Wie kommt man dazu, eine Arbeit über die Geschichte einer betriebswirtschaftlichen Teildisziplin zu schreiben? Vor allen Dingen als Zwischenprüfung in Geschichte und nicht etwa in Betriebswirtschaftslehre? Diese Fragen sind schnell beantwortet. „Geschichte ist alles! Alles, was bis zum jetzigen Zeitpunkt geschehen ist.“ Somit fällt natürlich auch die Entwicklung der Logistik unter „Geschichte.“
Seit ein paar Jahren spricht alles von Logistik. Ist Logistik nur ein Modewort oder steckt mehr dahinter? Die moderne Logistik ist ein Teilbereich der Betriebswirtschaftslehre, welcher innerhalb der letzten 20 Jahre einen enormen Bedeutungszuwachs erfahren hat. Neue Studiengänge, Forschungsarbeiten und Publikationen sind die Ergebnisse. Umfragen in den USA und in europäischen Ländern ergeben ganz deutlich, dass auch Unternehmen der Logistik einen bedeutend höheren Stellenwert einräumen als noch vor ein paar Jahren.1 Historisch betrachtet lässt sich logistisches Denken und Handeln bereits im Altertum, z. B. bei der Planung von Marschrouten und der Versorgung der Truppen, nachweisen. Davon ausgehend ergibt sich eine Ausweitung des Logistikbegriffes von einer engen militärischen Konzeption zu einer betriebswirtschaftlichen Wissenschaft. Die Methodik der Geschichtswissenschaft ist hervorragend geeignet, um eine solche Entwicklung zu strukturieren und aufzuarbeiten. Dabei muss man sowohl auf volkswirtschaftlichen Faktoren wie Globalisierung, Wirtschaftswachstum und Strukturwandel als auch auf betriebswirtschaftliche Faktoren wie Rationalisierung, Kostenanalyse und Marketing eingehen. Diese Interdisziplinarität macht das Thema besonders reizvoll.
Die Anzahl der Publikationen zur betriebswirtschaftlichen Logistik wuchs seit ihrer Entstehung in den 50er Jahren sehr schnell und ist heute schon fast unübersehbar groß. Allerdings belassen es die meisten Autoren, wenn sie überhaupt auf die Historie eingehen, bei einer Erwähnung des militärischen Ursprungs der Logistik. Die militärgeschichtlichen Quellen behandeln die Logistik ausschließlich in ihrer Versorgungsfunktion und gehen nicht auf ihr ökonomisches Potential ein. Dass der Begriff Logistik u. a. einen etymologischen Bezug zur mathematischen Entscheidungstheorie (Formale Logik) hat, sorgte in den Anfangsjahren der Logistikverbreitung in Europa punktuell für Verwirrung (Bsp. aus einem Firmen-ABC der frühen siebziger Jahre: Logistik = Wir halten es mit der Logik).
Inhaltsverzeichnis
Einleitung
1. Der militärische Logistikbegriff
1. 1 Etymologische Bedeutung
1. 2 Der Logistikbegriff bei Leontos VI
1. 3 Der Logistikbegriff bei Jomini
1. 4 Der Logistikbegriff im amerikanischen Militär
2. Der Betriebswirtschaftliche Logistikbegriff
2. 1 Die Übernahme des militärischen Logistikbegriffs in die amerikanische Ökonomie
2. 2 Die Übernahme des Logistikbegriffs in die deutsche Betriebswirtschaftslehre
2. 2. 1 Marketing-Logistik
2. 2. 2 Der systemorientierte Logistikansatz nach Ihde und Kirsch
3. Der historische und ökonomische Hintergrund der betriebswirtschaftlichen Logistik
3. 1 Die Theorie des Strukturwandels nach J. Fourastié
3. 2 Die Auswirkung des Strukturwandels auf die betriebswirtschaftliche Logistik
3. 3 Die Einführung von Software in der Logistik
3. 4 Die langfristige Wirtschaftsprognose von J. M. Keynes (1943)
