Am 18. Oktober 2015 wurde Henriette Reker als parteilose Kandidatin mit 52,7% zur Oberbürgermeisterin der Stadt Köln gewählt. Damit ist sie nicht nur die erste Frau an der Spitze einer deutschen Millionenstadt (Damm 2015), sondern steht gleichzeitig für einen deutschlandweiten Trend hin zu parteilosen Bürgermeistern in Städten.
Durch die Einführung der Direktwahl sowie der strukturellen Neuausrichtung des OB-Amtes in NRW haben sich auch die Rahmenbedingungen der Parteien mit Blick auf die personelle Besetzung des Amtes geändert.
Vor diesem Hintergrund soll im Rahmen der Bachelorarbeit der Frage nachgegangen werden: Warum Parteien parteilose Bürgermeisterkandidaten unterstützen, anhand einer Fallanalyse der OB-Wahl 2015 in Köln.
Schließlich gehört zum ursprünglichen Charakter einer Partei ein natürliches Macht- und Gestaltungsinteresse, dass u.a. durch die Besetzung von politischen Ämtern gesichert wird. Ist eine Partei jedoch nicht in der Lage, geeignete Kandidaten für Wahlkämpfe aufzustellen, stehen Parteien vor einen Legitimationsproblem.
Inhaltsverzeichnis
AbkürzungsverzeichnisI
Tabellen- und AbbildungsverzeichnisII
1. Einleitung.
2. Theorie: Neo-Institutionalismus
2.1.Rational-Choice-Institutionalismus zur Erklärung von Parteienmotiven
3. Parteien in der kommunalen Selbstverwaltung als rationale Akteure
4. Reformierung der Gemeindeordnung in NRW 1994 als institutionelle Rahmenbedingung
4.1. Der neue Bürgermeister in NRW
5. „Ent-Partei-Politisierung“ der Kommunalpolitik durch die Einführung der Direktwahl des Bürgermeisters in NRW?
6. Methodik.
7. Empirie: Motive der Parteien in der Bürgermeisterwahl 2015 in Köln
7.1. Fallspiel Stadt Köln
7.2. Motive der CDU zur Unterstützung von Henriette Reker
7.3. Motive der Grünen zur Unterstützung von Henriette Reker
7.4. Motive der FDP zur Unterstützung von Henriette Reker
7.5. Motive der Wählergemeinschaften „Freien Wähler Köln“ und „Deine Freunde“ zur Unterstützung von Henriette Reker
7.6. Motive der SPD zur Unterstützung von Jochen Ott
8. Fazit.
9. Literaturverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Tabellen- und Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1: Leitstruktur der Gemeindeordnung NRW (alt)
Abbildung 2: Leitstruktur der Gemeindeordnung NRW (neu)
Abbildung 3: Zusammenfassung der Motive der unterstützenden Parteien
1. Einleitung
Am 18. Oktober 2015 wurde Henriette Reker als parteilose Kandidatin mit 52,7% zur Oberbürgermeisterin der Stadt Köln gewählt (Stadt Köln 2015: 5). Damit ist sie nicht nur die erste Frau an der Spitze einer deutschen Millionenstadt (Damm 2015), sondern steht gleichzeitig für einen deutschlandweiten Trend hin zu parteilosen Bürgermeistern[1] [2] in Städten. Mittlerweile sind ca. 45% der Bürgermeister in Deutschland parteilos (Der Bürgermeistertag 2014: 1). Auch wenn der Anteil parteiloser Bürgermeister in den letzten Jahren stark gestiegen ist, sind auch partei-unabhängige Kandidaten in der Regel auf die Unterstützung von Parteien angewiesen, da parteilose Kandidaten in der Regel einen eigenen Wahlkampf nicht finanzieren können (Jansen: 2014). So hatte auch die parteilose Oberbürgermeisterkandidatin Henriette Reker ein breites Unterstützungsbündnis von Parteien hinter sich vereint. Die Christlich Demokratische Union Deutschlands (CDU), Bündnis 90/ Die Grünen (Grüne), die freie Demokratische Partei (FDP) sowie die Wählergruppen „Deine Freunde“ und „Freie Wähler“ haben die gelernte Juristin aktiv unterstützt.
Grundlage für die Entwicklung hin zu mehr parteilosen Bürgermeistern in NRW, wie es unter anderem das Beispiel der Kölner OB-Wahl 2015 zeigt, ist mitunter die Reformierung der Gemeindeordnung Nordrhein-Westfalens (GO NRW) im Jahr 1994. Im Rahmen dieser Gesetzesänderung kam es zu einer institutionellen Neukonfiguration der Gemeindeorgane, einer grundlegenden Umstrukturierung des Bürgermeisterpostens sowie einer Zunahme der Möglichkeiten bürgerschaftlicher Partizipation. Der Politikwissenschaftler Uwe Andersen bezeichnet den neuen kommunalverfassungsrechtlichen Charakter der Gemeindeordnung in NRW sogar als Verfassungsrevolution, da sich die lokale Variante des parlamentarischen Regierungssystems zu einem Präsidialsystem hin entwickelt hat. Schließlich wird der Bürgermeister seit der Reformierung der GO NRW von der Bürgerschaft einer Kommune direkt gewählt. Zuvor wählte der Stadtrat einer Kommune den Bürgermeister. (Andersen 1998: 64-65).
Die Novellierung der Gemeindeordnung wurde jedoch nicht nur in NRW, sondern in vielen weiteren deutschen Flächenländern vorangetrieben. Alle deutschen Flächenländer haben in den 1990er Jahren eine kommunalverfassungsrechtliche Reformierung durchlebt mit dem Ergebnis, dass es in allen deutschen Flächenländern möglich ist, den Bürgermeister per Direktwahl zu bestimmen. Hier diente in Bezug auf die Neugestaltung der kommunalen Führungsstruktur insbesondere die baden-württembergische Gemeindeordnung als Vorbild (Vgl. Wehling, Kost 2010: 13).
In der lokalen Politikforschung werden diese Entwicklungen durchaus kontrovers beobachtet. Insbesondere für das Land NRW fällt die Bewertung unterschiedlich aus. Dabei kristallisieren sich zwei gegenüberstehende Pole der Debatte heraus.
