Diese Hausarbeit beschäftigt sich mit dem Krankheitsbild der Schizophrenie. Es werden epidemiologische und ätiologische Aspekte beschrieben und diskutiert. Die primäre Fragestellung, mit welcher sich die Arbeit vordergründig auseinandersetzt, lautet: Welche allgemeinen und spezifisch psychotherapeutischen Behandlungsansätze kommen bei den Schizophrenien zum Einsatz?
Darüber hinaus wird die Wirksamkeit der psychotherapeutischen Interventionen eingeschätzt, um zu klären, welche die geeignetste Vorgehensweise bei dieser schweren und komplexen Erkrankung ist. Damit diese Einschätzung auf einer wissenschaftlichen Grundlage vorgenommen werden kann, orientiert sich die Arbeit vornehmlich an der Behandlungsleitlinie für Schizophrenie der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie und Nervenheilkunde von 2006.
Inhaltsverzeichnis
Zusammenfassung
1 Einleitung
2 Allgemeine Grundlagen zu den Schizophrenien
2.1 Begriffsbestimmung der Schizophrenie
2.2 Epidemiologie
2.3 Ätiopathogenese
2.4 Diagnostik, Klassifikation und Verlauf
3 Allgemeine Behandlungsansätze bei Schizophrenien
3.1 Allgemeine Behandlungsprinzipien
3.2 Phasenspezifische Behandlungsziele
3.3 Behandlungssetting
3.4 Biologisch-somatische Behandlungsansätze
3.5 Soziotherapeutisch-rehabilitative Behandlungsansätze
4 Psychotherapeutische Behandlungsansätze
4.1 Psychoedukation
4.2 Familienbehandlung
4.3 Kognitive Verhaltenstherapie
4.4 Training sozialer Kompetenzen
4.5 Psychodynamische Therapien
4.6 Klientenzentrierte Gesprächstherapie
5 Diskussion
Literaturverzeichnis
Zusammenfassung
Diese Hausarbeit beschäftigt sich mit dem Krankheitsbild der Schizophrenien. Es werden epidemiologische und ätiologische Aspekte beschrieben und diskutiert. Die primäre Fragestellung, mit welcher sich die Arbeit vordergründig auseinandersetzt, lautet: Welche allgemeinen und spezifisch psychotherapeutischen Behandlungsansätze kommen bei den Schizophrenien zum Einsatz? Darüber hinaus wird die Wirksamkeit der psychotherapeutischen Interventionen eingeschätzt, um zu klären, welche die geeignetste Vorgehensweise bei dieser schweren und komplexen Erkrankung ist. Damit diese Einschätzung auf einer wissenschaftlichen Grundlage vorgenommen werden kann, orientiert sich die Arbeit vornehmlich an der Behandlungsleitlinie für Schizophrenie der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie und Nervenheilkunde von 2006.
Diese Hausarbeit entstand im Rahmen der Vorlesung „Einführung in die psycho- therapeutische Intervention“ an der International Psychoanalytic University. Die Vorlesung vermittelte einen Überblick über grundlegende Paradigmata psychotherapeutischer und psychoanalytischer Interventionen sowie über die historische Entwicklung des Schulenpluralismus innerhalb der klinischen Psychologie. Die jeweiligen psychotherapeutischen Behandlungskonzepte der verschiedenen Schulen wurden detailliert besprochen und ihre spezifischen Interventionstechniken herausgearbeitet. Eine Frage die sich mir hierbei stellte war, inwieweit diese Behandlungskonzepte idealtypisch beschrieben wurden und inwiefern sie auch bei schweren psychischen Störungen erfolgreich angewendet werden konnten. Hatte ich doch während meines Praktikums in einem sozialpsychiatrischen Verbund die Erfahrung gemacht, dass einige Klienten mit schweren psychiatrischen Erkrankungen, wie beispielsweise der Major Depression, der Borderline- Persönlichkeitsstörung oder der Schizophrenie, nur bedingt auf die kurativen Maßnahmen ansprachen und einen chronischen Verlauf vorwiesen. Eine Hoffnung auf vollständige Gesundheit hatten sie kaum. Die in der Vorlesung erläuterten Behandlungskonzepte bezogen sich verständlicherweise vornehmlich auf Interventionen im Rahmen des psycho- therapeutischen Arbeitens und nur bedingt auf einen psychiatrischen Kontext. Psychotherapie und Psychiatrie stellen zwei unterschiedliche Bereiche des Gesundheitssystems dar, weisen aber einige Parallelen und Schnittstellen in der Behandlung von psychisch kranken Menschen auf und haben letztlich die gleiche Zielstellung - psychisches Leiden zu mindern und wenn möglich vollkommene Gesundheit wieder herzustellen. Doch um dieses anspruchsvolle Ziel zu realisieren braucht es vor allem adäquate und effektive Behandlungsmaßnahmen, die interdisziplinär aufeinander abgestimmt sind und sich an den individuellen Bedürfnissen des Betroffenen orientieren.
