Die Geschichte der Afroecuatorianos beginnt mit einer Legende, die besagt, dass 1553 ein Schiff vor der Küste des heutigen Ecuador Schiffbruch erlitt. Einige der sich an Bord befindlichen Sklaven erreichten die Küste und konnten in die naheliegenden Wälder flüchten. Die Flüchtlinge besiedelten den Urwald in einer Zone, die nach den Edelsteinen in seinen Flüssen benannt ist – Esmeraldas. Durch die Flucht erreichten sie ihre Unabhängigkeit und verteidigten diese gegen jegliche Versuche der Kolonialherren, sie erneut zu versklaven. Angeführt von Alonso de Illescas, einem der Überlebenden des Schiffbruchs, der den Namen seines alten Sklavenhalters annahm, verwandelte sich die Gemeinschaft in Esmeraldas zum Zufluchtsort zahlreicher entflohener Sklaven. Der Freiheitskämpfer soll außerdem La República de Zambos gegründet haben, welche von einer Allianz aus indigenen und Schwarzen Sklavenflüchtlingen regiert wurde.
Eine zweite Schwarze Enklave entstand während der Kolonialzeit in dem in den Anden gelegenen Chota-Tal. Die Jesuiten der Compañía de Jesús hatten die Sklaven zur Produktion von Zuckerrohr und Zuckerrohrschnaps, welche vom tropischen Klima begünstigt wurde, auf ihre Plantagen gebracht. Zu dieser Zeit besaß die katholische Kirche die größten Plantagen im Land.
Die Entwicklungen in Esmeraldas und dem Chota-Tal verliefen über die Jahrhunderte hinweg weitestgehend unterschiedlich. Lediglich die isolierte Lage beider Regionen ist miteinander vergleichbar. So war die Provinz Esmeraldas vom Rest des kolonialen Gebiets weitestgehend abgegrenzt, da sich die Gemeinschaften nicht dem hegemonialen Kolonialsystem unterwarfen. Jedoch fand auch in dieser Region der Handel mit Sklaven statt. Das Chota-Tal unterschied sich vom Rest der Anden durch sein strapaziöses Klima.
75,9% und damit die Mehrheit der Afroecuatorianos lebt heutzutage in den Küstenregionen von Ecuador. Von der Gesamtbevölkerung Ecuadors machen sie lediglich 5% aus.
Trotz des Status als anerkannte Minorität in Ecuador fand bis heute keine Integration der Afroecuatorianos in die Gesellschaft statt. Dies begründet sich unter anderem in dem tief verankerten Rassismus gegenüber der Schwarzen und indigenen Bevölkerung. Auch mehr als 100 Jahre nach dem Ende der Sklaverei gehören diese Minderheiten in Ecuador zur ärmsten sozialen Schicht mit den geringsten Bildungs- und Aufstiegschancen.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Hinweise zu den verwendeten Begriffen und Schreibweisen
3. Die Dekoloniale Theorie nach Ramón Grosfoguel
4. Transkulturalität
5. Die Ankunft der Afrikaner in Ecuador
5.1 Die ersten Sklavenflüchtlinge an der Küste von Ecuador
5.2 Andere Cimarrones und ihre Anführer
6. Das Leben der Sklavenflüchtlinge in Esmeraldas
6.1 Der Freiheitskämpfer Alonso de Illescas
6.2 Zur Geschichte der ersten Palenques
7. Transkulturelle Beziehungsgeflechte in Esmeraldas
7.1 El Zambo
7.2 La República de Zambos
8. Die Sklaverei in Ecuador
8.1 Sklaven in Esmeraldas
8.2 Zur Geschichte der Sklaverei im Chota-Tal
9. Das Leben der Afroecuatorianos im Chota-Tal
10. Die Sprachvarietät der Afrochoteños
10.1 Chota Valley Spanish
10.2 Transkulturelle Prozesse im Chota Valley Spanish
11. Mujer Choteña y Cultura
12. Die Kultur der Afroecuatorianos unter dem Aspekt der Transkulturalität
12.1 Transkulturelle Prozesse in der Marimba-Musik und den -Tänzen
12.2 Transkulturelle Literatur
12.2.1 Escritor Esmeraldeño - Nelson Estupiñán Bass
12.3 La Mama Negra
13. Die Afroecuatorianos in der ecuadorianischen Gesellschaft
13.1 Gesellschaftlicher Aufbau
13.2 Die aktuelle Stellung der Afroecuatorianos innerhalb der ecuadorianischen Gesellschaft
14. Die Gemeinschaft der Montubios
15. Schlussbetrachtung
16. Bibliographie
1. Einleitung
Die Geschichte der Afroecuatorianos [1] beginnt mit einer Legende, die besagt, dass 1553 ein Schiff vor der Küste des heutigen Ecuador Schiffbruch erlitt. Einige der sich an Bord befindlichen Sklaven erreichten die Küste und konnten in die naheliegenden Wälder flüchten.[2] Die Flüchtlinge besiedelten den Urwald in einer Zone, die nach den Edelsteinen in seinen Flüssen benannt ist – Esmeraldas.[3] Durch die Flucht erreichten sie ihre Unabhängigkeit und verteidigten diese gegen jegliche Versuche der Kolonialherren, sie erneut zu versklaven.[4] Angeführt von Alonso de Illescas, einem der Überlebenden des Schiffbruchs, der den Namen seines alten Sklavenhalters annahm, verwandelte sich die Gemeinschaft in Esmeraldas zum Zufluchtsort zahlreicher entflohener Sklaven. Der Freiheitskämpfer soll außerdem La República de Zambos gegründet haben, welche von einer Allianz aus indigenen und Schwarzen[5] Sklavenflüchtlingen regiert wurde.[6]
Eine zweite Schwarze Enklave entstand während der Kolonialzeit in dem in den Anden gelegenen Chota-Tal. Die Jesuiten der Compañía de Jesús hatten die Sklaven zur Produktion von Zuckerrohr und Zuckerrohrschnaps, welche vom tropischen Klima begünstigt wurde, auf ihre Plantagen gebracht. Zu dieser Zeit besaß die katholische Kirche die größten Plantagen im Land.
Die Entwicklungen in Esmeraldas und dem Chota-Tal verliefen über die Jahrhunderte hinweg weitestgehend unterschiedlich. Lediglich die isolierte Lage beider Regionen ist miteinander vergleichbar. So war die Provinz Esmeraldas vom Rest des kolonialen Gebiets weitestgehend abgegrenzt, da sich die Gemeinschaften nicht dem hegemonialen Kolonialsystem unterwarfen. Jedoch fand auch in dieser Region der Handel mit Sklaven statt. Das Chota-Tal unterschied sich vom Rest der Anden durch sein strapaziöses Klima.
