Das Locus coeruleus-noradrenerge System ist die primäre Quelle für zentrales corticales und subcorticales Noradrenalin. Die noradrenergen Projektionen des LC sind an der Modulation einer Vielzahl von funktionellen zentralen Abläufen beteiligt, u.a. an Aufmerksamkeitsprozessen, der Vermittlung von Stress und der Schlaf-Wach-Koordination, aber auch an der Koordination spezifischerer kognitiver Funktionen im Rahmen von Belohnungs-orientiertem Verhalten.
Die im Rahmen der vorliegenden Arbeit im anatomisch-topographischen Teil durchgeführten Experimente belegen eine dichte noradrenerge Innervation des präfrontalen Cortex, des dorsalen und ventralen Hippocampus, und des Kleinhirns durch Neurone des Locus coeruleus. Innerhalb des LC sind die nach präfrontal und hippocampal projizierenden Neurone vorwiegend im dorsalen Anschnitt über die gesamte rostro-caudale Achse zu finden. Der Anteil ipsilateral gelabelter Zellen überwiegt deutlich. Coeruleocerebelläre Neurone sind innerhalb des LC sowohl in den dorsalen als auch ventralen Abschnitten, ebenfalls über die gesamte rostro-caudale Achse, zu finden. Der Anteil kontralateral gelabelter Zellen ist relativ höher als bei den anderen Projektionen.
Die im ersten elektrophysiologischen Teil der Arbeit durchgeführten Experimente belegen ein in den Grundeigenschaften ähnliches Feuerungsmuster selektiv identifizierter coeruleo-präfrontaler und coeruleo-hippocampaler Nervenzellen. Einzelne Aktionspotential- Parameter waren signifikant unterschiedlich, hinweisend auf unterschiedliche hyperpolarisierende Ströme in beiden Populationen. Eine Überprüfung des a2-Autorezeptor- Status im zweiten elektrophysiologischen Teil der Arbeit ergab ein fehlendes Ansprechen der coeruleo-präfrontalen Neurone auf a2-Blockade (im Gegensatz zu den coeruleo-hippocampalen Neuronen); dieser Befund ist vereinbar am ehesten mit fehlenden oder funktionell down-regulierten a2-Rezeptoren selektiv in nach präfrontal projizierenden Neuronen des Locus coeruleus. Hierbei handelt es sich um einen in der Literatur nicht vorbeschriebenen Befund.
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung
1.1 Überblick: Der Locus coeruleus und der Neurotransmitter Noradrenalin .
1.1.1 Der Locus coeruleus
1.1.1.1 Lokalisation und basale anatomische Eigenschaften des Locus coeruleus
1.1.1.2 Efferente Topographie des Locus coeruleus
1.1.1.3 Afferente Topographie des Locus coeruleus
1.1.2 Der Neurotransmitter Noradrenalin
1.1.2.1 Synthese
1.1.2.2 Noradrenalin als Hormon und Neurotransmitter
1.1.2.3 Adrenerge Rezeptoren
1.2 Die funktionelle Rolle des Locus coeruleus und des zentralen noradrener- gen Systems
1.2.1 Der Locus coeruleus als Schlüssel-Struktur für den Schlaf-Wach- Zyklus, für Aufmerksamkeit, Stress und arousal
1.2.2 Das Zusammenspiel mit dem dopaminergen System
1.2.3 Pathophysiologie des Locus coeruleus
1.3 Elektrophysiologie des Locus coeruleus
1.4 Zielsetzung der Arbeit
2 Material und Methoden
2.1 Material
2.1.1 Versuchstiere
2.1.2 Chemikalien und Geräte
2.1.3 Lösungen
2.1.3.1 Lösungen der Histologie
2.1.3.2 Lösungen der Elektrophysiologie
2.1.4 Antikörper und Nissl-Farbstoffe
2.1.4.1 Primäre Antikörper
2.1.4.2 Sekundäre Antikörper
2.1.4.3 Nissl-Farbstoffe
2.1.4.4 Behandlung der Autofluoreszenz mit Kupfersulfat
2.2 Methoden
2.2.1 Retrogrades Tracing & Mapping
2.2.1.1 Verwendete Tracersubstanz
2.2.1.2 Ablauf des Tracing-Eingriffs
2.2.1.3 Injektionsareale und Koordinaten
2.2.1.4 Gewebsfixierung durch intrakardiale Perfusion mit Par- aformaldehyd
2.2.1.5 Anfertigung der Hirnschnitte
2.2.1.6 Histologische Aufarbeitung der Schnitte von Pons und Mittelhirn
2.2.1.7 Histologische Aufarbeitung der Injektionsstellen durch Nissl-Färbung
2.2.1.8 Konfokale Mikroskopie und topographische Kartierung
2.2.2 Elektrophysiologische Methoden
2.2.2.1 Gewinnung akuter Hirnschnitte von adulten Mäusen . .
2.2.2.2 Die Patch-Clamp-Technik
2.2.2.3 Histologische Aufarbeitung der Injektionsstellen und der Patchschnitte, konfokale Mikroskopie
3 Ergebnisse
3.1 Ergebnisse der Tracing-Experimente
3.1.1 Neuroanatomische Rekonstruktion der Injektionsareale
3.1.2 Topographie retrograd markierter Zellen im Locus coeruleus . . .
3.1.2.1 Tracing des Präfrontalen Cortex
3.1.2.2 Tracing des dorsalen Hippocampus
3.1.2.3 Tracing des ventralen Hippocampus
3.1.2.4 Tracing des Cerebellum
3.1.2.5 Zusammenfassung
3.1.2.6 Ergebnisse der Doppeltracing-Studien
3.1.3 Quantitativer Vergleich mit dem dopaminergen Mittelhirn
3.2 Ergebnisse der Patch-Clamp-Experimente
3.2.1 Elektrophysiologische Grundcharakterisierung coeruleo-präfrontaler und coeruleo-hippocampaler Neurone
3.2.1.1 Spontanfrequenz
3.2.1.2 Rebound Delay
3.2.1.3 Maximalfrequenz
3.2.1.4 Parameter des einzelnen Aktionspotentials: Breite, Schwel- lenpotential, Maximum, Minimum
3.2.2 Überprüfung des α2-Autorezeptorstatus in coeruleo-präfrontalen und coeruleo-hippocampalen Neuronen mit dem α2-Antagonisten Yohimbin
3.2.2.1 Spontanfrequenz
3.2.2.2 Rebound Delay
3.2.2.3 Maximalfrequenz
3.2.2.4 Parameter des einzelnen Aktionspotentials: Breite, Schwel- lenpotential, Maximum, Minimum
3.2.2.5 Haltestrom
4 Diskussion
4.1 Diskussion der Tracing-Experimente
4.2 Diskussion der Patch-Clamp-Experimente
4.2.1 Elektrophysiologische Charakterisierung coeruleo-präfrontaler und coeruleo-hippocampaler Neurone ohne und mit α2-Autorezeptor- Blockade
4.2.2 Funktionelle Implikationen
5 Zusammenfassung
6 Summary
Literaturverzeichnis
7 Anlage
7.1 Abkürzungs- und Abbildungsverzeichnis
7.2 Tabellarischer Lebenslauf
7.3 Danksagung
1 Einleitung
1.1 Überblick: Der Locus coeruleus und der Neurotransmitter Noradrenalin
1.1.1 Der Locus coeruleus
1.1.1.1 Lokalisation und basale anatomische Eigenschaften des Locus coeruleus
Im Hirnstamm in der dorsalen Brücke liegt beidseits in der seitlichen Wand des vierten Ventrikels dicht gepackt das Kerngebiet, das als Locus coeruleus bezeichnet wird - und in der Tat ist der Nucleus, bedingt durch den hohen Melaningehalt, zumindest beim Menschen makroskopisch „himmelblau” (Abb. 1.1).
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 1.1: Links: Menschlicher Hirnstamm in der Ansicht von dorsal. Im Pons schimmern beidseits blau die pigmentierten Zellen des Locus coeruleus hindurch. (Abbildung aus: Deller & Sebestény, 2007.) Rechts: Coronarer Schnitt durch Pons und Cerebellum der Maus auf Höhe des Locus coe- ruleus (rote Pfeile); Nissl-Färbung. (Abbildung aus: Franklin & Paxinos, 2007.)
Der Locus coeruleus (LC) besteht aus einer verhältnismäßig kleinen Anzahl an Nervenzellen - etwa 1500 pro Seite im Nager, und 22.000-51.000 im Menschen -, die, als noradrenerge Zellen, alle das Syntheseenzym des Neurotransmitters Noradrenalin, die Dopamin-β-Hydroxylase (DBH), enthalten (Grzanna & Molliver, 1980; Mouton et al., 1994). Ebenso enthalten sie das entscheidende Enzym der Synthese der Vorstufe des Noradrenalins, des Dopamins: die Tyrosin-Hydroxylase (TH) (vgl. zur Katecholaminsynthese Abschn. 1.1.2.1). Im Gegensatz zur DBH, die sich in den Exozytose-Vesikeln befindet, ist die TH zytosolisch lokalisiert.
Der Locus coeruleus stellt die größte Gruppe von Noradrenalin-produzierenden Zellen im ZNS dar (Foote et al., 1983). Trotz seiner kleinen Zellzahl verfügt er über weitreichende Projektionen mit einer ausgeprägten axonalen Verästelung und somit einem großen terminalen Feld, und so stellt er die Quelle für einen Großteil des zentralen Noradrenalins dar (Sara, 2009; s. Abschn. 1.1.1.2).
Neben dem Neurotransmitter Noradrenalin, dem die größte Bedeutung zukommt und auf dem der Fokus dieser Arbeit liegt, kann der Locus coeruleus eine Vielzahl anderer, v.a. peptidischer, Transmittermoleküle als Co-Transmitter ausschütten, etwa Vasopres- sin, Somatostatin, Neuropeptid Y und Galanin (Berridge & Waterhouse, 2003).
Der Locus coeruleus ist die größte, wenn auch nicht die einzige Quelle von Noradrenalin im ZNS. Auch die Kerngebiete des lateralen tegmentalen Feldes (zu dem u.a. der dorsale Vaguskern und der Nucleus tractus solitarii gehören), stellen die zentrale Versorgung mit Noradrenalin sicher (Moore & Bloom, 1979). Der zum limbischen System gehörende Nucleus accumbens beispielsweise wird größtenteils nicht durch den Locus coeruleus, sondern durch den Nucleus tractus solitarii mit Noradrenalin versorgt (Delfs et al., 1998).
1.1.1.2 Efferente Topographie des Locus coeruleus
Die Neurone des Locus coeruleus projizieren in zahlreiche Gebiete des ZNS: Sowohl weite Teile des cerebralen Cortex und des Vorderhirns, als auch Thalamus und Hypothalamus sowie Kleinhirn, Hirnstamm und Rückenmark erhalten noradrenerge Afferenzen vom Locus coeruleus (Kobayashi et al., 1974; Moore & Bloom, 1979; Sara, 2009). Die Efferenzen des Locus coeruleus sind in Abb. 1.2 dargestellt.
Die Zellen des Locus coeruleus können dabei sich sehr weit verzweigende Axone aus- bilden, sodass das terminale Feld einer einzelnen Zelle - d.h. der Bereich, der von ihren Axonkollateralen innerviert wird - mitunter mehrere Gebiete des ZNS umfassen kann (Room et al., 1981; Steindler, 1981). Eine Ausnahme vom dichten Innervationsnetz der LC-Fasern scheinen die Basalganglien darzustellen, die nur eine sehr spärliche bis gar keine Innervation durch den Locus coeruleus erfahren (Room et al., 1981; Berridge & Waterhouse, 2003; Sara, 2009).
Eine grobe Topographie innerhalb des Locus coeruleus je nach Projektionsareal ist vorbeschrieben; die im Rahmen dieser Arbeit selbst erhobenen Ergebnisse bezüglich der topographischen Gliederung der LC-Zellen werden in Abschnitt 3.1.2 vorgestellt.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 1.2: Zielgebiete von Locus-coeruleus-Projektionen im Nagerhirn.
AON, anteriorer olfactorischer Nucleus; AP-VAB, Ansa peduncularis - ventrales amygdaloides Bündel; BS, Hirnstammkerne; C, Cingulum; CC, Corpus callosum; CER, Cerebellum; CTT, zentraler tegmentaler Tract; CTX, Cortex; DB, dorsales Bündel; DPS, dorsales periventriculäres System; F, Fornix; FR, Fasciculus retroflexus; H, Hypothalamus; HF, hippocampale Formation; ML, medialer Lemiscus; MT, mamillothalamischer Trakt; OB, Bulbus olfactorius; PT, prätektale Region; RF, Formatio reticularis; S, Septum; SC, Rückenmark; ST, Stria terminalis; T, Tectum; TH, Thalamus (Abbildung aus: Sara, 2009).
1.1.1.3 Afferente Topographie des Locus coeruleus
Ebenso wie der Locus coeruleus axonale Projektionen in viele Gebiete aufweist, erhält er selbst neuronalen Input von einer Vielzahl von Strukturen und ist so in verschiedene neuronale Schaltkreise involviert. Eingänge in den Locus coeruleus entspringen u.a. im präfrontalen Cortex, in der Amygdala, im lateralen Hypothalamus und im dorsalen Raphe-Kern, sowie in vielen tiefer gelegenen Regionen im Rückenmark (Benarroch, 2009). Vielfach ist der LC auch als eine Art Schaltstelle betrachtet worden, die zwischen Rückenmark und „höheren” Zentren des ZNS vermittelt, und dabei Input sowohl von „niederen” als auch, rückkoppelnd, „höheren” Kerngebieten erhält.
1.1.2 Der Neurotransmitter Noradrenalin
1.1.2.1 Synthese
Noradrenalin gehört, zusammen mit Adrenalin und Dopamin, zur Gruppe der Katecho- lamine, die in einem gemeinsamen Syntheseweg aus der Aminosäure Tyrosin hergestellt werden (s. Abb. 1.3). Der Name, Katechol-amine, ist Programm: Es handelt sich jeweils um ein Amin, das mit einem Katecholring (einem aromatischen Alkohol) verknüpft ist.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 1.3: Syntheseweg von Noradrenalin. (Abbildung aus: Purves et al., 2004.)
Zur Katecholaminsynthese kann Tyrosin von den Nervenzellen aus dem Extrazellular- raum aufgenommen oder aus Phenylalanin (einer essentiellen Aminosäure, die über die Nahrung aufgenommen wird) gebildet werden. In einem ersten Schritt wird Tyrosin zu L- Dopa (3,4-Dihydroxyphenylalanin) hydroxyliert. Diese Reaktion, die der Synthese aller Katecholamine gemeinsam ist, wird durch das Enzym Tyrosin-Hydroxylase (TH) kata- lysiert, und somit enthalten alle katecholaminergen Zellen die Tyrosin-Hydroxylase (sind also „TH-positiv”). In einem nächsten Schritt erfolgt die Decarboxylierung von L-DOPA zu Dopamin (durch die Aromatische-L-Aminosäure-Decarboxylase). Anschließend wird Dopamin durch die Dopamin-β-Hydroxylase (DBH) am ersten C-Atom hydroxyliert, und so entsteht Noradrenalin. Die DBH ist somit das entscheidende Enzym für noradrener- ge Zellen, und sie wurde in der vorliegenden Arbeit als Markerprotein für Färbungen verwendet. In einem nächsten Schritt kann, in adrenergen Zellen, aus Noradrenalin nun noch Adrenalin gebildet werden, durch die Phenylethanolamin-N-methyltransferase. Ver- glichen mit Noradrenalin spielt Adrenalin im ZNS funktionell eher eine untergeordnete Rolle (Fuller, 1982).
Einige Zeit galt Dopamin „nur” als Vorläufermolekül für Noradrenalin und Adrenalin, bis 1958 durch Arvid Carlsson die Rolle des Dopamins als eigener Neurotransmitter ent- deckt wurde (Benes, 2001). Der Unterschied im molekularen Aufbau zwischen Dopamin und Noradrenalin ist recht klein - Noradrenalin hat nur eine OH-Gruppe mehr -, und in der Tat gibt es sich überschneidende Rezeptoraffinitäten (Zhang et al., 2004; Wedemeyer et al., 2007).
1.1.2.2 Noradrenalin als Hormon und Neurotransmitter
Noradrenalin spielt im ganzen Körper bei der Steuerung von Herz-Kreislauf-Prozessen und Stressreaktionen eine wichtige Rolle. Peripher wird es, zusammen mit Adrenalin, von den chromaffinen Zellen des Nebennierenmarks hergestellt. Im vegetativen Nervensys- tem ist Noradrenalin der Botenstoff des zweiten sympathischen Neurons. Noradrenalin vermittelt so die Wirkung des Sympathikus an den Endorganen (mit Ausnahme der Schweißdrüsen), so beispielsweise eine Gefäßkontraktion der Arteriolen und damit ei- ne Blutdrucksteigerung, oder eine Aktivierung des Herzens (positiv ino-, chrono- und dromotrop).
Therapeutisch findet Noradrenalin in Anästhesie und Notfallmedizin in seiner Rolle als potenter Vasopressor zur Blutdruckanhebung Anwendung, evtl. auch als lokale Zugabe zur Blutungsstillung im Rahmen einer Lokalanästhesie.
1.1.2.3 Adrenerge Rezeptoren
Adrenerge Rezeptoren finden sich im gesamten Körper. Auf sie wirken vor allem Ad- renalin und Noradrenalin, wobei dem Adrenalin eine eher untergeordnete Rolle als Neu- rotransmitter an Synapsen zukommt, es aber dafür im Nebennierenmark und damit frei im Blut überwiegt. Es werden drei klassische Subtypen adrenerger Rezeptoren unter- schieden: α1-, α2- und β-Rezeptoren. Sie alle sind metabotrope Rezeptoren. Während es sich bei α1- und β-Rezeptoren um postsynaptische Rezeptoren handelt, kommen α2- Rezeptoren sowohl prä- als auch postsynaptisch vor. Präsynaptische α2-Rezeptoren kommen z.B. auf den Neuronen des Locus coeruleus selbst vor, und werden daher als Auto rezeptoren bezeichnet. Sie haben einen inhibitorischen Effekt auf die Zellen und dienen so einer negativen Rückkopplung. Je nach Lokalität der postsynaptischen Rezeptoren variiert erstens die Dichte des jeweiligen Rezeptor-Subtyps, aber auch der funktionelle Effekt, den die Rezeptoraktivierung durch Noradrenalin auslöst.
Im PNS wird der blutdrucksteigernde Effekt beispielsweise über α1-Rezeptoren ver- mittelt, während β1-Rezeptoren die Wirkungen am Herzen vermitteln. Die Dilatation der Bronchien, ein weiterer wichtiger peripherer Effekt des Sympathikus (wenn auch primär durch Adrenalin und nicht Noradrenalin bewirkt) wird über β2-Rezeptoren vermittelt.
Im ZNS vermitteln adrenerge Rezeptoren eine Vielzahl von Funktionen, die vor allem auf Noradrenalin als Transmitter zurückzuführen sind, da Adrenalin die Bluthirnschran- ke nicht passieren kann und im ZNS, verglichen mit Noradrenalin, in geringeren Maßen produziert wird (Fuller, 1982). Die zentralen noradrenergen Effekte - und damit zu einem Gutteil die Effekte des Locus coeruleus - werden im nächsten Abschnitt vorgestellt.
1.2 Die funktionelle Rolle des Locus coeruleus und des zentralen noradrenergen Systems
Aus der beschriebenen weit verzweigten Anatomie des Locus coeruleus und seinen vielen Projektionsgebieten ergibt sich seine sehr generelle funktionelle Rolle bei der Steuerung zerebraler Abläufe. Häufig gilt der LC als Neuromodulator, der, anstatt primär selbst exzitatorische oder inhibitorische Effekte auf postsynaptische Neurone auszuüben, an- dere Neurotransmitter, etwa Glutamat oder GABA, in ihrer Wirkung moduliert, und damit über ein „Tuning” bzw. „Shifting” von funktionellen Netzwerken eine Verhaltensa- daptation bewirkt (Aston-Jones & Cohen, 2005; Bouret & Sara, 2005). So können die ganz grundlegenden Funktionen, die dem LC in Koordinierung und Aufrechterhaltung kognitiver und nicht-kognitiver Prozesse zugeschrieben werden, verständlich werden.
1.2.1 Der Locus coeruleus als Schlüssel-Struktur für den Schlaf-Wach-Zyklus, für Aufmerksamkeit, Stress und arousal
Als Teil der Formatio reticularis - einer netzartigen Neuronenstruktur im Hirnstamm, die von der Medulla oblongata bis zum Diencephalon reicht, und der etwa auch die Raphe-Kerne angehören - kommen dem Locus coeruleus wichtige Steuerungsfunktionen vegetativer Prozesse sowie eine Vermittlung zwischen Rückenmark und „höheren” Zentren des ZNS zu.
Bereits recht früh wurde die Rolle des Locus coeruleus bei der Schlaf-Wach-Koordina- tion entdeckt (Jouvet, 1969; Hobson et al., 1975; Aston-Jones & Bloom, 1981). Die (tonische) Aktivität der LC-Neurone korreliert sehr genau mit den Stadien des Schlaf- Wach-Zyklus: Die höchste Feuerungsrate entwickeln die Neurone im Wachzustand, im slow-wave sleep (SWS) nimmt die Feuerungsrate ab, und im REM-Schlaf (sog. „parado- xer Schlaf”, da es hier zu schnellen Augenbewegungen - rapid eye movements - kommt), sind die LC-Neurone fast gänzlich inaktiv. Auch im wachen Organismus gibt es natür- lich Abstufungen an coerulärer Aktivität; im entspannten Wachzustand sind die Neurone weniger aktiv als unter Stress, der die maximale LC-Aktivierung darstellt. Der Locus coeruleus ist so einer der primären Stress-Sensoren des ZNS und wird parallel mit der Stressreaktion des vegetativen Nervensystems aktiviert (Valentino & Van Bockstaele, 2008). Die Stressreaktion wird vom LC dann z.B. an den präfrontalen Cortex (PFC) oder die dopaminerge VTA weiter vermittelt (Sara & Bouret, 2012). Im Schlaf-Wach- Zyklus antizipiert die LC-Aktivität jeweils den entsprechenden Schlaf-Wach-Zustand, und spätere Experimente haben die kausale Rolle des Locus coeruleus-noradrenergen Systems in der Regulation von Wachheit und Schlaf unterstrichen (Berridge, 2008); dem Locus coeruleus ist dabei häufig das Schlagwort „arousal” zugeordnet, was in etwa Er- weckung oder Erregung bedeutet. Die Rolle des „promoting arousal & stress” realisiert der LC, entsprechend seinen Projektionen, über β- und α1-Rezeptoraktivierung in vielen subkortikalen Regionen.
