichheit, die er für ein Produkt der Zivilisation hält, welche den Menschen entarten lässt. Deshalb hat der vergesellschaftete Mensch keine Möglichkeit zu seinen Ursprüngen zurückzukehren. Dies ist aber genau das, was die Jungen in Goldings Roman unfreiwillig versuchen. Dass sie scheitern, könnte also Ursachen haben, die in Rousseaus Diskurs integriert sind. In dieser Hausarbeit soll nun versucht werden, beide Wege zu verfolgen und zu einem Ergebnis zu kommen.
Dabei werde ich zunächst anhand von Rousse aus „Abhandlung über den Ursprung und die Grundlagen der Ungleichheit unter den Menschen“ dessen Position darlegen und diese mit Textstellen aus Goldings „The Lord of the Flies“ vergleichen, um Unterschiede und Gemeinsamkeiten herauszuarbeiten. Der zweite Teil beschäftigt sich mit der Vereinbarkeit der Positionen beider Autoren mit einem stärkeren Focus auf Goldings Roman. Alle Zitate sind folgenden Ausgaben entnommen:
Jean-Jacques Rousseau: Abhandlung über den Ursprung und die Grundlagen der Ungleichheit unter den Menschen. Reclam 1998.
William Golding: The Lord of the Flies. Educational Edition. faber and faber 1962.
Inhalt
1. Einleitung
2.Vergleich der Texte „Abhandlung über den Ursprung und die Grundlagen der Ungleichheit unter den Menschen“ und „The Lord of the Flies“.
2.1 Erster Teil: Gemeinsamkeiten und Unterschiede.
2.1.1 Die ersten Entwicklungsschritte des Menschen
2.1.2 Die zwei Arten der Ungleichheit
2.1.3 Das Menschenbild
2.1.4 Konkurrierendes Verhalten
2.1.5 Das Ende der Zivilisation: Despotismus
2.2 Zweiter Teil: Die Vereinbarkeit der Positionen von William Golding und Jean-Jacques Rousseau.
3. Stellungnahme
Bibliographischer Anhang
1. Einleitung
Bei flüchtiger Kenntnis von William Goldings Roman „Der Herr der Fliegen“ und Jean-Jacques Rousseaus philosophischen Schriften kommt man leicht zu einem vergleichenden Urteil: Beide Autoren suchen das Gute im Menschen, beide kommen zu unterschiedlichen Ergebnissen.
Rousseau übt durch die Beschreibung des Menschen im Naturzustand, angelehnt an Reiseberichte und Erlebniserzählungen aus seinerzeit fremden Welten, Kulturkritik. Er idealisiert das Leben jenseits der Zivilisation. Seine Botschaft scheint die Aufforderung zu sein, zu den Wurzeln zurückzukehren.
Golding, dessen Protagonisten scheinbar unschuldige Kinder sind, die sich zu Bestien entwickeln, zeichnet ein durch und durch negatives Menschenbild.
So kann man schnell zu der Annahme kommen, dass Golding einen Gegenentwurf zur rousseauschen Beschreibung unternimmt. Ist für Rousseau die Zivilisation das Übel, so eskaliert bei Golding die Situation, je mehr die zivilisatorischen Überreste weichen.
Bei genauerer Lektüre verschwimmt diese klare Trennung zwischen den Positionen jedoch. Schnell stößt man auf Rousseaus Analyse der Ungleichheit, die er für ein Produkt der Zivilisation hält, welche den Menschen entarten lässt. Deshalb hat der vergesellschaftete Mensch keine Möglichkeit zu seinen Ursprüngen zurückzukehren. Dies ist aber genau das, was die Jungen in Goldings Roman unfreiwillig versuchen. Dass sie scheitern, könnte also Ursachen haben, die in Rousseaus Diskurs integriert sind.
In dieser Hausarbeit soll nun versucht werden, beide Wege zu verfolgen und zu einem Ergebnis zu kommen.
