Jeder Mensch geht davon aus, dass er selbstbestimmt handelt und denkt – jeder fühlt sich frei. Wie könnte man sonst auch behaupten „Ich handle“? An diesem Satz ist entweder das „Ich“ falsch, oder ich bin in meinem Handeln frei von bestimmenden Ursachen. Ohne die Annahme, in unseren Überlegungen und Entscheidungen frei zu sein, gäbe es gar keine Berechtigung, von sich selbst in der 1. Person Singular zu sprechen. Vielmehr müsste man dann davon sprechen, dass „Es“ handelt, in dem Sinne, dass „mein“ Handeln und Denken stets von Ursachen bestimmt wird, die sich jenseits meines Kontrollbereiches befinden. Die totale Determination durch heteronome Bestimmungsgründe würden das „Ich“ aufheben – und dem Selbstbild der Menschen als eines frei Handelnden entgegenstehen.
So deutlich die Freiheit des Willens erfahren wird, so schwer ist sie zu begründen. Denn sie steht im Gegensatz zur Bedingung aller Naturerkenntnis, nämlich der notwendigen Verknüpfung von Ursachen und Wirkungen. Unter den Naturerscheinungen gibt es keine, die ohne Ursache gedacht werden kann. Hier ist jede Erscheinung in einer Kausalkette verortet. Wieso sollte da ausgerechnet der Mensch, der ja auch Naturerscheinung ist, frei handeln können? Die für das Selbstverständnis der Menschen essenzielle Annahme seiner Freiheit bedarf also einer plausiblen Begründung, um sich gegen die umfassende Kausalität der Natur zu behaupten. Für Kant ist es die
„unnachlaßliche Aufgabe der spekulativen Philosophie: wenigstens zu zeigen, daß ihre Täuschungen wegen des Widerspruchs [zwischen Freiheit und Naturkausalität] darin beruhe, daß wir den Menschen in einem anderen Sinne und Verhältnisse denken, wenn wir ihn frei nennen, als wenn wir ihn, als Stück Natur, dieser ihren Gesetzen für unterworfen halten, und daß beide nicht allein gar wohl beisammen stehen können, sondern auch, als notwendig vereinigt, in demselben Subjekt gedacht werden müssen [...]“ (GMS 116).
Mir geht es in der vorliegenden Arbeit darum, die Bedeutung aufzuzeigen, die der Freiheitsidee in der Kritik der reinen Vernunft sowie in den beiden moralphilosophischen Hauptschriften Kants, der Grundlegung zur Metaphysik der Sitten und der Kritik der praktischen Vernunft zukommt. Die Arbeit untergliedert sich in zwei Teile. Das Ziel des ersten Teils liegt darin, den Weg nachzuvollziehen, auf dem Kant Freiheit und Kausalität als „notwendig vereinigt in demselben Subjekt“ denkbar macht. Als Textgrundlage dient dazu die Kritik der reinen Vernunft.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Die transzendentale Freiheit in der „Kritik der reinen Vernunft“
2.1. Die Revolution der Denkart
2.2. Das transzendentale Subjekt
2.3. Die Antinomie der Vernunft
2.4. Die dritte Antinomie
2.4.1. Thesis
2.4.2. Antithesis
2.4.3. Auflösung
2.5. Die Idee der transzendentale Freiheit als absolute Spontaneität
2.6. Der Perspektivwechsel der Vernunft – eine menschliche Hybris?
3. Die Freiheit im praktischen Verstande
3.1. Die kritische Ethik
3.2. Die transzendentale Willensfreiheit
3.3. Kants Ziel: Eine reine Moralphilosophie
3. 4. Das Sittengesetz
3.4.1. Der kategorische Imperativ
3.5. Der Wille als Vermögen der Handlungsbestimmung
3.5.1. Subjektive Maximen und objektives Gesetz
3.5.2. Der Wille als freie Kausalität
3.6. Das Faktum der Vernunft
3.7. Die Einheit von Sollen und Wollen
3.7.1. Die Autonomie des Willens
3.7.2. Das Gefühl der Achtung
3.7.3. Von der Wichtigkeit moralischer Gesetze
3.7.3.1. Die intellektuelle Selbstzufriedenheit
3.7.3.2. Der Mensch als Zweck an sich selbst
3.8. Ist Kants Freiheitsbegriff heute noch aktuell?
4. Schlussbetrachtung
5. Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Jeder Mensch geht davon aus, dass er selbstbestimmt handelt und denkt – jeder fühlt sich frei. Wie könnte man sonst auch behaupten „Ich handle“? An diesem Satz ist entweder das „Ich“ falsch, oder ich bin in meinem Handeln[1] frei von bestimmenden Ursachen. Ohne die Annahme, in unseren Überlegungen und Entscheidungen frei zu sein, gäbe es gar keine Berechtigung, von sich selbst in der 1. Person Singular zu sprechen. Vielmehr müsste man dann davon sprechen, dass „Es“ handelt, in dem Sinne, dass „mein“ Handeln und Denken stets von Ursachen bestimmt wird, die sich jenseits meines Kontrollbereiches befinden. Die totale Determination durch heteronome Bestimmungsgründe würden das „Ich“ aufheben – und dem Selbstbild der Menschen als eines frei Handelnden entgegenstehen.[2]
So deutlich die Freiheit des Willens erfahren wird, so schwer ist sie zu begründen. Denn sie steht im Gegensatz zur Bedingung aller Naturerkenntnis, nämlich der notwendigen Verknüpfung von Ursachen und Wirkungen. Unter den Naturerscheinungen gibt es keine, die ohne Ursache gedacht werden kann. Hier ist jede Erscheinung in einer Kausalkette verortet. Wieso sollte da ausgerechnet der Mensch, der ja auch Naturerscheinung ist, frei handeln können? Die für das Selbstverständnis der Menschen essenzielle Annahme seiner Freiheit bedarf also einer plausiblen Begründung, um sich gegen die umfassende Kausalität der Natur zu behaupten. Für Kant ist es die
„unnachlaßliche Aufgabe der spekulativen Philosophie: wenigstens zu zeigen, daß ihre Täuschungen wegen des Widerspruchs [zwischen Freiheit und Naturkausalität] darin beruhe, daß wir den Menschen in einem anderen Sinne und Verhältnisse denken, wenn wir ihn frei nennen, als wenn wir ihn, als Stück Natur, dieser ihren Gesetzen für unterworfen halten, und daß beide nicht allein gar wohl beisammen stehen können, sondern auch, als notwendig vereinigt, in demselben Subjekt gedacht werden müssen [...]“ (GMS 116).