Auch die kortikalen Projektionen des Locus coeruleus (der LC ist die fast ausschließli- che Quelle des neokortikalen Noradrenalins) sind für wichtige Funktionen entscheidend: Je nach Ausmaß an arousal ist der LC stark oder weniger stark aktiv; und entsprechend ändert sich der Noradrenalin-Gehalt in den Zielregionen. Es hat sich gezeigt, dass, bei- spielsweise im PFC, der für Aufmerksamkeitsprozesse entscheidend ist, für die optimale Leistung ein richtiges Mittelmaß an Noradrenalin-Konzentration erforderlich ist - zu viel und zu wenig ist der Funktion jeweils abträglich, wie es in der sog. Yerkes-Dodson- Relation (der „umgedrehten U-Kurve”) zwischen Locus-coeruleus-Aktivierung und ko- gnitiver Leistungsfähigkeit in einem „working memory task” zum Ausdruck kommt (vgl. Abb. 1.4). Dies bedeutet also, dass die kognitive Leistungsfähigkeit (auch) vom Level an arousal abhängt: Schläfrigkeit oder Müdigkeit, die sich in verminderter Locus-coeruleus- Aktivität niederschlagen, sind ebenso schädlich wie Hyperaktivität im Rahmen von star- kem Stress (Valentino & Van Bockstaele, 2008). LC und PFC sind hierbei wechselseitig sehr eng (exzitatorisch) reguliert (Sara & Bouret, 2012).
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 1.4: Beziehung zwischen Locus-coeruleus-Aktivität und Leistung in einem focused attention task. (Abbildung aus: Aston-Jones et al., 1999.)
Andere Bereiche des Gehirns, z.B. posterior kortikale oder subkortikale Gebiete, zeigen eine gänzlich andere Korrelation von NA-Spiegel und Funktion, die hier durch sehr hohes NA, d.h. durch sehr hohe LC-Aktivität, gerade befördert wird. Dem liegen Unterschiede in den beteiligten adrenergen Rezeptoren zu Grunde: Im PFC wird der begünstigen- de Effekt über postsynaptische α2-Rezeptoren vermittelt, während die Aktivierung von α1-Rezeptoren einen negativen Effekt aufweist (Arnsten, 1997, 2000); in den anderen Regionen ist genau umgekehrt (vgl. Abb. 1.5). Gegeben die unterschiedliche Rezeptor-Affinität des Substrats - in niedrigen Konzentrationen bindet Noradrenalin bevorzugt an α2-Rezeptoren, während es in hohen Konzentrationen auch an α1-Rezeptoren bindet - wird verständlich, dass hohe NA-Spiegel die im PFC realisierten Prozesse gewisserma- ßen zugunsten anderer Gebiete „herunterfahren”, um z.B. evolutionär tiefer verwurzelte Fight-or-Flight-Reaktionen zu begünstigen (Arnsten, 2000).
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 1.5: Zentrale Effekte von Noradrenalin (NE) über adrenerge Rezeptoren. (Ab- bildung aus: Arnsten, 2000.)
Ungeachtet der zentralen generellen Rolle, die der Locus coeruleus für arousal und Wachheit spielt, hat sich in den vergangenen Jahren ein zunehmend komplexeres Bild der funktionalen Einbettung des LC auch in spezifischere kognitive Prozesse entwickelt. Namentlich wurde dem LC eine zentrale Rolle bei Entscheidungsprozessen und der Opti- mierung von Belohnungssituationen zugeschrieben (Aston-Jones & Cohen, 2005). Dem- nach sorgt der Locus coeruleus für das Umschalten bzw. für die Balance von exploitation, d.h. dem effektiven Ausschöpfen einer bekannten Belohnungsquelle, und exploration, d.h. dem Ausschau-Halten nach neuen Belohnungsquellen. Dies spiegelt sich wider in seinem Feuerungsmodus: Phasische Aktivität (salvenartiges Feuern) der coerulären Neurone optimiert das Arbeiten an einer aktuellen Aufgabe (exploitation), wohingegen tonische Aktivität (gleichmäßiges Feuern mit konstanter Frequenz) die Suche nach neuen, wo- möglich ertragreicheren, Aufgaben erleichtert (exploration). Dem phasischen Modus ist also die fokussierte, selektive Aufmerksamkeit zugeordnet, dem tonischen Modus das „Scannen” der Umwelt bei behavioraler Flexibilität. Darüber hinaus wurde dem LC ei- ne „Reset”-Funktion, d.h. die Gewährleistung einer Neuausrichtung für z.B. optimale Aufmerksamkeit, insbesondere für kortikale Netzwerke zugeschrieben (Bouret & Sara, 2005; Sara & Bouret, 2012).
Neben seiner Regulation von Aufmerksamkeit und Arbeitsgedächtnis spielt der Locus coeruleus auch bei der Konsolidierung von Inhalten im Langzeitgedächtnis eine Rolle. Über die Aktivierung von β- Rezeptoren kann der LC Langzeitpotentierung (LTP) im Hippocampus erleichtern, d.h. plastische Veränderungen der Synapsen hippocampaler Neurone, und so die Gedächtnisbildung und auch die Wiederauffindung (retrieval) von Gedächtnisinhalten beeinflussen (Harley, 2007; Benarroch, 2009; Sara, 2009).
1.2.2 Das Zusammenspiel mit dem dopaminergen System
Das Locus coeruleus-noradrenerge System arbeitet bei der Modulation kognitiver Funktionen eng zusammen mit den anderen monoaminergen Systemen - dem dopaminergen und dem serotonergen System (Arnsten & Li, 2005; Briand et al., 2007).
Insbesondere das noradrenerge und das dopaminerge System sind anatomisch und funktionell eng verzahnt und agieren häufig „konzertiert”. Neben seiner Rolle bei der Steuerung motorischer Prozesse, der die Projektionen in die Basalganglien entsprechen, entsendet das dopaminerge Mittelhirn, v.a. die Ventrale Tegmentale Area (VTA), auch Projektionen in den präfrontalen Kortex, die kognitive Funktionen beeinflussen, und die etwa bei der Schizophrenie oder bei Suchterkrankungen verändert sind.
Zwischen LC und VTA besteht eine enge reziproke Regulation; beide antworten auf ähnliche Stimuli und haben ähnliche Effekte auf die jeweiligen Zielzellen (Sara, 2009; Benarroch, 2009). Beispielsweise hat Dopamin im PFC einen ähnlichen Effekt auf das Arbeitsgedächtnis wie Noradrenalin (vgl. Abschn. 1.2.1) - ein mittlerer DA-Spiegel sorgt für eine gesteigerte „working memory performance”, während zu hohe und zu niedrige Spiegel der Funktion abträglich sind. Auch im Hippocampus bestehen funktionelle Über- lappungen von NA- und DA-Wirkung bei der Steuerung von LTP (Yang et al., 2002). Aufgrund der engen strukturellen Verwandtschaft der beiden Katecholamine - nur eine OH-Gruppe macht den Unterschied; s. Abschn. 1.1.2.1 - können sie auch jeweils durch Terminalen des anderen Systems aufgenommen und auch wieder freigesetzt werden (Gu et al., 1994; Pozzi et al., 1994; Yamamoto & Novotney, 1998; Morón et al., 2002). Auch für die jeweiligen Rezeptoren - adrenerge und dopaminerge Rezeptoren - wurden über- lappende Rezeptoraffinitäten für NA und DA zumindest in vitro nachgewiesen (Zhang et al., 2004; Wedemeyer et al., 2007).
Angesichts des engen Zusammenspiels noradrenerger und dopaminerger Efferenzen und in manchen Gebieten verhältnismäßig spärlicher dopaminerger Innervation ist die Hypothese aufgestellt worden, der Locus coeruleus setze neben Noradrenalin, quasi als „Co-Transmitter”, auch Dopamin frei, etwa im PFC (Devoto & Flore, 2006; Devoto et al., 2008) oder im Hippocampus (Smith & Greene, 2012), wo für NA und DA, ähnlich wie im PFC, synergistische Effekte nachgewiesen wurden (Guiard et al., 2008). Dem liegt der Gedanke zugrunde, dass das DA, das in noradrenergen Neuronen in Vesikel verpackt und dort durch die DBH zu NA umgewandelt wird, wegen Sättigung der DBH nicht komplett konvertiert wird, und so die noradrenergen LC-Terminalen auch DA frei- setzen. Die Ergebnisse der Tracing-Studien der vorliegenden Arbeit stützen die These des Co-Release von DA aus noradrenergen Zellen insofern, als dass, besonders für den Hippocampus, eine starke Differenz zwischen noradrenerger (LC-) und dopaminerger (VTA-) Innervation sowohl des ventralen als auch des dorsalen Hippocampus nachge- wiesen werden konnte (s. Abschn. 3.1.3), also ein Kontrast besteht zwischen der äußerst spärlichen dopaminergen Innervation des Hippocampus und der nachgewiesenen hohen funktionellen Relevanz von hippocampalem DA (Lisman & Grace, 2005; O’Carroll et al., 2006; Rossato et al., 2009; Bethus et al., 2010).
1.2.3 Pathophysiologie des Locus coeruleus
Veränderungen des Locus coeruleus finden sich bei verschiedenen neurologischen und psychiatrischen Krankheitsbildern.
Eine ausgeprägte Degeneration erfährt der LC etwa bei der Alzheimer’schen Erkrankung; ein Zellverlust von bis zu 80% ist beschrieben (Bondareff et al., 1982; Zarow et al., 2003). Pathophysiologisch wird u.a. ein Einfluss des LC auf mikrogliale ClearanceFunktionen und mikrovaskuläre Prozesse diskutiert (Haglund et al., 2006; Heneka et al., 2010), auch wenn die genaue kausale Einbettung der coerulären Degeneration in den Kontext der ganzen Erkrankung noch unklar ist (Benarroch, 2009).
Ähnliches gilt für den Morbus Parkinson, auch hier kommt es zu einer markanten Degeneration des LC. Diese ist quantitativ sogar bedeutender als die Degeneration der - bei Parkinson symptomatisch und therapeutisch primär im Fokus stehenden - dopami- nergen Neurone im Mittelhirn (Substantia nigra pars compacta), und geht dieser zeitlich voraus (Zarow et al., 2003; Benarroch, 2009). Dem LC wird weiterhin eine kompensato- rische Rolle bei der Parkinson-Erkrankung zugeschrieben, da er einen neuroprotektiven Einfluss auf die Substantia nigra nimmt - eine coeruläre Degeneration würde so einen Untergang dopaminerger Neurone im Mittelhirn begünstigen (Rommelfanger & Weins- henker, 2007; Berglöf & Strömberg, 2009).
Auch beim Down-Syndrom (Trisomie 21) steht eine deutliche Beteiligung des Locus coeruleus im Raum (Lockrow et al., 2011).
Im Rahmen seiner Rolle bei der Steuerung von Aufmerksamkeit, arousal und Stress ist eine Funktionsstörung des LC mit entsprechenden psychiatrischen Krankheitsbildern assoziiert. Eine Beteiligung wird u.a. vermutet bei Angsterkrankungen und affektiven Störungen, beim Aufmerksamkeits-Defizit-Hyperaktivitätssyndrom (ADHS) und bei Stress-induzierten Erkrankungen wie der posttraumatischen Belastungsstörung (PTSD) (Berridge & Waterhouse, 2003; Bracha et al., 2005).
1.3 Elektrophysiologie des Locus coeruleus
Im Zentrum der vorliegenden Arbeit stehen elektrophysiologische Analysen einzelner Neurone des Locus coeruleus.
Vorbeschrieben ist eine große Homogenität der grundlegenden elektrophysiologischen Parameter coerulärer Neurone in vitro (Williams et al., 1984; Berridge & Waterhouse, 2003; de Oliveira et al., 2010), die jedoch bislang nur vereinzelt nach Subpopulatio- nen bzw. Projektionsgebieten differenziert wurden. Die beschriebene Homogenität lässt ähnliche Kanalprozesse bei der Aktionspotentialgenerierung und -weiterleitung in den verschiedenen LC-Subpopulationen vermuten.
Die Zellen des Locus coeruleus sind spontan aktiv, mit einer Frequenz von 1-5 Hz, die zeitliche Breite eines Aktionspotential wurde mit 1-2 ms beschrieben, bei einem Schwellenpotential (threshold) von -55 mV (Williams et al., 1984). Die Spontanaktivität des LC gewährleistet eine tonische Noradrenalin-Ausschüttung und so einen basalen Tonus in den kortikalen und subkortikalen Zielregionen des LC.
Kanalphysiologisch liegt der Spontanaktivität die Balance von zumindest zwei Strömen zugrunde: einem permanenten Einwärts-Na+ -Strom und einem Ca2+-abhängigen K+-Strom. Der Ca2+-Influx erfolgt durch spannungsabhängige Ca2+-Kanäle, die etwa auf threshold-Level aktiv werden (Williams et al., 1984, 1991).
Für die vorliegende Arbeit sehr bedeutsam waren die α2 -Autorezeptoren, die im Locus coeruleus selbst exprimiert werden. Diese verhindern eine Übererregung des LC, indem sie für einen negativen Rückkopplungsmechanismus sorgen: Das Noradrenalin, das von der Zelle selbst und benachbarten Zellen ausgeschüttet wird, bindet an die Autorezeptoren, deren Aktivierung inhibitorisch auf die Zelle wirkt. Realisiert wird die Inhibition über die Aktivierung sog. GIRKs, G-Protein-gekoppelter K+-Kanäle, die für eine Hyperpolarisation, und damit eine verminderte Erregbarkeit, der Zellmembran sorgen (Arima et al., 1998; Lüscher & Slesinger, 2010); zudem ist auch die Inhibition von Ca2+-Kanälen an der Hyperpolarisation beteiligt (Chieng & Bekkers, 1999).
Neben der Homogenität der LC-Neurone in vitro ermöglicht eine ausgeprägte sog. elek- trotonische Kopplung der Neurone auch eine homogene Antwort des Locus coeruleus auf einen Stimulus in vivo: Über gap junctions ist ein rascher Austausch von elektrischen Ladungsträgern zwischen den Zellen möglich, und die Zellen können im Bedarfsfall auf afferenten Input - z.B. auf einen Stress vermittelnden Input - mit einem nahezu syn- chronen Feuerungsmuster antworten (Berridge & Waterhouse, 2003). Hierdurch wird die simultane Ausschüttung von Noradrenalin in verschiedenen Regionen des ZNS ermög- licht. Die elektrotonische Kopplung erlaubt beispielsweise auch den schnellen Wechsel von tonischem und phasischem Feuerungsmodus im kompletten LC (Aston-Jones et al., 1999). Dieser Wechsel ist funktionell bedeutsam für die „behavioral flexibility” des Or- ganismus: Ausgeprägte elektrotonische Koppelung erleichtert das Auftreten phasischer „Bursts”, die mit fokussierter Aufmerksamkeit des Organismus korreliert sind (Aston- Jones et al., 1999; Aston-Jones & Cohen, 2005; s.o.).
1.4 Zielsetzung der Arbeit
Das Locus coeruleus-noradrenerge System ist elektrophysiologisch bislang im Wesentli- chen in toto, ohne Klassifizierung eventueller Subpopulationen, beschrieben worden. Für das dopaminerge System hingegen, das funktionell eng mit dem noradrenergen ver- knüpft ist, konnten zwei Subtypen mit projektionsspezifisch unterschiedlichem elektro- physiologischen Phänotyp klassifiziert werden (Lammel et al., 2008, 2011; Roeper, 2013). Den langsam feuernden, „klassischen” dopaminergen meso-striatalen Neuronen stehen die in den PFC und Teile des Nucleus accumbens projizierenden, schnell feuernden do- paminergen Neurone entgegen. Innerhalb dieses dualen Systems sind die meso-corticalen Neurone insofern einzigartig, als dass sie keine funktionellen D2-Autorezeptoren besitzen (Lammel et al., 2008).
Im Rahmen der vorliegenden Arbeit sollte nun geprüft werden, inwiefern die beschriebene projektionsspezifische Diversität des dopaminergen Mittelhirns auch auf den Locus coeruleus - das andere große katecholaminerge System des Gehirns - zutrifft.
Hierzu wurden in einem ersten Schritt vier nach Zielregionen klassifizierte Subpopulationen von Nervenzellen im Locus coeruleus durch retrogrades Tracing in vivo topographisch erfasst: LC-Neurone projizierend in den PFC, den dorsalen Hippocampus, den ventralen Hippocampus und das Cerebellum.
Anschließend erfolgte mittels der Patch-Clamp-Technik im Hirnschnitt (in vitro) die selektive elektrophysiologische Grundcharakterisierung zweier Subpopulationen, derje- nigen der in den PFC und derjenigen der in den ventralen Hippocampus projizierenden LC-Neurone (coeruleo-präfrontale vs. coeruleo-hippocampale Projektion). Zwei Fragen waren dabei leitend: Erstens, bestehen Unterschiede hinsichtlich der grundlegenden elek- trophysiologischen Eigenschaften zwischen den beiden Populationen (etwa hinsichtlich Spontan- und Maximalfrequenz, oder in Bezug auf das einzelne Aktionspotential)? Zwei- tens, gibt es Hinweise auf eine differentielle Regulation des α2-Autorezeptors bei den beiden Populationen (analog zur funktionellen Abwesenheit von D2-Rezeptoren in meso- cortikalen dopaminergen Neuronen)?
Zur Beantwortung der ersten Frage erfolgte eine Grundcharakterisierung der Neurone der jeweiligen Subpopulation im current clamp -Modus, zur Beantwortung der zweiten Frage wurden, ebenfalls im current clamp, Messungen mit dem α2-Blocker Yohimbin vorgenommen und mit den vorher erhobenen Daten kontrastiert.
2 Material und Methoden
2.1 Material
2.1.1 Versuchstiere
Die Experimente wurden an männlichen, adulten Mäusen des Stamms C57BL/6 (Charles River Laboratories, Sulzfeld) durchgeführt. Die Tiere waren zum Zeitpunkt des Versuchsbeginns 12-13 Wochen alt und 24-26 g schwer. Sie wurden präoperativ im Tierraum des Instituts in einem ventilierten Schrank (ScantainerClassic, Scanbur BK A/S, Karlslunde, Dänemark) in Gruppen von bis zu fünf Tieren gehalten und mindestens einmal pro Woche in saubere Käfige umgesetzt. Postoperativ erfolgte die Unterbringung in Einzelkäfigen. Futter (Standarddiät (Ssniff, Soest)) und Wasser stand den Tieren ad libitum zur Verfügung. Bei einer Temperatur von 25 ◦ C und etwa 50% relativer Luftfeuchte wurden sie in einem zwölf Stunden Hell-Dunkel-Zyklus gehalten.
2.1.2 Chemikalien und Geräte
Die verwendeten Chemikalien und Geräte sind jeweils bei Beschreibung der einzelnen Methoden genannt. Sofern nicht anders angegeben, wurden Chemikalien von Sigma Aldrich (München) bezogen. Standardgeräte sowie Einweg- und Verbrauchsmaterialien werden nicht gesondert aufgeführt.
2.1.3 Lösungen
2.1.3.1 Lösungen der Histologie
1. PBS:
150 mM NaCl
5 mM KCl
200 mM NaH2PO4
200 mM Na2HPO4
in Reinstwasser
pH 7,4 (eingestellt mit 0,1 M HCl)
2. Blocklösung:
10% Pferde-Serum (Vector Laboratories, Burlingame, USA)
0,2% BSA (Roth, Karlsruhe, D)
0,5% Triton X-100
in PBS
3. Carrierlösung:
1% Pferde-Serum
0,2% BSA
0,5% Triton X-100
in PBS
4. Aufbewahrungslösung:
10% Saccharose
0,05% NaN3
in 0,1 M PBS
5. Fixierungslösung:
4% Paraformaldehyd
15% Pikrinsäure
in 0,1 M PBS
pH 7,4
6. Kupfersulfat-Lösung:
1 mM CuSo4
in 0,01 M Ammonium-Acetat-Puffer
pH 5,0
2.1.3.2 Lösungen der Elektrophysiologie
1. Reinstwasser:
Millipore S.A.S, Molsheim, Frankreich
2. ACSF-Perfusionslösung:
125 mM NaCl
2,5 mM KCl
25 mM NaHCO3
1,25 mM NaH2PO4
0,1 mM CaCl2
6,174 mM MgCl2
2,5 mM Glucose
50 mM Saccharose
2,96 mM Kynurensäure
in Reinstwasser
pH 7,4 mit 95% O2/ 5% CO2
500 ml für 1h bei -80 ◦ C
3. ACSF-Badlösung:
125 mM NaCl
2,5 mM KCl
25 mM NaHCO3
1,25 mM NaH2PO4
2 mM CaCl2
1 mM MgCl2
2,5 mM Glucose
22,5 mM Saccharose
in Reinstwasser
pH 7,4 mit 95% O2/ 5% CO2
4. Pipettenlösung:
140 mM KCl
10 mM HEPES
0,1 mM EGTA
2 mM MgCl2
0,1% Neurobiotin
in Reinstwasser
2.1.4 Antikörper und Nissl-Farbstoffe
2.1.4.1 Primäre Antikörper
Im Rahmen der Neu-Etablierung eines Antikörpers gegen das Noradrenalin synthetisie- rende Enzym, die Dopamin-β-Hydroxylase (DBH), wurden in dieser Arbeit verschiedene primäre Antikörper auf die Anfärbung des Locus coeruleus in Hirnschnitten von C57bl/6 Mäusen hin getestet. Es erfolgte jeweils auch eine Kontrollfärbung der dopaminergen Re- gionen des Mittelhirns, um eine noradrenalin-unselektive Anfärbung katecholaminerger Neurone auszuschließen.