Der Politikwissenschaftler Hans-Georg Wehling postuliert im Jahr 2003, u.a. aufgrund der beschriebenen Reformierungswelle und am Beispiel NRWs die These, dass die Kommunalpolitik in Deutschland „ent-Partei-politisiert“ würde. Dieser Trend wäre bedingt durch den reformierungsbedingten Wechsel zu konkordanzdemokatischen Strukturen, dem süddeutschen Modell der kommunalpolitischen Kultur entsprechend (Kost, Wehling 2010: 365). Hierbei ist unter dem Begriff der Konkordanzdemokratie eine geringe kommunale Parteipolitisierung von Rat und Bürgermeister zu verstehen. Dem gegenüber sind in einer Konkurrenzdemokratie Rat und Bürgermeister in hohem Maße von Parteipolitik dominiert (Holtkmp 2008: 7). Vor allem NRW gilt im deutschen Ländervergleich als Bundesland, dessen Kommunalpolitik am stärksten parteipolitisch geprägt ist (Gehne 2008: 101).[3] Dementsprechend interpretieren einige Politikwissenschaftler die Reformierung der GO NRW nicht als Prozess der Ent-Partei-Politisierung, sondern als eine Änderung des institutionellen Rahmens für Parteien (Vgl. Bogumil 2001: 192 ff., Vgl. Voigt 1992: 3-12). Mit Blick auf die Reformierung der GO NRW und der damit verbundenen „Ent-Partei-Politisierungs“-These nach Wehling stellt sich die Frage, ob auch NRW, insbesondere Köln, eine Phase durchlebt, in der sich die kommunalpolitischen Entscheidungs- und Machtverhältnisse verändern.
In den vergangenen 20 Jahren haben sich die kommunalpolitischen Strukturen in NRW tiefgreifend verändert. Vor allem die Gemeindeführung erlebt eine rasante Veränderung, welche in der lokalen Politikforschung bisher kaum untersucht wurde.
Durch die Einführung der Direktwahl sowie der strukturellen Neuausrichtung des OB-Amtes[4] in NRW haben sich auch die Rahmenbedingungen der Parteien mit Blick auf die personelle Besetzung des Amtes geändert.
Vor diesem Hintergrund soll im Rahmen der Bachelorarbeit der Frage nachgegangen werden: Warum Parteien parteilose Bürgermeisterkandidaten unterstützen, anhand einer Fallanalyse der OB-Wahl 2015 in Köln.
Schließlich gehört zum ursprünglichen Charakter einer Partei ein natürliches Macht- und Gestaltungsinteresse, dass u.a. durch die Besetzung von politischen Ämtern gesichert wird (Decker, Neu: 2013: 21). Ist eine Partei jedoch nicht in der Lage, geeignete Kandidaten für Wahlkämpfe aufzustellen, stehen Parteien vor einen Legitimationsproblem (Hansen 2014). Im Falle einer erfolgreichen Wahl eines Kandidaten, der von einer oder sogar mehreren Parteien unterstützt wurde, können die gewählten Amtsträger für ihre Handlungen im Amt schlechter kontrolliert und sanktioniert werden, da sie keine Parteimitgliedschaft inne haben und der gewählte Kandidat seiner Unterstützerpartei zunächst keinerlei Rechenschaft schuldig ist (Hansen 2014).
In der vorliegenden Arbeit sollen mit Blick auf die gewandelten institutionellen Rahmenbedingungen durch die Reformierung der GO NRW die Motive der Unterstützerparteien von Henriette Reker elaboriert werden. Darüber hinaus soll auf Basis der empirischen Ergebnisse erörtert werden, ob die Kommunalpolitik in NRW tatsächlich eine „Ent-Partei-Politisierung“ erlebt oder ob Parteien nach wie vor maßgeblichen Einfluss auf die Besetzung von Spitzenämtern in Rat- und Kreishäusern haben und damit insgesamt auf den politischen Prozess.
Das erste Kapitel erläutert im Vorfeld der empirischen Arbeit zunächst den theoretischen Rahmen, um die Wirkung von Institutionen, bzw. institutionellem Wandel auf das Verhalten von Akteuren, in diesem Fall vornehmlich Parteien darzustellen. Hierbei wird insbesondere die theoretische Strömung des Rational-Choice-Institutionalismus vorgestellt, um nachzuvollziehen, warum Parteien parteilose Kandidaten unterstützen. Im dritten Kapitel wird die Rolle von Parteien in der kommunalen Selbstverwaltung, und ihre Position in der Kommune erläutert. Im darauf folgenden Teil wird die Reformierung der GO NRW 1994 mit Fokus auf deren Auswirkung auf das Profil und die Position des Bürgermeisters in der Kommunalverwaltung und den daraus entstehenden Herausforderungen für Parteien dargestellt. In dem Zusammenhang wird ebenfalls das Profil, bzw. die neue Position des Bürgermeisters in NRW elaboriert. Im darauf folgenden Kapitel wird die „Ent-Partei-Politisierungs“-These nach Wehling erläutert, um im Rahmen der Forschungsfrage zu analysieren, ob die Unterstützung einer parteilosen Kandidatin eine neue Strategie zur Besetzung des OB-Amtes darstellt, welche sich durch die Reformierung, bzw. durch die nach Wehling postulierte „Ent-Partei-Politisierung des OB-Postens ergeben hat.
