Als Mitte 1997, beginnend mit der Abwertung des thailändischen Baht, die Finanz- und Währungskrise in Asien ausbrach und sich schnell auf Malaysia, Indonesien und Südkorea ausbreitete, gehörte es zu ihren Besonderheiten, daß sie völlig unerwartet und ohne Vorwarnung durch Marktbeobachter auftrat1. Zudem traf sie Länder, deren wirtschaftliche Entwicklung sich seit Jahren durch hohe Wachstumsraten des BIP auszeichnete2 und deren ökonomische Aussichten zuvor vom IWF als durchaus positiv eingeschätzt wurden3. Der Beginn der asiatischen Währungskrise bietet sich chronologisch folgendermaßen dar: Am 10 März 1997 erklärte die thailändische Regierung, notleidende Immobilienkredite in Höhe von US-$ 3,9 Mrd. von privaten Finanzinstituten erwerben zu wollen, hält diese Zusage aber nicht ein; am 28. März verfügt die Zentralbank Malaysias Beschränkungen für Immobilienkredite und Kredite, die mit Aktien abgesichert sind. Im selben Monat führt der Zusammenbruch von Sammi Stelle zu der Befürchtung, in Südkorea könnte eine Kreditkrise des privaten Sektors drohen. Anfang Mai 1997 deuten japanische Ministerialbeamte die Möglichkeit einer Zinserhöhung in Südkorea zur Stützung des Yen-Kurses an; zwar wurde die Ankündigung nie realisiert, sie führte aber zu einem Wandel der Einschätzungen internationaler Investoren in bezug auf Ostasien; es beginnt der Verkauf von südost- und ostasiatischen Währungen und Aktien. Am 14. und 15. Mai 1997 ist der thailändische Baht einer massiven Spekulation ausgesetzt, der Wechselkurs wird jedoch von den Zentralbanken Thailands und Singapurs verteidigt. Die Einschätzung der Situation Thailands durch die Gläubiger verschlechtert sich; so verfügt die thailändische Zentralbank am 27. Juni 1997 die Einstellung des Betriebs von 16 Finanzinstituten und verlangt die Vorlage von Vorschlägen zu Fusions- und Konsolidierungsplänen. Am 2. Juli 1997 erklärt die thailändische Zentralbank schließlich, daß der Wechselkurs des Baht künftig flexibel sein wird und bittet den IWF um Unterstützung. Der Baht verliert daraufhin umgehend knapp 20% an Wert und schließt auf dem Niedrigstand von 28,8 pro US-Dollar; zugleich versucht die philippinische Zentralbank mit massiven Interventionen, den Wechselkurs des Peso zu verteidigen. Die Abwertung trifft am 14. Juli auch den Ringit; die Zentralbank Malaysias stellt die Verteidigung der Ringit-Wechselkurse ein, worauf der Kurs am 24. Juli auf ein 38- Monatstief fällt.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung: Verlauf und Besonderheiten der Asienkrise
2. Leistungsbilanzdefizite
2.1 Deutung und Bedeutung von Leistungsbilanzdefiziten
2.2 Einflußfaktoren auf Leistungsbilanzdefizite
3. Analyse und Interpretation der makroökonomischen Fundamentaldaten
3.1 Leistungsbilanzdefizite
3.2 Wirtschaftswachstum und Inflationsrate
3.3 Die Sparquote
3.3.1 Die private Sparquote
3.3.2 Die staatliche Sparquote: Haushaltsdefizite
3.4 Die Investitionsraten
3.5 Die Rentabilität von Investitionen
3.6 Die Finanzierung von Investitionen
3.7 Handelsbilanz und "Offenheit"
3.8 Exportwachstum, Marktveränderungen, externe Einflüsse und reale Wechselkurse
