Nachdem wir uns im Seminar mit verschiedenen didaktischen Modellen auseinandergesetzt haben, möchte ich mich nun intensiver mit den entwicklungspsychologischen Aspekten einer Gruppenarbeit innerhalb des Unterrichtsgeschehens befassen und mich hierbei vor allem auf die Ausführungen des Genfer Psychologen JEAN PIAGET beziehen. Meiner Arbeit liegen der Auszug des Buches: „Jean Piaget: Psychologische Anmerkungen zur Gruppenarbeit“ unseres Seminarreaders (S.140-145), sowie Sekundärliteratur, die im Literaturverzeichnis aufgelistet wird, zu Grunde. Nachdem sich Piaget bereits in sehr frühen Jahren mit den Verhaltensweisen von Weichtieren und deren Anpassungsformen an ihre Umwelt beschäftigte, sollten Jahre später die Menschen, insbesondere auch seine eigenen Kinder, die Beobachtungsobjekte sein, an denen er nun Untersuchungen zur geistigen Reifung vornahm. Begriffe wie Äquilibration , Akkomodation, Assimilation sowie eine Darstellung der menschlichen kognitiven Entwicklung in einem Stufenschema sind bedeutsam für seine Arbeiten. In wiefern nun z.B. Gruppenarbeit die Äquilibration positiver beeinflussen kann als Frontalunterricht oder warum sie erst ab einer bestimmten Entwicklungsstufe effektiv ist, möchte ich im weiteren Verlauf dieser Arbeit erläutern.
Inhalt
I. Einleitung.
II. Gruppenarbeit contra Frontalunterricht
III. Überwindung des Egozentrismus durch Gruppenarbeit
IV. Erlernen von Regeln in der Gruppe ¾ Weiterentwicklung von Schemata
V. Gruppenarbeit ist erst ab einer bestimmten Entwicklungsstufe sinnvoll
VI. Vermeintliches Risiko der Gruppenarbeit oder das zum Scheitern verurteilte Teamwork
VII. Persönliche Stellungnahme
VIII. Glossar (Erklärung der wichtigsten Fachbegriffe) ).
IX. Literaturverzeichnis
I. Einleitung
Nachdem wir uns im Seminar mit verschiedenen didaktischen Modellen auseinandergesetzt haben, möchte ich mich nun intensiver mit den entwicklungspsychologischen Aspekten einer Gruppenarbeit innerhalb des Unterrichtsgeschehens befassen und mich hierbei vor allem auf die Ausführungen des Genfer Psychologen Jean Piaget beziehen. Meiner Arbeit liegen der Auszug des Buches: „Jean Piaget: Psychologische Anmerkungen zur Gruppenarbeit“ unseres Seminarreaders (S.140-145), sowie Sekundärliteratur, die im Literaturverzeichnis aufgelistet wird, zu Grunde.
Nachdem sich Piaget bereits in sehr frühen Jahren mit den Verhaltensweisen von Weichtieren und deren Anpassungsformen an ihre Umwelt beschäftigte, sollten Jahre später die Menschen, insbesondere auch seine eigenen Kinder, die Beobachtungsobjekte sein, an denen er nun Untersuchungen zur geistigen Reifung vornahm. Begriffe wie Äquilibration *, Akkomodation, Assimilation sowie eine Darstellung der menschlichen kognitiven Entwicklung in einem Stufenschema sind bedeutsam für seine Arbeiten.
In wiefern nun z.B. Gruppenarbeit die Äquilibration positiver beeinflussen kann als Frontalunterricht oder warum sie erst ab einer bestimmten Entwicklungsstufe effektiv ist, möchte ich im weiteren Verlauf dieser Arbeit erläutern.