Diese Komponenten schaffen die Grundlage für die konkrete empirische Untersuchung des Fallbeispiels. Zunächst wird die Methodik der empirischen Untersuchung dargelegt sowie die Besonderheit des Fallbeispiels skizziert, um anschließend die Motive der Unterstützerparteien von Henriette Reker zu untersuchen. In dem Zusammenhang soll ebenfalls die Haltung der SPD gegen eine Unterstützung von Henriette Reker sowie die Nominierung des eigenen Kandidaten der SPD, Jochen Ott, beleuchtet werden. Dadurch soll verdeutlicht werden, welche Motive Parteien für die Nominierung eines eigenen Kandidaten bzw. gegen einen parteilosen Kandidaten haben. Die empirische Arbeit basiert auf der Dokumentenanalyse und sowie der qualitativen Inhaltsanalyse (V gl. Mayring 2015: 90ff.) einschlägiger Presseerzeugnissen und Veröffentlichungen sowie weiterer auswertbarer Stellungnahmen der Parteien, z.B. Pressemitteilungen oder sonstigen Erzeugnissen. Das vierte Kapitel dient abschließend der Zusammenfassung der empirischen Arbeit sowie deren Bewertung. Es wird die Frage nach den Gründen von Parteien eine parteilose Kandidatin zu unterstützen, welche sich mitunter durch die Reformierung der GO NRW ergeben haben, beantwortet. Abschließend werden die Ergebnisse in einem Fazit der kommunalwissenschaftlichen Kontroverse eingeordnet.
2. Theorie Neo-Institutionalismus
Im folgenden Kapitel soll der theoretische Rahmen der Arbeit vorgestellt und erläutert werden, um die Wechselwirkung der reformierten GO NRW mit den Entscheidungs- und Handlungsstrukturen der Kölner Parteien in der Oberbürgermeisterwahl nachvollziehen zu können. Dazu werden zunächst die relevanten Kernthesen und der Forschungsstand des Neo-Institutionalismus (NI) elaboriert. Hierbei wird nur ein grober Überblick des Forschungszweigs der vergleichenden Politikwissenschaft verschafft. Eine Skizzierung der Theorie des NI ist insofern notwendig, um eine der Weiterentwicklungen des NI, den Rational-Choice-Institutionalismus verständlich zu machen.
Seit den 1970er Jahren beschäftigen sich Soziologen, Ökonomen, Organisations – und Politikwissenschaftler mit der Bedeutung von Institutionen in unterschiedlichen gesellschaftlichen Kontexten (Senge, Hellmann 2006: 7/ Kaiser 1999: 190). Wegweisend waren unter anderem die Arbeiten von Meyer, Rowan 1977 und Zucker 1977 sowie DiMaggio, Powerell 1983. Der NI nimmt als theoretisches Analysemodell eine Vorreiterrolle in der vergleichenden Politikwissenschaft ein und genießt seit den 1980er Jahren eine breite wissenschaftliche Aufmerksamkeit (Senge 2011: 11). Im Zentrum der theoretischen Analyse steht die Erfassung politischer Prozesse und politischen Handelns durch die Untersuchung von Institutionen (Göhler 1997: 22). Die zentrale These des NI besagt, dass Handeln nicht nur Ergebnis individueller Entscheidungsfindung ist, sondern auch durch institutionelle Rahmenbedingungen bedingt wird.
Das Präfix „Neo“ zeigt in diesem Zusammenhang, das sich der NI aus einer älteren Forschungsströmung entwickelt hat. Die theoretischen Wurzeln sind auf Arbeiten des Soziologen Max Weber zurückzuführen. Webers Bürokratiemodell, wird oft als Gründungsdokument der Organisationswissenschaft betitelt und widmete sich vor allem Fragen der modernen Gesellschaft und den damit verbundenen sozialen Konsequenzen (Vgl. Senge, Hellmann 2006: 8-9). Der klassische Institutionalismus thematisiert in den Folgejahren vor allem formale Handlungen, wie Institutionswandel und informelle Handlungen[5] sowie die Einflussnahme auf Koalitionsbildungen zwischen Akteuren in Organisationen (Walgenbach, Meyer 2007: 12).
Während der klassische Institutionalismus versucht in diesem Zusammenhang politische Systeme mit Hilfe dichotomen, bzw. trichotomen[6] Klassifikationen gruppiert, geht der NI davon aus, das politisches Handeln in vielfältigen institutionellen Regimes stattfindet (Kaiser 1999: 191). Sowohl der alte als auch der neue Institutionalismus sehen Organisationen, bzw. Akteure nicht als autonome Einheit, sondern immer eingebettet in einem bestimmten Kontext und beeinflusst durch die Gesellschaft, bzw. Institutionen (Senge, Hellmann 2006: 13).
Dabei wird d er Begriff Institution definiert als stabile und relativ dauerhafte Handlungsregelmäßigkeiten von Menschen, Gruppen und Organisationen (Holtmann 2000: 270). Folglich haben Institutionen immer einen sozialen Charakter, da sie ein Miteinander organisieren. Als ein klassisches Beispiel für eine soziale Institution gilt die Ehe (Göhler 1997: 28). Über den sozialen Charakter einer Institution hinaus, können Institutionen auch einen politischen Charakter aufweisen. Demgemäß gilt die GO NRW als politische Institution. Politische Institutionen bilden:
Regelsysteme der Herstellung und Durchführung verbindlicher, gesamtgesellschaftlich relevanter Entscheidungen und Instanzen der symbolischen Darstellung von Orientierungsleistungen einer Gesellschaft.“ (Göhler 1997: 28)
Zentrale Funktion von Institutionen in der Politik ist somit die Steuerung der Gesellschaft Entweder durch Anreiz – und Sanktionsmechanismen oder über rechtliche Vorgaben (Göhler 1997: 26-27). Da sich der NI in vielen wissenschaftlichen Disziplinen parallel entwickelt hat, sind auch unterschiedliche Strömungen aus dem Neo-Institutionalismus unabhängig voneinander erwachsen. Zu nennen sind in dem Zusammenhang insbesondere die Denkschulen des soziologischen Institutionalismus, des historischen Institutionalismus, sowie des Rational-Choice-Institutionalismus (Vgl. Hall, Taylor 1996). Zur Erklärung der Handlungsmotive von Parteien im Nominierungsprozess der Kölner OB-Wahl 2015, erscheint der Rational-Choice-Institutionalismus in seinem Erklärungsmodell als zielführend.
Dazu sollen im folgenden Kapitel elementare Grundannahmen des Rational-Choice-Institutionalismus elaboriert und mit Blick auf die Forschungsfrage aus theoretischer Perspektive angewandt werden.
