Üben wird heutzutage als unverzichtbarer Bestandteil des Lernens angesehen, durch welchen bereits Erlerntes vertieft und besser verstanden werden kann. Dies war allerdings nicht immer der Fall! In der Geschichte änderte sich die Auffassung gegenüber der Notwendigkeit des Übens mehrmals.
Abele und Kalmbach schreiben dazu in ihrem „Handbuch zur Grundschulmathematik“ (Abele, A.; Kalmbach, H.; Handbuch zur Grundschulmathematik; Stuttgart 1994), dass noch zu Beginn des 19. Jahrhunderts die „alte Schule“ vor allem durch ihre Klassengröße geprägt war. Klassen mit bis zu 80 Schülern waren keine Seltenheit. Dadurch stand insbesondere eine Mechanisierung der Übung im Vordergrund. Das Ziel war eine automatische Sicherheit auch Auswendiglernen oder Gedächtnisdrill genannt.
Dem entgegen setzten die Reformpädagogen die Erlebnispädagogik, d.h. eine Bewegung „vom Kinde aus“, wobei Aspekte wie der Arbeitsschulgedanke oder der Gesamtunterricht eine entscheidende Rolle einnahmen. Die Übung trat dabei allerdings in den Hintergrund.
Erst in den fünfziger Jahren wurde die Übung aufgrund zahlreicher Untersuchungen und durch Ergebnisse der Lernpsychologie als bedeutsam anerkannt.
Ab Schuljahresbeginn 1972 wurde die „Neue Mathematik“ verbindlich eingeführt, damit verbunden waren neue Unterrichtsinhalte welche das altbekannte Üben nahezu verdrängten, das Üben war zur „vergessenen Selbstverständlichkeit“ (Bärmann, F., Üben - eine vergessene Selbstverständlichkeit, Grundschule, 1981, S. 4 ff.) geworden.
Mit dem Lehrplan 1984 wurde das Üben wieder als sinnvoller und wichtiger Bestandteil des Mathematikunterrichts anerkannt.
Lauter beschreibt die Mathematik sogar als das „Übungsfach par excellence“, da
"…der sukzessive Aufbau der Mathematik, speziell der der Arithmetik, eine ständige Festigung der Grundlagen im elementaren Rechnen erfordert, andererseits darin, dass sich der Stoff des Mathematikunterrichts gut in Übungsformen aufbereiten lässt."
(Lauter, Josef, Fundament der Grundschulmathematik, Donauwörth 1997)
Weiter beschreibt Lauter, dass unter „Übung“ im Mathematikunterricht meist ein mechanisches Üben von Rechensätzen und –regeln verstanden wird. Diese nehmen zwar durchaus einen bedeutenden Platz im Mathematikunterricht ein, allerdings darf man sie nicht als einzige Übungsform anwenden. Daher sollen im weiteren Verlauf dieser Ausarbeitung einige Lern- und Übungsformen beschrieben werden.
Inhaltsverzeichnis
- 1 Geschichtlicher Überblick zum Thema „Üben“
- 2 Auffassungen vom Lernen
- 2.1 Entdeckendes Lernen
- 2.2 Rezeptives Lernen
- 3 Übungsformen verschiedener Autoren
- 3.1 Übungsformen nach Karl Odenbach
- 3.2 Übungsformen nach H. Winter
- 3.2.1 Zielorientiertes Üben
- 3.2.2 Merkmalorientiertes Üben
- 3.2.3 Anwendung- und Strukturorientiertes Üben
- 3.3 Übungsformen nach Abele und Kalmbach
- 3.3.1 Operatives Üben
- 3.3.2 Automatisierendes Üben
- 3.3.3 Spielerisches Üben
- 4 Übungsformen nach Lauter
- 4.1 Operatorisches Üben
- 4.1.1 Operation als Begriff
- 4.1.2 Operatives Prinzip
- 4.1.3 Konsequenzen für den Unterricht
- 4.2 Mechanisches Üben
- 4.3 Das Zehnminutenrechnen
- 5 Vorteile des operativen Übens
- 6 Übungsschwerpunkte
- 6.1 Übungsschwerpunkte im 1. Schuljahr
- 6.2 Übungsschwerpunkte im zweiten Schuljahr
- 7 Übungsmöglichkeiten
- 7.1 Vormechanische Übungsmöglichkeiten
- 7.2 Übungsmöglichkeiten zum Zehnminutenrechnen
- 8 Weitere Übungen
- 8.1 Förderung von Wahrnehmungsleistungen
- 8.2 Förderung von Zahlbegriffsentwicklung und Zahlverständnis
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Diese Arbeit untersucht verschiedene Übungsformen im Anfangsunterricht Mathematik. Ziel ist es, einen Überblick über historische und aktuelle Auffassungen zum Üben im Mathematikunterricht zu geben und verschiedene didaktische Ansätze vorzustellen. Dabei werden sowohl die Vorteile als auch die Kritikpunkte der jeweiligen Methoden beleuchtet.