Mir geht es in der vorliegenden Arbeit darum, die Bedeutung aufzuzeigen, die der Freiheitsidee in der Kritik der reinen Vernunft sowie in den beiden moralphilosophischen Hauptschriften Kants, der Grundlegung zur Metaphysik der Sitten und
der Kritik der praktischen Vernunft zukommt. Die Arbeit untergliedert sich in zwei Teile. Das Ziel des ersten Teils liegt darin, den Weg nachzuvollziehen, auf dem Kant Freiheit und Kausalität als „notwendig vereinigt in demselben Subjekt“ denkbar macht. Als Textgrundlage dient dazu die Kritik der reinen Vernunft.
Aber der Nachweis, das Freiheit als Idee widerspruchsfrei neben Naturkausalität gedacht werden kann, ist nur ein Etappenziel. Letztlich geht es Kant um die Bestätigung einer Freiheit in dem strengen Sinne einer moralischen Autonomie. Eine solche darf dem Menschen zugesprochen werden, wenn ein reines, d.h. unbedingtes Vernunftgesetz ein hinreichender Bestimmungsgrund seines Willens sein kann. Für Kant ist der Mensch nur dann als frei und moralisch verantwortlich einzusehen, wenn sein Handeln und Denken spontan der Vernunft entspringen kann, also nicht auf eine vorhergehende, bedingte Ursache zurückzuführen ist. Denkbar ist ein von Naturkausalität unabhängiges Handeln nur durch die in der Kritik der reinen Vernunft eingeführte methodische Trennung der Erkenntnisperspektiven. Denn dadurch eröffnet sich neben dem bedingten Bereich dessen, was ist, der rein vernünftige Bereich dessen, was sein soll – ein Bereich der Freiheit. Im zweiten Teil meiner Arbeit reflektiere ich Kants Vorgehen in der Begründung einer reinen Moralphilosophie oder, was dasselbe ist, in der Begründung der Autonomie des Menschen. Dabei beziehe ich mich auf seine ethischen Hauptwerke, die Grundlegung zur Metaphysik der Sitten und die Kritik der praktischen Vernunft.
Der Schwerpunkt meines Interesses an einer Untersuchung des kantischen Freiheitsbegriffs liegt auf der Bedeutung, die ihm für Selbstverständnis jedes einzelnen Menschen zukommt. Ich möchte hier vor allem zeigen, dass das auf den ersten Blick so unterdrückend und autoritär erscheinende Gesetz der reinen Vernunft, der kategorische Imperativ, dem Menschen nicht als eine ihm fremde, gebietende Macht gegenübersteht. Ganz im Gegenteil ist der Imperativ der Sittlichkeit als ein selbst gegebenes und gewolltes Gesetz zu verstehen, welches sich aus der vernünftigen Einsicht des Einzelnen in seine Freiheit notwendig ergibt. Im Verlauf
der Arbeit wird deutlich, warum Kant mit Recht behaupten kann, dass das vom kategorischen Imperativ gefordert unbedingte moralische „Sollen eigentlich ein Wollen [ist], das unter der Bedingung für jedes vernünftige Wesen gilt, wenn die Vernunft bei ihm ohne Hindernisse praktisch wäre“ (GMS 102).[3]
2. Die transzendentale Freiheit in der „Kritik der reinen Vernunft“
2.1. Die Revolution der Denkart
In der Kritik der reinen Vernunft will Kant den Umfang des menschlichen Vernunftvermögens bestimmen, um so dem „bloßen Herumtappen“ (KrV B VII) in metaphysischen Fragen ein Ende zu bereiten. Die beiden von Kant vorgefundenen führenden philosophischen Systeme, der Rationalismus und der Empirismus, haben bei ihren Antworten auf die metaphysischen Fragen nicht „den sicheren Weg der Wissenschaft“ (B VII) eingeschlagen, sondern lediglich dogmatisch und interessengeleitet ihren Standpunkt behauptet und damit die Vernunft,[4] also das menschliche Denken, auf Irrwege geführt. So hat einerseits der Rationalismus versucht „den Umlauf der Himmelskörper, statt ihn mathematisch und mechanisch zu erklären, auf geistige Grundkräfte und leitende Intelligenzen zurückführen“, während andererseits der Empirismus „reine Gesetze des Sollens und die intelligible Ordnung, die sich uns in ihnen eröffnet, in sinnlichen Bildern zu beschreiben [gesucht].“[5]
Um eine Verwirrung der Menschen im Denken zu vermeiden, ist es notwendig, alle formalen Regeln des Erkenntnisprozesses ausführlich dazulegen und zu beweisen – diesen aus der Wissenschaft bewährten Weg will Kant nun auch in Bezug auf Fragen der Metaphysik einschlagen. Unter einem Gegenstand metaphysischer Fragen versteht Kant das,
„was uns notwendig über die Grenze der Erfahrung und aller Erscheinungen hinaus zu gehen treibt, [es] ist das Unbedingte, welches die Vernunft in den Dingen an sich selbst notwendig und mit allem Recht zu allem Bedingten, und dadurch die Reihe der Bedingungen als vollendet verlangt“ (KrV B XX).