Folgende vier anti-DBH-Antikörper wurden getestet (der mit dem Stern markierte Antikörper ist der schlussendlich verwendete):
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Zwei der getesteten anti-DBH-Antikörper, Millipore rabbit anti-DBH c-terminal und Abcam sheep anti-DBH „ab19353”, zeigten in Verdünnungen zwischen 1:250 und 1:1000 keinerlei Signal im Locus coeruleus. Als Zweitantikörper wurden Alexa Fluor ®488 goat anti-rabbit bzw. Alexa Fluor ®647 goat anti-sheep in 1:750 Verdünnung verwendet, die konjugiert mit anderen Erstantikörpern einwandfreie Ergebnisse liefern. Die anti-DBH- Antikörper Millipore rabbit anti-DBH c-terminal und Abcam sheep anti-DBH „ab19353” wurden daraufhin verworfen.
Die beiden anderen getesteten anti-DBH-Antikörper, Millipore rabbit anti-DBH n- terminal und Abcam rabbit anti-DBH „ab43868”, zeigten in Verdünnungen von 1:500 bzw. 1:750 eine deutliche Anfärbung der Zellkörper im Locus coeruleus (Abb. 2.1 bzw. Abb. 2.2), die der Anfärbung durch die TH-Färbung entsprach. Der Antikörper Millipore rabbit anti-DBH n-terminal zeigte zusätzlich, wenn auch schwächer, eine Signalanhebung bei lateral des Locus coeruleus gelegenen, nicht-noradrenergen Neuronen (Pfeil), mithin eine unspezifische Anfärbung. Aus diesem Grund wurde der Antikörper Millipore rabbit anti-DBH n-terminal ebenfalls für die weiteren Experimente verworfen. Verwendet wurde ausschließlich Abcam rabbit anti-DBH „ab43868”.
Die dopaminergen Regionen des Mittelhirns, Substantia nigra und VTA, zeigten kei- ne Signalanhebung. Die Tests erfolgten mit verschieden fluoreszierenden Zweitantikör- pern, die alle dasselbe Ergebnis zeigten: Alexa Fluor ®488 goat anti-rabbit (grün), Alexa Fluor ®568 goat anti-rabbit (rot), Alexa Fluor ®647 goat anti-rabbit (blau dargestellt).
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 2.1: rechter Locus coeruleus, DBH-Färbung mit Abcam rabbit anti-DBH „ab43868”
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 2.2: rechter Locus coeruleus, DBH-Färbung mit Millipore rabbit anti-DBH n-terminal; unspezifische Färbung mit Pfeil markiert
Ein definitiver Test der Spezifität der verwendeten Antikörper erfolgte anhand von DBH-knockout-Gewebe (zur Verfügung gestellt von D. Weinshenker, Emory University, Atlanta, USA). Der Locus coeruleus zeigte in der DBH-Färbung mit Abcam rabbit antiDBH „ab43868” keine Anfärbung (Abb. 2.3).
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 2.3: DBH-Färbung des Locus coeruleus (Abcam rabbit anti-DBH „ab43868”) im Wildtyp (links) und DBH-knock-out (rechts)
Für die TH-Färbung wurde folgender Primärantikörper verwendet:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
2.1.4.2 Sekundäre Antikörper
Folgende Sekundärantikörper wurden verwendet:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
2.1.4.3 Nissl-Farbstoffe
Für die Nissl-Färbungen der Injektionsstellen wurden folgende Farbstoffe verwendet:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
2.1.4.4 Behandlung der Autofluoreszenz mit Kupfersulfat
Aufgrund färbungsunabhängiger, in allen Kanälen sichtbarer, granulärer Signale in verschiedenen Kerngebieten, die als Autofluoreszenz des Gewebes identifiziert werden konnten, wurde ein Protokoll zur Löschung der Autofluoreszenz mit Kupfersulfatlösung etabliert (vgl. Zhang et al., 2010). Nach 15-minütiger Inkubation waren die beschriebenen Signale nicht mehr zu sehen (Abb. 2.4).
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 2.4: Autofluoreszenz im Locus coeruleus, ohne (links) und mit (rechts) Kupfersulfat-Bleeching. Konkordante Autofluoreszenz-Signale im (ungefärbten) roten und grünen Kanal, TH-Färbung im blau dargestellten Kanal. Die 15-minütige Behandlung mit Kupfersulfat sorgt für eine vollständige Extinktion der Autofluoreszenz.
2.2 Methoden
2.2.1 Retrogrades Tracing & Mapping
Tracing-Experimente erlauben die präzise anatomische Identifizierung von Faserverbin- dungen innerhalb des Nervensystems. Grundlage stellt der aktive Transport von Mole- külen entlang des Axons der Nervenzelle dar, der sowohl in anterograder - vom Soma weg, zu den Synapsen hin -, als auch in retrograder - von den Synapsen weg, zum So- ma hin - Richtung stattfindet. Vermittelt wird er, im anterograden Fall, durch Proteine der Kinesin-Familie bzw., im retrograden Fall, durch Proteine der Dynein-Familie, die sich jeweils in ATP verbrauchenden Prozessen entlang der Zytoskelettstruktur - den Mi- krotubuli - bewegen können und dabei andere Moleküle als „Fracht” mittransportieren können. Dies macht man sich beim Tracing zu Nutze. Zu unterscheiden sind, analog den Transportformen, anterogrades und retrogrades Tracing. Bei dem in der vorliegenden Ar- beit ausschließlich angewandten retrograden Tracing wird die Tracersubstanz in eine von vielen Axonterminalen innervierte Region injiziert, anschließend Endozytose-vermittelt von den dortigen Synapsen aufgenommen, und schließlich über die beschriebenen zellei- genen Mechanismen retrograd zum Soma transportiert. Hierbei können Geschwindigkei- ten bis zu 2 cm/d erreicht werden (Köbbert et al., 2000). In nachfolgenden histologischen Analysen kann die Tracersubstanz dann im Soma sichtbar gemacht werden; es ist somit eine genaue Identifikation derjenigen Neurone möglich, die in die entsprechende termi- nale Region der Tracer-Injektion axonal projizieren („Mapping”).
2.2.1.1 Verwendete Tracersubstanz
In der vorliegenden Arbeit wurden als retrograde Tracersubstanz ausschließlich fluoreszierende Latexpartikel (sogenannte Beads) verwendet (Lumafluor corp., Naples, USA). Es handelt sich um Rhodamin-gefüllte Partikel mit einem Durchmesser von 0,02-0,2 μm, die in wässriger Lösung vorliegen. Es wurden Injektionsmengen zwischen 50 nl und 200 nl injiziert. Verwendet wurden primär grün fluoreszierende Latexbeads; im Rahmen von Doppeltracing-Studien war aber auch ein kombinierter Einsatz von grün und rot fluoreszierenden Beads möglich, sodass eventuelle Neurone identifiziert werden konnten, die Axonkollaterale in beide Injektionsgebiete entsenden.
Neben der hohen Effizienz der fluoreszierenden Beads (hohe Anzahl markierter Zellen) liegt ein weiterer Vorteil darin, dass diejenigen Beads, die nicht von Axonterminalen aufgenommen werden, gut abgrenzbar im Injektionsgebiet verbleiben. Es ist somit für jedes Tier möglich, eine exakte Rekonstruktion der Injektionsstelle vorzunehmen und etwaiges unselektives Tracing auszuschließen (s. Abschn. 2.2.1.7).
2.2.1.2 Ablauf des Tracing-Eingriffs
Die Applikation der Tracersubstanz erfolgte unter stereotaktischer Kontrolle am anäs- thesierten Tier. Eine perioperative Schmerzprophylaxe (beginnend ein Tag präoperativ, endend am ersten Folgetag des Eingriffs) mit Paracetamol (Ben-u-ron ®-Saft, bene Arz- neimittel GmbH, München, 800 μl auf 200 ml Trinkwasser) wurde standardmäßig vorge- nommen. Die Tiere wurden am Tag des Eingriffs gewogen, um eine dem Körpergewicht entsprechende Medikation zu gewährleisten. Die für die vorliegende Arbeit verwende- ten Tiere waren 24-26 g schwer. 20 Minuten vor Narkosebeginn erfolgte die intrape- ritoneale Applikation des Parasympatholytikums Atropin (0,1 mg/kg Körpergewicht; 50 μl einer 50 μg/ml Atropinsulfatlösung (Braun, Melsungen)), um einer Engstellung der Bronchiolen sowie einer Hypersalivation im Rahmen der Anästhesie vorzubeugen. Die Anästhesie der Versuchstiere erfolgte durch Inhalationsnarkose mit Isofluran. Die Tiere wurden zunächst in eine mit Isofluran (3,5%) geflutete Box gesetzt und nach ein- gesetzter Narkose am Kopf rasiert, desinfiziert (Braunol ®, Braun, Melsungen) und in eine stereotaktische Apparatur (David Kopf Instruments, Tujunga, USA) eingespannt. Zur Vermeidung von Unterkühlung wurden die Tiere auf einer beheizbaren Platte plat- ziert. Die Isoflurankonzentration wurde nach Einspannen auf ca. 1,5-2% reduziert. Die Anpassung der Narkosetiefe erfolgte unter stetiger Kontrolle des Vitalparameters der Atemfrequenz. Nach topischer Applikation von Lidocain-Crème (Emla ®-Crème, Astra- Zeneca GmbH, Wedel) und Augensalbe (Vidisic ®, Bausch & Lomb GmbH, Berlin) sowie subkutaner Applikation von 500 μl 5%-Glucose-Lösung (Braun, Melsungen) wurden mit einem kurzen rostro-caudalen Schnitt die Schädelnähte Bregma und Lambda freigelegt und anschließend der Schädel in medial-lateral- sowie rostro-caudaler Ebene justiert. Ausgehend von Bregma (Kreuzungspunkt von Sagittal- und Koronarnaht) wurde an den vorher bestimmten stereotaktischen Koordinaten der jeweiligen Injektionsregion (s. Abschnitt 2.2.1.3) ein 600 μm Durchmesser messendes Loch durch die Schädeldecke gebohrt (Bohrer: Twister ® Miniature Drill, EDP 32157, # 75, M.A. Ford, Derby, Eng- land). Die Schädeldecke wurde mit 400 μm über präfrontalem Cortex sowie dorsalem und ventralem Hippocampus und mit 550 μm über dem Cerebellum bestimmt. Eventuelle Blutungen durch die Bohrung wurden mit chirurgischen Pfeiltupfern (# 501789, WPI, Sarasota, USA) gestillt. Anschließend erfolgte die Injektion der Latexbeads mit einer automatischen Spritze (Spritze: 10 μl NanoFil Syringe, WPI Instruments, Berlin; Pum- pe: Micro 4 ® MicroSyringe Pump Controller, WPI Instruments, Berlin). Die Funktion der Spritze wurde jeweils vor und nach Absenkung in das jeweilige Injektionsareal über- prüft. Nach abgeschlossener Injektion und fünfminütiger Wartezeit wurden die Spritze wieder herausgefahren, die Wunde mit Ringer-Lösung gespült (Braun, Melsungen) und der Hautschnitt per Naht verschlossen (Ethicon Nahtmaterial, Ethilon II, EH 7930H 5-0, 45 cm, Ethicon, Norderstedt, D). Die Tiere wurden anschließend auf einem Heizkissen (Heat solution ®, Prism Enterprises, USA) wieder in den Käfig gesetzt; die postoperative Erholung erfolgte in aller Regel innerhalb weniger Stunden.
2.2.1.3 Injektionsareale und Koordinaten
In der vorliegenden Arbeit wurden die folgenden Hirnareale durch retrogrades Tracing markiert: Präfrontaler Cortex, dorsaler Hippocampus, ventraler Hippocampus, Cere- bellum. Die stereotaktischen Koordinaten der Hirnareale wurden hierbei mit Hilfe des Hirnatlas der Maus von Franklin und Paxinos (Franklin & Paxinos, 2007) ermittelt. Aus- gehend vom Referenzpunkt Bregma werden sie in medio-lateraler (x-Koordinate) und rostro-caudaler (y-Koordinate) Richtung sowie ausgehend von der Hirnoberfläche in die Tiefe als z-Koordinate angegeben. Die Injektion wurde stets auf der rechten Seite vorge- nommen (positive x-Koordinate). Für die caudal von Bregma gelegenen Injektionsstellen (dorsaler Hippocampus, ventraler Hippocampus, Cerebellum) wurde die y-Koordinate zusätzlich an die von Tier zu Tier leicht unterschiedliche Bregma-Lambda-Distanz (BL) angepasst (vgl. Schiemann, 2005). Der Quotient aus tatsächlicher BL und „idealer” BL von 4,2 mm wurde mit der anhand des Atlas festgelegten y-Koordinate multipliziert, anschließend wurde eine von Injektionsgebiet zu Injektionsgebiet variierende und jeweils experimentell festgelegte Konstante (0,25 mm für dorsalen und ventralen Hippocampus, 0,2 mm für das Cerebellum) addiert.
Die Menge an injizierten Beads betrug für dorsalen und ventralen Hippocampus je 60 nl, für das Cerebellum 50 nl. Im Fall des präfrontalen Cortex wurden - aufgrund der spärlicheren katecholaminergen Innervation - jeweils zwei mal zwei Injektionen à 50 nl vorgenommen, d.h. insgesamt 200 nl injiziert. Die Injektionen erfolgten jeweils in zwei Tiefen (Koordinaten s.u.), einmal am rostralen Rand des Bohrlochs und einmal 100 μm weiter caudal. Folgende Koordinaten, in mm, wurden verwendet:
1. Präfrontaler Cortex:
x = 0,27
y = 2,20
z = -2,10 und -1,60
2. Dorsaler Hippocampus:
x = 1,25
y = -2,06
z = -1,50
Der reell verwendete y-Wert lag bei -2,06 x BL/4,2 + 0,25
3. Ventraler Hippocampus:
x = 2,90
y = -3,08
z = -4,00
Der reell verwendete y-Wert lag bei -3,08 x BL/4,2 + 0,25
4. Cerebellum:
x = 1,50
y = -6,30
z = -0,90
Der reell verwendete y-Wert lag bei -6,3 x BL/4,2 + 0,2
2.2.1.4 Gewebsfixierung durch intrakardiale Perfusion mit Paraformaldehyd
Nach einer Latenzzeit von rund 3 Wochen, in denen die Beads an den Axonterminalen aufgenommen und retrograd zum Zellsoma im Locus coeruleus transportiert wurden, erfolgte die Tötung der Tiere zur histologischen Aufarbeitung.
Nach terminaler Narkotisierung des Tiers durch intraperitoneale Applikation von 100 μl Natrium-Pentobarbital (Eutha ®77, Essex Tierarznei, München, D) und Ausschluss noch vorhandener Schmerzreflexe wurden das Mediastinum frei präpariert und nach Abklemmung der Aorta descendens zunächst 50 μl Heparin-Lösung (Heparin-Natrium- 25000, ratiopharm ®, Ratiopharm, Ulm) zur Vermeidung thrombembolischer Ereignis- se kardial linksventrikulär injiziert. Anschließend erfolgte für sechs Minuten die links- ventrikuläre Perfusion mit paraformaldehyd-haltiger, 4 ◦ C kalter Fixierungslösung. Die Perfusion erfolgte unter gleichmäßigem Druck (45 bis 60 ml/min) mit einer über eine Saugflasche verbundenen Schlauchpumpe (Abimed Gilson ®Minipuls 3, Langenfeld). Die Fixierung mit Formaldehyd sorgt durch Quervernetzung der Proteine für eine soforti- ge Unterbrechung der Stoffwechselprozesse und eine Konservierung des Gehirns durch Verhinderung postmortaler Zerfallsprozesse. So kann der augenblickliche Zustand des Gehirns erhalten werden. Anschließend wurde das Gehirn herauspräpariert und über Nacht bei 4 ◦ C in Fixierungslösung gelagert. Am nächsten Tag erfolgte der Wechsel in Aufbewahrungslösung.
2.2.1.5 Anfertigung der Hirnschnitte
Nach Abtrennung der caudal des Locus coeruleus und der rostral des Mittelhirns gelegenen Hirnabschnitte durch koronare Schnitte mittels einer Rasierklinge wurde das Gehirn mit Sekundenkleber auf einer Objektträgerplatte fixiert. Anschließend wurden mit einem Vibratom (VT1000S, Leica, Wetzlar) von dorsaler in ventraler Richtung 60 μm dicke koronare Hirnschnitte von Pons und Mesencephalon angefertigt. Diese wurden in Gläschen mit PBS gesammelt.
2.2.1.6 Histologische Aufarbeitung der Schnitte von Pons und Mittelhirn
Nach gründlichem mehrmaligen Auswaschen (4 x 10 Minuten mit PBS) der Fixierungs- lösung wurden die Schnitte für 60 Minuten bei Raumtemperatur mit Blocklösung inku- biert. Diese verhindert ein späteres unspezifisches Binden der Antikörper. Anschließend erfolgte, nach einem weiteren Waschschritt, die Applikation der Primärantikörper (anti- DBH und anti-TH). Diese wurden in der jeweils oben angegebenen Konzentration in Carrierlösung gelöst. Die Inkubation der Hirnschnitte mit den Primärantikörpern in Car- rierlösung erfolgte bei Raumtemperatur und über Nacht. Am nächsten Tag wurden nach nochmaligem Auswaschen (4 x 10 Minuten mit PBS) die Sekundärantikörper appliziert. Wiederum wurden sie in der oben jeweils angegebenen Konzentration in Carrierlösung gelöst. Die Inkubation erfolgte bei Raumtemperatur und über Nacht. Am nächsten Tag erfolgte nach nochmaligem Auswaschen (4 x 10 Minuten mit PBS) für 15 Minuten die Behandlung der Schnitte mit Kupfersulfat-Lösung zur Ausschaltung der Autofluores- zenz (vgl. Abb. 2.4). Nach Auswaschen der Kupfersulfat-Lösung (2 x 10 Minuten mit PBS) wurden die Hirnschnitte auf Objektträger aufgezogen. Die getrockneten Schnitte wurden auf dem Objektträger eingedeckelt (VectaShield ®, Vector Laboratories, Bur- lingame, USA) und mit Nagellack versiegelt. Die Präparate wurden bis zur zeitnahen Auswertung bei 4 ◦ C gelagert.
Im Rahmen des Mappings wurden für einfarbiges Tracing grüne Beads verwendet, die bei der konfokalen Mikroskopie auf einer Wellenlänge von 488 nm angeregt wur- den. Der verwendete anti-DBH-Primärantikörper (Abcam rabbit anti-DBH, „ab43868”) wurde mit einem im roten Wellenlängenbereich fluoreszierenden Zweitantikörper (Alexa Fluor ®goat anti-rabbit 568) gekoppelt. Auf den in den Abbildungen blau dargestell- ten Kanal (Wellenlänge 647 nm) wurde die TH-Färbung gelegt; der Primärantikörper (Millipore mouse anti-TH) wurde mit einem Alexa Fluor ®goat anti-mouse 647 Zwei- tantikörper gekoppelt. Für das zweifarbige Tracing (rote und grüne Beads) im Rahmen der Doppeltracing-Studien wurde die DBH-Färbung im blauen Kanal (Zweitantikörper Alexa Fluor ®goat anti-rabbit 647) und die TH-Färbung im weißen Kanal (Zweitantikörper Alexa Fluor ®goat anti-mouse 405) dargestellt.
2.2.1.7 Histologische Aufarbeitung der Injektionsstellen durch Nissl-Färbung
Zusätzlich zur Aufarbeitung von Pons und Mittelhirn zur Darstellung der gelabelten Nervenzellsomata erfolgte die genaue histologische Rekonstruktion der Injektionsstelle zum Nachweis der Selektivität des Tracing-Eingriffs. Zur Hintergrund-Darstellung wurde eine Nissl-Färbung vorgenommen, die durch Bindung an basophile Zellstrukturen wie DNA und RNA für eine unspezifische Anfärbung der Zellkörper sorgt. Zunächst wurden vom Gebiet der Injektionsstelle, soweit dies möglich war, 100 μm dicke Schnitte ange- fertigt, analog zu dem unter Abschnitt 2.2.1.5 beschriebenen Procedere. Für die Injekti- onsareale Cerebellum und ventraler Hippocampus war ein Schneiden in 100 μm dicken Schnitten nicht möglich, da - auf coronaren Schnitten - das Cerebellum in unmittelba- rer Nachbarschaft des Locus coeruleus bzw. der ventrale Hippocampus in unmittelbarer Nachbarschaft des dopaminergen Mittelhirns liegt. Die beiden Areale wurden somit beim Schneiden von Pons und Mittelhirn in 60 μm dicken Schnitten gleich mit geschnitten. Nach dem Schneiden der Hirnschnitte der Injektionsstelle und 40-minütigem Waschen in PBS erfolgte für 20 Minuten die Inkubation mit dem 1:100 in PBS verdünnten Nissl- Farbstoff. Für das einfarbige (grün fluoreszierende) Tracing im Rahmen des Mappings und der Patch-Clamp-Experimente wurde ein rot fluoreszierender Nissl-Farbstoff verwen- det (NeuroTrace ®530/615 red fluorescent Nissl stain, Molecular Probes ®, Invitrogen, Eugene, USA). Im Falle durch zweifarbiges Tracing (rote und grüne Beads) behandelter Tiere wurde ein grün fluoreszierender Nissl-Farbstoff verwendet (NeuroTrace ®500/525 green fluorescent Nissl stain, Molecular Probes ®, Invitrogen, Eugene, USA), da mit diesem die Beads beider Farben gut sichtbar sind. Die gefärbten Schnitte wurden an- schließend für mindestens zwei Stunden erneut in PBS gewaschen und dann ebenfalls auf Objektträgern eingedeckelt (VectaShield ®, Vector Laboratories, Burlingame, USA), mit Nagellack versiegelt und bis zur zeitnahen Auswertung bei 4 ◦ C gelagert. Die Se- lektivität der Tracing-Experimente wurde am Fluoreszenzmikroskop (BX 61, Olympus, Hamburg) überprüft und mithilfe der Neurolucida ®Software dokumentiert (Version 6.0, MFB Bioscience, Magdeburg).