3. 5 Das Rationalisierungspotential der Logistik
4. Ausblick
5. Resümee
Literaturverzeichnis
Einleitung
Wie kommt man dazu, eine Arbeit über die Geschichte einer betriebswirtschaftlichen Teildisziplin zu schreiben? Vor allen Dingen als Zwischenprüfung in Geschichte und nicht etwa in Betriebswirtschaftslehre? Diese Fragen sind schnell beantwortet. „Geschichte ist alles! Alles, was bis zum jetzigen Zeitpunkt geschehen ist.“ Somit fällt natürlich auch die Entwicklung der Logistik unter „Geschichte.“
Seit ein paar Jahren spricht alles von Logistik. Ist Logistik nur ein Modewort oder steckt mehr dahinter? Die moderne Logistik ist ein Teilbereich der Betriebswirtschaftslehre, welcher innerhalb der letzten 20 Jahre einen enormen Bedeutungszuwachs erfahren hat. Neue Studiengänge, Forschungsarbeiten und Publikationen sind die Ergebnisse. Umfragen in den USA und in europäischen Ländern ergeben ganz deutlich, dass auch Unternehmen der Logistik einen bedeutend höheren Stellenwert einräumen als noch vor ein paar Jahren.[1] Historisch betrachtet lässt sich logistisches Denken und Handeln bereits im Altertum, z. B. bei der Planung von Marschrouten und der Versorgung der Truppen, nachweisen. Davon ausgehend ergibt sich eine Ausweitung des Logistikbegriffes von einer engen militärischen Konzeption zu einer betriebswirtschaftlichen Wissenschaft. Die Methodik der Geschichtswissenschaft ist hervorragend geeignet, um eine solche Entwicklung zu strukturieren und aufzuarbeiten. Dabei muss man sowohl auf volkswirtschaftlichen Faktoren wie Globalisierung, Wirtschaftswachstum und Strukturwandel als auch auf betriebswirtschaftliche Faktoren wie Rationalisierung, Kostenanalyse und Marketing eingehen. Diese Interdisziplinarität macht das Thema besonders reizvoll.
Die Anzahl der Publikationen zur betriebswirtschaftlichen Logistik wuchs seit ihrer Entstehung in den 50er Jahren sehr schnell und ist heute schon fast unübersehbar groß. Allerdings belassen es die meisten Autoren, wenn sie überhaupt auf die Historie eingehen, bei einer Erwähnung des militärischen Ursprungs der Logistik. Die militärgeschichtlichen Quellen behandeln die Logistik ausschließlich in ihrer Versorgungsfunktion und gehen nicht auf ihr ökonomisches Potential ein.
Dass der Begriff Logistik u. a. einen etymologischen Bezug zur mathematischen Entscheidungstheorie (Formale Logik) hat, sorgte in den Anfangsjahren der Logistikverbreitung in Europa punktuell für Verwirrung (Bsp. aus einem Firmen-ABC der frühen siebziger Jahre: Logistik = Wir halten es mit der Logik). Es gibt bis heute noch keine einheitliche Definition des Logistikbegriffes. Jedoch ist das heterogene Verständnis zum Logistikbegriff nicht das Resultat der Diskussion der letzen Jahre, sondern das Ergebnis einer weitreichenden historischen Entwicklung. In dieser Arbeit wird dargestellt, wie sich der Logistikbegriff im Laufe der Zeit gewandelt hat und dabei soll explizit auf jene Faktoren eingegangen werden, die diese Wandlung ermöglichten. Dies kann nur geschehen, indem neben dem Begriff Logistik auch der Wesensinhalt der Wissenschaft Logistik dargestellt wird. Somit hat die vorliegende Arbeit neben dem begriffshistorischen Schwerpunkt in den Kapiteln eins und zwei noch einen ökonomischen Schwerpunkt im dritten Kapitel.