2.1. Rational-Choice-Institutionalismus zur Erklärung von Parteienmotiven
Der klassische Rational-Choice-Ansatz ist ein Konzept das menschliches Verhalten zu erklären versucht. Dabei ist wesentlicher Ausgangspunkt des Ansatzes das Menschenbild des homo oeconomicus (in Abgrenzung zum homo sociologicus[7] ). Das klassische Modell des Rational-Choice Ansatzes basiert nach Smelser auf sieben Elementen: (1) einem vollkommen rationalen Akteur, (2) einen vollständig informiertem Wesen, (3) stabilen individuellen Präferenzen, (4) nicht vorhandenen Transaktionskosten, (5) einem institutionenfreien Rahmen, (6) einer reibungslosen Aggregation individueller Transaktionen sowie (7) der wiederholten Bildung von Marktgleichgewichten (Smelser 1992: 386). Von diesem grundlegenden Menschenbild sind wesentliche Handlungsmotive abgeleitet. Jedoch berücksichtigt der weiterentwickelte Theorieansatz, der Rational-Choice-Institutionalismus, auch Informationsasymmetrien zwischen Akteuren, die Beschränktheit individueller Informationskapazitäten sowie letztlich auch institutionelle Restriktionen (Schulz 1997: 9). Im Rational-Choice-Institutionalismus besitzen Institutionen somit zusätzlich eine besondere Stellung.
Im Sinne des Rational-Choice-Institutionalismus haben Institutionen den Zweck, Regeln zu definieren, die sich vor allem auf die Verteilung und Ausübung von Macht, die Definition von Zuständigkeiten, die Verfügung über Ressourcen sowie die Autoritäts- und Abhängigkeitsverhältnisse beziehen und somit den Spielraum der Akteure begrenzen. Dadurch können Institutionen Handlungs- und Entscheidungsstrategien der Akteure zwar nicht bestimmen, aber durchaus strukturieren und beschränken (Kaiser 1999: 196). Vor dem Hintergrund der wechselseitigen Beziehung zwischen Institution und Akteur gilt, dass Institutionen eine stimulierende, beeinflussende, aber keine determinierende Wirkung auf Akteure haben. Ergo bestehen laut Rational-Choice-Institutionalismus die Präferenzen und Ziele der Akteure weitgehend unabhängig von den institutionellen Rahmenbedingungen (Vgl. Hall, Taylor 1998: 12-13).
Das zentrale Interesse eines jeden Akteurs besteht in der Gewinnmaximierung. Um dieses Interesse durchzusetzen, handeln Akteure bewusst strategisch, unabhängig von Routinen und Traditionen und nach Kosten-Nutzen-Kalkulation. Sie versuchen also im Rahmen ihres Handlungsspielraums jede Möglichkeit zu nutzen, um ihren individuellen Gewinn zu maximieren (Vgl. Schulz 1997: 10, 23, 24). Aufgrund dieser opportunistischen Handlungsweise der Akteure sind Institutionen das „aggregierte Ergebnis individueller Entscheidungen“ (Schulz 1997: 10). In diesem Sinne können sich immer neue institutionelle Gleichgewichte bilden, wodurch alte Strukturen abgelöst werden und spurlos verschwinden (Schulz 1997:10/ Gehne 2008: 19).
Überträgt man den Rational-Choice-Institutionalismus auf das der Arbeit vorliegende Fallbeispiel, so sind die Analyseeinheiten - rationale Akteure und Institutionen - jeweils die in Köln aktiven Unterstützerparteien und die GO NRW.
Um zu verdeutlichen, welche natürlichen Ziele Parteien als rationale Akteure verfolgen, sollen an dieser Stelle die Überlegungen des Politikwissenschaftlers Jochen Sunken adaptiert werden. Er differenziert zwei zentrale Zielkomplexe von Parteien: (1) Parteien wollen als rationale Akteure ihre Macht sowie ihren Einfluss auf Entscheidungsprozesse stärken, um ihre formulierten Politiken umzusetzen (Gestaltungsziel). (2) Dazu ist es notwendig, so viele Mandate und Ämter wie möglich zu besetzen (Machtziel). Diese beiden zentralen Ziele von Parteien bedingen sich gegenseitig. Denn einerseits ist die Umsetzung von Gestaltungszielen nur durch Macht bzw. Ämterbesitz möglich. Andererseits sind Gestaltungsziele der Parteien notwendig, um Wählerstimmen zu erlangen (Vgl. Sunken 2016: 19ff.). Dabei stellt das Oberbürgermeisteramt in einer Großstadt wie Köln eine zentrale Position in der kommunalen Machtstruktur dar. Dementsprechend haben Parteien ein großes Interesse dieses Amtes durch ausgesuchtes Personal zu besetzen, um Einfluss ausüben zu können.
Im Rahmen der Reformierung der GO NRW, welche die Handlungsspielräume der Parteien gesetzlich festlegt, haben sich verschiedene institutionelle Rahmenbedingungen in Bezug auf das OB-Amt verändert. Infolgedessen ist gemäß des Rational-Choice-Institutionalismus, die Annahme dass sich Parteien als rationale Akteure an die neuen Gegebenheiten anpassen, um ihre zentralen Präferenzen, Machtziele und Gestaltungsziele, weiterhin zu stärken und durchsetzen zu können.
Nachdem die Grundthesen des NI, sowie dessen weiterentwickelte Strömung, dem Rational-Choice-Institutionalismus dargelegt wurden, soll im folgenden Kapitel die Position von Stadträten, bzw. Parteien in der Kommunalpolitik erörtert werden, um dessen Stellung im Institutionsarrangement kommunaler Selbstverwaltung zu verstehen und damit deren Möglichkeiten ihre oben dargestellten Ziele zu verwirklichen.