Ausgehend von diesen Überlegungen beschäftigt sich die vorliegende Hausarbeit mit allgemeinen Behandlungsmöglichkeiten sowie mit spezifischen psychotherapeutischen Interventionsmethoden bei schweren psychischen Erkrankungen. Um den Themenbereich einzugrenzen, wird sich die Arbeit vordergründig mit der Behandlung von schizophrenen Patienten auseinandersetzen. Die Schizophrenie ist eine sehr komplexe psychische Erkrankung mit vielgestaltigem und mitunter psychotischem Erscheinungsbild und stellt große Anforderungen an das Behandlungs- und Versorgungssystem. Nach der Deutschen Gesellschaft f ü r Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde (DGPPN) (2006, S. 30) ist sie die teuerste psychiatrische Erkrankung in Deutschland. In der Gesundheits- berichterstattung des Bundes sprechen Gaebel und Wölfer (2010, S. 28) von durchschnittlich direkten Kosten in Höhe von 14.000 bis 18.000 Euro pro Jahr und Patient1. Bei diesem finanziellen Aufwand ist die Frage nach dem Kosten-Nutzen-Vergleich interessant. Wenn man sich an der sogenannten Drittelregel orientiert, dann wird etwa ein Drittel der an Schizophrenie erkrankten Personen wieder gesund. Die anderen zwei Drittel bleiben krank, schubweise immer wiederkehrend oder auch permanent. Um diese Kranken soll es in der vorliegenden Arbeit gehen. Die Psychopharmakotherapie gelangt bei dieser Gruppe Patienten mitunter an ihre therapeutischen Grenzen und es stellt sich die Frage, welche weiteren Interventionsmaßnahmen indiziert sind, sodass schizophren kranke Menschen eines Tages berechtigt davon ausgehen können, von einer Behandlung auch gesund zu werden.
Das aufgezeigte Problem soll nun in Form dieser Arbeit erläutert werden. Hierzu werden folgende Fragen formuliert:
1. Was genau versteht man unter Schizophrenie?
2. Welche Behandlungsansätze kommen bei den Schizophrenien im Allgemeinen zum Einsatz?
3. Welche psychotherapeutischen Interventionen finden ihre Anwendung und wie wirksam sind diese?
Um diese Fragen auf einem wissenschaftlichen Niveau beantworten zu können, stützt sich die Arbeit vor allem auf die S3 Praxisleitlinien in Psychiatrie und Psychotherapie, Band 1 Behandlungsleitlinie Schizophrenie der DGPPN von 2006. Die Arbeitsgemeinschaft Wissenschaftlicher Medizinischer Fachgesellschaft (AWMF) bildet den Dachverband medizinischer Fachgesellschaften. Sie fördert und begleitet den wissenschaftlichen Erkenntnisprozess beispielsweise durch eine hohe Qualitätssicherung (DGPPN, 2006, S. 8). Die AWMF unterscheidet im methodischen Vorgehen drei Stufen der Leitlinienentwicklung, wobei die S3-Leitlinie die höchste Stufe darstellt. Sie steht für „höchstes methodisches Niveau durch systematische Evidenzbasierung und strukturierte Konsensfindung in einem repräsentativen Gremium von Experten, Anwendern und Betroffenen“ (DGPPN, 2006, Vorwort). Bemerkenswert ist, dass die DGPPN bei der Entwicklung dieser Leitlinie auf eine externe Unterstützung verzichtet und die Finanzierung ausschließlich aus eigenen Mitteln geleistet hat (ebd.). Hierdurch konnte die unangemessene Einflussnahme der Lobbyisten, insbesondere der Pharmaindustrie, verhindert werden und die Unabhängigkeit sowie Objektivität der Leitlinie sichergestellt werden.