1. Der militärische Logistikbegriff
1. 1 Etymologische Bedeutung
Etymologisch betrachtet lässt sich der Ursprung des Begriffs Logistik auf verschiedene Wortstämme zurückführen. Nach Ansicht vieler Autoren ist der Begriff in seiner neuzeitlichen Bedeutung abgeleitet von dem französischen Verb loger (unterbringen, wohnen) bzw. logis (Unterbringung), welches aus dem lateinischen logistare (vermieten, verpachten, unterbringen) entstanden ist.[2] Ein anderer Bezug besteht zu dem griechischen Wort lego (denkbar) bzw. die davon abgeleiteten Worte logos (Wort, Verstand, Vernunft, Rechnung), logistikos (der Denkende) und logizomai (rechnen, überlegen).[3] Das Handwörterbuch der Wirtschaftswissenschaften (HdWW) sieht die etymologischen Wurzeln der Logistik im Germanischen:
„[...]die wahrscheinlich auf Militärs zurückgehende Vermutung, dass der Begriff Logistik aus dem Griechischen logos [...]herzuleiten sei, ist nicht haltbar. [...]Das Wort logis entstammt nicht aus dem griechischen Wortstamm logos bzw. seinen lateinischen Lehnworten, sondern ist aus dem germanischen louba (die Laube, das Häuschen) ins Französische entlehnt.“[4]
Auch Bjelicic[5] führt den militärischen bzw. ökonomischen Logistikbegriff nicht auf das griechische logos zurück, sondern auf den französischen Begriff maréchal de logis (Quartiermeister). Den Ursprung des Verbs loger sieht er im altniederfränkischen Laubja (die Laube), das im Altfranzösischen als Loge auftaucht.[6] Der Zusammenhang zwischen Loge und Laube wird in der deutschen Etymologie bestätigt:
„ Loge f. Unser Laube ist in Frz., Engl. und Ital. gelangt. Frz. loge 'Kabinettchen in einem Opernhaus'. Engl. lodge 'Versammlung(sort) der Freimaurer'[...]. Ital. loggia 'halboffene Bogenhalle'.“[7]
Militärische Bedeutungen für Loge tauchen in der französischen Etymologie auf. Hier heisst es: „ Loge, abri de feuillage, surtout pour les troupes (ca. 1138 bis 13. Jahrhundert), tente (Zelt) (12. bis 13. Jahrhundert), baraque (Baracke) (p. ex. pour les soldats) bzw. cabane (Hütte) (12. Jahrhundert).“[8]
Gegen den Ursprung des Wortes Logistik aus dem Französischen spricht, dass bereits in Athen, Byzanz und im Römischen Reich Beamte mit dem Titel Logista die Funktion von Finanzrevisoren bzw. Nahrungsmittelverteilern wahrnahmen. Ihre Zuständigkeit war die Planung der Verpflegung, die Unterbringung und die Marschrouten der römischen Legionen bzw. der mitgetriebenen Viehherden.[9]
In der Mathematik verstand man bis ins 16. Jahrhundert unter Logistika die praktische Rechenkunst in Abgrenzung zur Arithmetik, der Theorie hierüber.[10] Mathematische Funktionen, die als modifizierte Exponentialfunktionen definiert werden können, bezeichnet man als logistische Funktionen.[11] Solche Funktionen werden beispielsweise zur Beschreibung des Wachstums der Bevölkerung oder zur Darstellung des Lebenszyklusses eines Produktes von der Markteinführung bis zur Marktsättigung verwendet.[12] Begriffsdeutungen, die sich auf die mathematische Dimension der Logistik beziehen werden immer auf den griechischen Wortstamm zurückgeführt.[13] Im Brockhaus wird 1908 schlicht definiert: „ Logistik (grch.), f. Arithmetik.“[14] In der Ausgabe von 1970 wird der Begriff plötzlich nicht mehr auf den griechischen, sondern auf den französischen Ursprung zurückgeführt und hat u. a. eine militärische Bedeutung.
„Logistik [aus frz.] die , 1) Militär: der Zweig der militärischen Führung, der die materielle Versorgung, die Materialerhaltung, die Materiallenkung, die Verkehrsführung, den Abschub der Verwundeten und Kranken sowie die Infrastruktur der Streitkräfte zur Aufgabe hat[...] 2) Philosophie: [...]eine heute kaum noch gebräuchliche Bezeichnung für die moderne formalisierte Logik.“[15]
In der Philosophie wird „Logistik“ seit 1904[16] zum Teil synonym mit „mathematischer Logik“ und „symbolischer Logik“ verwendet.[17] Die Symbolic Logic geht zurück auf Leibnitz (1646-1716) und Boole (1815-1864). Sie ist die Lehre von den formalen Beziehungen zwischen Denkinhalten, deren Beachtung im tatsächlichen Denkvorgang für dessen logische Richtigkeit entscheidend ist, wobei die Quantifizierbarkeit dieser formalen Beziehungen vorausgesetzt wird.[18]
Es ist deutlich geworden, dass der Begriff Logistik in diversen Wissenschaften mit unterschiedlichen Bedeutungen Verwendung findet. Inhalt dieser Arbeit ist der Logistikbegriff in einer militärischen und später ökonomischen Bedeutung. Dass dieser letztendlich auf verschiedene Stammwörter zurückgeführt werden kann, wird bei Bjelicic deutlich.
