Das Gesundheitswesen ist für sämtliche Mitgliedstaaten der Europäischen Union (EU) von besonderer gesellschaftspolitischer und ökonomischer Bedeutung. Die Erhaltung und Verbesserung der Gesundheit stellt einen spezifischen Bereich dar, in dem Angebot und Nachfrage nach medizinischen Gütern und Dienstleistungen nicht ausschließlich dem freien Markt überlassen werden. Die Besonderheit dieses Sektors wird im Wesentlichen auf zwei Argumente gestützt. Zum einen verweist die ökonomische Betrachtung auf vorhandene Marktunvollkommenheiten in diesem Bereich, zum anderen betont die sozialpolitische Perspektive, dass ein gleicher Zugang zu medizinischen Leistungen für alle und ein Umverteilungsmechanismus bei deren Finanzierung und Inanspruchnahme gewährleistet werden müssen (sog. Solidaritätsprinzip). 1 Hiermit erklären sich die zahlreichen staatlichen Eingriffe in verschiedene Segmente des Gesundheitsmarktes. So bestehen beispielsweise in Deutschland Fallpauschalen für Krankenhäuser, preisbezogene Regeln in der Arzne imittelpreisverordnung oder Regulierungen des Apothekenwesens hinsichtlich des Mehrbesitzes von Apotheken. 2
In den Staaten der EU betrug die Zunahme der Lebenserwartung zum Zeitpunkt der Geburt zwischen 1970 und 1998 durchschnittlich 6,4 Jahre. 3 Diese Entwicklung belegt zwar den Erfolg der Gesundheitspolitik in den Mitgliedsländern in den letzten 30 Jahren, aber mittlerweile sind die Gesundheitssysteme der Mitgliedstaaten erheblichem Druck aus verschiedenen Richtungen ausgesetzt. Einerseits hat sich der Anteil der Gesundheitskosten am Bruttoinlandsprodukt in den letzten dreißig Jahren verdoppelt und steigt weiter an, was im Wesentlichen auf demographische Faktoren, auf die Kosten der neuen medizinischen Technologien sowie auf die gestiegenen Erwartungen der Öffentlichkeit zurückzuführen ist. Andererseits erfordert der allgemeine Sparzwang der öffentlichen Hand eine Reform der Gesundheitssysteme, damit die Ausgaben begrenzt und gleichzeitig die Wirtschaftlichkeit des Sektors unter verschärften Wettbewerbsbedingungen verbessert werden können. 4
Inhaltsverzeichnis
I. Einleitung
II. Kompetenzen der Gemeinschaft gemäß Art. 152 EGV
III. Überblick über Gesundheitsschutzmaßnahmen auf EG-Ebene
IV. Maßnahmen der Gemeinschaft im Bereich der Krebsbekämpfung
1. Aktionsprogramme „Europa gegen den Krebs“
a) Europa gegen den Krebs: Aktionsplan 1987-1989
b) Europa gegen den Krebs: Aktionsplan 1990-1994
c) Europa gegen den Krebs: Aktionsplan 1996-2002
2. Rechtsakte zur Bekämpfung des Tabakkonsums
a) Richtlinie über Herstellung, Aufmachung und Verkauf von Tabakerzeugnissen
b) Richtlinie über das Verbot von Werbung und Sponsoring für Tabakerzeugnisse
3. Sonstige Maßnahmen gegen den Tabakkonsum
a) Rauchverbot in öffentlich zugänglichen Räumen
b) Durchführungsverordnung der Kommission bezüglich des Tabakfonds
c) Empfehlung zur Prävention des Tabakkonsums
4. Das Aktionsprogramm zur Gesundheitsförderung (2003-2008)
V. Schlusswort
I. Einleitung
Das Gesundheitswesen ist für sämtliche Mitgliedstaaten der Europäischen Union (EU) von besonderer gesellschaftspolitischer und ökonomischer Bedeutung. Die Erhaltung und Verbesserung der Gesundheit stellt einen spezifischen Bereich dar, in dem Angebot und Nachfrage nach medizinischen Gütern und Dienstleistungen nicht ausschließlich dem freien Markt überlassen werden. Die Besonderheit dieses Sektors wird im Wesentlichen auf zwei Argumente gestützt. Zum einen verweist die ökonomische Betrachtung auf vorhandene Marktunvollkommenheiten in diesem Bereich, zum anderen betont die sozialpolitische Perspektive, dass ein gleicher Zugang zu medizinischen Leistungen für alle und ein Umverteilungsmechanismus bei deren Finanzierung und Inanspruchnahme gewährleistet werden müssen (sog. Solidaritätsprinzip).[1] Hiermit erklären sich die zahlreichen staatlichen Eingriffe in verschiedene Segmente des Gesundheitsmarktes. So bestehen beispielsweise in Deutschland Fallpauschalen für Krankenhäuser, preisbezogene Regeln in der Arzneimittelpreisverordnung oder Regulierungen des Apothekenwesens hinsichtlich des Mehrbesitzes von Apotheken.[2]
