Altersbilder haben einen Einfluss darauf, wie ältere Menschen wahrgenommen werden und wie sie sich selbst wahrnehmen. Altersbilder finden sich im Alltag, aber auch in vielen institutionellen Bereichen der Gesellschaft, etwa in der Politik, in der Arbeitswelt und im Gesundheitssystem.
Diese Einführung richtet sich vor allem an Lehrkräfte und Auszubildende in der Altenpflege. Sie enthält einen Überblick über die wichtigsten Forschungsergebnisse zu den Themen "Altersbilder" und "Altersdiskriminierung". Zusätzlich werden (angelehnt an die Methode von Kordula Schneider) eine Reihe von Übungsaufgaben zum Thema entwickelt.
Inhalt
1. Einleitung: Wozu dieses Übungsheft?
2. Das Alter als soziale Konstruktion
3. Altersbilder in der Allgemeinbevölkerung
4. Altersbilder in der Werbung
5. Altersbilder von Ärzten
6. Altersbilder in der Religion
7. Altersbilder in der Arbeitswelt
8. Altersbilder in der Politik
9. Übungsteil: Fragen und Aufgaben
10. Literaturverzeichnis
Vorbemerkung
Das vorliegende Übungsheft zum Thema „Altersbilder in unserer Gesellschaft“ wurde speziell für den Soziologieunterricht an Berufsschulen für Altenpflege erstellt. Der Autor, Dipl.-Soz. Dr. Martin Herberg, ist Universitätsdozent, Demenz- und Sterbebegleiter und Lehrer an verschiedenen Berufsschulen für Altenpflege.
An den Bildungszentren Elbmarsch und Hohegeest, beides Einrichtungen der AWO Schleswig-Holstein, wurde die Unterrichtseinheit über die letzten Jahre mehrmals in der hier beschriebenen Form durchgeführt, und dies mit Erfolg: Die Präsentationen der Schülerinnen und Schüler, die auf der Grundlage des Textes erstellt wurden, waren sehr inspirierend und gehaltvoll; und auch die Prüfungsfragen, wie sie am Ende des Übungshefts vorgestellt werden, haben sich in der Unterrichtspraxis bewährt.
Die vorliegende Veröffentlichung soll anderen Lehrkräften, aber auch sonstigen Interessierten einen schnellen und einfachen Einstieg in die Thematik ermöglichen.
1. Einleitung: Wozu dieses Übungsheft?
Das vorliegende Heft richtet sich an Lehrende und Auszubildende in der Altenpflege. Zum Unterrichtsstoff im Lernfeld 2.1 „Lebenswelten und soziale Netzwerke alter Menschen beim altenpflegerischen Handeln berücksichtigen“ gehört auch die Diskussion über die Altersbilder in unserer Gesellschaft. Altersbilder haben einen Einfluss darauf, wie ältere Menschen von anderen Leuten wahrgenommen werden. Darüber hinaus haben sie auch einen Einfluss darauf, wie ältere Menschen sich selbst wahrnehmen. Teilweise sind diese Vorstellungen positiv, teilweise sind sie aber auch eher negativ gefärbt – etwa wenn das Alter vor allem mit körperlichen Einbußen, mit Vergesslichkeit oder Schwäche in Verbindung gebracht wird.
Auch in vielen institutionellen Feldern (etwa im Gesundheitssystem, in den Religionen, in der Wirtschaft und in der Politik) gibt es Altersbilder. Diese Altersbilder haben eine reale Wirkung auf die Lebenssituation und die Selbstverwirklichungsmöglichkeiten älterer Menschen. Wenn beispielsweise immer noch viele Ärzte der Meinung sind, ab einem gewissen Alter sei man nicht mehr „reha-fähig“, dann führt dies dazu, dass entsprechend selten Rehabilitationsmaßnahmen für ältere Menschen beantragt werden. Oder, mit einem anderen Beispiel: Wenn Personalchefs in der Wirtschaft der Überzeugung sind, im Alter sei man weniger leistungsfähig, dann hat dies reale Auswirkungen auf die Chancen älterer Menschen auf dem Arbeitsmarkt.
