In der folgenden Arbeit möchte ich Johann Wolfgang von Goethes Roman „Die Wahlverwandtschaften“ auf die darin enthaltenen Weiblichkeitsbilder untersuchen. Meine theoretische Leitlinie soll dabei der von Silvia Bovenschen entwickelte Rahmen zur Festschreibung von Weiblichkeitsbildern in ihrem Buch „Die imaginierte Weiblichkeit Exemplarische Untersuchungen zu kulturgeschichtlichen und literarischen Präsentationsformen des Weiblichen“ sein, das im Proseminar vorgestellt wurde. Goethes Roman wurde bei seinem Erscheinen im Herbst 1809 von der damals vorwiegend weiblichen Romanleserinnenschaft als „Skandalbuch“ aufgenommen. In einem Briefwechsel zwischen Pauline Wiesel und Rahel Varnhagen zeigt sich das Unbehagen, das beide Frauen bei der Lektüre überkommt. Ursula Krechel spricht von einem „misstrauischen Instinkt“ der in den zeitgenössischen Rezipientinnen beim Lesen der Wahlverwandtschaften erwacht. In diesem Zusammenhang fällt bei Krechel auch das Stichwort, das in der folgenden Beschäftigung mit den Theorien von Silvia Bovenschen noch eine Rolle spielen wird: Mythologisierung. Ein Begriff, der den Frauen der damaligen Zeit wohl nicht geläufig war, ein Symptom das Krechel aber durch Bettina von Arnim in einem Brief an Goethe treffsicher diagnostiziert sieht. (vgl. Krechel 1992, 19f)
Inhaltsverzeichnis
Einleitung
I. Strukturen kultureller Repräsentanzen des Weiblichen bei Silvia Bovenschen (vgl. Bovenschen 1980, 9-16)
I.1 Die Reduktionstheorien: Frauen als soziale „Randgruppe“ (vgl. Bovenschen 1980, 19-24)
I.2 Die Ergänzungstheorien: Die Frau als Muse (vgl Bovenschen 1980, 25ff)
II. Inwieweit finden sich die Rollenzuweisungen der Reduktions- und Ergänzungstheorien in den Wahlverwandtschaften?
II.1 Das Mädchenpensionat: Geschlechtsspezifische Asylierung als Erziehungsprinzip
II.2 Die Frau und die Kunst: Männliche Effizienz versus weibliche metaphysische Natur
III. Die weibliche Rezeption der Wahlverwandtschaften zeitgenössisch und heute: Ein Resumée
Literaturverzeichnis
Einleitung
In der folgenden Arbeit möchte ich Johann Wolfgang von Goethes Roman „Die Wahlverwandtschaften“ auf die darin enthaltenen Weiblichkeitsbilder untersuchen. Meine theoretische Leitlinie soll dabei der von Silvia Bovenschen entwickelte Rahmen zur Festschreibung von Weiblichkeitsbildern in ihrem Buch „Die imaginierte Weiblichkeit Exemplarische Untersuchungen zu kulturgeschichtlichen und literarischen Präsentationsformen des Weiblichen“ sein, das im Proseminar vorgestellt wurde.
