Ziel der Arbeit ist es aufzuzeigen, mit welchen Veränderungen das Bildungswesen im 21. Jahrhundert konfrontiert ist, mit welchen Anforderungen umgegangen werden muss und welche Möglichkeiten der Reaktion sich daraus ergeben. Konkret soll ergründet werden, welchen Einfluss das Globale Lernen mit seinen Prinzipien auf die Veränderungen der Strukturen im Bildungssektor ausübt. Globales Lernen impliziert nämlich viele Voraussetzungen, die in den gegebenen Strukturen des Bildungswesens nicht aufgehen würden. Es soll aufgezeigt werden, aus welchen Gründen Veränderungen notwendig sind und welche Konzepte dabei richtungsweisend sind. Dabei soll eine Verknüpfung zwischen Globalem Lernen und dem Educational Governance-Konzept hergestellt werden. Beim Globalen Lernen soll der Nachhaltigkeitsaspekt herausgestellt werden.
Inhaltsverzeichnis
Hinführung
1. Gesellschaftliche Veränderungen im 21. Jahrhundert
1.1 Beschleunigung-Kompetenzen-Nachhaltigkeit in der Wissensgesellschaft
1.2 Die Begrenztheit der Erde und die Notwendigkeit zum nachhaltigen Handeln
1.3 Individuum im Spannungsfeld von Beschleunigung und Nachhaltigkeit
2. Die Entwicklung Globalen Lernens und Bildung für nachhaltige Entwicklung als Antwort auf die Herausforderungen der globalisierten Welt
2.1 Globalen Lernen als pädagogische Konzeption - Entwicklung des Lernbereichs
2.2 Globales Lernen: Definitionen - Leitideen - Dimensionen - Kompetenzen
3. Educational Governance und Bildung für nachhaltige Entwicklung - untrennbar?
3.1 Educational Governance
3.2 Historischer Abriss der Bildungsentwicklung
3.3 Neue Formen der Evaluation und Aufsicht an den Schulen - ein Indikator für ein gelungenes und zeitgemäßes Educational Governance-Konzept?
3.4 Bildungsstandards - ein adäquates Mittel der Qualitätssicherung?
3.5 Qualitätsentwicklungen im Bildungsbereich durch Globales Lernen
3.6 Professionalisierung der Lehrkräfte hinsichtlich globaler Herausforderungen unter der besonderen Berücksichtigung des Wandels des Kulturbegriffs und des Verständnisses von Kultur
3.7 Autonome Schulen im Netzwerk als realisierende Organisationen des „lokal denken global handeln“ - Konzepts
3.8 Kooperation mit Akteuren der Wirtschaft
3.9 Förderung von Schulqualität und Entwicklung durch die Kooperation von Schulen und NGOs zum Globalen Lernen
Abschließende Überlegungen
Literatur
Hinführung
Vielfältige Globalisierungsprozesse stellen die Nationalstaaten sowie die internationale Gemeinschaft vor schwierige Herausforderungen. Diese Herausforderungen betreffen nicht nur die Akteure der nationalen und internationalen Politik, sondern die Weltgesellschaft. Längst ist die Zeit überwunden, in der die Nationalstaaten nur in ihren Rahmen denken konnten. Unsere Gesellschaft ist als eine Eine-Welt-Gesellschaft zu betrachten, bei der alle Lebensbereiche in so einem intensiven Maß vernetzt sind, dass die primäre Aufgabe darin bestehen sollte, der Frage nachzugehen, wie in dieser Weltgemeinschaft ein auf ökonomisches Gleichgewicht bedachtes, sozial gerechtes, umweltfreundliches Zusammenleben möglich ist. Das ist eine große Aufgabe, die nicht von der Politik allein bewältigt werden kann. Heute, im Zeitalter der Information und der Kommunikation, wächst in der gesamtgesellschaftlichen Bevölkerung ein neues Bewusstsein heran, ein Bewusstsein des Engagements und der Teilhabe. Was die nationalen und internationalen Akteure hinsichtlich der Bildungspolitik entscheiden, mag an vielen Stellen sinnvoll und zielführend sein. Die Aufgabe der Ausführenden, der Menschen, die mit diesen Entscheidungen umgehen müssen, besteht darin, diese zu erproben, zu hinterfragen und gegebenfalls greifbarere Alternativen zu entwickeln. Es ist daher entscheidend, dass die Organisationen aus der Mitte der Gesellschaft, die sich mit der tagtäglichen Praxis im Bildungsbereich beschäftigen, nicht nur ein Mitspracherecht haben, sondern auch die Möglichkeit haben, entscheidend auf Prozesse einzuwirken und Organisationen wie Schulen, kulturelle Vereine, Nichtregierungsorganisationen bedarfsorientiert gestaltet werden. Vor dem Hintergrund der oben genannten Komplexität der Herausforderungen der globalen Gemeinschaft sollte dabei der Blick darauf gelenkt werden, welche Form der Zusammenarbeit zwischen staatlichen und privaten Akteuren insbesondere in dem Bildungsbereich eine angemessene Reaktion darauf erzielen würde und welche Inhalte und Kompetenzen dabei von entscheidender Bedeutung wären.
