Eine der wichtigsten sozialen Fragen des 21. Jahrhunderts ist der gleichberechtigte Zugang zu Bildung. Auslöser sind nicht zuletzt die erschreckenden Befunde der seit dem Jahr 2000 durchgeführten PISA-Studien wie auch weiterer Vergleichsstudien auf OECD-Ebene. In diesem Zusammenhang wurde erstmals deutlich, dass die Bildungschancen in Deutschland wie in keinem anderen Land von der sozialen Herkunft abhängig sind. Die Ergebnisse haben eine entsprechend heftige Diskussion über die Qualität des deutschen Bildungssystems angeregt, die bis heute noch anhält. Daneben geriet das Thema Bildung in ein politisches Klima, „das sehr stark von Aspekten des internationalen Wettbewerbs, der ökonomischen Konkurrenz und des Interesses an Beschleunigung europäischer Vereinheitlichungsprozesse geprägt war und ist“ (Heimbach-Steins 2007, S. 13). Zusätzlich wurde der menschenrechtliche Anspruch auf Bildung in Anbetracht des nationalen Bildungssystems fokussiert. Die Beschäftigung mit einschlägiger Literatur zum Menschenrecht auf Bildung lässt erkennen, dass die internationalen Vergleichsstudien oftmals ohne weiteres bzw. ohne nach den Grenzen ihrer Signifikanz zu fragen auf jegliche Abhandlungen zum Thema übertragen werden. Folglich kommt es immer wieder zu einer methodisch fragwürdigen Vermischung von empirischer und normativer Ebene. Betont wird, dass eine allein aus ökonomischen Gesichtspunkten gedachte Bildung hinsichtlich des menschenrechtlichen Diskurses zu kurz gegriffen wäre (vgl. Heinz 2009, S. 39f.).
Gleichwohl kommt der Bildung eine Schlüsselfunktion zu, indem sie in der gegenwärtigen Wissensgesellschaft eine erforderliche Voraussetzung für die Teilnahme am politischen, kulturellen und sozialen Leben ausmacht. Mit dem Fokus auf lebenslanges Lernen erhält der Bildungsbegriff einen immer höheren Stellenwert und befähigt Individuen, die eigene Biografie, das Verhältnis zur Umwelt sowie das Leben in der Gesellschaft selbständig zu gestalten und zu reflektieren. Der Bildungsbegriff geht in diesem Punkt mit der Idee des autonomen Subjekts einher, derweil die Basis für eine eigenständige und freiheitlich-verantwortliche Lebensgestaltung gelegt wird. Diese grundlegende Bedeutung von Bildung artikuliert sich im menschenrechtlichen Schutz der Bildung (vgl. Neuhoff 2007, S. 50f.).
Inhaltsverzeichnis
- 1. Einleitung und Problembestimmung
- 2. Das Recht auf Bildung in Deutschland – Bestandsaufnahme und rechtliche Grundlagen
- 2.1 Bildung als Menschenrecht inmitten ökonomischer Konkurrenz und Wettbewerb
- 2.2 Völker- und Verfassungsrechtliche Grundlagen zum Recht auf Bildung und zum Schutz vor Diskriminierung
- 3. Kriterien des Rechts auf Bildung auf dem Prüfstand – Gleiche Bildungschancen für alle?
- 3.1 Bildung aus menschenrechtlicher Perspektive – Versuch einer Begriffsbestimmung
- 3.2 Welche Kriterien muss das deutsche Bildungssystem gewährleisten, um das Recht auf Bildung zu verwirklichen?
- 3.3 Exklusionsrisiken im deutschen Bildungssystem - Kinder in relativer Armut als Herausforderung für die Umsetzung des Rechts auf Bildung
- 4. Fazit
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Dieser Beitrag analysiert das Menschenrecht auf Bildung im Kontext des bundesrepublikanischen Bildungssystems. Ziel ist es, die Grundlegung und Kriterien des Rechts auf Bildung aufzuzeigen und zu diskutieren, inwieweit diese im deutschen Bildungssystem umgesetzt werden. Im Zentrum steht die Frage, wie das Recht auf Bildung in der Praxis funktioniert und welche Herausforderungen sich für die Verwirklichung dieses Rechts ergeben.
- Das Recht auf Bildung als Menschenrecht und seine Bedeutung in der gegenwärtigen Gesellschaft
- Die rechtlichen Grundlagen und internationalen Bestimmungen zum Recht auf Bildung
- Die Kriterien des Rechts auf Bildung und deren Bedeutung für die Gestaltung eines gerechten Bildungssystems
- Die Herausforderungen für die Umsetzung des Rechts auf Bildung in Deutschland, insbesondere im Hinblick auf die Bildungsbenachteiligung von Kindern in relativer Armut
- Die Bedeutung von Bildung für die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben und die Entwicklung eines autonomen Subjekts
Zusammenfassung der Kapitel
Die Einleitung befasst sich mit der aktuellen Bildungsdebatte und der Bedeutung des Menschenrechts auf Bildung im Kontext der PISA-Studien und der ökonomischen Konkurrenz. Es wird die Notwendigkeit einer menschenrechtlichen Perspektive auf Bildung betont und die Frage nach der Umsetzung des Rechts auf Bildung im deutschen Bildungssystem aufgeworfen.
Kapitel 2 beleuchtet die rechtlichen Grundlagen des Menschenrechts auf Bildung in Deutschland, die sich sowohl aus völkerrechtlichen als auch aus verfassungsrechtlichen Bestimmungen ergeben. Es wird auf die Bedeutung von Bildung als Menschenrecht und als Grundlage für die Verwirklichung anderer Menschenrechte hingewiesen.
Kapitel 3 analysiert die Kriterien des Rechts auf Bildung, die für eine gerechte Gestaltung des Bildungssystems notwendig sind. Es wird die Frage nach der Definition von Bildung aus menschenrechtlicher Perspektive behandelt und die vier Strukturelemente des Rechts auf Bildung (allgemeine Verfügbarkeit, diskriminierungsfreier Zugang, Annehmbarkeit und Adaptierbarkeit) vorgestellt.
Schlüsselwörter
Menschenrecht auf Bildung, Bildungsgerechtigkeit, Bildungschancen, Bildungssystem, soziale Herkunft, relative Armut, Diskriminierung, Inklusion, internationale Vergleichsstudien, PISA, OECD, Lebenslanges Lernen, Autonomes Subjekt, Bildungstheorie
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- Tatjana Müller (Author), 2016, Das Recht auf Bildung und die Kritik am bundesrepublikanischen Bildungssystem, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/337734