4. Resümee
5. Anhang: Tabellen und Diagramme
6. Literaturverzeichnis
1. Einleitung: Verlauf und Besonderheiten der Asienkrise
Als Mitte 1997, beginnend mit der Abwertung des thailändischen Baht, die Finanz- und Währungskrise in Asien ausbrach und sich schnell auf Malaysia, Indonesien und Südkorea ausbreitete, gehörte es zu ihren Besonderheiten, daß sie völlig unerwartet und ohne Vorwarnung durch Marktbeobachter auftrat[1]. Zudem traf sie Länder, deren wirtschaftliche Entwicklung sich seit Jahren durch hohe Wachstumsraten des BIP auszeichnete[2] und deren ökonomische Aussichten zuvor vom IWF als durchaus positiv eingeschätzt wurden[3]. Der Beginn der asiatischen Währungskrise bietet sich chronologisch folgendermaßen dar: Am 10 März 1997 erklärte die thailändische Regierung, notleidende Immobilienkredite in Höhe von US-$ 3,9 Mrd. von privaten Finanzinstituten erwerben zu wollen, hält diese Zusage aber nicht ein; am 28. März verfügt die Zentralbank Malaysias Beschränkungen für Immobilienkredite und Kredite, die mit Aktien abgesichert sind. Im selben Monat führt der Zusammenbruch von Sammi Stelle zu der Befürchtung, in Südkorea könnte eine Kreditkrise des privaten Sektors drohen. Anfang Mai 1997 deuten japanische Ministerialbeamte die Möglichkeit einer Zinserhöhung in Südkorea zur Stützung des Yen-Kurses an; zwar wurde die Ankündigung nie realisiert, sie führte aber zu einem Wandel der Einschätzungen internationaler Investoren in bezug auf Ostasien; es beginnt der Verkauf von südost- und ostasiatischen Währungen und Aktien. Am 14. und 15. Mai 1997 ist der thailändische Baht einer massiven Spekulation ausgesetzt, der Wechselkurs wird jedoch von den Zentralbanken Thailands und Singapurs verteidigt. Die Einschätzung der Situation Thailands durch die Gläubiger verschlechtert sich; so verfügt die thailändische Zentralbank am 27. Juni 1997 die Einstellung des Betriebs von 16 Finanzinstituten und verlangt die Vorlage von Vorschlägen zu Fusions- und Konsolidierungsplänen. Am 2. Juli 1997 erklärt die thailändische Zentralbank schließlich, daß der Wechselkurs des Baht künftig flexibel sein wird und bittet den IWF um Unterstützung. Der Baht verliert daraufhin umgehend knapp 20% an Wert und schließt auf dem Niedrigstand von 28,8 pro US-Dollar; zugleich versucht die philippinische Zentralbank mit massiven Interventionen, den Wechselkurs des Peso zu verteidigen. Die Abwertung trifft am 14. Juli auch den Ringit; die Zentralbank Malaysias stellt die Verteidigung der Ringit-Wechselkurse ein, worauf der Kurs am 24. Juli auf ein 38-Monatstief fällt. Am 13. August gerät dann auch die indonesische Rupie unter Druck und fällt auf den historischen Tiefststand von R 2682 pro US-Dollar; bis zum 6. Oktober fällt der Kurs weiter auf R 3845 pro US-Dollar. Schließlich breitet sich am 6. November die Krise unmittelbar auf Südkorea aus. Die koreanische Zentralbank versucht zwar, den Wechselkurs des Won zu stützen, am 20. November fällt der Won aber um die erlaubten 10% der erweiterten Bandbreite auf 1139 pro US-$, woraufhin alle Währungen der Regionen weiter unter Druck geraten.