2.2.1.8 Konfokale Mikroskopie und topographische Kartierung
Die Analyse der Immunfluoreszenzfärbungen der Mittelhirn- und Locus-coeruleus-Schnit- te erfolgte durch ein konfokales Laser Scanning Mikroskop (Zeiss LSM 510). Die konfoka- le Mikroskopie ermöglicht eine selektive Darstellung der einzelnen Ebenen des Präparats. Durch die Verwendung mehrerer monochromatischer Laser, die das Präparat nacheinan- der mit je unterschiedlicher Wellenlänge in der festgelegten Ebene anregen und scannen, können Kolokalisationsstudien durchgeführt werden. Die Bilder werden von einer Soft- ware jeweils einzeln und als Überlagerungsbild wiedergegeben, und es ist erkennbar, dass z.B. eine mit grünen Beads markierte Zelle im roten Kanal DBH-positiv ist. Bei Verwen- dung eines normalen Lichtmikroskops könnte nicht vollständig ausgeschlossen werden, dass z.B. eine mit Beads markierte, DBH-negative Zelle zufällig genau über einer DBH- positiven Zelle liegt und dadurch fälschlich DBH-positiv scheint.
Für das „Mapping”, d.h. die topographische Kartierung der vier untersuchen efferenten Bahnen des Locus coeruleus (projizierend in den PFC, den dorsalen und ventralen Hippocampus sowie in das Kleinhirn), wurde der LC entlang der dorso-ventralen Achse in fünf gleich breite Schichten unterteilt, und die Anzahl an mit Beads markierten („gelabelten”), d.h. ins jeweilige Injektionsgebiet projizierenden, Zellen insgesamt und in jeder Schicht analysiert. Abb. 2.5 zeigt die Aufteilung des LC im coronaren Schnitt in fünf Schichten von dorsal (Schicht 1) nach ventral (Schicht 5).
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 2.5: Schema der Schichtenanalyse. Coronarer Schnitt durch den Pons auf Höhe des LC. Aufteilung des rechten LC in fünf Schichten (rot). Schicht 1 = dorsalste Schicht, Schicht 5 = ventralste Schicht. Rostro-caudale Lokalisation: Bregma -5,4 mm.
2.2.2 Elektrophysiologische Methoden
Mit der sog. Patch-Clamp-Technik wurden elektrophysiologische Analysen einzelner Nervenzellen im Locus coeruleus durchgeführt. In Kombination mit vorangehenden TracingExperimenten konnten einzelne Subpopulationen je nach Projektionsareal identifiziert und selektiv „gepatcht”, d.h. elektrophysiologisch untersucht werden.
2.2.2.1 Gewinnung akuter Hirnschnitte von adulten Mäusen
Für die Gewinnung der akuten Hirnschnitte wurden die Tiere zunächst durch intraperi- toneale Injektion von 100 μl einer unverdünnten 1:1-Mischung aus Ketamin und Medeto- midin terminal anästhesiert (Ketavet ® und Dormitor ®, Pfizer GmbH, Berlin). Im are- flexiven Stadium erfolgten anschließend nach Freilegung des Mediastinums und intrakar- dialer Injektion von 50 μl Heparin-Lösung (Heparin-Natrium-25000, ratiopharm ®, Ra- tiopharm, Ulm) die intrakardiale Perfusion mit eiskalter, zuvor ca. eine Stunde auf -80 ◦ C gekühlter ACSF-Lösung mit Hilfe einer Schlauchpumpe (Ismatech, Zürich, Schweiz) und die Herauspräparation des Gehirns. Die die Injektionsareale des retrograden Tracings enthaltenden Hirnareale wurden anschließend zunächst abgetrennt und in Paraformal- dehydlösung fixiert. Der den Locus coeruleus enthaltende Abschnitt wurde auf einer Objektträgerplatte fixiert, mit Hilfe eines Vibratoms (VT1200S, Leica, Wetzlar) wurden 220 μm dicke Schnitte angefertigt. Die Hirnschnitte wurden anschließend sofort in ein Becherglas mit ACSF-Lösung überführt und dort für 90 Minuten bei 37 ◦ C in mit Carbo- gen (95% O2/ 5% CO2) begaster ACSF-Badlösung und im Folgenden bis zu Messbeginn bei Raumtemperatur inkubiert.
2.2.2.2 Die Patch-Clamp-Technik
Die von Erwin Neher und Bert Sakmann in den siebziger Jahren in Göttingen entwickelte Patch-Clamp-Methode - zu deutsch etwa „Membranfleck-Klemme” - erlaubt es, Ströme über Zell-Membranen mit einer sehr hohen Signalauflösung zu erfassen. Hierzu wird eine stumpfe Glaspipette, in der sich eine leitende Flüssigkeit und eine Messelektrode befinden, unter mikroskopischer Kontrolle an eine Zelle im Hirnschnitt herangeführt. Durch leichtes Ansaugen kann es gelingen, einen überaus dichten Kontakt zwischen Pipette und Zellmembran herzustellen, der Widerstände im Bereich eines Giga-Ohms (109 Ω) und mehr aufweist - der sog. Gigaseal. Die hohe Abdichtung kann wirkungsvoll Leckströme und damit das elektrische Hintergrundrauschen reduzieren, wodurch die beschriebene hohe Signalauflösung - im pA-Bereich - möglich wird.
2.2.2.2.1 Konfigurationen der Patch-Clamp-Technik
Abbildung 2.6 zeigt mögliche Konfigurationen der Patch-Clamp-Technik. Es existieren vier Grundkonfigurationen mit jeweils unterschiedlichen Möglichkeiten zur Messung der Elektrophysiologie der Zelle.
Abbildung 2.6: Die unterschiedlichen Konfigurationen der Patch-Clamp-Technik (Abbil- dung aus: Hille, 2001).
Ausgangspunkt ist die cell-attached -Konfiguration (A), auch on-cell -Konfigura- tion genannt, die man wie beschrieben durch Aufsetzen der Pipette auf die Zelle und leichtes Ansaugen erreicht. Die cell-attached -Konfiguration erlaubt ein „Beobachten” der Zelle in ihrem unveränderten physiologischen Milieu: Es besteht kein Kontakt zwischen dem Zellinneren und dem Inneren der Pipette, sodass intrazelluläre Proteine oder zweite Botenstoffe nicht „ausgewaschen” werden. Der cell-attached -Modus erfasst ausschließlich Ströme, die das kleine Membranstück unter der Pipette passieren.
Ausgehend von der cell-attached -Konfiguration kann durch einen kurzen Saugimpuls die Zelle geöffnet und damit die whole-cell -Konfiguration (B) erreicht werden. Das Zellinnere steht hierbei in Kontakt mit der Pipettenflüssigkeit, sodass es bei zunehmen- der Messdauer zu einer Vermischung (d.h. bei den gegebenen Mengenverhältnissen zu einem Austausch von Intrazellularflüssigkeit durch Pipettenlösung und damit zu einem Auswaschen kleinerer Proteine und Moleküle) kommt. Die Pipettenlösung sollte also möglichst der Intrazellularlösung entsprechen. Im whole-cell -Modus wird der Strom über die gesamte Zellmembran erfasst. Im current-clamp („Stromklemme”) kann eine Mani- pulation des Stromflusses über die Zellmembran erfolgen, und die elektrophysiologische Reaktion der Zelle untersucht werden. Der voltage-clamp („Spannungsklemme”) erlaubt, ebenfalls über eine Strominjektion, das Einstellen definierter Membranpotentiale und die Analyse der zellulären Stromantwort.
Bewegt man, ebenfalls ausgehend von der cell-attached -Konfiguration, die Pipette vorsichtig von der Zelle weg, so bleibt an der Pipettenspitze ein Membranfleck haften, wobei das Zellinnere nun nach außen zeigt - die sog. inside-out -Konfiguration (C). Diese erlaubt das isolierte Untersuchen kleinerer Membranflecken, bis hin zur Einzelkanalauflösung; verglichen mit der whole-cell -Konfiguration sind nur wenige Ionenkanäle in dem betreffenden Membranstück enthalten.
Gleiches gilt für die outside-out -Konfiguration (D), die ausgehend vom whole- cell -Modus durch vorsichtiges Zurückziehen der Pipette erreicht wird. Die ursprünglich zytosolische Seite des Membranflecks schließt sich zur Pipettenlösung hin. Die Verteilung von Innen und Außen bleibt somit gewahrt, und die outside-out -Konfiguration erlaubt - insbesondere, wenn der Zellkern mit herausgesogen wird, beim sog. Nucleated-outside- out - die Untersuchung einer nahezu idealtypisch kugelrunden Zelle unter Umgehung des Space-Clamp-Problems (hoher Spannungsabfall bei stark verzweigten Neuronen an den distalen Ausläufern der Fortsätze).
In der vorliegenden Arbeit wurden sämtliche Patch-Clamp-Messungen im whole-cell - Modus durchgeführt.
2.2.2.2.2 Selektives Patchen von Zellpopulationen nach Projektionsareal durch vorangehendes retrogrades Tracing
Das selektive Patchen von Subpopulationen des Locus coeruleus wurde möglich durch die vorangehende Injektion fluoreszierender Beads in die jeweilige Zielregion, die nach Injek- tion retrograd in die Somata der entsprechenden LC-Zellen transportiert wurden. In der vorliegenden Arbeit wurden die Population der in den PFC projizierenden LC-Neurone und die Population der in den ventralen Hippocampus projizierenden LC-Neurone un- tersucht (coeruleo-präfrontale bzw. coeruleo-hippocampale Zellen). Abb. 2.7 zeigt das Patchen einer mit Beads gefüllten Zelle und die nachfolgende histologische Analyse.
2.2.2.2.3 Aufbau des Patch-Clamp-Messstandes
Der Messstand für die elektrophysiologischen Patch-Clamp-Messungen (s. Abb. 2.8) bestand aus den nachfolgend aufgeführten Komponenten.
Zur elektrischen Abschirmung war der Messplatz von einem Faraday-Käfig umgeben. Die gesamte Apparatur stand auf einem schwingungsgedämpften Tisch (Newport GmbH, Darmstadt). Die Begutachtung des Hirnschnittpräparats erfolgte durch ein inverses Mi- kroskop (Axioskop 2 FS plus ®, Zeiss, Göttingen), das mit einem vierfach Objektiv (Achroplan 4x/ 0,10, Zeiss, Göttingen) und einem vierzigfach Wasserimmersionsobjek-
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 2.7: Links: Annäherung der Patch-Pipette an eine mit Beads gefüllte, „gela- belte” Zelle. Die Fluoreszenzanregung wurde immer nur kurz angeschal- tet, um ein Ausbleichen der Beads und etwaige phototoxische Reaktio- nen zu minimieren. (Abbildung aus: Liss et al., 2005.) Rechts: Histo- logische Aufarbeitung eines Patch-Schnittes. Man sieht mehrere DBH- und TH-positive LC-Zellen (blau bzw. weiß), eine Zelle ist mit Beads gefüllt (grün) und wurde gepatcht, und dabei mit Neurobiotin gefüllt (rot). Scale-Bar = 20 μm. (Eigene Abbildung.)
tiv (Achroplan 40x/ 0,80 E Ph 2, Zeiss, Göttingen) ausgestattet war. Bei Verwendung des Wasserimmersionsobjektivs wurde zusätzlich ein Kontrastverstärker (Hamamatsu Pho- tonics, Hamamatsu City, Japan) zur besseren Darstellung der Zellstruktur verwendet. Über eine Infrarotkamera (Newvicon C2400 ®, Hamamatsu Photonics, Hamamatsu Ci- ty, Japan) konnten die Hirnschnittpräparate auf einem Videomonitor (Panasonic Video Monitor WV-BM1410, Kadoma City, Osaka, Japan) dargestellt werden. Die Navigation von Pipette und Elektrode in X-, Y- und Z-Richtung erfolgte mit einem Mikromanipu- lator (Mini 25 ®, Luigs und Neumann GmbH, Ratingen). Zur Identifizierung der fluo- reszierenden Latexbeads unter dem Mikroskop wurden diese mit einer Fluoreszenzlam- pe (FluoArc ®, Leistungselektronik, Jena) angeregt. Die beheizbare Badkammer wurde mittels einer Kontrolleinheit (Badkontroller V, Luigs und Neumann GmbH, Ratingen) konstant bei 37 ◦ C gehalten. Das Hirnschnittpräparat wurde permanent von carbogeni- sierter ACSF-Badlösung umspült; der Zu- und Abfluss erfolgte bei einer Flussrate von 2-5 ml/min über eine Zwei-Wege-Pumpe (Ismatec, Zürich, Schweiz).
2.2.2.2.4 Funktionsprinzip des Patch-Clamp-Verstärkers
Der Patch-Clamp-Verstärker besteht aus einem Vorverstärker (dem sog. headstage), der Stromsignal und Spannung misst, und einem nachgeschalteten Hauptverstärker, der das Signal verstärkt und filtert. Abb. 2.9 zeigt schematisch die Verschaltung des Vorverstär- kers.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 2.8: Der Elektrophysiologische Messstand. Links Mikroskop auf schwingungs- gedämpftem Tisch mit Badkammer, Mikromanipulator und Lichtquelle; rechts Steuerungseinheit für Mikromanipulator, Kontrastverstärker und Licht, Bildschirm für die Mikroskopausgabe und PC zur Datenerfassung.
In der Pipette befindet sich die Messelektrode, die mit dem Vorverstärker verbun- den ist. Die Spannungsdifferenz zwischen Messelektrode und Badelektrode entspricht der Membranspannung der Zelle Um. Diese wird dem negativen Eingang eines Operati- onsverstärkers (operational amplifier, OPA1) übermittelt, der sie mit der Sollspannung Usoll am positiven Eingang abgleicht. Es entsteht am Ausgang des OPA1 (am spitzen Ende im Schema) eine Spannung, die proportional ist zur Spannungsdifferenz zwischen Um und Usoll. Dies bewirkt einen Stromfluss über den Rückkopplungswiderstand Rf, der aufgrund des hohen Eingangswiderstands des OPA1 nur in die Elektrode fließen kann. Dieser Strom wird so lange fließen, bis die Differenz zwischen Um und Usoll null ist; da dieser Vorgang sehr schnell abläuft, entspricht Um nahezu zu jedem Zeitpunkt dem Kommandopotential Usoll. Der aufgebrachte Kompensationsstrom kann am zweiten Operationsverstärker OPA2 ermittelt und über einen Analog-Digital-Wandler an einen Computer weitergeleitet werden.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 2.9: Schematisches Schaltbild eines Vorverstärkers. Im voltage clamp wird Usoll vorgegeben; OPA1 vergleicht Usoll mit der tatsächlichen Membran- spannung Um und Rf erzeugt eine Strominjektion, um die Differenz aus- zugleichen. Der Kompensationsstrom wird von OPA2 gemessen. (Abbil- dung aus: Numberger & Draguhn, 1996.)
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Tabelle 2.1: Das verwendete Programm P10 des DMZ-Universal Puller.
2.2.2.2.5 Pipetten und Elektroden
Als Patchpipette wurden Glaspipetten verwendet, die über einen Pipettenhalter direkt am Vorverstärker befestigt waren. Sie wurden unmittelbar vor dem Gebrauch aus Borosilicatglaskapillaren (GC150TF-10, Harvard Apparatur LTD, Kent, UK) mit einem temperaturkontrollierten, horizontal ziehenden Pipettenziehgerät (DMZ-Universal Puller, Zeitz, Martinsried) in zwei Schritten hergestellt. Die verwendeten Parameter sind in Tab. 2.1 angegeben. Die einzustellende Hitze wurde an jedem Versuchstag empirisch ermittelt, da das Heizfilament je nach Gebrauchsdauer und Umgebungstemperatur Schwankungen unterliegt; die Temperatur wurde so eingestellt, dass sich ein konstanter Pipettenwiderstand zwischen 5 und 6 MΩ ergab.
Als Mess- bzw. Badelektrode kamen chlorierte Silberdrähte zum Einsatz. Zur Minimie- rung sog. Offset-Potentiale - artifizielle Spannungen, die an den Übergängen zwischen Silberdraht, Pipettenlösung und Badlösung entstehen - wurden die Silberdrähte regelmäßig neu chloriert.
2.2.2.2.6 Korrektureinstellungen und Kompensation
Die elektrische Kapazität C eines Objekts ist diejenige Ladungsmenge Q, die benötigt wird, um das Objekt mit einer vorgegebenen Spannung U zu versehen: C = Q/V. Bei jeder Änderung der Spannung an der Zellmembran fließen für kurze Zeit kapazitive Ströme; diese exponentiellen Ströme, die zu Beginn und Ende eines Testpulses sichtbar werden, können die Messung verfälschen und werden deshalb im Vorverstärker elektro- nisch kompensiert. Dabei ist die Komponente Cfast von der Komponente Cslow zu unter- scheiden. Cfast kompensiert diejenigen kapazitiven Ströme die im cell-attached-Modus, nach Ausbildung des Gigaseals, sichtbar werden, d.h. diejenigen Ströme, die von der Umladung des kleinen Membranflecks unter der Pipettenspitze herrühren. Cslow hinge- gen kompensiert diejenigen Ströme, die beim Öffnen der Zelle (beim Übergang in den whole-cell-Modus) durch die Umladung der gesamten Fläche der Zellmembran anfallen.
Der Serienwiderstand Rs ist derjenige Widerstand, der in Serie zwischen der Zellmem- bran und dem Verstärkereingang liegt. Im Idealfall entspricht er also dem Öffnungs- widerstand der Pipette. Allerdings ist Rs in der Praxis zumeist mindestens doppelt so groß, da beim Öffnen der Zelle kleine Membranstücke oder sogar ganze Zellorganellen in die Pipettenöffnung gesogen werden können, die den Widerstand vergrößern. Durch das sog. Resealing - die gegenseitige Annäherung der Membranränder während einer Mes- sung - kann Rs ebenfalls zunehmen. Ist der Serienwiderstand sehr groß, fällt ein Teil der Kommandospannung Usoll an ihm ab, und an der Zelle liegt nur ein Bruchteil von Usoll an. Auch die Umladungsprozesse werden durch einen hohen Serienwiderstand verfälscht; eine Stromänderung kommt zeitverzögert im Verstärker an, und der entgegengerichte- te Strom ebenso verzögert in der Zelle. Aus diesen Gründen ist in den Verstärker ein automatischer Kompensationsmechanismus für Rs integriert: Zur vorgegebenen Kom- mandospannung wird eine Spannung addiert, die proportional zum injizierten Strom ist und so den Spannungsabfall an Rs zumindest teilweise ausgleicht (zu 100% kann der Abfall aufgrund positiver Rückkopplungseffekte nicht ausgeglichen werden).
2.2.2.2.7 Durchführung der Patch-Clamp-Messungen
Nach Ablauf der Inkubationszeit von 90 Minuten wurde das jeweilige Hirnschnittprä- parat in die Badkammer überführt und mit einem Gitter fixiert. Der ACSF-Badlösung wurden synaptische Blocker zugesetzt, um die intrinsischen Eigenschaften der Zelle un- abhängig von synaptischen Eingängen untersuchen zu können. CNQX (10 μM) und DL- AP5 (50 μM) blockierten, als Antagonisten am AMPA/Kainat- bzw. NMDA-Rezeptor, glutamaterge synaptische Eingänge, Gabazine (4 μM), als GABAA-Antagonist, GA- BAerge Eingänge. Für die Experimente zur Evaluierung des Autorezeptor-Tonus wurde für die α2-Autorezeptor-Blockade Yohimbin (10 μM) verwendet. Alle Blockersubstanzen stammten von Tocris Cookson, Ellisville, USA. Zunächst wurde mit dem 4x-Objektiv eine Übersicht über den Schnitt gewonnen, und der Locus coeruleus zentriert. Mit einem leichten Überdruck (um ein Verstopfen der Pipette sowie ein Vermischen von Pipetten- und Badlösung zu verhindern) wurde die Pipette in das Bad eingetaucht, und durch wie- derholtes Anlegen eines rechteckförmigen Testpulses (Spannungspuls) und Registrierung der Stromantwort über das Ohm’sche Gesetz der jeweilige Widerstand der verwendeten Pipette ermittelt (5 - 6 MΩ). Die Pipette wurde mit Hilfe des Mikromanipulators an eine mit Beads gefüllte („gelabelte”) Locus-coeruleus-Zelle herangefahren. Bei der Annähe- rung der Pipette an die Zelle wird die Stromantwort auf den Testpuls immer kleiner, der Serienwiderstand steigt. In unmittelbarer Nähe zur Zielzelle wurde das Offset-Potential korrigiert. Durch Anlegen eines Unterdrucks kam es zur Ausbildung des Gigaseals, und die Stromantwort wurde nahezu null, d.h. eine waagerechte Linie. Nach Kompensation der schnellen kapazitiven Ströme konnte die Zelle bei -50 mV (nahe ihres physiologischen „Ruhepotentials” zwischen zwei Spikes) geklemmt und durch einen erneuten kurzen Sau- gimpuls geöffnet werden. Wiederum wurden die kapazitiven Artefakte kompensiert. Vom voltage clamp wurde nun in den current clamp gewechselt, und die Messungen (s.u.) konnten durchgeführt werden. Durch den Austausch von Pipetten- und Intrazellular- flüssigkeit kam es zu einer Anreicherung von Neurobiotin in den gemessenen Zellen, die nach entsprechenden Färbungen (vgl. Abschn. 2.2.2.3) eine spätere Identifizierung der Zellen unter dem Mikroskop erlaubte. Nach Abschluss der Messungen wurde die Pipette langsam von der Zelle weg bewegt, damit diese sich ordnungsgemäß schließen konnte. Evtl. konnten nun weitere Zellen im selben Hirnschnittpräparat „gepatcht” werden; an- schließend wurde das Hirnschnittpräparat in ein Schnappdeckelglas mit PFA überführt, und bei 4 ◦ C über Nacht fixiert.
2.2.2.2.8 Verwendete Protokolle im current clamp -Modus
In der vorliegenden Arbeit wurden zur elektrophysiologischen Grundcharakterisierung der Neurone im Locus coeruleus ausschließlich Protokolle im current clamp verwendet.
Nach Öffnen der Zelle im voltage clamp wurde in den current clamp gewechselt, und zunächst bei einer Strominjektion von 0 pA die Spontanaktivität der Zelle aufgezeichnet.
Die Neurone des Locus coeruleus sind aufgrund intrinsischer Schrittmacheraktivitäten unabhängig von synaptischen Eingängen mit einer Frequenz von wenigen Hertz spon- tan aktiv. Die Registrierung der Daten erfolgte kontinuierlich, in einem Zeitfenster von jeweils zehn Sekunden pro Datenspur. Zudem erfolgte die Aufzeichnung der einzelnen Aktionspotentiale in höherer zeitlicher Auflösung (20 kHz), in einem Zeitfenster von jeweils 500 Millisekunden, um Parameter wie Aktionspotentialbreite, Nachhyperpolari- sation oder den Threshold des Aktionspotentials bestimmen zu können.
