In den Fokus des folgenden Essays möchte ich Arthur Schnitzlers Novelle "Lieutenant Gustl" stellen, die ich hinsichtlich des in ihr angewandten sogenannten Inneren Monologs untersuchen werde.
Dies geschieht zum Einen durch eine erzähltheoretische Betrachtung, zum Anderen durch ein Aufzeigen der Einflüsse und Referenzen, die zur Entwicklung dieses narrativen Modus führten. Auf diese Weise stelle ich damals zeitgenössische literaturtheoretische Ansätze und Vorbilder vor, zeige aber auch interdisziplinäre Strömungen des Zeitgeistes, wie die der Psychoanalyse, auf, und wie diese sich gegenseitig bedingt haben.
In den Fokus des folgenden Essays möchte ich Arthur Schnitzlers Novelle Lieutenant Gustl stellen, die ich hinsichtlich des in ihr angewandten sogenannten Inneren Monologs untersuchen werde. Dies geschieht zum Einen durch eine erzähltheoretische Betrachtung, zum Anderen durch ein Aufzeigen der Einflüsse und Referenzen, die zur Entwicklung dieses narrativen Modus führten. Auf diese Weise stelle ich damals zeitgenössische literaturtheoretische Ansätze und Vorbilder vor, zeige aber auch interdisziplinäre Strömungen des Zeitgeistes, wie die der Psychoanalyse, auf, und wie diese sich gegenseitig bedingt haben.
Betrachtet man den inneren Monolog erzähltheoretisch aus der Sicht der Erzählttheorie (nach Martinez und Scheffel), so lassen sich bezüglich der Fokalisierung, d.h. aus welcher Perspektive erzählt wird, und dem Erzählmodus, d.h. der Figurenrede (wie mittel- oder unmittelbar wird erzählt?), folgende Aussagen treffen:
Die Fokalisierung unterscheidet zwischen drei Perspektiven. Der Nullfokalisierung (Übersicht), in der der Erzähler mehr weiß bzw. sagt bzw. als die Figur weiß bzw. sagt. Auf der anderen Seite ist die externe Fokalisierung (Außensicht) zu benennen, in der der Erzähler weniger sagt als die Figur weiß. Bei Schnitzlers Leutnant Gustl kommt jedoch die interne Fokalisierung (Mitsicht) zu tragen. Der Erzähler entspricht der Figur und kann den Verlauf ihrer Rede durch grammatikalische und rhetorische Mittel steuern. Es ist sozusagen ein personales Erzählverhalten, fixiert auf eine Figur (autonomer innerer Monolog). Der innere Monolog kennzeichnet sich durch grammatische, narrative und psychologisch-inhaltliche Merkmale.[1]
Bezüglich des Erzählmodus lässt sich sagen, dass der Text so tut, als ob es keinen Erzähler gebe, eine Art narrativer Illusionismus. Stilistisch operiert Schnitzler mit einem Minimum an syntaktischen Mitteln, nämlich dem Sprechen in unvollständigen Sätzen mit Gedankensprüngen und Abbrüchen. Rhetorisch gesehen ist der Text charakterisiert durch eine Vielzahl an Ellipsen und Satzbrüchen, also grammatikalischen Folgewidrigkeiten - eine im Grunde alltagssprachliche Redeweise. Diese ist natürlich in Folge auch durch einen dialektal gefärbten Charakter geprägt. Der Wiener Kunstkritiker und Redakteur Franz Servaes (1862-1947) spricht hier von dem ganz treffenden Ausdruck „Mimik der Rede“. Schnitzler führt die im Naturalismus eingesetzte Nachahmung der Alltagssprache weiter und modifiziert sie für seine Novelle.[2]
Die grammatikalische Betrachtung zeigt, dass das Präsens in der ersten Person vorliegt.