Goethes Roman wurde bei seinem Erscheinen im Herbst 1809 von der damals vorwiegend weiblichen Romanleserinnenschaft als „Skandalbuch“ aufgenommen. In einem Briefwechsel zwischen Pauline Wiesel und Rahel Varnhagen zeigt sich das Unbehagen, das beide Frauen bei der Lektüre überkommt. Ursula Krechel spricht von einem „misstrauischen Instinkt“ der in den zeitgenössischen Rezipientinnen beim Lesen der Wahlverwandtschaften erwacht. In diesem Zusammenhang fällt bei Krechel auch das Stichwort, das in der folgenden Beschäftigung mit den Theorien von Silvia Bovenschen noch eine Rolle spielen wird: Mythologisierung. Ein Begriff, der den Frauen der damaligen Zeit wohl nicht geläufig war, ein Symptom das Krechel aber durch Bettina von Arnim in einem Brief an Goethe treffsicher diagnostiziert sieht. (vgl. Krechel 1992, 19f)
In einer gesellschaftlichen Umbruchzeit, einem noch jungen Jahrhundert, in dem sich die Frauen neue gesellschaftliche Positionen zu erobern beginnen, trifft Goethes Werk anscheinend einen Nerv. Ursula Krechel deutet die ablehnende Haltung der goetheschen Zeitgenossinnen so: „Es muss die Konstruktion des Romans sein, sein Kalkül, seine Geometrie, die Formelhaftigkeit des Experiments gegenüber der frei fließenden Leidenschaft, seine Chemie, seine Gartenbaukunst, seine als Naturwissenschaft verbrämte Ideologie“ (Krechel 1992, 22) In den überlieferten Reaktionen der männlichen Rezipienten zeigt sich neben ebenfalls sehr ablehnenden Kommentaren auch positive Beurteilungen des Romans: So sah Achim von Arnim in Charlotte und Eduard ein gut gezeichnetes Bild der gesellschaftlichen Realität des sogenannten Landadels. (vgl. Krechel, 20) Thomas Mann lobte den seiner Meinung nach hohen künstlerischen Wert des Romans. Dagegen stehen solche Aussagen wie die von Friedrich Heinrich Jacobi, der den Roman als die „Himmelfahrt der bösen Lust“ bezeichnete, wobei er sich auf das Ende Ottilies bezieht. (vgl. Bernhard 2003, 106) Oder Ludwig Wilhem Tiecks Verballhornung des Titels in „Qualverwandtschaften“ (Bernhard 2003, 107) Wobei sich die männliche Kritik von der weiblichen darin unterscheidet, dass sie nicht auf die traditionellen Weiblichkeitsbilder bezogen ist, wie es Krechel Pauline Wiesel und Rahel Varnhagen unterstellt.
Silvia Bovenschen geht auf die Diskrepanz zwischen einer „Geschichte des Verschweigens“ was Fakten über reale Frauen in historischen Dokumenten betrifft und den kulturgeschichtlich überlieferten (überwiegend männlichen) Bildern und Mythen von Weiblichkeit und Frauen ein. (vgl. Bovenschen 1980, 9ff) Diesbezüglich sollen das Ziel dieser Arbeit ebenfalls ein Vergleich zwischen Weiblichkeitsbildern in der Realität der Erscheinungszeit des Romans und Weiblichkeitsbildern in Goethes Text sein. Meine Fragestellungen werden folgende sein: Welche Strukturen der kulturellen Repräsentation des Weiblichen, wie sie Silvia Bovenschen beschreibt, finden sich in den „Wahlverwandtschaften“? Wie stehen diese zur weiblichen Wirklichkeit von Frauen wie Pauline Wiesel und Rahel Varnhagen am Anfang des 19.Jahrhunderts? Lässt sich aus diesem Verhältnis von der Wirklichkeit zum Roman ihre Abneigung gegen das Werk erklären?
I. Strukturen kultureller Repräsentanzen des Weiblichen bei Silvia Bovenschen (vgl. Bovenschen 1980, 9-16)
Auf den Spuren der kulturgeschichtlichen Präsenzen und Präsentationen des Weiblichen stößt Bovenschen auf das Problem der Abwesenheit der Frauen in der historisch-gesellschaftlichen Entwicklung. Diese weibliche Geschichtslosigkeit durch die Abwesenheit in den Dokumentationen der kulturellen, politischen und wissenschaftlichen Entwicklungsprozesse „bewiesen“, steht wiederum im krassen Gegensatz zu der Überfülle an Bildern, Entwürfen und metaphorischen Ausstattungen des Weiblichen in der Literatur, die ihrerseits aber der männlichen Phantasie entspringen. Bovenschen verwendet in diesem Zusammenhang den Begriff des „Kunstweiblichen“, der sich in der patriarchalen Ordnung der (literarischen) Welt ohne aufzufallen erhalten konnte. Eine Erklärung für die Nichtbeachtung der Kategorie Geschlecht in der literaturtheoretischen und literaturgeschichtlichen Auseinandersetzung sieht Bovenschen im Fehlen einer begriffsgeschichtlichen Tradition dieser Kategorie. Folglich sieht sie ihre Aufgabe darin zuerst einmal eine begriffliche Grundlage zu schaffen, um eine Analyse des Weiblichen in der Kulturgeschichte angehen und die Geschichtslosigkeit des Weiblichen dokumentieren. zu können. Im ersten Teil ihres Buches geht es Silvia Bovenschen um die Darstellung der weiblichen Erscheinungsmuster in der Literatur und Kulturphilosphie, die ich in diesem Kapitel vorstelle und dann im weiteren an den Frauengestalten der „Wahlverwandtschaften“, Charlotte, Ottilie, und Luciane überprüfen werde. Bovenschen schafft zur Bestimmung dieser Weiblichkeitsmuster einen theoretischen Rahmen, den sie in erstens die Reduktionstheorien und zweitens die Ergänzungstheorien splittet.