Anhand dieses kurzen Abrisses des Beginns der asiatischen Währungskrise stellt sich die Frage, was zu ihrem plötzlichen Auftreten und ihrer raschen Ausbreitung auf mehrere asiatische Länder (Thailand, Malaysia, Indonesien und Südkorea) geführt haben kann, und insbesondere, was sich in der ökonomischen Struktur und den makroökonomischen Fundamentaldaten der betroffenen Volkswirtschaften verändert haben könnte im Zeitraum zwischen dem "Wunder" anhaltend hoher Wachstumsraten und der Währungskrise (vgl. Frankel 1998, S. 4). Daraus ergibt sich die Leitfrage, welchen Anteil Leistungsbilanzdefizite am Ausbruch der asiatischen Währungskrise haben, verbunden mit der Frage, wodurch Leistungsbilanzdefizite verursacht wurden und wie sie im konkreten Fall zu bewerten sind. Um die Fähigkeit eines Landes, ein Leistungsbilanzdefizit zu tragen, einschätzen zu können, werde ich mehrere makroökonomische Einflußfaktoren untersuchen: Wirtschaftswachstum und Inflationsraten, insbesondere private und öffentliche Sparquoten und die Investitionsraten; ein Schwerpunkt der Untersuchung wird einerseits auf der Rentabilität von Investitionen, andererseits auf externen Einflüsse liegen, insbesondere dem Exportwachstum und dem Einfluß der realen Wechselkurse. Dabei geht es zum einen um eine Analyse der Daten der betroffenen Länder, andererseits um ihre Bewertung und Interpretation hinsichtlich des Zusammenhangs von Leistungsbilanzdefiziten mit dem Ausbruch der Währungskrise. Abschließend werde ich anhand der aufgezeigten Daten ein vorläufiges Resümee der Bedeutung von Leistungsbilanzdefiziten und makroökonomischen Fundamentaldaten für den Ausbruch der Krise ziehen.
2. Leistungsbilanzdefizite
2.1 Deutung und Bedeutung von Leistungsbilanzdefiziten
Die Leistungsbilanz setzt sich zusammen aus der Handelsbilanz, also dem Saldo aus Importen und Exporten von Gütern, und der Dienstleistungsbilanz, in der auch der Zinsdienst erfaßt wird. In der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung gleichen sich Leistungsbilanzsaldo und Kapitalverkehrsbilanzsaldo gegenseitig aus, d. h. ein Überschuß in der Leistungsbilanz entspricht einem Defizit in der Kapitalverkehrsbilanz, d. h. einem Export von Kapital, und umgekehrt. Daneben gilt, daß die Nettoauslandsinvestition dem Leistungsbilanzsaldo entsprechen muß (S – I = NX). Sind S – I und NX positiv, dann liegt ein Leistungsbilanzüberschuß vor. In diesem Fall ist das Inland an den Weltfinanzmärkten Nettodarlehensgeber und exportiert mehr Güter als es importiert; im umgekehrten Fall liegt ein Leistungsbilanzdefizit vor, d. h. das Inland ist an den Weltfinanzmärkten Nettodarlehensnehmer und importiert mehr Güter als es exportiert (vgl. Mankiw 1998, S. 209). Leistungsbilanzdefizite bedeuten somit, daß ein Land ausländisches Kapital aufnimmt, d. h. sich im Ausland verschuldet. Weiterhin gilt, daß die Summe aus Leistungsbilanzsaldo und Kapitalverkehrsbilanzsaldo der Veränderung der Devisenbilanz entsprechen muß[4]. Reicht der Kapitalfluß aus dem Ausland nicht aus, ein Leistungsbilanzdefizit zu finanzieren, so muß bei der Zentralbank ausländische Währung nachgefragt werden, um den Überschuß importierter Leistungen zu finanzieren (vgl. Krugman 1997, S. 320f.). Da die Zahlungsbilanz stets ausgeglichen ist, bedeutet ein Leistungsbilanzdefizit eine Ansammlung von ausländischem Vermögen, d. h. entweder liegt ein Kapitalbilanzüberschuß vor (Kapitalimport) oder eine Abnahme der Währungsreserven der Zentralbank (vgl. Krugmann 1997, S. 322). Damit beeinflussen Leistungsbilanzsalden auch die Fähigkeit der Zentralbank, in einem System fester Wechselkurse die heimische Währung gegen Abwertungen zu stützen.