Das vorliegende Übungsheft ist als Ergänzung zu den Standardlehrbüchern gedacht, die in der Pflegeausbildung verwendet werden. Auch in den Lehrbüchern wird zwar auf Altersbilder eingegangen – dies allerdings meist nur knapp und in einer recht allgemeinen Weise. Inzwischen gibt es aber so viele interessante sozialwissenschaftliche Studien zu den Altersbildern in unserer Gesellschaft, dass es schade wäre, dieses Material nicht für die Pflegeausbildung zu nutzen.
Vor allem der 6. Altenbericht der Bundesregierung von 2010 mit dem Titel „Altersbilder in der Gesellschaft“ enthält viele wichtige Informationen zum Thema. Mit seinen mehr als 500 Seiten ist dieser Bericht für den Unterricht natürlich viel zu umfangreich. Genau dies ist der Grund für das vorliegende Übungsheft. Es war mein Ziel, das Thema in eine handliche Form zu bringen, mit der man gut arbeiten kann, und hierbei die wichtigsten Informationen aus dem erwähnten 6. Altenbericht der Bundesregierung mit einzubeziehen.
Das Heft ist folgendermaßen gegliedert: Zuerst wird der Begriff der Altersbilder in einer eher allgemeinen Weise definiert. Es werden einige Begriffe eingeführt und erläutert, die bei der Erforschung von Altersbildern hilfreich sind, darunter kalendarisches, biologisches und soziales Alter, Stereotyp, Vorurteil, Normen und normative Erwartungen, Altersdiskriminierung (ageism) sowie Fremdbild/ Selbstbild. Es folgt ein kurzer Abschnitt über Altersbilder in der Allgemeinbevölkerung. Anschließend werden Altersbilder in verschiedenen institutionellen Bereichen besprochen, nämlich Altersbilder in der Werbung, im Gesundheitssystem, in den Religionen, in der Wirtschaft und in der Politik.
Die einzelnen Abschnitte bestehen jeweils aus einigen wenigen Textseiten. Sie sind so geschrieben, dass sie sich für die Arbeit in Kleingruppen eignen. Dies könnte ungefähr so ablaufen: Jede Gruppe von 3-4 Auszubildenden bekommt einen Abschnitt zur Bearbeitung. Die Gruppen werden gebeten, das Thema ihres Abschnitts in eigenen Worten zusammenzufassen. Sie sollen die Fachbegriffe definieren, die im Text vorkommen, und sie sollen die wichtigsten Aussagen des Textes stichpunktartig zusammenfassen. Sie können auch – wenn genügend Zeit ist – im Internet nach zusätzlichen Informationen und/ oder Beispielen suchen und diese in die Präsentation mit einbauen. Die Ergebnisse werden dann der Klasse vorgestellt (evtl. als Plakataktion oder an der Tafel, oder auch mit Hilfe von Power Point). Anschließend wird alles diskutiert und vertieft.
Zusätzlich enthält das Heft Übungsaufgaben und Vorschläge für mögliche Klausurfragen von unterschiedlichem Schwierigkeitsgrad, angelehnt an die in der Pflegeausbildung übliche Methode von Prof. Dr. Kordula Schneider. Dieser Teil befindet sich am Ende des Übungshefts.
„Unser Leben ist das, wozu unser Denken es macht“, sagte der römische Philosoph Marc Aurel. Dieser Satz ist heute wie damals wahr. Die Art, wie in unserer Gesellschaft über das Alter gedacht und gesprochen wird, hat reale Auswirkungen auf die Situation der älteren Menschen. Viele Probleme beginnen tatsächlich ‘im Kopf‘. Ein genaueres Verständnis der Altersbilder in unserer Gesellschaft kann uns helfen, Formen der Altersdiskriminierung besser zu erkennen und zu vermeiden. Es gibt seit Jahren viele Anstrengungen in diese Richtung. Als wichtige Quelle von Anregungen sei dem Leser hier die Homepage des Büros gegen Altersdiskriminierung in Köln ans Herz gelegt, die viele weiterführende Informationen enthält (www.altersdiskriminierung.de).