Die Frage nach der Unbedingtheit (der Freiheit) des menschlichen Willens, ist eine metaphysischen Frage[6] und sie kann als Leitmotiv für Kants gesamte philosophische Untersuchungen angesehen werden. Wie er 1798 an Christian Garve schrieb, war es hauptsächlich die Frage nach der „Freiheit im Menschen“, die ihn antrieb, das Vernunftvermögen zu untersuchen und seine Transzendentalphilosophie zu entwickeln:
“Nicht die Untersuchung vom Dasein Gottes, der Unsterblichkeit etc ist der Punkt gewesen, von dem ich ausgegangen bin, sondern die Antinomie der r.V.: „Die Welt hat einen Anfang –: sie hat keinen Anfang etc. bis zur vierten: Es ist Freiheit im Menschen, – gegen den: es ist keine Freiheit, sondern alles ist in ihm Naturnotwendigkeit“; diese war es, welche mich aus dem dogmatischen Schlummer zuerst aufweckte und zur Kritik der Vernunft selbst hintrieb, um das Skandal des scheinbaren Widerspruchs der Vernunft mit ihr selbst zu heben.“ (Herv. v. m.)[7]
Die Priorität, die Kant der Frage nach der Freiheit einräumt, erklärt sich aus dem Zusammenhang, der zwischen Freiheit und Moral besteht: denn „die Moral setze notwendig Freiheit (im strengsten Sinne) als Eigenschaft unseres Willens voraus“ (KrV B XXIX). Ohne die Annahme von Willensfreiheit muss jede Handlung als bedingt, d.h. als von vorhergehenden Ursachen bestimmt angesehen werden und ist dadurch von dem Handelnden nicht vollständig selbst zu verantworten. Nur wenn man neben den geschlossenen Kausalketten der Natur noch Freiheit annehmen darf, durch die der Mensch seine Handlung unbedingt anheben kann, ist Moralität überhaupt denkbar. Solange man die von uns erkannte Natur als eine ontologische Gegebenheit versteht, kann es aber nicht Freiheit und Naturkausalität zugleich geben.
Die Natur wird von Kant als Zusammenhang von Erscheinungen unter Gesetzen gefasst. Durch das Prinzip der Kausalität[8] werden Erscheinungen zu einem zusammenhängenden Ursache-Wirkungs-Verhältnis verknüpft. Wenn objektive theoretische Erkenntnis, also Naturwissenschaft, möglich sein soll, dann müssen es notwendige und allgemeine Gesetze sein, durch die die Naturerscheinungen zusammenhängen. Es gibt dann keine Erscheinung in der Natur, die nur für sich existiert. In der theoretischen Perspektive der Vernunft gilt: Natura non facit saltus – die Natur macht keine Sprünge und auch keine Ausnahmen in ihrem Kausalitätsprinzip. Denn aus dem Wegfall einer notwendigen Verknüpfung der Naturerscheinungen würde ein umgreifender Skeptizismus folgen, weil es dann auch blinder Zufall sein kann, dass bisher Wirkung B immer auf Ursache A gefolgt ist. Und bei Zufallsereignissen hört der Vernunftgebrauch auf. In einer kausal determinierten Natur ist daher Unbedingtheit, d.h. Freiheit, unmöglich – und in einer von notwendiger Kausalität freien Natur wird objektive Erkenntnis unmöglich. Nach beidem jedoch verlangt der vernünftige Mensch. Dieser Selbstwiderspruch der Vernunft wird im Kapitel 2.3. ausführlich thematisiert. Hier soll die kurze Skizzierung reichen, um die Motivation verständlich zu machen, die Kant antrieb, die Grenzen und Fähigkeiten unserer obersten Erkenntniskraft, der Vernunft, neu zu bestimmen.
Die von Kant angestrebte wissenschaftliche Klärung der metaphysischen Begriffe ist nur durch eine vorhergehende „Revolution der Denkart“ (KrV B XIII) möglich. Zur „Revolution“ in der Erkenntnistheorie gelangt Kant durch die transzendentale Methode in der Untersuchung des Vernunftvermögens. Transzendental[9] ist diese Vorgehensweise zu nennen, weil sie nicht die Beziehung zwischen Erkennendem und Gegenstand der Erkenntnis untersucht, sondern die obersten apriorischen Prinzipien, aus denen Erkenntnis entspringt. Kant vergleicht seine Methode in der Kritik der reinen Vernunft mit der Vorgehensweise des Kopernikus, sie wird deshalb auch als „Kopernikanische Wende “ bekannt (KrV B XVI). Im Folgenden will ich kurz aufzeigen, was darunter zu verstehen ist.
Kopernikus’ Himmelsberechnungen waren mit dem zu seiner Zeit herrschenden Bild, dass sich die Sonne um die Erde dreht, nicht kompatibel. Er drehte das Verhältnis daher um, d.h. er ließ die Sonne stillstehen und die Welt um diese herumwandeln – und nun stimmten die Berechungen mit dem Gegebenen überein. Kopernikus hat also „die beobachteten Bewegungen nicht in den Gegenständen des Himmelns, sondern in ihrem Zuschauer [gesucht]“ (KrV B XXII, Fußnote). Genau so macht es Kant. Auch seine Überlegungen bzw. das Denken jedes vernünftigen Menschen stimmen nicht mit dem herkömmlichen Bild der Natur überein. So verlangt z.B. jeder beim Denken nach einer ersten Ursache in Kausalreihen, die selbst nicht bedingt ist – obwohl in der Natur notwendig alles kausal bestimmt ist.
