Mit dem Thesenanschlag Martin Luthers am 31. Oktober 1517 begann sich eine reformatorische Bewegung zu entwickeln, die sich schon bald rasant verbreitete. In der heutigen Hauptstadt Berlin wurde die Reformation jedoch erst nach erbitterten Kämpfen zwischen den Landesherrn und der Bevölkerung offiziell durch Kurfürst Joachim II. 1539 eingeführt. Dieser Essay geht den Fragen nach, warum die Einführung der Reformation in Berlin so umstritten war und warum sie sich so lange hinzog.
Vom Volk erzwungen oder vom Kurfürsten durchgesetzt?
Die Einführung der Reformation in der Stadt Berlin
„Jochimken, Jochimken, höde (hüte) dy,
wo wydy kriegen, hangen wydy“
Diesen Vers soll der Hofjunker von Otterstaedt an die Tür des Schlafgemachs von Joachim I., Kurfüst von Brandenburg (1499-1535), geschrieben haben (vgl. Rieger, S. 40). Zum Ausdruck kommt hier allerdings nicht nur die Meinung eines Einzelnen, sondern sehr wahrscheinlich die damalige allgemeine Stimmung der Bevölkerung in der Mark Brandenburg gegenüber ihrem Kurfürsten. Der Vers richtet sich insbesondere gegen die kompromisslose Haltung Joachims I. in Bezug auf die reformatorischen Bewegungen innerhalb der Mark, die dieser rücksichtslos unterdrücken ließ. Doch wie kam es zu der angespannten Stimmung zwischen Volk und Kurfürst in Brandenburg und wer setzte sich schlussendlich durch?
Ausgangspunkt ist der Thesenanschlag des augustinischen Mönchs und späteren Theologieprofessors Martin Luther in Wittenberg im Jahr 1517. Das Auflehnen gegenüber dem Ablasshandel, einer katholischen Praxis, die die Vergebung von Sünden durch das Kaufen von Ablassbriefen vorsah, blieb auch in der Mark Brandenburg und insbesondere in der Stadt Berlin nicht unbemerkt. Vor allem Reisende und Handelsleute sollen die Geschehnisse aus Wittenberg in die Mark Brandenburg getragen haben, in der die reformatorischen Lehren bereits kontrovers diskutiert wurden. Bereits 1517 gab es hier Protestaktionen gegen die katholische Ablasspraxis, z. B. konnte Johann Tetzel, Dominikanermönch und Ablassprediger, im Oktober desselben Jahres keine Ablassbriefe in Beelitz verkaufen. Anders erging es ihm jedoch in der Stadt Berlin, in der noch kein ernstzunehmender Protest gegen die Ablasspraxis zu spüren war (vgl. Rieger, S. 22f.).
Im Gegensatz zu der märkischen Bevölkerung war der Kurfürst von Brandenburg, Joachim I., ein strikter Verteidiger des katholischen Glaubens und einer der vehementesten Gegner des entstehenden Luthertums. Auch der Bischof von Brandenburg, Hieronymus Scultetus, wurde zum erbitterten Gegner Luthers. So soll dieser bei einer Mahlzeit während der Leipziger Disputation im Jahr 1519 geäußert haben, dass er nicht eher beruhigt sein könne, ehe er Luther zum Feuer gebracht hätte (vgl. Frege, S. 83 und Rieger, S. 25). Obwohl diese Äußerung, über die Luther am 3. Oktober 1519 schrieb, mit Vorsicht zu genießen ist, lässt sich zumindest bereits hier erahnen, wie sehr Joachim I. und die brandenburgische Geistlichkeit sowohl Luther als auch der von ihm entfachten Konfessionsspaltung ablehnend gegenüberstanden (vgl. Stegmann).