In den Staaten der EU betrug die Zunahme der Lebenserwartung zum Zeitpunkt der Geburt zwischen 1970 und 1998 durchschnittlich 6,4 Jahre.[3] Diese Entwicklung belegt zwar den Erfolg der Gesundheitspolitik in den Mitgliedsländern in den letzten 30 Jahren, aber mittlerweile sind die Gesundheitssysteme der Mitgliedstaaten erheblichem Druck aus verschiedenen Richtungen ausgesetzt. Einerseits hat sich der Anteil der Gesundheitskosten am Bruttoinlandsprodukt in den letzten dreißig Jahren verdoppelt und steigt weiter an, was im Wesentlichen auf demographische Faktoren, auf die Kosten der neuen medizinischen Technologien sowie auf die gestiegenen Erwartungen der Öffentlichkeit zurückzuführen ist. Andererseits erfordert der allgemeine Sparzwang der öffentlichen Hand eine Reform der Gesundheitssysteme, damit die Ausgaben begrenzt und gleichzeitig die Wirtschaftlichkeit des Sektors unter verschärften Wettbewerbsbedingungen verbessert werden können.[4]
Diese Herausforderungen muss die Politik bewältigen, ohne dabei die Bedeutung der Gesundheit für das Wohlbefinden der Bürger und die wirtschaftliche Relevanz der Gesundheitssysteme aus den Augen zu verlieren. Die Mitgliedstaaten stehen deshalb vor der gemeinsamen Aufgabe, eine sozialverträgliche, effiziente und gleichzeitig hoch qualifizierte Gesundheitsversorgung zu akzeptablen Kosten anzubieten. Weil sämtliche Länder der EU mit diesen Entwicklungen konfrontiert sind und die nationalen Regelungen in diesem Sektor bislang sehr unterschiedlich sind, ist es notwendig, eine gemeinsame Strategie im Gesundheitswesen zu entwickeln, um ein europäisches Mindestniveau des Gesundheitsschutzes zu sichern.[5] Dabei ist allerdings zu berücksichtigen, dass das Gesundheitswesen als traditioneller Bestandteil des Wohlfahrtsstaates nach der Konzeption des EG-Vertrags zum Hausgut der Mitgliedstaaten gehört.[6] Deswegen verfügt die Gemeinschaft auch nur über eine schwache Kompetenz im Bereich des originären Gesundheitsschutzes, die erst mit dem Maastrichter Vertrag von 1992/93 durch Art. 129 EGV (jetzt Art. 152 EGV) eingeführt wurde.[7]
II. Kompetenzen der Gemeinschaft gemäß Art. 152 EGV
Die Tätigkeit der Europäischen Gemeinschaft (EG) in der öffentlichen Gesundheitspflege ist gemäß dem in Amsterdam neu formulierten Art. 152 EGV allgemein auf die Verbesserung der Gesundheit der Bevölkerung, die Verhütung von Humankrankheiten und die Beseitigung von Ursachen für die menschliche Gesundheit gerichtet. Der einzelstaatlichen Vorbehalte, die Gemeinschaft mit einem starken Instrument für diesen Politikbereich auszustatten, ist an den Formulierungen des Art. 152 EGV deutlich zu erkennen. Begriffe wie „ergänzt“ und „fördert“ zeigen anschaulich, dass die EG-Gesundheitspolitik als ergänzende Politik zu derjenigen der Mitgliedstaaten konzipiert ist und dass sie sich im Wesentlichen auf die Gesundheitsprävention beschränken soll. Von besonderer Bedeutung sind in diesem Zusammenhang zwei Festlegungen. Zum einen bleibt die Verantwortung für die Organisation und die Strukturierung des Gesundheitswesens und für die medizinische Versorgung den Mitgliedstaaten vorbehalten (Art. 152 Abs. 5 EGV), zum anderen wird jede Harmonisierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten ausgeschlossen (Art. 152 Abs. 4 UAbs. 1 lit. c EGV).