Wie Kopernikus versucht daher auch Kant die Gesetze, nach denen die Natur geordnet ist, in den Beobachter zu legen, statt sie aus den Erscheinungen zu ziehen. Die Vernunft wird in dieser Perspektive zu einer apriorischen bleibenden Größe der Erkenntnis, die den Naturerscheinungen ihre Gesetze vorschreibt. Die herkömmliche, ontologische Naturbetrachtung ging hingegen davon aus, dass die Vernunft sich um die Dinge „drehen“ muss, um die Gesetzmäßigkeiten aus ihnen herauszulesen.
Allerdings ist Erkenntnis dadurch nicht als eine rein rationale Angelegenheit zu verstehen. Die apriorischen Formen im Subjekt, durch die Erkenntnis möglich wird, teilen sich nach Kant auf in „Sinnlichkeit und Verstand, durch deren ersteren uns Gegenstände gegeben, durch den zweiten aber gedacht werden“ (KrV B 29). Neben den apriorischen Formen der sinnlichen Anschauung „Raum“ und „Zeit“ sind es die apriorischen Kategorien des Verstandes (Quantität, Qualität, Relation, Modalität), durch die alle Gegenstände der Erkenntnis in Form von Urteilen bestimmt werden.[10] Diese Kategorien sind nicht der Erfahrung entnommen, sondern reine[11] Verstandesbegriffe, durch die sinnliche Anschauungen allgemeingültig zu begrifflichen Urteilen verknüpft und dadurch zu objektiven Erkenntnissen werden. Die apriorischen Formen bzw. Kategorien des Subjekts schreiben so der Gesamtheit der Erscheinungen, also der Natur, ihre Gesetze apriori vor – sie sind damit die Bedingungen der Möglichkeit von Erfahrung überhaupt.
Objektive Erkenntnis entsteht also nur dann, wenn wir durch einheitliche Verknüpfung der Anschauungen zu begrifflichen Urteile gelangen. Dazu müssen die zwei Momente der Erkenntnis, Anschauungen und Verstand, die zunächst unabhängig voneinander sind, verbunden werden. Anschauungen erhalten wir dadurch, dass wir das durch unsere Sinne vermittelte Material durch die apriorischen Anschauungsformen des Raumes und der Zeit ordnen. Diese apriorische Aktivität der Sinne führt dazu,
„daß die Dinge, die wir anschauen, nicht das an sich selbst sind. [...] Was es für eine Bewandtnis mit den Gegenständen an sich und abgesondert von all der dieser Rezeptivität unserer Sinnlichkeit haben möge, bleibt uns gänzlich unbekannt“ (KrV B 59).[12]
Die „vorgeformten“ Anschauungen geben dann den Stoff, den der Verstand durch die Kategorien zur Erkenntnis formt, indem er sie begrifflich bestimmt. Eine empirische Erkenntnis entsteht erst durch die begriffliche Bestimmung des aus der Anschauung gegebenen Stoffes. Weder unser sinnliches Rezeptionsvermögen noch unser Verstand bringt für sich allein objektive Erkenntnisse hervor; diese entstehen immer nur durch ein Zusammenspiel beider Erkenntnisvermögen. Denn, wie Kant betont: „Gedanken ohne Inhalt sind leer, Anschauungen ohne Begriffe sind blind“ (KrV B 75).
Festzuhalten bleibt, dass wir die Dinge nicht erkennen, wie sie an sich selbst betrachtet wären, sondern nur so, wie sie uns erscheinen, weil sie erst durch unsere apriorische Erkenntnisformen überhaupt zu Erscheinungen werden. Die Ganzheit der Erscheinungen, also das, was wir Natur nennen, ist somit als ein einheitlicher Zusammenhang von sinnlichen Vorstellungen unter dem Prinzip apriorischer Kategorien zu verstehen.
Heinrich von Kleist hat eine schöne Metapher dafür gefunden, dass es bestimmte Bedingungen unserer Erkenntnis gibt, hinter die wir nicht zurückgehen können. In einem Brief an seine Verlobte schreibt er 1801:
"Wenn alle Menschen statt der Augen grüne Gläser hätten, so würden sie urteilen müssen, die Gegenstände, welche sie dadurch erblicken, sind grün – und nie würden sie entscheiden können, ob ihr Auge ihnen die Dinge zeigt, wie sie sind, oder ob es nicht etwas zu ihnen hinzutut, was nicht ihnen, sondern dem Auge gehört."[13]
Die grünen Gläser, von denen Kleist hier spricht, sind im kantischen Terminus die apriorischen Formen der Anschauung und des Verstandes.
Indem Kant die Bedingungen der Möglichkeit von Erfahrung überhaupt in das vernünftige Subjekt legt, muss er neben der erscheinenden Natur noch einen nicht-erscheinenden Bereich annehmen, nämlich den der Dinge, wie sie an sich selbst betrachtet wären. Das Ding an sich, wie es verkürzt genannt wird, bedeutet die Idee einer nicht raumzeitlich-kausalgesetzlichen, sondern übersinnlichen, intelligiblen Seinsweise. Kants kritische Transzendentalphilosophie basiert auf dieser
„ [...] Unterscheidung der Dinge als Gegenstände der Erfahrung, von eben denselben, als Dingen an sich selbst, [denn wäre dieser Unterschied] gar nicht gemacht, so müßte der Grundsatz der Kausalität und mithin der Naturmechanismus in Bestimmung derselben durchaus von allen Dingen überhaupt als wirkende Ursachen gelten“ (KrV BXXVII; Herv. v. m.).