Die vorliegende Arbeit hat den Anspruch in dem vorgegebenen Rahmen wichtige Zusammenhänge herzustellen zwischen den Anforderungen an das Bildungssystem im Zeitalter der Globalisierung, der gegebenen Wirklichkeit und den Möglichkeiten einer adäquaten Bewältigung der Herausforderungen auf der Ebene der Schulorganisation und ihrer Partner im gesellschaftlichen Netzwerk. Da nachhaltiges Handeln heute nicht nur das Schlagwort einer Sonntagsrede sein kann, sondern die Entwicklung des Handlungskompetenz zur Nachhaltigkeit ein zentrales Anliegen unserer Gesellschaft sein sollte, gilt es der Frage nachzugehen, wie Globales Lernen als Bildung für nachhaltige Entwicklung in den neuen Reformbestrebungen eingebettet ist, wo noch Handlungsbedarf besteht und wo es zeitgemäße Strukturen, Kompetenzen und Inhalte fordert und fördert. Gemäß Kofi Annans Ausspruch „Gute Regierungsführung und nachhaltige Entwicklung lassen sich nicht trennen“ kann man analog dazu ebenfalls behaupten, dass sich auch gute Bildungsführung und nachhaltige Entwicklung nicht trennen lassen. Einerseits geht es dabei um transparente Strukturen, kurze Entscheidungswege bei der Verwirklichung der Aufgaben, Empowerment von verschiedenen gesellschaftlichen Akteuren und andererseits um die zentralen Themen unserer Gesellschaft und den Weg, diese Themen den Kindern und Jugendlichen näher zu bringen, um Nachhaltigkeit zukunftsorientiert zu fördern.
Im Rahmen dieser Arbeit können jedoch nicht die vielen verschiedenen Ebenen, in denen Bildungsentscheidungen anfallen, bis ins Detail beleuchtet werden. Es wird vielmehr versucht, an ausgewählten Stellen Zusammenhänge zwischen den Ergebnissen internationaler Akteure, der Ebene der Schulverwaltung und der Schule als Organisation herzustellen und diese im Hinblick auf die Funktionalität für die globale Gesellschaft zu hinterfragen. Der Schwerpunkt liegt dabei auf der letzten Ebene, der Schule als Organisation. Die Betrachtung der Schulorganisation im Rahmen der vorliegenden Fragestellung erscheint besonders wichtig, da es hier tatsächlich um das Schulen der nächsten Generationen geht, die die Welt weitergestalten werden. Es ist daher von außerordentlicher Bedeutung darüber nachzudenken, wie die Jugendlichen auf die Herausforderungen von morgen bestmöglich vorbereitet werden können und warum die bestehenden Strukturen, Inhalte und Kompetenzentwürfe noch längst nicht ausgereift sind.
Vor diesem Hintergrund wird das pädagogische Konzept des Globalen Lernens als Bildung für nachhaltige Entwicklung vorgestellt. Es wird der Frage nachgegangen, warum dies ein Konzept ist, welches tatsächlich angemessen auf die Herausforderungen des globalen Wandels und wie die Implikationen des Konzepts die längst verkrusteten Strukturen im Bildungsbereich aufbrechen können, um so eine neue Gestaltung der Bildungsaufgaben von der Gesellschaft für die Gesellschaft zu ermöglichen.
Im ersten Kapitel soll daher zunächst auf die signifikanten Veränderungen der Gesellschaft im 21. Jahrhundert eingegangen und ausgehend davon formuliert werden, mit welchen Herausforderungen die Gesellschaft und jeder Einzelne von uns konfrontiert ist.
Die Beschleunigung sämtlicher Prozesse des Alltags steht dabei in dem Vordergrund. Diese bewirkt, dass Konzepte von Wachstum, Mobilität und Fortschritt bis zu den Grenzen der verfügbaren Ressourcen ausgereizt werden. Die Beschleunigung des Wissens und des Informationsflusses spielt dabei eine besondere Rolle, weil diese unmittelbar mit dem Wachstum und Fortschritt verknüpft ist. Was bedeutet das für das Bildungssystem? Sollte es den Gedanken „schneller, höher, weiter“ fördern und die Bildungsstrukturen entsprechend leistungsorientiert ausgestalten oder ist an dieser Stelle ein Umdenken notwendig? Entscheidend bei der Gestaltung der Schule von heute ist die Kompetenzorientierung, welche den Schülerinnen und Schülern ermöglicht, eigenständig mit den genannten Herausforderungen wie der Überflutung von Informationen umzugehen, diese kritisch zu reflektieren und dann Handlungsoptionen zu entwickeln.
Im zweiten Kapitel wird das Globale Lernen als Bildung für nachhaltige Entwicklung vorgestellt und begründet, warum dieses Konzept sowohl als eine Anforderung gesehen werden kann, denn deren Verwirklichung steckt trotz internationaler und nationaler Bemühungen immer noch in den Kinderschuhen und gleichzeitig als eine angemessene Antwort auf die Herausforderungen der Weltgesellschaft.
Die Einführung des Begriffs Educational Governance wird zu Beginn des dritten Kapitels vorgenommen. Dabei geht es um eine Veränderung im Bildungswesen, die sich in der Art vollziehen, dass es sich Mischformen des Handelns zwischen staatlicher Hand, privatwirtschaftlicher und gesellschaftlicher Akteure entwickeln.
Da es um Veränderungen geht, ist es wichtig, auch einen Blick zurück auf die Ursprünge des heutigen Bildungssystems zu wagen. Ausgehend davon kann die Relevanz und die Notwendigkeit der Umstrukturierung des Bildungswesens analog zum gesellschaftlichen Wandel festgestellt werden.
Dabei wird an ausgewählten Phänomenen des Bildungswesens der Weg des Bildungswandels beschrieben und gleichzeitig hinsichtlich der wachsenden direkten Abhängigkeit von Ökonomie und Bildung und dem daraus resultierenden Druck auf die Organisation Schule kritisch beleuchtet.
