Warum besitzen die WoDaaBe mindestens 96 verschiedene Begriffe, die alle jeweils Rinder mit verschiedenen Eigenschaften bezeichnen? Wissenschaftliche Arbeiten über die Fulbe, denen die WoDaaBe angehören, beschäftigen sich in der Regel mit ökonomischen Aspekten des Rindes und der Rinderzucht (Schareika 2003; Maliki 1981; Stenning 1957). In dieser Arbeit wird ein kognitiver Ansatz gewählt, der aus sprachlichem Material die kulturelle Einbettung des Rindes in der WoDaaBe-Gesellschaft untersuchen möchte.
Inhaltsverzeichnis
1. Ansatz dieser Arbeit
1.1. Methode
2. Das Konzept Rind
3. Die Nomenklatur der WoDaaBe
4. Zusammenfassung
Literaturhinweis
Zeichenerklärung:
/ - oder.
< - abgeleitet von.
Großbuchstaben im Wort - Implosiv oder [-ATR].
1. Ansatz dieser Arbeit
Warum besitzen die WoDaaBe mindestens 96 verschiedene Begriffe, die alle jeweils Rinder mit verschiedenen Eigenschaften bezeichnen?
Diese Tatsache würde sicherlich intuitiv als Zeichen der kulturellen Wichtigkeit des Rindes für die WoDaaBe interpretiert werden. Aber kann solch eine Hypothese auch sprachwissenschaftlich nachgewiesen werden? Wissenschaftliche Arbeiten über die Fulbe, denen die WoDaaBe angehören, beschäftigen sich in der Regel mit ökonomischen Aspekten des Rindes und der Rinderzucht (Schareika 2003; Maliki 1981; Stenning 1957). In dieser Arbeit wird ein kognitiver Ansatz gewählt, der aus sprachlichem Material die kulturelle Einbettung des Rindes untersuchen möchte.
Ein Konzept ist aus strukturalistischer Sicht weitaus mehr, als die phonetische Repräsentation eines Referenten. Ein Konzept wird vielmehr als eine strukturierte Idee, der durch eine bestimmte Form Ausdruck gegeben wird, angesehen. Die spezifischen Strukturen, die die subjektive Bedeutung des Konzeptes definieren, sind dabei durch die Vorstellungen des Menschen bestimmt. In weiten Teilen der Wissenschaft wird davon ausgegangen, dass die Vorstellungen der Menschen durch ihr Lebensumfeld und durch die Kultur, in der sie sozialisiert wurden, geprägt werden. Über den Zusammenhang von Sprache, Gedanken und Kultur schreibt White (1980:54): „If speech is assumed to be the mirror of thought, and if the structure of thought reflects the structure of culture, then the interrelations of cultural phenomena should be reflected on the linguistic level in informant’s explanation of terms designating these cultural phenomena.“[1]
Das im Zitat Gesagte soll hier als Ansatz dienen, um festzustellen, welche kulturelle Bedeutung das Rind für die WoDaaBe besitzt. Diese Arbeit geht also davon aus, dass Beschreibungen über Rinder, die von WoDaaBe gegeben werden, Gedankenstrukturen zeigen werden, die ein Spiegel ihrer kulturellen Strukturen sind. Mit diesem Hintergrund sollen Aussagen über die Bedeutung des Rindes und seine Einbettung in kulturelle Kontexte bei den WoDaaBe ermöglicht werden.
Darüber hinaus wird in einem weiteren Abschnitt die umfangreiche Nomenklatur für Rinder bei den WoDaaBe analysiert, um festzustellen inwiefern sich die kulturelle Bedeutung des Rindes in seinen Bezeichnungen widerspiegelt.
1.1. Methode
Mit kognitiven Netzwerken können Strukturen, die semantischen Konzepten zugrunde liegen dargestellt werden. Dabei verbindet man sogenannte Knoten, die jeweils ein semantisches Konzept darstellen und mit anderen Konzepten verbunden sind, durch ihre spezifischen Beziehungen zueinander. Margolies (2000:549) schreibt, dass: „...what makes a concept the very concept that it is is (…) how it is related to the world.”
In dieser Arbeit soll also ein Netzwerk erstellt werden, indem kognitive und kulturelle Konzepte generiert werden, die durch eine kulturell artikulierte Beziehung zum Rind stehen. Die Knoten des Netzwerks werden aus Interview-Passagen aus Schareika (2003)[2] gewonnen, indem Topiks, die von WoDaaBe im Zusammenhang mit dem Rind geäußert wurden, analysiert und in ihrer Frequenz angeordnet werden. Schareika zitiert in seinem Buch Passagen aus Interviews mit verschiedenen Informanten, die im SO-Niger nomadisieren und Fragen nach der Beziehung zu ihren Rinderherden beantworten[3]. Von Seite 73 - 80, 86, beschreiben diese WoDaaBe Aspekte ihres Hirtendaseins und artikulieren dadurch Kontexte, die bei ihnen kognitiv mit dem Rind verbunden sind. Die so generierten Knoten[4] und ihre spezifischen Verbindungen mit dem Rind explizieren die Beziehung des Rindes zu verschiedenen Domänen und deuten somit auf die kulturelle Bedeutung des Rindes.