Das Zitat drückt aus, was durch die dualistische Konzeption von Ding der Erfahrung (Phänomen) und Ding an sich (Noumenon) gewonnen ist.[14] Kant kann dadurch die Gesamtheit der Dinge der Erfahrung als nach allgemeinen Gesetzen erscheinende Natur bestimmen. Über diese sinnliche Natur können objektive Erkenntnisse gefällt werden, weil die Attribute der Objektivität, Notwendigkeit und Allgemeinheit in der apriorischen Voraussetzung der Erscheinung liegen, nämlich in den Erkenntniskategorien des Subjekts. So ist eine objektive Naturwissenschaft möglich, weil die Natur notwendig mit den Gesetzen des Verstandes übereinstimmt. Auch das Gesetz der Kausalität wird durch die apriorische Verstandesform notwendig in die Natur gebracht. Darum ist alles, was in der sinnlichen Natur geschieht und erscheint, durch eine Ursache bedingt. Die Gefahr, das Zufall die Erkenntnis bestimmen und dadurch die Natur als ein Chaos erscheinen würde, ist damit gebannt.
Auch der Mensch existiert als Erscheinung in der Natur und unterliegt als solcher ihren Gesetzen. Gäbe es nun nur diese natürliche Welt unserer Erfahrung, dann würde dies bedeuten, dass auch der Wille des Menschen, d.h. sein Vermögen der Handlungsbestimmung, dem Gesetz der Kausalität unterläge und also jederzeit als notwendig ursächlich bestimmt angesehen werden müsste. Um Willensfreiheit, und damit Moral im Sinne Kants, überhaupt denkbar zu machen, muss also neben der kausal-determinierten Welt der Natur noch eine andere Welt möglich sein, eine, in der Freiheit von Naturkausalität angenommen werden kann. Diese übernatürliche Welt der Dinge an sich ist durch die „Kopernikanische Wende“ denknotwendig geworden. Kant nennt den Bereich der Dinge an sich auch noumenale oder intelligible[15] Welt. Durch die subjektunabhängige Welt der Noumena hat Kant einen begrifflichen Kontrast zur Welt der Phänomene aufgestellt, wodurch auf der einen Seite eine Unbedingtheit der Noumena möglich wird und auf der anderen Seite die notwendige Bedingtheit der Natur von apriorischen Prinzipien hervortritt.
Allerdings, so Kant, ist „der Begriff eines Noumenon [...] bloß ein Grenzbegriff, um die Anmaßung der Sinnlichkeit einzuschränken, und also nur von negativem Gebrauche“ (KrV B 311). Er warnt davor, die Einteilung in Sinnen- und Verstandeswelt in positiver Bedeutung zu erweitern. Die beiden Welten sind eben nicht im ontologischen Sinne als distinkt nebeneinander existierende Gegebenheiten zu verstehen. Diese Auffassung würde nämlich eine problematische, weil metaphysische und ins Religiöse tendierende Sichtweise der noumenalen Welt mit sich bringen. Diesem Problem kann man aber entgehen, wenn man statt von einer ontologisch verstandenen Zwei-Welten-Lehre[16] von einer Zwei-Perspektiven-Lehre[17] ausgeht. Danach kann man die eine Welt unter zwei verschiedenen Perspektiven der Vernunft (Kant spricht von „Standpunkten“ (KrV B 489)) betrachten: Aus der theoretischen Perspektive des Erkennenden und aus der praktischen Perspektive des Handelnden. Beide Perspektiven stehen unter verschiedenen Gesetzen, unter verschiedenen Prinzipien der Vernunft. Die theoretische Perspektive geht auf die erscheinende Welt, auf die Sphäre des Seins, die notwendigerweise dem Gesetz der Kausalität unterliegt. Die Naturerkenntnis, also auch die des Menschen als Phänomen, basiert auf dem Prinzip der theoretischen Vernunft. Danach erscheinen die Gegenstände der Natur nicht von selbst und an sich, sondern werden erst durch apriorische Formen des vernünftigen Subjekts zur Erscheinung gebracht. Diese Weise der Naturbestimmung weist eine unbegrenzte Offenheit für verschiedenste Bestimmungstypen im Bereich der Natur auf. Die Offenheit beruht auf der Unmöglichkeit der Anschauung von Übersinnlichem, ohne es leugnen zu können oder zu wollen. Dadurch kann neben der empirischen, determinierten Betrachtungsweise in praktischer Absicht noch ein anderer, ein freier Standpunkt der Vernunft eingenommen werden.
Und hier „finden wir eine ganz andere Regel und Ordnung, als die Naturordnung ist. Dann da sollte vielleicht alles das nicht geschehen sein, was doch nach dem Naturlaufe geschehen ist, und nach seinen empirischen Gründen unausbleiblich geschehen mußte“ (KrV B 578).
Die praktische, moralische Perspektive richtet sich also auf nicht auf das phänomenale Sein, sondern auf das noumenale Sollen. Das Sollen impliziert eine Anspruchshaltung der Vernunft, man kann diese Perspektive daher auch als Anspruchperspektive bezeichnen. Diese kann ohne Widerspruch zur Beschreibungsperspektive, die die Vernunft in der Naturbetrachtung einnimmt, bestehen. Es ist diese von der Naturkausalität losgelöste noumenale Anspruchsperspektive, die man selber einnimmt, wenn man sein Handeln nach moralischen Kriterien beurteilt. In der moralischen Reflexion übersteigt man das Sein (wie ich gehandelt habe) und erfährt ein Sollen (wie hätte ich handeln sollen und können).