Im Gegensatz zur indirekten Rede, der erlebten Rede und dem Gedankenzitat, wird der Innere Monolog nicht durch verba dicendi („dachte er“) eingeleitet. Der Rezipient kann unmittelbar lesen, was Gustl denkt. Dazu gehören unter Anderem Gefühle, Beobachtungen, Reflexionen, Außenwahrnehmungen und natürlich auch Erinnerungen. Der Sprachstil ist ferner geprägt durch Interjektionen und Alltags- bzw. Umgangssprache. Eine chronologische Ordnung der Gedanken und Gefühle ist nur sehr bedingt vorhanden. Dies ist jedoch gewollt, da nur so ein beinahe ungefilteter Einblick in das Seelenleben Gustls möglich ist. Ganz und gar ist die Gedankenrede jedoch nicht ungeordnet. Die genannten Elemente sind durch eine leichte auktoriale Fügung doch subtil in Reihenfolge gebracht. Dieses geschieht u.a. durch die gelenkte Interpunktion und Mundartlichkeit. Man kann behaupten, dass der Leser obgleich er nur das wahrnimmt, was Gustl wahrnimmt, trotzdem viel mehr sieht, als er selbst. Gustl ist nicht zur Reflexion fähig, der Rezipient dagegen kann die unkontrollierten Reflexe und unterdrückten Affekte, wie den Sozialneid und Standesvorurteile, um nur einige zu nennen, klar durchschauen.[3]
Arthur Schnitzler ist der erste Autor, der den inneren Monolog als Erster konsequent als literarische Technik im Deutschen zum Einsatz bringt. Das Wort Innerer Monolog taucht jedoch schon 1845 in Vingt ans après bei Alexandre Dumas dem Älteren (1802-1870) auf (Monologue Intérieure). Der Fachbegriff Monologue Intérieure etabliert sich jedoch erst 1930/31 in einer literaturwissenschaftlichen Studie des damals 70-jährigen französischen Schriftstellers Edouard Dujardin (1861-1949). Er deklariert seine eigene Erzählung Les lauriers sont coupés (Die Lorbeerbäume sind geschnitten) aus dem Jahr 1888 als Gründungstext für diese neuartige Erzählweise. Schnitzler las diesen Roman nachweislich im Oktober 1898. Dies belegt ein Brief an den dänischen Literaturkritiker Georg Brandes:
„Ich freue mich, dass Sie die Novelle vom Leutnant Gustl amüsiert hat. Eine Novelle von Dostojewski, Krotaja, die ich nicht kenne, soll die gleiche Technik des Gedankenmonologs aufweisen. Mir aber wurde der erste Anlaß zu der Form durch eine Geschichte von Dujardin gegeben, betitelt les lauriers sont coupés. Nur dass dieser Autor für seine Form nicht den rechten Stoff zu finden wusste.“[4]
Jedoch war die Frage nach dem rechten Stoff für Schnitzler ausschlaggebend, sollte der Innere Monolog funktionieren. Den Helden in Dujardins kurzem Monologroman beschäftigt die Frage, wann es endlich geschehen wird – nämlich dass die Schauspielerin Léa, die er seit Monaten mit Geldgeschenken umwirbt, sich ihm hingibt. Sechs Stunden wartet er auf ihre Entscheidung. Gustl dagegen ist mit seiner eigenen Entscheidung beschäftigt; nämlich einer auf Leben und Tod. Es ist die prekärste menschliche Situation, diejenige im Vorfeld eines Selbstmordes.[5]
Als wichtiger Einfluss bzw. ästhetischer Wegbereiter des von Arthur Schnitzler gebrauchten Inneren Monologs gilt der Schriftsteller und Literaturkritiker Hermann Bahr (1863-1934). Bahr, der oft das Sprachrohr des Jungen Wien genannt wurde, kommentierte und beobachtete scharfsinnig in seinen Essays die kontemporäre Literatur um 1900. In seinem vielbeachteten, 1891 erschienen, Essayband Die Überwindung des Naturalismus nimmt Bahr Schnitzler theoretisch die Neuerung des durchgehenden Inneren Monologs vorweg. Er forderte das, was auch Schnitzler sich eine knappe Dekade später zur Devise machte und entwickelte das Modell der Neuen Psychologie (Essay von 1890), die im Gegensatz zur alten Psychologie keine Kopplung des Seelenlebens an das Bewusstsein vorsieht. So sollten seelische Phänomene in einem rohen und unverarbeiteten Zustand offenbart werden, noch bevor eine Filterung der Selbstbeobachtung und Selbstreflexion erfolgen kann. So entsteht eine Methode, die seelische Zustände – man kann von Gedanken sprechen - zeigt, nicht bloß von ihnen berichtet. Bahr zufolge soll die „neue Psychologie“ vor allem „dekompositiv“ vorgehen,[6]