75,9% und damit die Mehrheit der Afroecuatorianos lebt heutzutage in den Küstenregionen von Ecuador. Von der Gesamtbevölkerung Ecuadors machen sie lediglich 5% aus.[7]
Trotz des Status als anerkannte Minorität in Ecuador fand bis heute keine Integration der Afroecuatorianos in die Gesellschaft statt. Dies begründet sich unter anderem in dem tief verankerten Rassismus gegenüber der Schwarzen und indigenen Bevölkerung. Auch mehr als 100 Jahre nach dem Ende der Sklaverei gehören diese Minderheiten in Ecuador zur ärmsten sozialen Schicht mit den geringsten Bildungs- und Aufstiegschancen.[8]
Obwohl über Jahrhunderte von der mestizischen und weißen Bevölkerung dominiert und bis heute diskriminiert, haben es die Afroecuatorianos geschafft, eine eigene heterogene Kultur zu bewahren, die sich aufgrund ihrer Geschichte durch afrikanische, indigene und europäische Einflüsse auszeichnet: „La de los afrodescendientes ha sido, en Ecuador, una historia híbrida desde siempre, arraigada desde sus inicios en la mezcla racial y la lucha política“.[9]
Im Mittelpunkt der folgenden Arbeit soll daher die Untersuchung der sozio-kulturellen Beziehungsgeflechte der Afroecuatorianos, vor allem auf der Grundlage des Konzeptes der Transkulturalität, stehen. Ein weiteres, übergeordnetes Ziel soll dabei die Betrachtung der transkulturellen Entwicklungsprozesse, wie sie sich seit der Entstehung der Enklaven bis heute vollzogen haben sowie die Analyse der sich daraus ableitbaren transkulturellen Elemente darstellen.
Unterstützend soll in diesem Zusammenhang auf die Dekoloniale Theorie von Ramón Grosfoguel eingegangen werden, da dieser unter anderem die These einer nicht-eurozentrischen Rezeption der historischen Ereignisse vertritt, welche sich auch im Transkulturalitätskonzept wiederfindet. Zusätzlich ist für die Analyse Fernando Ortiz’ Theorie der Transkulturation sowie das daraus entwickelte, und durch die philosophische, soziologische und anthropologische Globalisierungsforschung erweiterte Konzept der Transkulturalität grundlegend.
Im weiteren Verlauf soll auf die Geschichte der Sklavenflüchtlinge in Esmeraldas und das Entstehen einer neuen Kaste, der Zambos, eingegangen werden, da sich an dieser Stelle eine exemplarische Untersuchung der Kontakte zwischen der indigenen, Schwarzen und weißen Bevölkerung hinsichtlich ihres wechselseitigen Einflusses anbietet.
Um die voneinander abweichenden Entwicklungsprozesse und damit die unterschiedlichen transkulturellen Prozesse der Regionen Esmeraldas und des Chota-Tals darstellen zu können, wird auch die Geschichte des Sklavenhandels und das heutige soziale und kulturelle Leben der Afrochoteños dargelegt. Einhergehend mit dieser Thematik wird eine kurze Analyse der im Chota-Tal verwendeten Sprachvarietät vorgenommen, um eventuell vorhandene transkulturelle Prozesse ausfindig machen zu können. In diesem Zusammenhang werden außerdem die Situation der Frauen im Chota-Tal und deren soziale und kulturelle Stellung in deren Gesellschaft näher beleuchtet.
Im weiteren Verlauf der Arbeit wird im Rahmen einer exemplarischen Untersuchung beispielhaft auf die transkulturellen Prozesse in der Marimba-Musik und den dazugehörigen Tänzen eingegangen. Außerdem sollen einige Werke des Schriftstellers Nelson Estupiñán Bass bezüglich des Transkulturalitätsaspekts untersucht werden.
Einen weiteren wichtigen, und bereits genannten Aspekt, stellt die Diskriminierung der Afroecuatorianos dar, die seit der Kolonialzeit anhält. Dieser Umstand ist unter anderem das Resultat eines politischen, sozialen und ökonomischen Ausschlusses der Minoritäten aus der ecuadorianischen Mentalität, die von der Idee des Blanqueamiento, also der Aufhellung durch weiße Gene geprägt ist. Um das bis heute anhaltende Phänomen der Diskriminierung nachvollziehen zu können, soll der ecuadorianische Gesellschaftsaufbau und die damit einhergehende, über Jahrzehnte anhaltende Ignoranz von Seiten des Staates gegenüber seiner plurikulturellen Gesellschaft, dargelegt werden. Erst 1998 erhielten die Afroecuatorianos ihre erste staatliche Anerkennung in der Verfassung Ecuadors.[10] Auch die verfassungsrechtliche Anerkennung der Gemeinschaft der Montubios fand erst zehn Jahre später statt.[11]
Die Montubios werden in dieser Arbeit als beispielhafte Minorität vorgestellt, da sie im Gegensatz zu der Mehrheit der Afroecuatorianos nicht auf ihre afrikanischen Wurzeln bestehen, sondern sich selbst als Gemeinschaft verstehen, die aus einem Verschmelzen von verschiedenen Ethnien und Kulturen entstanden ist. Ihnen geht es bei dem Wunsch nach Anerkennung ihrer Identität als Montubio weniger um eine ethnische Zugehörigkeit als vielmehr um die Berufung auf ein gemeinsames kulturelles Erbe.
Die Quellenlage zum Untersuchungsgegenstand dieser Arbeit ist sehr ergiebig. Sowohl das Iberoamerikanische Institut als auch die anderen Bibliotheken in Berlin und Brandenburg bieten einen weit gefächerten Korpus an Literatur an. Außerdem erfolgt die Nutzung von Internetquellen. Ein Großteil dieser Quellen sind Zeitungsartikel oder wissenschaftliche Artikel, die für mich nur über das Internet zugänglich sind.
In Anlehnung an die Dekoloniale Theorie, die in dieser Arbeit untersucht wird, ist die Darstellung der Afroecuatorianos in der Wissenschaft als nachteilig zu beurteilen, da diese recht einseitig ausfällt, denn sie findet hauptsächlich aus der europäischen Perspektive und nicht aus der Sicht der Afroecuatorianos statt. Eine vollständige Auswertung der existierenden Quellen ist im limitierten Rahmen dieser Arbeit nicht möglich.