3. Parteien in der kommunalen Selbstverwaltung als rationale Akteure
In der kommunalen Politikwissenschaft, bzw. Verwaltungswissenschaft besteht seit Einführung der Kommunalverfassungen in Deutschland nach 1945 ein Grundsatzkonflikt, der die Stellung von Stadträten und somit Parteien in der kommunalen Selbstverwaltung[8] in Frage stellt (Holtmann 1992: 13). Dieser Konflikt dreht sich im Kern um die Frage, ob Stadträte lediglich ein Organ zur Erfüllung kommunaler Verwaltungsaufgaben sind oder darüber hinaus der Stadtrat die Funktion eines Parlaments ausübt (Detjen 2000: 40). Im Zuge dieser Frage unterscheiden sich auch die Auffassungen zur Stellung der Volksvertretung, das Demokratie-, Politik-, und Parteienverständnis (Gehne, 2008: 25). Schärfer formuliert, kann man sogar von einem verfassungspolitischen Bekenntnisstreit unter den Wissenschaftlern sprechen. (Holtmann 1992: 13ff.). Mit Blick auf kommunale Parteien hat dieser Konflikt maßgebende Auswirkungen. Schließlich wird an dieser Stelle die grundsätzliche Frage gestellt, ob Parteien überhaupt auf kommunaler Ebene eine gestalterische bzw. aktive Rolle innerhalb der Selbstverwaltung einer Kommune einnehmen können oder ob dies nur dem Bundestag und den Landesparlamenten vorbehalten ist. Aus der Perspektive des Rational-Choice-Institutionalismus stellt sich die Frage, ob Fraktionen in Stadträten überhaupt als rationale Akteure bezeichnet werden können.
Anders als Rechtwissenschaftler, die Kommunen als reines Verwaltungsorgan bzw. exekutiv Organ der Landes- und Bundespolitik verstehen (Vgl. Knemeyer 1998: 119ff.), sind Politikwissenschaftler der Ansicht, dass besonders in Groß- und Mittelstädten eine faktische Parlamentarisierung zu beobachten ist (Wollmann 1998: 57). Die Parlamentarisierung und damit die politische Dimension der Kommune lasse sich anhand zahlreicher Aspekte der Kommunalverfassungen belegen (Wollmann 1998: 57ff.).
Erstens besitzen Kommunalvertretungen gegen über der Verwaltung Kontrollrechte, d.h. der Kommunalvertretungen gegenüber der Verwaltung. Zweitens besteht für die Fraktionen die Möglichkeit sich rechtlich zu wehren, sollten Verfahrensrechte nicht eingehalten werden. Dies kommt in erster Linie den oppositionellen Fraktionen zu Gute (Wollmann 1999: 57-58). Der Politikwissenschaftler Rolf-Richard Grauhan, vertritt eine ähnliche Auffassung. Grauhan postuliert, dass sobald einer kommunalen Verwaltung Handlungsmöglichkeiten in bestimmten Bereichen eröffnet werden, kommunale Selbstverwaltung eine politische Dimension erhält, die einer politischen Auseinandersetzung bedarf (Vgl. Grauhan 1972: 150).
Auch wenn die juristische Auslegung der Kommunalverfassungen in Deutschland die Interpretation zulässt, dass Stadträte lediglich einen ausführenden Charakter besitzen, wird in der vorliegenden Arbeit davon ausgegangen, das Parteien eine aktive und gestaltende Rolle in der Kommunalpolitik einnehmen und in dieser Eigenschaft mit dem Bundestag und den Landesparlamenten gleichzusetzen sind. Schließlich entscheidet der Stadtrat in NRW u.a. über die Besetzung der Beigeordneten sowie die Anzahl und Besetzung der Fachausschüsse sowie den allgemeinen Grundsätzen, nach denen die Verwaltung geführt werden soll. Darüber hinaus beschließt der Stadtrat in NRW den städtischen Haushalt (§ 41 Abs. 1 GO NRW).
Nachdem die theoretischen Vorüberlegungen dargestellt haben, in welcher Art und Weise Institutionen und Parteien in Beziehung zueinander stehen, soll im folgenden Abschnitt die Reformierung der Gemeindeordnung in NRW skizziert werden. Auf dieser Basis lassen sich die Wechselwirkungen von institutionellen Veränderungen und Auswirkungen auf das Akteurs-Handeln für den wissenschaftlichen Gegenstand der vorliegenden Arbeit ableiten.
4. Reformierung der Gemeindeordnung in NRW 1994
Ausgangspunkt der Reformierung der Gemeindeordnung in NRW 1994 war u.a. die Unzufriedenheit mit der Leistungsfähigkeit - Verwaltungseffizient und Haushaltssicherung - der Kommunen (Bovermann 1999: 127). Banner untersuchte anhand von verschiedenen Kommunalverfassungen, wie Kommunen eine hohe Verwaltungseffizienz sowie Haushaltssicherung schaffen können. Hintergrund waren aufkommende kommunale Haushaltsprobleme in den 1980er Jahren (Banner 1984/ Banner 1989). Banner unterscheidet zwischen Fachpolitikern aus Verwaltung und Rat, die vornehmlich ihr Politikfeld im Fokus ihrer Arbeit hatten und Steuerungspolitiker, die dem gegenüber zumeist in Querschnittsabteilungen und Steuerungsausschüssen agieren. In seinen Untersuchungen kommt Banner zu dem Ergebnis, dass das Haushaltsdefizit umso höher ist, je mehr Einfluss Fachpolitiker haben. (Banner 1989) Banner zur Folge benötigen Kommunen an der Spitze einen zentralen Steuerungspolitiker, der mit einer gewissen „Richtlinienkompetenz“ als Chef der Verwaltung direkten Einfluss auf das Handeln von Politik und Verwaltung nimmt – einen starken, direkt gewählten Bürgermeister (Vgl. Timm-Arnold 2011: 45ff.).
Anders als Gerhard Banner, der Kommunalverfassungen einen hohen Einfluss zuschreibt, und vor allem ein zentraler Steuerungspolitiker, ein hohes Maß an Einfluss ermöglichen würde, betont der Politikwissenschaftler Rüdiger Voigt, dass die lokale politische Kultur ein wesentlich höheren Anteil an kommunalen Entscheidungsprozessen hätte (Vgl. Voigt 1992: 11-12). Nach Voigt sind für die Funktionsfähigkeit einer Gemeinde vor allem personelle Merkmale maßgebend. So postuliert er, dass Entscheidungsmacht abhängig davon ist, ob zentrale Akteure der Kommune von Parteien, Fraktionen und der Verwaltung einen hohen Rückhalt genießen und fachliche Kompetenz mitbringen, um die sinnvolle Politiksteuerung der unterschiedlichen Interessen in einer Gemeinde adäquat zu koordinieren und zu integrieren. Daher schreibt er dem Einfluss von Gemeindeordnungen einen geringen Einfluss auf die Entscheidungsstrukturen in der Gemeinde zu. Entscheidend ist für Voigt der „Faktor Mensch“ (Vgl. Voigt: 1992: 11ff.).