Worauf es bei der Verwirklichung der „guten Bildung“ und Bildung für nachhaltige Entwicklung ankommen sollte und wie dieses Ziel bestmöglich umgesetzt werden kann, ist Thema weiterer Unterkapitel. Vor diesem Hintergrund werden drei Bereiche einer intensiven Betrachtung unterzogen. Es geht dabei um Steigerung der Bildungsqualität durch Globales Lernen, wobei Qualität in diesem Zusammenhang mit Hilfe abschlussorientierter Tests als nicht erfahrbar dargestellt wird. Außerdem wird die Professionalisierung der Lehrkräfte unter der besonderen Berücksichtigung der Schulung der interkulturellen Kompetenz als notwendige Voraussetzungen für die weitergehenden Reformen dargestellt. Abschließend wird die Schule als eine gesellschaftliche Organisation betrachtet, welche sich in einem lokalen Netzwerk wiederfindet. Wie die Kooperation der Schule mit außerschulischen Trägern und insbesondere mit den NGOs eine neue Dimension des zeitgemäßen Lernens ermöglicht und welchen Stellenwert die Bildung für nachhaltige Entwicklung in Bezug auf die Veränderungen der Strukturen einnimmt, ist Gegenstand abschließender Betrachtungen.
1. Gesellschaftliche Veränderungen im 21. Jahrhundert
1.1 Beschleunigung-Kompetenzen-Nachhaltigkeit in der Wissensgesellschaft
Da die Globalisierung heute ein relativ unscharfer und weitflächiger Begriff ist, von dem viele Lebensbereiche betroffen sind, scheint es eingangs sinnvoll, auf die Veränderungen in der Gesellschaft einzugehen, die in einer besonderen Form die Informations- und Wissensverbreitung und deren Verarbeitung betreffen.
Es ist nicht von der Hand zu weisen, dass sich die Gesellschaft in einem besonderen Maße einer Beschleunigung ausgesetzt ist, die sich aus verschiedenen Gründen auf verschiedenen Ebenen vollzieht. Der Soziologe Hartmut Rosa konstatiert, dass „die Beschleunigung der Ereignisse und Prozesse ein Grundprinzip der modernen Gesellschaft“ ist (Rosa 2005, S. 15). Der Soziologe stellt fest, dass es drei verschiedene Arten von Beschleunigung gibt: die technische Beschleunigung, die Beschleunigung des Lebenstempos und die Beschleunigung der sozialen und kulturellen Veränderungsraten (vgl. ebd., S. 16). Dabei stehen diese Arten in einem dynamischen Zusammenhang.
Der Fortschritt der Technik und die Entwicklung der Kommunikation bedingen, dass Prozesse in einem rasanten Tempo ablaufen und es erheblich mühsamer geworden ist, dieses Tempo einzuhalten. Dies wird besonders deutlich, wenn man beobachtet, wie schnell sich bestimmte Informationen verbreiten können. Das heißt, dass das was ursprünglich entschleunigend wirken sollte, nämlich der Fortschritt der Technik, genau das Gegenteil bewirkt. Durch den Fortschritt gelangen noch mehr Informationen in die Öffentlichkeit, die verarbeitet werden müssen. Dies führt zu einem erheblichen Anstieg des Lebenstempos. Die Lebensmöglichkeiten werden vielfältiger. Damit einhergehend kommen die rasanten Veränderungen im menschlichen Zusammenleben. Durch die Social Media pflegen die Menschen beispielsweise mühelos grenzüberschreitend Kontakte und „füttern“ einander mit Informationen und Wissen. Das Persönliche tritt dabei in den Hintergrund, die Inhalte sind entscheidend. Gleichzeitig wird die Verlässlichkeit der Inhalte durch die Beschleunigung der Zeit untergraben. Denn das, was heute gelten mag, kann morgen schon wieder obsolet sein.
Die vielen Handlungsoptionen in verschiedenen Lebensbereichen führen dazu, dass sich „Verpassensängste“ (Scheunpflug 2008, S. 55) herausbilden. Durch das Wissen um die Möglichkeiten, die man nicht wahrnehmen kann, steigt der Druck möglichst optionsoffen zu leben. Das führt wiederum zu einer Erhöhung des Lebenstempos (vgl. Rosa 2005, S. 474).
Scheunpflug stellt in ihrem Aufsatz über die Knappheit der Zeit außerdem ganz treffend fest, dass in Organisationen, die mit verschiedenen Tempi konfrontiert sind, ein besonders hohes Druckgefühl aufbauen kann (vgl. Scheunpflug 2008, S. 55). Die Schule zum Beispiel steht vor dem „Problem“, dass immer mehr Wissen in einer bestimmten Zeitspanne an die Schüler gebracht werden muss. Die Schulphase lässt sich nicht beliebig ausdehnen, um mehr Wissen verarbeiten zu können und kann auch nicht gekürzt werden, um die Jugendlichen früher in die Optionsoffenheit des Lebens zu entlassen. In der begrenzten Schulzeit müssen also die Kinder und Jugendlichen dazu befähigt werden, Informationen kritisch auszuwählen, Prioritäten zu setzen und, unter der Berücksichtigung eigener Interessen und der Funktionalität in Bezug auf das Leben und das verantwortungsbewusste Wirken in der globalen Gesellschaft, Entscheidungen zu treffen. Da der Fortschritt der Technologie vermutlich noch nicht abgeschlossen ist und sich die oben dargelegten Zusammenhänge rund um die Beschleunigung der Zeit, des Lebens und um die Anhäufung des Wissens noch weiterentwickeln werden, muss es heute vorrangig um die Vermittlung von Kompetenzen gehen, die das selbstgesteuerte Lernen fördern und jedem Einzelnen in einem individuellen Lerntempo die groben Zusammenhänge der globalen Verflechtungen offenlegen. Kritikfähigkeit sollte eine der zentralen Komponenten sein, die gefördert werden muss, um die Schülerinnen und Schüler dazu zu befähigen, die Entwicklungsprozesse zu hinterfragen. Diese Notwendigkeit wird umso deutlicher, wenn wir den Thesen des Soziologen Rosa nochmals Aufmerksamkeit schenken.