Nur durch diese konzeptionelle Trennung der Vernunfttätigkeit wird es denkbar, dass Handlungen nicht notwendig durch empirische Ursachen determiniert zu denken sind, sondern deren Bestimmung auch zugleich durch intelligible „Gründe der Vernunft“ möglich ist. Wie Kants moralphilosophische Untersuchungen zeigen, steht der Mensch in der Anspruchsperspektive der Vernunft unter einem anderem Prinzip als dem der Naturkausalität. Er steht in praktischer, noumenaler Perspektive unter der Gesetzlichkeit der reinen praktischen Vernunft, d.h. unter einer Kausalität aus Freiheit.[18]
Wie Kopernikus hat also auch Kant die gewohnte Sicht der Dinge verlassen und durch eine neue Denkart eine neue Theorie der Erkenntnis als Hypothese aufgestellt. Die Theorie basiert auf der Annahme eines apriorischen Erkenntnisapparats im Subjekt und dem daraus folgenden begrifflichen Dualismus von Ding an sich und Erscheinung. Nun ist es mit der Aufstellung einer Theorie nicht getan. Kant muss auch noch beweisen, dass seine Theorie Geltung beanspruchen darf, weil sie sich in der Praxis bewährt. Für Kant ist theoretisches Philosophieren nie ein Selbstzweck, sondern immer auf die Praxis der Menschen gerichtet.
Kant rechtfertigt seine transzendentale Erkenntnistheorie auf zweierlei Weise. Zum einen zeigt er auf, dass es durch den kritischen Transzendentalismus erstmals möglich ist, die grundsätzliche Antinomie der Vernunft aufzulösen. Wie das geschieht, wird in den Kapiteln 2.3. und 2.4. behandelt. Die Auflösung des Widerspruchs zwischen Naturkausalität und Freiheit kann als objektiver Beweis der Wirksamkeit seiner Theorie angesehen werden.
Es gibt aber auch noch einen anderen Hinweis auf den Geltungsanspruch der postulierten zwei Perspektiven auf die Welt. Und dieser Hinweis kommt aus dem Subjekt selbst. Dem Menschen kommt im kantischen Denkschema eine besondere Stellung zu. Er kann sich, als einziges Wesen überhaupt, sowohl als übersinnliches Ding an sich (Noumenon) als auch als sinnliche Erscheinung der Natur (Phänomen) begreifen. Er wird dadurch zu einer Art von lebendem Beweis für die „Wirklichkeit“ der zwei Welten. Wie sich der Mensch neben seiner Teilhabe an der natürlichen Welt auch als Teil der intelligiblen Welt erfährt, erläutert Kant in seinen Ausführungen zum transzendentalen Subjekt.
2.2. Das transzendentale Subjekt
Erst indem der Mensch seine Verstandeskategorien auf Anschauungen anwendet, entsteht das, was wir „die“ Natur nennen. Wir erfahren also die einzelnen Erscheinungen als eine geordnete Ganzheit, als eine Natur und nicht als unzusammenhängende, einzelne Eindrücke. Nur unter der Idee der Einheit ist Erkenntnis überhaupt möglich, denn
„ohne Bewußtsein, daß das, was wir denken, eben dasselbe sei, was wir einen Augenblick zuvor dachten, würde alle Reproduktion in der Reihe der Vorstellungen vergeblich sein.“ (KrV A 97 u. A 103).
Sowohl die gesamte Natur als auch ihre einzelnen Objekte und mich selber, als erkennendes Subjekt, erfahre ich als ein jeweils einheitliches Ganzes. Wodurch entsteht nun aber die Einheit in die Mannigfaltigkeit der Vorstellungen? Durch die Sinne werden uns nur unzusammenhängende Anschauungen gegeben. Damit diese zu einer Ganzheit der Erfahrung werden, muss ihnen die Vorstellung eines einheitlichen Bewusstseins des Erkennenden angehängt werden. Diese Vorstellung einer verbindenden Kraft entspringt als unbedingte Ursache aller Erkenntnis allein dem Verstande. Sie ist ein „Aktus der Spontaneität, d.i. sie kann nicht als zur Sinnlichkeit gehörig angesehen werden“ (KrV B 132).
Kant nennt diesen Vorgang der spontanen Verbindung die „reine“ oder „ursprüngliche Apperzeption“ (ebd.). Sie unterscheidet sich von der empirischen Apperzeption dadurch, dass ihr eine unbedingte Bedingung zu Grunde liegt, nämlich die Vorstellung einer ursprünglichen-synthetischen Einheit, die Vorstellung eines „Ich“.
„Das: Ich denke, muß alle meine Vorstellungen begleiten können; denn sonst würde etwas in mir vorgestellt werden, was garnicht gedacht werden könnte, welches ebensoviel heißt, als die Vorstellung würde entweder unmöglich, oder wenigstens für mich nichts sein“ (KrV B 131 f.).
Erst dadurch, dass ich meine Eindrücke durch ein beständiges „Ich denke“, d.h. in einem Bewusstsein verbinde, entstehen objektive Erkenntnisse. Dies gilt sowohl in Bezug auf die Dinge der Natur als auch auf mich selbst. Das heißt, in der Tätigkeit des Produzierens von Erkenntnissen, also im Denken, entsteht erst das stets identische Selbstbewusstsein,[19] das alle Erkenntnis begleitende und bedingende Bewusstsein des „Ich“. Als erkennendes Subjekt bin ich mir meiner eigenen Identität erst dadurch bewusst, dass ich alle Vorstellungen „insgesamt meine Vorstellungen nenne“ (Krv B 135). Somit haben Objektivität und subjektive Identität dieselbe Quelle: das transzendentale Ich.[20]
Der entscheidende Schluss aus Kants Ausführungen zum transzendentalen Ich ist, dass dieses „Ich denke“ nicht innerhalb des Anschauungs- und Begriffsapparates steht, sondern seine Bedingung ist. Mit dem „Ich denke“ als Bedingung für Erkenntnis setzt Kant das Subjekt vor die Objektivität. Das transzendentale Ich verknüpft die Anschauungen zu einem Erfahrungszusammenhang, ohne selber involviert zu sein. Es ist also nicht in der Erfahrungswelt zu finden, sondern ist das einheitsstiftende Prinzip der Erfahrung selbst – und in dieser synthetischen Produktivität ist sich das vernünftige Subjekt seiner selbst als ein Denkendes bewusst.