Leistungsbilanzdefizite sind allerdings in zwei Hinsichten kontrovers zu interpretieren: Zum einen ist die Bewertung von Leistungsbilanzdefiziten umstritten. Ob Leistungsbilanzdefizite hinsichtlich der langfristigen ökonomischen Entwicklung eines Landes gefährlich und welche spezifischen Risiken mit Leistungsbilanzdefiziten verbunden sind, ist pauschal nicht einzuschätzen, sondern unterliegt einer Vielzahl anderer Faktoren (vgl. Krugman 1997, 538f.). Dennoch kann man Leistungsbilanzsalden eine Indikatorfunktion unterstellen, sofern hohe, dauerhafte Defizite auf strukturelle makroökonomische Probleme verweisen können (vgl. Hesse 1990, 44f.). Zum anderen ist mit der Frage nach der Bewertung von Leistungsbilanzdefiziten die Deutung der Leistungsbilanz selbst verbunden. Sie läßt sich einerseits als Ergebnis der Handelsbilanz zuzüglich der Dienstleistungsbilanz und der Summe von Übertragungen und Transferleistungen definieren. Die Kapitalverkehrsbilanz muß dann als Ergebnis der Leistungsbilanz angesehen werden, d. h. eine Ökonomie erzielt Defizite im Warenhandel sowie bei Dienstleistungen und muß daher Kapital importieren. Andererseits kann man die Leistungsbilanz als Differenz zwischen Ersparnis und Investitionen des Inlandes betrachten. Ein Überschuß in der Kapitalverkehrsbilanz und ein Leistungsbilanzdefizit entstehen dann dadurch, daß mehr investiert als gespart wird und Kapital importiert werden muß. Demnach sind nicht Entwicklungen des Warenhandels, sondern Investitionsentscheidungen die ausschlaggebenden Faktoren, d. h. Kapitalimporte verursachen Leistungsbilanzdefizite.
Daran schließt sich die Frage an, in welche Krisenmodellen Leistungsbilanzdefizite als wesentliche Ursache für den Ausbruch und den Verlauf von Währungs- und Finanzkrisen betrachtet werden. Nachdem die Entwicklung der Asienkrise ihr Ausmaß aufzeigte, boten sich mehrere Erklärungsansätze an: erstens die These, Veränderungen der internationalen Marktverhältnisse könnten die Ursache sein, zweitens die Ansicht, wachsende Schwächen der betroffenen Volkswirtschaften könnten die Finanzkrise ausgelöst haben, und schließlich der Vorwurf, die Instabilität der internationalen Kapital- und Finanzmärkte sei verantwortlich zu machen (vgl. Radelet und Sachs 1998a, S. 29). In diesem Sinne lassen sich grob zwei Interpretationsrichtungen unterscheiden (vgl. Corsetti/Pesenti/Roubini 1998a, S. 1): In dem einen Modell werden plötzliche Veränderung der Markterwartungen und des Marktvertrauen betont, so daß die Krise nicht an der Verschlechterung makroökonomischer Fundamentaldaten festgemacht wird, sondern an der Panik von Investoren, verstärkt durch die Reaktion des IWF. Das andere Modell sieht die Krise wesentliche durch makroökonomische Ungleichgewichte ausgelöst, so daß die asiatische Währungskrise wesentliche strukturelle makroökonomische Defizite widerspiegelt, wenn auch mit der Einschränkung, Überreaktion und "Herdentrieb" des Finanzmarktes hätten die Krise über das von Fundamentaldaten zu erwartende Maß hinaus verstärkt[5]. In dieser Sichtweise spielen demnach makroökonomische Daten, insbesondere Leistungsbilanzdefizite, eine entscheidende Rolle für den Ausbruch von Währungs- und Finanzkrisen. Ein derartiger Zusammenhang könnte zum einen darin bestehen, daß Leistungsbilanzdefizite die Fähigkeit eines Landes, seine Wechselkurse zu verteidigen, unterminieren. Zum anderen können schlechte Fundamentaldaten Anlaß zum Abzug von ausländischem Kapital sein und zu einer veränderten Einschätzung eines Landes durch die Finanzmärkte führen, was zugleich spekulative Attacken auf den Wechselkurs eines Landes wahrscheinlicher macht. Wird die Bedeutung von Leistungsbilanzdefiziten für den Ausbruch von Währungskrisen betont, ist zweierlei nachzuweisen: Erstens, daß Defizite einen kausalen und wesentlichen Anteil am Ausbruch der Krise haben und statistisch eng mit Währungskrisen verbunden sind; zweitens, daß in den betroffenen Ländern Defizite ein Ausmaß angenommen haben, daß langfristig nicht aufrechtzuhalten war und die Zahlungsfähigkeit des Landes gefährdete.