Nichtsdestotrotz begann bereits ab 1518 die „illegale Periode der Reformation“ (Rieger) in der Mark Brandenburg, aber auch vermehrt in der Stadt Berlin. Sowohl Wanderprediger als auch Lieder, Mund-zu-Mund-Propaganda und Flugschriften verbreiteten die reformatorischen Lehren. Ein Beispiel hierfür ist Bartholomäus Riesenberg, der im Bereich der Berliner Nikolaikirche als „fahrender Schulgeselle“ umherzog und die Lehre Luthers predigte (vgl. Stegmann und Rieger, S. 25). Dennoch war der Einschnitt der Reformation in Berlin, wie Stöver es in seinem Überblickswerk über die Berliner Geschichte darlegt, nicht so gravierend wie in anderen Gebieten des Deutschen Reiches (vgl. S. 14). Das lag vor allem daran, dass die kirchlichen und weltlichen Obrigkeiten in der Mark Brandenburg es zunächst vollbrachten, die Ausbreitung der Reformation einzudämmen. Gerade Joachim I. verfolgte eine bedingungslose Unterdrückung jeglicher lutherischen Bewegungen in seinem Territorium und wurde dabei sowohl von den drei Bischöfen des Landes als auch von auswärtigen Bischöfen unterstützt (vgl. Stegmann).
Trotz dieser Bemühungen vonseiten der Obrigkeit spielten die seit den 1520er-Jahren erscheinenden reformatorischen Gegenbewegungen eine wichtige Rolle für die Reformation in Bezug auf die Stadt Berlin. Zuerst wurden sie in der Niederlausitz, in der Altmark und in größeren Städten, u. a. auch in der Doppelstadt Berlin-Cölln, sichtbar. Exemplarisch seien hier noch Cottbus, Sommerfeld, Salzwedel und Gardelegen genannt, in denen es zu Beginn der 1520er-Jahre zu rumoren begann. Dieses antagonistische Bestreben in der Mark Brandenburg blieb Joachim I. nicht verborgen. Daher hielt der Kurfürst von Brandenburg es für notwendig, Ende Februar 1524 seine Untertanen unter Strafandrohung darauf aufmerksam zu machen, dass es verboten sei, jegliche Bücher des Reformators Martin Luther zu lesen und zu besitzen. Auf diese Weise wollte er verhindern, dass sich das reformatorische Gedankengut weiter ausbreitete. Dass er dies jedoch nicht erzwingen konnte, lässt sich daran erkennen, dass er nur zwei Jahre später, 1526, erneut zu behördlichen Maßnahmen greifen musste, um die immer stärker werdenden reformatorischen Bewegungen innerhalb seines Territoriums zu steuern. Von nun an standen auch Lieder, Psalme und Gesänge, die von Martin Luther handelten, und deren Ausübung bzw. Verbreitung unter schwerer Strafe und Ungnade (vgl. Rieger, S. 25-30).
Wie wenig diese Verbote und Androhungen nutzten, zeigte sich auch innerhalb seines eigenen Hauses. So beschreibt Rieger, dessen ausführliche Monographie über die Berliner Reformation neben dem zwar schon älteren aber mit Quellen detailliert belegten Werk Ludwig Freges die Grundlage für diesen Essay darstellt, dass die Gemahlin Joachims I., Elisabeth von Dänemark, zu Ostern 1527 einen kursächsischen Geistlichen kommen ließ, um das Abendmahl in beiderlei Gestalt zu begehen. Dieses offene Bekenntnis zum lutherischen Glauben stellte einen Affront gegenüber ihrem Ehemann und der geistlichen Obrigkeit in der Mark Brandenburg dar. Ferner hatte sie zuvor Sorge getragen, dass sie mithilfe ihres Hofarztes an reformatorische Schriften gelangte, und verstärkte somit die Konfrontation zwischen sich und Joachim I. Da ein Einknicken Joachims I. ein fatales Aufzeigen von Schwäche bedeutet hätte, stellte dieser seiner Frau unter Androhung von lebenslänglicher Haft ein Ultimatum, um zum Katholizismus zu konvertieren. Diese gab jedoch nicht klein bei und floh im Frühjahr 1528 (vgl. Rieger, S. 30f.).