„Anhand einer militärgeschichtlichen Quelle, auf die Ihde[19] aufmerksam gemacht hat, lässt sich eindeutig nachweisen, dass der Terminus Logistik in seiner militärischen und später ökonomischen Bedeutung nicht nur auf den französisch-germanischen Wortstamm, sondern ebenfalls auf den griechischen Wortstamm zurückgeführt werden kann.“[20]
Die von Ihde genannte Quelle bezieht sich auf den byzantinischen Kaiser Leontos VI (886-911), der sich bereits ausführlich mit der Logistik als Teil der Kriegskunst auseinander gesetzt hatte.
1. 2 Der Logistikbegriff bei Leontos VI
Schon in der vorchristlichen Zeit befassten sich Heerführer mit der Versorgung ihrer Truppen mit Proviant. Es wurden Kanäle gegraben und Wasserleitungen aus Tierhäuten durch die Wüste gelegt. Mit den Truppen wurden genau vorausberechnete Viehherden als lebendiger Fleischvorrat mitgetrieben. Marschrouten wurden so festgelegt, dass die Tiere stets rechtzeitig neue und ausreichende Weideplätze und die Truppen geeignete Quartiere finden konnten.[21] Aber nicht nur im militärischen Bereich lässt sich seit dem Altertum logistisches Denken und Handeln nachweisen. Über die Seidenstrasse fand bereits seit dem 2. Jhd. v. Chr. ein intensiver Warenaustausch zwischen den Staaten des Mittelmeerraumes und den Hochkulturen von Persien, Indien und China statt.[22]
„Die Fähigkeit des Handels, Transport, Lagerung und Umschlag der Handelsgüter stets neu an den veränderten Umweltbedingungen auszurichten, um die Verfügbarkeit der nachgefragten Güter sicherzustellen, schaffte die Voraussetzungen für Überleben und wirtschaftlichen Erfolg.“[23]
Als begriffskonstituierend in seiner militärwissenschaftlichen Bedeutung wird zumeist auf den byzantinischen Kaiser Leontos VI (886-911), auch Leon der Weise genannt, verwiesen.[24] „Zum Zwecke der Hebung des Kriegswesens“[25] verfasste er die „Summarische Auseinandersetzung der Kriegskunst“[26], welche später unter dem Namen „Leoninische militärische Institute“ bekannt geworden ist.[27] Er bezeichnet darin die Logistik neben Strategie und Taktik als den dritten kriegsentscheidenden Faktor.[28] Dazu gab er nach Wiedergabe von Jähns[29] folgende Definition:
„Sache der Logistik ist es, das Heer zu besolden, sachgemäß zu bewaffnen, zu gliedern, mit Geschütz und Kriegsgerät auszustatten, rechtzeitig und hinlänglich für seinen Bedarf zu sorgen und jeden Akt des Feldzuges entsprechend vorzubereiten, d.h. Raum und Zeit zu berechnen, das Gelände in bezug auf die Heeresbewegungen sowie des Gegners Widerstandskraft richtig zu schätzen und diesen Funktionen gemäß die Bewegung und Verteilung der eigenen Streitkräfte zu regeln und anzuordnen, mit einem Wort zu disponieren.“[30]
Aufgabe der Taktik sei es, die nach logistischen Gesichtspunkten organisierte Heeresmacht in Truppenteile zu formieren und auf dem Marsch und im Gefecht zu lenken.[31]
Autoren, die den Ursprung der Logistik im Französischen sehen, beziehen sich ausschließlich auf den schweizer Baron Antoine-Henri de Jomini (1779-1869).