In einem weiteren Abschnitt werden Rindernamen nach klassifikatorischen Gesichtspunkten wie in Berlin (1992) ausgeführt gruppiert. In einer Zusammenfassung wird eine Hypothese bezüglich der Namensgebung aufgestellt und eine Beziehung zum ersten Abschnitt hergestellt.
2. Das Konzept Rind
(1.) „...; damit seine Familie sie melkt, um Milch und Butter zu trinken; damit sie jedes Jahr kalbt, damit sich die Kühe vermehren. Dafür will der BoDaaDo die Kuh.“ [ Schareika 2003:77:T8]
(2.) „Ein BoDaaDo stiehlt nicht, ein BoDaaDo bestellt nicht das Feld. Allein diese Rinder versorgen ihn mit seiner Nahrung.“ [ Schareika 2003:74:T3]
(3.) „Du musst dich Tag und Nacht um sie kümmern, deinen Blick fest auf sie gerichtet, dann kann sie nichts zu Fall bringen, und sie werden gedeihen.“ [ Schareika 2003:78:T11]
(4.) „Die Kuh der Kurirasse ist bösartig, stößt mit den Hörnern, frisst im Feld, zerstört; die rote Kuh zerstört nicht.“ [ Schareika 2003:76:T7]
(5.) „..., sie werden ihn mit Milch und Butter satt machen. Er sieht sie an und fühlt sich
glücklich. Das will ein BoDaaDo.“ [ Schareika 2003:77:T9]
In den Interviews steht häufig der materielle Nutzen des Rindes als Nahrungs- und Geldquelle an erster Stelle. Die Milch, der Verkaufswert des Rindes, seine Haut und das Fleisch sind dabei Ressourcen, die den WoDaaBe das Überleben sichern.
Der zweite Punkt, der von den Informanten regelmäßig artikuliert wird, bezieht sich auf die von den Nomaden als erstrebenswert erachtete Lebensweise. Nicht Handel treiben, nicht die Landwirtschaft und nicht Stehlen seien Erwerbstätigkeiten, die von den WoDaaBe als erstrebenswert erachtet werden. Es sei die nomadische Rinderhaltung. Der große Aufwand die Herde zu versorgen und weiter zu entwickeln erfordert spezifische Qualitäten vom Hirten, die den ideellen Vorstellungen, wie ein rechtschaffener WoDaaBe leben sollte, entsprechen. Der BoDaaDo sei „nicht verschwenderisch und nicht faul“ (Schareika 2003:78f). Eine schöne Herde ist Gegenstand von Preisliedern, bezeugt den Fleiß und die Klugheit des Hirten in der Wahl seiner Weideplätze, den daraus resultierenden materiellen Wohlstand seiner Familie und steigert sein Ansehen in der Nomadengesellschaft.
In diesen Antworten kommt darüber hinaus die grundsätzlich dichotomische Sichtweise der WoDaaBe von sich gegenüber allen anderen Menschengruppen in ihrem Lebensumfeld zum Ausdruck, in der die Rinderhaltung eine zentrale Stellung einnimmt. Dabei bezieht ein Informant die Rasse ihrer Rinder und die der sesshaften Bauern in den Vergleich mit ein und stellt fest, dass diese Dichotomie sich auch in den Tieren zeigt, wo die Zebu-Rinder der WoDaaBe gut und gefügig seien, die der Kurirasse dagegen zerstörerisch und bösartig (Schareika 2003:76).
Mehrere Informanten betonen eine enge emotionale Bindung zum Rind, dessen Gedeihen und Wohlergehen das Hauptanliegen eines jeden Hirten sei, und der sein Stolz und sein Glück eben am Zustand seiner Herde messen wird. Auf diese Art sind positive Gefühle des Hirten kausal mit der Herde und dem Rind verbunden bzw. das Rind ist Quelle dieser Gefühle.
[...]
[1] White analysiert in ihrer Arbeit die Struktur von Informationen in Interviews.
[2] Schareika beschreibt in seiner Arbeit das ökologische Wissen der WoDaabBe und will die Rationalität des Rindernomadismus beweisen.
[3] Schareika hat leider die Fragen, die hinter den zitierten Aussagen der WoDaaBe stehen nicht aufgeführt. Aber aus der Länge und dem Inhalt der Antworten kann man schliessen, dass die Informanten auf Grand Tour Fragen nach dem Warum der Rinderhaltung bzw. der Bedeutung der Rinderhaltung für sie geantwortet haben. Im Buch sind leider auch keine Angaben über die Repräsentanz der Zitate oder der Informanten zu finden. Zur Beschreibung der Forschungs- und Erhebungssituation siehe ebd. S. 53ff.
[4] Dies sind alle aus den Interviews generierten Topiks und nicht alle tatsächlich und möglicherweise existierenden Konzepte, die an dem Netzwerk beteiligt sein können.
- Quote paper
- Schirin Agha-Mohamad-Beigui (Author), 2004, Warum besitzen die Wodaabe 96 Rindernamen? Eine kognitive Analyse, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/34781
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