Darüber hinaus stützt sich die vorliegende Arbeit auf die Gesundheitsberichterstattung des Bundes (GBE) - Heft 50 Schizophrenie von Wolfgang Gaebel und Wolfgang Wölfer, 2010 herausgegeben vom Robert Koch-Institut Berlin. Sie bildet eine fachliche Basis für politische Entscheidungen und liefert eine datengestützte Informationsgrundlage (Gaebel & Wölfer, 2010, S. 4). Eine weitere Quelle, auf die Bezug genommen wird, ist Bergin & Garfields Handbuch der Psychotherapie und Verhaltensmodifikation 2, herausgegeben von Michael J. Lambert im Jahr 2004 und 2013 von Richard & Vogel ins Deutsche übersetzt. Diese Hauptquellen liefern aktuelle Befunde der modernen Psychiatrie- und Psychotherapieforschung und bilden eine solide wissenschaftliche Grundlage für die vorliegende Arbeit.
Um die erste Fragestellung zu beantworten und darüber hinaus eine gute Ausgangsbasis für die Bearbeitung der weiteren Fragen zu schaffen, wird Kapitel 2 einen allgemeinen Überblick über wichtige definitorische, epidemiologische und ätiologische Grundlagen geben. Des Weiteren werden darin Symptomatik und Diagnostik der Schizophrenien beschrieben sowie der Verlauf und die Prognose erläutert. Kapitel 3 wendet sich der zweiten Fragestellung zu und skizziert allgemeine Behandlungsansätze, die bei schizophrenen Erkrankungen zum Einsatz kommen. Das Kapitel 4 beschäftigt sich dann mit der dritten Fragestellung und stellt die gängigen psychotherapeutischen Interventionsverfahren dar. Auch sollen einige Ergebnisse aus der Psychotherapieforschung herangezogen werden, um Aussagen über ihre Wirksamkeit zu treffen. Abschließend werden in Kapitel 5 noch einmal wichtige Ergebnisse zusammengefasst und diskutiert.
2 Allgemeine Grundlagen zu den Schizophrenien
Das Kapitel vermittelt einen Überblick über grundlegende Aspekte der Schizophrenie. Es dient einerseits dazu ein genaues Bild der Schizophrenien zu erhalten, andererseits bildet es die Basis für die weitere Auseinandersetzung mit den möglichen Behandlungsansätzen.
2.1 Begriffsbestimmung der Schizophrenie
Um im Weiteren klare und einheitliche Begriffe zu verwenden, soll an dieser Stelle das zu behandelnde Störungsbild der Schizophrenie definiert und abgegrenzt werden. Der Begriff Schizophrenie kommt aus dem Griechischen (schizein = spalten ; phren = Geist, Gemüt) und bedeutet in der wörtlichen Übersetzung „Spaltungsirresein“. Dies ist etwas irreführend, da die Schizophrenie nichts mit einer gespaltenen Persönlichkeit zu tun hat, wie sie etwa bei der Multiplen Persönlichkeitsstörung beobachtet werden kann. Die Spaltung bezieht sich vielmehr auf die von den Patienten subjektiv erlebte Spaltung der Gefühle und des Denkens (Poehlke, 2009, S. 30). Der Schizophreniebegriff wurde bereits im Jahr 1911 vom Schweizer Psychiater Eugen Bleuer eingeführt und ersetzte in der Folgezeit den Begriff „Dementia praecox“ (praecox = frühzeitiger Beginn; dementia = fortschreitender geistiger Verfall) von dem Deutschen Psychiater Emil Kraepelin (ebd.). Im Jahr 1987 formulierte Bleuers Sohn Prof. Dr. Manfred Bleuer die Schizophrenie wie folgt:
Nach unserem heutigen Verständnis bedeutet Schizophrenie in den meisten Fällen die besondere Entwicklung, den besonderen Lebensweg eines Menschen unter besonders schwerwiegenden inneren und äußeren disharmonischen Bedingungen, welche Entwicklung einen Schwellenwert überschritten hat, nach welchem die Konfrontation der persönlichen inneren Welt mit der Realität und Notwendigkeit zur Vereinheitlichung zu schwierig und zu schmerzhaft geworden ist.