Dabei werde ich zunächst anhand von Rousseaus „Abhandlung über den Ursprung und die Grundlagen der Ungleichheit unter den Menschen“ dessen Position darlegen und diese mit Textstellen aus Goldings „The Lord of the Flies“ vergleichen, um Unterschiede und Gemeinsamkeiten herauszuarbeiten. Der zweite Teil beschäftigt sich mit der Vereinbarkeit der Positionen beider Autoren mit einem stärkeren Focus auf Goldings Roman.
Alle Zitate sind folgenden Ausgaben entnommen:
Jean-Jacques Rousseau: Abhandlung über den Ursprung und die Grundlagen der Ungleichheit unter den Menschen. Reclam 1998.
William Golding: The Lord of the Flies. Educational Edition. faber and faber 1962.
2.Vergleich der Texte „Abhandlung über den Ursprung und die Grundlagen der Ungleichheit unter den Menschen“ und „The Lord of the Flies“
2.1 Erster Teil: Gemeinsamkeiten und Unterschiede
Der Vergleich beider Texte liegt schon deshalb nah, weil beide die Fiktion nutzen, um ihr Bild von der Natur des Menschen zu entwerfen: Rousseau, indem er hypothetische Überlegungen anstellt, Golding, indem er einen Roman verfasst. Im Folgenden sollen beide Entwürfe miteinander verglichen werden.
2.1.1 Die ersten Entwicklungsschritte des Menschen
Im ersten Teil der Abhandlung rekonstruiert Rousseau den Menschen im Naturzustand, indem er ihn um alle Fähigkeiten, die er durch Fortschritt erworben hat, reduziert.
Eine vergleichbare Entwicklung lässt sich in Goldings Roman nachvollziehen, denn umgekehrt proportional zu der Entfernung der Protagonisten von der Zivilisation wird ihr Verhalten animalischer. Dies stellt allerdings im Unterschied zu Rousseaus Ansicht eine stetige Verschlimmerung des Zustandes dar.
Besonders kommt die Verrohung in den Szenen zum Ausdruck, in welchen die Jagd geschildert wird. Die Beschreibung der Rückkehr von der ersten Jagd beinhaltet noch starke Züge der Sozialisation, die in der konditionierten Abneigung gegen das Töten von Lebewesen zum Ausdruck kommt. Dass die moralische Hemmschwelle, ein Produkt der Zivilisation, erst mühsam überschritten werden muss, wird an einer früheren Textpassage, die Jack bei seinem ersten Tötungsversuch beschreibt, noch deutlicher.
„There came a pause, a hiatus, the pig continued to scream and the creepers to jerk, and the blade continued to flash at the end of the bony arm. The pause was only long enough for them to understand what enormity the downward stroke would be. […] They knew very well why he hadn’t: because of the enormity of the knife descending and cutting into living flesh; because of the unbearable blood.” (S. 40)
Zwei mögliche Interpretationen werfen nun die Frage nach der Vereinbarkeit der Positionen Goldings und Rousseaus auf. Geht man davon aus, dass die Zivilisation es dem Menschen ermöglicht, sich Nahrung zu verschaffen, ohne selber töten zu müssen, so stellt die Abscheu davor lediglich die Entfernung des Menschen von seiner Natur dar. Die Abweichung in Goldings Entwurf liegt aber nicht im Übertreten der moralischen Hemmschwelle, sondern in der dabei empfundenen triebhaften Lust, dem Rausch des Tötens, der durch den Wegfall der Zivilisation zum Ausbruch kommt. Dies wird schon in einer früheren Passage deutlich, indem der Akt des Tötens mit den Worten „taken away it’s [the pig’s] life like a long satisfying drink“ beschrieben wird, die Faszination also in der Machtausübung liegt, über Leben und Tod entscheiden zu können.
In Rousseaus Beschreibung des menschlichen Urtyps ist der Körper das einzige Werkzeug und in seiner Beschaffenheit ist der Wilde dem Zivilisierten weit überlegen. Dennoch ist er schreckhaft und vorsichtig. Er misst sich mit den Tieren, ist ihnen im Geschick über-, in der Stärke aber unterlegen, so dass beide eine Gefahr füreinander darstellen.