1. 3 Der Logistikbegriff bei Jomini
Als Ahnherr der militärischen Logistik – Konzeption, die zur Rezeption der Logistik in der Wirtschaft führte, gilt nicht Leontos VI. und seine Logistik als Bindeglied zwischen Strategie und Taktik, sondern der „schweizer General in französischen und russischen Diensten“[32] Baron Antoine-Henri de Jomini (1779-1869).[33] Er war Adjutant Marschall Neys, Brigadegeneral und Gouverneur von Wilna und Smolensk, später in Diensten von Zar Alexander und Gründer der Militärakademie Petersburg sowie Teilnehmer am Wiener Kongress.[34] Er verwendet den Begriff erstmals 1830[35] und leitet ihn von dem „major-général de logis“ (Quartiermeister) ab.[36] Dies waren Offiziere mit der Verpflichtung „die Quartiere und Lager der Truppen zu bestimmen, den Marschkolonnen die Richtung anzuweisen und sie nach der Örtlichkeit aufzustellen.“[37] In seinem 1837 veröffentlichten Werk „Précis de l´art de la guerre ou nouveau traité analytique“[38] unterscheidet er sechs Bereiche der Kriegskunst – Kriegspolitik, Strategie, la grande tactique[39], Logistik, Ingenieurwesen und la tactique de détail.[40] Er beschäftigt sich ausführlich mit den Aufgaben der Logistik und stellt unter anderem fest:
„Wenn es anerkannt ist, dass die alte Logistik nur eine Detailwissenschaft für die Berechnung der Märsche geworden, wenn es erwiesen ist, dass die Pflichten des Generalstabes heute die höchsten Kombinationen der Strategie umfassen, so wird man hinzusetzen müssen, dass die Logistik nur ein kleiner Teil der Wissenschaft des Generalstabes ist, ja sogar, dass man ihr notwendigerweise eine andere Entwicklung geben und eine neue Wissenschaft daraus machen muss, welche nicht nur die des Generalstabes, sondern sogar die der Oberfeldherrn wäre.“[41]
In einem achtzehn Punkte umfassenden Verzeichnis zählt er anschließend alle der Logistik zuzurechnenden Pflichten des Feldherrn auf. Für die heutige Begriffsbestimmung ist dabei interessant, dass die Standtortbestimmung und Einrichtung von Depots, die Marschplanung und –durchführung, die Bereitstellung der Transportmittel, die Einrichtung der Verbindungswege und auch bereits die Entsorgung der Truppe der Logistik zugerechnet werden.[42] Mit dieser Ausweitung des Logistikbegriffs hat Jomini der militärischen Strategie richtungsweisende Impulse gegeben, denn derartig geführte Armeen unterscheiden sich deutlich von denen früherer Zeiten, die sich in der Regel durch Plünderungen selbst versorgten.[43]
„Es kam vor, dass Truppen, die sich nach einem siegreichen Gefecht requirierend und plündernd zerstreuten, nun überfallen und geschlagen wurden. Mit der Wiederherstellung der Ordnung wurden, wie in der Taktik, auch im Verpflegungswesen der französischen Armee die alten Formen sachgemäß wieder aufgenommen und nur im Notfalle der Soldat auf die regellose Selbstversorgung angewiesen.“[44]
Die umfangreiche Ausweitung der Logistik-Konzeption durch Jomini lässt erkennen, warum der Logistikbegriff von diversen Autoren auf einen französischen Ursprung zurückgeführt wird. Allerdings macht Bjelicic darauf aufmerksam,
„[...], dass das Wort Logistik in seiner militärischen und später ökonomischen Bedeutung auf den griechischen Wortstamm zurückgeführt werden kann. Jomini, und höchstwahrscheinlich anderen vor ihm, ist in der Rückführung von Logistik auf den französischen Wortstamm loger ein Irrtum unterlaufen, der durchaus erklärlich ist, wenn man bedenkt, dass die Etymologieforschung zu jener Zeit noch kaum entwickelt war.“[45]
Jomini hatte alle für die Versorgung der Truppen notwendigen Tätigkeiten unter dem Begriff Logistik vereint. Er hatte die wichtige strategische Bedeutung der Logistik erkannt. Dessen vorerst ungeachtet geriet diese Bezeichnung in Vergessenheit.