„[...] indem die Zusätze, Nachschriften und alle Umarbeitungen des Bewusstseins ausgeschieden und die Gefühle auf ihre ursprüngliche Erscheinung vor dem Bewusstsein zurückgeführt werden. Die alte Psychologie findet immer nur den letzten Effekt der Gefühle, welchen Ausdruck ihnen am Ende des Bewusstseins formelt und das Gedächtnis behält. Die neue wird ihre ersten Elemente suchen, die Anfänge in den Finsternissen der Seele, bevor sie noch an dem klaren Tag herausschlagen, diesen ganzen langwierigen, umständlichen, wirr verschlungenen Prozess der Gefühle, der ihre komplizierten Thatsachen am Ende in simplen Schlüssel über die Schwelle des Bewusstseins wirft.[...]
Diese Methode, das Unbewusste auf den Nerven, in den Sinnen, vor dem Verstande zu objektivieren, verlangt das ganze Geschrei nach der neuen Psychologie.[...][7]
Ein völlig anderer Ansatz, als sich der Entwicklung des von Schnitzler eingeführten Inneren Monologs durch literarische Vorbilder oder literaturkritische Theorien zu nähern, ist, sich auf Referenzen in anderen Disziplinen zu suchen. Welche Modelle hatten einen größeren Einfluss auf die denkende Elite zu Beginn des 20. Jahrhunderts als die psychoanalytischen Sigmund Freuds? Ähnlich wie Freud lenkte Schnitzler den Blick auf den Menschen von außen nach innen, auf die Seelenzustände, seine unbewussten Triebregungen, Wünsche und Phantasien. Um das Verhältnis zwischen Freud und Schnitzler besser zu verstehen, ist es wichtig zu wissen, dass ihre Vitae eine Vielzahl an Parallelen aufweisen. Die Beiden absolvierten im Abstand von sechs Jahren eine identische medizinische Ausbildung bei denselben Professoren. Beide hatten den gleichen sozialen und kulturellen Hintergrund. Auch die Skepsis gegenüber der Schulmedizin und das Interesse an Hypnose verbanden sie. Sie lasen gegenseitig ihre Werke und trafen sich später auch.
Untersucht man Freuds und Schnitzlers Modelle der menschlichen Psyche genauer, lassen sich zahlreiche Wechselwirkungen erkennen. In Freuds Drei-Instanzen-Modell wird wie bei Schnitzler das Subjekt zerlegt und seine traditionelle Einheit aufgebrochen. Freud führt die Begriffe des Ich, des Es und des Über-Ich ein. Das Unterbewusste (Es) manifestiert sich in Trauminhalten, die gedeutet werden können. Schnitzler modifiziert den Begriff des Unterbewussten für seine Theorie und nennt es Mittelbewusstsein, aus dem Inhalte entweder ins Bewusstsein aufsteigen, d.h. der Mensch ist sich dessen bewusst, oder ins Unterbewusstsein absteigen, wo sie dann verborgen bleiben. Die Inhalte, die im Mittelbewusstsein verbleiben sind jedoch diejenigen, die Schnitzler für seinen Inneren Monolog in Lieutenant Gust l interessieren. Gustls Monolog bringt nämlich genau diese zum Ausdruck, er selber ist sich dessen nur ganz bedingt im Klaren. Es lässt sich sagen, dass genau dieses Mittelbewusstsein, das sich in Gustls Inneren Monolog manifestiert, Schnitzlers frühe Antwort auf die zeitgenössische Psychoanalyse ist.[8]
Abschließend bleibt zu sagen, dass Schnitzlers Novelle mit der ihr eigenen Technik des Inneren Monologs in der deutschsprachigen Literatur ein Novum darstellte. Die in Lieutenant Gustl als autonomer innerer Monolog vorliegende Gedankenrede kann psychologisch als Antwort auf das nervöse Zeitalter um 1900 verstanden werden.
