1. Entwicklungsstufen des Denkens nach Jean Piaget
Um sich mit der Frage auseinander setzten zu können, welches Gleichnis sich für welche Altersstufe eignet, ist es wichtig, die Forschungsergebnisse Jean Piagets zu kennen und zu berücksichtigen. Er beschäftigte sich nämlich mit der Entwicklung des kindlichen Denkens und teilte diese in vier „Entwicklungsstufen“ ein.
Die Phase von der Geburt bis zum zweiten Lebensjahr nennt man die sensomotorische Stufe. Ein Kind in diesem Alter kann Objekte erkennen und vor allem wird das Greifen, Saugen und Bewegen verbessert und integriert. Gegen Ende des zweiten Lebensjahres hat das Kind dann die Fähigkeit, momentan nicht gegenwärtige Gegenstände symbolisch zu repräsentieren. Das bedeutet, es besitzt ein inneres Abbild dieses Gegenstandes, auch wenn er zur Zeit sinnlich nicht wahrnehmbar ist.
Die präoperationale Phase geht dann vom zweiten bis zum siebten Lebensjahr. Diese Stufe ist vom anschaulichen Denken geprägt. Das heißt das Denken der Kinder ist vielmehr vom Sehen, als vom Denken selbst abhängig. Das zeigt unter anderem ein Versuch, bei dem man einem Kind einen Hund gezeigt hat. Es wusste, dass es ein Hund war. Nun setzte man dem Hund eine Katzenmaske auf und fragte es noch einmal. Diesmal war seine Antwort jedoch, dass es eine Katze vor sich haben.
Die dritte Phase, die konkret-operationale Phase, geht in etwa bis zum elften Lebensjahr. Und ab jetzt können Kinder geistige Operationen ausführen, ziehen aber immer noch Symbole vor.
Zwischen Ende des elften und des zwölften Lebensjahres erreicht das Kind dann die letzte Stufe des Denkens, die formal-operationale Phase, in der wir uns auch befinden. Ab jetzt ist ein abstraktes und logisches Denken möglich.
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Inhaltsverzeichnis
1. Entwicklungsstufen des Denkens nach Jean Piaget
2. Die „erste Naivität“
2.1. Das kindliche Weltbild
2.2. Der Realismus des kindlichen Denkens
2.3. Der Artifizialismus
2.4. Animismus und Magie
3. Metaphern-, Fabel-, und kindliches Verständnis biblischer Gleichnisse
3.1. Das Metaphernverständnis
3.2. Das Fabelverständnis
3.3. Das kindliche Verständnis biblischer Gleichnisse
3.4. Fazit
4. Überlegungen zur Auswahl von Gleichnissen
5. Beispiel für eine Unterrichtsstunde
6. Anhang:
6.1. Literaturverzeichnis
6.2. Bildnachweis:
1. Entwicklungsstufen des Denkens nach Jean Piaget
Um sich mit der Frage auseinander setzten zu können, welches Gleichnis sich für welche Altersstufe eignet, ist es wichtig, die Forschungsergebnisse Jean Piagets zu kennen und zu berücksichtigen. Er beschäftigte sich nämlich mit der Entwicklung des kindlichen Denkens und teilte diese in vier „Entwicklungsstufen“ ein.
Die Phase von der Geburt bis zum zweiten Lebensjahr nennt man die sensomotorische Stufe. Ein Kind in diesem Alter kann Objekte erkennen und vor allem wird das Greifen, Saugen und Bewegen verbessert und integriert. Gegen Ende des zweiten Lebensjahres hat das Kind dann die Fähigkeit, momentan nicht gegenwärtige Gegenstände symbolisch zu repräsentieren. Das bedeutet, es besitzt ein inneres Abbild dieses Gegenstandes, auch wenn er zur Zeit sinnlich nicht wahrnehmbar ist.
Die präoperationale Phase geht dann vom zweiten bis zum siebten Lebensjahr. Diese Stufe ist vom anschaulichen Denken geprägt. Das heißt das Denken der Kinder ist vielmehr vom Sehen, als vom Denken selbst abhängig. Das zeigt unter anderem ein Versuch, bei dem man einem Kind einen Hund gezeigt hat. Es wusste, dass es ein Hund war. Nun setzte man dem Hund eine Katzenmaske auf und fragte es noch einmal. Diesmal war seine Antwort jedoch, dass es eine Katze vor sich haben.
Die dritte Phase, die konkret-operationale Phase, geht in etwa bis zum elften Lebensjahr. Und ab jetzt können Kinder geistige Operationen ausführen, ziehen aber immer noch Symbole vor.
Zwischen Ende des elften und des zwölften Lebensjahres erreicht das Kind dann die letzte Stufe des Denkens, die formal-operationale Phase, in der wir uns auch befinden. Ab jetzt ist ein abstraktes und logisches Denken möglich.
2. Die „erste Naivität“
Auf der Grundlage dieser Ergebnisse und seiner eigenen Forschungen bezüglich dem Verständnis von Gleichnissen, kam Anton A. Bucher zu dem Ergebnis, dass den Kindern eine „erste Naivität“[1] zu eigen ist. Diese „erste Naivität“ ist geprägt vom kindlichen Weltbild, dem Realismus des kindlichen Denkens, dem Artifizialismus, dem Animismus und der Magie.