„Despite the enormous influence of Jomini`s writings on military thought during the long middle span of the 19th century, the word “logistics” gained only a limited currency in French (la logistique) and in English as a rather academic term used occasionally by the learned. […] Jomini´s broad conception of the term was generally forgotten.”[46]
Erst am Ende des 19. Jahrhunderts tauchte sie im amerikanischen Militär wieder auf und sollte von dort aus Eingang in die Ökonomie finden.
1. 4. Der Logistikbegriff im amerikanischen Militär
„The word logistics came into sudden vogue in the U.S. during World War II at a time when paradoxically it had almost disappeared from military use in Europe. With wide usage came further confusion of
meaning.”[47]
Die Rezeption des Gedankenguts von Jomini erfolgte, indem sein 1862 übersetztes Werk Eingang in die Ausbildung der US-Marine fand.[48] Anlässlich der Gründung des Naval War College 1884[49] kündigte Admiral Stephen B. Luce,[50] der unter Logistik im wesentlichen „the art of moving and quartering troops“ verstand[51], eine Ausbildungseinheit zur Logistik an. Diese beschäftigte sich jedoch zunächst nur mit der Navigation der Kriegsmarine.[52] Im Zeitverlauf wurde die Logistik immer mehr als Summe aller Tätigkeiten und Dienstleistungen zur Unterstützung der Streitkräfte begriffen.[53] 1926 wurde sie definiert als „that part of the military art which embraces the details necessary to the movement and supply of troops in military operations.”[54] Die Dreiteilung der militärischen Aufgabe bei Jomini in Strategie, Taktik und Logistik[55] führte später in der US Navy zur Übertragung der operativen Nachschubaufgabe an eine verselbstständigte Abteilung, die ihre Planungsmodelle losgelöst von Strategie und Taktik lediglich mit dem Zweck der Optimierung der Nachschubaufgabe zu entwickeln hatte.[56] Zur Lösung der „enormen Nachschubprobleme der amerikanischen Armee während des zweiten Weltkrieges“[57] wurden mathematische Planungsmodelle dieser Logistikabteilung der US Navy für die optimale Bestandsführung in den marineeigenen Lagerhäusern zur Sicherung des reibungslosen Nachschubes eingesetzt, nachdem die Fortschritte in der Rechentechnik eine mathematische Operationalisierung möglich gemacht hatte.[58] Ihde sieht in der Arbeit dieser Abteilung, die „gemeinsame Wurzel sowohl für die Entwicklung der mathematischen Planungswirtschaft, heute allgemein Operations Research genannt, als auch für die wirtschaftswissenschaftliche Disziplin Logistik.“[59]
[...]
[1] H. Baumgarten, A. Wiegand: Managementtrends und –entwicklungen in der Logistik. Ergebnisse der Untersuchung Trends und Strategien in der Logistik 2000. Berlin 1997, S. 3f.
[2] P. Rupper (Hrsg.): Unternehmenslogistik: Ein Handbuch für Einführung und Ausbau der Logistik in Unternehmen. Zürich 1987, S. 5; M. Broggi: Ursprung und Geschichte. Logistik im Wandel der Zeit. In: Jahrbuch der Logistik, 4. Jg. (1990), hrsg. von C. Bonny. Düsseldorf, Frankfurt am Main 1990, S. 216-217; Gösta B. Ihde (1972): Logistik. Physische Aspekte der Güterdistribution. Stuttgart 1972, S. 11; H. Chr. Pfohl (2000 ): Logistiksysteme. Betriebswirtschaftliche Grundlagen. Berlin, Heidelberg 2000, S. 11; R. Jünemann (1989): Materialfluss und Logistik. Systemtechnische Grundlagen mit Praxisbeispielen. Berlin, Heidelberg 1989, S. 8.
[3] The New Encyclopaedia Britannica: Vol. 14 Lighting to Maximilian. Chicago 1969, S. 239; J. Kapoun: Logistik – ein moderner Begriff mit langer Geschichte. In: Zeitschrift für Logistik 2 (1981) Nr. 3. Landsberg 1981, S. 123ff.