Anschließend wurden je ein Hyperpolarisations- und ein Depolarisationsprotokoll ge- fahren (Abb. 2.10). Beim Hyperpolarisationsprotokoll (A) wurden über eine Zeitspanne von je zwei Sekunden hyperpolarisierende Ströme injiziert. Die Hyperpolarisation wurde schrittweise um -25 pA gesteigert, bis zum Erreichen der Schwelle von -80 mV Membran- potential Spannungsantwort der Zelle. Hierdurch konnte der Rebound Delay einer Zelle - der zeitliche Verzug nach einer Hyperpolarisation bis zum nächsten Aktionspotenti- al - analysiert werden. Beim Depolarisationsprotokoll (B) wurden, ausgehend von einer Strominjektion, die die Zelle bei ca. -60 mV Membranpotential klemmte, schrittweise für je eine Sekunde depolarisierende Ströme injiziert (Schrittgröße 50 pA). Bei Eintritt eines Depolarisationsblocks wurde die Aufzeichnung gestoppt. Dies erlaubte eine Auswertung der maximalen Feuerungsfrequenz der Nervenzelle, sowie weiterer Parameter.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 2.10: Hyperpolarisations- und Depolarisationsprotokoll im current clamp.
2.2.2.2.9 Auswertung der Patch-Clamp-Messungen
Die Auswertung und Darstellung der elektrophysiologischen Daten erfolgte mit Hilfe der Programme Fitmaster (Version 2x65; Heka Elektronik, Lambrecht), IgorPro (Version 6.0.2.4; WaveMetrics, Lake Oswego, USA) und NeuroMatic (Version 2.0; Jason Rothman, London). Es wurden nur Zellen für die Auswertung berücksichtigt, die eine regelmäßige, kontinuierliche Spontanaktivität zeigten.
Die spontane Feuerungsrate der gemessenen Neurone wurde als Durchschnittswert der kontinuierlich aufgezeichneten Datenspuren ermittelt. Hochaufgelöste Aktionspotentiale wurden hinsichtlich der Parameter Breite des Aktionspotentials, Schwellenpotential (sog. Threshold; definiert als Punkt, an dem die Steigung 50 mV/ms überschreitet), Maximum und Minimum (Nachhyperpolarisation) analysiert und jeweils die Mittelwerte der einzel- nen Parameter einer Zelle angegeben (vgl. Abb. 2.11). Als Ausschlusskriterium wurde ein Maximum von mindestens 10 mV festgesetzt; Zellen, deren Aktionspotentiale geringere Maxima aufwiesen, wurden für die Auswertung nicht berücksichtigt. Der Rebound Delay wurde definiert als Zeit zwischen dem Ende der hyperpolarisierenden Strominjektion, die die Zelle auf -80 mV hyperpolarisierte, und dem Peak des ersten Aktionspotentials. Die Maximalfrequenz der Neurone wurde, unmittelbar vor dem Depolarisationsblock, aus dem Intervall zwischen zwei aufeinanderfolgenden Aktionspotentialen (interspike interval, ISI) berechnet. Für die Analyse der frequency-current-plots wurde die Steigung zwischen dem ersten Depolarisationsschritt (50 pA) und demjenigen Schritt, bei dem der Depolarisationsblock eintrat, bestimmt. Trat kein Depolarisationsblock ein, wurde Schritt 15 (750 pA) genommen. Ebenfalls im Depolarisationsprotokoll bestimmt wurde der sog. „Haltestrom”, der nötig war, um die jeweilige Zelle auf ein Potential von -60 mV zu bringen (das Potential, von dem aus die Depolarisationsschritte gestartet wurden).
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 2.11: Aktionspotential einer beispielhaften (in den PFC projizierenden) LC- Zelle. Gekennzeichnet sind: Breite des Aktionspotentials auf Höhe des Threshold (A), Schwellenpotential = Threshold (B), Maximum (C) und Minimum = Nachhyperpolarisation (D).
Die Darstellung und statistische Auswertung der Daten erfolgte mit Hilfe des Pro- gramms GraphPad Prism (Version 5.0; GraphPad Software, La Jolla, USA). Die einzel- nen Parameter der beiden Gruppen - coeruleo-präfrontale und coeruleo-hippocampale Neurone - wurden jeweils mit einem T-Test mit Welch-Korrektur miteinander vergli- chen. Als Signifikanzniveaustufen definiert wurden p < 0,05 (*), p < 0,01 (**) und p < 0,001 (***).
2.2.2.3 Histologische Aufarbeitung der Injektionsstellen und der Patchschnitte, konfokale Mikroskopie
In der vorliegenden Arbeit wurden zwei Populationen noradrenerger Neurone im Locus coeruleus elektrophysiologisch untersucht; solche, die in den präfrontalen Cortex, und solche, die in den ventralen Hippocampus projizieren (coeruleo-präfrontale bzw. coeruleo-hippocampale Neurone).
Die Aufarbeitung der 220 μm dicken Patchschnitte erfolgte analog zur Färbung der Hirnschnitte im Rahmen des Mappings (vgl. Abschn. 2.2.1.6). Aufgrund der größeren Schnittdicke wurde die Inkubationszeit der Blocklösung auf drei Stunden verlängert. Wie beschrieben wurden die gemessenen Zellen während der Messung mit Neurobiotin gefüllt, in Koppelung mit Streptavidin-568 konnten sie so rot angefärbt werden. Die verwendeten Beads waren im grünen Kanal darstellbar. Die DBH-Färbung konnte auf den blauen (mithilfe eines auf 647 nm Wellenlänge fluoreszierenden Zweitantikörpers) und die TH-Färbung auf den weißen Kanal (mithilfe eines auf 405 nm Wellenlänge fluoreszierenden Zweitantikörpers) gelegt werden. Vgl. Abb. 2.7, rechter Teil. Der mikroskopische Nachweis der Immunfluoreszenzfärbungen erfolgte analog zur Mikroskopie im Rahmen des Mappings am konfokalen Mikroskop (Zeiss LSM 510).
Die histologische Aufarbeitung der Injektionsstellen in PFC und Hippocampus erfolgte ebenfalls analog zur Aufarbeitung im Rahmen des Mappings (vgl. Abschn. 2.2.1.7). Sowohl für den PFC als auch für den V.HC wurde eine Schnittdicke von 100 μm gewählt. Da das Tracing mit grün fluoreszierenden Beads erfolgte, wurden die Injektionsstellen mit Nissl-rot gefärbt. Mikroskopischer Nachweis und Dokumentation der Injektionsstellen erfolgten am Fluoreszenzmikroskop (BX 61, Olympus, Hamburg) und mithilfe der Neurolucida ®Software (Version 6.0, MFB Bioscience, Magdeburg).
3 Ergebnisse
3.1 Ergebnisse der Tracing-Experimente
Die Axonterminalen des Locus coeruleus innervieren weite Teile des ZNS und stellen die hauptsächliche, wenn auch nicht einzige, Quelle für das zentrale Noradrenalin dar (Berridge & Waterhouse, 2003; Sara, 2009). Die in der vorliegenden Arbeit durchgeführ- ten Tracing-Experimente mit retrograd transportierten Latexbeads belegen eine dichte Versorgung aller untersuchten terminalen Areale (Präfrontaler Cortex, dorsaler Hippo- campus, ventraler Hippocampus, Cerebellum) durch den Locus coeruleus.
3.1.1 Neuroanatomische Rekonstruktion der Injektionsareale
Für eine präzise neuroanatomische Rekonstruktion axonaler Projektionen durch retro- grades Tracing ist eine hohe Selektivität bei der Injektion der Latexbeads nötig, um eine Kontamination benachbarter Hirnareale (und damit falsch-positiv markierte Zellen) zu vermeiden. Zur Demonstration der Selektivität der vorgenommenen Injektionen wurde für die vorliegende Arbeit zu jedem der vier Injektionsareale die Injektionsstelle in einer Schnittserie neuroanatomisch rekonstruiert. Für alle nachfolgenden neuroanatomischen und elektrophysiologischen Untersuchungen wurden ausschließlich Tiere verwendet, bei denen die Selektivität der Injektion anhand einer solchen Schnittserie nachgewiesen wer- den konnte.
Die Schnittserien (Abb. 3.1 und Abb. 3.2) zeigen jeweils fluoreszenzmikroskopische Fotos der Injektionsstelle für ein exemplarisches Tier. Die PFC- und HippocampusSchnitte wurden mit Nissl-rot gefärbt (vgl. Abschn. 2.2.1.7); die cerebellären Schnitte, aufgrund der gleichzeitigen Mit-Färbung des benachbarten Locus coeruleus, mit dem normalen TH/DBH-Protokoll (vgl. Abschn. 2.2.1.6).
Abb. 3.3 zeigt zur besseren topografischen Einordnung für jede der vier Injektionsstellen jeweils einen 100 μm dicken Schnitt (Cerebellun: 60 μm dicker Schnitt) zusammen mit einer schematischen Darstellung aus dem Mouse Brain Atlas.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 3.1: Histologische Aufarbeitung der Injektionsstellen Präfrontaler Cortex (links; von rostral nach caudal) und dorsaler Hippocampus (rechts; von caudal nach rostral). Färbung mit Nissl-rot. Schnittdicke = 100 μm.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 3.2: Histologische Aufarbeitung der Injektionsstellen ventraler Hippocampus (links) und Cerebellum (rechts); von caudal nach rostral. Färbung mit Nissl-rot bzw. TH-/DBH-Hintergrund-Färbung. Schnittdicke = 100 μm bzw. 60 μm.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 3.3: Nissl-rot-Färbung (jeweils rechte Bildhälfte) und schematische Atlas- Darstellung (linke Bildhälfte) der vier Injektionsstellen PFC, D.HC, V.HC und CER. Atlas-Bilder aus: Franklin & Paxinos, 2007.
3.1.2 Topographie retrograd markierter Zellen im Locus coeruleus
Für das Mapping, d.h. die topographische Kartierung der Ursprungsgebiete im Locus coeruleus, wurden die pontinen Schnitte auf gelabelte (also somit ins jeweilige Injektionsgebiet projizierende) Zellen hin untersucht. Die kommenden Abbildungen zeigen Anfärbungen des Locus coeruleus für die verschiedenen Injektionsstellen für jeweils ein exemplarisches Tier. Für alle Injektionsorte zeigte sich eine Verteilung gelabelter Zellen entlang der gesamten rostro-caudalen Achse des Locus coeruleus.
Die Stückzahlen der für die neuroanatomischen Analysen verwendeten Tiere betrugen für den Präfrontalen Cortex N=4, für den dorsalen Hippocampus N=4, für den ventralen Hippocampus N=3 und für das Cerebellum N=3.
3.1.2.1 Tracing des Präfrontalen Cortex
Abb. 3.4 zeigt zwei histologisch aufgearbeitete Schnitte durch den ipsilateralen Locus coeruleus in präfrontal „getraceten” Tieren, drei Wochen nach Injektion, einmal in 20x und einmal in 40x Vergrößerung.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 3.4: Ipsilateraler Locus coeruleus in zwei coronaren Schnittebenen nach Tra- cing des PFC. Oben links: grüne Latex-Beads; oben rechts: DBH- Färbung; unten links: TH-Färbung; unten rechts: grüner, roter und blau- er Kanal übereinander gelegt („merged”). Schnittdicke = 60 μm. Vergrö- ßerung: 20x bzw. 40x.
Es zeigte sich eine große Anzahl an deutlich gelabelten LC-Zellen (ca. 6-16 Zellen pro 60-μm-Schnitt, zwischen 5,68 und 5,34 mm caudale Bregma-Distanz, ipsilateraler LC), die signifikant v.a. im dorsalen Bereich des Locus coeruleus gelegen waren, soweit eine Differenzierung in dorsalen und ventralen LC möglich war, d.h. eher in den rostralen Abschnitten. Es fanden sich gelabelte Zellen über die gesamte rostro-caudale Achse des LC. Abb. 3.5 zeigt eine Schichtenanalyse des LC zur Evaluierung der dorso-ventralen Verteilung zum PFC projizierender coerulärer Neurone, auf Höhe von ca. Bregma -5,4 mm. (Zur schematischen Darstellung der Schichtenanalyse vgl. Abb. 2.5.) Kontralate- ral präfrontal projizierende Zellen fanden sich nur sehr wenige (ca. 1% kontralateral projizierend; 4 von 381 Zellen in N=4 Tieren).
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 3.5: Schichtenanalyse des LC nach Tracing des PFC. Der LC wurde auf der dorso-ventralen Achse in fünf gleich breite Schichten unterteilt, und diese auf gelabelte Zellen hin untersucht. Schicht 1 = dorsalste Schicht; Schicht 5 = ventralste Schicht. Nach präfrontal projizierende Zellen liegen überwiegend mittig bis dorsalseitig.
3.1.2.2 Tracing des dorsalen Hippocampus
Abb. 3.6 zeigt zwei histologisch aufgearbeitete Schnitte durch den ipsilateralen Locus coeruleus in dorsal hippocampal „getraceten” Tieren, drei Wochen nach Injektion, in 20x Vergrößerung.
In dorsal hippocampal injizierten Tieren fand sich, verglichen mit dem PFC-Tracing, ein noch deutlicheres Labeling, ebenfalls überwiegend in der dorsalen Hälfte des ipsila- teralen Locus coeruleus (ca. 9-33 Zellen pro 60-μm-Schnitt, zwischen 5,68 und 5,34 mm caudaler Bregma-Distanz, ipsilateraler LC). Abb. 3.7 zeigt eine Schichtenanalyse des LC zur Evaluierung der dorso-ventralen Verteilung zum D.HC projizierender coerulärer Neurone, auf Höhe von ca. Bregma -5,4 mm. Kontralateral zum dorsalen Hippocampus
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 3.6: Ipsilateraler Locus coeruleus in zwei coronaren Schnittebenen nach Tra- cing des D.HC. Oben links: grüne Latex-Beads; oben rechts: DBH- Färbung; unten links: TH-Färbung; unten rechts: grüner, roter und blau- er Kanal übereinander gelegt („merged”). Schnittdicke = 60 μm. Vergrö- ßerung: 20x. Links caudaler, rechts rostraler Schnitt.
projizierende Zellen waren in der Minderheit, wenn auch relativ deutlich häufiger als im Falle des präfrontalen Tracings (ca. 15% kontralateral projizierend; 93 von 633 Zellen in N=4 Tieren).
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 3.7: Schichtenanalyse des LC nach Tracing des D.HC. Der LC wurde auf der dorso-ventralen Achse in fünf gleich breite Schichten unterteilt, und diese auf gelabelte Zellen hin untersucht. Schicht 1 = dorsalste Schicht; Schicht 5 = ventralste Schicht. Nach dorsal hippocampal projizierende Zellen liegen überwiegend mittig bis dorsalseitig.
3.1.2.3 Tracing des ventralen Hippocampus
Abb. 3.8 zeigt zwei histologisch aufgearbeitete Schnitte durch den ipsilateralen Locus coeruleus in ventral hippocampal „getraceten” Tieren, drei Wochen nach Injektion, in 20x Vergrößerung.
Abbildung 3.8: Ipsilateraler Locus coeruleus in zwei coronaren Schnittebenen nach Tra- cing des V.HC. Oben links: grüne Latex-Beads; oben rechts: DBH- Färbung; unten links: TH-Färbung; unten rechts: grüner, roter und blau- er Kanal übereinander gelegt („merged”). Schnittdicke = 60 μm. Vergrö- ßerung: 20x. Links caudaler, rechts rostraler Schnitt.
Die Tiere, bei denen ein retrogrades Tracing des ventralen Hippocampus vorgenommen wurde, zeigten insgesamt die größte Anzahl an gelabelten Zellen im Locus coeruleus (ca. 11-39 Zellen pro 60-μm-Schnitt, zwischen 5,68 und 5,34 mm caudaler Bregma-Distanz, ipsilateraler LC), und lagen ebenfalls überwiegend im dorsalen Teil des LC. Abb. 3.9 zeigt eine Schichtenanalyse des LC zur Evaluierung der dorso-ventralen Verteilung zum V.HC projizierender coerulärer Neurone, auf Höhe von ca. Bregma -5,4 mm. Gelabelte Zellen lagen ebenfalls mehrheitlich ipsilateral (ca. 11% kontralateral projizierend; 77 von 698 Zellen in N=3 Tieren).
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 3.9: Schichtenanalyse des LC nach Tracing des V.HC. Der LC wurde auf der dorso-ventralen Achse in fünf gleich breite Schichten unterteilt, und diese auf gelabelte Zellen hin untersucht. Schicht 1 = dorsalste Schicht; Schicht 5 = ventralste Schicht. Nach ventral hippocampal projizierende Zellen liegen überwiegend mittig bis dorsalseitig.
3.1.2.4 Tracing des Cerebellum
Abb. 3.10 zeigt zwei histologisch aufgearbeitete Schnitte durch den Locus coeruleus, ipsi- und kontralateral, in cerebellär „getraceten” Tieren, drei Wochen nach Injektion, in 20x Vergrößerung.
Das Ergebnis des cerebellären Tracings hob sich in mehrerlei Hinsicht vom Ergebnis der drei übrigen Tracing-Regionen ab. Die cerebellär projizierenden Neurone im Lo- cus coeruleus (ca. 1-15 Zellen pro 60-μm-Schnitt, zwischen 5,68 und 5,34 mm caudaler Bregma-Distanz, ipsilateraler LC) fanden sich zu gleichen Teilen dorsal und ventral. Abb. 3.11 zeigt eine Schichtenanalyse des LC zur Evaluierung der dorso-ventralen Verteilung zum Cerebellum projizierender coerulärer Neurone, auf Höhe von ca. Bregma -5,4 mm. Kontralateral projizierende Zellen waren häufiger als in den drei Vergleichsprojektionen (ca. 36% kontralateral projizierend; 107 von 298 Zellen in N=3 Tieren).
3.1.2.5 Zusammenfassung
Abb. 3.12 zeigt noch einmal zusammenfassend eine Übersicht über die relative Verteilung der retrograd markierten Neurone im Locus coeruleus nach einfachem Tracing der vier Injektionsareale PFC, D.HC, V.HC und CER.
Während coeruleo-präfrontale und coeruleo-hippocampale Neurone ein sehr ähnliches topographisches Verteilungsmuster zeigen, nämlich ausschließlich im mittleren und dor- salen LC lokalisiert sind, finden sich coeruleo-cerebelläre Neurone zu gleichen Teilen dorsal wie ventral.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 3.10: Kontralateraler (links) und ipsilateraler (rechts) Locus coeruleus in zwei coronaren Schnittebenen nach Tracing des Cerebellums. Oben links: TH-Färbung; oben rechts: grüne Latex-Beads; unten links: DBH- Färbung; unten rechts: grüner, roter und blauer Kanal übereinander gelegt („merged”). Schnittdicke = 60 μm. Vergrößerung: 20x.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 3.11: Schichtenanalyse des LC nach Tracing des Cerebellums. Der LC wurde auf der dorso-ventralen Achse in fünf gleich breite Schichten unterteilt, und diese auf gelabelte Zellen hin untersucht. Schicht 1 = dorsalste Schicht; Schicht 5 = ventralste Schicht. Nach cerebellär projizierende Zellen liegen sowohl dorsal- als auch ventralseitig.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 3.12: Relative Verteilung retrograd markierter präfrontal, ventro- und dorso- hippocampal sowie cerebellär projizierender Neurone im LC. Ein roter Punkt entspricht einer halben „gelabelten” Zelle pro 60-μm-Schnitt. Be- achte das unterschiedliche Verteilungsmuster der coeruleo-cerebellären Subpopulation im Vergleich zu den coeruleo-präfrontalen und coeruleo- hippocampalen Neuronen.
3.1.2.6 Ergebnisse der Doppeltracing-Studien
Die Neurone des Locus coeruleus weisen weite Axon-Verzweigungen auf, und dement- sprechend hat jedes Neuron ein potentiell großes terminales Feld (Room et al., 1981; Steindler, 1981; Sara, 2009). Aus diesem Grund wurden im Rahmen der vorliegenden Arbeit Doppeltracing-Studien mit grünen und roten Beads durchgeführt, um so etwai- ge LC-Zellen identifizieren zu können, die in beide Injektionsgebiete Axonkollateralen entsenden, um also die Frage zu klären, inwieweit sich einzelne LC-Subpopulationen „überschneiden” können.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb. 3.13 zeigt den Locus coeruleus nach Doppeltracing des dorsalen und ventralen Hippocampus (D.HC rot, V.HC grün). Es zeigt sich ein sehr deutliches bicolores Labeling im dorsalen bis mittleren LC. Es finden sich einige Neurone, die rote und grüne Beads aufweisen, und somit Axonkollateralen sowohl in den dorsalen als auch den ventralen Hippocampus aussenden.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb. 3.14 zeigt den Locus coeruleus nach Doppeltracing von Cerebellum (grün) und ventralem Hippocampus (rot). Es zeigt sich ein deutliches bicolores Labeling; rote Beads überwiegend dorsal, grüne Beads im gesamten LC. Nach cerebellär und nach hippocampal projizierende Zellen liegen aber häufig direkt nebeneinander. Sehr vereinzelt, aber vorhanden (1 Zelle in N=1 Tier) findet sich ein doppeltes Labeling.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 3.13: Ipsilateraler Locus coeruleus nach Tracing des D.HC (rote Beads) und des V.HC (grüne Beads). DBH-Färbung im blauen, TH-Färbung im weißen Kanal. Doppelt gelabelte Zelle mit Pfeil markiert. Vergrößerung 20x bzw. 63x.
Abbildung 3.14: Ipsilateraler Locus coeruleus nach Tracing des CER (grüne Beads) und des V.HC (rote Beads). DBH-Färbung im blauen Kanal. Doppelt gela- belte Zelle mit Pfeil markiert. Vergrößerung 40x bzw. 63x.