2. Das Alter als soziale Konstruktion
Was ist eigentlich das Alter? Ab wann ist man alt? Wodurch unterscheidet sich das Alter von den vorausgegangenen Lebensphasen? Eine eindeutige oder endgültige Antwort auf diese Fragen kann es nicht geben. Befragt man die Alterswissenschaft (= Gerontologie), so wird dort vor allem die Vielfalt des Alters betont: Je älter wir werden, desto unterschiedlicher werden wir. Mancher ist mit 70 noch genauso aktiv und engagiert wie ein 30jähriger, mancher fühlt sich bereits mit 60 alt und verbraucht. Ein Teil der Älteren leidet unter Altersarmut, gleichzeitig wird die Generation 50 plus, in Anspielung auf ihre enorme Kaufkraft, auch oft als „Generation Gold“ bezeichnet. Dies alles zeigt schon, dass die Antwort auf die Frage ‘was ist alt‘ immer auch davon abhängt, unter welchem Blickwinkel wir das Alter betrachten.
Um hier eine gewisse Orientierung zu haben, hat es sich eingebürgert, zwischen dem kalendarischen, dem biologischen und dem sozialen Alter zu unterscheiden:
- Das kalendarische Alter eines Menschen ist die Summe an Jahren, die er gelebt hat. Es handelt sich um ein relativ einfaches Maß, das aufgrund der eben erwähnten Vielfalt des Alters allerdings nicht viel Aussagekraft besitzt: Wie alt man sich fühlt, ist eben doch eine ganz andere Frage. In vielen institutionellen Bereichen spielt das kalendarische Alter aber eine wichtige Rolle, vor allem dann, wenn Altersgrenzen festgesetzt werden. Ein Beispiel ist die Festsetzung des Rentenalters auf 67 Jahre (vorher waren es 65 Jahre) durch die deutsche Bundesregierung im Jahr 2007.
- Das biologische Alter bezieht sich auf den Zustand unseres Körpers. Man kann es nicht ganz leugnen: Das Alter geht mit vielen körperlichen Veränderungen einher, bis hin zur Rückbildung der Organe (ein guter Überblick findet sich in dem Lehrbuch von Ilka Köther 2011, S. 8 ff). Wie es uns im Alter geht, ist hierdurch aber nicht vorbestimmt. Wer gesund lebt und regelmäßig trainiert, kann den biologischen Alterungsprozess verzögern. Umgekehrt können Menschen unter bestimmten Bedingungen auch vorzeitig altern. Ein Beispiel ist ein Fließbandarbeiter, der aufgrund von ungünstigen Arbeitsbedingungen mit 60 Jahren einen körperlichen Zustand aufweist, der eher dem eines 70jährigen entspricht („arbeitsbedingtes Voraltern“).
- Das soziale Alter schließlich bezieht sich auf die Art, wie wir von anderen Menschen wahrgenommen werden. Es bezieht sich auf die Rolle, die uns von der Gesellschaft zugewiesen wird. Sozialwissenschaftler haben immer wieder gezeigt, wie relativ das Alter ist: Ein Mannequin gilt schon mit Ende 20 als alt, ein Modedesigner hingegen gilt mit 50 noch lange nicht als alt. Oft müssen wir uns ab einem gewissen Alter von bestimmten Funktionen verabschieden (Piloten, Chirurgen und Leute in vielen anderen Berufen dürfen ab einem bestimmten Alter gar nicht mehr praktizieren), manche Funktionen können wir aber auch auf unbestimmte Zeit hin fortsetzen (etwa die Tätigkeit eines Schriftstellers, Politikers, Wissenschaftlers etc.).