Ich bin mir, notiert Kant, „meiner selbst in der transzendentalen Synthesis des Mannigfaltigen der Vorstellungen überhaupt [...] bewußt, nicht wie ich mir erscheine, noch wie ich an mir selbst bin, sondern nur daß ich bin“ (KrV B 157). Denn wenn sich alle Vorstellungen, um Erkenntnis zu werden, auf ein Ding beziehen sollen, dann müssen sie auch untereinander eins sein, d.h. in einem Bewusstsein vereinigt werden können. Ich erkenne mich also durch den Akt der Synthesis als „Intelligenz und denkend Subjekt [...] nicht wie ich vor dem Verstande bin [als Phänomen], sondern wie ich mir erscheine [als Noumenon]“ (KrV B 155).
Dieses allgemeine Bewusstsein der Menschen, sich selber unter zwei verschiedenen Standpunkten der Vernunft betrachten zu können, darf daher als Bestätigung für die Geltung der kantischen Theorie von Ding an sich und Erscheinung angesehen werden.[21] Denn der Mensch begreift sich durch die Vorstellung einer transzendentalen Apperzeption als über der Natur stehend und gewinnt dadurch ein Bewusstsein seiner Selbst als spontane, unbedingte Intelligenz. Er erfährt sich so als Teil der nicht-erscheinenden, intelligiblen Welt. Hier kann er von bedingender Naturkausalität frei gedacht werden. Diese Möglichkeit der tranzendentalen Freiheit wird später zur Grundlage von Kants Moralphilosophie.
Doch bevor sich Kant an die Entwicklung einer reinen Moralphilosophie machen kann, muss er seine Theorie der Erkenntnis dem „Experiment einer Gegenprobe“ (KrV B XX) aussetzen. Er muss nachweisen, dass die natürliche Antinomie, in die die Vernunft beim Denken des Unbedingten gerät, durch das Denkschema der kritischen Transzendentalphilosophie aufgelöst bzw. als bloßer Schein entlarvt werden kann. Diese Gegenprobe vollzieht Kant in dem so genannten „Antinomienkapitel“ der Kritik der reinen Vernunft. Hier macht er sich, wie in dem Brief an Garve angekündigt, daran, „das Skandal des scheinbaren Widerspruchs der Vernunft mit ihr selbst zu heben.“[22]
2.3. Die Antinomie der Vernunft
Die menschliche Vernunft gerät bei dem Versuch, das Unbedingte neben dem notwendig Bedingten zu denken, in einen scheinbar unauflöslichen Selbstwiderspruch, den Kant Antinomie nennt. Diese Antinomie der Vernunft aufzulösen, hat sich Kant in der Kritik der reinen Vernunft vorgenommen. Sie bildet also ein wesentliches, antreibendes Moment seiner philosophischen Tätigkeit, weswegen er sie auch als die „wohltätigste Verirrung [...], in die die menschliche Vernunft je hat geraten können“ (KpV, A 194) bezeichnet. Das Antinomiekapitel nimmt also nicht nur quantitativ,[23] sondern vor allem qualitativ eine herausragende Stellung in der Kritik der reinen Vernunft ein – und dies insbesondere in Bezug auf die Frage nach der Freiheit des Menschen.
Was ist nun genau unter der Antinomie der Vernunft zu verstehen? Die Vernunft ist ein Vermögen mit zweierlei Bestrebungen. Zum einen sucht sie zu jedem Gegebenen eine Ursache. Wie Beck es formuliert, ist die Vernunft in dieser Funktion darum bemüht, „ein Warum zu allem Darum zu besorgen“.[24] Zum anderen strebt sie aber auch danach, allen einzelnen Gegebenheiten etwas Absolutes und Allgemeines zu Grunde zu legen, d.h. die Reihe der Bedingungen zu beenden, eben kein „Warum“ mehr besorgen zu müssen. Sie verfährt in dieser Perspektive nach „dem Grundsatze: Wenn das Bedingte gegeben ist, so ist auch die ganze Summe der Bedingungen, mithin das schlechthin Unbedingte gegeben“ (KrV B 436). Durch diese beiden gegensätzlichen Bestrebungen gerät die Vernunft in eine Antinomie. Mit den zu Kants Zeit gegebenen philosophischen Denkschemata war es dem Menschen nicht möglich, eine unbedingte Ursache zu denken, ohne in einen intellektuellen Selbstwiderspruch zu geraten.
[...]
[1] Mit dem Handeln eines Subjekts ist hier auch sein Denken (als Verhaltensform) gemeint.
[2] Vgl hierzu auf S. 30 den Zusammenhang zur Forderung: „Wo Es war, soll Ich werden.“
[3] Eine auf Vollständigkeit bedachte Untersuchung des Freiheitsbegriffs bei Immanuel Kant müsste auf jeden Fall noch auf die Bedeutung des Symbols des Schönen für die Freiheitsidee eingehen und auch der Begriff des Erhabenen sollte dahingehend untersucht werden. Weiterhin spielt die Freiheitsidee auch in Kants geschichtsphilosophischen, politischen und anthropologischen Schriften eine entscheidende Rolle. Aus Gründen des Umfangs konnten diese Aspekte des kantischen Freiheitsbegriffs in dieser Arbeit nicht untersucht werden.