I.1 Die Reduktionstheorien: Frauen als soziale „Randgruppe“ (vgl. Bovenschen 1980, 19-24)
Unter der Überschrift Reduktionstheorien versteht Bovenschen die „geschlechtsspezifische Asylierung“:(S. 20) Die Repräsentanz von Frauen im kulturellen Bereich zeigt sich nur in bedeutungslosen Nischen, eigenen Reflexionsreservaten, zum Beispiel dem Frauen-Ressort in der Zeitung. Die wichtigen gesellschaftlichen Diskurse werden scheinneutral geführt, also ohne Trennung in männliche und weibliche Interessen aber unter der Prämisse der patriarchalen Gesellschaft. Deswegen fordert Bovenschen diese Diskurse, in welchen geschlechtspezifische Positionen nicht explizit angesprochen werden, auf die implizierten Thematisierungen hin zu untersuchen. Sie sieht aber auch die dass die Umsetzung dieser Forderung einen unbewältigbaren Aufwand mit sich bringt und daher nur exemplarisch durchgeführt werden kann.
Die Argumentation des Reduktionismus stützt sich also auf die Reduzierung von Frauen zur gesellschaftlichen Minderheitengruppe, die als solche zwar förderungswürdig aber eigentlich als gestaltender Bestandteil der Gesellschaft eher unbedeutend ist. Die Diskrepanz zwischen dem faktischen Gewicht des weiblichen Anteils der Gesellschaft der immerhin die Hälfte ausmacht, und der ideologischen Verschiebung sieht Bovenschen (vgl. 1980, 22) auch in den literarischen Diskursen. Wie schon in der Einleitung gesagt sind Frauen als literarische Gestalten keinesfalls eine Minderheit, in der Position der gestaltenden Autorin sind sie das aber sehr wohl. Hier sieht Bovenschen außerdem das Problem der Diskursvermischung: Die Außenseiterposition fiktiver Frauengefiguren wird auf die Realität der Frauen und die theoretischen Einschätzungen dieser Realität übertragen. Die Reduktionstheorien, so Bovenschen, basieren also auf einer Asymmetrie der tatsächlichen Beteiligung der Frauen in der Kulturgeschichte im Gegensatz zur Vielfalt der Imaginationen des Weiblichen in dieser. Daraus wird dann von den Vertretern dieser Theorie eine minderwertige Qualität des weiblichen Kulturcharakters gefolgert.
I.2 Die Ergänzungstheorien: Die Frau als Muse (vgl Bovenschen 1980, 25ff)
Der Begriff Ergänzungstheorie stammt von Hedwig Dohm und beschreibt theoretische Positionen, in denen neben die bestehende männliche Norm kultureller Wertung eine zweite spezifisch für das Weibliche ausgeformte Norm gestellt wird, die aber nicht gleichberechtigt existiert sondern als „Ableger“. Die Frau soll vielmehr die materielle und geistige Produktivität des Mannes in dem Sinne unterstützen, dass sie ihm „den Rücken freihält“. Im Alltag bedeutet das eine im Haus waltende Funktion, im Bereich der Kunst ist es die Funktion der Muse, die den Frauen zugewiesen wird. Es wird also nicht die eigene schöpferische Leistung der Frau gefragt, sondern die Unterstützung zur Freisetzung der Produktivität des Mannes. Vetreter dieser theoretischen Position sprechen hier von einer „Fundamentalverschiedenheit der Geschlechter“ um die auffällige Differenz zwischen „den Phantasmen des Weiblichen und seiner realen Erscheinung“ zu begründen: Das Weibliche muss gleichzeitig aufgewertet werden, um thematische Brisanz in der Kunst zu begründen und andererseits abgewertet werden, da sich am realen Kulturschicksal der Frauen nichts ändern soll. (vgl. Bovenschen 1980, 26)
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- Arbeit zitieren
- Sarah Kraushaar (Autor:in), 2004, Weiblichkeitsbilder in Goethes Skandalroman "Die Wahlverwandtschaften", München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/32368
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