Grundlegend für die Bearbeitung des Themas ist das 1940 veröffentlichte Werk Contrapunteo Cubano del Tabaco y el Azúcar von Fernando Ortiz, wobei für diese Arbeit nur die englische Ausgabe zur Verfügung steht. Das Werk stellt eines der ersten wissenschaftlichen Publikationen dar, das den Begriff der Transkulturation in den Vordergrund rückt. Als weitere wichtige Publikationen sind die in der transkulturellen Forschung bekannten Artikel des Philosophen Wolfgang Welsch zu nennen. Hinsichtlich der Dekolonialen Theorie wurden die Ausführungen des Soziologen Ramón Grosfoguel herangezogen.
Wichtige Beiträge zur Rezeption der Geschichte der Afroecuatorianos liefern unter anderem der Anthropologe Norman Jr. Whitten, der Ethnologe Diego Quiroga und der Historiker Charles Beatty Medina. Für die Darstellung des gesellschaftlichen Aufbaus Ecuadors erweisen sich abermals die Werke von Whitten und Quiroga als grundlegend. Alle diese Wissenschaftler nehmen Bezug auf das Werk des Priesters Miguel Cabello Balboa, der erstmalig die Erzählungen von Alonso de Illescas in seiner Chronik Verdadera Descripción y Relación Larga de la Provincia y Tierra de las Esmeraldas, Contenida desde el Cabo Llamado de Paseo hasta la Bahía de la Buenaventura niederschrieb. Damit gilt diese Chronik als erste literarische Quelle und markiert somit den Ausgangspunkt für die Rezeption der Geschichte der Afroecuatorianos.
Für den soziolinguistischen Teil dieser Arbeit wurde die Analyse der Sprachwissenschaftlerin Eva Gugenberger herangezogen, denn diese setzt sich mit dem Phänomen der transkulturellen Linguistik auseinander. Zusätzlich wurden beispielsweise die Werke der Linguisten John M. Lispki und Sandro Sessarego verwendet, die mit ihren Veröffentlichungen die Hoffnung verbinden, dass diese Sprachvarietät in den Kreisen der Linguistik eine höhere Anerkennung erlangt.
Für eine Analyse der transkulturellen Elemente der Marimba-Tänze fand eine Auseinandersetzung mit den Untersuchungen des Ethnomusikologen Jonathan Ritter statt. Diese Werke sind einige der wenigen, die sich unter dem Gesichtspunkt der Hybridität[12] mit dem Thema auseinandersetzen.
Einen wichtigen Beitrag zur Theorie der transkulturellen Literatur leistet der Artikel Lateinamerikanische Literatur im Lichte der Transkulturation, der 2005 von Doris Schwarzwald veröffentlicht wurde. In diesem Zusammenhang werden der aus der Provinz Esmeraldas stammende Schriftsteller Nelson Estupiñán Bass und einige seiner Arbeiten vorgestellt.
Für die Untersuchung der Gemeinschaft der Montubios ließen sich nur wenige nützliche Werke in den Bibliotheken ausfindig machen. Ein Großteil der hierfür herangezogenen Quellen ist im Internet verfügbar. Grundlegend für die Untersuchung war die Webseite der CODEPMOC, einer von der Regierung finanzierten Organisation, die von den Montubios selbst verwaltet wird.
Neben der Perspektive der Montubios, soll auch die der Afroecuatorianos Beachtung finden. Deshalb werden in diese Arbeit einige Ausschnitte aus einem Interview mit dem afro-ecuadorianischen Bürgermeister von Esmeraldas, Ernesto Estupiñán Quintero, integriert.
2. Hinweise zu den verwendeten Begriffen und Schreibweisen
In der folgenden Arbeit soll weiß als Adjektiv klein geschrieben werden, denn hierbei handelt es sich um keine politische Selbstbezeichnung, sondern um eine politisch korrekte Bezeichnung für weiße Menschen. Des Weiteren wird weiß kursiv geschrieben, da die Abstufung der Hautfarben Teil der Rassentheorie und als ein Konstrukt anzusehen ist und demzufolge markiert werden soll.[13]
Im Kastensystem Ecuadors, welches zu Kolonialzeiten entstand, finden neben der Bezeichnung Blanco, also weiß, drei weitere Kategorien bis heute Verwendung und determinieren die Gesellschaft grundlegend. Zu diesen zählen die Bezeichnungen Indio bzw. indigen, Mestizo [14], welche die Bezeichnung für die Vermischung von Indigenen und Weißen darstellt, und Negro oder Afroecuatoriano. Letzterer entstammt der „Constitución de Montecristi 2008 [en que] se escogió el termino Afroecuatoriano para designar a quien, nacido en Ecuador, es de ancestro africano“.[15] Somit wurde der Begriff Negro weitestgehend verdrängt und durch die Bezeichnung Afroecuatoriano ersetzt.
Letzterer wird von den Afro-Ecuadorianern als Selbstbezeichnung genutzt, denn im Gegensatz zu dem Begriff Negro unterstreicht dieser die Zugehörigkeit zur ecuadorianischen Gesellschaft. Gleichzeitig ermöglicht der Begriff ihnen, ihre Anerkennung in einem Land einzufordern, in dem sie größtenteils nur diskriminiert werden. Aufgrund der zuvor benannten Parameter wird die Bezeichnung Afroecuatorianos in dieser Arbeit vermehrt Verwendung finden.
Whitten und Quiroga (1995: 298) zufolge sind Gente Morena oder Moreno in Ecuador gängige Begriffe, um Bezug auf die Afroecuatorianos zu nehmen. Obwohl es sich hierbei um die vermeidlich höfliche Form der Bezugnahme handelt, deklarieren die beiden Wissenschaftler, dass Sprecher diese auch verwenden, um den niedrigen Status der Person aufzuzeigen. Des Weiteren ist ebenfalls die Bezeichnung La Raza Morenita bekannt. Allerdings missfällt sie den Betroffenen, da sie eine eher kindliche oder verniedlichende Wortbedeutung aufweist.[16]
Die Begriffe Afroecuatoriano und Negro werden gern von den Intellektuellen aufgegriffen, gelten jedoch als abwertend, wenn sie zu häufig Verwendung finden. Die Bezeichnung Negro darf zudem nur von Schwarzen genutzt werden, um von dieser Gesellschaft akzeptiert zu werden.[17] Auffällig ist, „[that] [a]ll designations of black people are of foreign origin and designate the combination of blackness and territory“.[18] Daraus geht hervor, dass diese Begriffe Ergebnis eines hegemonialen Systems sind, das eine Kategorisierung der Schwarzen im Zusammenhang mit ihrem Wohnort vornimmt.