[4] Obwohl Kant in personalisierter Form von der Vernunft spricht, besitzt sie keinen ontologischen Status im Sinne einer außermenschlichen, frei schwebenden Instanz. Die Hypostasierung besitzt lediglich Begründungscharakter – mit Vernunftaktivitäten sind aber immer die Reflexionsprozesse des vernünftigen Mensch gemeint.
[5] E. Cassirer, S. 258.
[6] Die zwei anderen metaphysischen Fragen sind die nach Gott und der Unsterblichkeit der Seele.
[7] Brief vom 21. 09. 1798 in: Immanuel Kant, Briefwechsel, S. 779 f. .
[8] Kausalität wird hier als die Aufeinanderfolge von Zuständen nach Regeln verstanden.
[9] Der Begriff „transzendental“ bedeutet „nicht etwas, das über alle Erfahrung hinausgeht, sondern was vor ihr (a priori) zwar vorhergeht, aber doch zu nichts Mehrerem bestimmt ist, als lediglich Erfahrungserkenntnis möglich zu machen“ (Pro 374, Anm.).
[10] Die Art und Weise, in der Kant die Bedingungen der Möglichkeit von Erkenntnis in der Kritik der reinen Vernunft untersucht, d.h. die apriorischen Begriffe und Grundsätze deduziert, soll hier nicht weiter besprochen werden, würde dies doch den Umfang der Arbeit sprengen.
[11] Der Ausdruck „rein“ bedeutet bei Kant „frei von Erfahrung“.
[12] Das unbekannte Material, das unsere Sinne reizt, wird von Kant auch als Ding an sich, transzendentales Objekt oder ein Etwas = x (KrV A 250) bezeichnet.
[13] H. v. Kleist, S. 201, aus einem Brief an W. v. Zenge vom März 1801.
[14] Der Bereich der Dinge an sich ist ein methodischer Begriff, der nicht als eine Art von metaphysischer, „wahrer“ Welt vorzustellen ist. Die Unterscheidung von Ding an sich und Erscheinung ist als eine methodische Trennung zu verstehen, die sich aus den verschiedenen Perspektiven, die der Mensch im praktischen und im theoretischen Gebrauch seiner Vernunft einnimmt, notwendig ergibt. (Siehe dazu weiter unten meine Ausführungen zur „Zwei-Perspektiven-Lehre.) G. Prauss hat sich in seinem Buch „Kant und das Problem der Dinge an sich“ bemüht, den „transzendental-philosophischen Sinn des Ausdrucks ‚Dinge an sich’ [...] von allem transzendent-metaphysichen Unsinn mit hinlänglicher Deutlichkeit ab[zu]grenzen“ (Prauss, 1974, S. 10).
[15] Kant nennt „dasjenige an einem Gegenstand der Sinne, was selbst nicht Erscheinung ist, intelligibel“ (KrV B 566). Die Begriffe intelligible Welt, Ding an sich, Noumenon und reines Gedankending werden in dieser Arbeit gleichwertig als Gegensatz zur raumzeitlich-kausalgesetzlichen Welt der Erscheinungen verwendet.
[16] Zur Problematik einer Zwei-Welten-Lehre siehe auch A. Gunkel (S. 154 ff.).
[17] Vgl. hierzu z.B. L.W. Beck, S. 182 f..
[18] Die transzendentale praktische Freiheit ist Thema des zweiten Teils dieser Arbeit.
[19] Der Begriff Selbstbewusstsein ist bei Kant nicht im Sinne von Selbstsicherheit zu verstehen, sondern wörtlich als Bewusstsein seiner Selbst als einer wahrnehmenden und denkenden Einheit. Weitere Ausführungen zu den Formen des Selbstbewusstseins bei Kant finden sich im Aufsatz von Recki, 1998
[20] Kant nennt das „Ich“ transzendental, weil es die apriorische Bedingung der Möglichkeit von Erfahrung ist. Steinvorth kritisiert, dass Kant mit dem Begriff des transzendentalen Ichs einen „Bastardbegriff“ geprägt habe, weil er ihn im Widerspruch zu seinen eigenen kritischen Grundsätzen aufstellt, z.B. den Ursachenbegriff nur auf Erscheinungen anzuwenden (S. 177 ff.). Kant warnt allerdings selber davor, sein „Ich denke“ mit dem „cogito“ von Descartes gleichzusetzen. Das kantische „Ich“, das alle meine Vorstellungen begleiten muss, braucht eben diese Vorstellungen auch, um sich selbst zu denken. Während bei Descartes aus einem reinen Begriff auf die Existenz geschlossen wird (Ich denke, also bin ich), erfährt sich das Selbstbewusstsein bei Kant nur im Wechselspiel mit den empirischen Gegebenheiten. Unter diesem Gesichtspunkt verliert auch Kants Aussage, dass das „Ich denke“ ein empirischer Satz ist, seine Widersprüchlichkeit (vgl. KrV B 422 ff. Anm.).
[21] Eine weitere und stärkere Bestätigung erfährt die Hypothese einer noumenalen Welt durch die allgemeine Erfahrung eines moralischen Sollens. (Siehe hierzu den zweiten Teil dieser Arbeit.)
[22] Immanuel Kant, Briefwechsel, S. 779 f.
[23] Das Kapitel „2. Hauptstück. Die Antinomie der reinen Vernunft“ ist das umfangreichste der Kritik der reinen Vernunft.
[24] L. W. Beck, S. 33.
- Arbeit zitieren
- Kristina Breyer (Autor:in), 2002, Der Freiheitsbegriff bei Immanuel Kant, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/32464
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