(Bleuer, zit. nach Bock et al., n.d., S. 7)
Das Zitat lässt die hohe Individualität und Komplexität der Schizophrenie erkennen und spielt auf ein wesentliches Merkmal an - das psychotische Erleben der Betroffenen. Die Symptome der schizophrenen Psychose sind so heterogen wie die Patienten selbst, sodass sich die diagnostische Klassifizierung des Krankheitsbildes nicht immer einfach gestaltet. In der internationalen Klassifikation psychischer Störungen der Weltgesundheitsorganisation ICD- 10 wird die Schizophrenie (F20) als das häufigste und wichtigste Krankheitsbild der F2- Gruppe Schizophrenie, schizotype und wahnhafte St ö rungen bezeichnet (Dilling et al., 2014, S. 127). Sie ist durch ein charakteristisches Störungsmuster verschiedener psychischer Bereiche wie Denken, Wahrnehmung, Ichfunktionen, Affektivität, Antrieb und Psychomotorik gekennzeichnet (DGPPN, 2006, S. 21). Bezeichnend für die Schizophrenie sind einerseits episodisch auftretende akute psychotische Zustände und andererseits chronische Beeinträchtigungen mit persistierenden psychotischen und/oder negativen Symptomen (ebd.). Aus diesem Grund wird die Schizophrenie den Psychosen zugeordnet, sodass häufig auch der Begriff „schizophrene Psychose“ verwendet wird. Eine weitere Begrifflichkeit die sich immer mehr durchsetzt und versucht, den unterschiedlichen Erscheinungsformen der Schizophrenie gerecht zu werden, ist die Bezeichnung „Gruppe der Schizophrenien“ bzw. „schizophrener Formenkreis“. Diese Formulierung weist daraufhin, dass es die eine Schizophrenie nicht gibt, sondern dass es sich immer um ein Spektrum von psychischen Symptomen handelt. Wenn im Folgenden von Schizophrenie, Schizophrenien oder schizophrenen Psychosen gesprochen wird, dann ist damit das Krankheitsbild der F20 nach ICD-10 gemeint. Es umfasst mehrere Subtypen, die weiter unten beschrieben werden.