Abb. 3.15 zeigt den Locus coeruleus nach Doppeltracing von Präfrontalem Cortex (grün) und ventralem Hippocampus (rot). Es zeigt sich ein sehr deutliches bicolores Labeling im dorsalen bis mittleren LC. „Rot” und „grün” gelabelte Zellen liegen durchmischt nebeneinander („salt and pepper”). Vereinzelt, aber vorhanden (3 Zellen in N=2 Tieren) findet sich ein doppeltes Labeling.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 3.15: Ipsilateraler Locus coeruleus nach Tracing des PFC (grüne Beads) und des V.HC (rote Beads). DBH-Färbung im blauen Kanal. Doppelt gela- belte Zelle mit Pfeil markiert. Vergrößerung 20x bzw. 40x.
3.1.3 Quantitativer Vergleich mit dem dopaminergen Mittelhirn
Zur zusätzlichen Evaluation der Projektionen aus dem dopaminergen Mittelhirn (Sub- stantia nigra und VTA) in die untersuchten Zielregionen wurden neben den LC-Schnitten auch die Hirnschnitte aus dem Bereich des Mittelhirns jeweils orientierend mit unter- sucht. Insgesamt ergab sich für alle Projektionsorte (PFC, dorsaler und ventraler Hip- pocampus, Kleinhirn) ein deutlich schwächeres Labeling in SN und VTA als im LC.
Während die Projektionen der VTA in den PFC gut charakterisiert sind (Lammel et al., 2008, 2011), sind hippocampal nur spärliche rein dopaminerge Innervationen vor- beschrieben (Moudy et al., 1993). Abb. 3.16 zeigt zwei gelabelte Zellen im paranigralen Nucleus der VTA nach Tracing des ventralen Hippocampus. In der Summe fanden sich in diesem Tier 4 gelabelte TH-positive Zellen im gesamten Mittelhirn. Nach Tracing des dorsalen Hippocampus fand sich mitunter keine einzige gelabelte Zelle in SN und VTA. Dies steht in starkem Kontrast zur Anzahl der gelabelten Zellen im LC (> 230 Zellen pro Tier bei V.HC-Tracing; > 155 Zellen pro Tier bei D.HC-Tracing).
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 3.16: Mittelhirn im Bereich der VTA in zwei coronaren Schnittebenen nach Tracing des V.HC. Oben links: grüne Latex-Beads; oben rechts: DBH- Färbung (kein Signal bei dopaminergen Zellen); unten links: TH- Färbung; unten rechts: grüner, roter und blauer Kanal übereinander gelegt („merged”). Gelabelte Zellen im paranigralen Nucleus mit Pfei- len markiert. Schnittdicke = 60 μm. Vergrößerung: 20x. Links caudaler, rechts rostraler Schnitt.
3.2 Ergebnisse der Patch-Clamp-Experimente
In der vorliegenden Arbeit wurden zwei Subpopulationen des Locus coeruleus, die in unterschiedliche Zielareale axonal projizieren, selektiv in vitro elektrophysiologisch im current clamp -Modus charakterisiert. Hierbei wurden die intrinsischen Eigenschaften der Zellen (ohne synaptischen Input) studiert. Die erste Subpopulation bilden die in den PFC projizierenden LC-Neurone (coeruleo-präfrontal), die zweite diejenigen Neurone, die in den ventralen Hippocampus projizieren (coeruleo-hippocampal).
Vorgenommen wurde zum einen eine Charakterisierung der grundlegenden elektro- physiologischen Eigenschaften der beiden Zellgruppen (ohne α2-Blockade), zum anderen eine Evaluierung des α2-Autorezeptorstatus mithilfe des α2-Antagonisten Yohimbin.
3.2.1 Elektrophysiologische Grundcharakterisierung coeruleo-präfrontaler und coeruleo-hippocampaler Neurone
3.2.1.1 Spontanfrequenz
Alle gemessenen für die Datenerhebung verwendeten LC-Zellen zeigten eine regelmäßige spontane Aktivität (Ausschlusskriterium). Abb. 3.17 zeigt die Gegenüberstellung einer coeruleo-präfrontalen und einer coeruleo-hippocampalen Zelle. Die Auswertung ergab für die Gruppe der coeruleo-präfrontalen Neurone eine mittlere Spontanfrequenz von 2,38 Hz (± 0,24; n=16), für die Gruppe der coeruleo-hippocampalen Neurone eine mittlere Spontanfrequenz von 2,27 Hz (± 0,24; n=19). Abb. 3.18 zeigt ein Balkendiagramm, das die Spontanfrequenz der beiden Populationen vergleicht.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 3.17: Spontanaktivität im current-clamp -Modus (Strominjektion = 0 pA) ei- ner coeruleo-präfrontalen (links) und einer coeruleo-hippocampalen Zel- le (rechts).
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 3.18: Spontanfrequenz coeruleo-präfrontaler und coeruleo-hippocampaler Neurone. Nicht-signifikanter Unterschied; p = 0,746. Die Daten werden, wie auch in den folgenden Abbildungen, als Mittelwerte ± Standard- fehler (S.E.M.) präsentiert.
3.2.1.2 Rebound Delay
Auf hyperpolarisierende Strominjektionen antworteten alle gemessenen LC-Neurone mit einem unterschiedlich langen sog. Rebound Delay, d.h. einer Latenzzeit zwischen dem Ende des hyperpolarisierenden Stromimpulses und dem ersten nachfolgenden Spike. Ei- ne Analyse des Rebound Delays gibt Aufschluss über zugrunde liegende Kanalprozesse, v.a. den sog. A-Strom, einen Auswärts-K+-Strom, der bei unterschwelligen Potentialen aktiviert wird und so die Depolarisation antagonisiert, d.h. das nachfolgende Aktionspo- tential verzögert. Es wurde jeweils derjenige Hyperpolarisationsstep analysiert, der bei der Zelle eine Spannungsantwort von ca. -80 mV auslöste. Abb. 3.19 zeigt die Gegenüber- stellung der Antwort auf einen Hyperpolarisationspuls einer coeruleo-präfrontalen und einer coeruleo-hippocampalen Zelle. Die Auswertung ergab für die Gruppe der coeruleo- präfrontalen Neurone einen mittleren Rebound Delay von 1700 ms (± 149,6; n=10), für die Gruppe der coeruleo-hippocampalen Neurone einen mittleren Rebound Delay von 1787 ms (± 260,1; n=11). Abb. 3.20 zeigt ein Balkendiagramm, das den Rebound Delay der beiden Populationen vergleicht.
In keiner der gemessenen Nervenzellen im Locus coeruleus konnte eine sog. sag am- plitude beobachtet werden, d.h. eine zeitabhängige Verringerung des Membranpotenti-als (hin zur Depolarisation) während des Hyperpolarisationspulses (bedingt durch die Aktivierung unselektiver Kationenkanäle), wie sie - ebenso wie der A-Strom - z.B. in dopaminergen Neuronen der VTA auftritt (Neuhoff et al., 2002).
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 3.19: Hyperpolarisationsprotokoll eines coeruleo-präfrontalen (links) und ei- nes coeruleo-hippocampalen Neurons (rechts).
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 3.20: Rebound Delay coeruleo-präfrontaler und coeruleo-hippocampaler Neu- rone. Nicht-signifikanter Unterschied; p = 0,776.
3.2.1.3 Maximalfrequenz
Auf depolarisierende Strominjektionen antworteten die untersuchten LC-Zellen mit ei- nem schrittweisen Anstieg der Aktionspotentialfrequenz bis hin zum Depolarisation- block. Nach Eintreten des Depolarisationsblocks wurde die Aufzeichnung gestoppt. Abb. 3.21 zeigt die Gegenüberstellung eines Depolarisationssteps einer coeruleo-präfrontalen und einer coeruleo-hippocampalen Zelle. Die Auswertung ergab für die Gruppe der coeruleo-präfrontalen Neurone eine mittlere Maximalfrequenz von 61,54 Hz (± 7,34; n=14), für die Gruppe der coeruleo-hippocampalen Neurone eine mittlere Maximalfrequenz von 59,61 Hz (± 5,89; n=13). Abb. 3.22 zeigt ein Balkendiagramm, das die Maximalfrequenz der beiden Populationen vergleicht.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 3.21: Depolarisationsstep eines coeruleo-präfrontalen (links) und eines coeruleo-hippocampalen Neurons (rechts) kurz vor dem (vollständigen) Depolarisationsblock.
Die Depolarisationsprotokolle wurden neben der Maximalfrequenz desweiteren hin- sichtlich des Verhältnisses von Frequenz zu injiziertem Strom ausgewertet. Dieses wird im sog. frequency-current-plot dargestellt. Es zeigte sich eine mittlere Frequenz-Strom- Relation der coeruleo-präfrontalen Neurone von 0,052 Hz/pA (± 0,004; n=12) und der coeruleo-hippocampalen Neurone von 0,087 Hz/pA (± 0,012; n=13). Abb. 3.23 zeigt die Frequenzantwort coeruleo-präfrontaler und coeruleo-hippocampaler Neurone aufge- tragen gegen die Strominjektion, sowie ein Balkendiagramm, das die durchschnittliche Steigung Frequenz pro Strominjektion der beiden Gruppen vergleicht (f-i-slope).
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 3.22: Maximalfrequenz coeruleo-präfrontaler und coeruleo-hippocampaler Neurone. Nicht-signifikanter Unterschied; p = 0,839.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 3.23: Links: Frequency-current-plot im Depolarisationsprotokoll bei coeruleo- präfrontalen (schwarz) und coeruleo-hippocampalen Neuronen (rot). Rechts: Frequency-current-slope der beiden Gruppen im Balkendia- gramm. Signifikanter Unterschied; p = 0,01.
3.2.1.4 Parameter des einzelnen Aktionspotentials: Breite, Schwellenpotential, Maximum, Minimum
In Bezug auf das einzelne, hoch aufgelöste Aktionspotential der jeweiligen LC-Subpopu- lation wurden vier verschiedene Parameter ausgewertet: Die Breite, d.h. die zeitliche Dauer, des Aktionspotentials, das Schwellenpotential (der sog. Threshold), das Maximum und das Minimum (das der Nachhyperpolarisation entspricht) (vgl. Abb. 2.11).
Abb. 3.24 zeigt ein einzelnes Aktionspotential einer coeruleo-präfrontalen und einer coeruleo-hippocampalen Zelle. Die Auswertung der beiden Gruppen ergab folgende Mit- telwerte: Eine mittlere AP-Breite der coeruleo-präfrontalen Neurone von 3,41 ms (± 0,36; n=13) und der coeruleo-hippocampalen Neurone von 3,00 (± 0,13; n=15); einen mittleren Threshold von -31,33 mV (± 0,96; n=16) und -34,12 mV (± 0,90; n=17); ein mittleres Maximum von 30,98 mV (± 1,99; n=16) und 32,09 mV (± 1,39; n=17); ein mittleres Minimum (= Nachhyperpolarisation, AHP) von -63,29 mV (± 1,18; n=16) und -67,96 mV (± 0,99; n=17). Abb. 3.25 zeigt vier Balkendiagramme, die die einzelnen AP-Parameter der beiden Populationen von LC-Zellen vergleichen.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 3.24: Einzelnes Aktionspotential eines coeruleo-präfrontalen (links) und eines coeruleo-hippocampalen Neurons (rechts).
3.2.2 Überprüfung des α2-Autorezeptorstatus in coeruleo-präfrontalen und coeruleo-hippocampalen Neuronen mit dem α2-Antagonisten Yohimbin
In einem zweiten elektrophysiologischen Untersuchungsschritt wurden current clamp - Experimente mit einem zusätzlichen Blocker in der Badlösung, dem α2-Autorezeptor- Antagonisten Yohimbin, durchgeführt. Bei einem gegebenen Basaltonus an Noradrenalin
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 3.25: Parameter des einzelnen Aktionspotentials coeruleo-präfrontaler und coeruleo-hippocampaler Neurone. AP-Breite: Nicht-signifikanter Unter- schied; p = 0,299. Threshold: Signifikanter Unterschied (*); p = 0,042. Maximum: Nicht-signifikanter Unterschied; p = 0,65. Minimum (AHP): Signifikanter Unterschied (**); p = 0,005.
im Bad (ausgeschüttet durch benachbarte LC-Zellen) konnte so evaluiert werden, ob und wie die jeweilige Subpopulation auf Ausschaltung des inhibitorischen Inputs über α2-Autorezeptoren reagiert.
Im folgenden wird jeweils eine Gegenüberstellung der Messung der jeweiligen Population ohne und mit Autorezeptor-Blockade vorgenommen.
3.2.2.1 Spontanfrequenz
Die mittlere Spontanfrequenz der coeruleo-präfrontalen Neurone ohne Yohimbin-Appli- kation (s. oben) betrug 2,38 Hz (± 0,24; n=16), die mittlere Spontanfrequenz der coeruleo-präfrontalen Neurone mit Yohimbin-Applikation betrug 2,23 Hz (± 0,22; n=13). Die mittlere Spontanfrequenz der coeruleo-hippocampalen Neurone ohne Yohimbin- Applikation betrug 2,27 Hz (± 0,24; n=19), die mittlere Spontanfrequenz der coeruleo- hippocampalen Neurone mit Yohimbin-Applikation betrug 3,04 Hz (± 0,28; n=13). Abb. 3.26 zeigt ein Balkendiagramm, das die Spontanfrequenzen ohne und mit Yohimbin der beiden Populationen vergleicht.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 3.26: Spontanfrequenz coeruleo-präfrontaler und coeruleo-hippocampaler Neurone, jeweils ohne und mit Applikation des α2-Autorezeptor- Antagonisten Yohimbin über die Badlösung. Coeruleo-präfrontale Neu- rone: Nicht-signifikanter Unterschied ohne und mit Yohimbin; p = 0,634. Coeruleo-hippocampale Neurone: Signifikant (*) höhere Fre- quenz in der Gruppe mit Yohimbin; p = 0,046. Vergleich der coeruleo- präfrontalen und der coeruleo-hippocampalen Population unter Appli- kation von Yohimbin: Signifikanter Unterschied (*) zwischen beiden Gruppen; p = 0,031.
3.2.2.2 Rebound Delay
Für die Bestimmung des Rebound Delay wurde wiederum derjenige Hyperpolarisati- onsstep analysiert, der die Zelle auf -80 mV hyperpolarisierte. Der mittlere Rebound Delay der coeruleo-präfrontalen Neurone ohne Yohimbin-Applikation betrug 1700 ms (± 149,6; n=10), der mittlere Rebound Delay der coeruleo-präfrontalen Neurone mit Yohimbin-Applikation betrug 1530 ms (± 109; n=12). Der mittlere Rebound Delay der coeruleo-hippocampalen Neurone ohne Yohimbin-Applikation betrug 1787 ms (± 260,1; n=11), der mittlere Rebound Delay der coeruleo-hippocampalen Neurone mit Yohimbin- Applikation betrug 1178 Hz (± 145,4; n=13). Abb. 3.27 zeigt ein Balkendiagramm, das den jeweiligen Rebound Delay ohne und mit Yohimbin der beiden Populationen ver- gleicht.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 3.27: Rebound Delay coeruleo-präfrontaler und coeruleo-hippocampaler Neurone, jeweils ohne und mit Applikation des α2-Autorezeptor- Antagonisten Yohimbin über die Badlösung. Coeruleo-präfrontale Gruppe: Nicht-signifikanter Unterschied; p = 0,373. Coeruleo- hippocampale Gruppe: Nicht-signifikanter Unterschied; p = 0,059. Ver- gleich der coeruleo-präfrontalen und der coeruleo-hippocampalen Popu- lation unter Applikation von Yohimbin: Nicht-signifikanter Unterschied; p = 0,066.
3.2.2.3 Maximalfrequenz
Die mittlere Maximalfrequenz (bestimmt über das Interspike Interval) der coeruleo- präfrontalen Neurone ohne Yohimbin-Applikation betrug 61,54 Hz (± 7,34; n=14), die mittlere Maximalfrequenz der coeruleo-präfrontalen Neurone mit Yohimbin-Applikation betrug 38,93 Hz (± 2,67; n=12). Die mittlere Maximalfrequenz der coeruleo-hippocam- palen Neurone ohne Yohimbin-Applikation betrug 59,61 Hz (± 5,89; n=13), die mitt- lere Maximalfrequenz der coeruleo-hippocampalen Neurone mit Yohimbin-Applikation betrug 38,67 Hz (± 3,06; n=13). Abb. 3.28 zeigt ein Balkendiagramm, das die Maximal- frequenzen ohne und mit Yohimbin der beiden Populationen vergleicht.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 3.28: Maximalfrequenz coeruleo-präfrontaler und coeruleo-hippocampaler Neurone, jeweils ohne und mit Applikation des α2-Autorezeptor- Antagonisten Yohimbin über die Badlösung. Coeruleo-präfrontale Gruppe: Signifikanter Unterschied (*); p = 0,011. Coeruleo- hippocampale Gruppe: Signifikanter Unterschied (**); p = 0,006. Ver- gleich der coeruleo-präfrontalen und der coeruleo-hippocampalen Popu- lation unter Applikation von Yohimbin: Nicht-signifikanter Unterschied; p = 0,949.
Auch die Depolarisationsprotokolle mit Yohimbin-Applikation wurden hinsichtlich der frequency-current-plots ausgewertet. Es zeigte sich eine mittlere Frequenz-Strom- Relation der coeruleo-präfrontalen Gruppe von 0,053 Hz/pA (± 0,0045; n=12) und der coeruleo-hippocampalen Gruppe von 0,07 Hz/pA (± 0,012; n=13).
Abb. 3.29 zeigt die Frequenzantwort coeruleo-präfrontaler und coeruleo-hippocampaler Neurone unter Yohimbin-Applikation aufgetragen gegen die Strominjektion, sowie ein Balkendiagramm, das die durchschnittliche Steigung Frequenz pro Strominjektion der beiden Gruppen vergleicht (f-i-slope).
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 3.29: Links: Frequency-current-plot im Depolarisationsprotokoll bei coeruleo- präfrontalen (schwarz) und coeruleo-hippocampalen Neuronen (rot), unter α2-Blockade mit Yohimbin. Rechts: Frequency-current-slope der beiden Gruppen im Balkendiagramm. p = 0,2.
3.2.2.4 Parameter des einzelnen Aktionspotentials: Breite, Schwellenpotential, Maximum, Minimum
Die Auswertung der einzelnen AP-Parameter - Breite des AP, Schwellenpotential (Thres- hold), Maximum und Minimum (AHP) - ergab folgende Werte: Eine mittlere AP-Breite der coeruleo-präfrontalen Neurone ohne Yohimbin-Applikation von 3,41 ms (± 0,36; n=13) und der coeruleo-präfrontalen Neurone mit Yohimbin-Applikation von 3,81 ms (± 0,20; n=13), eine mittlere AP-Breite der coeruleo-hippocampalen Neurone ohne Yohimbin-Applikation von 3,00 ms (± 0,13; n=15) und der coeruleo-hippocampalen Neu- rone mit Yohimbin-Applikation von 3,52 ms (± 0,11; n=13); einen mittleren Threshold (definiert als Steigung > 50 mV/ms) der coeruleo-präfrontalen Neurone ohne Yohimbin- Applikation von -31,33 mV (± 0,96; n=16) und der coeruleo-präfrontalen Neurone mit Yohimbin-Applikation von -28,26 mV (± 0,84; n=13), einen mittleren Threshold der coeruleo-hippocampalen Neurone ohne Yohimbin-Applikation von -34,12 mV (± 0,90; n=17) und der coeruleo-hippocampalen Neurone mit Yohimbin-Applikation von -28,29 mV (± 0,90; n=13); ein mittleres Maximum der coeruleo-präfrontalen Neurone ohne Yohimbin-Applikation von 30,98 mV (± 1,99; n=16) und der coeruleo-präfrontalen Neu- rone mit Yohimbin-Applikation von 15,54 (± 0,96; n=13), ein mittleres Maximum der coeruleo-hippocampalen Neurone ohne Yohimbin-Applikation von 32,09 mV (± 1,39; n=17) und der coeruleo-hippocampalen Neurone mit Yohimbin-Applikation von 17,75 mV (± 1,13; n=13); ein mittleres Minimum der coeruleo-präfrontalen Neurone ohne Yohimbin-Applikation von -63,29 mV (± 1,18; n=16) und der coeruleo-präfrontalen Neurone mit Yohimbin-Applikation von -59,55 mV (± 1,06; n=13), ein mittleres Mini- mum der coeruleo-hippocampalen Neurone ohne Yohimbin-Applikation von -67,96 mV (± 0,99; n=17) und der coeruleo-hippocampalen Neurone mit Yohimbin-Applikation von -59,88 mV (± 1,59; n=13). Abb. 3.30 und Abb. 3.31 zeigen Balkendiagramme, die die einzelnen AP-Parameter der beiden Populationen jeweils ohne und mit Yohimbin- Applikation vergleichen.