- Historischer Wandel der Auffassung von Üben im Mathematikunterricht
- Vergleichende Betrachtung verschiedener Übungsformen (Odenbach, Winter, Abele/Kalmbach, Lauter)
- Operatives versus mechanisches Üben
- Übungsschwerpunkte im ersten und zweiten Schuljahr
- Förderung von Zahlverständnis und Wahrnehmungsleistungen durch Übung
Zusammenfassung der Kapitel
1 Geschichtlicher Überblick zum Thema „Üben“: Der erste Abschnitt beleuchtet die historische Entwicklung des Übens im Mathematikunterricht. Er zeigt, wie sich die Auffassung von Üben vom mechanischen Drill der "alten Schule" über die Vernachlässigung im Kontext der Reformpädagogik bis hin zur Wiederentdeckung des Übens als wichtigen Bestandteil des Lernprozesses im Laufe des 20. Jahrhunderts verändert hat. Die Arbeit referiert verschiedene Lehrpläne und deren Aussagen zum Üben, unterstreicht die Bedeutung von sinnvollem, strukturgestütztem Üben und verweist auf Lauter's Beschreibung der Mathematik als "Übungsfach par excellence". Der Abschnitt liefert somit den wichtigen Kontext für die folgenden Kapitel, die sich detaillierter mit verschiedenen Übungsformen auseinandersetzen.
2 Auffassungen vom Lernen: Dieses Kapitel widmet sich zwei gegensätzlichen Lernansätzen: dem entdeckenden und dem rezeptiven Lernen. Lauter's Definitionen werden vorgestellt, die Vor- und Nachteile beider Ansätze im Detail erläutert. Das entdeckende Lernen wird als „Hochform“ des Lernens dargestellt, die den Schüler zur selbstständigen Erarbeitung von Zusammenhängen befähigt, aber auch einen größeren Zeitaufwand und eine höhere Fehlerwahrscheinlichkeit in Kauf nimmt. Im Gegensatz dazu steht das rezeptive Lernen, welches durch geringeren Zeitaufwand und schnelleren Lernerfolg gekennzeichnet ist, jedoch stärker auf extrinsische Motivation angewiesen ist. Dieser Vergleich bildet eine wichtige Grundlage für das Verständnis der unterschiedlichen Übungsformen, die in den folgenden Kapiteln präsentiert werden.
3 Übungsformen verschiedener Autoren: Kapitel 3 analysiert verschiedene Klassifikationen von Übungsformen nach Odenbach, Winter und Abele/Kalmbach. Odenbach unterscheidet zwischen mechanisierendem und variierendem Üben. Die Einteilung nach Winter beleuchtet Ziel-, Merkmals- und anwendungsorientiertes Üben. Die Darstellung der Ansätze von Abele und Kalmbach beinhaltet operatives, automatisierendes und spielerisches Üben. Der Abschnitt zeigt die Vielfalt und die unterschiedlichen Perspektiven auf Übungsformen in der Fachdidaktik auf und bereitet den Boden für eine vertiefende Auseinandersetzung mit den Übungsformen nach Lauter im darauffolgenden Kapitel.
Schlüsselwörter
Üben, Mathematikunterricht, Anfangsunterricht, Übungsformen, Operatives Üben, Mechanisches Üben, Entdeckendes Lernen, Rezeptives Lernen, Lernpsychologie, Lehrplan, Zahlbegriffsentwicklung, Zahlverständnis, Wahrnehmungsleistungen.
