Diese empirische Untersuchung widmet sich primär der Frage, inwiefern wir die Zwischenwelt der Tätowierung als unentbehrlichen Rückzugsort nutzen, um uns auf die Suche nach all dem zu begeben, was uns im schwindelerregenden Tempo der uns diffus gegenüberstehenden Umwelt verlorengegangen zu sein scheint. Die Grenzstellung unseres Hautbildes dabei fortwährend als Ausgangspunkt der Betrachtungen nehmend, setzen wir uns im ersten Teil dieser Arbeit mit der Tätowierung zwischen Individualität und Einschreibung des Anderen auseinander, wobei der Fokus auf der Frage liegt, welcher gesellschaftliche Nährboden uns dazu bewegt einer permanenten, wenn nicht gar zwanghaften Vergewisserung unser Einzigartigkeit zu bedürfen. Im zweiten Kapitel widmen wir uns der Zeitlichkeit unseres Hautbildes – der bedeutsamen Verbindung zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft – und untersuchen, inwiefern es sich bei der Markierung um einen stabilisierenden, bewahrenden, gar konservativen Akt handelt, der sich als potentielle Entschleunigungsstrategie an der Grenze zwischen Kontinuität und Vergänglichkeit konstituiert. Im letzten Teil der Betrachtungen richten wir das Augenmerk auf das Tattoo zwischen Authentizität und Reproduktion und stellen uns der Frage, ob unser sehnsüchtiges Verlangen nach Echtheit in traditionellen Verfahren des Tätowierens und im Hautbild als echtem Ausdruck unserer Selbst gestillt werden kann, oder ob wir uns in der visuellen Reproduktion und derer gesellschaftlicher Normen und Reglementierungen zu verlieren drohen. Die grundlegende Ontologie der Tätowierung anzweifelnd wird uns die Fragestellung, inwiefern das Tattoo die Möglichkeit bietet gefestigte und unsere Lebenspraxis formende Ideale und Dogmen anzuzweifeln und herauszufordern die gesamte Untersuchung hindurch begleiten.
Inhaltsverzeichnis
- 1 Einleitung
- 2 Theoretische Vorüberlegungen
- 2.1 Unser Körper: vom Haben und Sein
- 2.2 Unsere Haut: Schutz und Schau
- 2.3 Unsere Tätowierung: Arbeit an der Grenze
- 3 Historische Kontextualisierung: Die Tätowierung vom Kulturkontakt über den Jahrmarkt zur Massenkompatibilität
- 3.1 Malen, stechen, ritzen: Die Tätowierung in den Reiseberichten des 18. und 19. Jahrhunderts
- 3.2 The Tattooing Trade: Auf den Zirkusbühnen dieser Welt
- 3.3 Tattoo 2.0: Die Tätowierung in Zeiten digitaler Medien
- 4 Praktische Vorgehensweise
- 4.1 Ein poststrukturalistisches Erbe
- 4.2 Möglichkeiten einer kritischen Sozialforschung
- 5 Individualität per Nadelstich? Die Tätowierung zwischen Einzigartigkeit und Einschreibung des Anderen
- 5.1 Von der Gemeinschaft zur Gesellschaft
- 5.2 Der Unterschied macht‘s
- 5.2.1 Schmerz
- 5.2.2 Hauptsache anders
- 5.3 Die Einschreibung des Anderen
- 5.4 Individualität? Zurück auf Anfang!
- 6 Was bedeutet schon für immer? Die Tätowierung zwischen Kontinuität und Vergänglichkeit
- 6.1 Gestern
- 6.1.1 Von der Erinnerung zum Gedächtnis
- 6.1.2 Auf der Suche nach Ursprünglichkeit
- 6.2 Heute
- 6.2.1 Weil das durft‘ ich mir auch anhören: das wär doch ä Nazi-Tattoo
- 6.2.2 Entschleunigung ist Haut-Sache, oder: Die Angst keine Zeit zu haben
- 6.3 Morgen
- 6.3.1 They are just a reminder of a part of my life I left behind
- 6.3.2 Cover Up – Zwischen Bewahren und Löschen
- 6.4 Für immer?
- 7 Wenn man’s Original kennt, dann is’ es ‘ne Katastrophe – Die Tätowierung zwischen Authentizität und Reproduktion
- 7.1 Tradition – not Trend?