Rosa bringt die Art und Weise wie wir leben in einen unmittelbaren Zusammenhang mit der Art und Weise wie wir unsere Zeit verbringen. Denn die „Art und Weise unseres In- der-Welt-Seins [...] hängt in einem hohen Maße von den Zeitstrukturen der Gesellschaft ab, in der wir leben“ (Rosa 2005, S. 15). Folgen wir dieser Annahme und bringen diese in Verbindung mit der Annahme der rasanten und krampfhaften Aneignung des Wissens und den damit verbundenen „Verpassungsängsten“ würde das bedeuten, dass unser ganzes Leben darauf ausgerichtet sein muss, eine „[...]Vielzahl von Lebensmöglichkeiten in einer einzigen irdischen Lebensspanne zu verwirklichen[...]“ (ebd., S. 474). Was dabei höchstwahrscheinlich nicht berücksichtigt werden kann, ist die bewusste Lebensweise, der nachhaltige Umgang mit Ressourcen, die Wertschätzung dessen, was Beständigkeit hat, die intensive Auseinandersetzung mit der unmittelbaren Umgebung und den Menschen um uns herum.
Nachhaltigkeit in der Bildungsarbeit kann eine Antwort auf die oben beschriebenen Entwicklungen sein. Dabei sind zwei Seiten von Nachhaltigkeit zu berücksichtigen. Auf der einen Seite geht es um die Fragen: Wie kann man langfristiges Lernen erzielen, sodass das „alte“ Wissen mit dem neuen verknüpft werden kann? Wie kann ich Nützliches von nicht Nützlichem unterscheiden? Da mehr Wissen auch mehr Unwissen bedeutet, muss auch gefragt werden, wie mit dem Unwissen und den Unsicherheiten umgegangen werden kann? Auf der anderen Seite muss es um Nachhaltigkeit als eigenes Bildungsziel gehen. Dieses Bildungsziel liegt dem Programm „21“ der Bund/Länderkommission zugrunde. Dabei geht es konkret um eine Bildung, die Menschen zum nachhaltigen Handeln befähigt und sensibler macht für ökologische Fragen und Fragen der sozialen Gerechtigkeit in der globalen Welt.
Wenn man diese Voraussetzungen ernst nimmt, erklärt es sich von selbst, dass die von der OECD, der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, vorgenommene Konnotation des Begriffs „Wissensgesellschaft“, als begrüßenswerter Motor für mehr Wirtschaftswachstum (vgl. OECD 1996, S. 7), im Rahmen dieser Arbeit als kritisch gesehen wird.
Wodurch zeichnet sich Wissensgesellschaft aus und kann sie auch andere Ziele haben als mehr Wirtschaftswachstum? Fest steht, dass Wissen tatsächlich eine große wirtschaftliche Rolle spielt und neben dem Kapital und anderen Ressourcen zu einer eigenen Schlüsselressource gewachsen ist, die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben ermöglicht. Diese Rolle darf nicht in der Hinsicht ausgenutzt werden, dass sie zum Wirtschaftswachstum ohne ethische Orientierung verkommt. Nach Heidenreich hat die Wissensgesellschaft den primären Vorteil der Produktivitätssteigerung. Der Nachhaltigkeitsaspekt, welcher gerade im Kontext der Produktivitätssteigerung in unserer heutigen Gesellschaft als zentral zu erachten ist, fehlt hier. (vgl. Heidenreich 2002, S. 347). Folgt man den Merkmalen der Wissensgesellschaft von Helmut Willke, der folgendes festlegt:
„Einfache Tätigkeiten und Dienstleistungen werden von Maschinen oder Robotern übernommen, während der Bedarf an professioneller Expertise in allen Bereichen steigt; Eine Dreiteilung des Arbeitsmarktes zeichnet sich ab:
Ein oberes Segment von [...] hochprofessionellen [...] Wissensarbeiter. Ein großes, heterogenes Mittelsegment von [...]Personen, mit permanenten Druck zur Fort- und Weiterbildung und hohen Fluktuationen nach oben und unten. Das untere Segment [...], das von Wissensgesellschaft überfordert wird[...].“ (Willke 1998, S. 356), so wird deutlich, dass ein Gesellschaftsbild antizipiert wird, welches nur als unerwünscht gelten kann. Denn die Konstruktion der Dreiteilung der Gesellschaft war bereits im 19. Jahrhundert in Preußen der Ausgangsgedanke für die Etablierung des dreigliedrigen Schulwesens, welches sich glücklicherweise nun nach und nach auflöst, weil auch das Bildungswesen die Zeichen der Zeit erkannt hat und auf dem Weg ist, die Selektion durch das Bildungswesen zu unterbinden. Ob die Reformen zielführend sind, ist eine andere Frage und wird an einer anderen Stelle beantwortet. Fest steht, dass es nicht um den Wissensbegriff wie ihn Willke konstruiert, gehen kann. Ganz im Gegensatz zu dem vorliegenden technizistischen Begriff der Informationsgesellschaft, muss es um eine Wissensgesellschaft gehen, die Perspektiven eröffnet und die auf den Willen und die Befähigung der Menschen zu Selbstbestimmung setzt (vgl. Heinrich-Böll-Stiftung 2001- 2007).