[4] Handwörterbuch der Wirtschaftswissenschaften (HdWW): Bd. 5. Lagerhaltung bis Oligopoltheorie. Stuttgart 1980, S. 54.
[5] B. Bjelicic: Logistik: Eine sprachhistorische und begriffsinhaltliche Untersuchung. In: Muttersprache: Zeitschrift zur Pflege und Erforschung der deutschen Sprache, Bd. 97, Heft 3 - 4, Wiesbaden 1987. S. 153-161.
[6] Ibid, S. 154.
[7] F. Kluge: Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache. 21. unveränderte Auflage. Berlin 1975, S. 445.
[8] Französisches Etymologisches Wörterbuch: Bd. 16. Basel 1959, S. 446.
[9] Vgl. Jünemann (1989), S. 4; Encyclopaedia Britannica, S. 239.
[10] Kapoun, S. 123ff. ; Bjelicic, S. 154.
[11] H. Chr. Pfohl (1972): Marketing-Logistik. Gestaltung, Steuerung und Kontrolle des Warenflusses im modernen Markt. Mainz 1972, S. 16.
[12] Ibid.
[13] HdWW, S. 54.
[14] Brockhaus` Konversations-Lexikon (1908): 14. vollständig neubearbeitete Auflage. Bd. 11. Lechenich-Mori. Leipzig 1908, S. 247.
[15] Brockhaus Enzyklopädie in zwanzig Bänden (1970): 17. völlig neubearbeitete Auflage des großen Brockhaus. Bd. 11, L-MAH. Wiesbaden 1970, S. 557.
[16] „Terme proposé au Congrès de Genève (septembre 1904) par M. Itelson. M. Itelson, Lalande et Couturat, sans entente ni communication préalables, se sont rencontrés pour donner à la logique nouvelle le nom de logistique.“ Zu der Beziehung zwischen der philosophischen Logik und der Logistik geht ausführlich ein: G. Tronche: Le fléau de lábandon des études logiques. Online im Internet: URL: http://perso.wanadoo.fr/thomiste/logique.htm#_Hlk508962585 [Stand: 2004-06-02].
[17] Pfohl (2000), S. 11.
[18] Pfohl (1972), S. 16.
[19] Gösta B. Ihde (1984): Transport, Verkehr, Logistik, München 1984, S. 24.
[20] Bjelicic, S. 155.
[21] Vgl. Rupper, S. 3.
[22] Dr. H. Isermann (Hrsg.): Logistik. Gestaltung von Logistiksystemen. 2. Auflage, Landsberg/Lech 1998. S. 21.
[23] Ibid.
[24] Gösta B. Ihde (1991): Transport, Verkehr, Logistik: Gesamtwirtschaftliche Aspekte und einzelwirtschaftliche Handhabung. Vahlens Handbücher der Wirtschafts- und Sozialwissenschaften. 2. Auflage. München 1991, S. 28;
B. Kortschak: Vorsprung durch Logistik. Der Produktions- und Wettbewerbsfaktor Zeit und die Entwicklung der Logistik. Wien 1992, S. 25; Jünemann (1989), S. 4 ; Rupper, S. 2; Kapoun, S.123ff.; Isermann, S. 21; J. Weber: Logistikmanagement – Verankerung des Flussprinzips im Führungssystem des Unternehmens. In: Isermann Heinz (Hrsg.): Logistik: Gestaltung von Logistiksystemen, Landsberg/Lech 1998, S. 3.
[25] M. Jähns: Geschichte der Kriegswissenschaften vornehmlich in Deutschland, Bd.1: Altertum, Mittelalter, 15. und 16. Jahrhundert. New York, Hildesheim 1966. Nachdruck der Ausgabe von München, Leipzig 1889, S. 160.
[26] Broggi, S. 216f.
[27] Bjelicic, S. 155.
[28] Vgl. J. Weber, S. Kummer: Logistikmanagement. 2. aktualisierte Auflage. Stuttgart 1998, S. 2; Bjelicic, S. 155.