Wie in meinem Essay dargelegt, sind einige der Einflüsse, unter denen Schnitzler seine Novelle verfasste, belegt. Mit dem Einfluss von der von Freud um die Wende zum 20. Jahrhundert entwickelten psychoanalytischen Theorien gestaltet es sich indes schwieriger. Schnitzler ist zwar eindeutig geprägt von Freuds Werken, beispielsweise der Traumdeutung, las diese aber mit Vorbehalten. Die Frage, ob die Psychoanalyse die Literatur beeinflusst hat, oder ob die Literatur Ideen der Psychoanalyse vorwegnimmt, muss unbeantwortet bleiben.
Bibliographie
1. Braun, Michael: Arthur Schnitzler. Leutnant Gustl. 1. Aufl., Braunschweig: Schroedel Verlag, 2010
2. Polt-Heinzl, Evelyne [Hrsg.]: Arthur Schnitzler, Lieutenant Gustl. Erläuterungen und Dokumente. Stuttgart: Reclam, 2009
3. Renner, Ursula [Hrsg.] : Schnitzler, Arthur. Lieutenant Gustl. 1. Aufl., Frankfurt am Main: Suhrkamp, 2007
4. Bahr, Hermann: Zur Überwindung des Naturalismus. Theoretische Schriften 1887-1904. Ausgew., eingel. und erl. Von Gotthart Wunberg. Stuttgart: Kohlhammer, 1968
[...]
[1] Vgl. Braun, Michael: Arthur Schnitzler. Leutnant Gustl. 1. Aufl., Braunschweig 2010, S. 56/57
[2] Renner, Ursula [Hrsg.] : Schnitzler, Arthur. Lieutenant Gustl. 1. Aufl., Frankfurt am Main 2007,S. 99
[3] Braun, Michael: Arthur Schnitzler. Leutnant Gustl. 1. Aufl., Braunschweig 2010, S. 55 ff.
[4] Polt-Heinzl, Evelyne [Hrsg.]: Arthur Schnitzler, Lieutenant Gustl. Erläuterungen und Dokumente. Stuttgart 2009, S. 36
[5] Vgl.Renner, Ursula [Hrsg.] : Schnitzler, Arthur. Lieutenant Gustl. 1. Aufl., Frankfurt am Main 2007, S. 103
[6] Vgl. Polt-Heinzl, Evelyne [Hrsg.]: Arthur Schnitzler, Lieutenant Gustl. Erläuterungen und Dokumente. Stuttgart 2009,S. 33
[7] Bahr, Hermann: Zur Überwindung des Naturalismus. Theoretische Schriften 1887-1904. Ausgew., eingel. und erl. Von Gotthart Wunberg. Stuttgart 1968, S. 57 ff.
[8] Vgl. Braun, Michael: Arthur Schnitzler. Leutnant Gustl. 1. Aufl., Braunschweig 2010, S.23-26
- Quote paper
- Martin Hinz (Author), 2013, Der Innere Monolog in Arthur Schnitzlers "Lieutenant Gustl", Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/341481