Durch die Befähigung der Menschen zu Selbstbestimmung muss es auch um mehr globale Gerechtigkeit durch Wissen gehen und nicht um mehr Wirtschaftswachstum Einzelner. Brunold sieht ebenfalls eine Gefahr für unsere gesamte ethische Orientierung:
„Unbegrenzte Verfügungsmächte, Selbstverwirklichungsvorstellungen und Sofortbefriedigungsansprüche einerseits sowie die Begrenztheit der Erde und des „Systems Mensch“ bilden die Widersprüche[...]“ (vgl. Brunold 2004, S. 23). Entscheidend sind ebenso die Gestaltung des Zugangs zu Wissen und die Organisation von Bildungsstrukturen. Es muss daher die Aufgabe von Bildungspolitik, staatlichen und privatgesellschaftlichen Akteuren sein, mittels adäquaten Strukturen und Inhalten auf die oben aufgeworfenen Fragen Antworten zu liefern. Unter welchen Voraussetzungen dies gelingen kann und welche Entwicklungen die nachhaltige Entwicklung eher behindern, wird im Verlauf der Arbeit aufgezeigt.
1.2 Die Begrenztheit der Erde und die Notwendigkeit zum nachhaltigen Handeln
Die Begrenztheit der Erde offenbart sich in einem erhöhten Maße hinsichtlich der Endlichkeit von Ressourcen. Hier sprechen wir tatsächlich von einer globalen Herausforderung, denn diese betrifft den ganzen Globus. Wir leben in unüberschaubaren Abhängigkeitsverhältnissen mit allen Bewohnern der Welt. So sollte man, wenn es um die Suche nach Lösungsansätzen geht, die Abhängigkeitsverhältnisse so umfassend wie möglich zu betrachten versuchen im Sinne des Gleichgewichts von Ökonomie, Ökologie und sozialer Gerechtigkeit.
Dass der technische Fortschritt der Industriegesellschaft schon längst den Zeitpunkt überschritten hat, an dem die Ökonomie und die Ökologie sich im Gleichgewicht entwickeln und bestehen können, ist bekannt. Der Club of Rome hat in seinem Bericht von 1972 erstmals auf die Grenzen des Wachstums aufmerksam gemacht. Der jüngst erschienene Bericht des Club of Rome „2052 A Global Forecast for the Next Forty Years” konstatiert, dass das Ökosystem Erde erheblich mehr belastet werde, als die Ressourcen es erlauben würden, mit dramatischen und irreversiblen Folgen (vgl. Club of Rome 2012, S. 3). Industrieländer seien in einem besonderen Maße für den Ressourcenverbrauch verantwortlich, denn Wachstum würde immer noch als „Selbstzweck angesehen und unkritisch mit Fortschritt und Lebensqualität identifiziert“ (ebd.). Der Club of Rome entwickelt ausgehend von diesen Feststellungen sieben Thesen, wie mit dem erhöhten Wachstum und dem Ressourcenverbrauch umgegangen werden kann, die gleichzeitig als Anstöße für konkrete Umsetzungsideen dienen sollen.
Die in Rio de Janeiro auf der Konferenz der Vereinten Nationen zur Umwelt und Entwicklung von 1992 formulierten Grundsätze zur nachhaltigen Entwicklung besagen, dass der Umweltschutz in allen Bereichen des gesellschaftlichen Zusammenlebens bedacht und umgesetzt werden soll: „Damit eine nachhaltige Entwicklung zustande kommt, muss der Umweltschutz Bestandteil des Entwicklungsprozesses sein und darf nicht von diesem getrennt betrachtet werden“ (UN 1992, S. 1). Die Entkopplung von Wachstumsgedanken und Wachstumsförderung vom Umweltschutz ist heute nicht mehr möglich. Mit diesem Gedanken sollten die Generationen in den Industrie- und Entwicklungsländern aufwachsen. Gleichzeitig wird die Rolle der Jugend betont, die ermutigt werden soll, Partnerschaften zu schaffen und nachhaltige Entwicklung herbeizuführen. (vgl. ebd.).
Manfred Linz benennt in seinem Aufsatz „Globale Herausforderungen im 21. Jahrhundert“ vier zentrale Herausforderungen im Spannungsfeld zwischen Ökonomie, Ökologie und globalen Gefährdungen. Er geht zunächst auf die Bedeutung der Grenzen unserer modernen Gesellschaft ein und stellt die Beobachtung auf, dass es Ziel unserer modernen Gesellschaft sei, allerlei Grenzen zu überwinden. Anschließend stellt er einen Zusammenhang her, zwischen dem Hinausschieben der Grenzen des Wachstums seit den frühen siebziger Jahren und den sich heute zunehmend deutlich abzeichnenden Grenzen der industriellen Zivilisation, Grenzen des Wirtschaftssystems und Grenzen, die von der Natur gesetzt werden. Linz kann sich keinen Weg der Entkopplung von Wirtschaftswachstum und Ressourcenverbrauch vorstellen und sieht die Überlastung der Öko-Systeme als unmittelbare Folge des heutigen Wirtschaftens (vgl. Linz 1998, S. 9).