2.2 Epidemiologie
Die epidemiologische Forschung trägt nicht nur zum Erkenntnisgewinn hinsichtlich der Häufigkeit und Verteilung psychischer Störungen bei, sondern kann auch Hinweise für deren Ursachen sowie ein besseres Verständnis für ihre Folgen liefern. Jedoch sollten epidemiologische Daten mit Vorsicht betrachtet werden, da sie keine absoluten Werte darstellen. Sie sind abhängig von den jeweiligen Untersuchungsmethoden und können je nach Zielpopulation oder verwendeten Diagnosekriterien unterschiedlich ausfallen. Der Psychiater und Experte auf dem Gebiet der Epidemiologie- und Schizophrenieforschung Heinz Häfner beschreibt diesen Aspekt bezüglich der Schizophrenien wie folgt:
Aus der Fülle der Fälle mit entsprechenden Krankheitserscheinungen schneidet die Diagnose Schizophrenie nach der internationalen Klassifikation der Krankheiten (IDC- 10) nur einen kleineren, schwereren, behandlungsbedürftigen Teil von Störungsmustern aus. So lassen sich eine enge Krankheitsdefinition, nämlich die Diagnose Schizophrenie (F20), und weite Definitionen, die auch sogenannte Randdiagnosen, nämlich schizoaffektive Psychosen und schizotype Erkrankungsformen, einbezieht, unterscheiden. Alle schizophrenietypischen Diagnosen zusammen werden im Sinne einer weiten Definition als „schizophrene Spektrumsstörungen“ (...) bezeichnet. Dieser Unterschied in der Diagnosendefinition ist für viele unterschiedliche Angaben zu den Erkrankungsraten mit verantwortlich. (2010, S. 47)
In der folgenden Darstellung der wichtigsten epidemiologischen Daten zu den Schizophrenien wird vor allem die enge Krankheitsdefinition nach F20 verwendet. Bei bestimmten Parametern werden aber auch die Daten der weiten Definition berücksichtigt um einen besseren Überblick zu geben. Darauf wird dann explizit hingewiesen.
Die Jahresprävalenz (Anzahl Erkrankter innerhalb eines Jahres) ist aufgrund der zumeist längeren Verläufe von Schizophrenien bei niedriger Letalität vergleichsweise hoch (ebd.). Sie liegt für die enge und die weite Definition weltweit zwischen 1,4 und 6,4 Betroffenen pro 1000 Einwohnern (DGPPN, 2006, S. 22). Die Lebenszeitprävalenz liegt abhängig von der Enge oder Weite der Definition und von der jeweiligen Lebenserwartung der Bevölkerung weltweit zwischen 0,5 bis 1,6% (ebd.). Dies bedeutet, dass durchschnittlich etwa eine Person von 100 mindestens einmal im Leben an einer schizophrenen Episode erkrankt.
Die Jahresinzidenz bei einer engen Definition liegt bei 0,01 % (ebd.). Unter Verwendung einer weiten Definition fanden sich in allen Kulturen mit 0,016 bis 0,042% größere Schwankungen der Jahresinzidenzraten (Häfner, 1997; zit. nach DGPPN, 2006, S. 22). Erhebliche Abweichungen von den durchschnittlichen Inzidenzraten finden sich nur in kleineren Bevölkerungen wie bei den karibischen Einwanderern in Großbritanniens Großstädten und bei holländischen Einwanderern aus Surinam (Häfner, 2010, S48). Ihre erhöhten Raten wurden kontrovers diskutiert. Herkunftsfaktoren, wie etwa eine größere Bereitschaft zu phantastischen oder halluzinatorischen Erlebnissen in den indigenen Kulturen konnten nicht bestätigt werden (ebd.). Einige Forscher sehen die vermehrte psychische Belastung der Migration und die erschwerten sozialen Lebensbedingungen als wichtige Faktoren an, die das Krankheitsrisiko erhöhen (ebd.). Darüber hinaus weisen alle untersuchten städtischen Regionen ein signifikant erhöhtes Morbiditätsrisiko gegenüber ländlichen Regionen auf (DGPPN, 2006, S. 22). Diese Befunde deuten darauf hin, dass die äußeren Lebensumstände einen wichtigen ätiopathogenetischen Faktor darstellen.
Untersuchungen zu Alters- und Geschlechtsverteilungen haben folgende Befunde erbracht. Die Schizophrenien treten bevorzugt zwischen dem 15. und dem 35. Lebensjahr, bei ca. 65% der Betroffenen bereits vor dem 30. Lebensjahr auf. Seltener hingegen ist ein Krankheitsbeginn vor dem 12. oder nach dem 40. Lebensjahr. Frauen erkranken etwa drei bis vier Jahre später als Männer und weisen im Menopausenalter einen zweiten niedrigeren Erkrankungsgipfel auf. (DGPPN, 2006, S. 23) Lange wurde darüber spekuliert, ob die Ausprägung der schizophrenen Symptomatik geschlechtsspezifisch sei, doch konnten dafür keine eindeutigen Ergebnisse gefunden werden (Sartory, 2007, S. 27).