3.2.2.5 Haltestrom
Für alle in beiden Versuchsreihen (ohne und mit Yohimbin) im Depolarisationsproto- koll gemessenen Zellen wurde weiterhin der sog. „Haltestrom” bestimmt, d.h. derjenige Strom, der zu injizieren notwendig war, um die Zelle auf einem bestimmten Membran- potential, in diesem Fall -60 mV, zu „halten”. Für die coeruleo-präfrontale Gruppe zeigte sich ohne und mit α2-Blockade ein mittlerer Haltestrom von -37,58 mV (± 4,76; n=12) bzw. -43,92 mV (± 4,73; n=12). Für die coeruleo-hippocampale Gruppe zeigte sich ohne und mit α2-Blockade ein mittlerer Haltestrom von -29,24 mV (± 2,53; n=17) bzw. -55,85 mV (± 6,47; n=13). Abb. 3.32 zeigt ein Balkendiagramm, das die Halteströme in den vier Gruppen miteinander vergleicht.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 3.30: Parameter des einzelnen Aktionspotentials coeruleo-präfrontaler und coeruleo-hippocampaler Neurone, jeweils ohne und mit Applikati- on des α2-Autorezeptor-Antagonisten Yohimbin über die Badlösung (1). AP-Breite: Coeruleo-präfrontale Gruppe: Nicht-signifikanter Un- terschied; p = 0,337. Coeruleo-hippocampale Gruppe: Signifikanter Un- terschied (**); p = 0,006. Vergleich der coeruleo-präfrontalen und der coeruleo-hippocampalen Population unter Applikation von Yohimbin: Nicht-signifikanter Unterschied, p = 0,211. AP-Threshold: Coeruleo- präfrontale Gruppe: Signifikanter Unterschied (*); p = 0,024. Coeruleo- hippocampale Gruppe: Signifikanter Unterschied (***); p < 0,0001. Vergleich der coeruleo-präfrontalen und der coeruleo-hippocampalen Population unter Applikation von Yohimbin: Nicht-signifikanter Un- terschied; p = 0,979. Der signifikante Unterschied zwischen den beiden Subpopulationen ohne Yohimbin (s.o.) verschwindet unter Yohimbin- Gabe.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 3.31: Parameter des einzelnen Aktionspotentials coeruleo-präfrontaler und coeruleo-hippocampaler Neurone, jeweils ohne und mit Applikati- on des α2-Autorezeptor-Antagonisten Yohimbin über die Badlösung (2). AP-Maximum: Coeruleo-präfrontale Gruppe: Signifikanter Unter- schied (***); p < 0,0001. Coeruleo-hippocampale Gruppe: Signifikan- ter Unterschied (***); p < 0,0001. Vergleich der coeruleo-präfrontalen und der coeruleo-hippocampalen Population unter Applikation von Yohimbin: Nicht-signifikanter Unterschied; p = 0,151. AP-Minimum (AHP): Coeruleo-präfrontale Gruppe: Signifikanter Unterschied (*); p = 0,026. Coeruleo-hippocampale Gruppe: Signifikanter Unterschied (***); p = 0,0003. Vergleich der coeruleo-präfrontalen und der coeruleo- hippocampalen Population unter Applikation von Yohimbin: Nicht- signifikanter Unterschied; p = 0,864. Der signifikante Unterschied zwi- schen den beiden Subpopulationen ohne Yohimbin (s.o.) verschwindet unter Yohimbin-Gabe.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 3.32: Haltestrom coeruleo-präfrontaler und coeruleo-hippocampaler Neuro- ne, jeweils ohne und mit Applikation des α2-Autorezeptor-Antagonisten Yohimbin über die Badlösung. Coeruleo-präfrontale Gruppe: Nicht- signifikanter Unterschied; p = 0,36. Coeruleo-hippocampale Gruppe: Signifikanter Unterschied (**); p = 0,002. Vergleich der coeruleo- präfrontalen und der coeruleo-hippocampalen Population, ohne und mit Yohimbin: Nicht-signifikante Unterschiede; p = 0,14 bzw. p = 0,15. Angegeben ist der Haltestrom für ein Membranpotential von -60 mV.
4 Diskussion
Im folgenden sollen nun die im vorangegangenen Teil präsentierten Ergebnisse und ihre Bedeutung für die Physiologie des Locus coeruleus diskutiert und in den Kontext relevanter Literatur eingeordnet werden.
4.1 Diskussion der Tracing-Experimente
Die im Rahmen der vorliegenden Arbeit durchgeführten Tracing-Experimente belegen eine, in der Literatur teilweise gut vorbeschriebene (Mason & Fibiger, 1979; Waterhouse et al., 1983; Loughlin et al., 1986; Berridge & Waterhouse, 2003; Sara & Bouret, 2012), sehr grobe anatomisch-topographische Gliederung der efferenten Bahnen des Locus coeruleus im Hinblick auf die vier untersuchten Projektionsgebiete: Präfrontaler Cortex, dorsaler Hippocampus, ventraler Hippocampus, und Cerebellum.
In Bezug auf die rostro-caudale Achse ergab sich für keine der vier untersuchten Zielregionen eine topographische Gliederung der jeweiligen LC-Neurone. Gelabelte, d.h. ins jeweilige Injektionsareal projizierende, Zellen waren jeweils vom rostralen bis zum caudalen Pol des Locus coeruleus zu finden.
LC-Neurone projizierend in den PFC sowie D.HC und V.HC zeigten auf der dorsoventralen Achse eine klare topographische Gliederung: Sie fanden sich nahezu ausschließlich im dorso-medialen Bereich des LC (soweit eine Differenzierung in dorsal und ventral möglich ist; am caudalen Pol kann eine solche Differenzierung nicht gemacht werden, da der LC dort klein und sehr dicht gedrängt ist). Die in das Cerebellum projizierenden Neurone hingegen fanden sich im Bereich des gesamten LC, sowohl dorsal als auch ventral. Diese beiden Befunde decken sich mit älteren Studien an der Ratte (Mason & Fibiger, 1979; Loughlin et al., 1982, 1986).
Die nach präfrontal und hippocampal (dorsal und ventral) projizierenden Neurone waren überwiegend ipsilateral zur Projektionsstelle lokalisiert. Am ausgeprägtesten war der Befund im Fall der coeruleo-präfrontalen Neurone (nur ca. 1 % der Zellen kontrala- teral projizierend; auch dies ist für die Ratte ähnlich vorbeschrieben, Waterhouse et al., 1983). Coeruleo-cerebelläre Neurone hingegen zeigten, wenngleich ebenfalls mehrheitlich ipsilateral projizierend, einen deutlich höheren Anteil an kontralateralen Projektionen: mehr als ein Drittel der Zellen senden ihre Axone (auch) kontralateral cerebellär.
Zusammenfassend können im Hinblick auf die topographische Gliederung der Effe- renzen des Locus coeruleus also zwei Gruppen unterschieden werden: Die nach präfron- tal und (dorsal und ventral) hippocampal projizierenden Nervenzellen, die überwiegend im dorsalen Bereich des LC lokalisiert sind, sowie die nach cerebellär projizierenden Neurone, die sowohl im dorsalen als auch im ventralen LC lokalisiert sind. Vgl. zur Übersicht Abb. 3.12. Die Zellen der ersteren Gruppe (coeruleo-präfrontal und coeruleo- hippocampal) sind zu 85-99% (ausschließlich) ipsilateral projizierend, während die Zellen der zweiteren Gruppe (coeruleo-cerebellär) nur zu 66% (ausschließlich) ipsilateral proji- zieren. Eine unterschiedliche Verteilung auf der rostro-caudalen oder der medio-lateralen Achse findet sich in beiden Fällen nicht.
Funktionell kann diese recht grobe efferente Topographie erklärbar sein im Rahmen der generellen Rolle, die dem LC bei Steuerung und Aufrechterhaltung kognitiver Pro- zesse zugeschrieben wird, beispielsweise in Stresssituationen und bei der Schlaf-Wach- Koordination (vgl. Abschn. 1.2.1). Gerade eine eher grobe Gliederung der Efferenzen in „vordere” Hirnareale wie PFC oder Hippocampus und „hintere” Areale wie Cerebellum oder Rückenmark ermöglicht so vermutlich eine homogene Antwort auf einen externen Stimulus.
Die zusätzliche histologische Untersuchung des dopaminergen Mittelhirns - Substantia nigra und VTA - ergab einen geringeren Anteil an gelabelten Zellen als im Locus coeru- leus; insbesondere im Fall des Tracing des (dorsalen und ventralen) Hippocampus fanden sich nur sehr vereinzelt gelabelte Neurone in der VTA. Die meso-hippocampalen Pro- jektionen sind teilweise als sehr spärlich vorbeschrieben bzw. es konnte eine weitgehende Deckungsgleichheit zwischen dopaminergen und noradrenergen Fasern zum Hippocam- pus gezeigt werden, was bedeutet, dass diese Fasern nicht aus SN oder VTA stammen können (die rein dopaminerg sind), sondern z.B. aus dem Locus coeruleus-noradrenergen System (Moudy et al., 1993). Daten zu substantiellen meso-hippocampalen Projektionen sind eher spärlich zu finden (Gasbarri et al., 1994, 1996, 1997). In jedem Fall besteht ein relevantes Mismatch zwischen der bedeutenden funktionellen Rolle von Dopamin im Hip- pocampus und auch der Dichte hippocampaler postsynaptischer Dopamin-Rezeptoren einerseits (O’Carroll et al., 2006; Bethus et al., 2010), und der tatsächlichen (rein) dopa- minergen Innervation andererseits. Vor diesem Hintergrund wurde die These formuliert, der überwiegende Anteil des hippocampalen DA stamme gar nicht aus den eigentli- chen dopaminergen Gebieten im Mittelhirn, sondern aus noradrenergen Gebieten mit reichen Projektionen in den Hippocampus, d.h. v.a. aus dem Locus coeruleus (Guiard et al., 2008; Smith & Greene, 2012), zumal gezeigt werden konnte, dass nach Läsion des Locus coeruleus der Dopamin-Gehalt im hippocampalen Gewebe signifikant absinkt (Arvin et al., 1992). Die im Rahmen der vorliegenden Arbeit erhobenen Daten lassen diese Hypothese insoweit plausibel erscheinen, als dass die parallele histologische Analy- se von Pons und Mesencephalon nach retrogradem Tracing des dorsalen und ventralen Hippocampus eine denkbar große Differenz in der Projektionsdichte zwischen coeruleo- hippocampalen und meso-hippocampalen Fasern zugunsten der coeruleo-hippocampalen Fasern ergab.
4.2 Diskussion der Patch-Clamp-Experimente
4.2.1 Elektrophysiologische Charakterisierung coeruleo-präfrontaler und coeruleo-hippocampaler Neurone ohne und mit α2-Autorezeptor-Blockade
Im Rahmen der vorliegenden Arbeit wurden zwei Versuchsreihen zur elektrophysiologischen Charakterisierung zweier Subpopulationen im Locus coeruleus - der coeruleopräfrontalen und der coeruleo-hippocampalen Projektion - durchgeführt: einmal jeweils ohne und mit Applikation von Yohimbin über die Badlösung. Über den α2-Autorezeptor- Antagonisten Yohimbin sollte der Status der α2-Rezeptoren in den beiden Subpopulationen dargestellt sowie geprüft werden, ob die für das dopaminerge Mittelhirn vorbeschriebene selektive Abwesenheit von Autorezeptoren in den nach präfrontal projizierenden Neuronen (Lammel et al., 2008) auch auf den LC zutrifft.
Die Bindung eines Agonisten an α2-Autorezeptoren vermittelt u.a. über die Aktivie- rung G-Protein-gekoppelter K+-Kanäle („GIRKs”) eine Hyperpolarisation der Zelle, und damit eine Abnahme der Feuerungsrate der LC-Zellen (Arima et al., 1998); auch die in- hibitorische Modulation von Ca2+-Kanälen spielt im LC eine Rolle (Chieng & Bekkers, 1999). Dies dient physiologisch als negativer Feedback-Mechanismus: Wenn die Zellen selbst (und benachbarte Zellen) sehr aktiv sind, also viel Noradrenalin ausschütten, dros- seln sie selbst über Autorezeptoraktivierung durch das Noradrenalin ihre Feuerungsrate. Umgekehrt ist bei Anwesenheit eines α2-Antagonisten wie Yohimbin eine Disinhibiti- on - eine Abnahme der Hemmung -, also eine Zunahme der coerulären Feuerungsrate zu erwarten. Die Beobachtung der Spontanfrequenz und der Vergleich zwischen den vier Gruppen - coeruleo-präfrontale und coeruleo-hippocampale Projektion, jeweils ohne und mit Yohimbin - war also entscheidend und stellt einen der zentralen Befunde der vorliegenden Arbeit dar.
Die beiden untersuchten Gruppen zeigten unter Abwesenheit des α2-Autorezeptor- Blockers Yohimbin keine signifikanten Unterschiede hinsichtlich ihrer Spontanfrequenz in synaptischer Isolation. Die mittlere Spontanfrequenz betrug 2,4 Hz für die coeruleopräfrontale Population und 2,3 Hz für die coeruleo-hippocampale Population. Diese Daten, wie auch einige weitere erhobene Parameter, decken sich mit den vorbeschriebenen elektrophysiologischen Analysen des gesamten Locus coeruleus, ohne selektive projektionsspezifische Identifizierung einzelner Subpopulationen (Williams et al., 1984; Berridge & Waterhouse, 2003; de Oliveira et al., 2010).
Es zeigte sich nun aber, dass die beiden Projektionen bei Yohimbin-Applikation nicht gleichsinnig verändert sind: Die coeruleo-präfrontalen Zellen unterscheiden sich nicht ohne und mit Applikation des α2-Blockers Yohimbin. Die coeruleo-hippocampalen Neu- rone hingegen feuern bei Yohimbin-Applikation, d.h. bei Blockade der inhibierenden α2- Rezeptoren, signifikant schneller: 2,4 Hz vs. 2,2 Hz (coeruleo-präfrontal) bzw. 2,3 vs. 3,0 Hz (coeruleo-hippocampal). Vergleicht man die coeruleo-präfrontale und die coeruleo- hippocampale Projektion unter Anwesenheit von Yohimbin, so zeigt sich ein signifi- kanter Unterschied der Spontanfrequenz zwischen den beiden Subpopulationen: 2,2 Hz (coeruleo-präfrontal) vs. 3,0 Hz (coeruleo-hippocampal; vgl. Abb. 3.26).
Zusammenfassend besteht also ein fehlendes Ansprechen auf α2-Blockade in der coeru- leo-präfrontalen Gruppe, während es eine signifikante Steigerung der Spontanfrequenz auf Yohimbin in der coeruleo-hippocampalen Gruppe gibt. Dies spricht für eine, wenn nicht ganz fehlende, zumindest reduzierte funktionale Rolle von α 2 -Autorezeptoren selek- tiv in nach präfrontal projizierenden LC-Neuronen; analog zu den meso-präfrontalen Zellen der VTA. Dies stellt einen für den Locus coeruleus neuen Befund dar, und gibt trotz der vielfach vorbeschriebenen elektrophysiologischen Homogenität im Locus coeruleus-noradrenergen System einen Hinweis auf eine (projektionsspezifische) Hetero- genität der Subpopulationen. Für die sympathischen Neurone im Ganglion cervicale su- perius ist ein teilweises (subpopulationsspezifisches) Fehlen der α2-vermittelten Antwort auf Noradrenalin-Applikation belegt (Li & Horn, 2008), im Fall des Locus coeruleus ist aber zumeist ein homogenes Ansprechen der Zellpopulation auf α2-Autorezeptor- Aktivierung vorbeschrieben (Williams et al., 1985; Arima et al., 1998).
Die Ursachen im einzelnen der differentiellen α2-Autorezeptor-Regulation in den ver- schiedenen LC-Subpopulationen können verschiedene sein: Es ist zum einen möglich, dass die coeruleo-präfrontale Population prinzipiell keine funktionalen α2-Autorezeptoren besitzt (ähnlich wie die meso-präfrontalen Zellen der VTA). Dies wäre die stärkste Hypo- these. Eine „schwächere” Erklärung des erhobenen Befundes besteht darin, dass die ver- schiedenen LC-Populationen die funktionelle Rolle der α2-Autorezeptoren unterschiedlich regulieren - z.B. durch eine unterschiedliche Kopplung an GIRK- bzw. Ca2+-Kanäle.
Es ist denkbar, dass die unterschiedlichen Subpopulationen verschieden auf Stress rea- gieren - der Locus coeruleus ist ja einer der primären Stress-Sensoren des ZNS (Valentino & Van Bockstaele, 2008) -, und es konnte gezeigt werden, dass chronischer Stress zu ei- ner Herabregulierung der α2-Autorezeptoren im LC führt (Jedema et al., 2008). Andere Arbeiten sehen auch Hinweise auf eine heterogene Antwort (nicht weiter identifizier- ter) LC-Zellen beispielsweise auf oxidativen Stress (de Oliveira et al., 2012). Der Stress könnte also auch die α2-Autorezeptor-Regulation je nach Subpopulation unterschiedlich beeinflussen. In den Experimenten der vorliegenden Arbeit kann ein Stress-Faktor, der in den beiden Subpopulationen unterschiedliche Anpassungsprozesse der α2-Autorezeptor- Regulation auslöst, auf verschiedenen Ebenen vorliegen: Zunächst bedeuten Narkose und Operation natürlich Stress für den Gesamt-Organismus. Es ist denkbar, dass hier- durch mittelfristige plastische Veränderungen induziert werden, die zum Zeitpunkt der Patch-Clamp-Experimente - zwei bis drei Wochen später - entsprechende selektive Re- gulationsprozesse bewirkt haben. Auf der Ebene des ZNS besteht zudem durch das mechanische Einführen der Kanüle und die Injektion der Beads mechanischer Stress, der Zelluntergang und damit zwangsläufig plastische Veränderungen zur Folge hat. Schließ- lich kann die populationsspezifische differentielle Regulation der α2-Autorezeptoren auch durch Stress auf Ebene der LC-Zelle selbst ausgelöst sein: Auch wenn eine Überprü- fung der elektrophysiologischen Basisparameter ungelabelter LC-Zellen keine signifikan- ten Unterschiede zu den mit Beads gefüllten Zellen ergab, kann nicht ausgeschlossen werden, dass die Latexbeads einen intrazellulären Stressfaktor für die Zellen darstell- ten, auf den coeruleo-präfrontale und coeruleo-hippocampale Zellen in Bezug auf die α2-Autorezeptor-Regulation je unterschiedlich reagiert haben.- In jedem Fall besteht ein, hier erstmalig beschriebener, Unterschied zwischen projektionsspezifisch verschie- denen Subpopulationen des Locus coeruleus hinsichtlich der funktionellen Rolle ihrer α2-Autorezeptoren. Die weiteren erhobenen Befunde weisen ebenfalls in diese Richtung.
Die Analyse des mittleren Rebound Delay im Hyperpolarisationsprotokoll zeigte sowohl ohne als auch mit Yohimbin-Applikation keinen signifikanten Unterschied zwischen coeruleo-präfrontalen und coeruleo-hippocampalen Neuronen (ohne Yohimbin: 1,7 s vs. 1,8 s; mit Yohimbin: 1,5 s vs. 1,2 s). Vgl. Abb. 3.27.
Ein Rebound Delay zeigte sich in allen gemessenen LC-Zellen. Ursächlich zu Grunde liegt dem der A-Strom, ein durch niederschwellige Potentiale aktivierter K+-Ausstrom, der das Auftreten des ersten Aktionspotentials nach dem Hyperpolarisationspuls verzögert. Die beiden untersuchten Populationen scheinen sich also hinsichtlich des A- Stroms nicht signifikant zu unterscheiden. Eine sag amplitude, d.h. ein depolarisierender Strom während des Hyperpolarisationspulses, fehlte im Gegensatz zum A-Strom in allen gemessenen LC-Neuronen. Dies kann auf die Abwesenheit von HCN-Kanälen - Hyperpolarisations-aktivierten unspezifischen Kationenkanälen - im LC hindeuten, die in verschiedenen Zellpopulationen in Herz und Gehirn (z.B. in der dopaminergen VTA; Neuhoff et al., 2002) zur Rhythmogenese beitragen.
Bei α2-Blockade ergaben die Messungen in beiden Gruppen eine gleichsinnige Verän- derung des Rebound Delay: Coeruleo-präfrontale Neurone zeigen unter Yohimbin einen leichten (p = 0,37), coeruleo-hippocampale Neurone hingegen einen deutlicheren Trend (p = 0,06) zur Abnahme des Rebound Delay. Die in der coeruleo-hippocampalen Sub- population unter Yohimbin (knapp nicht signifikant) reduzierte Verzögerung bis zum ersten Aktionspotential nach Hyperpolarisation der Zelle könnte durch die signifikant erhöhte Spontanfrequenz der coeruleo-hippocampalen Zellen bedingt sein (s. oben).
Die Auswertung der Maximalfrequenz der coeruleo-präfrontalen und der coeruleohippocampalen Nervenzellen ergab ohne und mit Yohimbin-Applikation keinen signifikanten Unterschied zwischen den beiden Populationen (ohne Yohimbin: 61,5 Hz vs. 59,6 Hz; mit Yohimbin: 38,9 Hz vs. 38,7 Hz). Vgl. Abb. 3.28. Dies spricht dafür, dass sich die zugrunde liegenden Kanalprozesse, d.h. vor allem die schnellen Na+-Kanäle, in den beiden Populationen nicht stark unterscheiden.
Es zeigte sich allerdings, in beiden Gruppen, eine signifikante Reduktion der Maximalfrequenz unter α2-Blockade mit Yohimbin. Dies kann bedingt sein durch unspezifische Kanalveränderungen durch Yohimbin, auch ein Effekt des Lösungsmittels für Yohimbin, DMSO, kann nicht ausgeschlossen werden. Entscheidend ist, dass beide Gruppen gleichsinnig mit und ohne Yohimbin verändert sind. Ein Unterschied zwischen den beiden Populationen zeigte sich in beiden Versuchsreihen diesbezüglich nicht.
Weiterhin wurden aus dem Depolarisationsprotokoll der Haltestrom sowie die FrequenzStrom-Kurven („f-i-plots”) ausgewertet.
Eine Analyse des Haltestroms (der notwendig war, um die Zelle auf -60 mV zu „hal- ten”) gibt Aufschluss über die permanent stattfindenden Ionenbewegungen über die Zellmembran bzw. die Kanalprozesse. Die Ergebnisse sind in Abb. 3.32 dargestellt. Es zeigte sich, dass in der coeruleo-hippocampalen Gruppe nach Yohimbin-Applikation ein deutlich signifikant (p = 0,002) negativerer Strom notwendig war, um das Potential zu erreichen (-29,2 mV vs. -55,9 mV). In der coeruleo-präfrontalen Gruppe zeigte sich keine signifikante Veränderung (-37,6 mV vs. -43,9 mV; p = 0,36). Dies ist erklärbar dadurch, dass coeruleo-hippocampale Neurone normalerweise zu einem gewissen Grad durch Aktivierung ihrer α2-Autorezeptoren hyperpolarisiert werden, bei Blockade dieser Rezeptoren durch Yohimbin aber dann deutlich negativere artifizielle Strominjektionen notwendig sind, um dasselbe Potential zu erreichen. In der coeruleo-präfrontalen Gruppe gibt es bei funktionell herabregulierten α2-Rezeptoren keinen solchen Effekt bzw. er ist unterhalb der Signifikanzschwelle.
Vergleicht man den Haltestrom coeruleo-präfrontaler und coeruleo-hippocampaler Neu- rone miteinander, so zeigen coeruleo-präfrontale Neurone, ohne α2-Blockade, einen (Trend zu einem) niedrigeren Haltestrom (37,6 mV vs. 29,2 mV; p = 0,14). Dies deutet darauf hin, dass das im Hirnschnitt vorhandene Noradrenalin in der coeruleo-hippocampalen Gruppe über α2-Rezeptoren die Zellen ein Stück weit hyperpolarisiert, sodass, verglichen mit der coeruleo-präfrontalen Gruppe, weniger injizierter Haltestrom nötig ist. Dies soll- te nach Blockade der α2-Autorezeptoren nicht mehr zu erwarten sein: die Gabe von Yohimbin kehrt diesen Trend um (-43,9 mV vs. -55,9 mV; p = 0,15).