II. Gruppenarbeit contra Frontalunterricht
Aus der Sicht Piagets erfolgt eine kognitive Weiterentwicklung der Kinder nicht durch passives Zuhören oder bloßer Reflexion der Inhalte, die ihnen durch einen Lehrervortrag vermittelt werden, sondern durch kreatives Handeln und eigenen Einsatz[1], denn „Das Kind ist [...] kein passives Wesen, dessen Hirn es vollzustopfen gilt, sondern ein aktives Wesen, das in seiner spontanen Suche nach dem Wissen gefördert werden will.“[2] Demzufolge wäre der klassische Frontalunterricht wider die natürlichen Lernbedürfnisse der Kinder. Der Frontalunterricht geht zudem von einer falschen Prämisse aus, denn die Denkstrukturen eines Kindes sind nicht gleich der eines Erwachsenen, vielmehr müssen sie sich erst noch, z.B. durch Äquilibrationsprozesse, ausbilden[3]. So kann ein Grundschulkind in der konkret operativen Phase abstrakte Formulierungen oder Beschreibungen des Lehrers noch gar nicht erfassen, da es erst ab einem Alter von ca. 12 Jahren, ohne konkretes Anschauungsmaterial zur Verfügung zu haben, Abstraktionen zu folgen versteht. Nicht die „Autorität des Lehrers“[4] selbst, sondern die Organisation einer Gruppenarbeit kann die Entwicklung der Denkprozesse fördern, denn ein Mensch kann sich nur dann weiterentwickeln, wenn er diverse Inhalte und Aspekte immer wieder von einer anderen Seite neu betrachtet[5], wozu jedes Individuum in einer heterogenen Gruppe zwangsläufig aufgefordert wird. Ein Kind befindet sich nämlich im Ungleichgewicht, wenn es mit Situationen konfrontiert wird, die es nicht verstanden hat. Um wieder einen Gleichgewichtszustand herzustellen, muss es entweder assimilieren, d.h. „gewohnte Denk- und Handlungsweisen auf ein neues oder vertrautes Problem anwenden“, oder aber akkomodieren (bisherige Denk- und Handlungsweisen verändern, um neu auftretende Probleme lösen zu können), wenn das aufgetretene Phänomen in der Gruppe mit dem bisherigen „Weltbild“ des Kindes überhaupt nicht übereinstimmt.6 Da die Äquilibration aus der eigenen Aktivität des Kindes, d.h. aus der selbst regulierten, ständigen Auseinandersetzung mit der Umwelt resultiert, fördert ein Gruppenprozess die kognitive Entwicklung des Kindes mehr als der Frontalunterricht, da das Kind nun viel mehr die Möglichkeit hat, sich aktiv, aus eigenem Antrieb heraus, mit der Umwelt auseinander zu setzen.
Ein weiterer wichtiger Grund für die Gruppenarbeit ist die Ausbildung der menschlichen Vernunft. Entgegen der früheren Annahme, die Vernunft sei angeboren, muss diese nämlich noch, begünstigt durch Interaktion mit der Umwelt (Gruppenarbeit), herausgebildet werden.7 Im sensomotorischen sowie noch im vor-operativen Stadium werden nämlich die Handlungen des Kindes noch vom Egozentrismus beeinflusst, sodass es z.B. die Information der Mutter, über eine stark befahrene Straße ohne Ampelschaltung zu gehen sei gefährlich, dann nicht mehr beachtet, wenn es auf der anderen Straßenseite Freunde sieht, weil nun das Bedürfnis des Kindes, sie zu begrüßen und mit ihnen zu reden, überwiegt. Den Sinn der Worte (Schutz des eigenen Lebens) hat es aufgrund seines mangelnden Vernunftdenkens noch nicht verstanden, sonst würde nämlich das Bedürfnis der Unversehrtheit überwiegen.
Arbeitet das Kind hingegen nie in einer Gruppe, sondern immer nur in Einzelarbeit, so bleibt es in seiner egozentrischen Moralvorstellung viel länger verhaftet und seine Denkweisen können nicht früh genug modifiziert werden, da sich das Kind ohne eine Identifizierung seiner Denkfehler vermeintlich im Gleichgewicht befindet, was zur Folge hat, dass es weder assimiliert noch akkomodiert und somit zunächst keine höhere Entwicklungsstufe erreichen kann.
Nach Piaget ist also „das Leben in der Gruppe [...] das natürliche Umfeld für jegliche geistige Tätigkeit, und die Zusammenarbeit unabdingbar für die Herausbildung des rationalen Denkens.“8
III. Überwindung des Egozentrismus durch Gruppenarbeit
Wie bereits erwähnt, haben Kinder zunächst eine „egozentrische Moralvorstellung“9. Als Piaget beispielsweise sechsjährige Kinder an einem Gruppentisch beobachtete, stellte er fest, dass sie eher mit sich selbst sprachen als mit dem/der Tischnachbarn/In. Auch dann, wenn sie mit anderen reden, fällt es ihnen noch schwer, sich in andere Personen hineinzuversetzen und ihre Argumente, Ideen oder Vorstellungen zu verstehen. So sind in der kindlichen Kommunikation Erklärungen oder Begründungen kaum zu finden, Anweisungen, Mitteilungen oder Zustandsbeschreibungen hingegen dominieren.10
In diesem Abschnitt möchte ich nun darauf eingehen, wie Kinder dieses Stadium mittels Gruppenprozessen schneller überwinden können.
Sich vom Egozentrismus zu entfernen bedeutet nicht, sich mit sich selbst nicht mehr auseinanderzusetzen, sondern vielmehr soll sich jedes Individuum durch kooperatives Arbeiten noch besser kennen lernen, indem es sich mit anderen vergleicht.