Aus sozioökonomischer Sicht wurde festgestellt, dass unter Personen mit niedrigem Bildungsabschluss und niedrigem sozioökonomischen Status eine schizophrene Symptomatik gehäuft zu finden ist (DGPPN, 2006, S.23). Es ist jedoch nicht klar, ob diese Befunde als Ursache oder Folge der Schizophrenie ausgelegt werden können.
Ein weiterer interessanter Befund aus demographischen Studien ist der unterschiedliche Verlauf der Schizophrenie in Entwicklungs- und Industrieländern. Demnach weisen die Schizophrenien in Entwicklungsländern tendenziell häufiger einen akuten Krankheitsbeginn auf (Häfner, 2010, S. 51). Auch verlaufen sie in der ersten Episode rascher und insgesamt günstiger als in den Industrieländern (ebd.). Mehrere transnationale Studien der WHO fanden heraus, dass in den Entwicklungsländern zwei Jahre nach Erkrankungsbeginn etwa zwei Drittel der Betroffenen beschwerdefrei sind, während dies in den Industriestaaten nur auf etwa ein Drittel der Erkrankten zutrifft (ebd.). Heinz Häfner sowie die DGPPN liefern für diese Befunde keine Erklärungen. Häfner weist aber auf die unterschiedlichen sozioökonomischen und familiären Lebensbedingungen hin und sieht die Ursache für diese Befunde weniger in der Krankheit selbst (ebd.). Der im Jahr 2008 veröffentlichte Dokumentarfilm Take these broken wings von dem Psychotherapeuten und Filmproduzenten Daniel Mackler, herausgegeben von der International Society For Psychological And Social Approaches To Psychosis (ISPS), beschäftigt sich mit der Schizophrenie und ihrer Genesung. Darin werden die beschriebenen Befunde aufgegriffen und dahingehend interpretiert, dass in Entwicklungsländern eine medikamentöse Therapie seltener zum Einsatz kommt als in den Industriestaaten und dadurch der Heilungsprozess nicht durch eine Sedierung blockiert würde. Die schizophrenen Symptome deutet man als Heilungsversuch des Individuums und sollten nach Mackler vor allem auf psychotherapeutischer Ebene behandelt werden. Dieser originelle Behandlungsansatz würde in weiten Teilen der Psychiatrie- und Psychotherapielandschaft als medizinischer Kunstfehler bewertet werden. Doch letztlich helfen solche kontroversen Diskurse den wissenschaftlichen Erkenntnisprozess voranzutreiben.
2.3 Ätiopathogenese
Schizophrene Erkrankungen sind nicht wie einige Infektionskrankheiten auf eine einzige Ursache zurückzuführen. Sie weisen vielmehr eine multifaktorielle Genese auf, sodass viele unterschiedliche Risikofaktoren betrachtet und ihre verschiedenen Wechselwirkungen berücksichtigt werden müssen. Es entsteht ein sehr komplexes ätiopathogenetisches Krankheitsmodell, welches nur schwer zu eruieren ist. Der Psychiater Volker Faust bilanziert in seiner Darstellung Die Schizophrenien die aktuelle Situation:
Die Schizophrenien gehören zu den am intensivsten beforschten seelischen Störungen, seit jeher und bis heute. Das Resultat ist aber eher frustrierend: Genaues weiß man bis heute nicht. Früher war man da etwas forscher. Jede Disziplin (sozialpsychiatrisch, familiendynamisch, tiefenpsychologisch, neuropsychologisch, neuroanatomisch usw.) stellte ihre Erkenntnisse, Hypothesen und Theorien gerne so dar, als sei man jetzt den Ursachen endlich auf der Spur. Und je nachdem, wer, wie und in welcher Zeit was favorisierte, ging dies sofort als die Erkenntnis schlechthin in den Wissensstand der Medien und damit der Allgemeinheit ein. Heute ist man bescheidener geworden. Und wenn man das Ganze auf wenige Sätze reduzieren will, dann lauten diese Sätze, ernüchternd, ja enttäuschend, aber der Realität am nächsten: Über die Ursachen der schizophrenen Psychosen kann man beim derzeitigen Stand der Wissenschaft nichts Genaues sagen. Wahrscheinlich ist es eine Kombination aus erblicher, psychosozialer, insbesondere familiärer und organischer Belastung, deren Folgen schließlich das Endergebnis diktieren, das aber wiederum abhängig ist von rechtzeitiger Diagnose und gezielter Pharmako-, Sozio- und Psychotherapie. (Faust, 2011, S. 9)
Dieses sehr umfangreiche Zitat fasst den heutigen ätiopathogenetischen Erkenntnisstand zu den Schizophrenien kritisch zusammen und weist auf die hohe Komplexität dieses Forschungsbereiches hin. Da dieses Kapitel nur allgemeine Grundlagen vermitteln soll, kann nicht jeder einzelne Risikofaktor detailliert erläutert werden. Daher sollen nur die wichtigsten Faktoren überblicksartig beschrieben werden. Zusammenfassend wird dann das Vulnerabilitäts-Stress-Coping-Modell vorgestellt.
