I Einleitung
In "Geld und Magie. Deutung und Kritik der modernen Wirtschaft anhand von Goethes 'Faust'" versucht sich Hans Christoph Binswanger an einer Interpretation des zweiten Teiles des Faust, die sich betont von der idealistischen Goetheauslegung distanziert und das Drama als eine Allegorie der modernen Wirtschaft liest. Ausgehend von einer Analyse des alchemistischen Prozedere untersucht Binswanger, wie im Verlauf des Dramas Elemente der Alchemie motivisch wiederkehren und Goethes Sichtweise der modernen Wirtschaft bestimmen; im zweiten Teil (Binswanger 92 - 146) steht das Verhältnis von Wirtschaft und Zeit bzw. die Verbindung von Wirtschaft, Wissenschaft und Kunst mit der Überwindung der Vergänglichkeit im Vordergrund. Der dritte Teil setzt sich schließlich mit Goethes Verhältnis zur Ökonomie und dessen ökonomischer Kompetenz auseinander und zieht sie als Beleg für die dezidiert ökonomisch-gesellschaftliche Interpretation heran. Das Anliegen ist eine Analyse der modernen Gesellschaft und Wirtschaft, insbesondere in ihrem Verhältnis zum Geld, vor dem Hintergrund einer Faust-Interpretation. Als Nicht-Philologe und Volkswissenschaftler betrachtet Binswanger das Drama dabei unter einem anderen Blickwinkel.
Gleich zu Anfang seiner Darlegungen stellt Binswanger die These auf, im Mittelpunkt von Goethes Faust stehe die Faszination der Wirtschaft, die als alchemistischer Prozeß oder als "Suche nach den künstlichen Gold" erklärt wird (Binswanger 9). Auch der historische Faust sei, wie der fiktive, ein Alchemist, ein "Schwarzkünstler" gewesen, der sich in fürstliche Dienste begab, um künstliches Gold herzustellen. Der Begriff der Alchemie und sie selbst als Wissenschaft stammten wahrscheinlich aus Ägypten; etymologisch habe sich das Wort aus "Kem" oder "Chem" entwickelt, also der Bezeichnung für "schwarze Erde Ägyptens"; "schwarz" habe möglicherweise als Metapher für das Geheimnisvolle und Mysteriöse dieser Kunst gedient (Binswanger 11). Zentrales Mittel bei der Herstellung künstlichen Goldes sei dabei der "Stein der Weisen" als wesentlicher Katalysator des chemischen Prozesses, bei dem ein unedles Metall wie Blei (als Symbol der Vergänglichkeit) in Gold, das Symbol des Dauerhaften und Unvergänglichen, umgewandelt wird. Dieser Bezug der Alchemie zur Zeit bzw. zum Ausbruch des Menschen aus der Vergänglichkeit ist zugleich der Anlaß für Binswangers Analyse des Verhältnisses der Wirtschaft und der modernen Gesellschaft zur Zeit. [...]
Inhaltsverzeichnis
- I Einleitung
- II Der alchemistische Gehalt des Faust
- III Geldkapital, Mehrwert und der "Stein der Weisen"
- IV Alchemie - die Wertschöpfung aus dem Nichts
- V Die Alchemie der Wirtschaft als Prinzip der modernen Gesellschaft?
- VI Wirtschaft und Transzendenz
- VII Binswanger und die marxistische Goethe-Interpretation
- VIII Zeit und Zeitlichkeit in der modernen Gesellschaft: die Wissenschaft
- IX Die Zeitlichkeit der Kunst als Alternative
- X Zeit und Wirtschaft
- ΧΙ Goethe-ein Volkswirtschaftler?
- XII Resümee
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Die Seminararbeit „Binswanger: Geld und Magie. Deutung und Kritik der modernen Wirtschaft anhand von Goethes Faust" von Jochen Müller analysiert die Interpretation des zweiten Teils von Goethes Faust durch Hans Christoph Binswanger. Binswanger betrachtet das Drama nicht aus idealistischer Perspektive, sondern als Allegorie der modernen Wirtschaft. Er untersucht, wie Elemente der Alchemie die Sichtweise Goethes auf die moderne Wirtschaft prägen. Im zweiten Teil der Arbeit liegt der Fokus auf dem Verhältnis von Wirtschaft und Zeit sowie der Verbindung von Wirtschaft, Wissenschaft und Kunst im Kontext der Überwindung der Vergänglichkeit. Der dritte Teil widmet sich Goethes Verhältnis zur Ökonomie und dessen ökonomischer Kompetenz. Die Arbeit zielt darauf ab, die moderne Gesellschaft und Wirtschaft, insbesondere in ihrem Verhältnis zum Geld, vor dem Hintergrund einer Faust-Interpretation zu analysieren.
- Die alchemistische Interpretation des zweiten Teils von Goethes Faust
- Die Verbindung von Wirtschaft und Alchemie
- Das Verhältnis von Wirtschaft und Zeit
- Goethes ökonomische Kompetenz
- Die Rolle des Geldes in der modernen Gesellschaft
Zusammenfassung der Kapitel
Die Einleitung stellt die Interpretation von Binswanger vor, die sich deutlich von der idealistischen Goetheauslegung abhebt und das Drama als eine Allegorie der modernen Wirtschaft liest. Kapitel II untersucht den alchemistischen Gehalt des Faust, wobei die beiden Teile des Dramas auf das Prozedere der Alchemie übertragen werden: der erste Teil auf die Wiederverjüngung (Liebe) und der zweite auf die Herstellung künstlichen Goldes (Wirtschaft). Kapitel III analysiert den Bezug zwischen Geldkapital, Mehrwert und dem "Stein der Weisen". Es wird argumentiert, dass der "Stein der Weisen" in der modernen Wirtschaft durch die Schaffung von Mehrwerten aus dem Nichts realisiert wird.
Kapitel IV betrachtet die Alchemie als Prinzip der Wertschöpfung aus dem Nichts und argumentiert, dass die Wirtschaft insofern alchemistisch ist, als sie einen Prozess ermöglicht, der Wert ohne entsprechende Anstrengung schafft. Kapitel V untersucht die Alchemie der Wirtschaft als Prinzip der modernen Gesellschaft. Kapitel VI thematisiert das Verhältnis von Wirtschaft und Transzendenz. Kapitel VII beleuchtet Binswangers Interpretation im Kontext der marxistischen Goethe-Interpretation.
Schlüsselwörter
Die Seminararbeit beschäftigt sich mit der alchemistischen Interpretation von Goethes Faust, der modernen Wirtschaft, dem Verhältnis von Wirtschaft und Zeit, der Geldkapitalismus, der Mehrwert, der "Stein der Weisen" und der Bedeutung von Zeitlichkeit in der Kunst. Die Arbeit zielt darauf ab, das Verhältnis von Wirtschaft und Gesellschaft im Kontext einer alchemistischen Betrachtungsweise zu analysieren.
- Quote paper
- Jochen Müller (Author), 1996, Binswanger: Geld und Magie. Deutung und Kritik der modernen Wirtschaft, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/33043