2.2 Einflußfaktoren auf Leistungsbilanzdefizite
Eine Einschätzung der Bedeutung von Leistungsbilanzdefiziten muß sich vor allem auf die Frage konzentrieren, ob das Defizit dauerhaft tragbar ist. Tragbar sind Defizite nach Corsetti, Pesenti und Roubini (1998a, S. 10), wenn sie durch eine positive Veränderung der Handelsbilanz ohne Berücksichtigung veränderter makroökonomischer Politik oder auftretender externe Krisen kompensiert werden können. Bei der Betrachtung der makroökonomischen Daten der asiatischen Krisenländer ist zu beachten, daß es keine allgemeinen Kriterien dafür gibt, wann Leistungsbilanzdefizite einen Umfang annehmen, der langfristig nicht tragbar ist (vgl. Corsetti, Pesenti und Roubini 1998a, S. 8). Auch das Kriterium der langfristigen Zahlungsfähigkeit eines Landes, also die Fähigkeit, Auslandsschulden in absehbarer Zeit zu begleichen, besitzt nur eingeschränkte Aussagekraft, denn Leistungsbilanzdefizite sagen nichts über die zukünftige Entwicklung der Leistungsbilanz und der Auslandsschulden aus. Ein Land kann zugleich große Leistungsbilanzdefizite besitzen und dennoch zahlungsfähig bleiben, wenn es in Zukunft Überschüsse erzielt. Die Fähigkeit eines Landes, ein Leistungsbilanzdefizit zutragen, wird vielmehr durch die Zusammensetzung bzw. die Ursachen des Defizits selbst beeinflußt: Ein großes Handelsbilanzdefizit kann problematischer sein als der Import von Kapital, da Handelsbilanzdefizite Anzeichen für strukturelle Probleme eines Landes, insbesondere mangelnde Konkurrenzfähigkeit, sein können. Umgekehrt können geringe Handelsbilanzdefizite oder sogar Überschüsse darauf hinweisen, daß in Zukunft ein Ausgleich des Defizits durch wachsende Exporte möglich ist. Die Analyse, ob ein Land langfristig ein Leistungsbilanzdefizit tragen kann, konzentriert sich daher auf mehrere makroökonomische Fundamentaldaten, wie das Wachstum des BIP. Traditionell werden Defizite als tragbar angesehen, wenn sie mit hohen Wachstumsraten einher gehen, die als wachsende Fähigkeit des Landes, seine Auslandsschulden zu begleichen, verstanden werden und zu einem geringeren Wachstum der Auslandsschulden im Verhältnis zum BIP führen. Als aussagekräftiges Kriterium zur Einschätzung der langfristigen Zahlungsfähigkeit wird von Corsetti, Pesenti und Roubini (1998a, S. 9f.) das Verhältnis zwischen Handelsbilanz und den Handelsüberschüssen herangezogen, die zur Stabilisierung des Verhältnisses von (Auslands-) Schulden zum BIP nötig sind ("resource balance gap")[6].