Einer der häufigsten Risikofaktoren, der die Vulnerabilität für die Schizophrenien erhöht, ist das genetisch-familiäre Risiko. Es nimmt mit dem Verwandtschaftsgrad deutlich zu. Diese Befunde sind durch Familien-, Zwillings- und Adoptionsstudien belegt. (Häfner, 2010, S. 53) Diese Studien weisen beispielsweise auf eine viermal höhere Konkordanzrate bei eineiigen Zwillingen (40-60%) als bei zweieiigen hin (Poehlke, 2009, S. 31). Die Gesamtheredität für die Schizophrenien wird nach Häfner (2010, S. 54) auf 60-80% geschätzt.
Heute weiß man, dass die Schizophrenie nicht durch ein Hauptgen weitergegeben wird. Man spricht von einer polygenetischen Disposition. Seit der Entschlüsselung des menschlichen Gesamtgenoms kann die molekularbiologische Forschung einige wichtige Fortschritte aufweisen. So konnte bisher eine Reihe von Risikogenen identifiziert werden. Sie liegen auf den Chromosomen 1, 13, 18, 22 und in einer großen Region des Chromosoms 6. (Häfner, 2010, S. 54) Wenn auch die bisher gefundenen Effekte relativ klein sind (ebd.), so darf man dennoch hoffen, dass in Zukunft die molekularbiologische Forschung weitere wichtige Erkenntnisse liefert, die vor allem für die Pharmakotherapie von großer Bedeutung sein könnten (vgl. Häfner, 2010, S. 49f.).
Eine erhöhte Krankheitsdisposition kann auch erworben oder durch externe Faktoren verstärkt werden. So können prä-, peri- und postnatale Komplikationen, wie beispielsweise Infektionen, Sauerstoffmangel während der Geburt oder Alkohol- bzw. Drogenabusus der Mutter während der Schwangerschaft eine frühkindliche Störung der Hirnentwicklung verursachen (Gaebel & Wölfer, 2010, S. 13). Teilweise lassen sich neuroanatomische und hirnmorphologische Veränderungen, wie etwa Hirnsubstanzminderungen, die Erweiterung des dritten Ventrikels und der Seitenventrikel oder eine relative frontale Funktionsminderung in der Einzelphotonen-Emissionscomputertomographie (SPECT)3 oder in der Positronenemissionstomographie (PET) nachweisen (Poehlke, 2009, S. 31). Nach Häfner (2010, S. 60 f.) können etwa Virusencephalitiden in der Kindheit, die zu überdauernden Schäden am ZNS geführt haben, eine sechs- bis achtfache Erkrankungswahrscheinlichkeit im Vergleich mit unbelasteten Kindern zur Folge haben.
