Nach der UN-Konvention von 2006 ist Inklusion keine Utopie, sondern beschlossene Sache. Menschen mit Behinderung haben das Recht gleichberechtigt bzw. chancengleich an der Gesellschaft zu partizipieren, auch und vor allem an Bildung. Dazu gehört die Bereitstellung aller unterstützenden Mittel, um bedürfnisangemessen eine inklusive Beschulung zu ermöglichen. Dies haben die EU-Staaten schon 2006 vertraglich zugesichert. Jetzt-9 Jahre später, sind wir von einer gelungenen Umsetzung vielleicht weiter entfernt denn je.
Inklusion-eine Utopie?
Nach der UN-Konvention von 2006 ist Inklusion keine Utopie, sondern beschlossene Sache. Menschen mit Behinderung haben das Recht gleichberechtigt bzw. chancengleich an der Gesellschaft zu partizipieren, auch und vor allem an Bildung.
Dazu gehört die Bereitstellung aller unterstützenden Mittel, um bedürfnisangemessen eine inklusive Beschulung zu ermöglichen. Dies haben die EU-Staaten schon 2006 vertraglich zugesichert.
Jetzt-9 Jahre später, sind wir von einer gelungenen Umsetzung vielleicht weiter entfernt denn je.
Die Idee von einer Welt, in der es keine Begrenzungen und Ausgrenzungen mehr gibt- in der wir fernab der Bewertung anhand der Leistung eines Menschen, in einem Miteinander leben - in der allein die Betitelung <behindert> und <nicht-behindert> hinfällig ist - in der gegenteilig die Andersartigkeit jedes Individuums als selbstverständlich anzusehen ist, ist ohne Frage erstrebenswert und auch ein Gesellschaftsentwurf mit dem Ich mich persönlich identifiziere. Doch wie soll das funktionieren?
Wir leben in einem kapitalistischen System, das auf Leistungserbringung des Einzelnen basiert. Das, was als Leistung klassifiziert und anerkannt wird, ist dasjenige, das gesellschafts- und somit wirtschaftszuträglich ist.
Die Erziehung dahingehend beginnt selbstverständlich in der Schule:
Schon Bernfeld und Erdheim haben, wenn auch teilweise aus kommunistischer Überzeugung und aus heutiger Perspektive überspitzt wirkend , der Schule einen „heimlichen Lehrplan“ unterstellt, der einzig darauf abziele konforme, „gebrochene“, leistungsstarke, konkurrierende Nachrücker zu schaffen, der so die herrschen Machtverhältnisse stabilisiert; dass diese nicht fähig sein können inklusiv zu denken und zu handeln liegt auf der Hand.
Objektiver hat Fendt das Verhältnis von Schule und Gesellschaft dargestellt; so hat Schule nach Fendt neben der persönlichkeitsfördernden vor allem eine gesellschaftliche Funktion:
Schule soll qualifizieren, selektieren und legitimieren. Besonders der Aspekt der Selektion (der einhergeht mit leistungsbasierter Konkurrenz) steht dem Vorhaben Inklusion entgegen, ist aber allgegenwärtig und wirkt untrennbar, in wechselseitiger Bedingung zu den anderen gesellschaftlichen Funktionen der Qualifikation und Legitimation.
Dieser Konflikt scheint ohne eine utopische gesamte Reformation (hin zu einer sozialeren, nicht konkurrenzbasierten Gemeinschaft mit gleichwertigen Mitgliedern) der Gesellschaft und somit auch der Schule nicht ad hoc lösbar.
Deswegen muss im Kleinen angefangen werden. Dies sollte jedoch sowohl auf der bildungspolitischen, als auch auf der gesamtpolitischen Ebene stattfinden. (--> Inklusion nicht nur in der Schule)
Denn auch im gesamten Gesellschaftsbild befinden sich die zu inkludierenden Menschen am Rand der Gesellschaft- eine Partizipation am Alltagsgeschehen findet nur eingeschränkt bis gar nicht statt. So sind Berührungspunkte und Annäherungsmöglichkeiten eher selten und es kann sich keine Selbstverständlichkeit im gegenseitigen Umgang einstellen; dies ist meines Erachtens nach jedoch die Basis für Inklusion und für inklusive Bildung.
Doch wie ist dies zu schaffen? Wie integriert bzw. im besten Fall wie inkludiert man Menschen mit Behinderung in unsere Gesellschaft, welche Schritte sind also nötig für eine gelingende Inklusion?
Ein erster wichtiger Weg wäre mehr reale Partizipation zu schaffen: eine gelingende Teilhabe besteht u. a. darin, dass Menschen mit Behinderung ihren Alltag selbstständig, bzw. mit Assistenz regeln können (Bus fahren, einkaufen gehen, im Park spazieren gehen, zum Arzt ins Wartezimmer setzen usw.…), so entsteht eine autogene, selbstverständliche Begegnung, die „ausgehalten“ werden muss, daraus wird sich Akzeptanz und mit der Zeit eine Gewöhnung, Normalität bzw. Selbstverständlichkeit einstellen.
Damit dies möglich ist, müssen mehr Arbeitsplätze (für Assistenz- und Begleitungsleistungen) geschaffen werden, die diese Teilhabe begleiten und ermöglichen. Diese und die schon bestehenden Tätigkeiten müssen jedoch gerecht, dem Gesellschaftsbeitrag entsprechend entlohnt und somit auch anerkannt werden.