Als ein in etwa gleichwertiges Synonym für die in Ecuador verwendete Bezeichnung Gente Morena wird in dieser Arbeit der von der Schwarzen Bevölkerung akzeptierte Begriff Schwarze[19] genutzt werden. Außerdem wird Schwarz im Folgenden groß geschrieben, da in diesem Zusammenhang Schwarz nicht als Attribut anzusehen ist, sondern als politische Selbstpositionierung, um dem weißen Referenz- und Artikulationssystem entgegen zu treten.[20] Der nahezu gleichwertige Begriff People/Person of Color ist eine Selbstbezeichnung im Rahmen eines solidarischen Bündnisses, das nicht weiß ist und von Rassismus unterdrückt wird.[21]
Der Terminus Indio, der auf den Irrglauben von Kolumbus bei der Entdeckung Lateinamerikas zurückgeführt wird, gilt seit der Kolonialzeit, genau wie die Bezeichnung Negro, als diskriminierend. Dennoch bezeichnet sich fast die Hälfte der Afroecuatorianos als Negro.[22] An dem zuvor genannten Umstand der Diskriminierung hat sich bis heute nichts geändert, weshalb auf die Verwendung dieser Bezeichnungen verzichtet werden soll. In einigen kontextuellen Zusammenhängen wird jedoch Gebrauch von ihnen gemacht werden müssen.
Heutzutage wird alternativ die Bezeichnung indigen als vermeintlich politisch korrekt angesehen und erfreut sich deshalb eines vermehrten Gebrauchs. Der Begriff wird deshalb kursiv geschrieben, weil sich auch dessen Verwendung als problematisch erweist. Die Bezeichnung indigen missfällt häufig den Betroffenen, da sich diese diskriminiert und marginalisiert fühlen. So deklariert die Ethnologin Vera Hartwig, dass „[i]ndigen und autochthon [...] Begriffe [sind], die behaupten, die feststellen und ausgrenzen. Damit werden sie virulent bis explosiv“.[23] Demnach müssten die Ureinwohner Südamerikas nach ihrer Nationalität kategorisiert und nicht unter dem Sammelbegriff indigen zusammengefasst werden.
Eine weitere Alternative stellt der Begriff First Nation People dar. Diese Bezeichnung etablierte sich am Anfang der 80er Jahre des vergangenen Jahrhunderts in Kanada, um als Ersatz für das Wort indigen zu fungieren. Allerdings kann diese Bezeichnung in dieser Arbeit nicht verwendet werden, da diese nur den Überbegriff für die von der kanadischen Regierung im Federal Indian Act im Jahre 1876 anerkannten autochthonen Völker darstellt.[24] Folglich ist die Bezeichnung nicht für alle indigenen Völker zulässig.[25]
3.Die Dekoloniale Theorie nach Ramón Grosfoguel
Um die Verschmelzung von Kulturen adäquat analysieren zu können, muss eine Auseinandersetzung mit diesem Thema jenseits des Eurozentrismus stattfinden. Die Grundlage dieser Anschauung ist die Dekoloniale Theorie.
In seinem Beitrag zur Dekolonialen Theorie äußert Grosfoguel Kritik an dem modernen, seit der Kolonialzeit etablierten Weltsystem und sucht nach Alternativen zu den bestehenden westlichen Konzepten. Diesbezüglich formuliert er die Notwendigkeit einer Abwendung von der westlich geprägten, eurozentrischen Perspektive der Überlegenheit gegenüber anderen Kulturen hin zur Wahrnehmung und Wertschätzung der Weltanschauungen und Erkenntnistheorien nicht-westlicher Kulturen. Denn bisher, so Grosfoguel, habe die westliche Welt ihre Kultur, ihr Wissen und ihre eigenen Erkenntnistheorien gegenüber anderen bevorzugt. Weiterhin argumentiert er, dass alle anderen Kulturen aus dieser Perspektive heraus analysiert werden. Außerdem führt Grosfoguel (2011: 25) an, [that] [t]he imposition of Christianity in order to convert the so-called savages and barbarians in the 16th century, followed by the imposition of “white man’s burden” and “civilizing mission” in the 18th and 19th century, the imposition of the “developmentalist project” in the 20th century and, more recently, the imperial project of military interventions under the rhetoric of “democracy” and “human rights” in the 21st century, have all been imposed by militarism and violence under the rhetoric of modernity of saving the other from its own barbarianisms.
Es wird deutlich, dass der eurozentrische Einfluss seit Beginn der Kolonialisierung auf die restlichen Kulturen in der Welt bis heute anhält und, dass diese Entwicklung durchbrochen werden muss.
Die europäische Kolonialisierung der Neuen Welt betrachtend, so Grosfoguel (2011: 8), macht deutlich, dass das heutige kapitalistische System auf „inter-imperialistic competition“ der europäischen Großmächte basiert. Denn die Kolonialisierung Lateinamerikas resultierte aus dem ökonomischen Interesse, kürzere Handelswege nach Indien ausfindig zu machen. Demnach ist das heutige Weltsystem vordergründig ökonomisch ausgerichtet und steuert damit das kapitalistisch orientierte Verhalten seiner Akteure.
In seiner Theorie bringt Grosfoguel die Notwendigkeit zum Ausdruck, die Kolonialisierung der Neuen Welt aus der Perspektive der Indigenen zu betrachten. Dabei merkt er jedoch an, dass er diese nicht adäquat wiedergeben könne. Dennoch behauptet er, dass aus der Sicht einer indigenen Frau die Kolonialherren mit dem Erscheinungsbild eines „European/ capitalist/ military/ Christian/ patriarchal/ white/ heterosexual/ male“[26] nach Lateinamerika kamen, um ein hegemoniales System, gekennzeichnet von den eben benannten Merkmalen, zu etablieren.
In weiteren Verlauf seiner Analyse benennt Grosfoguel die Geopolitik des Wissens. Diese beinhaltet die Ansicht, dass die Produktion von Wissen immer von einem bestimmten Gesichtspunkt ausgeht. Dieser wird von Faktoren wie die „ethnic/racial/gender/sexual epistemic location from the subject that speaks“[27] beeinflusst. Somit beruht der Erfolg des modernen kolonialen Weltsystems auf der Verbreitung einer auf den westlichen Erkenntnistheorien basierenden Interpretation der Weltgeschichte. Die von den okzidentalen Mächten dominierte Welt, so Grosfoguel, übernimmt somit den Blickwinkel der Dominierenden.
Mit der Idee der Coloniality of Power bezieht sich Grosfoguel (2011: 11) auf die Analyse des Soziologen Aníbal Quijano, der davon ausgeht, dass die kolonialen Machtgefüge „all dimensions of social existence“ beeinflussen. Dabei basiert dieser Einfluss auf dem Prinzip der Rasseneinteilung und dem Rassismus, die wiederum die Machtgefüge strukturieren. Des Weiteren führt Grosfoguel an, dass die Konzepte Rasse, Gender, Sexualität und Spiritualität als konstitutive Elemente eines kapitalistischen Weltsystems betrachtet werden müssen.