Verbunden mit dem Kriterium der Zusammensetzung und der Entstehung eines Leistungsbilanzdefizits sind Investitionsraten und Sparquoten. Dabei wird eine Verringerung der staatlichen Sparquote, verbunden mit einem höheren Haushaltsdefizits, als problematischer angesehen als ein Sinken der privaten Sparquote. Ein Haushaltsdefizit kann auf strukturelle fiskalpolitische Probleme verweisen, die nur schwer zu beheben sind und insofern erheblichen Anteil an dem Auftreten eines nicht tragbaren Leistungsbilanzdefizits besitzen. Demgegenüber kann ein Rückgang der privaten Sparquote durch optimistische Erwartungen auf hohes Wirtschaftswachstum und steigende Einkommen ausgelöst und gegebenenfalls durch höhere Sparquoten in der Zukunft kompensiert werden. Traditionell wird die Aufnahme von Auslandsschulden als ungefährlich angesehen, wenn das Kapital für Investitionen und nicht für den Konsum verwendet wird; ein Leistungsbilanzdefizit mit einher gehendem Rückgang der Sparquote erscheint demnach eher als problematisch als ein Defizit, das mit einem Anstieg der Investitionsquote verbunden ist. Dabei ist allerdings zu fragen, um welche Art von Investitionen es sich handelt (vgl. Corsetti, Pesenti und Roubini 1998a, S. 13), d. h., nicht die Quantität, sondern die Qualität von Investitionen ist entscheidend. Investitionen, die nicht die Produktivität in Wirtschaftszweigen steigern, die im Außenhandel Überschüsse erzielen können, sondern z. B. in Immobilien fließen, steigern nicht die Fähigkeit eines Landes, seine Auslandsschulden bzw. sein Leistungsbilanzdefizit durch Handelsbilanzüberschüsse abzubauen. Weiterhin kommt es auch auf die Art der Finanzierung von Investitionen an: Leistungsbilanzdefizite erscheinen eher unbedenklich, wenn das Defizit vor allem durch ausländische Direktinvestitionen finanziert wird, und problematischer, wenn der Anteil kurzfristiger Kapitalzuflüsse groß ist, die bei plötzlichen Veränderungen schnell abgezogen werden können.
Als weiteren Einflußfaktor ist die inländische Inflationsrate zu nennen. Eine nationale Inflationsrate oberhalb der ausländischen Inflationsrate führt dazu, daß die nationale Währung abgewertet wird[7] ; besitzt ein Land gleichzeitig feste Wechselkurse, die mit einer Aufwertung des realen Wechselkurses einher gehen, unterminiert eine hohe Inflationsrate die Glaubwürdigkeit des festen Wechselkurssystems. Schließlich spielen die Offenheit und Exportorientierung eines Landes für die Bewertung eines Leistungsbilanzdefizites eine Rolle, da große Exporte im Verhältnis zum BIP die Fähigkeit des Landes vergrößern, seinen Schuldverpflichtungen nachzukommen und Erlöse in ausländischer Währung zu erwerben. Da Offenheit auch eine große Abhängigkeit von internationalen Kapitalmärkten bedeuten kann, ist aus Sicht der ausländischen Gläubiger bei "offenen" Volkswirtschaften die Wahrscheinlichkeit größer, daß ein Land seine ausländischen Verbindlichkeiten begleicht; zugleich steigt die Verletzlichkeit durch eine protektionistische Politik des Auslandes und die Verschlechterung der "terms of trade". Schließlich ist die Bedeutung der realen Wechselkurse[8] für die Entwicklung und die Bewertung der Leistungsbilanz zu erwähnen. Mit der Aufwertung der realen Wechselkurse ist ein Verlust an Konkurrenzfähigkeit, eine Verschlechterung der Handelsbilanz und damit ein größeres, auf Dauer nicht aufrechtzuerhaltendes Leistungsbilanzdefizit verbunden.