Die Differenzierung, ob ein starker Bürgermeister oder eine gute Zusammenarbeit verschiedener Akteure aus Politik und Verwaltung für die Funktionsfähigkeit wichtig sei, spielt auch für die vorliegende Arbeit eine gewichtige Rolle. Auch die Unterstützerparteien von Henriette Reker sowie die SPD mit ihrem Kandidaten Jochen Ott setzten sich bei der Kandidatennominierung mit diesen Fragen auseinander. Obwohl die lokale Politikforschung bereits seit den 1970ern über die Modellierung einer Reform debattiert, waren die Argumente der Wissenschaftler schlussendlich wenig ausschlaggebend für die rasche Reformierungswelle in (West-)Deutschland Mitte der 90er Jahre. Vielmehr war die deutsche Wiedervereinigung indirekter Ausgangspunkt für die Reformierung der Kommunalverfassungen in allen deutschen Flächenländern. Nachdem in Ostdeutschland der Drang nach einer starken politischen Partizipation der Bürgerschaft laut wurde, kam auch in den „alten“ Bundesländern schnell Bewegung in den Prozess zur Reformierung der Gemeindeordnungen (Holtkamp 2012: 188-189).
Bis zur Reformierungswelle in den 1990er Jahren wurden in Deutschland im Grunde vier Typen von Kommunalverfassungen unterschieden: Die norddeutsche Ratsverfassung, die süddeutsche Ratsverfassung, die rheinische Bürgermeister-Verfassung sowie die unechte Magistratsverfassung (Knemayer 1999: 109). Hauptmerkmal zur Typologisierung der vier Verfassungstypen war die Kompetenzverteilung zwischen Rat und Verwaltung, welche entweder monistisch oder dualistisch[9] ausgeprägt war (Bogumil, Holtkamp 2013: 30). Insgesamt kann die süddeutsche Kommunalverfassung als Leitverfassung für die deutsche Reformierungswelle angesehen werden, da ihr im Vergleich zu den anderen Verfassungstypen das höchste Maß an Effizienz und Transparenz zugeschrieben wird (Bogumil 2002: 29). An dieser Stelle soll jedoch insbesondere die nordrhein-westfälische Kommunalverfassung detailliert erläutert, sowie insbesondere ihre Entwicklung nach der Reformierung herausgestellt werden.
Die alte Gemeindeordnung in NRW, die 1952 vom nordrhein-westfälischen Landtag verabschiedet wurde, war insbesondere durch die britische Besatzungsmacht nach dem zweiten Weltkrieg beeinflusst worden. Das besondere Merkmal der rheinischen Bürgermeister-Verfassung war die doppelte Verwaltungsspitze, bestehend aus einem ehrenamtlichen Bürgermeister, der vom Rat gewählt wurde und einem Stadtdirektor, der die Verwaltung leitete (Siehe auch Abbildung 1) (Andersen 1999: 9/ Kost 2010: 231). Zentrale Kritikpunkte der damaligen GO NRW war zum einen die Diskrepanz zwischen der Verfassungsreform und der kommunalen Realität, die sich durch die Zweiköpfigkeit der Gemeindespitze ergab. Auch wenn die Funktionen des ehrenamtlichen Bürgermeisters und des Stadtdirektors formal getrennt waren, haben beide oftmals die Funktion des Anderen wahrgenommen. Die Zweiköpfigkeit der Gemeindespitze wurde in der Wissenschaft als höchst intransparent wahrgenommen (Banner 1984: 364ff.). Ebenfalls in der Kritik stand die Überlastung ehrenamtlicher Politiker mit der Folge einer einseitigen Zusammensetzung des Stadtrates nach bestimmten Berufsgruppen (Vgl. Bogumil 2011: 176).
Nach langjährigen Diskussionen verabschiedete schließlich der nordrhein-westfälische Landtag am 6. Mai 1994 das Gesetz zur Änderung der Kommunalverfassung (Gesetz- und Verordnungsblatt NRW vom 17.5.1994). Zahlreiche wichtige Änderungen brachten in Nordrhein-Westfalen eine neue Kommunalverfassung hervor, die in der Fachliteratur mitunter sogar als Verfassungsrevolution betitelt wird (Andersen 1998: 59ff.). Insbesondere durch die Etablierung eines hauptamtlichen Bürgermeisters wurde die innere Organisationsstruktur in den Kommunen nachhaltig umgestaltet. Darüber hinaus wurden die Partizipationsmöglichkeiten der Bürgerschaft durch die Einführung von Bürgerbegehren erheblich gestärkt. Direkte Demokratie erfuhr durch die neue Kommunalverfassung eine erhebliche Ausweitung und damit auch eine neue Qualität (Kost 2010: 236).