Die nächste Herausforderung, die sich aus der beschriebenen Situation ergibt, ist die des Einschätzens der Risiken und Konsequenzen, die sich aus der Lebensweise ergeben. Es ist wichtig, Zukunftsszenarien zu antizipieren, um möglichen weitreichenden Problemen vorzubeugen. Diese Aufgabe muss eine Entscheidungsinstanz übernehmen, die die ethischen Werte berücksichtigt und nicht die wirtschaftlichen oder wissenschaftlichen Aspekte als vordergründig bewertet.
Es ist eine der größten Herausforderungen, das Nord-Süd-Gefälle zu verringern. Den Industrienationen kommt dabei eine entscheidende Rolle zu, denn „[...] sie tragen auch heute noch erheblich mehr zur gegenwärtigen Krise bei, als andere Nationen“ (Club of Rome 2012, S. 5). Die Industrienationen müssen dazu beitragen, dass sich der Lebensstandard der Menschen in Entwicklungsländern hebt. Durch Bildung, Verbesserung der Berufschancen für Frauen und durch den Transfer des Know-hows im Einsatz der Technologien, die Ressourcenverbrauch verringern, um nur einige Punkte zu nennen, kann der Weg des Ausgleichs des materiellen Gefälles beschritten werden, welcher im Endeffekt allen Beteiligten zu Gute kommt (vgl. ebd., S. 6).
Das im Jahr 1997 unterzeichnete und erst 2005, aufgrund von Verweigerung der Ratifizierung seitens der USA, in Kraft getretene Kyoto-Protokoll, legt beispielsweise verbindliche Richtlinien zum CO2 - Ausstoß fest, an die die beteiligten Länder gebunden sind und im Falle der Überschreitung der Werte Geldstrafen erwarten müssen. Diese Vereinbarung ist ein wichtiger Schritt auf dem Weg in die Verbindlichkeit bei der Herstellung des Gleichgewichts zwischen Nord-Süd und Natur und Mensch. Leider basieren die Vereinbarungen zum Schutze der Umwelt immer noch auf Freiwilligkeit. So kündigte Kanada im Jahr 2011 die Mitgliedschaft, um empfindliche Strafen zu umgehen (vgl. Lexikon der Nachhaltigkeit: Kyoto Protokoll).
Auch Linz bewertet finanzielle Kompensationen zwischen Industrieländern und armen Entwicklungsländern und ebenso von Wirtschaftsunternehmen als berechtigt, weil die ärmeren Länder des Südens viel Stärker von Klimaveränderungen betroffen sein werden und über weniger finanzielle Ressourcen verfügen (vgl. Linz 1998, S. 14). Als Folge der beschriebenen Herausforderungen ergibt sich die nächste und zwar die Einführung der Globalen Steuerung, die unumgänglich sein wird. Dass die Umsetzung der Globalen Steuerung mit dem Teilverlust der Souveränität der Staaten verbunden sein wird, liegt auf der Hand. Sie wird eine neue grenzüberschreitende Herausforderung werden.
1.3 Individuum im Spannungsfeld von Beschleunigung und Nachhaltigkeit
Aus den oben ausgeführten globalen Herausforderungen wird deutlich, dass Lernende heute mit einer dichten Komplexität an Themen umgehen müssen, die verschiedenen Ebenen zuzuordnen sind. Die sachliche Ebene mit den deutlichen Grenzen des Wachstums und damit verbundenen globalen Problemen wurde bereits eingehend behandelt.
Die soziale Ebene fordert die Auseinandersetzung mit dem Eigenen und dem Fremden, mit dem Bekannten und Unbekannten und fordert Einfühlungsvermögen, Perspektivwechsel und Empathie. Der soziale Wandel vollzieht sich in einem rasanten Tempo, sodass in den Großstädten das Eigene und das Fremde zunehmend verschwimmen und das Unbekannte ein fester Bestandteil des Alltags wird. Diese zeitliche Ebene ist eine besondere Herausforderung für die Lehre und die Bildungsorganisationen, die adäquat und spontan auf den Wandel reagieren müssen. Das bedeutet, dass sowohl die Strukturen, als auch das Personal und die Curricula von derart Beschaffenheit sein sollten, dass Entscheidungen flexibel und ohne lange bürokratische Wege ermöglicht werden. Da das Wissen immer schneller veraltet, muss auf die Herausbildung der Kompetenzen Wert gelegt werden, die den Lernenden befähigen, Sinnvolles vom Sinnlosen zu unterscheiden, zeitgemäße und zukunftsweisende Entscheidungen zu treffen und das im Hinblick auf die soziale und nachhaltige globale Entwicklung. Das bloße Faktenwissen wird teils erweitert, teils ersetzt durch Kompetenzen, da die sich rasch verändernde Welt dem Individuum hohe Anpassungsfähigkeit abverlangt und diese Anpassungsfähigkeit nicht durch das bloße vermitteln von Faktenwissen erzeugt werden kann.