In seiner Untersuchung bedient er sich ebenfalls dem Konzept des Critical Border Thinking, „[which] produces redefinition/subsumption of citizenship, democracy, human rights, humanity, and economic relations beyond the narrow definitions imposed by European modernity. Border thinking […] is a decolonial transmodern response of the subaltern to Eurocentric modernity.[28]
Grosfoguel spricht sich somit für ein grenzüberschreitendes kritisches Denken aus, infolgedessen eine Abwendung von der eurozentrischen Interpretation der Konzepte von Staatsbürgerschaft, Demokratie, Menschenrechte etc. stattfinden soll.
Das Konzept der Transmoderne setzt eine Dekolonialisierung der zuvor benannten weltlichen Machtverhältnisse voraus. Dieses Konzept geht, so Grosfoguel (2011: 27), auf den Philosophen Enrique Dussel zurück, der die Idee eines „utopian project to transcend the Eurocentric version of modernity” verfolgt. Dabei spreche sich Dussel für kritische Auseinandersetzungen in Hinblick auf die Dekolonialisierung einer eurozentrischen Moderne aus, um pluriversale Entwürfe von Demokratie, Zivilrechten oder die Befreiung der Frau mit einzubeziehen.
Die transmoderne Wissenschaft macht es sich zur Aufgabe, die Geschichte unter Miteinbeziehung des Anderen erneut zu analysieren. Des Weiteren sollen die Ereignisse ohne ein europäisches Zentrum neu dargestellt werden, wobei eine dezentrale Weltanschauung die Grundlage bildet. Damit ist Dussels Konzept der Transmoderne, so Martín Alcoff (2012: 63) „more inclusive of multiple modernities without signifying these under the sign of the same, and it offers solidarity in place of hierarchy, a solidarity even extended to European modernity“. Demnach ermöglicht das Konzept neue Wege der Interpretation fern von einer eurozentrischen Perspektive.
Martín Alcoff (2012: 60) zufolge ist das Konzept von Dussel insofern als kritisch zu betrachten, als dass er sich Wir-Subjektidentitäten wie „the poor, woman, blacks, and Indians“ bedient und somit den westlich geprägten Interpretationen zuzuordnen ist. Diese sogenannte „identity politics“[29] spreche nur die Bedürfnisse einer einzigen Minderheit an und verfolge lediglich deren Ziele, anstatt eine globale Veränderung auf der Basis einer dezentralen pluriversalen Weltanschauung voranzutreiben.
Zusammenfassend ist zu deklarieren, dass sich Grosfoguels Idee der Dekolonialen Theorie in eine Vielzahl von Konzepten zu diesem Thema einreiht, von denen einige wenige an dieser Stelle erwähnt wurden. Er verfolgt mit seiner Theorie das Ziel eines Umdenkens in Bezug auf die seit der Kolonialzeit entstandene soziale Ordnung. Des Weiteren glaubt er an eine Identitätskonstruktion, die durch die seit Jahrhunderten bestehenden Machtverhältnisse beeinflusst wird.
Schafft es die eurozentrisch geprägte Wissenschaft die Parameter der „nationalkulturelle[n], westlich zivilisatorische[n], und universalphilosophische[n], Tradition“[30] abzulegen, kann sich diese der Theorie der Transkulturation nähern. Folglich ist das Konzept der Transkulturalität mit der Dekolonialen Theorie durch die Idee der Dezentralisierung Europas in der Geschichtsschreibung verbunden. Anhand der eben genannten Parameter soll im Folgenden die Theorie der Transkulturation und das Konzept der Transkulturalität vorgestellt werden.
4.Transkulturalität
Als Begründer des Begriffs der Transkulturation gilt Fernando Ortiz, der sich während seiner Forschung unter anderem mit dem Einfluss des Afrikanischen in der kubanischen Kultur auseinandersetzte.[31] Um dieses Phänomen adäquat analysieren und beschreiben zu können, schlägt er in seinem 1940 publizierten Werk Contrapunteo Cubano del Tabaco y el Azúcar erstmalig das Konzept der Transkulturation vor. Da bis zu diesem Zeitpunkt nur der Begriff der Akkulturation Verwendung fand, der für ihn lediglich „the process of transition from one culture to another“[32] beschreibt, bemühte sich Ortiz um die Findung eines erweiterten Konzepts. Er wählte den Begriff der „ transculturation to express the highly varied phenomena that have come about in Cuba as a result of the extremely complex transmutations of culture that have taken place“.[33] Somit fand Ortiz erstmalig einen Begriff, der, in Abgrenzung zur Akkulturation, die kulturellen Phänomene in Kuba adäquat benennen konnte. Demnach kann die Transkulturation als ein Resultat der Verschleppung der afrikanischen Sklaven nach Nord- und Südamerika sowie der Hispanisierung Lateinamerikas angesehen werden.
Die Vergangenheit Kubas, so Ortiz (1997: 98), ist eine Geschichte der Vermischung der Kulturen. Diese Entwicklung ist mit der Geschichte der ecuadorianischen Gesellschaft vergleichbar, da auch hier über Jahrhunderte eine Verschmelzung der unterschiedlichsten Kulturen stattfand und weiterhin andauert.
Neben dem Prozess der Transkulturation beschreibt Ortiz in seinem Werk „das soziale und wirtschaftliche Umfeld“[34], in dem er seine Theorie ansiedelt. Folglich erklärt er die Produktion und Ernte von Tabak und Zucker und stellt hier den Zusammenhang zwischen dem Tabak und der dunklen Hautfarbe der indigenen Bevölkerung her. Des Weiteren sollen diese den Tabak bereits vor der Conquista angebaut haben. Der Zucker symbolisiert, da einst importiert, den weißen Kolonialherren.[35]
Als einen der ersten transkulturellen Prozesse bezeichnet Ortiz die Kolonialisierung Südamerikas durch die Spanier, die die indigene Bevölkerung versklavten und beinahe auslöschten. Dabei spricht er von einer „inability [of the Indian] to adjust himself to the culture brought in by the Spaniards“[36], wobei hier eine eurozentrische Sichtweise des Wissenschaftlers deutlich wird. Die Kolonialherren, die verschiedenen Kulturkreisen entstammten, immigrierten von der Iberischen Halbinsel nach Lateinamerika, „cutting their links with an old society to graft themselves on another, new in climate, in people, in food, customs, and hazards”.[37] Jedoch ist davon auszugehen, dass diese Einwanderer ihre eigene Kultur mitbrachten und sich diese in transkulturellen Prozessen mit der Kultur Kubas vermischte und somit für die Entstehung einer Transkultur sorgte.