Abbildung 1: Institutionelles Arrangement der kommunalpolitischen Akteure in der GO NRW (alt)
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Quelle Andersen 1998, S. 62
Trotz der Annäherung an die baden-württembergische Kommunalverfassung, wurden wesentliche institutionelle Elemente der alten GO NRW übernommen. Nach wie vor wählt der Rat die Beigeordneten der Stadtverwaltung und besitzt weiterhin das sogenannte Rückholrecht[10] (Andersen, Bovermann 1999: 12). Die Gemeindeordnung birgt darüber hinaus noch weitere Klauseln, die dem Rat, bzw. den Kommunalvertretungen (immer noch) zahlreiche Rechte zuschreiben (Bovermann 1999: 42-44). Zusammenfassend ist festzuhalten, dass sich vor allem die Bürgermeisterrolle durch die Reformierung der GO NRW 1994 radikal geändert hat. Auch Parteien müssen bei der Nominierung, bzw. Unterstützung eines Bürgermeisterkandidaten umdenken. So wurde Parteien bis 1996 das Privileg vorgehalten, einen Stadtdirektor, bzw. ehrenamtlichen Bürgermeister zu wählen. In der Realität wurden die Ämter des Stadtdirektors und des ehrenamtlichen Bürgermeisters dementsprechend von der stärksten Fraktion im Stadtrat gewählt. Mit der Änderung der GO NRW können nun Parteien, Wählergruppen und Einzelbewerber Wahlvorschläge auf das vereinheitlichte Amt des Bürgermeisters vornehmen (Bovermann 1999: 36). Infolgedessen wurde das Amt des Bürgermeisters in seiner Legitimation vom Stadtrat entkoppelt. Schließlich wird der Bürgermeister nicht mehr vom Rat, sondern von der Bürgerschaft gewählt. Infolgedessen wurde die Besetzung des Bürgermeisteramtes von Parteimehrheiten im Rat gelöst (Bovermann 1999: 36 ff.). Diese fundamentale Änderung zeigte sich auch im Kölner OB-Wahlkampf, da Henriette Reker als parteilose Einzelbewerberin kandidierte und von keiner Partei nominiert, sondern lediglich unterstützt wurde.
Insofern wurde die Vormachtstellung der Parteien in der Besetzung der Gemeindespitze geschmälert – gleichzeitig deren Handlungsspielräume erweitert. (Siehe auch Abb. 2) Somit wurde durch die Neugestaltung des institutionellen Arrangements der Akteure einer Kommune in der GO NRW erst die Grundlage für die Unterstützung eines parteilosen Bürgermeisterkandidaten geschaffen.
Mit Blick auf den empirischen Teil der Arbeit erscheint ein fundiertes Verständnis der Rolle des Bürgermeisters als notwendig. Schließlich hat sich nicht nur das Arrangement der Akteure verändert, sondern auch das Amt des Bürgermeisters in NRW hat tiefgreifende Änderungen erfahren. Daher soll im folgenden Abschnitt die besondere Stellung eines Bürgermeisters in NRW, seine Relevanz für die Verwirklichung der Interessen der Parteien und das damit zusammenhängende Sozialprofil skizziert werden.
4.1. Der neue Bürgermeister in NRW
Mit der Reformierung der GO NRW 1994 hat sich die Einfluss des Bürgermeisters auf die Ausgestaltung der kommunalen Selbstverwaltung im Arrangement der kommunalpolitischen Akteure tiefgreifend verändert. Nach dem Leitbild der süddeutschen Verfassung wurde auch der nordrhein-westfälische Bürgermeister in der reformierten GO NRW mit den Hauptfunktionen der lokalen Exekutive betraut. Der Bürgermeister bestimmt die Tagesordnung der Ratssitzungen und des Hauptausschusses[11], welche er leitet und in denen er stimmberechtigt ist. Darüber hinaus vertritt er die Stadt als juristische Person nach außen und ist Chef der Verwaltung (Landeshauptstadt Düsseldorf 2009: 48).
Außerdem ist der Bürgermeister durch seine Direktwahl als repräsentatives Stadtoberhaupt direkt von der Bürgerschaft legitimiert. (Siehe auch Abbildung 2) Folglich wird der Bürgermeister neben dem Rat zum Träger der Gemeindeverwaltung (Gissendanner 2002: 95/ Anne-Kathrin Lingk 1999: 221/ Bogumil 2001: 178). Bis zu Reformierung wurden die aufgezählten Hauptfunktionen der lokalen Exekutive auf einen Stadtdirektor und einen ehrenamtlichen Bürgermeister aufgeteilt. Im Zuge der dargestellten Aufwertung der Position des Bürgermeisters in NRW seit der Reformierung der GO NRW 1994, fungiert der Bürgermeister als Bindeglied zwischen Rat, Verwaltung und der Bürgerschaft (Vgl. Gehne 2012: 132). Im Institutionenarrangement zwischen Rat, Verwaltung und Bürgerschaft nimmt der Bürgermeister, anders als vor der Reformierung, eine exekutive Führungsrolle ein (Bogumil 2001: 189).
Neben der Veränderung von Politikmustern wird ein weiterer Aspekt deutlich, der sich durch die novellierte GO NRW verdeutlicht. Vor dem Hintergrund der Direktwahl versucht sich der Bürgermeister(-kandidat) als besonders bürgernah darzustellen (Bogumil 2001: 190). Im Rahmen des Wahlkampfes bieten sich den Bürgermeisterkandidaten umfangreiche Möglichkeiten zur öffentlichen Profilierung in Form von Wahlplakaten, Veranstaltungen und dem regen Kontakt zu lokalen, teils überregionalen Medien (Gehne, 2012: 37). Die Fähigkeit zur öffentlichen Selbstdarstellung wird von den Wählern als wesentlicher Erfolgsfaktor für die Direktwahl gewertet (Vgl. Schulenberg 1999: 385). Entsprechend beurteilen Bürgermeister in Deutschland ihre Nähe zum Bürger als sehr wichtig (Bertelsmann Stiftung 2008: 61). Die Direktwahl des Bürgermeisters hat einerseits seine Position innerhalb des Institutionengefüges geändert, anderseits steht die Persönlichkeit des Bürgermeisters- bzw. des Kandidaten stärker im Fokus der Öffentlichkeit. Auch im Vergleich zum Stadtrat, steht der Bürgermeister einer Kommune stärker im Fokus der Öffentlichkeit.