Es bleibt demnach festzuhalten, dass sich zum Ende der 1520er- und zu Beginn der Anfang 1530er-Jahre die reformatorische Bewegung vermehrt ausbreitete. Die folgenden Jahre waren von Tumulten und teilweise gewaltsamen Aufständen in der Mark Brandenburg gekennzeichnet. Exemplarisch genannt sei hier die Stadt Sommerfeld, die sich erhob und deren Aufstand nur mit Waffengewalt unterdrückt werden konnte. In den 1530er-Jahren setzte sich die Reformation dennoch schleichend durch, so wurden in Cottbus seit 1532 evangelische Gottesdienste gehalten, in Königsberg gab es erste lutherische Geistliche, die eingesetzt wurden, und auch in Crossen, Züllichau, Drossen und Friedeberg ist von evangelischen Gottesdiensten die Rede.Aber nicht nur innerhalb der Bevölkerung, sondern auch in der kurfürstlichen Familie wurde mit dem lutherischen Glauben sympathisiert. Denn neben der bereits erwähnten Ehefrau Joachims I., waren auch seine beiden Söhne, Joachim und Johann, den Lehren Martin Luthers nicht abgeneigt, auch wenn sie dies bis zum Tod ihres Vaters nicht offen zugaben (vgl. Stegmann und Rieger, S. 39f.).
Nachdem Joachim I. am 11. Juli 1535 gestorben war, folgten auf ihn seine beiden Söhne. Joachim, dreißig Jahre alt und der erste Sohn, wurde als Joachim II. der neue Kurfürst der Mark Brandenburg. Mit dem Tode seines Vaters war einer der stärksten Widersacher der reformatorischen Bewegung gestorben. Obwohl dieser seine beiden Söhne angewiesen hatte, der alten christlichen Kirche verbunden zu bleiben, sollte es nun zu Veränderungen in der Konfessionspolitik in der Mark Brandenburg kommen (vgl. Frege, S. 115 und Rieger, S. 39f.).
In der Bevölkerung keimte mit dem Regierungsantritt Joachims II. die Hoffnung auf, dass die Reformation nun nicht mehr unterdrückt, sondern sogar offiziell eingeführt würde. Diese Hoffnung war nicht unberechtigt, wenn man bedenkt, dass die beiden Brüder dem lutherischen Glauben offen gegenüberstanden. Doch blieb dieser von allen erwartete Umschwung vorerst aus. Der erste Eingriff Joachims II. in die Religionspolitik sah genau das Gegenteil vor. Er reorganisierte das Domkapitel zu Cölln an der Spree, indem er zwei überzeugte Katholiken zum Domprobst und zum Dekan ernannte. Von einer Hinwendung zum lutherischen Glauben vonseiten des neuen Kurfürsten war in der Mark Brandenburg noch nichts zu spüren.
Wichtig ist hierbei zu erwähnen, dass man zwischen der Konfessionspolitik Joachims II. und der seinesBruders Johann von Küstrin unterscheiden muss. Joachim II. hatte neben der Kurwürde auch die Alt-, Mittel- und Uckermark, die Prignitz und die Grafschaft Ruppin erhalten. Sein jüngerer Bruder Johann hingegen bekam die Neumark und das Land Sternberg. Beide Brüder verfolgten verschiedene Vorgehensweisen in der Konfessionspolitik. Dies erklärt die unterschiedliche religiöse Entwicklung in den jeweiligen Territorien. So hatte die Reformation in der Neumark, dem Gebiet unter der Herrschaft Johanns, bereits Fuß gefasst. Johann von Küstrin unterdrückte die lutherischen Bewegungen nicht, lediglich er selbst entschied sich erst später, zu Ostern 1538, sich durch den Empfang des Abendmahls in beider Gestalt offiziell zum lutherischen Glauben zu bekennen.