[29] Jähns, S. 161. Jähns teilt mit, dass es sich beim Werk des byzantinischen Kaisers Leontos nicht um eine Originalarbeit handelt, „sondern größtenteils um ein Konglomerat aus älteren Schriftstellern“, über die er jedoch keine näheren Angaben macht.
[30] Zit. bei: P. Heinsius: Der Wandel der Logistik in den Napoleonischen Kriegen. In: Vorträge zur Militärgeschichte, Bd. 7. Die Bedeutung der Logistik für die militärische Führung von der Antike bis in die neueste Zeit. Herford 1986, S. 89; Jünemann (1989), S. 4; Ihde (1991), S. 28; Isermann, S. 21; Bjelicic, S. 155.
[31] Isermann, S. 21.
[32] Kapoun, S. 123ff.; Weber, S. 3.
[33] Ihde (1972), S. 11.
[34] Ihde (1991), S. 28.
[35] A. H. Jomini (1830): Tableau analytique des principales combinaisons de la guerre. St. Pétersbourg 1830.
[36] Ihde (1991), S. 29.
[37] A. H. de Jomini (1881): Abriß der Kriegskunst. Berlin 1881, S. 271.
[38] A. H. de Jomini (1837): Précis de l´art de la guerre ou nouveau traité analytique. Bruxelles 1837.
[39] Strategie und Logistik sollen bei Jomini als operative Kunst verstanden werden. 'La grande tactique' und 'La tactique de détail' entsprechen den Begriffen Taktik bzw. Gefechtstechnik. Vgl. C. Abegglen: Jomini - Einfluss seines strategischen Denkens. Online im Internet. URL: http://mypage.bluewin.ch/abegglen/papers/jomini.htm [Stand 2004-05-15].
[40] Vgl. ibid.
[41] Jomini (1881), S. 272.
[42] Ihde (1991), S. 29.
[43] Vgl. Heinsius, S. 85ff.
[44] Vgl. H. Delbrück: Geschichte der Kriegskunst im Rahmen der politischen Geschichte. Vierter Teil, Neuzeit. Photomechanischer Nachdruck der ersten Auflage. Berlin 1962, S. 477ff.
[45] Bjelicic, S. 156.
[46] Encyclopaedia Britannica, S. 239.
[47] Ibid, S. 240.
[48] Ihde (1984), S. 24.
[49] O. V.: Naval War College. Online im Internet. URL: http://www.nwc.navy.mil/aboutnwc/history.htm [Stand 2004-06-02].
[50] Ihde (1991), S. 29.
[51] Bjelicic, S. 156.
[52] Ibid.
[53] Jünemann (1989), S. 8.
[54] Encyclopedia Britannica, S. 240.
[55] „Logistics comprises the means and arrangements which work out the plans of strategy and tactics. Strategy decides where to act; logistics brings the troops to this point.” Zit. bei James L. Heskett, Robert M. Ivie, Nicholas A. Glaskowsky jr.: Business Logistics Management of Physical Distribution and Materials Management. New York 1964, S. 30.
[56] Vgl. ibid, S. 20.
[57] HdWW, S 54.
[58] Vgl. Kortschak, S. 23.
[59] Ihde (1991), S. 29; Bjelicic, S. 156.
- Arbeit zitieren
- Christian Heinen (Autor:in), 2004, Geschichte der Logistik, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/34335
-
Laden Sie Ihre eigenen Arbeiten hoch! Geld verdienen und iPhone X gewinnen. -
Laden Sie Ihre eigenen Arbeiten hoch! Geld verdienen und iPhone X gewinnen. -
Laden Sie Ihre eigenen Arbeiten hoch! Geld verdienen und iPhone X gewinnen. -
Laden Sie Ihre eigenen Arbeiten hoch! Geld verdienen und iPhone X gewinnen. -
Laden Sie Ihre eigenen Arbeiten hoch! Geld verdienen und iPhone X gewinnen. -
Laden Sie Ihre eigenen Arbeiten hoch! Geld verdienen und iPhone X gewinnen. -
Laden Sie Ihre eigenen Arbeiten hoch! Geld verdienen und iPhone X gewinnen. -
Laden Sie Ihre eigenen Arbeiten hoch! Geld verdienen und iPhone X gewinnen.