2.1. Das kindliche Weltbild
Grundsätzlich kann man das kindliche Weltbild mit dem altorientalischen Weltbild vergleichen. Die Erde wird als Scheibe gesehen, von der man auch, sollte man zu weit gehen, hinunterfallen kann. Darüber wölbt sich wie eine Käseglocke der Himmel und darunter ist die Hölle. Interessant ist, das selbst Kinder, denen bewusst war, dass die Erde eine Kugel ist, an dieser Vorstellung noch festhielten.
Wichtiger auf die Frage des Gleichnisverständnisses bezogen ist jedoch, dass die „Realwelt des Kindes gleich der Symbolwelt“[2] ist. Das bedeutet, dass alle Dinge, auch Begriffe wie der Himmel oder die Hölle als konkrete Örtlichkeit verstanden und nicht als Symbole oder Bilder aufgefasst werden. Genau das zeigt dieses Bild, das ein sechsjähriges Mädchen gemalt hat. In der Mitte stellt es die Erde dar. Mit Steinen ist sie sowohl vom Himmel als auch von der Hölle getrennt. Die beiden Figuren im Himmel sind Gott und Jesus und die von der Erden abgeschossene Rakete kann den Himmel nicht erreichen, weil sie an den Steinen kaputt geht[3]. Erst mit etwa 16 Jahren, also als Jugendlicher ist man in der Lage den Himmel auch wirklich als Symbol zu durchschauen und ihn zum Beispiel als „das Unendliche“[4] oder „das, was unserem Leben einen Sinn gibt“[5] zu beschreiben.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Es ist also so, das Kinder, die sich in der präoperationalen und früh konkret-operationalen Phase befinden zu einer konkreten Eschatologie neigen, das heißt der Himmel ist ein konkreter, begrenzter Ort. Eine solche konkrete Eschatologie wird jedoch von der Religionspädagogik abgelehnt. „An ihre Stelle soll die Einsicht treten, dass es sich dabei um Hoffnungsbilder handelt.“[6]
Das Problem dabei ist jedoch, dass dies dem kindlichen Weltbild nicht gerecht wird. Es ist aber sehr wichtig, dass man das kindliche Verständnis anerkennt und akzeptiert. Das zeigt unter anderem, die Beobachtung an einem fünfjährigen Jungen. Kinder haben oft in einer bestimmten Phase imaginäre Begleiter, die dämonische oder teuflische Züge aufweisen und zur Bewältigung von Ängsten dienen. So auch der Fünfjährige. Dieses Kind begann plötzlich sehr viel vom Teufel zu sprechen. Seine Eltern waren gläubige Christen und untersagten ihm dies, da es keinen Teufel gibt und Gott immer gut sei. Als Folge begann der Junge wieder einzunässen. Und erst als man ihm erlaubte wieder vom Teufel zu sprechen und sogar imaginär gegen ihn zu kämpfen legte sich das Symptom wieder[7].
2.2. Der Realismus des kindlichen Denkens
Ähnlich wie beim Weltbild, ist auch das Denken der Kinder anschaulich und konkret und vor allem auf einen einzigen Aspekt konzentriert. Dies haben sogenannte Invarianzexperimente gezeigt. Man zeigte Kindern verschiedenen Alters zwei gleichförmige Gefäße, in denen sich dieselbe Menge Flüssigkeit befand. Bereits sehr junge Kinder beantworteten die Frage, ob in den Gefäßen gleich viel Flüssigkeit sei, mit ja. Daraufhin schüttete man vor den Augen der Kinder den Inhalt eines Gefäßes in ein dickeres und bauchigeres, wodurch der Wasserspiegel in diesem Gefäß niedriger wurde. Die Frage ob denn beide Gefäße nun immer noch gleich viel Wasser beinhalten, konnten erst Kinder ab dem 7./8. Lebensjahr mit ja beantworten. Die Jüngeren hatten sich auf den Aspekt „Höhe des Wasserspiegels“ konzentriert. Da sich dieser verändert hatte, muss sich nach ihrem Denken auch die ganze Menge der Flüssigkeit verändert haben.
Man hat außerdem herausgefunden, dass Kinder Begriffe wie Mut konkret-handlungsbezogen repräsentieren. Während wir unter Mut in etwa das Überwinden von Ängsten sehen, ist er für Kinder zum Beispiel „von einem hohen Sprungturm springen“[8] oder „mit einem älteren Jungen raufen“[9].
Wegen diesem auf einen Aspekt zentrierten und von der Anschauung geleiteten Denken ist es für Kinder sehr schwer Analogien auch als Analogien zu begreifen. Speziell zum Analogienverständnis wurden Versuche gemacht.
Man hat Kindern die Parabel von den „Arbeitern im Weinberg“ vorgelesen. An ihrem Ende steht der Satz: „ So handelt Gott wie jener Hausherr, der Mitleid hatte mit den Arbeitslosen und ihren Familien...“[10]. Nun hat man die Grundschüler gefragt, ob Gott denn wirklich auch so handelt. Sie verneinten dies mit Begründungen, wie dass dem Weinbergbesitzer nur der Weinberg gehöre, Gott jedoch die ganze Welt und der Himmel oder dass Gott schlecht zum Weinberg hinunter kommen kann, da er ja im Himmel wohnt.
[...]
[1] Vgl. (2), S.655
[2] (2), S.655
[3] vgl. (2), S.655
[4] (2), S. 656
[5] (2), S. 656
[6] (2), S. 656
[7] vgl. (2), S. 657
[8] (2), S. 657
[9] (2), S. 657
[10] (2), S. 657