Innerhalb des Gruppenprozesses stoßen die Kinder auf Meinungsverschiedenheiten oder Konflikte, sodass es beispielsweise zur Diskussion kommt. Je mehr sie nun über ihre eigenen Ansichten oder Meinungsstandpunkte und die anderer reflektieren, desto schneller wird eine kognitive Weiterentwicklung (àAbnahme des Egozentrismus) und Persönlichkeitsbildung vorangetrieben11. Sie erkennen dann, dass parallel zu ihren eigenen Standpunkten oder Vorstellungen auch die anderer existieren können und „orten ihr Ich innerhalb der fremden Perspektiven“12. Nach Piaget haben sie nun, nachdem sie erneut einen Äquilibrationsprozess durchlaufen haben, die Stufe der konkreten Operation erreicht.
Nach Piaget „vollzieht sich eine Entwicklung von der zentrierten Subjektivität zur dezentrierten Objektivität.“13 Solange die eigene Bedürfnisbefriedigung des Kindes und vielmehr noch die Kreation einer eigenen Realität, in dem es z.B. „phantasiert oder fabuliert“14, im Vordergrund steht, ist es noch fern von der Fähigkeit, objektiv denken zu können. Werden Kinder aber ins Gruppenleben integriert, so phantasieren sie immer weniger, bis sie letztendlich ganz damit aufhören, weil sie durch Auseinandersetzung mit den anderen allmählich erkennen (sie assimilieren), dass es nicht nur die „Scheinwelt“ in ihren Phantasien gibt, sondern eine vielseitige Welt mit den unterschiedlichsten Individuen und Bedürfnissen, die alle anerkannt und zufrieden gestellt werden möchten.
Wird das Kind nicht mit Gruppenarbeit konfrontiert, so verfremdet es, selbst wenn es sich bemüht seine Außenwelt zu beobachten, die Tatsächlichkeit, aufgrund sehr subjektiver Wahrnehmung und fehlender Fehlerkorrektur durch andere.15 Im Gruppenleben erkennt es aber verschiedene Perspektiven, aus denen Sachen betrachtet werden können. In einem Experiment mit ca. neunjährigen Kindern hat Piaget festgestellt, dass sie in ihrer kognitiven Entwicklung schon ein Stück weiter vorangeschritten waren. Wenn man ihnen z.B. mehrere Puppen, die um Berge aus Pappmacheé sitzen, als Anschauungsmaterial gegeben hat und sie dann anhand von vorgefertigten Kärtchen die Perspektive der jeweiligen Puppen bestimmen sollten, so wichen sie von der eigenen Perspektive ab und konnten sich in die Position der Puppe hineinversetzen.16
[...]
[1] Vgl. Thomas Kesselring, „Jean Piaget“, München 1999, (S.59)
[2] Vgl. Seminarreader, Text: „Jean Piaget. Anmerkungen zur Gruppenarbeit“, (S.140, Z.27-30)
[3] ebd. (S.141, Z.5-6ff)
[4] ebd. (Z.11)
[5] Vgl. Thomas Kesselring, „Jean Piaget“, München 1999, (S.73)
6 Vgl .Klaus Beyer, Eckehardt, Knöpfel, Andreas Pfennings (Hrsg): Einführung in pädagogisches Denken und Handeln 3. Erziehung als Förderung der Entwicklung. Paderborn 1991
7 Vgl. Seminarreader, Text: „Jean Piaget. Anmerkungen zur Gruppenarbeit“, (S.141, Z. 24 ff)
8 Vgl. Seminarreader, Text: „Jean Piaget. Anmerkungen zur Gruppenarbeit“,( S.141, Z. 26-28)
9 Vgl. Johannes Bilstein: “Entwicklung – Erziehung – Sozialisation“. Stuttgart 1982
10 Vgl. Thomas Kesselring, „Jean Piaget“, München 1999, ( S.96)
11 Vgl. Seminarreader, Text: „Jean Piaget. Anmerkungen zur Gruppenarbeit“, (S.142, Z.2-4)
12 ebd. (S.142, Z.8-9)
13 Vgl. Thesenpapier „Wie erfolgt das Erklimmen einer höheren Entwicklungsstufe“
14 Vgl. Seminarreader, Text: „Jean Piaget. Anmerkungen zur Gruppenarbeit“, (S.142, Z.25-26)
15 Vgl. Seminarreader, Text: „Jean Piaget. Anmerkungen zur Gruppenarbeit“, (S.142, Z.28-31)
16 Vgl. Thomas Kesselring, „Jean Piaget“, München 1999, (S. 97)
* Kursiv gedruckte Begriffe werden im Glossar kurz erläutert
- Quote paper
- Anika Geißler (Author), 2004, Entwicklungspsychologische Gründe für die Gruppenarbeit nach Jean Piaget, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/32897
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