- 7.2 Die weitere Form des Ich-selber-sein-könnens
- 7.2.1 Auf das Bild folgt das Bild folgt das Bild
- 7.2.2 Das Projekt Schönheit
- 7.2.3 Aufruhr in der Zwischenwelt
- 7.3 Die Macht der Illusion
- 8 Abschlussbetrachtung und kritische Reflexion
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Diese Arbeit untersucht die Tätowierung als Phänomen einer Zwischenwelt, die zwischen Individualität und gesellschaftlicher Einordnung, Kontinuität und Vergänglichkeit sowie Authentizität und Reproduktion changiert. Im Fokus steht die Frage, inwiefern die Tätowierung als Rückzugsort und Strategie zur Sinnfindung in einer beschleunigten und komplexen Welt dient.
- Die Tätowierung als Ausdruck von Individualität und Abgrenzung.
- Die Rolle der Zeitlichkeit (Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft) in der Bedeutung von Tätowierungen.
- Der Umgang mit Schmerz und die Inszenierung des Körpers.
- Die Ambivalenz zwischen Authentizität und Reproduktion von Motiven und Stilen.
- Die kritische Auseinandersetzung mit dem Konzept der Individualität im Kontext der Tätowierung.
Zusammenfassung der Kapitel
1 Einleitung: Die Einleitung führt in die Thematik der Tätowierung als Ausdruck der Suche nach Identität und Sinn in einer von Unsicherheit und Orientierungslosigkeit geprägten Welt ein. Sie stellt die zentralen Forschungsfragen vor, die sich mit der Positionierung der Tätowierung zwischen Individualität und gesellschaftlicher Einordnung, Kontinuität und Vergänglichkeit sowie Authentizität und Reproduktion befassen. Der Fokus liegt auf der Untersuchung der Tätowierung als unentbehrlicher Rückzugsort, um in der beschleunigten Umwelt nach dem Verlorenen zu suchen.
2 Theoretische Vorüberlegungen: Dieses Kapitel legt die theoretischen Grundlagen für die Untersuchung. Es beleuchtet verschiedene Perspektiven auf den Körper (Haben und Sein), die Haut als Grenze und die Tätowierung als Eingriff in diese Grenze. Es werden poststrukturalistische Ansätze von Foucault, Butler und Derrida herangezogen, um das komplexe Zusammenspiel von Körper, Gesellschaft und Identität zu verstehen.
3 Historische Kontextualisierung: Die Tätowierung vom Kulturkontakt über den Jahrmarkt zur Massenkompatibilität: Dieses Kapitel skizziert die Geschichte der Tätowierung in Europa und Nordamerika, beginnend mit den Reiseberichten des 18. und 19. Jahrhunderts, über ihre Präsenz auf Jahrmärkten und Zirkussen bis hin zur heutigen Massenkompatibilität im digitalen Zeitalter. Es werden dabei die Veränderungen in der gesellschaftlichen Wahrnehmung und Symbolik des Tattoos beleuchtet.
4 Praktische Vorgehensweise: Das Kapitel beschreibt die angewandte Methodik, die auf einem kritischen Poststrukturalismus und der qualitativen Sozialforschung basiert. Es erläutert die Datenerhebung (Interviews, Feldforschung) und die analytische Herangehensweise unter Berücksichtigung poststrukturalistischer Diskurs- und Machtkonzepte. Die Methode des Close Readings wird erwähnt als Werkzeug für die detaillierte Textanalyse.
5 Individualität per Nadelstich?: Dieses Kapitel analysiert die Tätowierung im Kontext von Individualisierung und Abgrenzung. Es untersucht die sozialen Dynamiken innerhalb der Tattoo-Gesellschaft und die Rolle von Machtstrukturen und der permanenten Suche nach Einzigartigkeit. Der Schmerz als konstitutives Element der Tätowierung und dessen Bedeutung im Prozess der Abgrenzung und Selbstvergewisserung wird ebenfalls thematisiert.
6 Was bedeutet schon für immer?: Dieses Kapitel beschäftigt sich mit der Zeitlichkeit der Tätowierung. Es analysiert die Tätowierung als Akt der Erinnerung und des Bewahrens von Vergangenheit, sowie die Rolle von Cover-ups und Laserentfernungen im Umgang mit der Vergänglichkeit und der ständigen Veränderung der Selbstwahrnehmung. Die Angst vor der Vergänglichkeit der Zeit und der Versuch, diese mittels des Tattoos zu kompensieren wird analysiert.
7 Wenn man’s Original kennt: Das Kapitel untersucht die Thematik der Authentizität und Reproduktion im Kontext von Tätowierungen. Es analysiert den Wunsch nach traditionellen Verfahren und den Konflikt zwischen der Suche nach individueller Ausdruckskraft und der Vervielfältigung von Motiven in der modernen Tattoo-Welt. Art Fusion und ähnliche künstlerische Ansätze werden ebenfalls behandelt.