Eine Auswertung der frequency-current-plots (eine Auftragung der Feuerungsrate ei- ner Zelle gegen den jeweils injizierten Strom im Depolarisationsprotokoll) ergab, ohne α2-Blockade, einen signifikant steileren Anstieg (p = 0,01) in der coeruleo-hippocampalen Gruppe, verglichen mit der coeruleo-präfrontalen Gruppe (0,09 Hz/pA vs. 0,05 Hz/pA). Vgl. Abb. 3.23. Dies spricht für eine relative Übererregbarkeit der coeruleo-hippocampa- len Subpopulation. Dies geht zusammen mit dem signifikant niedrigeren AP-Threshold - dem Schwellenpotential, das ebenfalls ein Maß für die Erregbarkeit einer Zelle darstellt - in dieser Gruppe (s. Abschn. 3.2.1.4, sowie unten). Unter Yohimbin-Applikation findet sich in der coeruleo-hippocampalen Gruppe ebenfalls ein leicht steilerer f-i-slope, ver- glichen mit der coeruleo-präfrontalen Gruppe (0,07 Hz/pA vs. 0,05 Hz/pA); dieser Un- terschied ist aber nicht signifikant (p = 0,2). Vgl. Abb. 3.29. Analog findet sich beim AP-Threshold ebenfalls kein signifikanter Unterschied zwischen den beiden Gruppen (s. Abschn. 3.2.2.4, sowie unten). Die signifikante relative Übererregbarkeit coeruleo- hippocampaler Zellen bei Abwesenheit der α2-Blockade mit Yohimbin, verglichen mit coeruleo-präfrontalen Zellen, ist bedingt möglicherweise durch Kompensationsmecha- nismen bei aufgrund der α2-Aktivierung-bedingten Hyperpolarisation niedrigem AP- Minimum (s. Abschn. 3.2.2.4, sowie unten).
In hoher zeitlicher Auflösung wurden die einzelnen Aktionspotentiale der beiden LC- Subpopulationen hinsichtlich der Parameter zeitliche Breite des Aktionspotentials, Thres- hold, Maximum und Minimum analysiert. Die Breite sowie das Maximum coeruleo- präfrontaler und coeruleo-hippocampaler Neurone unterschieden sich zwischen den Sub- populationen jeweils ohne und mit Yohimbin-Applikation nicht signifikant (AP-Breite: Ohne Yohimbin: 3,4 ms vs. 3,0 ms. Mit Yohimbin: 3,8 ms vs. 3,5 ms. AP-Maximum: Oh- ne Yohimbin: 31,0 mV vs. 32,1 mV. Mit Yohimbin: 15,5 mV vs. 17,6 mV). Innerhalb der coeruleo-hippocampalen Gruppe zeigte sich ein signifikanter Anstieg der AP-Breite bei Yohimbin-Applikation; in der coeruleo-präfrontalen Gruppe zeigte sich keine signifikante Reaktion in Bezug auf die AP-Breite nach Yohimbin-Applikation. Es zeigte sich aber ein deutlich signifikanter, subpopulationsunabhängiger Effekt der Yohimbin-Applikation auf das AP-Maximum mit einer deutlichen Reduktion desselben. Ursächlich zugrunde liegen kann hier z.B. eine unspezifische Blockade von Na+-Kanälen durch Yohimbin; auch ein Effekt des Lösungsmittels (DMSO) kann nicht ausgeschlossen werden. Wichtig ist, dass hier kein Unterschied zwischen den Populationen besteht: Coeruleo-präfrontale und coeruleo-hippocampale Neurone sind hinsichtlich des AP-Maximums, jeweils mit und ohne Yohimbin-Applikation, gleich.
In Bezug auf Schwellenpotential (Threshold) und Minimum (das der Nachhyperpo- larisation, AHP, entspricht) des einzelnen Aktionspotentials zeigten sich, in der Ver- suchsreihe ohne Yohimbin, signifikante Unterschiede zwischen den beiden Populationen. Coeruleo-präfrontale Neurone hatten mit -31,3 mV und -63,3 mV signifikant höhere Werte für Threshold bzw. Minimum als coeruleo-hippocampale Neurone mit -34,1 mV und -68,0 mV. Zum Hippocampus projizierende LC-Neurone haben also ein niedrige- res Schwellenpotential (p = 0,04), d.h. eine niedrigere Erregbarkeitsschwelle, sowie ei- ne ausgeprägtere Nachhyperpolarisation (p = 0,005) als nach präfrontal projizierende LC-Zellen. In der zweiten Versuchsreihe zeigte sich nun, dass diese Unterschiede durch α2-Blockade mit Yohimbin aufgehoben werden: -28,3 mV und -59,6 mV für coeruleo- präfrontale Zellen vs. -28,3 mV und -59,9 mV für coeruleo-hippocampale Zellen; vgl. Abb. 3.25, sowie Abb. 3.30 und Abb. 3.31. Dies stellt einen weiteren zentralen Befund der vorliegenden Arbeit dar, und soll im folgenden kurz eingeordnet werden.
Eine Analyse der Spontanfrequenzen coeruleo-präfrontaler und coeruleo-hippocampa- ler Neurone ohne und mit Yohimbin-Applikation erbrachte, wie oben beschrieben, den Verdacht auf eine differentielle α2-Autorezeptor-Regulation in den beiden Subpopula- tionen. Ausgehend hiervon können auch die Unterschiede in Threshold und Minimum des einzelnen Aktionspotentials der beiden Gruppen verstanden werden. Wenn es so ist, dass selektiv coeruleo-präfrontale Neurone in ihren α2-Autorezeptoren herunterreguliert sind, dann werden sie auf den sich in der Badlösung befindlichen Noradrenalin-Tonus im Gegensatz zu coeruleo-hippocampalen Neuronen schwächer bzw. gar nicht reagieren. Die Aktivierung von α2-Rezeptoren bewirkt über GIRK-Kanäle - G-Protein-gekoppelte K+-Kanäle - eine Hyperpolarisation der Zelle (Williams et al., 1985; Arima et al., 1998; Lüscher & Slesinger, 2010), zudem spielen Ca2+-Kanäle eine Rolle im LC bei der Vermitt- lung der inhibitorischen Antwort auf α2-Stimulation (Chieng & Bekkers, 1999); sowohl T- als auch L-Typ-Ca2+-Kanäle beeinflussen die Amplitude der Nachhyperpolarisation (und auch die Spontanfrequenz) im LC (Matschke et al., 2015). Dies deckt sich also mit dem Befund eines signifikant niedrigeren Minimums in coeruleo-hippocampalen Zellen verglichen mit den coeruleo-präfrontalen: Coeruleo-hippocampale Zellen weisen (stär- kere) hyperpolarisierende Ströme im Rahmen der permanenten GIRK-Aktivierung und inhibitorischen Modulation von Ca2+-Kanälen durch α2-Rezeptoren (aktiviert durch sich im Bad befindliches Noradrenalin) auf, sodass die Nachhyperpolarisation bis in negati- vere Potentialwerte reicht. Durch die Verschiebung des Minimums hin zu negativeren Potentialen bei coeruleo-hippocampalen Neuronen erklärt sich auch der signifikant nied- rigere Threshold verglichen mit coeruleo-präfrontalen Neuronen.
Bei Durchführung einer α2-Blockade durch Yohimbin zeigte sich folgerichtig eine Nivel- lierung dieses Unterschieds zwischen der coeruleo-präfrontalen und der coeruleo-hippo- campalen Subpopulation. Eine α2-Blockade macht also die beiden Gruppen in dieser Hinsicht „gleich”.
Vergleicht man die beiden Subpopulationen unter sich, jeweils ohne und mit Yohimbin- Applikation, zeigt sich in beiden Gruppen für Threshold und Minimum jeweils eine gleichsinnige Änderung (in Richtung positiverer Potentiale), die in der coeruleo-hippo- campalen Subpopulation in beiden Fällen stärker ausfällt (p < 0,05 für die coeruleo- präfrontale Gruppe, p < 0,001 für die coeruleo-hippocampale Gruppe). Der in coeruleo- hippocampalen Neuronen stärker beobachtbare Anstieg von Threshold und Minimum ist erklärbar durch die beschriebenen unterschiedlichen hyperpolarisierenden Ströme in den beiden Populationen: Durch die reduzierte funktionelle Rolle der α2-Autorezeptoren bzw. ggf. ihre reduzierte Kopplung an GIRK- und Ca2+-Kanäle in coeruleo-präfrontalen Neuronen fällt eine α2-Blockade durch Yohimbin, und damit eine Abnahme der hyper- polarisierenden Ströme, weniger ins Gewicht als in coeruleo-hippocampalen Neuronen, sodass Threshold und Minimum in coeruleo-präfrontalen Zellen weniger stark ansteigen.
4.2.2 Funktionelle Implikationen
Zusammenfassend lässt sich also festhalten, dass die elektrophysiologische Grundcharak- terisierung coeruleo-präfrontaler und coeruleo-hippocampaler Neurone für beide Grup- pen bei den meisten Merkmalen ähnliche Parameter ergeben hat. Dies deckt sich mit der vorbeschriebenen elektrophysiologischen Homogenität des Locus coeruleus-noradre- nergen Systems (Williams et al., 1984; Berridge & Waterhouse, 2003; de Oliveira et al., 2010). Da die Nervenzellen des Locus coeruleus zudem über sog. gap junctions elekroto- nisch gekoppelt sind (Ishimatsu & Williams, 1996; Aston-Jones et al., 1999), können sie auf afferenten Input mit einem nahezu synchronen Feuerungsmuster antworten (Berridge & Waterhouse, 2003). Dies ist physiologisch sinnvoll in Anbetracht der sehr generellen Rolle, die dem Locus coeruleus bei der Vermittlung von Stress und „Arousal” zukommt. So kann in vivo eine koordinierte LC-Antwort sichergestellt werden.
In der vorliegenden Arbeit beschrieben wurden aber auch Hinweise auf Unterschiede zwischen den LC-Populationen, zwischen coeruleo-präfrontalen und coeruleo-hippocam- palen Neuronen. Die coeruleo-präfrontale Gruppe zeigte im Gegensatz zur coeruleo- hippocampalen ein fehlendes Ansprechen auf eine Blockade der α2-Autorezeptoren durch Yohimbin, das am ehesten erklärbar ist im Rahmen des kompletten Fehlens oder der se- lektiven Down-Regulation (z.B. durch unterschiedliche Kopplung an GIRK-Kanäle) von α2-Rezeptoren. Hinweise auf eine Heterogenität bzw. verschiedene Subpopulationen im Locus coeruleus bzw. im zentralen noradrenergen System finden sich verschiedentlich in der Literatur (Matschke, 2011; de Oliveira et al., 2012; Robertson et al., 2013), projek- tionsspezifische Unterschiede in der funktionalen Rolle der α2-Rezeptoren sind unseres Wissens bislang aber nicht beschrieben. Die funktionellen Implikationen des Befundes könnten, sofern das beobachtete Phänomen auf der in vivo -Ebene relevant ist, in einer selektiven Akzentuierung der coeruleo-präfrontalen Bahn in Stresssituationen liegen: Bei der mit Stress einhergehenden hohen LC-Aktivierung sind coeruleo-präfrontale Neuro- ne vom negativen Rückkopplungsmechanismus über α2-Autorezeptor-Aktivierung aus- geschlossen bzw. vermindert betroffen, coeruleo-hippocampale Neurone hingegen nicht. Coeruleo-präfrontale Neurone können durch Noradrenalin-Ausschüttung benachbarte coeruleo-hippocampale Neurone hemmen; aber nicht, oder nur eingeschränkt, vice ver- sa. Es kommt somit zu einer relativen Bevorzugung des coeruleo-prärontalen Pathways. Übersetzt in funktionelle Zusammenhänge könnte dies bedeuten, dass, bei hohem Stress- Level, die im PFC realisierten kognitiven Funktionen gegenüber den im Hippocampus realisierten Priorität erhalten. Beispielsweise könnte die Aktivierung des Arbeitsgedächt- nisses zur Bewältigung einer aktuellen Aufgabe gegenüber der Langzeit-Gedächtniskonso- lidierung priorisiert werden. Bei Aufgabenbewältigung unter starkem Stress würden also alle Ressourcen mobilisiert, um die Situation bestmöglich zu bewältigen, anstelle eines genauen Abspeicherns im Gedächtnis. Die Herausbildung einer solchen Konstellation kann durch einen mit ihr einhergehenden evolutionären Selektionsvorteil bedingt sein.
5 Zusammenfassung
Das Locus coeruleus-noradrenerge System ist die primäre Quelle für zentrales corticales und subcorticales Noradrenalin. Die noradrenergen Projektionen des LC sind an der Modulation einer Vielzahl von funktionellen zentralen Abläufen beteiligt, u.a. an Aufmerksamkeitsprozessen, der Vermittlung von Stress und der Schlaf-Wach-Koordination, aber auch an der Koordination spezifischerer kognitiver Funktionen im Rahmen von Belohnungs-orientiertem Verhalten.
Die im Rahmen der vorliegenden Arbeit im anatomisch-topographischen Teil durch- geführten Experimente belegen eine dichte noradrenerge Innervation des präfrontalen Cortex, des dorsalen und ventralen Hippocampus, und des Kleinhirns durch Neurone des Locus coeruleus. Innerhalb des LC sind die nach präfrontal und hippocampal pro- jizierenden Neurone vorwiegend im dorsalen Anschnitt über die gesamte rostro-caudale Achse zu finden. Der Anteil ipsilateral gelabelter Zellen überwiegt deutlich. Coeruleo- cerebelläre Neurone sind innerhalb des LC sowohl in den dorsalen als auch ventralen Abschnitten, ebenfalls über die gesamte rostro-caudale Achse, zu finden. Der Anteil kontralateral gelabelter Zellen ist relativ höher als bei den anderen Projektionen.
Die im ersten elektrophysiologischen Teil der Arbeit durchgeführten Experimente be- legen ein in den Grundeigenschaften ähnliches Feuerungsmuster selektiv identifizier- ter coeruleo-präfrontaler und coeruleo-hippocampaler Nervenzellen. Einzelne Aktions- potential-Parameter waren signifikant unterschiedlich, hinweisend auf unterschiedliche hyperpolarisierende Ströme in beiden Populationen. Eine Überprüfung des α2-Auto- rezeptor-Status im zweiten elektrophysiologischen Teil der Arbeit ergab ein fehlendes Ansprechen der coeruleo-präfrontalen Neurone auf α2-Blockade (im Gegensatz zu den coeruleo-hippocampalen Neuronen); dieser Befund ist vereinbar am ehesten mit fehlen- den oder funktionell down-regulierten α2-Rezeptoren selektiv in nach präfrontal projizie- renden Neuronen des Locus coeruleus. Hierbei handelt es sich um einen in der Literatur nicht vorbeschriebenen Befund.
6 Summary
The locus coeruleus-noradrenergic system is the primary source for central cortical and subcortical norepinephrine. The noradrenergic projections of the LC play a crucial role in the modulation of basal cognitive processes such as stress, arousal and the regulation of the sleep-wake-cycle, but as well in modulating more specific cognitive functions such as balancing exploitation and exploration in reward-related behavior.
The results obtained in the anatomical-topographical part of the present study prove a dense noradrenergic innervation of the prefrontal cortex, both dorsal and ventral hippocampus, and the cerebellum by LC neurons. Within the LC, prefrontal and hippocampal projecting neurons are predominantly located in the dorsal part of the ipsilateral LC, throughout the whole rostro-caudal axis. Coeruleo-cerebellar neurons in contrast are located in both dorsal and ventral LC, throughout the whole rostro-caudal axis. They show contralateral projections to a significantly greater extent.
The experiments carried out in the first electrophysiological part of the study revea- led a strong similarity of basic electrophysiological properties of coeruleo-prefrontal and coeruleo-hippocampal projecting neurons. However, single action potential parameters differed significantly, indicating differences in hyperpolarizing membrane currents bet- ween the two groups. Testing, in the second electrophysiological part, the α2-autoreceptor status in both populations revealed a lack of response to α2-blockade (by application of yohimbine) in coeruleo-prefrontal neurons, in contrast to coeruleo-hippocampal neurons. This might be due to an absolute lack or a relative functional down-regulation of α2- autoreceptors selectively in prefrontal projecting locus coeruleus neurons. This finding has not been described yet.
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7 Anlage
7.1 Abkürzungs- und Abbildungsverzeichnis
Abkürzungssverzeichnis
Nicht gesondert aufgeführt werden Abkürzungen und Maßeinheiten der International Federation for Clinical Chemistry (IFCC) und der International Union of Pure and Applied Chemistry (IUPAC), sowie Syst è me International d ’ Unit é s - (SI-)Einheiten.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildungsverzeichnis
1.1 LC: Menschlicher Hirnstamm und Koronarschnitt der Maus
1.2 Projektionsgebiete des LC
1.3 Noradrenalin Biosynthese
1.4 LC und Aufmerksamkeit
1.5 Noradrenalin und adrenerge Rezeptoren
2.1 LC im Wildtyp, Färbung ab43868
2.2 LC im Wildtyp, Färbung Millipore n-terminal . .
2.3 LC im Wildtyp und DBH-k.o., Färbung ab43868
2.4 Autofluoreszenz im LC
2.5 Schichtenanalyse des LC
2.6 Patch-clamp-Konfigurationen
2.7 Patch-Clamp: Labeling
2.8 Elektrophysiologischer Messstand
2.9 Schaltbild Vorverstärker
2.10 Hyperpolarisations- und Depolarisationsprotokoll
2.11 Aktionspotential, Analyseparameter
3.1 Injektionsstellen PFC und D.HC
3.2 Injektionsstellen V.HC und CER
3.3 Injektionsstellen mit Atlas-Bild
3.4 LC, PFC-Tracing
3.5 LC-Schichtenanalyse, PFC-Tracing
3.6 LC, D.HC-Tracing
3.7 LC-Schichtenanalyse, D.HC-Tracing
3.8 LC, V.HC-Tracing
3.9 LC-Schichtenanalyse, V.HC-Tracing
3.10 LC, CER-Tracing
3.11 LC-Schichtenanalyse, CER-Tracing
3.12 Tracing, relative Verteilung im LC
3.13 LC, Doppeltracing D.HC und V.HC
3.14 LC, Doppeltracing CER und V.HC
3.15 LC, Doppeltracing PFC und V.HC
3.16 Mittelhirn, Tracing V.HC
3.17 Spontanfrequenz
3.18 Spontanfrequenz, Balkendiagramm
3.19 Rebound Delay
3.20 Rebound Delay, Balkendiagramm
3.21 Maximalfrequenz
3.22 Maximalfrequenz, Balkendiagramm
3.23 frequency-current-plot
3.24 Einzel-Aktionspotential
3.25 Einzel-Aktionspotential, Balkendiagramme . .
3.26 Spontanfrequenz Yohimbin, Balkendiagramm .
3.27 Rebound Delay Yohimbin, Balkendiagramm
3.28 Maximalfrequenz Yohimbin, Balkendiagramm
3.29 frequency-current-plot Yohimbin
3.30 Einzel-Aktionspotential Yohimbin, Balkendiagramme (1)
3.31 Einzel-Aktionspotential Yohimbin, Balkendiagramme (2)
3.32 Haltestrom, Balkendiagramm
7.2 Tabellarischer Lebenslauf
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
7.3 Danksagung
Herzlicher Dank geht an meinen Doktorvater Prof. Jochen Roeper für die Unterstützung und die motivierende Begleitung meiner Arbeit, der es immer wieder geschafft hat, hinter den Widrigkeiten des experimentellen Alltags die Vision des wissenschaftlichen Verstehens aufzuzeigen. Ich danke ihm weiterhin für die Durchführung von weiterführenden Patch-Clamp-Untersuchungen im Locus coeruleus, die eine Veröffentlichung des Datensatzes möglich machen.
Herzlich danke ich auch Dr. Sabine Krabbe für das engagierte und kompetente Coaching im ersten Teil der Arbeit, das mir einen Begriff davon gegeben hat, was es heißt, (natur-)wissenschaftlich zu arbeiten.
Alois Kreuzer danke ich für sein Engagement für das LC-Projekt, und die Durchführung von ergänzenden Patch-Clamp-Experimenten.
Ich danke weiterhin allen Mitarbeitern des Instituts für Neurophysiologie für eine nette und kollegiale Arbeitsatmosphäre, und für die schnelle Unterstützung bei Problemen jeder Art. Sylvie Kutterer und Alois Kreuzer danke ich insbesondere dafür, dass sie mich beim Erlernen der Patch-Clamp-Technik sehr unterstützt haben.
Bea Kern danke ich für die kompetente Durchführung von Tracing-Operationen, die für die abschließenden ergänzenden Patch-Clamp-Experimente nötig waren. Annika Parg danke ich herzlich für die Unterstützung bei der histologischen Aufarbeitung der Hirnschnitte.
Schriftliche Erklärung
Ich erkläre ehrenwörtlich, dass ich die dem Fachbereich Medizin der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main zur Promotionsprüfung eingereichte Dissertation mit dem Titel
Anatomische und elektrophysiologische Eigenschaften identifizierter Subpopulationen im Locus coeruleus-noradrenergen System. Eine Studie an der adulten Maus im Institut für Physiologie II (Sinnes- und Neurophysiologie) unter Betreuung und Anleitung von Prof. Dr. Jochen Roeper ohne sonstige Hilfe selbst durchgeführt und bei der Abfassung der Arbeit keine anderen als die in der Dissertation angeführten Hilfsmittel benutzt habe. Darüber hinaus versichere ich, nicht die Hilfe einer kommerziellen Promotionsvermittlung in Anspruch genommen zu haben.
Ich habe bisher an keiner in- oder ausländischen Universität ein Gesuch um Zulassung zur Promotion eingereicht. Die vorliegende Arbeit wurde bisher nicht als Dissertation eingereicht.
(Ort, Datum) (Unterschrift)
- Arbeit zitieren
- Tobias Wagner-Altendorf (Autor:in), 2015, Anatomische und elektrophysiologische Eigenschaften identifizierter Subpopulationen im Locus coeruleus-noradrenergen System. Eine Studie an der adulten Maus, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/346971
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