III. Überblick über Gesundheitsschutzmaßnahmen auf EG-Ebene
Ursprünglich enthielt der EWG-Vertrag mit Art. 118 (jetzt Art. 137 Abs. 1 EGV) lediglich Unterstützungs- und Ergänzungskompetenzen für die Verbesserung der Arbeitsumwelt zum Schutz der Gesundheit und der Sicherheit der Arbeitnehmer sowie seit dem Amsterdamer Vertrag 1997/99 Förderbefugnisse gemäß Art. 118c EGV (jetzt Art. 140 EGV) hinsichtlich der Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten zur Verhütung von Berufsunfällen und Berufskrankheiten sowie beim Gesundheitsschutz bei der Arbeit. Eine allgemeine Kompetenz für den originären Gesundheitsschutz war aber bis zum Maastrichter Vertrag 1992/93 nicht vorhanden. Allerdings kam es schon seit dem Jahr 1984 zu informellen Treffen der EG-Gesundheitsminister.[8] Bereits 1986 wurde ein erstes Programm zur Krebsbekämpfung beschlossen, das wegen der fraglichen Rechtsgrundlage vom Rat als Gemeinschaftsorgan und gleichzeitig als Versammlung der Regierungsvertreter verabschiedet wurde.[9] Die EG beschloss in der Folgezeit spezielle Aktionsprogramme zur Krebsbekämpfung, zur Gesundheitsförderung (1996-2002), zur Prävention vor AIDS und anderen übertragbaren Krankheiten (1996-2002), zur Suchtprävention (1996-2002), Gesundheitsberichterstattung (1997-2002), für seltene Krankheiten (1999-2003), bezüglich umweltbedingter Krankheiten (1999-2002) sowie zur Verhütung von Verletzungen (1999-2003). Die Inhalte und Ziele dieser acht Programme wurden später mit dem Aktionsprogramm der Gemeinschaft zur Gesundheitsförderung (2003-2008) fortgeführt. Gleichzeitig gab es weitere europäische Initiativen wie etwa Berichte über den Gesundheitszustand in der EG oder Maßnahmen zur Bekämpfung des Alkoholmissbrauchs sowie des Dopings.
Auf der Grundlage von Art. 152 Abs. 4 UAbs. 1 lit. a EGV wurde im Jahr 2004 eine Richtlinie[10] zur Festlegung von Qualitäts- und Sicherheitsstandards für die Spende, Beschaffung, Testung, Verarbeitung, Konservierung, Lagerung und Verteilung von menschlichen Geweben und Zellen erlassen. Im Jahr 2005 nimmt zudem das Europäische Zentrum für die Prävention und die Bekämpfung von Seuchen[11] in Stockholm/Schweden seine Arbeit auf. Auftrag des Zentrums ist die Ermittlung und Bewertung von Risiken für die menschliche Gesundheit, die von Infektionskrankheiten ausgehen, sowie die Information über die gewonnenen Ergebnisse. Aus diesem breiten Bereich des Gesundheitsschutzes soll im Folgenden die Krebsbekämpfung als eine frühe und wesentliche Säule der EG-Gesundheitsschutzpolitik näher dargestellt werden.
IV. Maßnahmen der Gemeinschaft im Bereich der Krebsbekämpfung
1. Aktionsprogramme „Europa gegen den Krebs“
a) Europa gegen den Krebs: Aktionsplan 1987-1989
Bereits in den 80er Jahren des letzten Jahrhunderts hat sich die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) mit Maßnahmen gegen Krebserkrankungen befasst, obwohl ihr damals eigentlich noch keine Kompetenz im Bereich der öffentlichen Gesundheit eingeräumt worden war. Im Vordergrund des Programms „Europa gegen den Krebs (1987-1989)“[12] standen die Bekämpfung des Tabakkonsums, der Schutz vor karzinogenen Stoffen, die Epidemiologie, Ernährung und Alkohol, Prävention und Früherkennung, Gesundheitserziehung und die Kooperation mit internationalen Organisationen wie der Weltgesundheitsorganisation (WHO) oder der Welternährungsorganisation (FAO).[13] Ziel des Aktionsprogramms war die Reduzierung der erwarteten Anzahl an Krebstoten bis zum Jahr 2000 von einer Million Menschen auf 850.000. Dabei verfolgte die Gemeinschaft das Ziel der Krebsbekämpfung auf drei Ebenen: auf dem Gebiet der Primärprävention, also der Verhinderung des Entstehens von Krebs durch die Beseitigung der Risikofaktoren, der Früherkennung der Krankheit im Rahmen der Sekundärprävention sowie schließlich der Behandlung des erkrankten Patienten (sog. Kuration). Letztere Ebene war allerdings nur Gegenstand mittelbarer gemeinschaftlicher Unterstützungsmaßnahmen, z.B. durch Forschungsförderungen zur Erweiterung des Wissens über Krebserkrankungen und durch Ausbildungsförderungen zum Zweck des Erfahrungsaustauschs, da sich die Kompetenz der Gemeinschaft grundsätzlich auf den präventiven Bereich beschränken sollte.