Soziologen bezeichnen das Alter auch als soziale Konstruktion. Wann man als alt gilt, ergibt sich nicht aus der Biologie. Es ist die Gesellschaft, die uns ab einem gewissen Alter bestimmte Rollen zuweist oder uns von bestimmten Rollen ausschließt. Vieles von dem, was uns selbstverständlich und „normal“ erscheint, kann in anderen Gesellschaften und in anderen Epochen der Geschichte völlig anders aussehen.
Mit der Rollenverteilung zwischen Männern und Frauen verhält es sich übrigens ganz ähnlich: Auch das Geschlecht ist aus soziologischer Sicht eine soziale Konstruktion. Zweifellos gibt es biologische Unterschiede zwischen Mann und Frau. Welche Rechte Frauen haben, in welchen Berufen sie arbeiten, welche sozialen Rollen sie übernehmen, von welchen Funktionen sie ausgeschlossen werden usw., dies alles ergibt sich aber nicht aus der Biologie. Es ist die Gesellschaft, die das Geschlecht – oder das Alter – erst zu dem macht, was es ist.
In unserer Gesellschaft wird das Alter ganz unterschiedlich konstruiert und wahrgenommen. Die Gruppe der Älteren hat sich aufgefächert in die „neuen Alten“, die „älteren Alten“ und die „Hochbetagten“. Je nach Bildung, Einkommen und Milieu- oder Schichtzugehörigkeit führen die Menschen im Alter ein ganz unterschiedliches Leben. Trotz dieser Vielfalt des Alters sehen sich ältere Menschen aber oft mit allerlei Stereotypen und Vorurteilen konfrontiert. Was ist damit gemeint?
Ein Stereotyp ist eine relativ starre und pauschale Meinung über die Mitglieder einer Gruppe. Stereotype treten z. B. auf als festgefahrene und stark vereinfachende Meinungen über andere Nationen („Italiener essen immer Spaghetti“), als Geschlechtsstereotype („Männer sind logisch, Frauen sind emotional“), oder eben als Altersstereotype (z.B. „Alte Menschen sind stur“, „Alte Menschen sind nicht offen für Neues“). Stereotypisierungen sind oft hartnäckig und schwer zu überwinden: Wer Stereotype im Kopf hat, ist meist nicht bereit, von seiner Meinung abzurücken – und zwar selbst dann nicht, wenn seine Meinung ganz offensichtlich nicht mit der Realität übereinstimmt. Stereotypisierungen haben also ihr eigenes Beharrungsvermögen.
Mit Vorurteilen verhält es sich ähnlich wie mit Stereotypen. Allerdings kommt hier noch ein emotionales und abwertendes Element hinzu. Die Mitglieder der betreffenden Gruppe werden nicht nur in einer pauschalen und einseitigen Weise wahrgenommen, sie werden auch noch als minderwertig dargestellt – etwa wenn so getan wird, als wären ältere Menschen zurückgeblieben oder unterbelichtet. Dahinter stehen oft Ängste und versteckte Aggressionen. So sind Vorurteile gegenüber älteren Menschen zum Teil darauf zurückzuführen, dass man Angst hat, sich mit der Endlichkeit des eigenen Lebens auseinanderzusetzen.
Das folgende Schaubild soll helfen, das Beharrungsvermögen von Stereotypen und Vorurteilen zu veranschaulichen. Wenn unsere Erwartungen nicht zur Realität passen, wenn es also zu Diskrepanzen kommt, so wird häufig versucht, das Nicht-Passende passend zu machen. Wir spüren zwar irgendwie, dass die Realität doch anders ist, als wir es aufgrund unserer Stereotype und Vorurteile erwartet haben. Wir verdrängen dies aber. Was mit unseren Erwartungen nicht zusammenpasst, wird verleugnet oder umgedeutet (zum Beispiel wenn man denkt: alle Leute über 70 sind krank und gebrechlich – bei Frau Meier von nebenan ist das zwar nicht der Fall, aber sie ist eben die „Ausnahme“).