„Fügen wir hinzu, dass es nicht den Anschein hat, als führte irgendein Tier von Natur aus Krieg gegen den Menschen – außer im Fall seiner Verteidigung oder bei äußerstem Hunger -, oder als bezeugte irgendeines jene heftigen Antipathien gegen ihn, die anzudeuten scheinen, dass die Natur dazu bestimmt ist, der anderen als Nahrung zu dienen.“ (S. 38f)
Das hier zugrunde gelegte Naturbild stellt das Zusammenleben von Mensch und Tier als harmonische Symbiose dar, was im Hinblick auf die oben erwähnten Jagdszenen aus „The Lord of the flies“ einen deutlichen Widerspruch offenbart.
2.1.2 Die zwei Arten der Ungleichheit
Die primären natürlichen Feinde des Menschen sind also nicht andere Lebewesen, sondern physische Defizite, wie zum Beispiel Gebrechen, Kindheit, Alter oder Krankheiten. Diese Defizite sind die Quelle einer Ungleichheit unter den Menschen, welche Rousseau die natürliche oder physische nennt und klar von der gesellschaftlichen oder politischen abgrenzt, die in den Privilegien der unterschiedlichen Schichten besteht.
„Man kann nicht danach fragen, worin die Quelle der natürlichen Ungleichheit ist, weil sich die Antwort in der einfachen Definition des Wortes ausgesprochen fände. Noch weniger kann man danach suchen, ob es nicht eine wesenhafte Verbindung zwischen den beiden Ungleichheiten geben könnte.“ (S.31)
Ausgehend davon, dass die erstgenannte Art der Ungleichheit in der Natur angelegt ist, beschäftigt sich Rousseaus Untersuchung mit den Ursprüngen der zweiten, um deren Berechtigung zu hinterfragen. Die Frage, die er zu beantworten versucht, ist die, was aus dem Menschen hätte werden können, wenn er im Naturzustand geblieben wäre.
Durch das äußere Erscheinungsbild der Protagonisten in Goldings Roman ist die erste Art der Ungleichheit deutlich herausgearbeitet, wobei hier aber natürliche und politische Ungleichheit untrennbar miteinander verknüpft erscheinen. Die Figur des Piggy hat nach kürzester Zeit einen Außenseiterstatus innerhalb der mikrokosmologischen Gesellschaft auf der Insel inne, dies aber nicht aufgrund seines Verhaltens, sondern vor allem durch seine körperliche Unterlegenheit und Andersartigkeit.
„There had grown up tacitly among the biguns the opinion that Piggy was an outsider, not only by accent which did not matter, but by fat, and ass-mar, and specs, and a certain disinclination for manual labour.” (S. 81)
Bezeichnend ist in dieser Schilderung des allwissenden Erzählers aus Ralphs Sicht das aus dem ersten Kapitel aufgegriffene Wortspiel „asthma“ und „ass-mar“, was die Diskriminierung aufgrund physischer Mängel besonders zum Ausdruck bringt.
Beschreibt Golding den in der Wildnis entartenden Menschen, so vertritt Rousseau die gegenteilige Position. Was für den zivilisierten Menschen als Übel gilt, ist für den Menschen im Naturzustand kein Unglück, da er mit allem ausgestattet ist, was er zum Leben braucht, und der Natur angepasst lebt. Die einzige Sorge des Wilden ist sein eigener Erhalt, seine wichtigsten Fähigkeiten Angriff und Verteidigung.
„[…] der erste, der sich Kleider machte oder eine Wohnung baute, sich damit wenig nötige Dinge zulegte, da er bis dahin ohne sie ausgekommen war und man nicht einsieht, warum er als erwachsener Mensch nicht eine Lebensweise hätte ertragen können, die er seit seiner Kindheit ertragen hatte.” (S. 43)
[...]
- Quote paper
- Sarah Buddeberg (Author), 2004, Die Natur des Menschen: William Golding und Jean-Jacques Rousseau, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/35082
-
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X.