Diese Entwicklung hat ebenfalls Auswirkungen auf das Verhalten des Wählers. Da der Bürgermeister(-kandidat) im Fokus des Wahlkampfes steht und seine Parteizugehörigkeit zwar für ein nicht unbeträchtliches Wählersegment weiterhin der wichtigste Orientierungspunkt ist, ist für ein ebenfalls nicht unbeträchtliches Wählersegment die Persönlichkeit eines Kandidaten ausschlaggebend für das Wahlverhalten (Bogumil 2001: 191). In der Kommunalforschung herrscht weitgehend Einigkeit darüber, dass sich Wähler bei Bürgermeisterwahlen statt an Themenfragen, wie z.B. bei Bundestags- und Landtagswahlen, stärker an der Persönlichkeit, bzw. der persönlichen Eignung der Kandidaten für ein Amt orientieren. Die kommunale Wahlforschung konnte jedoch bisher keine empirischen Ergebnisse dazu liefern, welches Ausmaß das jeweilige Segment (Partei- oder Kandidatenorientierung) auf die Entscheidung des Wählers hat (Wehling 1999: 14ff./ Bogumil 2001: 191). Für die Forschungsfrage, warum Parteien parteilose Kandidaten unterstützen, liefern diese wissenschaftlichen Befunde erste Erklärungsansätze dafür, warum die Unterstützung ausgewählter Persönlichkeiten für Parteien attraktiv sein kann. Denn der Rational-Choice-Institutionalismus besagt, dass Akteure innerhalb des institutionellen Rahmens so handeln, dass sie davon maximal profitieren (Hall, Taylor 1996: 12).
Da sich der Wähler zumindest nicht nur an der Parteizugehörigkeit eines Bürgermeisterkandidaten orientiert, sondern ebenso an der Persönlichkeit, beeinflusst dieser Umstand das Verhalten von Parteien bei der Aufstellung eines Kandidaten. Schließlich wollen Parteien bei Wahlen jeglicher Art ein möglichst gutes Wahlergebnis erzielen, um ihre Macht-und Gestaltungsziele realisieren zu können (Sunken 2016: 19ff). Diese theoretischen Vorüberlegungen liefern erste potenzielle Untersuchungsmotive der Parteien, die Henriette Reker unterstützt haben. Durch die Unterstützung einer parteilosen Kandidatin mit geeigneter Persönlichkeit und gewisser Popularität in Köln könnten sich die Parteien bessere Chancen ausgerechnet haben, um ihre Macht-und Gestaltungsziele umzusetzen.
Um einen Eindruck für die bisherige Besetzung der Bürgermeisterposten in NRW zu bekommen, liefern diverse statistische Aufarbeitungen der bisherigen Bürgermeisterwahlen einen guten Überblick (Vgl. Bertelsmann Stiftung 2008/Wehling 2007).[12] Besetzt werden die 396 Bürgermeisterposten in NRW überwiegend von Personen, die bereits langjährige Erfahrung im öffentlichen Dienst gesammelt haben. Sie sind Juristen, bzw. gelernte Verwaltungsfachleute. Die Kompetenz, eine Verwaltung führen zu können, gilt als Selbstverständlichkeit für einen Bürgermeister (Wehling 2015: 41). Im Vergleich kommen ca. die Hälfte der Bürgermeister aus der Verwaltung, die andere Hälfte aus der Politik (Wehling 2007) Die 50% der Bürgermeister aus der Politik besitzen zwar damit nicht zwangsläufig die notwendige Verwaltungserfahrung, ihre Chance auf einen Wahlsieg ist allerdings in ihren politischen Managementerfahrungen begründet (Vgl. Naßmacher 2013: 862).
[...]
[1] Wenn von Bürgermeistern die Rede ist, ist in kreisfreien Städten der Oberbürgermeister gemeint.
[2] Es wird im Folgenden stets ein generisches Maskulinum verwendet, womit per definitionem Personen jeglichen Geschlechts gemeint sind.
[3] Laut Kommunalindex nach Bogumil und Holtkamp ist die Kommunalverfassung von NRW die parteienfreundlichste Kommunalverfassung im Vergleich zu allen anderen deutschen Bundesländern, d.h. Parteien können auf kommunalpolitische Entscheidungen in hohem Ausmaß Einfluss nehmen (Bogumil, Holtkamp 2016: 30).
[4] Gleichermaßen wurde auch das Amt des Landrat reformiert, dessen dienstliche Stellung gleichwertig mit dem Amt des Bürgermeisters ist. ( Kreisordnung NRW § 60 Absatz 2)
[5] Beispiel für einen informellen Kontext ist beispielsweise der konkordanzdemokratische Grad von Parteien im Verhältnis zueinander (Schedler 2008: 172).
[6] Dichotome Klassifikation ist z.B. die Unterscheidung zwischen parlamentarische versus präsidentielle Regierungssysteme. Hingegen eine trichotome Klassifikation beispielsweise die aristotelische Herrschaftsformenlehre ist (Kaiser 1999: 191).
[7] Die Strategien des Homo Sociologicus, sind ein endogenes Produkt jener kulturellen Praktiken, die in Form von Traditionen, Sitten und Tabus das institutionelle Umfeld des Individuums gestalten (Hall, Taylor 1996: 14ff.).
[8] Das Recht auf kommunale Selbstverwaltung ist durch Artikel 28, Absatz 2. im Grundgesetz festgeschrieben. Demnach ist Kommunen das Recht institutionell garantiert „alle Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft im Rahmen der Gesetze in eigener Verantwortung zu regeln (Holtmann 2000).
[9] In monistischen Systemen haben Kommunalvertretungen stärken auf Einfluss auf kommunale Entscheidungsprozesse, während in dualistischen Systemen die Verwaltungschefs über stärkeren Einfluss verfügen (Bogumil, Holtkamp 2013: 57).
[10] Nach § 41 Abs. 3 der GO NRW, behält sich der Rat das Recht vor, die Geschäfte der laufenden Verwaltung, welche an den Bürgermeister übertragen sind, „zurückzuholen“ (GO NRW).
[11] In der baden-württembergischen Kommunalverfassung ist der Bürgermeister darüber hinaus in allen Ausschüssen Vorsitzender und stimmberechtigt (Gissendanner 2002: 95).
[12] Zur Wahl des Bürgermeisters dürfen jene Personen antreten, die das 23. Lebensjahr vollendet haben, ihren Hauptwohnsitz in Deutschland haben, welcher jedoch nicht zwingend der Ort sein muss, in dem sie kandidieren. Außerdem müssen die Kandidaten die deutsche Staatsbürgerschaft oder die eines EU-Landes besitzen (GO NRW, § 65 (Fn 7, 15).
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- Christian Stunz (Author), 2016, Warum unterstützen Parteien parteilose Bürgermeisterkandidaten?, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/322775
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