Ein weiterer somatischer Risikofaktor wird auf neurochemischer Ebene angenommen. Nach der Dopamin-Hypothese sollen schizophrene Erkrankungen auf eine Hyperaktivität zentral-nervöser dopaminerger Strukturen im mesolimbischen, nigrostriatalen und tubero- infundibulären System zurückzuführen sein (Poehlke, 2009, S. 31). Für diese Hypothese spricht die antipsychotische Wirkung der Neuroleptika. Sie blockieren postsynaptische Dopamin-Rezeptoren (D2-Rezeptoren) im mesolimbischen System und bewirken dadurch eine reduzierte Aktivität der dopaminergen Neuronen. Wie diese neuronalen Veränderungen letztlich zur Krankheitsentstehung führen, ist allerdings noch nicht genau bekannt (Gaebel & Wölfer, 2010, S. 13). Die wichtige Bedeutung des mesolimbischen Systems für psychische Erkrankungen hebt aber auch der bekannte Hirnforscher Gerhard Roth in seinem Buch Wie das Gehirn die Seele macht immer wieder hervor:
Die mittlere limbische Ebene hat mit unbewusster Emotionsentstehung und Emotionsregulation zu tun, mit unbewusster Verhaltensbewertung und in diesem Zusammenhang mit unbewusster emotionaler Konditionierung. Sie ist für die Psyche die wohl wichtigste >Etage< des Gehirns. (2014, S. 68)
Roth et al. (2014) konnten in der Hanse-Neuro-Psychoanalyse-Studie (HNPS) nachweisen, dass psychotherapeutische Interventionen (VT, KVT, PA) einen positiven Einfluss auf die Neuromodulatoren und Neuropeptide im limbischen System sowie im Kortex haben. Diese Befunde weisen indirekt auf die Wichtigkeit psychotherapeutischer Maßnahmen bei der Behandlung von schizophrenen Erkrankungen hin.
Für die Manifestation der Schizophrenien, deren Verlauf und Prognose scheinen psychosoziale Faktoren einen bedeutenden Einfluss zu haben. Bei Betroffenen in Familien mit high-expressed-emotions besteht ein erhöhtes Rückfallrisiko. Life events sind spezifisch nicht eruierbar, doch konnte eine ursächliche Mitwirkung psychosozialer Einflüsse durch den engen zeitlichen Zusammenhang zwischen Konflikten beziehungsweise Belastung und der Exazerbation nachgewiesen werden. (Poehlke, 2009, S. 31)
Neben den genannten Risikofaktoren gibt es noch einige weitere Annahmen, die diskutiert werden, auf die aber aus Gründen des Umfangs nicht näher eingegangen werden kann. Abschließend soll das Vulnerabilitäts-Stress-Coping-Modell beschrieben werden, welches sich zur Erklärung schizophrener Störungen durchgesetzt hat. Es versucht, die bekannten Risikofaktoren in einer einheitlichen Rahmenhypothese miteinander zu verbinden. Zur Entwicklung einer Störung sind sowohl Diathese (Vulnerabilität, Disposition) als auch Stress nötig. Bei starker Diathese reicht geringer Stress für die Exazerbation aus, bei niedriger Diathese muss der Stress hoch sein. Auch können vorhandene Bewältigungsstrategien das Risiko einer Exazerbation positiv beeinflussen. Die DGPPN (2006, S. 29) gibt einen guten Überblick über die jeweiligen Bedingungen zu den einzelnen Faktoren:
- Zu den Vulnerabilitätsfaktoren rechnet man:
- dopaminerge Funktionsstörungen und andere Dysfunktionen der Neurotransmission
- funktionelle Folgen hirnstruktureller Veränderungen, insbesondere in limbischen Strukturen
- verminderte Verarbeitungskapazität mit Störungen der Aufmerksamkeit und Informationsverarbeitung
[...]
1 Anmerkung: Werden Personenbezeichnungen aus Gründen der besseren Lesbarkeit lediglich in der
2 Die Originalausgabe erschien unter dem Titel Bergin and Garfield ´ s Handbook of Psychotherapy and Behavior Change. Fifth Edition
3 engl.: single photon emission computed tomography
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