In der Kurmark hingegen, dem Herrschaftsgebiet unter Joachim II., ging es in Bezug auf die religiöse Entwicklung wesentlich langsamer voran als in den Territorien Johanns. Mehrere Versuche Joachims II., einen Kompromiss zwischen den beiden konkurrierenden kirchlichen Lagern zu arrangieren, schlugen fehl. Vor allem die Berliner waren es daraufhin leid, auf Veränderungen zu warten, und wurden aktiv. Der Rat zu Cölln hatte bereits 1537 einen evangelischen Theologen ins „Predigeramt“ berufen.Zwei Jahre später, 1539, beantragte der Magistrat von Berlin und Cölln die Erlaubnis zur Durchführung des Abendmahls in beider Gestalt und berief sich dabei auf frühere Zusagen des Landesherrn. Joachim II. erkannte die Lage und war gezwungen, zu handeln. Im Jahre 1538 gab er die Ausarbeitung einer neuen kirchlichen Ordnung in Auftrag, die 1539 offiziell eingeführt werden sollte (vgl. Stegmann, Frege, S.115-119, Rieger, S. 41-47).
Schlussendlich kam es, mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit in der Spandauer Kirche St. Nicolai, am Wochenende, dem 1. und 2. November 1539, zu den Feierlichkeiten und dem öffentlichen Bekenntnis der Stadt Berlin zum lutherischen Glauben. Der Kurfürst von Brandenburg holte indes Jacob Stratner und Georg Buchholzer, zwei evangelische Theologen und Reformatoren, sowieGeorg Witzel, ebenfalls ein Theologe, nach Berlin. Diese wurden in einen Ordnungsausschuss berufen, um eine neue Kirchenordnung zu entwerfen. Dieser Entwurf wurde im November 1539 sowohl von Luther und den lutherischen Reformatoren in Wittenberg positiv beurteilt als auch vom katholischen Kaiser. Gerade hier wird deutlich, dass die Kirchenordnung im Gegensatz zu Stegmanns Ausführungen, nicht ausschließlich reformatorisch gestaltet war. So kann man Gericke folgen, wenn er schreibt, dass „Joachim II. […]weder an Wittenberg noch an Rom gebunden sein [wollte]. In der Lehre betonte er den lutherischen Rechtfertigungsglauben und bestritt die Notwendigkeit der Guten Werke zum Heil; in der Frage der Zeremonien blieb er weitgehend katholisch“ (S. 10). Im März 1540 wurde diese Kirchenordnung den versammelten Landständen vorgelegt und nach deren Bestätigung vom Adel, von den Städten und dem Bischof von Brandenburg angenommen (vgl. Stegmann, Rieger, S. 49-57, Frege, S. 162-164).
In Bezug auf die eingangs genannte Fragestellung lässt sich festhalten, dass die offizielle Einführung der Reformation in der Stadt Berlin durch den brandenburgischen Kurfürsten Joachim II. geschah, der lutherische Glauben aber schon geraume Zeit vorher von der Bevölkerung praktiziert wurde und der Ruf nach einem offiziellen Bekenntnis immer lauter wurde. Die Bemühungen Joachims II., einen Konsens zwischen dem katholischen und lutherischen Glauben zu finden, zeigen, dass der Kurfürst durchaus eine Reform in der Religionspolitik anstrebte, nur nicht unbedingt im Hinblick auf eine lutherische Reformation (vgl. Gericke, S. 15). Letzten Endes kann man konstatieren, dass es die Bevölkerung war, die den Landesherrn dazu zwang, eben diesen Weg der lutherischen Reformation einzuschlagen und keinen anderen. Auf den Punkt gebracht lässt sich sagen, dass „die Bevölkerung […] lutherisch [wurde], und der Kurfürst [nachzog]“ (Dreß, zit. nach Rieger, S. 48).
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- Arbeit zitieren
- R. Gerg (Autor:in), 2016, Die Einführung der Reformation in der Stadt Berlin, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/338875
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