Da die „Bildung“ nicht nur semantisch mit der „Herausbildung eines Individuums“ verknüpft ist, sondern wenn man davon ausgehen kann, dass die Schule als Sozialisationsinstanz einer Gesellschaft für die Herausbildung der Individuen dieser Gesellschaft verantwortlich ist, wirft sich an dieser Stelle die Frage auf, über welche Eigenschaften und Kompetenzen der „Mensch von heute“ verfügen sollte und wie könnten diese Kompetenzen der Gesellschaft von morgen dienlich sein? Vor allem bleibt interessant, mit welchem Zweck die Kompetenzorientierung, der so nichts entgegenzusetzen ist, eingeführt wurde. Dies wird in dem Kapitel über die Bildungsstandards kritisch beleuchtet. Es sei an dieser Stelle angemerkt, dass in zahlreichen Ansätzen zum Wandel der Bildungsstruktur und ihrer Inhalte der Gedanke im Vordergrund steht, die Kinder und Jugendlichen für die Herausforderungen der modernen Gesellschaft „fit“ zu machen, sodass diese als Bürger der globalen Gesellschaft das ökonomische Wachstum befördern. Auch die OECD stellt das Wirtschaftswachstum in der Welt als ein primäres Ziel, von dem ausgehend alle anderen sozialen Bereiche gesteuert werden. Die schockierende PISA-Studie, Programme for International Student Assessment, wurde initiiert nicht nur um einen Leistungsvergleich zwischen den Ländern herzustellen, sondern um festzustellen, wo Kompetenzen der Schülerinnen und Schüler noch weiter gefördert werden müssen, um diese adäquat auf das Leben in einer Gesellschaft vorzubereiten, die vom Gedanken bestimmt wird, das Wirtschaftswachstum immer weiter voranzutreiben. Bezeichnenderweise schnitt Korea, ein Land mit einem unterdurchschnittlichen Pro-Kopf-BIP-Einkommen, am besten ab (vgl. OECD 2010). Hohes Pro-Kopf Einkommen ist also kein Garant für gute Bildung.
Es sollte heute aber nicht darum gehen, Kinder für die Zukunft „zu trainieren“, sondern heute, vor dem Hintergrund der immer schneller wachsenden und sich vernetzenden Wissensgesellschaft und dem neoliberalen Ökonomismus, müssen die Lernende dazu angeregt werden, bestimmte Zusammenhänge zu hinterfragen, abzuwägen, zu beurteilen um dann zukunftsweisend und adäquat entscheiden zu können. Die Kant’sche Auffassung der Aufklärung, den Mut zu haben, sich seines eigenen Verstandes zu bedienen, anstatt blind dem zu folgen, was vorgegeben wird, das ist die entscheidende Kompetenz. Es geht darum, ein Bewusstsein dafür zu entwickeln, dass die Zukunft von jedem beeinflussbar ist. Das ist ein Wert, der im Bildungskontext als richtungsweisend erscheint.
2. Die Entwicklung Globalen Lernens und Bildung für nachhaltige Entwicklung als Antwort auf die Herausforderungen der globalisierten Welt
2.1 Globalen Lernen als pädagogische Konzeption - Entwicklung des Lernbereichs
Vor dem Hintergrund der oben beschriebenen Entwicklungen wird hier von einem LehrLern- und Lebensprinzip ausgegangen, der sehr umfassend auf die Herausforderungen der globalen Gesellschaft reagiert und bereits in einigen Bundesländern Eingang in die Rahmenlehrpläne gefunden hat. Seine Entwicklung und der aktuelle Bezug sollen nun dargestellt werden. In den Curricularen Vorgaben für den Lernbereich Lernen in globalen Zusammenhängen im Rahmen einer Bildung für nachhaltige Entwicklung sind die Ziele des Lernbereichs folgendermaßen definiert:
„Ziel ist es die Schülerinnen und Schüler in ihrem Kompetenzerwerb für ein Leben in globaler Verantwortung und Solidarität, der Achtung von Menschenrechten, Gerechtigkeit und Frieden in einer globalen Welt zu stärken und in diesem Sinne über die jeweilige Fachperspektive hinaus ihre Urteils- und Handlungsfähigkeit zu befördern.“ Es sollen Kompetenzen erworben werden, die „für die erfolgreiche Teilhabe an der Gestaltung ihrer eigenen gesellschaftlichen Zukunft zu erwerben, um letztendlich Mitverantwortung im globalen Rahmen zu übernehmen“. (Senatsverwaltung für Bildung Jugend und Wissenschaft 2012, S. 1)
In dem Sinne soll hier vom Ansatz Globalen Lernens ausgegangen werden, welches sich als Bildung für nachhaltige Entwicklung versteht. Dass das Globale Lernen eine Geschichte aufweist, die wiederum von verschiedenen Denkrichtungen und Strömungen beeinflusst wurde, macht den Lernbereich nur überzeugender, weil sich dieser, den Umständen entsprechend, immer weiterentwickelt hat.
Die Wurzeln Globalen Lernens liegen in verschiedenen didaktisch-pädagogischen Konzepten. Der Bezug zur entwicklungspolitischen Bildung und der Dritte-Welt- Pädagogik ist dabei historisch am deutlichsten ausgeprägt. Dieser Ansatz wurde nach dem Ende des zweiten Weltkriegs auch in die Schule getragen, um für das Anliegen der notleidenden Völker zu sensibilisieren und entsprechende pädagogische Aktionen umzusetzen (vgl. Scheunpflug/Schrök 2002, S. 11). Die sechziger Jahre waren von geschichtsträchtigen parallelen Entwicklungen gekennzeichnet, die sich auch auf die Bildungsdebatte und ihre Verwirklichung niederschlugen. Zum einen war die neue kritische Auseinandersetzung mit der Vergangenheit, der Zeit des Nationalsozialismus, dafür verantwortlich, dass eine deutliche „Politisierung der entwicklungspolitischen Debatte“ stattfand, die in curricularen Neuerungen mündete. Mitte der siebziger Jahre entstand das Konzept der Entwicklungspädagogik, der sich explizit der Auseinandersetzung mit dem Ungleichgewicht in der Welt widmete (vgl. ebd.). Gleichzeitig setzte die Zuwanderung der Arbeitsmigrantinnen und Arbeitsmigranten ein, die wiederum bildungspolitisch neue Herausforderung brachte. Die Antwort auf die Herausforderungen glaubte man durch die dann etablierte Ausländerpädagogik gefunden zu haben. Die Ausländerpädagogik orientierte sich an den Defiziten der Zuwanderer, die dahingehend gefördert werden sollten, dass sie sich in der Gesellschaft assimilieren sollten (vgl. Nestvogel 2002, S. 32). Erst die interkulturelle Pädagogik, die sich daraus entwickelte, begann auch die deutschen Schüler in das Konzept miteinzubeziehen und das Interesse an anderen Kulturen zu fördern. Neben dem Erwerb von Wissen zu anderen Kulturen, ging es auch um das soziale Lernen, um den Umgang mit kultureller Differenz und die Herstellung von Gemeinsamkeiten (ebd.).