Schlüsselwörter
Tätowierung, Identität, Körper, Haut, Schmerz, Individualität, Gesellschaft, Zeitlichkeit, Erinnerung, Tradition, Reproduktion, Authentizität, Beschleunigung, Entschleunigung, Macht, Diskurs, Poststrukturalismus, Cover Up, Simulakra.
Häufig gestellte Fragen (FAQ) zu: Tätowierung als Ausdruck der Suche nach Identität und Sinn
Was ist der Gegenstand dieser Arbeit?
Diese Arbeit untersucht die Tätowierung als vielschichtiges Phänomen, das zwischen Individualität und gesellschaftlicher Einordnung, Kontinuität und Vergänglichkeit sowie Authentizität und Reproduktion changiert. Im Mittelpunkt steht die Frage, inwieweit Tätowierungen als Rückzugsort und Strategie zur Sinnfindung in einer beschleunigten und komplexen Welt dienen.
Welche Themen werden behandelt?
Die Arbeit beleuchtet verschiedene Aspekte der Tätowierung, darunter den Ausdruck von Individualität und Abgrenzung, die Rolle der Zeitlichkeit (Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft), den Umgang mit Schmerz, die Ambivalenz zwischen Authentizität und Reproduktion von Motiven, und die kritische Auseinandersetzung mit dem Konzept der Individualität im Kontext der Tätowierung.
Welche theoretischen Ansätze werden verwendet?
Die Arbeit basiert auf einem kritischen Poststrukturalismus und bezieht Perspektiven von Foucault, Butler und Derrida ein, um das komplexe Zusammenspiel von Körper, Gesellschaft und Identität zu verstehen. Methodisch wird qualitative Sozialforschung mit Interviews und Feldforschung eingesetzt. Die Methode des Close Readings wird für die detaillierte Textanalyse erwähnt.
Wie ist die Arbeit strukturiert?
Die Arbeit gliedert sich in acht Kapitel: Einleitung, theoretische Vorüberlegungen, historische Kontextualisierung (vom Kulturkontakt bis zur Massenkompatibilität), praktische Vorgehensweise, Individualität per Nadelstich?, Was bedeutet schon für immer? (Zeitlichkeit), Wenn man’s Original kennt (Authentizität und Reproduktion), und eine Abschlussbetrachtung mit kritischer Reflexion. Jedes Kapitel behandelt spezifische Aspekte der Thematik, wobei die Kapitelüberschriften bereits einen guten Überblick geben.
Welche historischen Aspekte werden betrachtet?
Die historische Kontextualisierung verfolgt die Entwicklung der Tätowierung von den Reiseberichten des 18. und 19. Jahrhunderts über ihre Präsenz auf Jahrmärkten und Zirkussen bis hin zur heutigen Massenkompatibilität im digitalen Zeitalter. Die Veränderungen in der gesellschaftlichen Wahrnehmung und Symbolik des Tattoos werden beleuchtet.
Wie wird der Aspekt der Individualität behandelt?
Die Arbeit analysiert die Tätowierung als Ausdruck von Individualität und Abgrenzung, betrachtet aber auch die sozialen Dynamiken innerhalb der Tattoo-Gesellschaft und die Rolle von Machtstrukturen. Der Schmerz als konstitutives Element der Tätowierung und seine Bedeutung im Prozess der Abgrenzung und Selbstvergewisserung werden ebenfalls thematisiert.
Wie wird die Thematik der Zeitlichkeit behandelt?
Das Kapitel "Was bedeutet schon für immer?" untersucht die Zeitlichkeit der Tätowierung als Akt der Erinnerung und des Bewahrens von Vergangenheit, sowie die Rolle von Cover-ups und Laserentfernungen im Umgang mit der Vergänglichkeit und der ständigen Veränderung der Selbstwahrnehmung. Die Angst vor der Vergänglichkeit der Zeit und der Versuch, diese mittels des Tattoos zu kompensieren, wird analysiert.
Wie wird der Aspekt der Authentizität und Reproduktion behandelt?
Das Kapitel "Wenn man’s Original kennt" untersucht den Wunsch nach traditionellen Verfahren und den Konflikt zwischen individueller Ausdruckskraft und der Vervielfältigung von Motiven in der modernen Tattoo-Welt. Art Fusion und ähnliche künstlerische Ansätze werden ebenfalls diskutiert.
Welche Schlüsselwörter beschreiben die Arbeit?
Schlüsselwörter sind: Tätowierung, Identität, Körper, Haut, Schmerz, Individualität, Gesellschaft, Zeitlichkeit, Erinnerung, Tradition, Reproduktion, Authentizität, Beschleunigung, Entschleunigung, Macht, Diskurs, Poststrukturalismus, Cover Up, Simulakra.
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- M.A. Cindy Hader (Author), 2015, Tattoo. Bericht aus einer Zwischenwelt, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/335422