3. Analyse und Interpretation der makroökonomischen Fundamentaldaten
3.1 Leistungsbilanzdefizite
Die Analyse der Leistungsbilanzdefizite der von der Währungskrise besonders betroffenen Länder (Thailand, Malaysia, Indonesien und Südkorea) zeigt, daß diese Länder im betrachteten Zeitraum von 1990 bis 1996 durchweg Leistungsbilanzdefizite aufwiesen. So betrugen die Leistungsbilanzdefizite Thailands im Zeitraum jeweils zwischen 5% und 8% des BIP und erreichten 1995/96 mit jeweils 8,1% einen Höhepunkt; in Malaysia erreichten die Defizite 1991 und 1995 mehr als 8% des BIP und fielen 1996 auf 4,9% (siehe Tabelle2 und Diagramm2). In Erinnerung zu halten ist hier, daß Thailand und Malaysia diejenigen Länder sind, die von der Währungskrise frühzeitig erfaßt wurden; die massive Abwertung der Währungen der Krisenländer ging von der Abwertung des thailändischen Baht aus. Indonesien hingegen zeichnete sich in den 90ern durch vergleichsweise geringe Defizite aus; die Leistungsbilanzdefizite sanken von 2,8% im Jahr 1990 auf 1,3% im Jahr 1994 und stiegen bis 1996 auf 3,3% an. Auffällig ist ebenfalls, daß Südkorea zwischen 1990 und 1995 Defizite von lediglich 0,6% bis 2,8% zu verzeichnen hatte – mit einem Überschuß von 0,3% im Jahr 1993 – und erst im Jahr 1996 unmittelbar vor Ausbruch der Krise ein wachsendes Defizit von 4,8% aufwies. Gerade von der Währungskrise nur geringfügig betroffene Länder, wie Singapur, Taiwan und China besaßen in den 90ern große bzw. moderate Leistungsbilanzüberschüsse (siehe Tabelle2). Bemerkenswert ist zudem, daß zwischen 1985 und 1989 die Krisenländer durchschnittlich ein Leistungsbilanzüberschuß von 0,3% des BIP besaßen, mit einem Überschuß Südkoreas von 4,3% und Malaysias von 2,4% des BIP, während die Leistungsbilanzdefizite der Krisenländer zwischen 1990 und 1996 bei durchschnittlich 4% lagen (vgl. Radelet und Sachs 1998b, S. 14). Diese Verschlechterung der Leistungsbilanz wirft die Frage auf, welche Faktoren im Zusammenhang mit den aufgezeigten Veränderungen in der Tendenz der Leistungsbilanz stehen. Durch welche Entwicklungen sind die Leistungsbilanzdefizite der von der Krise betroffenen Länder zustande gekommen? Welchen Anteil hat die Rentabilität getätigter Investitionen, die Entwicklung der Handelsbilanz und der Einfluß externer Faktoren, wie z. B. Aufwertung der realen Wechselkurse und veränderte Marktverhältnisse? Dabei ist zu berücksichtigen, daß Indonesien und Südkorea, die Länder mit den geringsten Defiziten, am stärksten von der Krise betroffen waren, während Malaysias Defizit in der Zeit vor der Krise gesunken ist (von 8,4% im Jahr 1995 auf 4,9% im folgenden Jahr).
Offensichtlich gibt es keine eindeutige Korrelation zwischen Leistungsbilanzdefiziten und dem Ausmaß der Währungsabwertungen während der Asienkrise; dadurch wird die Bewertung und Interpretation der Defizite zusätzlich erschwert. Insbesondere Corsetti, Pesenti und Roubini (1998, S. 6) vertreten aber die These, die in mehreren asiatischen Volkswirtschaften zu beobachtenden Leistungsbilanzdefizite könnten für die Reaktion der Finanzmärkte und damit für den Verlauf der Krise eine wichtige Rolle gespielt haben; insbesondere Thailand und Malaysia hätten sich in den Jahren vor Ausbruch der Währungskrise durch ein über ein Jahrzehnt anhaltendes Leistungsbilanzdefizit ausgezeichnet. Sie betonen, daß anhaltende Leistungsbilanzdefizite über 5% des BIP als bedenklich angesehen werden könnten, und verweisen darauf, daß die von der Währungskrise betroffenen Länder gerade diejenigen sind, die zuvor anhaltend große Leistungsdefizite aufwiesen (Corsetti, Pesenti und Roubini 1998a, S. 7). So habe die Aufwertung des Dollar relativ zu den Währungen der entsprechenden Länder zwischen 52% (Malaysia, Philippinen) und 151% (Indonesien) gelegen, während Länder mit geringen Defiziten oder Leistungsbilanzüberschüssen wie China, Singapur und Taiwan keine vergleichbaren Abwertungen hinnehmen mußten. Der Zusammenhang von Währungsabwertung und Leistungsbilanzdefiziten, den Corsetti, Pesenti und Roubini behaupten, wirft an dieser Stelle aber bereits die Frage auf, wieso gerade Länder mit relativ moderaten Defiziten wie Südkorea und Indonesien zu den von der Abwertung am stärksten betroffenen Ländern zählen.