Die achtziger Jahre waren geprägt von einer neuen Auseinandersetzung mit Kultur. Die Länder des Südens sollen nicht als Betrachtungsobjekt behandelt werden, sondern als Partner von dem und mit dem man lernen kann. Die neue Kulturauffassung wurde „etatistisch (Kultur für alle), partizipativ (Alltagskultur), integrativ (Anerkennung/Förderung fremder Kulturen, der Soziokultur, kommunikativer Prozesse), gesellschaftsbezogen[...] und kooperativ[...]“ gestaltet und gelebt (vgl. Heinze 2010, S. 20).
Diese Strömung interkulturellen Lernens, wie es heute verstanden wird, strebt nicht nur die Auseinandersetzung mit fremden Kulturen voraus, sondern fordert auch die Beschäftigung mit der eigenen Kultur und deren vielfältigen Vernetzungen.
„Diese Auseinandersetzung reicht vom Makrosystem historisch gewachsener Verflechtungen […] bis in den Mikrobereich der psychischen Strukturen des Subjekts […]. Interkulturelles Lernen umfasst damit kognitive, affektive und konative Dimensionen und erfordert die Fähigkeit zu vernetzter Wahrnehmung und einer Reflexions- und Handlungskompetenz in komplexen Zusammenhängen“ (Nestvogel: 2002, S. 36)
Die Friedenspädagogik, die sich deutlich nach dem zweiten Weltkrieg aus dem Gedanken heraus entwickelte, einen Beitrag zur Völkerverständigung zu leisten, stützt sich auf die zentralen Elemente wie die konstruktive Konfliktbearbeitung, die Versöhnungsarbeit und die Förderung der Empathie (vgl. Scheunpflug/Schrök 2002, S. 12).
Aus der Auseinandersetzung mit den Umweltproblemen, parallel zu den oben beschriebenen Konzepten, entwickelte sich die Umweltpädagogik in den siebziger und achtziger Jahren. Jedoch erhielt sich die entwicklungspolitische Komponente seit den neunziger Jahren, die eine Reihe von wissenschaftlichen und politischen Diskussionen und weltweiten Konferenzen zu den Fragen der Nachhaltigkeit hervorbrachten. Im deutschen Sprachgebrauch hat sich der Begriff „Nachhaltige Entwicklung“ aus der Übersetzung aus dem Englischen „Sustainable Development“ seit der Weltumweltkonferenz in Rio und der dort verabschiedeten Agenda 21 etabliert (vgl. Michelsen 2009, S. 76).
Auch der Begriff der „Nachhaltigen Entwicklung“, wie der der Globalisierung, lässt sich heute nur schwer fassen, weil entsprechend der Interessenslage verschiedene Schwerpunkte beleuchtet werden können. Der gemeinsame Nenner und die Definition, die in sich durchgehend in allen Veröffentlichung zum Thema findet, versteht die nachhaltige Entwicklung als Entwicklung, „die die Bedürfnisse der Gegenwart befriedigt, ohne zu riskieren, dass künftige Generationen ihre eigenen Bedürfnisse nicht befriedigen können (vgl. Hauff 1987, S. 46).
So haben sich unterschiedlich akzentuierte Impulse aus der entwicklungspolitischen Bildung mit ökopädagogischen, friedenspädagogischen, interkulturell orientierten und auf Menschenrecht bezogenen Herangehensweisen zur Konzeption des Globalen Lernens hin entwickelt (vgl. Overwien/Rathenow 2009, S. 12).
Wenn die beschriebenen Ansätze dazu beitragen können, dass sich die Fremdenfeindlichkeit und Vorurteile mindern oder gar abstellen, Menschen ein Gespür und Bewusstsein für ihre Lebensweise im Einklang mit der Natur entwickeln können, wenn sie bereit sind aufeinander zuzugehen und die Konflikte dialogisch zu lösen, dann kann man davon ausgehen, dass der Lernbereich Globales Lernen für ein nachhaltiges Leben von zentraler Bedeutung ist.
„Interkulturelles Lernen“, „Globales Lernen“ und „Bildung für Nachhaltige Entwicklung“ haben inzwischen, nicht zuletzt durch die Veröffentlichung des Orientierungsrahmens für den Lernbereich Globale Entwicklung (vgl. BMZ/KMK 2007) ihren Weg in die pädagogische Praxis gefunden. Dem vorangegangen war eine Reihe von Beschlüssen, die hier kurz skizziert werden.
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- Quote paper
- Veronika Taranzinskaja (Author), 2013, Die Rolle Globalen Lernens als Bildung für nachhaltige Entwicklung zur Förderung des Educational Governance-Konzepts im Bildungswesen des 21. Jahrhunderts, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/323119
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