In der Realität wird der Weg jedoch von der anderen Seite angegangen:
Inklusion wird von oben beschlossen und soll von ganz unten, also im Kindergarten und der Schule unmittelbar, ohne die Verankerung in der Gesellschaft und mit unzureichender Hilfestellungen, umgesetzt werden. In der Idealvorstellung soll diese nun entstehende inklusive Generation anscheinend auch nach dem Lebensabschnitt Schule autonom weiter existieren und funktionieren. (Denn wie oben erläutert werden dahingehend keine bzw. unzureichende Maßnahmen getroffen und die inkludierten Menschen werden nach der Schulzeit wieder an den Rand der Gesellschaft in eine Art Subgesellschaft zurückgedrängt.)
Doch vielleicht ist der vermeintlich einzig gangbare Weg- vielleicht wächst so eine funktionierende selbstverständlich inklusive Gesellschaft hoch und diese Selbstverständlichkeit sowie der Wille dazu etabliert sich mit und weitere Generationen folgen.
Doch auch in der Schule gibt es massive Probleme bei der Umsetzung.
Die Lehrer der Regelschulen sind auf die neue Situation nicht vorbereitet und die Zurseitestellung der Förderschullehrer ist hinsichtlich der Anzahl an zu inkludierenden Schüler unzureichend (beispielsweise wird pro diagnostizierten Schüler mit Förderbedarf „Lernen“ zwei Stunden mit einem Förderschullehrer pro Woche veranschlagt). Den Rest der Zeit sind die Lehrer auf sich allein gestellt, sie müssten theoretisch neben den jeweils individuellen diagnostischen Lernstandsanalysen auch die daraus abzuleitenden Fördermaßnahmen beherrschen und die Schüler weitergehend mit dem entsprechenden,dem Lern- und Leistungsstand angemessenem Material versorgen,damit eine optimale Förderung gewährleistet ist. Dies sollte jedoch auch thematisch immer im Kontext mit dem der restlichen Klasse stehen, damit partiell übergreifender gemeinschaftlicher Unterricht stattfinden kann.
Dies zu leisten, ohne eine dahingehend spezialisierte Aus- bzw. Weiterbildung sowie einer zeitlicher Entlastung zugunsten der Vorbereitungszeit sowie einen erhörten Betreuungsschlüssel erachte ich als nicht realistisch handhabbar.
(Und bei diesem Beispiel ging es „nur“ um SuS mit dem Förderbedarf „Lernen“, dass es weiterer Kompetenzen bedarf um Sus mit anderen Förderschwerpunkten wie „Sozial- Emotional“ oder „geistige Entwicklung“ inklusiv zu beschulen liegt auf der Hand- auch hier drängt sich die Frage auf, bis zu welchem Behinderungsgrad eine Inklusion möglich und /oder sinnvoll ist).
Insgesamt sollte die Ausbildung der heranwachsenden Lehrergeneration einen erheblich erhöhten sonderpädagogischen Anteil enthalten (Ich studiere seit 2012 an der Universität Osnabrück, es werden vereinzelt Seminare zum Thema „ Inklusion“ angeboten, diese sind jedoch hoffnungslos überfüllt und gehören genauso wie „Diagnostik“ und „individuelle Leistungsbewertung“ nicht zum Pflichtteil meines Lehramtstudiums).
Erschwerend kommt hinzu, wie Herr Stöppler anschaulich in dem Interview der Zeit (Das Recht auf Miteinander, 2010) darstellt, dass auch unterschiedlicher Förderbedarf unter der Schülerschaft besteht und deren Vereinbarung sehr problematisch ist. (Beispielsweise benötigen Schüler mit dem Schwerpunkt „Hören“ eine gute Ausleuchtung des Klassenraums um das Lippenlesen zu ermöglichen- Schüler mit dem Schwerpunkt „Sehen“ benötigen jedoch gedämmtes Licht um Blendung zu vermeiden.(Daran anschließend wäre weitergehend die Frage zu stellen, für wen gilt das Recht der Inklusion? Wer hat eine Behinderung, wer braucht eine Förderung? Aus welchem Topf wird bezahlt? Wer ist zuständig?)).
Anstatt für diese Problematiken langfristig Lösungen zu schaffen und Experten entsprechend auszubilden, werden die Förderschulen (dort herrschen eher angemessene Umstände) übereilt geschlossen.
Diese Überforderungssituation könnte schwerwiegende Folgen haben, es könnte sich eine Art „Inkusionsphobie“ entwickeln und Ängste im gesamtgesellschaftlichen Gemüt abzubauen erweist sich als äußerst schwierig.
Da wäre eine wohl überlegte Prävention in Form einer langfristigen, vorsichtigen, reflektierten durchaus auch kostspieligen inklusiven Forschungspädagogik sinnvoller.
Es würde sich lohnen - diese Investition in eine von der UN-Konvention geforderten sozialeren, offeneren Gesellschaft, in der es austarierten Raum für Andersartig gibt. Und irgendwann wird diese Andersartigkeit durch Selbsterleben nicht mehr als defizitär, sondern als bereichernd und der Gesellschaft gewinnbringend wahrgenommen und die zu leistende Hilfe für ein solches Miteinander wird als selbstverständlich werthaltig angesehen werden (vgl. dazu Axel Honneth Anerkennungstheorie (egalitäre Differenzen) aus der Diversity Forschung). Vielleicht ist dieses Ziel utopisch, aber erstrebenswert ist es zweifellos.
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- Quote paper
- Svenja Muth (Author), 2012, Chancengleichheit in der Gesellschaft und der Bildung. Utopie der Inklusion?, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/349964