Man kann sich diesen Kreislauf, in welchem unsere Vorurteile immer wieder stabilisiert werden, auch an dem folgenden Beispiel vor Augen führen: Angenommen, jemand ist fest davon überzeugt, dass alle Italiener stehlen. Dies prägt seinen Blick auf die Realität (er macht gerade Urlaub in Italien und ist voll von Angst und düsteren Erwartungen). Allerdings: Es passiert nichts, die Italiener verhalten sich ihm gegenüber völlig korrekt. Diese Diskrepanz (= Unstimmigkeit) wird nun folgendermaßen verarbeitet: Man deutet die Situation so, dass man sich einbildet, man sei nur deshalb nicht bestohlen worden, weil man so überaus vorsichtig gewesen ist. Die Vorurteile bleiben also erhalten.
Wie der 6. Altenbericht der Bundesregierung von 2010 zeigt, gibt es in unserer Gesellschaft viele Stereotype und Vorurteile gegenüber Älteren. Häufig ist der Blick auf das höhere Alter immer noch von dem sog. Defizitmodell des Alters geprägt, demzufolge das Alter vor allem eine Zeit des Verlusts, der Schwäche und der zunehmenden Hilflosigkeit darstellt.
Solche negativen Altersbilder führen häufig zu Formen der Altersdiskriminierung („ageism“). Beispiele sind: Abwertende Ausdrücke und Formulierungen (etwa die Rede vom „alten Eisen“, oder auch von der „Alterslast“ unserer Gesellschaft); herablassende Verhaltensweisen Älteren gegenüber (etwa die berühmt-berüchtigte „Babysprache“); ferner die Benachteiligung Älterer auf dem Arbeitsmarkt oder auch Fälle, in denen Älteren medizinische Leistungen vorenthalten werden.
Der Begriff „ageism“ wurde 1969 von dem amerikanischen Gerontologen Robert Butler in die Diskussion gebracht. Die Ähnlichkeit mit den Begriffen „racism“ (Rassismus) und „sexism“ (Sexismus) ist gewollt. „Ageismus“ bedeutet die systematische Stereotypisierung und Diskriminierung von Menschen aufgrund ihres Alters. Teilweise finden sich solche Formen der Altersdiskriminierung in der Allgemeinbevölkerung, teilweise sind es aber auch Experten oder Mitglieder spezieller Berufsgruppen (Ärzte, Psychologen, Personalmanager), die durch ihr Verhalten ältere Menschen diskriminieren. In diesem Falle spricht man von „professional ageism“.
Wenn wir Altersbilder genauer betrachten, stellen wir fest, dass sie im Grunde immer zwei Elemente miteinander verbinden: Altersbilder treffen Aussagen darüber, wie alte Menschen sind (wobei diese Aussagen auch falsch oder verzerrt sein können). Gleichzeitig enthalten Altersbilder immer auch Aussagen darüber, wie ältere Menschen sein sollen, wie sie sich zu verhalten haben, was angemessen ist und was nicht. Hier sind wir im Bereich der Normen und der normativen Erwartungen. Normen sind gesellschaftliche Verhaltensvorschriften, deren Missachtung verschiedene Arten von Sanktionen (=Strafen) zur Folge haben kann. Dies können auch ‘weiche‘ Sanktionen sein, wie etwa strafende Blicke, gehässige Kommentare („dass der sich in seinem Alter nicht schämt“) oder die Vermeidung des Kontakts zu jemand.
Die normativen Erwartungen, die die Gesellschaft an ältere Menschen richtet, beziehen sich auf viele verschiedene Lebensbereiche. Die Probleme beginnen oft schon bei der Frage, wie man sich kleiden soll: Eine ältere Dame, die starke oder schrille Farben bevorzugt, die enge Hosen trägt oder sich stark schminkt, wird in manchen Kreisen für Aufregung und kritische Kommentare sorgen (vgl. das Beispiel bei Ilka Köther 2011, S. 18).