Demgegenüber steht der Strom der nach Lateinamerika importierten afrikanischen Sklaven, die unter anderem aus dem Senegal, Guinea, dem Kongo, Angola oder Mozambique stammten. Die Transkulturation bestand darin, dass die Schwarzen Sklaven, selbst unterschiedlichen Kulturkreisen entstammend, ihre eigene Kultur weitestgehend aufgaben, da diese unter dem Einfluss der weißen Kolonialisten keinen Platz finden hatte können.[38] Ortiz (1997: 101) deklariert diesbezüglich „[that they] were socially equalized by the same system of slavery”, was eine Vereinheitlichung durch die Kolonialisten unter dem Label Sklave oder Negro zur Folge hatte: „El […] colonialista construye una (no)identidad del otro“.[39] Somit wurden die Unterdrückten in dem hegemonialen System identitätslos gemacht.
Als letzten Prozess der Transkulturation in Kuba beschreibt Ortiz die Immigration von Personen aus verschiedensten Kulturkreisen, die bis heute anhält. So fasst er alle diese Prozesse zusammen, indem er meint, „[that] each of them torn from his native moorings, faced with the problem of disadjustment and readjustment, of deculturation and acculturation – in a word, of transculturation”.[40] Somit vereint er die sich von einander abgrenzenden Begriffe unter der Theorie der Transkulturation und schafft einen Zusammenhang zwischen diesen.
Die Prozesse der Transkulturation, die in Kuba stattfanden, stellt Ortiz während seiner Analyse über alle anderen geschichtlichen Ereignisse dieser Art, da die kubanische Gesellschaft von so vielen verschiedenen Kulturen geprägt sei wie keine andere. Dabei argumentiert er auch in Hinblick auf die Position unterschiedlicher Kulturkreise in der Ökonomie des Landes.[41] Die Entwicklung der indigenen Bevölkerung betrachtend, erklärt Ortiz (1997: 100) deren Transkulturation als gescheitert, weil sie unter dem Einfluss der kolonialen Kultur weitestgehend nicht mehr existieren konnte. Als rapideste Transkulturation, die in Kuba stattfand, bezeichnet Ortiz (1997: 102) die Immigrationsströme der letzten zwei Jahrhunderte, in denen vor allem Juden, Franzosen, Engländer, Amerikaner und Chinesen das Land besiedelten.
Ortiz (1997: 102) spricht sich deshalb für den Begriff der Transkulturation aus, „[because it] better expresses the different phases of the process of transition from one culture to another because this does not consist merely in acquiring another culture, which is what the English word acculturation really implies”. Dagegen wird mit dem Begriff der Transkulturation die Aufgabe der eigenen Kultur oder die Entwurzelung bezeichnet, die zum Prozess der Dekulturation gehört.[42] Des Weiteren fasst die Bezeichnung Transkulturation die Entstehung eines neuen kulturellen Phänomens zusammen, welches Ortiz (1997: 103) als Neokulturation versteht.
Eine Erweiterung der Theorie von Ortiz stellt das Konzept der Hybridität dar, welches „in Situationen kultureller Überschneidung [auftritt], d. h. teilweise antagonistische Denkinhalte und Logiken aus unterschiedlichen kulturellen, sozialen oder religiösen Lebenswelten werden zu neuen Handlungs- und Denkmustern zusammengesetzt“.[43] Schwarzwald (2005: 5) zufolge entstehe das Hybride aufgrund der Globalisierung. Weiterhin führt sie an, dass „die hochmodernisierte verwestlichte Gesellschaft, die besonders in den urbanen Zentren angesiedelt ist, [...] mit dem bereits aus verschiedenen ethnischen Gruppen hervorgegangenen, transkulturellen Volk Lateinamerikas [verschmilzt]“.[44] Folglich sieht Schwarzwald in dem Konzept der Hybridität eine Weiterentwicklung von Ortiz’ Theorie.
Das Konzept der Transkulturalität ist auf den Begriff der Transkulturation zurückzuführen und stellt, so Kimmich und Schahadat (2012: 8), im Zuge der „Auseinandersetzung mit der philosophischen (vgl. z.B. Wolfgang Welsch[45] ), soziologischen (vgl. z.B. Ulrich Beck[46] ) und anthropologischen (vgl. z.B. Ulf Hannerz[47] ) Globalisierungsforschung“ eine Erweiterung von Ortiz’ Theorie dar. Außerdem deklarieren Kimmich und Schahadat (2012: 8), dass in einer globalisierten Welt Kulturen weder territorial verortet werden können, noch an homogene Gemeinschaften gebunden sind. [...] Transkulturalität [bedeutet daher] eine Öffnung, Dynamisierung und vielfältige wechselseitige Durchdringung der Kulturen. Globale Kulturen, so der Ausgangspunkt, zeichnen sich durch ihre Fluidität, Grenzverschiebung bzw. –aufhebung aus und entwickeln dabei auch neue Strategien des Ein- und Ausschlusses.
Folglich beschreibt das Konzept der Transkulturaltität das Aufeinandertreffen zweier oder mehrerer verschiedener Kulturen, deren vermeintliche kulturelle Grenzen verwischt werden und die somit ineinander verschmelzen. Aus diesem Prozess heraus entstehen Individuen und Gesellschaften, die sich durch transkulturelle Elemente auszeichnen.
Um das Konzept der Transkulturalität zu verstehen, so Welsch (2012: 25), ist es von Bedeutung, den Kulturbegriff in mindestens zwei unterschiedliche Dimensionen einzuteilen. So beschreibt er zunächst die inhaltliche Bedeutung von Kultur, wo ›Kultur‹ als Sammelbegriff für diejenigen Praktiken steht, durch welche die Menschen ein menschentypisches Leben herstellen. Die inhaltliche Bedeutung umfasst Alltagsroutinen, Kompetenzen, Überzeugungen, Umgangsformen, Sozialregulationen, Weltbilder [...]. Zweitens haben wir aber, von ›Kultur‹ sprechend, in den meisten Fällen auch eine geographische oder nationale oder ethnische Extension dieser Praktiken im Sinn. ›Kultur‹ bezieht sich hier auf die Ausdehnung derjenigen Gruppen (oder Gesellschaft oder Zivilisation), für welche die betreffenden kulturellen Inhalte bzw. Praktiken charakteristisch sind.[48]
Die eben genannten Praktiken können unter anderem durch Kulturgüter wie Artefakte, architektonische Bauwerke, Riten, Tänze oder Kleidung erweitert werden. In transkulturellen Prozessen werden diese Elemente, ob sichtbar oder nicht sichtbar, beeinflusst.