[...]
[1] Schaub, Grenzüberschreitende Gesundheitsversorgung in der Europäischen Union, Baden-Baden 2001, S. 17.
[2] Beispiele für Regulierungen im Apothekenwesen in Sander, Der Vertrieb von Arzneimitteln über das Internet im Spannungsfeld von Freihandel und Gesundheitsschutz, Eschborn 2002, S. 46 ff.
[3] WHO, Der europäische Gesundheitsbericht 2002, S. 11.
[4] Zu den Reformen im deutschen Gesundheitswesen vgl. etwa Merke (Hrsg.), Umbau oder Abbau im Gesundheitswesen? Reform 2000, Prozeßmanagement, Leitlinien, Innovationen im Gesundheitswesen, 3. Kongress 1999, Berlin 2000; Merklein, Die überfällige Reform. Das Gesundheitswesen im Strudel der Politik, Bad Homburg 1992.
[5] Allgemein zum europäischen Gesundheitsschutz, einschließlich der Bezüge zum Umwelt- und Verbraucherrecht, Sander, Internationaler und europäischer Gesundheitsschutz, Baden-Baden 2004, S. 186 ff.; mit Blick auf die neuen Beitrittsländer Sander, Consumer Protection and Public Health, in: Ott/Inglis (eds.), Handbook on European Enlargement. A Commentary on the Enlargement Process, The Hague 2002, S. 867 ff.
[6] Becker, Die EuGH-Entscheidungen Decker und Kohll und deren Bedeutung für die gesetzliche Krankenversicherung in Deutschland, in: Jorens/Schulte (Hrsg.), Grenzüberschreitende Inanspruchnahme von Gesundheitsleistungen im Gemeinsamen Markt, Baden-Baden 2003, S. 51.
[7] Oppermann, Europarecht, 2. Aufl., München 1999, S. 891.
[8] von Schwanenflügel, Die Entwicklung der Kompetenzen der Europäischen Union im Gesundheitswesen, Berlin 1996, S. 10 f.
[9] Entschließung des Rates und der im Rat vereinigten Vertreter der Regierungen der Mitgliedstaaten vom 7. Juli 1986 über ein Aktionsprogramm der Europäischen Gemeinschaften gegen den Krebs (Amtsblatt der EG 1986 Nr. C 184, S. 19).
[10] Richtlinie 2004/23/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 31. März 2004 (ABl. EG 2004 Nr. L 102, S. 48); vgl. auch den Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Festlegung von Qualitäts- und Sicherheitsstandards für die Spende, Beschaffung, Testung, Verarbeitung, Lagerung und Verteilung von menschlichen Geweben und Zellen (KOM (2002) 319 endg.).
[11] Verordnung (EG) Nr. 851/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. April 2004 zur Errichtung eines Europäischen Zentrums für die Prävention und die Bekämpfung von Seuchen (ABl. EG 2004 Nr. L 142, S. 1).
[12] Entschließung des Rates und der im Rat vereinigten Vertreter der Regierungen der Mitgliedstaaten vom 7. Juli 1986 über ein Aktionsprogramm der Europäischen Gemeinschaften gegen den Krebs (ABl. EG 1986 Nr. C 184, S. 19).
[13] Zur Bedeutung des Gesundheitsschutzes in der Welthandelsorganisation seit 1995 siehe Sander, Gesundheitsschutz in der WTO – eine neue Bedeutung des Codex Alimentarius im Lebensmittelrecht?, in: Zeitschrift für europarechtliche Studien 2000, S. 335 ff.; Sander, Zwangslizenzen zur Arzneimittelherstellung in Entwicklungsländern, in: NORD-SÜD aktuell 2004, S. 125 ff.
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