Manchmal sind die normativen Erwartungen auch widersprüchlich: So wird von den Älteren häufig erwartet, dass sie sich mit ihrem Alter abfinden sollen, dass sie tapfer sein sollen und gesundheitliche Beeinträchtigungen oder Schmerzen ohne Klagen hinnehmen sollen. Teilweise gibt es aber auch die entgegengesetzte Erwartung, nämlich dass Ältere alles tun sollen, um ihre Situation zu verbessern, dass sie jede Art von Hilfe in Anspruch nehmen und sich am Ideal des aktiven, erfolgreichen Alterns orientieren sollen.
Wie gehen ältere Menschen mit diesen Erwartungen um? Eine hilfreiche Unterscheidung in diesem Zusammenhang ist die zwischen Fremdbild und Selbstbild. Fremdbilder sind oft von groben Vereinfachungen geprägt, von Stereotypisierungen und Vorurteilen. Das eigene Selbstbild älterer Menschen ist in der Regel viel differenzierter: Jeder Mensch kennt seine Stärken und Schwächen, sucht nach Sinn und bemüht sich, ein positives Selbstwertgefühl aufzubauen. Es wäre daher eigentlich zu erwarten, dass ältere Menschen vor allem die positiven Seiten des Alters betonen – etwa dass man gelassener wird oder dass man seine Zeit in einer sinnvollen und selbstbestimmten Weise verbringen kann.
Allerdings gibt es eine Gefahr, auf die in der gerontologischen Forschung häufig hingewiesen wird: Es kann passieren, dass ältere Menschen die negativen Stereotypisierungen, die ihnen von der Gesellschaft entgegen gebracht werden, in ihr Selbstbild übernehmen. Man bezeichnet den Prozess, der hierdurch ausgelöst wird, auch als sich-selbst erfüllende Prophezeiung: Der ältere Mensch wertet sich selbst ab und gleicht sich dem negativen Bild, das andere von ihm haben, immer mehr an. Dies betrifft u.a. auch den Umgang mit Krankheiten. Wer der festen Überzeugung ist, Unwohlsein, Schmerzen und körperliche Einschränkungen seien eine ‘normale‘ Begleiterscheinung des Alters, der wird bei auftretenden Beschwerden seltener zum Arzt gehen als jemand, der sich vom Alter Aktivität und Lebensfreude erwartet. Er wird denken: „Diese Zipperlein gehören eben mit dazu, da kann der Arzt auch nichts machen“, und er wird weniger Anstrengungen unternehmen, seine Gesundheit wiederherzustellen.
Man kann in diesem Zusammenhang das schöne Gedicht des Schriftstellers und Humoristen Erich Kästner zitieren: „Was auch immer geschieht/ Nie dürft ihr so tief sinken/ von dem Kakao, durch den man euch zieht/ auch noch zu trinken“. Oft trinkt man aber leider doch davon. Vor allem jene älteren Menschen, deren Selbstwertgefühl bereits – aus welchen Gründen auch immer – beeinträchtigt ist, sind anfällig dafür, die negativen Klischees ihrer Umgebung in ihr Selbstbild zu übernehmen. Manche ältere Leute machen es sich einfach und denken: „Alt sind nur die anderen“. Diese Art der Leugnung muss aber früher oder später zusammenbrechen, was in vielen Fällen einen Schock bedeutet. Eine aktive Auseinandersetzung mit dem Alter ist daher die beste Vorsorge für ein gelingendes Älterwerden.
Auch die Angehörigen verschiedener Berufe (Ärzte, Pflegekräfte, Psychologen usw.) müssen sich stärker der Aufgabe stellen, ihr Altersbild zu reflektieren, um die oben erwähnten Formen eines „professional ageism“ zu überwinden. Zum Beispiel wird ein Arzt, der fest davon überzeugt ist, Schmerzen seien ein fester Bestandteil des Älterwerdens, seinen Patienten weniger gut helfen können als ein Arzt, der sich an einem positiven, fortschrittlichen Altersbild orientiert.