Häufig gestellte Fragen (FAQ) zum Dokument: Übungsformen im Mathematikunterricht
Was ist der Gegenstand dieses Dokuments?
Das Dokument bietet einen umfassenden Überblick über verschiedene Übungsformen im Mathematikunterricht der Grundschule. Es beleuchtet historische Entwicklungen, verschiedene didaktische Ansätze (u.a. von Odenbach, Winter, Abele/Kalmbach, Lauter), den Unterschied zwischen operativem und mechanischem Üben und die Bedeutung des Übens für die Entwicklung des Zahlverständnisses und der Wahrnehmungsleistungen.
Welche historischen Entwicklungen werden behandelt?
Das Dokument beschreibt den Wandel der Auffassung von Üben im Mathematikunterricht vom mechanischen Drill über eine Phase der Vernachlässigung im Kontext der Reformpädagogik bis hin zur heutigen Anerkennung des Übens als wichtigen Bestandteil des Lernprozesses. Es werden verschiedene Lehrpläne und deren Aussagen zum Üben referiert.
Welche verschiedenen Auffassungen vom Lernen werden verglichen?
Das Dokument vergleicht entdeckendes und rezeptives Lernen nach Lauter. Entdeckendes Lernen wird als selbstständige Erarbeitung von Zusammenhängen beschrieben, während rezeptives Lernen auf schnelleren Lernerfolg durch Anleitung setzt. Die Vor- und Nachteile beider Ansätze werden im Detail erläutert.
Welche Übungsformen verschiedener Autoren werden vorgestellt?
Das Dokument analysiert die Klassifikationen von Übungsformen nach Odenbach (mechanisierendes und variierendes Üben), Winter (ziel-, merkmal- und anwendungsorientiertes Üben) und Abele/Kalmbach (operatives, automatisierendes und spielerisches Üben). Die verschiedenen Perspektiven und die Vielfalt der Übungsformen in der Fachdidaktik werden hervorgehoben.
Was ist der Unterschied zwischen operativem und mechanischem Üben?
Der Unterschied zwischen operativem und mechanischem Üben wird detailliert im Kontext der Ansätze verschiedener Autoren (insbesondere Lauter) erläutert. Operatives Üben betont das Verständnis der zugrundeliegenden Operationen, während mechanisches Üben eher auf Automatisierung abzielt. Die Vorteile des operativen Übens werden besonders hervorgehoben.
Welche Übungsschwerpunkte werden für die ersten beiden Schuljahre genannt?
Das Dokument benennt spezifische Übungsschwerpunkte für das erste und zweite Schuljahr, die auf die jeweiligen Lerninhalte und das Entwicklungsstadium der Schüler abgestimmt sind. Diese Schwerpunkte unterstützen die Entwicklung des Zahlverständnisses und der Rechenfertigkeiten.
Welche konkreten Übungsmöglichkeiten werden vorgeschlagen?
Das Dokument präsentiert verschiedene Übungsmöglichkeiten, darunter vormechanische Übungen und Übungen zum Zehnminutenrechnen. Zusätzlich werden Übungen zur Förderung von Wahrnehmungsleistungen und zur Entwicklung des Zahlbegriffs und des Zahlverständnisses beschrieben.
Welche Schlüsselwörter beschreiben den Inhalt des Dokuments?
Schlüsselwörter sind: Üben, Mathematikunterricht, Anfangsunterricht, Übungsformen, Operatives Üben, Mechanisches Üben, Entdeckendes Lernen, Rezeptives Lernen, Lernpsychologie, Lehrplan, Zahlbegriffsentwicklung, Zahlverständnis, Wahrnehmungsleistungen.
Wie ist das Dokument strukturiert?
Das Dokument beinhaltet ein Inhaltsverzeichnis, eine Zielsetzung mit Themenschwerpunkten, Zusammenfassungen der einzelnen Kapitel und eine Liste mit Schlüsselwörtern. Die Struktur ermöglicht ein schnelles und effizientes Verständnis des komplexen Themas.
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- Marc Häfner (Author), 2004, Übungsmöglichkeiten im Anfangsunterricht, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/32332