Den Ausführungen von Welsch (2012: 26) folgend, bezieht sich das Konzept der Transkulturalität vorwiegend auf die zweite Dimension, also „die extensionale Bedeutungsdimension von ›Kultur‹“. So sollte die Interpretation von Kulturen nicht mehr separiert voneinander stattfinden, sondern die Idee der Vermischung der Kulturen im Vordergrund stehen.
Die Geschichte des Kulturbegriffs betrachtend, wird deutlich, dass die Idee des Konzepts der Transkulturalität ein Phänomen des 20. Jahrhunderts darstellt. Noch vor ca. 200 Jahren galt das Kugelmodell der Kultur von Herder, dass ein „Homogenitätsgebot und ein externes Abgrenzungsgebot“[49] propagierte. Demzufolge sollte sich jedes Individuum mit einer einzigen Kultur identifizieren und sich von anderen deutlich abgrenzen. Feindseligkeit gegenüber fremden Kulturen war fester Bestandteil dieser Auffassung. Die modernen Kulturen haben laut Welsch (2012: 27) nichts mehr mit diesem Modell gemein und sind von Vermischung gekennzeichnet. Folglich kann man heutzutage bei weitestgehend jeder Kultur von Mischkulturen oder Transkulturen sprechen. Ausnahmen bilden beispielsweise Staaten wie Nordkorea, in denen kein kultureller Einfluss von Außen stattfinden kann, da sowohl Immigration als auch Emigration nicht erlaubt sind.
Zudem unterscheiden sich die Gesellschaften auf einer vertikalen und einer horizontalen Ebene, wobei die letztere die Gender-Unterschiede meint. Die vertikale Ebene hingegen beschreibt die unterschiedlichen sozialen Milieus innerhalb einer Gesellschaft.[50]
Den Ausführungen von Welsch (2012: 28) folgend, sind die Kulturen auf der Makroebene, also der externen Ebene, miteinander verbunden. Die vermeintlichen Nationalkulturen werden zugunsten einer europäischen oder globalen Kultur abgelöst. Zudem sind auf interner Ebene „die kulturellen Gehalte andere Länder tendenziell zu Binnengehalten geworden. Das gilt auf der Ebene der Bevölkerung, der Waren und der Information“.[51] Aufgrund dieser globalen Verflechtung der Kulturen verschwimmen deren Grenzen.
Einher mit dieser Entwicklung geht die transkulturelle Prägung der Individuen auf der Mikroebene, deren Identität Welsch (2012: 30) als „Patchwork-Identität“ bezeichnet. Er behauptet, dass die Individuen einer Gesellschaft heutzutage „zunehmend in sich transkulturell“[52] sind, da sie bereits in jungen Jahren mit den verschiedenen Kulturen konfrontiert werden und diese die Entwicklung der eigenen Identität beeinflussen. Bei dieser Interpretation ist es von Bedeutung, dass jedes Individuum kulturell unterschiedlich geprägt wurde und damit über eine transkulturelle Identität verfügt.[53]
Weiterhin grenzt Welsch (2012: 32) das Konzept der Transkulturalität von dem der Multi- und Interkulturalität ab, da sich diese an Herders Kugelmodell orientieren. So beschreibt der Begriff der Multikulturalität nur die „Verhältnisse innerhalb von Gesellschaften [und die Interkulturalität die] Verhältnisse zwischen Gesellschaften“.[54] Die Interpretationsebenen der Multi- und Interkulturalität sind daher nicht ausreichend, weil beide Konzepte gemäß dem Kugelmodell in abgegrenzten Räumen analysieren und die Kulturen voneinander getrennt betrachten. Dieser Aspekt wiederum wird den modernen Kulturen nicht gerecht. Des Weiteren würden, so Iljssova-Morger (2009: 39), „einzelne Individuen auf ihre nationalkulturelle Zugehörigkeit reduzier[t], was sowohl deskriptiv als auch normativ verfehlt sei, [da es] so manche Lebensweisen ignoriere [...]“.
In Anlehnung an die Ausführungen von Ortiz und Welsch kann deklariert werden, dass der Prozess der Transkulturalität kein Phänomen der Neuzeit ist, sondern bereits seit Jahrhunderten stattfindet. Jedoch ist eine Beschleunigung dieser Entwicklung im Kontext einer verstärkt globalisierten Welt zu erkennen. Um die kulturelle Entwicklung der afro-ecuadorianischen Gesellschaft angemessen analysieren zu können, muss hier das Konzept der Transkulturalität Anwendung finden.
Die Prozesse der Transkulturalität finden meist im Rahmen ökonomisch-politischer Machtprozesse statt, welche sich vor allem auf der Makroebene abspielen.[55] Bei der Kolonialisierung Lateinamerikas handelte es sich beispielsweise um die „kapitalistische Ökonomie mit ihrer globalen Erschließung materieller und humaner Ressourcen“.[56] Verstärkt wurde dieser Prozess durch die politische Herrschaft der Spanier und die Unterdrückung der indigenen und der importierten Schwarzen Bevölkerung. Gemäß den Ausführungen von Welsch (2012: 36), kann so keine freie Identitätsbildung stattfinden, denn sie „erfolgt [...] in einem Raum, der durch mannigfache Disparitäten und Beschränkungen und oft durch Zwang, Not und Armut gekennzeichnet ist“. Somit sind die Individuen, die solchen Prozessen ausgesetzt sind, nicht in der Lage, die Bereiche ihrer Identität autonom auszubilden, sondern sie sind von den äußeren Umständen abhängig. Jedoch hat die Umwelt eines Individuums wenig Einfluss auf seine Entscheidungsgewalt. Somit wird deutlich, dass zumindest ein geringer Teil an autonomer Identitätsbildung vorhanden ist, auch wenn sich dieser manchmal nur auf die freie Wahl der angebotenen Richtungen bezieht.[57]
Die Theorie der Transkulturalität eröffnet der okzidentalen Wissenschaft die Möglichkeit, sich einer ethno – bzw. eurozentrisch geprägten Interpretation von Kulturen zu entziehen. Folglich erlaubt die Theorie jedes Individuum als individuelle[n] Schnittpunkt, bzw. als additionsfähige Summe vieler Schnittpunkte von kulturellen Vernetzungen [zu verstehen] [...], [Somit] [...] wird von, oder in dieser transkulturellen Position offenbar etwas ganz anderes vermittelt als eine nationalkulturelle, westlich zivilisatorische oder universalphilosophische Tradition.[58]
Demnach bietet die Idee der Transkulturalität eines jeden Individuums eine Distanzierung von den eher eingeschränkten Analysemöglichkeiten, die die Konzepte der Interkulturalität und Multikulturalität bieten.