3. Altersbilder in der Allgemeinbevölkerung
Welche Sprichwörter fallen uns ein, wenn wir über das höhere Lebensalter nachdenken? Und vor allem: Gibt es ein Körnchen Wahrheit, das in diesen Redensarten enthalten ist? Von Sprichwörtern kann man sicherlich nicht erwarten, dass sie den aktuellen Stand der wissenschaftlichen Erkenntnis widerspiegeln. Manche Sprichwörter sind sehr alt und stammen aus einer Zeit, die wir uns heute kaum noch vorstellen können. Dennoch haben viele Redewendungen auch heute noch ihre Gültigkeit:
- „Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr“. Den Spruch gibt es schon seit langer Zeit. Er erscheint etwas zu pessimistisch, denn heute wissen wir, dass man auch im Alter über große Lernpotenziale verfügt. Ganz falsch ist der Spruch aber nicht: Wer sich bereits seit seiner frühen Jugend in der Kunst des Lernens geübt hat, dem fällt dies auch im Alter viel leichter.
- „Einen alten Baum verpflanzt man nicht“. Auch in diesem Spruch steckt viel Wahrheit – wobei der ‘Boden‘, in dem die Menschen verwurzelt sind, vor allem aus sozialen Netzwerken besteht. Ein Ortswechsel wird im Alter insbesondere dann zum Problem, wenn er mit dem Verlust der bisherigen Sozialkontakte verbunden ist.
- „Mit dem Alter kommt der Psalter“. Der Psalter ist die Sammlung von Psalmen (Sprüchen) in der Bibel. Gemeint ist: Im Alter wird Religion immer wichtiger. Auch dies ist nicht ganz falsch – die wachsende Anzahl von Büchern zum Thema Alter und Spiritualität belegt dies.
- „Altwerden ist nichts für Feiglinge“. Dieses Sprichwort stammt aus dem Englischen. Der Spruch hat einen besonderen Charme: Einerseits werden die Probleme des Alters angesprochen, gleichzeitig wird aber deutlich, dass man diese Probleme doch irgendwie meistern kann – falls man Mut hat und in der Lage ist, mit Krisen umzugehen.
Soweit einige Sprichwörter, die im Alltag oft zu hören sind. Wie kann man nun genauer ermitteln, welche Altersbilder es in der Bevölkerung gibt?
Eine häufig verwendete Methode sind Interviews und Umfragen. Die Forscher erstellen einen Fragebogen. Dieser besteht aus mehreren Aussagen zum Älterwerden, zum Beispiel: „Altwerden bedeutet, dass der Gesundheitszustand schlechter wird“ oder „Im Alter kann man viele Pläne verwirklichen“. Der Fragebogen wird dann an eine Anzahl von Personen verschickt mit der Bitte, zu jeder Aussage anzukreuzen, in welchem Maße sie zutrifft (etwa: „trifft genau zu“, „trifft eher zu“, „trifft eher nicht zu“, „trifft gar nicht zu“).[1]
Anhand der Antworten kann man dann erkennen, ob die Teilnehmer der Befragung ein positives oder ein negatives Altersbild haben. Es handelt sich also um eine Art „Stimmungsbarometer“ – man erhält einen Eindruck, wie das Älterwerden von den Menschen in der Bevölkerung bewertet wird.
[...]
[1] Die bekannteste dieser Untersuchungen ist der Deutsche Alterssurvey, der in den Jahren 1996, 2002, 2008, 2011 und 2014 durchgeführt wurde. Die jetzige Befragungswelle umfasst 10‘000 Befragte.
- Arbeit zitieren
- Martin Herberg (Autor:in), 2016, Altersbilder in unserer Kultur. Ein Übungsheft für die Pflegeausbildung, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/344311
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