[...]
[1] In diesem Sinne Radelet und Sachs (1998b, S. 10 und 1998a, S. 2) und Dieter (1999, S. 15). Goldstein (1998, S. 19) verweist darauf, daß auch internationale Rating-Agenturen wie Moody's und Standard & Poor's ebenso wie private Investoren den Beginn der Krise buchstäblich "verschlafen" haben.
[2] Zu den wenigen kritischen Stimmen über das "Wunder" anhaltend hohen Wirtschaftswachstums gehörte insb. Krugman (1994), der in seiner Schrift "The Myth of Asia's Miracle" die außerordentlichen Wachstumsraten nicht auf einen Anstieg der Produktivität, sondern auf das Wachstum der Input-Faktoren zurückführte.
[3] So urteilte der IWF im Resümee der im Juli 1996 durchgeführten Artikel IV-Konsultationen mit Thailand (IWF 1997, S. 105):
Die Direktoren lobten in den höchsten Tönen Thailands beeindruckende wirtschaftliche Entwicklung und die von den Behörden beständig durchgehaltene solide Makropolitik. Sie erwähnten, daß die Finanz- und Geldpolitik als Reaktion auf die Vergrößerung des Leistungsbilanzdefizits und den Inflationsanstieg 1995 gestrafft worden seien und daß dies bereits erste Ergebnisse zeitigte...
[4] In Formeln: LB + KB = dDB. (Leistungbilanzsaldo + Kapitalbilanzsaldo = Veränderung der Devisenbilanz)
[5] Eine Klassifikation von fünf Idealtypen von Währungskrisen bieten hier Radelet und Sachs (1998b, S. 3f.): erstens Krisen durch die makroökonomische Politik des Staates ("macoeconomic policy-induced crisis"), insbesondere der Zentralbank; zweitens Krisen durch die Panik der Finanzmärkte ("financial panic"); drittens Krisen durch den Zusammenbruch von Spekulationsblasen ("bubble collapse"); viertens Krisen, die durch "Abenteurertum" zustande kommen, ("moral-hazard crisis") d. h. leichtfertige Kreditvergabe auf der Grundlage staatlicher Garantien; schließlich fünftens Krisen aufgrund von Schuldenüberhang und mangelnde Koordination der Gläubiger ("disorderly workout"). Krugman (1998c, S. 4) schließlich unterscheidet Krisenmodelle der ersten und der zweiten Generation, wobei beide davon ausgehen, daß Währungskrisen durch eine inkonsistente staatliche Politik provoziert werden, die die Tragfähigkeit eines fixierten Wechselkurses langfristig unmöglich macht, und insofern makroökonomisch fundiert sind.
[6] Ein stabiles Verhältnis der Auslandsschulden zum BIP ist Voraussetzung für langfristige Zahlungsfähigkeit eines Landes
[7] Dies ergibt sich daraus, daß der reale Wechselkurs dem Produkt aus nominalem Wechselkurs und dem Verhältnis der Preisniveaus von Inland und Ausland entspricht; eine prozentuale Änderung des nominalen Wechselkurses entspricht damit dem Produkt aus prozentualer Änderung des realen Wechselkurses und der Differenz der Inflationsraten (vgl. Mankiw 1998, S. 227f.).
[8] Der reale Wechselkurs errechnet sich aus dem Produkt von nominalem Wechselkurs und den Preisnivau zweier Länder [e = e * (P/P*)]. Ist der reale Wechselkurs hoch, dann sind ausländische Güter relativ billit und heimische Güter relativ teuer; von daher sind die Nettoexporte eines Landes negativ vom realen Wechselkurs abhängig (vgl. Mankiw 1998, S. 220f.).
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