[...]
[1] Im Folgenden wird aus Gründen der besseren Lesbarkeit ausschließlich die männliche Form benutzt. Es können dabei aber sowohl männliche als auch weibliche Personen gemeint sein. Dies gilt für alle Begrifflichkeiten dieser Art.
[2] Vgl. Coba Andrade: Literatura Popular Afroecuatoriana, S. 64; vgl. weiterhin: Whitten; Quiroga: Ecuador, S. 291.
[3] Vgl. Cabello Balboa: Verdadera Descripción y Relación Larga de la Provincia y Tierra de las Esmeraldas, S. 6.
[4] Vgl. ebd. S. 23-27.
[5] Die Verwendung der Großschreibweise wird im 2. Kapitel näher erläutert.
[6] Vgl. Whitten; Quiroga: Ecuador, S. 291.
[7] Vgl. Sánchez: Los Afroecuatorianos en Cifras, S. 10.
[8] Vgl. ebd. S. 41.
[9] Ritter: Hibridez, Raza y la Marimba Esmeraldeña, S. 152.
[10] Vgl. Constitución Política de la República del Ecuador 1998, S. 23-58
[11] Vgl. Constitución Política de la República del Ecuador 2008, S. 26-132.
[12] Der Begriff der Hybridität wird im 4. Kapitel dieser Arbeit näher erläutert.
[13] Vgl. Sow: Weiß, S. 190.
[14] Die nicht übersetzten Begriffe aus dem Spanischen oder Englischen werden in dieser Arbeit kursiv geschrieben.
[15] Pérez Ramirez: Los Afroecuatorianos, S. 7.
[16] Vgl. Whitten; Quiroga: Ecuador, S. 298.
[17] Vgl. Whitten; Quiroga: Ecuador, S. 298.
[18] Ebd. S. 298.
[19] Vgl. hierzu den Artikel des Psychologiestudenten Jonas Hampl, welcher selbst als Schwarzer bezeichnet werden möchte und über die Problematik des Begriffs Neger diskutiert: Hampl: Schwarz geboren, zum Neger gemacht.
[20] Vgl. Lauré-al-Samarai: Schwarze Deutsche, S. 613.
[21] Vgl. Sow: People of Colo(u)r, S. 599.
[22] Die Selbstbezeichnung als Negro kann als ein Bekenntnis zu den afrikanischen Wurzeln verstanden werden. Die andere Hälfte bezeichnet sich als Mulato. Vgl. Sánchez: Los Afroecuatorianos en Cifras, S. 27-28.
[23] Hartwig: Indianer? Indigen? Indígenas? Indigenismus? Indianidad?.
[24] Vgl. Mifflin: The American Heritage Dictionary of the English Language, S. 664.
[25] Dieses Kapitel basiert auf den Erkenntnissen von Ramón Grosfoguel. Vgl. Grosfoguel: Decolonizing Post-Colonial Studies, S. 1-37.
[26] Grosfoguel: Decolonizing Post-Colonial Studies, S. 9.
[27] Ebd. S. 5.
[28] Ebd. S. 26.
[29] Grosfoguel: Decolonizing Post-Colonial Studies, S. 29.
[30] Fischer: Multi, Inter, Trans: Zur Hermeneutik der Kulturwissenschaft, S. 6.
[31] Der Begriff der Transkulturation geht, Ortiz zufolge, auf Bronislaw Malinowski zurück. Vgl. Ortiz: Cuban Counterpoint: Tabacco and Sugar, S. 103.
[32] Ebd. S. 98.
[33] Ebd. S. 98.
[34] Schwarzwald: Lateinamerikanische Literatur im Lichte der Transkulturation, S. 3.
[35] Vgl. ebd. S. 4.
[36] Ortiz: Cuban Counterpoint: Tabacco and Sugar, S. 98.
[37] Ebd. S. 101.
[38] Vgl. ebd. S. 98.
[39] Mackenbach: ¿De la Identidad a la Sociabilidad?, S. 181.
[40] Ortiz: Cuban Counterpoint: Tabacco and Sugar, S. 98.
[41] Vgl. ebd. S. 99.
[42] Vgl. Ortiz: Cuban Counterpoint: Tabacco and Sugar, S. 102.
[43] Foroutan; Schäfer: Projektbeschreibung.
[44] Schwarzwald: Lateinamerikanische Literatur im Lichte der Transkulturation, S. 5.
[45] Wolfgang Welsch gehört zu den bekanntesten deutschen Wissenschaftlern, die sich mit dem Konzept der Transkulturalität auseinandersetzen. In zahlreichen Publikationen versucht er, eine einheitliche Definition zu etablieren. Vgl. Welsch: Transkulturalität – Lebensformen nach der Auflösung der Kulturen, S. 5-20; vgl. Welsch: Transkulturalität. Zwischen Globalisierung und Partikularisierung. S. 327-351; vgl. Welsch: Was ist eigentlich Transkulturalität, S. 25-40; vgl. Welsch: Transculturality: the Puzzling Form of Cultures Today, S. 194-213.
[46] Vgl. Beck: National, International, Transnational, Kosmopolitisch - Perspektiven der Ungleichheitsforschung.
[47] Das von Ulf Hannerz entwickelte kulturanthropologische Konzept einer globalen Ökumene ähnelt dem Konzept der Transkulturalität von Welsch. So differenziert Hannerz „zwischen der intra- und interkulturellen Ebene der Diversifizierung“, womit er besagt, dass kulturelle Unterschiede innerhalb und zwischen den Nationen existieren. Vgl. Iljassova-Morger: Transkulturalität als Herausforderung für die Literaturwissenschaft und Literaturdidaktik, S. 38.
[48] Welsch: Was ist eigentlich Transkulturalität?, S. 25.
[49] Welsch: Was ist eigentlich Transkulturalität?, S. 26.
[50] Vgl. Welsch: Transculturality: the Puzzling Form of Cultures Today, S. 195.
[51] Welsch: Was ist eigentlich Transkulturalität?, S. 28.
[52] Ebd. S. 30.
[53] Vgl. Welsch: Was ist eigentlich Transkulturalität?, S. 31.
[54] Ebd. S. 32.
[55] Vgl. ebd. S. 36.
[56] Ebd. S. 36.
[57] Vgl. Welsch: Was ist eigentlich Transkulturalität?, S. 36.
[58] Fischer: Multi, Inter, Trans: Zur Hermeneutik der Kulturwissenschaft, S. 6.
- Arbeit zitieren
- Anne Lipp (Autor:in), 2015, Transkulturelle Beziehungsgeflechte der Afro-Ecuadorianer (Afroecuatorianos), München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/345083
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